Über Aufmerksamkeitsstörungen – Zur Begründung eines neuropsychologischen Funktionstrainings Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde durch den Promotionsausschuss Dr. phil. der Universität Bremen vorgelegt von Dipl.-Psych. Lars Tischler Bremen, 17. September 2013 106 Diese Publikation: Tischler, L. (2015). Über Aufmerksamkeitsstörungen. Zur Begründung eines neuropsychologischen Funktionstrainings. Dissertation, Universität Bremen. DOI: 10.13140/2.1.3153.2328 Vollständige Dissertation Tischler, L. (2015). Über Aufmerksamkeitsstörungen. Zur Begründung eines neuropsychologischen Funktionstrainings. Dissertation, Universität Bremen. Verfügbar unter http://nbn-resolving.de/urn :nbn:de:gbv:46-00104258-18 2 Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung.....................................................................................................................5 Einleitung..................................................................................................................................7 1 Geschichte und Konzeptualisierung der ADHS.....................................................9 1.1 Kategorisierung der ADHS in ICD-10, DSM-IV-TR und DSM-V...........................13 1.1.1 ICD-10 – hyperkinetische Störungen........................................................................13 1.1.1.1 ICD-10, Multiaxiales Klassifikationsschema, Klinisch-diagnostische Leitlinien und Diagnostische Kriterien für Forschung und Praxis............................................15 1.1.2 DSM-IV-TR – Störungen der Aufmerksamkeit, der Aktivität und des Sozialverhaltens..................................................................................................................16 1.1.3 DSM-V – Neurodevelopmental Disorders................................................................17 1.1.4 Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität.........................................................17 1.2 Diagnostische Kriterien der ADHS in ICD-10, DSM-IV-TR und DSM-V..............18 1.2.1 ICD-10-Diagnosekriterien für hyperkinetische Störungen.......................................18 1.2.2 DSM-IV-TR-Diagnosekriterien für ADHS...............................................................20 1.3 ICD-10 und DSM-IV-TR im Vergleich – mit Hinweisen auf DSM-V.....................22 1.4 Zu den vorgeschlagenen Modifikation der ADHS-Diagnosekriterien von DSM-IV-TR zu DSM-V............................................................................................25 1.5 Zu den aktuellen ADHS-Diagnosekriterien aus DMS-V..........................................28 1.5.1 ADHS als Condition.................................................................................................34 1.6 Komorbidität, Folgeerkrankung und Kernsymptomatik – ADHS als Ausschlussdiagnose..................................................................................................36 2 Symptomatik – Funktion und Verhalten..............................................................39 2.1 Funktion – Neuropsychologie der Aufmerksamkeit: ADHS als Inhibitionsstörung.39 2.1.1 Taxonomie der Aufmerksamkeit...............................................................................40 2.1.2 Aufmerksamkeitsintensität........................................................................................40 2.1.3 Aufmerksamkeitssteuerung.......................................................................................41 3 2.2 Verhalten – Disinhibition und Verhaltensanalyse – das SORKC-Modell.................42 3 ADHS und Sozialverhalten....................................................................................47 3.1 Die Bedeutung der sozialen Interaktion und des psychosozialen Funktionsniveaus......................................................................................................................48 3.2 Beeinträchtigte Exekutivfunktionen – soziodynamische Grundlagen der ADHS im Erwachsenenalter.................................................................................................50 3.3 ADHS und Partnerschaft...........................................................................................51 3.3.1 Exkurs – ADHS und Bindungstheorie......................................................................52 3.3.2 Bindung als Teil eines aufmerksamkeitsbasierten Explorations- und Partnerschaftsmodells...........................................................................................................54 4 Wirksamkeitsstudien zum ATTENTIONER-Trainingsprogramm....................58 4.1 Prä-prä-post-Untersuchung zur Wirksamkeit des ATTENTIONER-Trainings.........60 4.2 Schlussfolgerung.......................................................................................................62 Literatur.................................................................................................................................63 Anhang Artikel 1: Typische klinische Problemkonstellationen bei Patienten der Psychologischen Kinderambulanz der Universität Bremen .............................76 Artikel 2: ADHS im Jugendalter .......................................................................................82 Artikel 3: Evaluation des neuropsychologischen Gruppenprogramms ATTENTIONER zur Aufmerksamkeitstherapie bei Kindern und Jugendlichen ..........................94 Originalitätserklärung........................................................................................................106 4 Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier Sinnabschnitte, die zusammengenommen eine grundlegende Orientierungshilfe im Umgang mit der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperak­ tivitätsstörung (ADHS1) bieten–dies sowohl von einer klinischen als auch von einer theoreti­ schen Warte aus. Den theoretischen Zugang ermöglicht eine Einführung in die Konzeptuali­ sierung und Strukturierung des Störungsbildes über die unterschiedlichen Klassifikationssys­ teme für psychische Störungen hinweg. Der geschichtliche Abriss über die konzeptuellen Ver­ änderungen, Perspektivwechsel und Gewichtungen der diagnostischen Kriterien eröffnet da­ bei einen freien Blick auf die Lebendigkeit des Störungskonzepts in seiner Dialektik von Dy­ namik und Struktur, wissenschaftlichem Konsens und fortschreitender klinischer Arbeit. Einen nicht unwesentlichen Platz nimmt hierbei die Darstellung der Diagnosekriterien und ih­ rer Bedeutung im neuen DSM-V ein. Dennoch stellen für diese Arbeit und den Kliniker im deutschsprachigen Raum die ICD-10 zunächst weiterhin den entscheidenden Bezugspunkt dar. Die klinische Annäherung liefert die Beschreibung der ADHS im Spannungsfeld zwi­ schen Neuropsychologie und Verhaltenstherapie, zwischen Funktion und Verhalten. Aus die­ ser Beziehung heraus öffnet sich der Blick für die ganz wesentliche Bedeutung des Miteinan­ ders in allen sozialen Beziehungen–und für die mannigfachen Beeinträchtigungen, die eine ADHS als Lebensspannenerkrankung über verschiedenen Lebensbereiche hinweg umfasst. In dieser Betrachtung des psychosozialen Funktionsniveaus bündeln sich nun die verschiedenen Ausführungen dieser Arbeit und münden ein in kurze Gedanken zu ADHS, Bindung und Part­ nerschaft. An dieser Stelle ist dann die Begründung für die notwendige Unterstützung ADHSBetroffener erfolgt, und der letzte Abschnitt beschäftigt sich entsprechend mit der Wirksam­ keit eines neuropsychologisch-verhaltenstherapeutisch angelegten Therapeutikums zur Be­ handlung von Aufmerksamkeitsstörungen im Kindes- und Jugendalter. 1 Aus Gründen der Einheitlichkeit und als notgedrungene Anpassung an die gebräuchliche Terminologie ver­ wende ich in dieser Ausarbeitung das Kürzel ADHS sowohl für die hyperkinetische Störung (ICD) als auch die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHD, DSM). 