Riesengene in Bakterien

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KA R R IE R E , KÖP FE & KON Z EPTE
Bakterielles Genom
Riesengene in Bakterien
BURKHARD TÜMMLER
KLINISCHE FORSCHERGRUPPE, MEDIZINISCHE HOCHSCHULE HANNOVER
ó Extreme haben die Menschen seit jeher
fasziniert. Wissenschaftler sind da keine Ausnahme. Physiker erforschen den Aufbau der
Materie im Atom und im Weltall, und Mikrobiologen erkunden das Leben der Bakterien
in extremen Ökosystemen wie Tiefsee, Sahara oder Antarktis. Wir können aber auch
Extreme entdecken, ohne den beschaulichen
PC-Arbeitsplatz im Institut verlassen zu müssen. Ein Beispiel ist die Datenbanksuche nach
den längsten Genen in bakteriellen Genomen.
Ungefähr jedes fünfhundertste bakterielle
Gen ist länger als 5 kbp (Tab. 1) und codiert
für ein Protein mit mindestens fünfmal höherem Molekulargewicht als der Durchschnitt[1].
Jedes zehntausendste Bakteriengen besitzt
eine codierende Sequenz von mehr als 15 kb
(Tab. 1). Die Datenbanken verzeichnen bei
Prokaryoten viel mehr Gene, die für Riesenproteine codieren, als bei Eukaryoten. Die
bekanntesten Vertreter beim Säuger sind
Muskelproteine wie Titin oder Nebulin mit
ihren extrem hohen Molekulargewichten von
mehr als 1.000 kDa.
Bakterielle Riesengene haben eine auffällige Sequenzsignatur. Bakterielle Genome
zeichnen sich durch einen speziesspezifischen Codon- und Oligonukleotid-Gebrauch
aus[2]. Riesengene hingegen besitzen in
der Regel eine atypische OligonukleotidZusammensetzung, die sich drastisch von den
Durchschnittswerten ihres Wirtsgenoms
Tab. 1: Häufigkeit von langen Genen in Bakteriengenomen.
Länge des Gens (kbp)
Prozent aller Gene
5–10
0,146
10–15
0,024
15–20
0,006
20–25
0,002
> 25
0,002
unterscheidet[1]. Passend zu dieser Außenseiterrolle ist der Befund, dass Riesengene in
einer Spezies meistens nicht konserviert sind,
sondern nur in einigen klonalen Komplexen
vorkommen.
Über 80 Prozent aller Gene mit einer Länge von mehr als 20 kbp sind zwei funktionellen Klassen zuzuordnen: Die eine Klasse
codiert für Polyketid(PKS)- und nicht-ribosomale Peptidsynthetasen (NRPS), die in mehreren Stufen ein Peptid oder Polyketid synthetisieren[3]. Im Regelfall enthält ein Operon aus drei bis sechs Genen die Information
zur Produktion dieser Multienzymkomplexe[3]. Bei den Riesengenen ist hingegen
ein einziges Multidomänenprotein für die
Synthese verantwortlich[1]. Die von den Riesengenen codierten PKS und NRPS unterscheiden sich jedoch in der Anordnung und
Zahl der Domänen, Module und katalytischen
Zentren nicht von den multigenischen Operons. Es handelt sich also auch bei den Riesenproteinen um typische PKS und NRPS.
Die andere Klasse bakterieller Riesengene
codiert für Adhäsine und Oberflächenproteine[1, 4]. Die meisten Proteine dieser Klasse
enthalten repetitive Elemente unterschiedlicher Länge und Kopienzahl (Abb. 1). Die
Proteine sind reich an sauren und hydrophi¯ Abb. 1: Regionen mit repetitiven Elementen
(Mindestlänge: 24 Nukleotide) in über 20 kpb
großen Adhäsingenen (modifiziert nach [1]).
Die eckigen Klammern hinter dem Namen des
Bakterienstamms geben die chromosomale
Lokalisation des Riesengens an.
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len aliphatischen Aminosäuren. Kennzeichen
sind der hohe Gehalt an Threonin und die
Abwesenheit von Cystein[1]. Diese riesigen
Oberflächenproteine können Wasser und
Kationen binden und zusammen mit Exopolysacchariden eine Extrazellularmatrix aufbauen.
Riesenproteine haben in Bakterien also
eine duale Funktion. Die Oberflächenproteine erlauben den Bakterien, sich ein eigenes
Mikromilieu zu schaffen. PKS und NRPS produzieren Sekundärmetabolite mit antimikrobiellen und/oder immunmodulatorischen
Eigenschaften. Oberflächenproteine dienen
dem Bakterium zum Schutz vor exogenem
Stress, die Sekundärmetabolite dienen der
Elimination von konkurrierenden Bakterien,
Pilzen oder Parasiten. Passiver Schutz und
aktive Gefahrenabwehr sind antagonistische
Strategien mit demselben Ziel, in der Nische
zu persistieren. Riesenproteine dürften dem
Bakterium einen so hohen Vorteil an biologischer Fitness verleihen, dass sich der Aufwand an Energie und Zeit für die Synthese
lohnt.
ó
Literatur
[1] Reva, O., Tümmler, B. (2008): Think big – giant genes in
bacteria. Environ. Microbiol. 10: 768–777.
[2] Reva, O., Tümmler, B. (2004): Global features of sequences of bacterial chromosomes, plasmids and phages revealed
by analysis of oligonucleotide usage patterns. BMC
Bioinformatics 5: 90.
[3] Fischbach, M. A., Walsh, C. T. (2006): Assembly-line
enzymology for polyketide and nonribosomal peptide antibiotics: logic, machinery, and mechanisms. Chem. Rev. 106:
3468–3496.
[4] McCarren, J., Brahamsha, B. (2007): SwmB, a 1.12-megadalton protein that is required for nonflagellar swimming
motility in Synechococcus. J. Bacteriol. 189: 1158–1162.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Dr. Burkhard Tümmler
Klinische Forschergruppe,
OE 6710
Medizinische Hochschule
Hannover
Carl-Neuberg-Straße 1
D-30625 Hannover
Tel.: 0511-5322920
Fax: 0511-5326723
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