Modul Chemische Thermodynamik: Mittlere freie Weglänge aus Viskositätsmessungen von Gasen: Kapillarviskosimetrie M. Broszio, F. Noll (2007), Korrekturen: F. Unger (2008), F. Noll (2010) Lernziele Ziel dieses Versuches ist es, den Begriff der Viskosität zu veranschaulichen. Zusammenhänge mit der kinetischen Gastheorie und Analogien zu anderen Transportprozessen sollen aufgezeigt werden. Schließlich sollen die mathematischen Darstellungen dieser Phänomene behandelt und Unterschiede zwischen idealem und realem Verhalten aufgezeigt werden. Stichworte zur Vorbereitung Transportprozesse, Strömungen (ideal, laminar, turbulent), HAGEN-POISEUILLEsches Gesetz, kinetische Gastheorie, MAXWELLsche Geschwindigkeitsverteilung, freie Weglänge, Impulsfluss entlang eines Geschwindigkeitsgradienten, Temperatur- und Druckabhängigkeit der Viskosität von Gasen und Flüssigkeiten, Wechselwirkungen zwischen Teilchen, LENNARDJONES-Potential. 1. Theoretischer Teil 1.1 Allgemeines zur Viskosität Unter der Viskosität versteht man eine Materialeigenschaft, welche die Zähigkeit eines Stoffes beschreibt. Im Alltag ist diese Eigenschaft z.B. dafür verantwortlich, dass sich Honig schwerer umrühren lässt als Wasser. Der Grund dafür sind die auftretenden zwischenmolekularen Wechselwirkungskräfte, die man auch als innere Reibung zusammenfassen kann. Zähflüssige Stoffe wie Honig oder Sirup weisen eine hohe innere Reibung auf und besitzen somit auch eine hohe Viskosität. Zur Bestimmung der Viskosität von Fluiden kommt in diesem Versuch ein Kapillarviskosimeter zum Einsatz. Hierbei wird in einer Kapillare eine laminare Strömung erzeugt, die physikalisch einfach mit Hilfe des HAGEN-POISEUILLEschen Gesetzes zu beschreiben ist. 1.2 Transportprozesse Physikalisch wird die Viskosität als Transportgröße definiert, die das Vermögen beschreibt, Impuls entlang eines Geschwindigkeitsgradienten zu transportieren. Neben der Viskosität zählen auch Diffusion und die Wärmeleitung zu den Transportprozessen, die mit Hilfe der allgemeinen Transportgleichung beschrieben werden können. 1 J = -C·grad φ (1.0) (J: Fluss, C: Proportionalitätskonstante, Skalarfeld φ) In der folgenden Tabelle sind die Größen der Transportgleichung für die einzelnen Prozesse benannt. Transportprozess Diffusion Fluss J (Vektorfeld) Materiefluss Wärmeleitung Wärmefluss Viskosität Impulsfluss Proportionalitätskonstante C Diffusionskoeffizient Wärmeleitfähigkeitskoeffizient Viskosität φ (Skalarfeld) Konzentration Temperatur Strömungsgeschwindigkeit 1.3 Strömungen Beim Durchströmen von Fluiden durch ein zylindrisches Rohr kann zwischen drei Strömungstypen unterschieden werden. - Von idealen Strömungen wird gesprochen, wenn keine intermolekularen Wechselwirkungen auftreten. Die Strömungsgeschwindigkeit ist dabei an jeder Stelle des Rohrradius’ identisch. - Bei existenten intermolekularen Wechselwirkungen bildet sich eine laminare Strömung aus, für die ein parabolisches Geschwindigkeitsprofil charakteristisch ist. Dieses kommt zustande, da das Fluid durch Adhäsionskräfte an der Rohrwand am langsamsten und in der Rohrmitte am schnellsten fließt. - Die turbulente Strömung kann als eine gestörte laminare Strömung aufgefasst werden, in der sich Wirbel ausbilden. 