5 Grundlage und Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit stellen drei Publikatio­ nen in anerkannten psychologischen Fachzeitschriften, die am Peer-Review-Verfahren teil­ nehmen, dar: Der Artikel Typische klinische Problemkonstellationen bei Patienten der Psy­ chologischen Kinderambulanz der Universität Bremen (Jacobs, Tischler & Petermann, 2009; Verhaltenstherapie) bietet einen Zugang zum Beziehungsgeflecht verschiedenster Störungsbil­ der, wie sie alltäglich in klinischen Einrichtungen im Zusammenhang mit ADHS auftreten. In der Publikation ADHS im Jugendalter (Tischler, Schmidt, Petermann & Koglin, 2010; Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie) wird die Bedeutung der ADHS als Lebensspannenerkrankung für die Adoleszenz herausgearbeitet, eine Lebensphase, die im wissenschaftlichen Diskurs mit Blick auf die ADHS bisher eine eher nebengeordnete Rolle spielt. Der Artikel betrachtet ADHS hierbei vor allem verhaltens- und emotionsbezogen und untersucht ihre ihre Bedeutung für die Lebenszufriedenheit Betroffener in einem krisen­ haften Entwicklungsabschnitt. Die Arbeit Evaluation des neuropsychologischen Gruppenprogramms ATTENTIONER zur Aufmerksamkeitstherapie bei Kindern und Jugendlichen (Tischler, Karpinski & Peter­ mann, 2011; Zeitschrift für Neuropsychologie) nähert sich der ADHS wieder mit Blick auf die Funktion aus neuropsychologischer Sicht. Hier werden die Ergebnisse aus der klinischen Tä­ tigkeit des Verfassers dargestellt, die diese Promotionsschrift untermauert und in ihrer Ge­ samtheit durchwirkt und begründet. Auf eine ausführliche Darstellung der in den genannten Veröffentlichungen erarbeite­ ten Inhalte wird in dieser Schrift ausdrücklich verzichtet. Die verwendeten Publikationen des Autors sind inhaltlich in die vorliegende Arbeit eingewoben und bedürfen keiner expliziten Wiederholung. Mit dieser Schrift werden sie in einen umfassenden Sinnzusammenhang ge­ stellt. Lediglich der letzte Abschnitt gibt in kurzer Form eine Zusammenfassung der publizier­ ten Ergebnisse, um dem Leser die Einordnung in das Themengebiet auch ohne unmittelbares Nachlesen des Artikels zu erleichtern. 6 Einleitung Die ADHS stellt mit einer Prävalenz von 5 bis 8 % eine der weltweit verbreitetsten kli­ nisch-psychiatrischen Störungen des Kindes- und Jugendalters dar (vgl. etwa Döpfner, Frölich & Lehmkuhl, 2008; Skounti, Philalithis & Galanakis, 2007; Tischler, Schmidt, Petermann & Koglin, 2010). Betroffene Kinder und Jugendliche weisen, je nach Störungssubtyp, altersun­ angemessene Defizite in ihren Aufmerksamkeitsleistungen sowie eine gesteigerte Impulsivität und motorische Unruhe auf (American Psychiatric Association [APA], 2000, 2010a, 2010b; Dilling, Mombour & Schulte-Markwort, 2011). Dabei zeigen sich Jungen deutlich häufiger betroffen als Mädchen. In der Regel wird angenommen, dass Jungen bis zu viermal häufiger unter ADHS leiden als Mädchen; für klinische Stichproben wird ein neun- bis elfmal häufige­ res Vorkommen angegeben (s. etwa Quaschner & Theisen, 2008). Dabei zeigen Mädchen we­ niger oft externalisierende Verhaltensweisen und werden eher als unaufmerksam denn als hy­ peraktiv diagnostiziert (vgl. etwa Rucklidge, 2010). Die Komorbiditätsrate erweist sich mit bis zu 80 % bei ADHS als sehr hoch (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie [DGKJP] et al., 2007). Gemeinsam mit ADHS treten Störungen des Sozialverhaltens, umschriebene Entwicklungsstörungen (s. hierzu bspw. Jacobs et al., 2009) sowie emotionale Störungen auf. Aufgrund der komorbiden externalisie­ renden Störungen werden emotionale Störungen dabei häufig übersehen (vgl. DGKJP et al., 2007). Auch im Erwachsenenalter spielen die Ausbildung und das Persistieren komorbider psychiatrischer Erkrankungen wie Affektive Störungen, Persönlichkeitsstörungen und Angst­ störungen eine wesentliche Rolle (Rösler & Retz, 2006; 2008; Schmidt, S., Waldmann, Peter­ mann & Brähler, 2010). Entgegen früherer Auffassung wird die ADHS heute als Lebensspannenerkrankung verstanden (Bolea et al., 2012; Liechti et al., 2013; Schmidt & Petermann, 2009; 2011). Ins Erwachsenenalter hinein kommt es dabei zu Symptomveränderungen und -verschiebungen, auch mit Blick auf etwaige komorbide emotionale, Lern- und Verhaltensstörungen (DuPaul, Gormley & Laracy, 2013; Pliszka, 1998; Schmidt, Brähler, Petermann & Koglin, 2012; Schmidt, Waldmann, Petermann & Brähler, 2010; Tischler, Schmidt, Petermann & Koglin, 2010; Willcutt, Pennington, Chhabildas, Friedman & Alexander, 1999). Es wird von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen, die sowohl genetische als auch psychosoziale und nicht-genetische biologische Ursachen umfasst (Faraone et al., 2005; Franke et al., 2012; Freitag et al., 2012). Aus neuropsychologischer Sicht (Tischler, Karpinski 7 & Petermann, 2011) spielen für die ADHS vor allem die Auswirkungen eines neurobiolo­ gisch-pathophysiologischen Ungleichgewichts im katecholaminergen Neurotransmitterhaus­ halt eine Rolle (vgl. Prince, 2008; Purper-Ouakil, Ramoz, Lepagnol-Bestel, Gorwood & Si­ monneau, 2011; Sánchez-Mora et al., 2013; Wilens, 2008). Von dieser Warte aus kann die ADHS als Inhibitionsstörung verstanden werden, die sowohl der erhöhten Ablenkbarkeit und Unstetigkeit im Denken als auch dem beobachtbaren hyperaktiven und impulsiven Verhalten zugrunde liegt (Pedersen & Ohrmann, 2012). Indes bildet für die betroffenen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen sowie deren Familien vor allem das Zusammenspiel der unterschiedlichen Symptome, die sich als Ganz­ heit im Verhalten und dessen Auswirkungen in der sozialen Interaktion zeigen, die Hauptursa­ che für oftmals lang andauernden Leidensdruck. Dies zeigt sich auch in dem Stellenwert, der komorbiden Verhaltensstörungen mit Bezug zur ADHS beigemessen wird (vgl. die Kombina­ tionsdiagnose hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens in der ICD-10; s. Abschnitt 1.1.1). Insbesondere ins Erwachsenenalter hinein spielen einzelne Funktionsbeeinträchtigun­ gen, wie etwa erhöhte Ablenkbarkeit, für das Aufsuchen klinischer Einrichtungen eine neben­ geordnete Rolle; hier haben bereits viele Anpassungsprozesse stattgefunden, die die ursprüng­ liche Kernsymptomatik verändern beziehungsweise (im eigenen Erleben) überdecken (Ebert, Krause & Roth-Sackenheim, 2003; vgl. Krause & Krause, 2009). 8 1 Geschichte und Konzeptualisierung der ADHS Ein Blick auf die Geschichte der ADHS (hyperkinetische Störung, HKS2), und ihrer Konzep­ tualisierungen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts ermöglicht ein tieferes Verständnis für die aktuelle Forschung und die Entwicklung ökonomischer sowie effektiver Therapeutika. Widerstrebende Annahmen über die Ursache der Störung (neurologisches Funktionsdefizit oder Hirnschädigung) einerseits und die Kernsymptomatik (Aufmerksamkeit oder Hyperakti­ vität) andererseits erweisen sich hier als wesentlich. Barkley (2006) bietet eine gut lesbare Zu­ sammenschau, auf die auch Rothenberger und Neumärker (2010) zurückgreifen3. Es wird deutlich, wie sich unsere aktuelle Auffassung von ADHS erst im Laufe der Jahrzehnte über sich–paradigmatisch anmutend–ändernde Forschungsschwerpunkte, wissenschaftliche Kon­ troversen und die Entwicklung von Klassifikationssystemen herausgebildet hat. Erstmalig berichtet Still (1902/2006) von Kindern mit Problemen in der Dauerauf­ merksamkeit, Inhibitionsfähigkeit und im Sozialverhalten („defect of moral control“ [Still, 2006, S. 126]). Er nahm an, dass diesen Symptomen gemeinsame neurologische Beeinträchti­ gungen zugrunde liegen. Tredgold (1908) sah leichte, unentdeckt gebliebene Hirnschädigun­ gen als ursächlich an. Diese Annahme (ver-)festigte sich in den nächsten Jahrzehnten und führte zum Konzept des brain-injured child (Strauss & Lehtinen, 1947), das später zugunsten des Konzepts der Minimalen Cerebralen Dysfunktion (minimal brain dysfunction [MBD]) aufgegeben wurde. Laufer, Denhoff und Solomons (1957) prägten den Begriff hyperkinetic impulse disorder. Die Symptome umfassten Hyperaktivität, eine kurze Aufmerksamkeitsspan­ ne, mangelnde Konzentrationsfähigkeit, Impulsivität sowie Reizbarkeit, wie sie insbesondere in der Schule zum Tragen kommen. Zudem zeigten betroffene Kinder starke Schwankungen in ihrem Aufmerksamkeitsniveau. Auch hier wurde von einem hirnorganischen Defizit ausge­ gangen. Die Vorstellung von Hyperaktivität als Syndrom bei Hirnschädigung hatte sich zu­ nächst durchgesetzt, „even when evidence of damage was lacking“ (Barkley, 2006, S. 7). Die immer größer werdende Bedeutung der MBD sowie die Ausweitung auf Lernstörungen mach­ 2 In der ICD-10 (World Health Organization, 1992) werden Aufmerksamkeitsstörungen unter F90 hyperkineti­ sche Störungen zusammengefasst. Im weiteren Verlauf des Textes werde ich ADHS synonym für ADHD (DSMIV) und HKS (ICD-10) verwenden. Die jeweiligen Subtypen werden jedoch differenziert benannt. 