Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 10. Kurstag: Mutation und Supplementation sämtliche Arten verändern sich ständig durch Mutationen "stabile" Vererbung gibt es nicht! unterschiedliche Allele eines Gens entstehen immer durch Mutationen: jedes Allel ist eine Mutante! was ist 'normal'? Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Klassifizierung von Mutationen Mutationen werden nach unterschiedlichen Kriterien klassifiziert: (1) Lage und Ausmaß der DNA-Veränderung: "unsichtbare" Mutationen: geringfügige Sequenzänderungen in intergenischen Regionen und Heterochromatin Genmutationen: Veränderung einzelner Gene Chromosomenmutationen: Veränderungen ganzer Chromosomen (strukturelle Chromosomenaberrationen) Genommutationen: Veränderungen ganzer Chromosomensätze (numerische Chromosomenaberrationen) 1 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Klassifizierung von Mutationen Mutationen werden nach unterschiedlichen Kriterien klassifiziert: (2) Art der DNA-Veränderung: Punktmutationen Insertionen Deletionen Inversionen Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Klassifizierung von Mutationen Mutationen werden nach unterschiedlichen Kriterien klassifiziert: (2) Auswirkung: 'silent' Mutationen: keine Änderung der Proteinsequenz 'missense' Mutationen: veränderte Proteinsequenz 'nonsense' Mutationen: verkürztes Protein durch Entstehung von Stopcodons 'frameshift' Mutationen: veränderte Proteinsequenz durch Leserastermutation 2 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Entstehung von Mutationen spontan durch chemische Mutagene durch physikalische Mutagene durch biologische Mutagene Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Spontan auftretende Mutationen spontane Mutationen entstehen ohne äußere Einwirkung von Mutagenen durch Insertion von Transposons während der Replikation: Punktmutationen = Fehlpaarung von Basen (Transition, Transversion) Leserasterverschiebung (Insertion oder Deletion einer oder weniger Basen) die meisten spontanen Mutationen werden bereits während oder unmittelbar nach der Replikation effizient repariert! 3 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Chemische Mutagene einige der bekanntesten chemische Mutagene: alkylierende Agenzien (z.B. Nitrosoguanidin, Ethylmethansulfonat) Basenanaloga (z.B. 5-Bromuracil, 2-Aminopurin) interkalierende Agenzien (z.B. Acridinorange, polyzyklische Aromaten) Basen-modifizierende Agenzien (z.B. Aflatoxin, Nitrit, Hydroxylamin) Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Physikalische Mutagene die wichtigsten physikalischen Mutagene: UV-Strahlung Röntgenstrahlung ionisierende Strahlung (α-, β- und γ-Strahlung) 4 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Biologische Mutagene Transposons (endogen) DNA-Reparaturmechanismen (endogen) alle integrierenden Viren (exogen; z.B. alle Retroviren) Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Frequenz spontaner und induzierter Mutationen in Neurospora Neurospora Mutanten im Ad-3 Gen (ad-3–) bilden rote Kolonien, die von den weißen ad-3+ Wildtypkolonien leicht unterscheidbar sind EMS Röntgenstrahlung MMS UV-Strahlung polycyclische aromatische Acridine 5 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Zelluläre Mechanismen zur Reparatur von Mutationen Basen-Exzisionsreparatur: Schädigung von Basen (1) DNA-Glycosylasen schneiden die Nglykosidische Bindung zwischen Base und Zucker und erzeugen so Apurin- oder Apyrimidin-Stellen (AP-Stellen) Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Zelluläre Mechanismen zur Reparatur von Mutationen (2) AP-Endonucleasen erkennen APStellen und erzeugen einen Strangbruch (3) ausgehend von dem Strangbruch bauen Exonucleasen die DNA in beide Richtungen ab (4) Polymerasen synthetisieren neue DNA (5) Ligase verschließt den Strangbruch 6 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Biologische Mutagene: Mismatch-Reparatur während der Replikation (oder durch andere Vorgänge) entstandene Fehlpaarungen werden durch das Mismatch Reparatur System eliminiert C Wildtyp Mutante aber während der Reparatur können auch Mutationen fixiert werden! Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Physikalische Mutagene: UV-Strahlung Versuch 17: UV-Mutagenese eines Antibiotika-Resistenzgens Lernziel: die Beziehung zwischen Dosis und Wirkung von Mutagenen 7 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Physikalische Mutagene: UV-Strahlung UV-Strahlung stimuliert die Bildung von verschiedenen Photoprodukten, z.B. Cyclobutanringen zwischen benachbarten Pyrimidinen (meist Thyminen) bei der Replikation von Pyrimidindimeren entstehen unterschiedliche Mutationen Thymindimer Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Zelluläre Mechanismen zur Reparatur von UV-Mutationen z.B. Photolyasen zur Reversion von UV-induzierten Pyrimidindimeren: Photolyasen wurden in Bakterien und niederen Eukaryonten, aber nicht in Säugern gefunden 8 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Chromosomenmutationen: Änderung der Chromosomenzahl Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Aufgaben zum UV-Mutageneseversuch Zählen Sie die Kolonien auf den Platten Sammeln Sie an der Tafel die Werte aller Gruppen, berechnen Sie die Mittelwerte und die Standardabweichung Tragen sie den Logarithmus der gemittelten Zahl der Kolonien gegen die Bestrahlungsenergie auf Bestimmen Sie k [Der Versuchsteil zur Bestimmung der Mutationsfrequenz im LacZ alpha-Gen entfällt, weil die Unterscheidung von blauen und weissen Kolonien nicht eindeutig war.] Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Supplementation Versuch 18: Supplementation bei Matthiola incana Lernziel: die Fähigkeit zur Interpretation von mutanten Phänotypen in komplexen biochemischen Reaktionsketten 9 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Interaktion zwischen Genen Komplementation Supplementation (Kompensation) Polygenie Pleiotropie Epistasie Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Komplementation Komplementation: funktionelle Ergänzung von zwei Genen (cis-trans-Test) Mutationen sind: im gleichen Gen in verschiedenen Genen 10 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Supplementation Supplementation: Kompensation einer Mutation durch Zugabe eines Zwischenproduktes Enzym 1 Substrat Enzym 2 ZP 1 ZP 2 Endprodukt externe Zugabe von ZP1: ZP 1 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Polygenie Polygenie: an der Ausprägung eines Merkmals sind mehrere Gene beteiligt Ausbildung von Blütenfarbstoffen (z.B. Anthocyane) heterooligomere Proteine (z.B. Hämoglobin: α-Globin auf Chr. 16, β-Globin auf Chr. 11) .... a) komplementäre Polygenie: Merkmalsausprägung erfolgt erst beim Zusammenwirken aller beteiligten Gene (z.B. heterooligomere Proteine, mehrstufige Biosynthesewege) - "Serienschaltung" Substrat A ZP 1 B ZP 2 C ZP 3 D Endprodukt b) additive Polygenie = quantitative Variation/Vererbung: bei der Merkmalsausprägung leisten viele Gene kleine additive Beiträge (meist komplexe Merkmale wie Wuchshöhe, Ertrag) - "Parallelschaltung" 11 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Polygenie Polygenie: an der Ausprägung eines Merkmals sind mehrere Gene beteiligt additive Polygenie = quantitative Variation/Vererbung: Beispiel: F2-Spaltung der Kornfarbe von Weizen bei zwei beteiligten Polygenen die dominanten Allele beider Gene tragen zur Pigmentierung bei Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Polygenie Polygenie: an der Ausprägung eines Merkmals sind mehrere Gene beteiligt Beispiel: F2-Spaltung bei drei beteiligten Polygenen 12 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Polygenie Schema zur Entstehung von quantitativer Variation kein Umwelteinfluss 2 Gene 2 Gene kein Umwelteinfluss (a) bei zunehmender Zahl der an der Merkmalsausprägung beteiligten Gene 5 Gene leichter Umwelteinfluss 10 Gene starker Umwelteinfluss (b) bei unterschiedlich starkem Umwelteinfluss auf die Merkmalsausprägung Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Pleiotropie (Polyphänie) Pleiotropie: ein Gen ist an der Ausprägung mehrerer Merkmale beteiligt Gene, die an verzweigten Syntheseketten beteiligt sind Substrat A ZP 1 B ZP 2 ZP 3 Endprodukt 3 Endprodukt 1 Endprodukt 2 Bsp.: Gene E und G von Matthiola incana haben eine pleiotrope Wirkung: der Ausfall eines der beiden Gene wirkt sich auf Blütenfarbe und Blattbehaarung aus 13 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Epistasie Epistasie: die Wirkung eines Gens hängt von einem anderen Gen ab oder: ein mutantes Allel eines Gens "maskiert" oder überdeckt die Wirkung eines anderen Gens oder: Wechselwirkung zwischen zwei Genen: die gemeinsame Wirkung weicht von der Summe der Einzelwirkungen ab Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Der Anthocyan - Biosyntheseweg die weissblühenden Matthiola Pflanzen sind Mutanten der CHS, DFR oder FGT Enzyme F E Bz1 (Mais) G F Dihydroquercetin E G 14 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Chromosomenmutationen: Änderung der Chromosomenzahl Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Aufgabe zum Supplementationsversuch Anhand der Fähigkeit der weissen Pflanzen zur Weiterverarbeitung von Dihydroquercetin sollen Sie den Genotyp bestimmen, d.h. feststellen welches der drei in Frage kommenden Gene mutiert ist. Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Transposons Versuch 19: Transposonmutagenese in Mais Lernziel: das Verständnis der von Transposons verursachten variegierten Phänotypen 15 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Entdeckung der Transposons 1914: Rollins Emerson und Marcus Rhoades finden in Mais "instabile Mutationen" (variegierte Körner) 1945: Barbara McClintock beschreibt den genetischen Locus Dissociation (Ds) als eine Stelle auf einem der 10 Maischromosomen, an der sehr häufig Chromosomenbrüche auftreten. Bei Kreuzungen bemerkt sie, daß dieser Locus seine Position verändern und auf ein anderes Chromosom transponieren kann. 1948: McClintock beschreibt den genetischen Locus Activator (Ac), der die Aktivität von Ds kontrolliert und auch selbst transponieren kann. 1970: Entdeckung der Transposons in Bakterien 1980: Klonierung des Ac Transposons 1983: Verleihung des Nobelpreises an McClintock 1986: Transfer von Ac in eine andere Pflanze (Tabak) Barbara McClintock, 1984 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Wie erkennt man Chromosomenbrüche? c farbig sh bz wx C Sh Bz Wx Ds Chromosomenbrüche in einigen Zellen c C Bz W Sh sh bz wx x D s Zellteilung azentrisches Chromosomenfragment farblos c sh bz wx s TE-history 1 16 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Transposons sind ubiquitär verbreitet Retroelemente ("Klasse I - Transposons"): transponieren über ein RNA-Intermediat sind nur in Eukaryonten bekannt Retroviren (Säuger) Retrotransposons (Vertebraten, Pilze, Pflanzen) Retrogene (Vertebraten, Pflanzen) DNA-Elemente ("Klasse II - Transposons"): transponieren durch DNA-Exzision und -Reintegration gibt es in allen Eubakterien, Archae und Eukaryonten temperente Bakteriophagen IS Elemente (Bakterien) Tn Transposons (Bakterien) Transponierbare Elemente (Vertebraten, Pilze, Pflanzen) TE-Klassen Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 IS-Elemente und Transposons in Bakterien Transposons (Tn) in Bakterien wurden als mobile genetische Elemente entdeckt, die Antibiotika-Resistenz von Krankheitserregern verursachen. Insertion Sequences (IS) TPase 0.7 kb - 2 kb Transposons TPase R-Gen 2.5 kb - 20 kb TE in Bacteria 17 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Struktur des Mais Transposons Activator (Ac) TIRs TTTCATCCCTA AAAGTAGGGAT CAGGGATGAAA GTCCCTACTTT TPase Bindestellen Ac mRNA AAA TPase Protein TPase Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Modell des Ac Transpososoms Die Ac Transposase bindet an die Terminalen Inverted Repeats und an subterminale Sequenzmotive Die Ac Transposase agiert als Multimer Protein-Interaktionen der Ac Transposase bewirken die 'Synapsis' der Transposonenden 18 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Transposons sind Biologische Mutagene Transposons verursachen Mutationen mit "instabilen" Phänotypen: durch Exzision finden häufige Reversionen statt Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Ac/Ds Elemente transponieren in Pflanzen und in Hefe Oryza sativa Triticum aestivum Hordeum vulgare Nicotiana tabacum Nicotiana plumbaginifolia Lycopersicon esculentum Solanum tuberosum Petunia hybrida Datura innoxia Daucus carota Petroselinum crispum Arabidopsis thaliana Reis Weizen Gerste Tabak Glycine max Lotus japanicus Linum usitatissimum Lactuca sativa Populus Soja Saccharomyces cerevisiae Hefe Tomate Kartoffel Petunie Möhre Petersilie Flachs Salat Pappel 19 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Das Maiskorn: ein ideales Objekt für genetische Analysen Das Maiskorn besteht aus genetisch verschiedenen Organen bzw. Geweben: Perikarp diploid (MM); maternales Gewebe Endosperm triploid (MMP); doppelte Befruchtung! Aleuron triploid (MMP); äußerste Endospermschicht Embryo diploid (MP); Nachkommengeneration Institut für Biologie / Angewandte Genetik Chromosomenmutationen: Änderung der Chromosomenzahl Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Doppelte Befruchtung bei Pflanzen Perikarp (2n - maternal) 20 Institut für Biologie / Angewandte Genetik Chromosomenmutationen: Änderung der Chromosomenzahl Grundkurs Genetik - WiSe 05/06 Aufgaben zu den Transposon-Mutanten Schleifen Sie die Körner an und untersuchen Sie, ob sich die auf der Oberfläche sichtbaren Variegationsmuster in das Innere des Endosperms fortsetzen. Analysieren Sie die Stärkezusammensetzung im Inneren der Körner durch Anfeilen und Färbung mit Iod-Iodkaliumlösung. Fotografieren Sie die Körner für das Protokoll. Leiten Sie aus den Phänotypen ab, in welchen Geweben die Waxy, P und Bz Gene exprimiert werden. Schließen Sie aus den Reversionsmustern auf den Entwicklungszeitraum in dem die Transposons aktiv waren. 21