1.4 Das Geschwindigkeitsprofil der laminaren Strömung Eine laminare Strömung in einem zylindrischen Rohr muss zunächst durch eine Druckdifferenz (p1-p2) zwischen den beiden Rohröffnungen erzeugt werden. Für die folgenden Herleitungen wird ein Bild benutzt, bei dem das Fluid in einzelnen, aufeinander gleitenden Hohlzylindern durch das Rohr mit der Länge l strömt. Abb. 1: Geschwindigkeitsprofil v(r) einer laminaren Rohrströmung. R Radius des Rohres, x Strömungsrichtung,.p1, p2: Gasdruck (p1> p2). An der Mantelfläche eines Zylinders mit dem Radius r wirkt dann die Reibungskraft FR, wobei η die Viskosität und v die Strömungsgeschwindigkeit beim Radius r ist. 2 FR = 2π rlη ⋅ dv dr (1.1) Auf die Deckfläche des Zylinders πr2 wirkt hierbei durch die Druckdifferenz (p1-p2) die Druckkraft FP. FP = π r 2 ( p1 − p2 ) (1.2) Während FP die treibende Kraft für den Teilchentransport durch das Rohr ist, wird der Materialstrom durch FR gebremst. Tritt keine zeitliche Änderung der Strömungsgeschwindigkeit auf (dv/dt = 0), liegt ein stationären Zustand vor, in dem ist und somit aus (1.1) und (1.2) FR = FP (1.3) dv p1 − p2 = r 2ηl dr (1.4) folgt. Um das Geschwindigkeitsprofil in Abhängigkeit vom Abstand r von der Rohrmitte zu erhalten, wird integriert: p −p (1.5) ∫ dv = 12ηl 2 ∫ rdr Gleichung (1.6) beschreibt das in Abb. 1 gezeigte parabolische Geschwindigkeitsprofil einer laminaren Rohrströmung: p − p2 p − p2 v(r ) = v0 − 1 r ² mit v0 = 1 R² (1.6) 4ηl 4ηl 1.5 Das HAGEN-POISEUILLEsche Gesetz Durch einen der bereits oben erwähnten ineinander gestapelten Hohlzylinder mit den Abmessungen r und r + dr strömt nun das Volumen dV in der Zeit dt: dV = 2πrdrv(r ) dt (1.7) Durch Intergration über alle Hohlzylinder erhält man das pro Zeiteinheit durch das gesamte zylindrische Rohr mit dem Radius R strömende Volumen. dV π ( p1 − p2 ) 4 = ∫ 2πrv(r )dr = R dt 0 8ηl R (1.8) Diese Beziehung wird als HAGEN-POISEUILLEsches Gesetz bezeichnet. Für die Viskosität ergibt sich hieraus: π ( p1 − p 2 ) R 4 Δt η= (1.9) 8lΔV 3 Jedoch ist bei Gasen noch die Kompressibilität zu berücksichtigen, welche bei Flüssigkeiten vernachlässigt werden kann. Da innerhalb der Kapillare ein lineares Druckgefälle herrscht, bezieht man das durchgeströmte Gasvolumen auf den mittleren Druck p0 mit p1 + p 2 2 p0 = (1.10) Da das Gasvolumen bei p1 (Luftdruck) gemessen wurde, muss es in das bei p0 durchgeströmte Volumen V0 umgerechnet werden. Hierbei gilt: p0V0 = p1V1 (1.11) p1 2 p1 V1 = V1 p0 p1 + p2 (1.12) und somit für V0 V0 = Für ΔV in (1.9) wird V0 eingesetzt, es ergibt sich somit η= π ( p1 − p 2 ) R 4 Δt p1 + p2 8l ⋅ 2 p1V1 = π ( p12 − p 22 )R 4 Δt 16lp1V1 (1.13) Mit Gleichung (1.13) kann später im Versuch die Viskosität von Gasen ermittelt werden. 