3 Leider weisen die Autoren nicht auf den Gebrauch der Quelle hin. 9 te dieses Konzept jedoch schwammig und wenig greifbar–und damit wenig praktikabel (vgl. Kirk, 1963). In der Folge wurde die Hyperaktivität als Syndrom von der Hirnschädigung ab­ gekoppelt und rückte in den 1960er Jahren als eigenständiges Kriterium in den Vordergrund (vgl. Chess, 1960). Das Hauptaugenmerk richtete sich nunmehr auf die Pathologie des Verhal­ tens, die organische Ursachen haben kann und entsprechend differenziert diagnostiziert und kodiert werden sollte: „If this behavior is caused by organic brain damage, it should be dia­ gnosed under the appropriate non-psychotic organic brain syndrome“ (American Psychiatric Association [APA], 1968, S. 50)4. Die Fixierung auf die Hyperaktivität führte jedoch zunächst zu der irrigen Annahme, ADHS stelle lediglich eine Störung des Kindes- und Jugendalters dar und spiele im Erwachsenenalter nur eine untergeordnete Rolle. In den 1960er Jahren divergierten die Ansichten über die Bedeutung der Hyperaktivität auch in der europäischen und der nordamerikanischen Forschung. In Europa wurde das Kon­ zept der Hyperaktivität sehr viel strikter ausgelegt. Hyperaktivität wurde als ungewöhnliche und extreme Störung noch mit engem Bezug zur Hirnschädigung betrachtet. In Nordamerika hingegen wurde Hyperaktivität als verhältnismäßig weit verbreitete Störung des Kindes- und Jugendalters mit komorbider Beeinträchtigung der Aufmerksamkeitsleistungen angesehen, die eben nicht notwendigerweise mit einer Hirnschädigung in Beziehung steht. Insbesondere mit der Arbeit der Kanadierin Douglas (1972) gewannen dann die Impulsivität und die Beein­ trächtigung der Daueraufmerksamkeit Bedeutung für das Verständnis der ADHS. Seit 1977 werden auch in Europa–neben der Hyperaktivität–die Aufmerksamkeitsdefizite als dem Stö­ rungsbild zugehörig klassifiziert (vgl. 314 ICD-9, hyperkinetisches Syndrom des Kindesal­ ters: 314.0 Störung von Aktivität und Aufmerksamkeit; Remschmidt & Schmidt, 1986). Schließlich konnten Weiß und Hechtmann (1986) in Follow-up-Studien zeigen, dass die Aufmerksamkeitsprobleme bestehen bleiben, auch wenn die Hyperaktivität in der Adoles­ zenz zurückgeht. Weitere Untersuchungen stützten diese Ergebnisse und verdeutlichen den negativen Einfluss der Störung auf Schulleistungen und Selbstachtung (Mendelson, Johnson & Stewart, 1971). Zahlreiche Studien der letzten Jahrzehnte untermauern dies. Die Auffas­ sung von ADHS als Lebensspannenerkrankung mit persistierendem Aufmerksamkeitsdefizit entwickelte sich jedoch erst später (s. u.). 4 DSM-II, 308.0 Hyperkinetic reaction of childhood (and adolescence) 10 In der ICD-9 (World Health Organization [WHO], 1977) wurde weiterhin der Hype­ raktivität eine größere Bedeutung beigemessen–eine Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperak­ tivität war zu diesem Zeitpunkt noch nicht kodierbar. Das hyperkinetische Syndrom wurde hierbei als reine Störung des Kindesalters betrachtet (hyperkinetisches Syndrom des Kindesal­ ters, 314 ICD-9; WHO, 1977). Mit dem DSM-III (APA, 1980) kam es zu einer Spezifizierung der Diagnosekriterien und schließlich zur Einführung der Aufmerksamkeitsstörung ohne Hy­ peraktivität (ADD – H im Gegensatz zu ADD + H). Entsprechend nahm die diagnostische Be­ deutung von defizitärer Auferksamkeitsleistung und gesteigerter Impulsivität zu. Auch wurde hier erstmalig das Persistieren der Störungssymptome in das Erwachsenenalter hinein katego­ risiert (ADD Residual Type). In den 1980er Jahren kam es zu einem deutlichen Anstieg der Untersuchungen zur ADHS, „making hyperactivity the most well-studied childhood psychiatric disorder in exis­ tence“ (Barkley, 2006, S. 19). In der revidierten Ausgabe DSM-III-R (APA, 1987) wurde der Subtyp ADD – H dennoch wieder fallen gelassen und einer unspezifischen Kategorie zuge­ ordnet: Es sei noch nicht genug Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Subtypenbildung geleis­ tet worden (Barkley, 2006). Aus ADD wurde ADHD, kodiert in der Subkategorie Disruptive Behavior Disorders zusammen mit Conduct Disorder (CD) und Oppositional Defiant Disor­ der (ODD). Diese Störungen zeichneten sich nach DSM-III-R dadurch aus, dass sie oftmals für das Umfeld unangenehmer seien als für den Betroffenen selbst (APA, 1980, S. 49). In den 1990er Jahren wurde ADHS dann zunehmend als Lebensspannenerkrankung verstanden. Die Störung bleibe auch im Erwachsenenalter bestehen, doch komme es zu Sym­ ptomveränderungen und Symptomverschiebungen (vgl. etwa Fayyad et al., 2007; Lara et al., 2009; Petermann, 2010; Schmidt & Petermann, 2008; Wender, Wolf & Wasserstein, 2001). Entsprechende Diagnosekriterien haben bisher nur ansatzweise Einzug in die beiden großen Klassifikationssysteme gehalten. Im DSM-IV-TR (APA, 2000) war es möglich, bei Jugendli­ chen und Erwachsenen eine abgeschwächte oder residuale Form als teilremittiert zu diagnosti­ zieren, wenn sie nicht mehr alle Symptome der ADHS aufwiesen. Aber beide Systeme verfüg­ ten nun über Störungssubtypen mit eingeschränkter beziehungsweise ohne Hyperaktivität (DSM-IV 314.00 [APA, 2000], Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung vorwiegend unaufmerksamer Typus; ICD-10 [WHO, 1992a] F98.8, Aufmerksamkeitsstörung ohne Hype­ raktivität). 11 Im DSM-V (APA, 2013) bleiben die grundsätzlichen Kategorisierungen erhalten. Eine vorgeschlagene Erweiterung der Subtypen um eine eigenständige Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität wurde nicht umgesetzt (vgl. Abschnitt 1.5). Diese grobe Einführung in die Geschichte der ADHS zeigt die wesentlichen korrelaten Aspekte des Störungsbildes: Hyperaktivität, Impulsivität, Aufmerksamkeit und Sozialerhal­ ten. Wie diese Korrelate miteinander in Beziehung gesetzt und entsprechend klassifiziert wer­ den, übt entscheidenden Einfluss auf den Umgang mit dem Störungsbild aus–in Forschung, Diagnostik und Therapie. Die unterschiedlichen Kategorisierungen in DSM und ICD machten dies deutlich: Das DSM-IV-TR bot etwa nicht die Möglichkeit einer Kombinationsdiagnose, wie es in der ICD-10 bei der hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens (s. Abschnitt 3) der Fall ist (F90.1 ICD-10), und im DSM-V wird die ADHS vollständig von den Verhaltens­ störungen abgegliedert (s. Abschnitt 1.5f). Abbildung 1 zeigt mit Bezug auf ADHS schema Abbildung 1. Entwicklung und Etablierung dynamischer Zusammenhänge zwischen klinischer Arbeit, Forschung und Individuum bei ADHS über die Lebensspanne 12 tisch den Zusammenhang zwischen Klinik und Forschung einerseits und der Entwicklung von Klassifikationssystemen andererseits. Erfahrungen klinisch arbeitender Psychologen, Psychia­ ter und forschender Wissenschaftler stellen den Ausgangspunkt zur Entwicklung, Etablierung und Weiterentwicklung von Klassifikationssystemen wie ICD und DSM dar. In der Reziprozi­ tät von Klinik, Forschung und Klassifikation wandeln sich die wissenschaftliche Forschung (Forschungskriterien) und die klinische Arbeit (klinische Kriterien). Die wechselwirksamen Zusammenhänge zwischen den Kardinalsymptomen (Impulsi­ vität, Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität) und den biopsychosozialen Veränderungen über die Lebensspanne stellen dabei einen zentralen und überaus komplexen Aspekt aktueller For­ schung zur ADHS dar (vgl. etwa Schmidt, S., Brücher & Petermann, 2006; Schmidt, S. & Pe­ termann, 2008; Schmidt, S. & Petermann, 2011; Schmidt, S. et al., 2010; Spencer, Biederman & Mick, 2007; Tischler, Schmidt, et al., 2010). Den pathologischen Kern dieser verbindenden Dynamik bildet nach Auffassung des Autors die Beeinträchtigung des psychosozialen Funkti­ onsniveaus ADHS-Betroffener. Veränderungen im sozialen und institutionsbezogenen Be­ zugsrahmen des Individuums bestimmen dabei Symptomatik und Symptomschwere der ADHS (vgl. Abschnitt 3, s. Abb. 2). 1.1 Kategorisierung der ADHS in ICD-10, DSM-IV-TR und DSM-V In den folgenden Abschnitten werden die Kategorisierungen der verschiedenen Klassi­ fikationssysteme erläutert und gegenübergestellt. Als entscheidend erweisen sich hier die un­ terschiedlichen Kategorien, denen die ADHS zugeordnet wird—insbesondere mit Blick auf begleitende Beeinträchtigungen des Sozialverhaltens—sowie die Rolle einer Störung der Auf­ merksamkeit, ohne dass eine impulsive oder hyperaktive Symptomatik auftritt. 