1.6 Grundlagen der kinetischen Gastheorie Die kinetische Gastheorie ist auf der Annahme begründet, dass lediglich die kinetische Energie der Gasteilchen zur Energie des Gases beiträgt. Weiterhin wird hierbei angenommen,[1] dass 1. 2. 3. ein Gas aus Atomen oder Molekülen besteht, welche sich in ständiger, zufälliger Bewegung befinden. die Größe der Moleküle im Vergleich zu der von ihnen zurückgelegten Strecke vernachlässigbar ist und die Moleküle nur durch elastische Stöße interagieren. Für Druck und Volumen eines idealen Gases gilt: 1 pV = nM v ² 3 (1.14) (p: Druck, V: Volumen, n: Stoffmenge, M: molare Masse, v: Teilchengeschwindigkeit) Mit dem idealen Gasgesetz pV = nRT (1.15) (R: Gaskonstante, T: Temperatur) ergibt sich für das mittlere Geschwindigkeitsquadrat v² 4 v² = 3RT M (1.16) Die Verteilung der Geschwindigkeiten in drei Dimensionen ist hierbei durch die sog. MAXWELLsche-Verteilung (1.17) gegeben: 3 Mv ² − ⎛ M ⎞ f (v) = 4π ⎜ ⎟ v ²e 2 RT ⎝ 2πRT ⎠ (1.17) Abb. 2 zeigt die MAXWELLsche-Verteilung mit drei charakteristischen Geschwindigkeiten. Häufigste Geschwindigkeit vmax Mittlere Geschwindigkeit v Wurzel des mittleren Geschwindigkeitsquadrates v2 Abb. 2: MAXWELLsche-Geschwindigkeitsverteilung Für die mittlere Geschwindigkeit gilt: ∞ v = ∫ v ⋅ f (v)dv (1.18) 0 Wird hier f(v) eingesetzt und das Integral berechnet, ergibt sich: v= 8 RT πM (1.19) Um die häufigste Geschwindigkeit vmax zu bestimmen, wird das Maximum der Verteilungsfunktion bestimmt (es gilt hier: df/dv = 0). Es ergibt sich: vmax = 2 RT M (1.20) 5 1.7 Freie Weglänge Um die Häufigkeit von Stößen und die freie Weglänge λ , die ein Teilchen im Mittel zwischen zwei Stößen zurücklegt, zu berechnen, wird davon ausgegangen, dass ein Stoß zwischen zwei Teilchen genau dann stattfindet, wenn der Zentrenabstand zweier Teilchen kleiner oder gleich dem Stoßdurchmesser d wird. Abb. 3: Stoßzylinder[1]. Durchfliegt ein Teilchen mit der mittleren Geschwindigkeit v in einer Zeit Δt ein System aus ruhenden Teilchen, so werden alle Teilchen, deren Zentren sich innerhalb des Stoßzylinders mit der Grundfläche πd2, der Länge v Δt (und damit dem Volumen πd2 v Δt) befinden, gestoßen. Die Zahl der Teilchen, deren Mittelpunkte innerhalb des Stoßzylinders liegen, ist gleich dem Produkt Q aus Zylindervolumen und Teilchendichte Q= N π d 2 v ⋅ Δt V (1.21) wobei dies die Trefferzahl im Zeitabschnitt Δt repräsentiert. Die Stoßzahl z pro Zeiteinheit ergibt sich hieraus zu N (1.22) z = πd 2 v V Wird weiterhin berücksichtig, dass sich beide Stoßpartner in Bewegung befinden, so ist hier die relative Geschwindigkeit v rel = 2 ⋅ v zu verwenden, woraus sich für die Anzahl der Stöße eines Teilchens pro Zeiteinheit innerhalb eines Volumens V mit N Teilchen z = 2πd 2 ⋅ v N V (1.23) ergibt. Für ein Teilchen mit der Geschwindigkeit v und einer Stoßhäufigkeit z gilt für die freie Flugzeit zwischen zwei Stößen 1/z und für die dabei zurückgelegte Strecke: s frei = 1 v z (1.24) Die mittlere freie Weglänge λ ergibt sich daraus zu: 6 λ= v z (1.25) woraus mit (1.23) v λ= N 2 ⋅π ⋅ d ⋅ v ⋅ V (1.26) 2 resultiert. Es ergibt sich: λ= V 2 ⋅π ⋅ d 2 ⋅ N (1.27) Mit dem idealen Gasgesetz sowie kB = R und σ = πd 2 NA (1.28), (1.29) ergibt sich weiter λ= k BT 2 ⋅σ ⋅ p (1.30) (kB: BOLTZMANN- Konstante, T: Temperatur, p: Druck, σ: Stoßquerschnitt) Diese Beziehung gilt nur unter der Vorraussetzung, dass alle stoßenden Teilchen die gleiche Masse besitzen. 1.8 Impulsfluss Das Phänomen der Viskosität kann als Impulsfluss zwischen unterschiedlich schnell strömenden Schichten in einem flüssigen oder gasförmigen Medium betrachtet werden. Dieser Impulsfluss kann auf den Austausch von Teilchen zwischen den einzelnen benachbarten Schichten (vgl. die ineinander gestapelten Hohlzylinder) zurückgeführt werden, wobei für den Impuls p = m⋅v (1.31) (p: Impuls, m: Teilchenmasse, v: Teilchengeschwindigkeit) gilt. Beim Übergang eines Teilchens aus einer langsameren in eine schnellere Schicht erfährt diese Schicht infolge des niedrigeren Impulses des neu hinzugekommenen Teilchens (gegenüber den übrigen Teilchen der Schicht) eine Abbremsung. Im umgekehrten Fall – dem Übergang eines schnelleren Teilchens in eine langsamere Schicht – wird die Schicht beschleunigt. Es wird von der Annahme ausgegangen, dass ein springendes Teilchen die mittlere freie Weglänge λ zurücklegt, bevor es die nächste Schicht erreicht und dort mit den langsameren oder schnelleren Teilchen stößt. Als Modellvorstellung kann daher angenommen werden, dass das strömende Medium aus unterschiedlich schnell strömenden Schichten im Abstand λ aufgebaut ist, zwischen denen Teilchen ausgetauscht werden. Der Austausch von Teilchen erfolgt hierbei entlang der z-Achse, welche orthogonal zum Geschwindigkeitsvektor vx steht. Es kann angenommen werden, dass die Zahl der in einem Zeitraum durch ein Flächenelement springenden Teilchen der Zahl von Teilchen entspricht, welche im gleichen Zeitraum auf ein gleich großes Segment einer Wand treffen und dort den Druck verursachen. Sie ist gegeben über die Beziehung 7 Z= N 1 ⋅v ⋅ 4 V (1.32) (Z: Zahl der springenden Teilchen, v : mittlere Geschwindigkeit, N/V: Teilchenzahldichte) Jedes einzelne Teilchen transportiert einen Impuls, welcher über (1.31) gegeben ist. Die Geschwindigkeit des Teilchens lässt sich als Funktion des Abstands zwischen der Urspungs- und der Zielschicht darstellen. ∂v v x (± λ ) = v x (0 ) ± λ ⋅ x (1.33) ∂z (vx: Geschwindigkeitsvektor in x-Richtung, λ : mittlere freie Weglänge, ∂v x ∂z : Änderung von v in z-Richtung) Diese Formel ist eine TAYLORentwicklung erster Ordnung. Da angenommen werden kann, dass in eine Schicht gleich