1.1.1 ICD-10 – hyperkinetische Störungen In der ICD-10 (WHO, 1992b) wird ADHS auf der Achse I, Klinisch-psychiatrisches Syndrom, als Verhaltens- und emotionale Störung mit Beginn in der Kindheit und Jugend (F90 – F98) unter den hyperkinetischen Störungen (F90) klassifiziert. Diese sind gekenn­ zeichnet durch einen Beginn vor dem 7. Lebensjahr. Situationsunabhängig und zeitstabil sind 13 Betroffene in der Fähigkeit beeinträchtig, andauernde, insbesondere kognitiv anspruchsvolle Aufgaben, zu Ende zu führen. Hinzu kommt eine überschießende und unbedachte motorische Aktivität. Für die Diagnose einer hyperkinetischen Störung sind diese beiden Symptomberei­ che (Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität) ausreichend. Häufig tritt jedoch deutlich impulsives Verhalten hinzu. Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität bilden damit die Kardi­ nalsymptome der hyperkinetischen Störungen (Forschungskriterien; s. nächster Abschnitt). Mit der hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens (F90.1) verfügt die ICD-10 über eine Kombinationsdiagnose, die dem empirisch abgesicherten (Steinhausen, 2010), häu­ figen gemeinsamen Auftreten von hyperkinetischen Störungen und einer Störung des Sozial­ verhaltens (F91 ICD-10) gerecht wird. Diese Kombinationsdiagnose stellt die Verbindung der beiden Kategorien her—hyperkinetische Störungen (F90) und Störungen des Sozialverhaltens (F91). Tabelle 1 zeigt die nach ICD-10 möglichen Kodierungen hyperkinetischer Störungen sowie die Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität (F98.8, sonstige näher bezeichnete Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend), und stellt die­ se den entsprechenden Kodierungen des DSM-IV-TR (APA, 2000; Saß, Wittchen, Zaudig & Houben, 2003) sowie des DSM-V (APA, 2013) gegenüber. Tabelle 1 Gegenüberstellung der ADHS-Subtypen aus ICD-10, DSM-IV-TR und -V ICD-10 F90 hyperkinetische Störungen F90.0 einfache Aktivitäts- und Auf­ merksamkeitsstörung F90.1 hyperkinetische Störung des So­ zialverhaltens F90.8 F90.9 DSM-IV-TR/V 314.01 DMS-IV-TR und. -V 314 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivi­ tätsstörung Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstö­ rung, Mischtypus*/** 314.01 DSM-IV-TR und -V Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstö­ rung, Vorwiegend Hyperaktiv-Impulsiver Ty­ pus*5/** sonstige hyperkinetische Störun­ gen nicht näher bezeichnete hyperki­ netische Störung F98 sonstige Verhaltens- und 5 Der Autor teilt nicht die Auffassung, dass es sinnvoll ist, in der Gegenüberstellung von ICD-10 und DSM-IV F90.1 hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens und 314.01 Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörung, Vor­ wiegend Hyperaktiv-Impulsiver Typus, gleichzusetzen (vgl. etwa Krause & Krause, 2009; Saß et al., 2003). 14 F98.8 emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend sonstige näher bezeichnete Ver­ haltens- und emotionale Störun­ gen mit Beginn in der Kindheit und Jugend: Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität 314.00 DSM-IV-TR und -V Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstö­ rung, Vorwiegend Unaufmerksamer Typus*/** 314.9 nur DSM-IVTR 314.01 nur DSM-V 314.01 nur DSM-V Nicht Näher Bezeichnete Aufmerksamkeitsdefi­ zit-/Hyperaktivitätsstörung6 (etwa bei späterem Störungsbeginn) Other specified Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Unspecified Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Anmerkung: * Spezifikation Teilremittiert möglich; ** im DSM-V besteht zusätzlich die Möglichkeit, die Symptomschwere zu spezifizieren als mild, moderate oder severe. 1.1.1.1 ICD-10, Multiaxiales Klassifikationsschema, Klinisch-diagnostische Leitlinien und Diagnostische Kriterien für Forschung und Praxis Die psychischen Störungen sind im Kapitel V (F) der International Statistical Classi­ fication of Diseases and Related Health Problems: Tenth Revision (ICD-10; WHO, 1992b) enthalten. Zu dieser Klassifikation sind Klinisch-diagnostische Leitlinien ausgearbeitet wor­ den ( Dilling, Mombour & Schmidt, 2008; WHO, 1992a). Die entsprechenden Forschungskri­ terien wiederum finden sich im Multiaxialen Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO (MAS; Dilling et al., 2008; Rem­ schmidt, Schmidt & Poustka, 2008; WHO, 1996). Diese Differenzierung ist von wesentlicher Bedeutung, da die Klinisch-diagnostischen Leitlinien zur ADHS lediglich Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität enthalten, während in den Forschungskriterien des MAS zusätzlich auch die Impulsivität als notwendiges Symptom zur Diagnose einer ADHS angeführt wird. In den Leitlinien zu Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen (DGKJP et al., 2007) wird 6 Das DSM-IV-TR gibt hier als Entsprechung im ICD-10 F90.9 nicht näher bezeichnete hyperkinetische Stö­ rung an. Allerdings sollte diese Restkategorie „nur verwendet werden, wenn die allgemeinen Kriterien zwar er­ füllt sind, aber eine Unterscheidung [Hervorhebung v. Verf.] zwischen F90.0 und F90.1 nicht möglich ist“ (ebd. S.37). Dies entspricht nicht den Ausführungen zu 314.9 im DSM-IV-TR. Diese Kategorie ist für „Störungen mit deutlichen Symptomen von Unaufmerksamkeit oder Hyperaktivität/Impulsivität . . . [bestimmt], die nicht [Her­ vorhebung v. Verf.] die Kriterien einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung erfüllen“ (Saß et al., 2003, S. 127) 15 gemäß den Forschungskriterien auch die Impulsivität zur Diagnosestellung herangezogen. In der Literatur wird auf diese Unterscheidung häufig nicht hingewiesen. Abbildung 2. Gängige Hilfen zur Diagnosestellung nach ICD-10 Scheinbar obsolet wird die Differenzierung zwischen den umfassenderen Forschungs­ kriterien und den klinischen Kriterien durch die 5., überarbeitete Auflage der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen nach ICD-10-GM 2011 (Dilling, Mombour & SchulteMarkwort, 2011). Sie beinhaltet Diagnostische Kriterien für Forschung und Praxis. Mit Blick auf das MAS (Remschmidt et al., 2008) ergibt sich folgende Änderung: Das G2-Überaktivi­ täts-Kriterium 4 (s. Kasten 1) wird in zwei Kriterien aufgeteilt, was sich bereits vorher durch die Satzstruktur aufdrängte. Abbildung 2 zeigt die verschiedenen Quellen zur Orientierung des klinisch tätigen Lesers. 1.1.2 DSM-IV-TR – Störungen der Aufmerksamkeit, der Aktivität und des Sozial­ verhaltens Das DSM-IV-TR (APA, 2000; Saß et al., 2003) führte die ADHS unter den Störungen der Aufmerksamkeit, der Aktivität und des Sozialverhaltens (Attention-Deficit and Disruptive Behavior Disorders) auf. Der enge Zusammenhang zwischen ADHS und Störungen des Sozi­ alverhaltens wurde hier nicht über eine mögliche Kombinationsdiagnose zweier Kategorien, sondern über die Zuordnung zur selben Störungskategorie erzeugt. Diese Kategorisierung wird im DSM-V aufgegeben (s. Abschnitt 1.5) 16 1.1.3 DSM-V – Neurodevelopmental Disorders Im DSM-V wird die ADHS den neurologischen Entwicklungsstörungen zugeordnet, zu denen hier auch die Intelligenzminderung, Störungen des Sprechens und der Sprache, um­ schriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten, umschriebene Entwicklungsstö­ rungen motorischer Funktionen sowie Autismus-Spektrums-Erkrankungen gezählt werden. Die Störungen des Sozialverhaltens werden zu den Disruptive, Impulse-Control, and Conduct Disorders gerechnet. Die Bedeutung dieser Veränderungen in der kategorialen Zuordnung wird näher in den Abschnitten 1.5 und 1.5.1 besprochen. 1.1.4 Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität Im Gegensatz zur F98.8-Kodierung der ICD-10 verfügte das DSM-IV-TR, wie auch aktuell das DSM-V, nicht über eine unabhängige Diagnosemöglichkeit einer Aufmerksam­ keitsstörung ohne Hyperaktivität. Obwohl Forschungen im Zuge des DSM-III-R (APA, 1987) belegen, dass die Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität eine eigenständige kin­ derpsychiatrische Diagnose und nicht einen Subtypen der ADHS/hyperkinetischen Störung darstellt (vgl. Steinhausen, 2010), führte das DSM-IV-TR den Vorwiegend Unaufmerksamen Typus (314.01 DSM-IV-TR) in einer gemeinsamen Kategorie mit dem Vorwiegend Hyperak­ tiv-Impulsiven Typus (314.00) und dem Mischtypus (314.01) auf—in der ICD-10 findet sich die Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität (F98.8) unter den sonstigen Verhaltens- und emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend. Das DSM-IV-TR bot jedoch die Möglichkeit, bei Jugendlichen und Erwachsenen, die ledig­ lich noch einen Teil der Symptome aufweisen, Teilremittiert (In Partial Remission) zu spezifi­ zieren. Zudem verfügte das DSM-IV-TR über die Diagnose Nicht Näher Bezeichnete Auf­ merksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Not Otherwhise Specified [nos]), etwa bei nachgewiesenem Störungsbeginn mit 7 Jahren oder äl­ ter. Diese Diagnosemöglichkeit sowie der Zusatz In Partial Remission wurden für das DSM-V fallen gelassen. An deren Stelle treten nun die Diagnosen Other Specified AttentionDeficit/Hyperactivity Disorder (314.01) und Unspecified Attention-Deficit/Hyperactivity Dis­ order (314.01). Das Alter bei Störungsbeginn wird nun allgemein durch das Kriterium „sever­ al inattentive or hyperactive-impulsive symptoms present prior to age 12 years“ (APA, 2013, S. 60; s. hierzu a. Abschnitt 1.5). 17 1.2 Diagnostische Kriterien der ADHS in ICD-10, DSM-IV-TR und DSM-V 1.2.1 ICD-10-Diagnosekriterien für hyperkinetische Störungen Die diagnostischen Kriterien des MAS für psychische Störungen des Kindes- und Ju­ gendalters nach ICD-10 der WHO umfassen „das eindeutige Vorliegen eines abnormen (Her­ vorhebung v. Verf.) Ausmaßes von Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Unruhe. Die Stö­ rung ist situationsübergreifend und andauernd und nicht durch andere Störungen wie Autis­ mus oder eine affektive Störung verursacht“ (Remschmidt et al., 2008, S. 35). Die angeführ­ ten Kriterien (G1 – G7) werden anhand mehrerer, über verschiedene Lebensbereiche beob­ achtbarer, Merkmale spezifiziert. Kasten 1 zeigt die diagnostischen Kriterien nach MAS. Kasten 1 Diagnostische Kriterien der hyperkinetischen Störungen nach MAS der ICD-10 (Remschmidt et al., 2008) G1. Unaufmerksamkeit: Mindestens sechs Monate lang mindestens sechs der fol­ genden Symptome von Unaufmerksamkeit in einem mit dem Entwicklungs­ stand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß. Die Kinder: 1. sind häufig unaufmerksam gegenüber Details oder machen Sorgfaltsfehler bei den Schularbeiten und sonstigen Arbeiten und Aktivitäten; 2. sind häufig nicht in der Lage, die Aufmerksamkeit bei Aufgaben und bei Spielen aufrechtzuerhalten; 3. hören häufig scheinbar nicht, was ihnen gesagt wird; 4. können oft Erklärungen nicht folgen oder ihre Schularbeiten, Aufgaben oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht erfüllen (nicht wegen oppositionellem Verhalten oder weil die Erklärungen nicht verstanden werden); 5. sind häufig beeinträchtigt, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren; 6. vermeiden ungeliebte Arbeiten, wie Hausaufgaben, die häufig geistiges Durchhaltevermögen erfordern; 7. verlieren Häufig Gegenstände, die für bestimmte Aufgaben wichtig sind, z. B. für Schularbeiten, Bleistifte, Bücher, Spielsachen und Werkzeuge; 8. werden häufig von externen Stimuli abgelenkt; 9. sind im Verlauf der alltäglichen Aktivitäten oft vergesslich. 18 G2. Überaktivität: Mindestens sechs Monate lang mindestens drei der folgenden Symptome von Überaktivität in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß. Die Kinder: 1. fuchteln häufig mit Händen und Füßen oder winden sich auf den Sitzen; 2. verlassen ihren Platz im Klassenraum oder in anderen Situationen, in denen Sitzen bleiben erwartet wird; 3. laufen herum oder klettern exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen oder Erwachsenen entspricht dem nur ein Unruhege­ fühl); 4. sind häufig unnötig laut beim Spielen oder haben Schwierigkeiten bei lei­ sen Freizeitbeschäftigungen; zeigen ein anhaltendes Muster exzessiver mo­ torischer Aktivitäten, die durch den sozialen Kontext oder Verbote nicht durchgreifend beeinflussbar sind. G3. Impulsivität: Mindestens sechs Monate lang mindestens eins der folgenden Symptome von Impulsivität in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß. Die Kinder: 1. platzen häufig mit der Antwort heraus, bevor die Frage beendet ist; 2. können häufig nicht in einer Reihe warten oder warten, bis sie bei Spielen oder in Gruppensituationen an die Reihe kommen; 3. unterbrechen und stören andere häufig (z. B. mischen sie sich ins Gespräch oder Spiel anderer ein); 4. reden häufig exzessiv ohne angemessen auf soziale Beschränkungen zu rea­ gieren. G4. Beginn der Störung vor dem siebten7 Lebensjahr. G5. Symptomausprägung: Die Kriterien sollten in mehr als einer Situation erfüllt sein, z. B. sollte die Kombination von Unaufmerksamkeit und Überaktivität so­ wohl zu Hause als auch in der Schule bestehen oder in der Schule und an einem anderen Ort, wo die Kinder beobachtet werden können, z. B. in der Klinik. (Der Nachweis situationsübergreifender Symptome erfordert normalerweise In­ formationen aus mehr als einer Quelle. Elternberichte über das Verhalten im Klassenraum sind meist unzureichend.) G6. Die Symptome von G1. – G3. verursachen deutliches Leiden oder Beeinträchti­ gung der sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsfähigkeit. G7. Die Störung erfüllt nicht die Kriterien für eine tiefgreifende Entwicklungsstö­ rung (F84.-), eine manische Episode (F30.-), eine depressive Episode (F32.-) oder eine Angststörung (F41.-). 7 Meist beginnt die Störung in den ersten 5 Lebensjahren (Remschmidt et al., 2008, S. 33). 19 Bei komorbiden Störungen ist etwa eine vorliegende tiefgreifende Entwicklungsstö­ rung primär zu diagnostizieren. Eine besondere Schwierigkeit liegt in der differenzialdiagnos­ tischen Abgrenzung zu einer Störung des Sozialverhaltens (F91 ICD-10). Beim Vorliegen der entsprechenden Kriterien ist eine hyperkinetische Störung vorrangig zu diagnostizieren. Weist der Betroffene bei ausgeprägter Hyperaktivität Kriterien für beide Störungsformen auf, bietet die ICD-10 die Möglichkeit der Kombinationsdiagnose hyperkinetische Störung des Sozial­ verhaltens F90.1 (Remschmidt et al., 2008). Symptome der hyperkinetischen Störung wie Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität können etwa auch bei Angst- oder depressiven Störungen auftreten. Diese Störungen sind vor­ rangig zu diagnostizieren; Angst- und depressive Störungen können jedoch auch komorbid zu einer hyperkinetischen Störung auftreten. In diesem Falle ist eine Doppeldiagnose zu stellen (Remschmidt et al., 2008). Plötzlich auftretende Symptome einer hyperkinetischen Störung sind bei Schulkindern „wahrscheinlich auf eine reaktive Störung (psychogen oder organisch), einen manischen Zu­ stand, eine Schizophrenie oder eine neurologische Krankheit (z. B. rheumatisches Fieber) zu­ rück zu führen“ (Remschmidt et al., 2008, S. 35). 1.2.2 DSM-IV-TR-Diagnosekriterien für ADHS Kasten 2 Diagnostische Kriterien der ADHS des DSM-IV-TR (Saß et al., 2003) A. Entweder Punkt (1) oder Punkt (2) müssen zutreffen: (1) sechs (oder mehr) der folgenden Symptome von Unaufmerksamkeit sind wäh­ rend der letzten sechs Monate beständig in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß vorhanden: Unaufmerksamkeit 20 (a) beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei der Arbeit oder bei anderen Tätigkeiten, (b) hat oft Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder beim Spielen aufrecht zu erhalten, (c) scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn/sie ansprechen, (2) (d) führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende bringen (nicht aufgrund oppositionellen Verhaltens oder Verständ­ nisschwierigkeiten), (e) hat Häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren, (f) vermeidet häufig, hat eine Abneigung gegen oder beschäftigt sich nur widerwillig mit Aufgaben, die längerandauernde geistige Anstrengun­ gen erfordern (wie Mitarbeit im Unterricht oder Hausaufgaben), (g) verliert häufig Gegenstände, die für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt werden (z. B. Spielsachen, Hausaufgabenhefte, Stifte, Bücher oder Werkzeug), (h) lässt sich oft durch äußere Reize leicht ablenken, (i) ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich8; sechs (oder mehr) der folgenden Symptome der Hyperaktivität und Impulsi­ vität sind während der letzten sechs Monate beständig in einem mit dem Ent­ wicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Aus­ maß vorhanden gewesen: Hyperaktivität (a) zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl her­ um, (b) steht in der Klasse und anderen Situationen, in denen Sitzen bleiben er­ wartet wird, häufig auf, (c) läuft häufig herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auf ein subjektives Unruhegefühl beschränkt bleiben), (d) hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitakti­ vitäten ruhig zu beschäftigen, (e) ist häufig „auf Achse” oder handelt oftmals, als wäre er/sie „getrieben” (f) redet häufig übermäßig viel Impulsivität (g) platzt häufig mit den Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende ge­ stellt ist, (h) kann nur schwer warten, bis er/sie an der Reihe ist, (i) unterbricht und stört andere häufig (platzt z. B. in Gespräche oder Spie­ le anderer hinein). 