viele Teilchen aus der nächst schnelleren wie auch aus der nächst langsameren Schicht springen, kann für den Impulsfluss mit (1.31), (1.32) und (1.33) folgender Zusammenhang angeben werden: Jz = ∂p 1 N = ⋅v ⋅ ∂A 4 V ⎛⎡ ∂v ⎤ ⎡ ∂v ⎤ ⎞ ∂v 1 N ⋅ ⎜⎜ ⎢m ⋅ v x (0 ) − λ ⋅ m ⋅ x ⎥ − ⎢m ⋅ v x (0 ) + λ ⋅ m ⋅ x ⎥ ⎟⎟ = − ⋅ v ⋅ ⋅ λ ⋅ m ⋅ x ∂z ⎦ ⎣ ∂z ⎦ ⎠ 2 V ∂z ⎝⎣ (1.34) Das bisher genutzte Modell geht jedoch von der Annahme aus, dass die Teilchen sich lediglich entlang der z-Achse bewegen. Bewegen sie sich jedoch schräg zu dieser Achse, so ist der tatsächlich zurückgelegte Weg bis zum Erreichen der nächsten Schicht länger als die mittlere freie Weglänge. Die geringere Wahrscheinlichkeit die Nachbarschicht zu erreichen wird durch den veränderten Vorfaktor berücksichtigt: ∂v 1 N Jz = − ⋅v ⋅ ⋅λ ⋅m⋅ x 3 V ∂z (1.35) Die Proportionalitätskonstante zwischen Impulsfluss in z-Richtung und dem Geschwindigkeitsgradienten ist die Viskosität, so dass gilt: 1 3 η = ⋅v ⋅ N ⋅λ ⋅m V (1.36) ∂v x ∂z (1.37) bzw. J z = −η ⋅ Diese Transportgleichung entspricht formell der allgemeinen Transportgleichung. Die durch (1.36) beschriebene Viskosität wird von der druckabhängigen Teilchendichte p N V = k B ⋅T und der ebenfalls druckabhängigen mittleren freien Weglänge aus Gleichung (1.30) beeinflusst. Durch Einsetzen in (1.36) lässt sich zeigen, dass die druckabhängigen Terme gekürzt werden können – die Viskosität ist folglich druckunabhängig! 8 1 3 η = ⋅v ⋅ k ⋅T p 1 v ⋅m ⋅ B ⋅m = ⋅ 3 2 ⋅σ k B ⋅ T 2 ⋅σ ⋅ p (1.38) Während nur zwei Größen in (1.36) vom Druck abhängen, sind jedoch insgesamt drei Größen temperaturabhängig - die Teilchendichte - die mittlere freie Weglänge - die mittlere Geschwindigkeit Während sich nach dem Einsetzen in (1.36) zeigt, dass sich im Falle der Teilchendichte und der mittleren freien Weglänge auch die temperaturabhängigen Terme gegeneinander wegkürzen, verbleibt der temperaturabhängige Ausdruck für die mittlere Geschwindigkeit. v= 8 RT πM (1.19) Die Viskosität ist also proportional zur Wurzel der Temperatur: η∝ T (1.39) Der höhere Impulsfluss, der dies bedingt, erklärt sich hierbei aus der höheren Geschwindigkeit der Teilchen. Der Zusammenhang (1.39) lässt für die Auftragung der Viskosität eines Gases gegen die Wurzel der Temperatur eine Gerade erwarten. Tatsächlich wird für reale Gase eine Abweichung von diesem Verhalten gefunden, da zwischen den Teilchen attraktive und repulsive Wechselwirkungen auftreten, die in der kinetischen Gastheorie nicht berücksichtigt werden. 