8 Aus neuropsychologischer Sicht ist an dieser Stelle hinzuzufügen, dass differentialdiagnostisch zwischen tatsächlicher Vergesslichkeit im Sinne einer Beeinträchtigung der Lern- und Merkfähigkeit sowie der nur scheinbaren Vergesslichkeit aufgrund einer Aufmerksamkeitsstörung unterschieden werden muss. 21 B. Einige Symptome der Hyperaktivität, Impulsivität oder Unaufmerksamkeit, die Beein­ trächtigungen verursachen, treten bereits vor dem Alter von sieben Jahren auf. C. Beeinträchtigungen durch diese Symptome zeigen sich in zwei oder mehr Bereichen (z. B. in der Schule bzw. am Arbeitsplatz oder zu Hause). D. Es müssen deutliche Hinweise auf klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen der sozia­ len, schulischen oder beruflichen Funktionsfähigkeit vorhanden sein. E. Die Symptome treten nicht ausschließlich im Verlauf einer tiefgreifenden Entwick­ lungsstörung, Schizophrenie oder einer anderen psychotischen Störung auf und kön­ nen auch nicht durch eine andere psychische Störung besser erklärt werden (z. B. af­ fektive Störung, Angststörung, dissoziative Störung oder eine Persönlichkeitsstörung). Subtypen 314.01 Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörung, Mischtypus: liegt vor, wenn die Krite­ rien A1 und A2 während der letzten sechs Monate erfüllt waren. 314.00 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Vorwiegend Unaufmerksamer Typus: liegt vor, wenn Kriterium A1, nicht aber Kriterium A2 während der letzten sechs Mo­ nate erfüllt war. 314.01 Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörung, Vorwiegend Hyperaktiv-Impulsiver Typus: liegt vor, wenn Kriterium A2, nicht aber Kriterium A1 während der letzten sechs Mo­ nate erfüllt war. Das DSM-IV-TR bietet weiterhin die Möglichkeit, Nicht Näher Bezeichnete Aufmerk­ samkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung zu diagnostizieren. Eine solche Störung liegt vor, wenn zwar deutliche Symptome der Unaufmerksamkeit sowie Hyperaktivität und Impulsivität vorliegen, die in Kasten 2 dargestellten Kriterien einer ADHS jedoch nicht erfüllt sind. Als Beispiel hierfür wird etwa ein Störungsbeginn mit 7 Jahren oder älter angeführt. Die ICD-10 bzw. die MAS verfügt nicht über eine solche Diagnose einer hyperkinetischen Störung mit späterem Störungsbeginn. 1.3 ICD-10 und DSM-IV-TR im Vergleich – mit Hinweisen auf DSM-V Während im DSM-IV-TR Hyperaktivität und Impulsivität unter Punkt A. (2) der dia­ gnostischen Kriterien zusammengefasst wurden (Hyperaktivität [a] bis [f], Impulsivität [g] bis [i]; s. Kasten 2), werden in der ICD-10 die Kardinalsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperakti­ vität und Impulsivität getrennt voneinander aufgeführt werden (G1 – G3). Diese Paarung stellt die Grundlage für die unterschiedliche Einteilung der Subtypen in ICD-10 und DSM-IV-TR 22 dar, die seit langem diskutiert wird (vgl. etwa Desman & Petermann, 2005)—dies insbesonde­ re mit Blick auf die Entwicklung einer komorbiden Störung des Sozialverhaltens. Witthöft, Koglin und Petermann (2010) beschreiben in einer Metaanalyse, dass bei vorliegender ADHS oder vorliegender Störung des Sozialverhaltens das Risiko bzw. die Chance, auch die jeweils andere Störung zu entwickeln, 21-fach erhöht ist (Odds Ratio = 21; s. a. Abschnitt 3). In den vorgeschlagenen Änderungen zum DSM-V war die Nähe der ADHS zur Stö­ rung des Sozialverhaltens zunächst noch durch die Kategorienbildung der externalisierenden Störungen des Kindesalters (APA, 2007) zum Ausdruck gebracht worden (s. Abschnitt 1.4), ohne eine Kombinationsdiagnose einzuführen. In diesem Zusammenhang ist auch zu sehen, dass das Kriterium A. (2) (f) „redet häufig übermäßig viel“ (Saß et al., S. 126) im DSM-IVTR der Hyperaktivität zugeordnet wurde, im MAS nach ICD-10 jedoch—mit dem Zusatz „ohne angemessen auf soziale Beschränkungen zu reagieren“ (Remschmidt et al., S. 36)—der Impulsivität. Dieser Zusatz in der ICD-10 verweist direkt auf die soziale Interaktion und so­ mit indirekt auf die Kombinationsdiagnose hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens. Mit den umfassenden strukturellen Änderungen im DSM-V (vgl. Abschnitt 1.5f) wurde die Mög­ lichkeit einer Kombinationsdiagnose nunmehr jedoch ausgeschlossen. Ein weiterer wesentlicher Unterschied der beiden Systeme besteht im Alter bei Stö­ rungsbeginn: Die ICD-10/das MAS schreibt einen Störungsbeginn im Alter von < 6 Jahren vor, während das DSM-IV-TR ein Age of Onset von < 7 beinhaltet. Dies ist von besonderer Relevanz, einerseits, da sich insbesondere in der frühen Kindheit störungszugehörige Verhal­ tensweisen nicht immer leicht von normalem, altersangemessenem Verhalten unterscheiden lassen (etwa Lärmen, Toben, Herumlaufen). Wird die Diagnose mit (anamnestischem) Bezug auf solche frühen Verhaltensweisen gestellt, steigt entsprechend das Risiko, störungsrelevan­ tes und alterstypisches Gebaren fehl zu deuten. Andererseits lassen sich Beeinträchtigungen in der Aufmerksamkeitsleistung sowie überschießende motorische Aktivität vor allem in struktu­ rierten Situationen beobachten (Quaschner & Theisen, 2008), wie sie etwa der Schulunterricht darstellt. In Deutschland beginnt die schulische Ausbildung der Kinder in der Regel im Alter von 6 Jahren – also nach dem in ICD-10 und MAS vorgegebenen Alter bei Störungsbeginn. Aus klinischer Sicht kommt es jedoch häufig erst mit dem Schuleintritt und den einhergehen­ den steigenden Anforderungen an die Aufmerksamkeitsressourcen der Kinder erstmals zu Auffälligkeiten im Sozial- und Lernverhalten sowie in der Folge zur Vorstellung in klinischen 23 Einrichtungen (Jacobs et al., 2009; Knievel, Daseking & Petermann, 2010; Knievel & Peter­ mann, 2008; Tischler, Schmidt, et al., 2010). Entsprechend lassen sich vor dem Schuleintritts­ alter ADHS-relevante Symptome gar nicht in klinisch bedeutsamen Maße feststellen Beide Argumente sprechen für eine Anhebung des Alters bei Störungsbeginn, wie sie für das DSMV bereits vorgeschlagen (s. Abschnitt 1.4) und umgesetzt wurde (s. Abschnitt 1.5). Ein weiterer Unterschied zwischen ICD-10 und DSM-IV-TR besteht in der Rolle der Intelligenz bei der Diagnose einer Aufmerksamkeitsstörung. Nach den Klinisch-diagnosti­ schen Leitlinien und dem MAS der/nach ICD-10 sollten Defizite in der Aufmerksamkeits­ steuerung (fokussierte Aufmerksamkeit) und Aufmerksamkeitsintensität (Daueraufmerksam­ keit, Vigilanz) „nur dann diagnostiziert werden, wenn sie im Verhältnis zum Alter und Intelli­ genzniveau des Kindes sehr stark ausgeprägt sind“ (Dilling et al., 2008, S. 318; Remschmidt et al., S. 33). Eine direkte Spezifizierung wird nicht vorgenommen. Dennoch kann der heran­ zuziehende Intelligenzquotient (IQ) indirekt eingegrenzt werden: Bei einem IQ < 50 und schwerer Hyperaktivität mit Bewegungsstereotypien ist eine Überaktive Störung mit Intelli­ genzminderung und Bewegungsstereotypien (F84.4 ICD-10) zu diagnostizieren, bei einem IQ < 70 eine Intelligenzminderung (F70 – F73). Das DSM-IV-TR verwies lediglich darauf, dass sich bei Kindern mit niedrigem IQ unaufmerksames Verhalten üblicherweise zeigt, wenn sie eine ihren intellektuellen Fähigkeiten nicht entsprechende Schule besuchen (Saß et al., 2003, S. 124). Allerdings sei im Gegensatz zur ICD-10 auch bei einer Geistigen Behinderung die Diagnose einer ADHS möglich, wenn die Hyperaktivität für das Intelligenzalter des Kindes übermäßig stark ausgeprägt sei (ebd., S. 125). Eine Diagnose im Sinne der Überaktiven Stö­ rung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien war hier nicht vorgesehen. Im DSM-V wird darauf hingewiesen, dass ADHS-ähnliche Symptome im Allgemeinen bei Kin­ dern auftreten, die intellektuell überfordert werden—„because of frustration, lack of interest, or limited ability“ (APA, 2013, S. 64), diese jedoch außerhalb ausbildungsbezogener Tätigkei­ ten nicht auffielen oder zu Beeinträchtigungen führten. 