1.9 Wechselwirkungen zwischen Teilchen Die attraktiven VAN-DER-WAALS-Wechselwirkungen bei Reingasen treten sowohl zwischen Molekülen mit permanentem Dipol als auch zwischen dipolfreien Molekülen auf. Zwei permanente Dipole, die in schneller thermischer Bewegung sind, können sich verschieden zueinander orientieren, wobei sich zwei gegeneinander orientierte Dipole anziehen. Hierbei gilt 1 2 2 U 0 ∝ − μ1 ⋅ μ 2 ⋅ 6 (1.40) r (U0: Potential, µx: Dipolmomente des Teilchens x, r: Abstand) Hierbei übt der infolge zeitlich asymmetrischer Elektronendichteverteilungen entstehende spontane Dipol auf ein zuvor unpolares Molekül einen Polarisationseffekt aus, wodurch sich zwischen dem induzierenden und dem induzierten Dipol attraktive Wechselwirkungen ausbilden. Ein Maß dafür, wie gut ein Molekül durch diesen Effekt attraktive Wechselwirkungen ausbilden kann, ist die Polarisierbarkeit α des Moleküls. 9 U D ∝ −α 1 ⋅ α 2 ⋅ 1 r6 (1.41) (UD: Dispersionspotential, αx: Polarisierbarkeit des Teilchens x) Das insgesamt wirkende Anziehungspotential Uan setzt sich additiv aus drei verschiedenen Anteilen zusammen: Dipol-Dipol-, Dipol-induzierter Dipol und Dispersionspotential. Alle drei genannten Wechselwirkungspotentiale sind in gleicher Weise zum reziproken Abstand proportional, so dass 1 (1.42) U an ∝ − 6 r Im Bereich kleiner Molekülabstände sind dann auch die abstoßenden Wechselwirkungen von Bedeutung. Sie beruhen zum einen auf elektrostatischer Abstoßung der Elektronenhüllen, zum anderen auf dem PAULI-Verbot, welches besagt, dass keine zwei Elektronen gleicher Quantenzustände ein Orbital besetzen dürfen. Überlappen sich die Orbitale zweier Moleküle bei der Annäherung, so müssen wesentlich höhere Energieniveaus besetzt werden. Dies ist energetisch ungünstig. Diese abstoßenden Kräfte zeichnen sich durch ihre kurze Reichweite sowie die starke Abstandsabhängigkeit aus. Das Abstoßungspotential Uab wird durch folgendes Potenzgesetz beschrieben, wobei vereinfachend von zwei harten Kugeln ausgegangen wird: U ab ⎛σ ⎞ =⎜ ⎟ ⎝r⎠ n (1.43) (σ: Harte-Kugel-Radius, r: Abstand) wobei n = ∞. Die Kugeln beeinträchtigen sich entweder nicht (r > σ → Uab = 0) oder maximal (r < σ → Uab = ∞). In VAN-DER-WAALS-Systemen werden diese abstoßenden Kräfte häufig über ein Potenzgesetz der Form ⎛σ ⎞ U ab = ⎜ ⎟ ⎝r⎠ n (1.44) mit 9 ≤ n ≤ 12 beschrieben, wobei dies das exakte Potential realistischer beschreibt, da es eine gewisse Kompressibilität der Atomhüllen berücksichtigt. Auf dieser Grundlage wurde von John LENNARD-JONES eine quantitative Beschreibung der wirkenden Kräfte gegeben. U Ges ⎡⎛ σ 0 ⎞12 ⎛ σ 0 ⎞ 6 ⎤ = 4ε ⋅ ⎢⎜ ⎟ − ⎜ ⎟ ⎥ ⎝ r ⎠ ⎥⎦ ⎢⎣⎝ r ⎠ LENNARD-JONES-Potential (1.45) (ε: Tiefe der Potentialmulde) Mit Einsetzen der tabellierten Werte für ε und σ kann die Potentialkurve von Gasen ermittelt werden, wie dies in Abb. 4 für Argon gezeigt ist. 10 Abb. 4: LENNARD-JONES-Potential von Argon. Da die Ableitung des Potentials nach dem Ort die wirkende Kraft ergibt, kann hieraus auch die Kraft zwischen zwei Atomen in beliebigem Abstand hergeleitet werden: F (r ) = ⎛ 12 ⋅ σ 012 6 ⋅ σ 06 ⎞ dU = 4ε ⋅ ⎜⎜ − + 7 ⎟⎟ dr r 13 r ⎠ ⎝ (1.46) Abb. 5: Kraft zwischen zwei Argon-Atomen. 