24 1.4 Zu den vorgeschlagenen Modifikation der ADHS-Diagnosekriterien von DSM-IV-TR zu DSM-V Die vorgeschlagenen Änderungen in den diagnostischen Kriterien von DSM-IV-TR zu DSM-V sollten insbesondere die Anwendungsmöglichkeiten in der klinischen Praxis verbes­ sern. Grundlage hierfür stellten Überlegungen zur Entwicklung von Störungen über die Le­ bensspanne dar (APA, 2013). In den Revisionsvorschlägen für DSM-V wurde die ADHS den externalisierenden Störungen des Kindesalters (Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder, Conduct Disorder, Op­ positional-Defiant Disorder, Juvenile Bipolar Disorder; APA, 2007) zugeordnet. Dies hätte ei­ ner stärkeren Betonung des Verhaltesaspekts der ADHS entsprochen und eine Annäherung an die Subtypenbildung nach ICD-10 (hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens) dargestellt. Eine Umsetzung hat nicht statt gefunden: Im DSM-V (APA, 2013) wird die ADHS zu den so­ genannten Neurodevelopmental Disorders gezählt (neurologische Entwicklungsstörungen/ Entwicklungsstörungen des Nervensystems9; s. Abschnitt 1.5). In den Diagnosekriterien zu Hyperaktivität und Impulsivität wurde deutlicher auf Er­ wachsene eingegangen. Zur Diagnose einer ADHS mussten ältere Heranwachsende und Er­ wachsene, 17 Jahre und älter, von den nunmehr 13 entsprechenden Kriterien lediglich 4 statt vormals 6 (APA, 2000) erfüllen. Hinzugekommen waren die Kriterien j) Handeln ohne Nach­ zudenken, k) Ungeduld, l) Unannehmlichkeit, Dinge langsam und systematisch zu erledigen sowie m) Schwierigkeiten, Versuchungen und Gelegenheiten zu widerstehen: (j) Tends to act without thinking, such as starting tasks without adequate preparation or avoiding reading or listening to instructions. May speak out without considering consequences or make important decisions on the spur of the moment, such as im­ pulsively buying items, suddenly quitting a job, or breaking up with a friend. (k) Is often impatient, as shown by feeling restless when waiting for others and wanting to move faster than others, wanting people to get to the point, speeding while driv­ ing, and cutting into traffic to go faster than others. (l) Is uncomfortable doing things slowly and systematically and often rushes through activities or tasks. 9 Übersetzung v Verf. 25 (m) Finds it difficult to resist temptations or opportunities, even if it means taking risks (A child may grab toys off a store shelf or play with dangerous objects; adults may commit to a relationship after only a brief acquaintance or take a job or enter into a business arrangement without doing due diligence) (APA, 2010a) Diese Veränderungen unterstrichen die Konzeptualisierung der ADHS als Lebensspan­ nenerkrankung und ihre Bedeutung für das Erwachsenenalter. Dies galt sowohl für deren zah­ lenmäßige und inhaltliche Erweiterung entsprechend den Symptomveränderungen und -ver­ schiebungen über die Lebensspanne als auch für die Reduktion der im Erwachsenenalter zu erfüllenden Diagnosekriterien (vgl. APA, 2010b). Durch das Hinzufügen der genannten vier weiteren Kriterien wäre die Bedeutung der Impulsivität insbesondere im Erwachsenenalter betont worden (Abnahme der Hyperaktivität, Persistieren der Impulsivität). Dies unterstützte die im weiteren Text ausgeführte Betonung der Impulsivität für das psychosoziale Funktionsniveau aus neuropsychologischer Sicht sowie die Bedeutung der in Abschnitt 4 dargestellten Ergebnisse des ATTENTIONER-Trainings (Ja­ cobs & Petermann, 2013) für die Behandlung von Aufmerksamkeitsstörungen im Kindes- und Jugendalter. Jedoch wurden die gebräuchlichen Kriterien lediglich um Beispiele für das Er­ wachsenenalter ergänzt (s. Abschnitt 1.5). Somit wird das Persistieren der ADHS ins Erwach­ senenalter hinein nicht zusätzlich hervorgehoben, wie dies in den Veränderungsvorschlägen der Fall war. Vielmehr wird diese wissenschaftlich begründete Tatsache als selbstverständlich erachtet. Eine weiterer Änderungsvorschlag betraf das Alter bei Störungsbeginn. Das Anheben wird seit langem kontrovers diskutiert (vgl. etwa Applegate et al., 1997; Bell, 2011; Dopheide & Pliszka, 2009; Faraone et al., 2006; Holmberg, Sundelin & Hjern, 2010; Kieling et al., 2010; McGough & McCracken, 2006; Polanczyk et al., 2010). In der vorgeschlagenen Revisi­ on zu DSM-V wurde das Alter bei Störungsbeginn indirekt angehoben durch die Formulie­ rung, dass „several noticeable inattentive or hyperactive-impulsive symptoms were present by age 12“ (APA, 2010a). Als wesentlich erwies sich nunmehr das Vorliegen mehrerer Sympto­ me zu einem bestimmten Alter im Gegensatz zum Alter bei Störungsbeginn, das bei diesem Vorschlag nicht mehr angegeben10 wurde (ebd.). Dieser Änderungsvorschlag wurde mit For­ 10 Wörtlich genommen bedeutet diese Aussage ohne Angabe des Age of Onset allerdings, dass eine ADHS nach DSM-V lediglich anhand anamnestisch bekannter Symptome aus dem 13. Lebensjahr oder bei vorliegenden Symptomen im Alter von 12 Jahren diagnostiziert werden kann—somit nur bei Jugendlichen und Erwachsenen 26 mulierungsänderung umgesetzt11 (s. Abschnitt 1.5). Tabelle 2 zeigt die Unterschiede zwischen den Klassifikationssystemen sowie die vorgeschlagenen Veränderungen von DSM-IV-TR zu DSM-V (sowie die aktuellen Kriterien aus DSM-V). Im Gegensatz zu DSM-IV-TR war für das DSM-V vorgesehen, in der Kategorie Hyperaktivität/Impulsivität die einzelnen Kriterien nicht mehr differenziert nach Störungsbereich aufzugliedern (APA, 2010a). Dies wurde umge­ setzt. Tabelle 2 Gegenüberstellung diagnostischer Kriterien in MAS ICD-10, DSM-IV-TR, DSM-V-Vorschlä­ gen und DSM-V zur Diagnose einer ADHS Anzahl der Symptome Unaufmerksamkeit und/oder Hyperaktivität Impulsivität Alter bei Störungsbeginn/ Diagnosestellung Zuordnung MAS ICD-10 möglich notwendig 9 DSM-IV-TR möglich notwendig 6 9 6 und 4 3 4 1 vor dem 7. Lebensjahr (< 6 Jahre) oder 6 9 6 3 vor dem Alter von 7 Jahren (< 7 Jahre) Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend Störungen der Aufmerksamkeit, der Aktivität und des Sozialverhaltens/Attentio n-Deficit and Disruptive Behavior Disorders Vorschläge DSM-V möglich notwendig 9 6/4* DSM-V möglich notwendig 9 6/5* und/oder 13 6/4* 9 6/5* mehrere Symptome im Alter von 12 Jahren mehrere Symptome vor dem Alter von 12 Jahren Externalisierende Störungen des Kindesalters/Externalizing Disorders of Childhood Neurodevelopmental Disorders Anmerkung: * 17 Jahre und älter Des Weiteren wurde in den Revisionsvorschlägen zum DSM-V neben den bekannten drei Subtypen auch die Diagnose Inattentive Presentation (Restrictive) (IPR) aufgeführt die 12 Jahre oder älter sind. Der Autor geht davon aus, dass hier ein entsprechender Zusatz „present by age 12 [or before]“ (APA, 2010a) eingefügt werden wird. 11 Im DSM-V heißt es nunmehr: „Several inattentive or hyperactive-impulsive symptoms were present prior to age 12 years“ (APA, 2013, S. 60). 27 (APA, 2010a), was eine Annäherung an die Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität (F98.8 ICD-10) in Aussicht stellte. Der Subtyp IRP wurde nicht in das DSM-V aufgenommen (s. Abschnitt 1.5). 1.5 Zu den aktuellen ADHS-Diagnosekriterien aus DMS-V Entgegen den in 1.4 dargestellten Revisions-Vorschlägen wird die ADHS im DSM-V (APA, 2013) den Neurodevelopmental Disorders zugeschrieben. Diese werden definiert als „group of conditions with onset in the developmental period … [that] are characterized by de­ velopmental deficits that produce impairments of personal12, social, academic, or occupational functioning“ (APA, 2013, S. 31; zum Begriff condition s. a. nächster Abschnitt). Sie treten häufig bereits vor Schulbeginn auf und—wie bei ADHS—auch in Kombination mit anderen Störungen, wie etwa umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten (ebd.). „ADHS ist eine Entwicklungsstörung des Nervensystems, die sich durch beeinträchtigte Auf­ merksamkeit, Unorganisiertheit und/oder Hyperaktivität-Impulsivität auszeichnet. … In der Kindheit ergeben sich häufig Überschneidungen mit oftmals für ,externalisierende Störungen' gehaltene Störungen (APA, 2013, S. 32) 13. Diese Änderungen erweisen sich als in dreierlei Weise bedeutsam: • Der ADHS, die in der ICD-10 zu den Verhaltens- und emotionalen Störungen mit Be­ ginn in der Kindheit und Jugend (Achse I, Klinisch-psychiatrisches Syndrom) gerech­ net wird, wird im DSM-V somit gleichsam der Status einer umschriebenen Entwick­ lungsstörung zugesprochen—zu den neurologischen Entwicklungsstörungen (Neuro­ developmental Disorders) werden hier etwa auch die umschriebenen Entwicklungsstö­ rungen schulischer Fertigkeiten (Lesen, Schreiben, Rechnen) gezählt. 