11 2. Praktischer Teil Zur Messung der Viskosität wird die Zeit gemessen (Stoppuhr!), die ein bestimmtes Volumen Gas benötigt, um durch eine Kapillare (KPG-Kapillare; Fa. Schott, Mainz, Innendurchmesser: 0,15 mm) zu strömen. Abb. 6: Schematische Darstellung des Aufbaus der Messapparatur. Abb. 7: Messpipette mit Behälter (links), Vakuumapparatur (Mitte) und Membranpumpe (rechts). Hierzu wird eine in Wasser getauchte ca. 100 mL-Pipette durch Anlegen eines Unterdrucks zunächst zweimal mit Wasser gefüllt und anschließend mit dem zu untersuchenden Gas wieder geflutet (warum?). Anschließend wird die Zeit gemessen, die das zu untersuchende Gas benötigt um durch die Kapillare aus der Pipette auszuströmen. Gemessen wird hierbei die Zeit, die das Wasser benötigt, um bis zur Eichmarke zu steigen. Dies ist die Zeit, die das entsprechende Gasvolumen benötigt, um durch die Kapillare zu strömen. Aus oben genannten Gründen werden zur Auswertung folgende Werte benötigt, die ebenfalls zu messen sind: - der Druck auf der Pumpenseite und der Luftdruck - die Raumtemperatur - die Länge der Kapillare - das genaue Volumen der Messpipetten (eingraviert) 12 3. Aufgaben (Für die graphischen Darstellungen (Geschwindigkeitsprofile, Geschwindigkeitsverteilungen) wird empfohlen, das Programm Origin zu benutzen. Es steht auf den Praktikumsrechnern zur Verfügung.) 1. Ermitteln Sie die Viskosität der untersuchten Gase. 2. Berechnen Sie die Geschwindigkeitsprofile der laminaren Rohrströmungen für diese Gase und stellen Sie diese graphisch dar. 3. Stellen Sie für eines der vermessenen Gase die MAXWELLsche Geschwindigkeitsverteilung graphisch dar und berechnen Sie die häufigste Geschwindigkeit. Erläutern Sie, wie aus dieser Verteilung die mittlere Geschwindigkeit des Gases erhalten werden kann und geben Sie diese an. 4. Stellen sie die MAXWELLsche Geschwindigkeitsverteilung aus Aufgabe 3 für verschiedene Temperaturen dar. 5. Vergleichen Sie die Geschwindigkeitsverteilung aus Aufgabe 3 mit denen der beiden anderen Gase. 6. Stellen Sie die LENNARD-JONES-Potentiale der vermessenen Gase graphisch dar. Berechnen Sie des Weiteren die jeweiligen Gleichgewichtsabstände. 7. Berechnen Sie die mittlere freie Weglänge und den Stoßquerschnitt für die untersuchten Gase und vergleichen Sie die erhaltenen Ergebnisse jeweils mit Literaturwerten. 8. Fehlerbetrachtung: a) Welcher systematische Fehler wurde bei der Versuchsdurchführung gemacht? Schätzen Sie ab, wie groß der daraus resultierende Folgefehler für die Viskosität ist. b) Wie groß ist der Folgefehler für die Viskosität, wenn in Gleichung 1.9 (HAGENPOISEUILLEsches Gesetz für Flüssigkeiten!) jeweils eine der Messgrößen um ein Prozent vom wahren Wert abweicht? Dies ist für alle Messgrößen jeweils getrennt zu ermitteln. Hinweise zum Protokoll: Der theoretische Teil sollte nicht mehr als 5 Seiten umfassen. 4. Literatur [1] P.W. Atkins: Physical Chemistry, Eigth Edition, Oxford University Press 2006 [2] Skript zum Versuch „Diffusion in Gasen“ (Diplom), Marburg 2007 13