12 Interessanterweise werden in den Diagnosekriterien für ADHS lediglich die Adjektive social, academic und occupational verwendet. Der Begriff personal wird lediglich in der Eingangsbeschreibung für Neurodevelopmental Disorders benutzt. 13 ADHD is a neurodevelopmental disorder defined by impairung levels of inattention, disorganization, and/or hyperactivity-impulsivity. … In childhood, ADHD frequently overlaps with disorders that are often considered to be „externalizing disorders“ (APA, 2013, S. 32) – Übersetzung ins Deutsche v. Verf. 28 • Die Symptome Hyperaktivität und Impulsivität werden als Einheit Hperactivity and Impulsivity verwendet. In der Auflistung der entsprechenden Symptome wird nicht mehr zwischen Hyperaktivität und Impulsivität unterschieden. • Die ADHS wird klar von den Verhaltensstörungen wie Störungen des Sozialverhaltens abgegrenzt. ADHS erweist sich entsprechend der Definition als neurologische Ent­ wicklungsstörung (s. o.) allein als „condition with onset in the developmental period“ (APA, 2013, S. 31). Bei vorliegenden einer zusätzlichen Verhaltensstörung sind beide Störungen nebeneinander zu diagnostizieren. Dies erweist sich als bedeutsam insbe­ sondere für die Früherkennung einer ADHS, bevor es in der Folge zu sozialen Schwie­ rigkeiten kommt. Die Anzahl der möglichen und notwendigerweise zur Diagnosestellung vorliegenden Kriterien hat sich von DSM-IV-TR zu DSM-V für Kinder nicht geändert. Bei älteren Jugend­ lichen und Erwachsenen müssen bei A1 Unaufmerksamkeit und/oder bei A2 Hyperaktivität und Impulsivität anstelle von sechs nunmehr fünf Symptome vorliegen (vorgeschlagen waren lediglich vier). Als bedeutend erweist sich neben der bekannten globalen Bedingung, dass „the sym­ ptoms have persisted for at least 6 months to a degree that is inconsistend with developmental level“ (APA 2013, S. 59, 60) der Zusatz „that negatively impacts directly on social and acade­ mic/occupational activities“ (ebd.). Dies unterstreicht die eigenständige Bedeutung der ADHS als Bedingung oder Zustand, die sich negativ auf das psychosoziale Funktionsniveau aus­ wirkt. „The symptoms are not solely a manifestation of oppositinal behavior, defiance, hostili­ ty, or failure to understand tasks or instructions“ (ebd.). Die Veränderung bei den Diagnosekriterien A beinhalten des Weiteren erklärende Bei­ spiele und einzelne Ergänzungen für Erwachsene, die in Klammern angegeben sind: „f. ...(for older adolescents and adults, preparing reports, completing forms, reviewing lengthy papers) … h. (… may include unrelated thoughts) … i. (… returning calls, paying bills, keeping ap­ pointments) … i. (… may intrude or takeover what others are doing) (APA, 2013, S. 59f). Mit der Zuordnung zu den Neurodevelopmental Disorders im Zusammenhang zu se­ hen ist auch das Ersetzen des ehemaligen Zusatzes „not due to oppositional behavior or failu­ 29 re to understand instructions“ (vgl. Kasten 2 „d“: führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig durch) durch ein Beispiel „starts tasks but quickly loses focus and is easily side­ tracked“ (APA 2013, S 59). Die Verdeutlichung des Diagnosekriteriums wird hier nicht an­ hand einer verhaltensbezogenen Begründung sondern über eine Beschreibung gegeben—ein objektives Merkmal der ADHS als Condition im Gegensatz zur Erklärung eines Verhaltens. Bereits erwähnt wurde die Aufhebung einer getrennten Auflistung der Symptome von Hyperaktivität und Impulsivität unter A2 der diagnostischen Kriterien. Der nachlassenden Hy­ peraktivität ins Erwachsenenalter hinein wird wie bereits im DSM-IV-TR etwa bei dem Krite­ rium „c. Often runs about or climbs in situations where it is inappropriate“ (APA 2013, S. 60) durch den Hinweis „In adolescents or adults, may be limited to feeling restless“ (ebd.) und zu­ sätzliche in Klammern gesetzte Beispiele Rechnung getragen. Auch die weiteren Kriterien legen den Schwerpunkt auf ein entwicklungsbezo­ genes Defizit als Wesenskern der ADHS—und nicht auf die Folgen für das psychosoziale Funktionsniveau. Hinweise und Bezugnahmen auf weitere Verhaltensstörungen bzw. Beein­ trächtigungen des psychosozialen Funktionsniveaus (impairment) werden zurückgenommen, sodass der neurologische Entwicklungsstand klar im Vordergrund steht. „Some hyperac­ tive-impulsive or inattentive symptoms that caused impairment*“ (DSM-IV-TR) wurde im DSM-V, Kriterium B, ersetzt durch „Several inattentive or hyperactive-impulsive symptoms were present*“ (APA, 2013, S. 60). Kriterium C wurde geändert von „some impairment from the symptoms* is present“ (DSM-IV-TR) zu „Several inattentive or hyperactive-impulsive symptoms are present*“ (APA, 2013, S. 60). Kriterium D wurde geändert von „clear evidence of clinically significant impairment in* social, accademic or occupational functioning“ (DSMIV-TR) zu „clear evidence that the symptoms interfere with, or reduce* the quality of, social, accademic, or occupational functioning“ (APA, 2013, S.60). Der Begriff des Impairments fin­ det lediglich in der Spezifikation In Partial Remission und den neuen Spezifizierungsmöglich­ keiten Mild, Moderate und Severe Verwendung (s. Kasten 3). Für den Fall, dass die Symptomatik für eine ADHS vorherrscht, ohne jedoch alle Kri­ terien für eine Diagnose zu erfüllen, und dennoch klinisch relevanter Leidensdruck besteht, bietet das DSM-V die neue Diagnosemöglichkeit Other specified attention-deficit/hyperacti­ * Kursiv v. Verf. 30 vity disorder (314.01). Diese Diagnose soll Anwendung finden, um zu begründen, weshalb die Kriterien einer ADHS oder einer anderen spezifischen neurologischen Entwicklungsstörung nicht erfüllt werden. „This is done by recording 'other specified attention-deficit/hyperactivity disorder' followed by the specific reason (e.g., 'with insufficient inattention symptoms') (APA, 2013, S. 66). Als entsprechende Diagnose in der ICD-10 wird hier sonstige hyperkinetische Störungen (F90.8) angeführt, für die kein spezielles Kriterium definiert ist. Eine weitere Diagnosemöglichkeit besteht in der Unspecified attention-deficit/hype­ ractivity disorder (314.01). Diese stellt in Entsprechung zur nicht näher bezeichneten hyperki­ netischen Störung (F90.9, ICD-10) eine Restkategorie dar, die „nicht empfohlen [wird]… und nur verwendet werden [sollte], wenn die allgemeinen Kriterien zwar erfüllt sind, aber eine Unterscheidung zwischen F90.0 [einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung] und F90.1 [hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens] nicht möglich ist“ (Remschmidt et al, 2006, S. 37)—beziehungsweise in Situationen, in denen „the clinician chooses not to specify the reason that the criteria are not met for attention-deficit/hyperactivity disorder or for a spe­ cific neurodevelopmental disorder“ (APA, 2013, S. 66), wenn für eine genauere Diagnose kei­ ne Informationen zur Verfügung stehen. Kasten 3 zeigt die aktuellen Diagnosekriterien der ADHS aus dem DSM-V. Kasten 3 Diagnostische Kriterien der ADHS des DSM-V (APA, 2013) A. A persistent pattern of inattention and/or hyperactivity-impulsivity that interferes with functioning or development, as charcterized by (1) and/or (2): A1. Inattention: Six (or more) of the following symptoms have persisted for at least 6 month to a degree that is inconsistent with developmental level and that negatively impacts directly on social and academic/occupational activities: Note: The symptoms are not solely a manifestation of oppositional behavior, de­ fiance, hostility, or failure to understand tasks or instructions. For older adolescents and adults (age 17 and older), at least five symtoms are required. a. 31 Often fails to give close attention to details or makes careless mistakes in schoolwork, at work, or during other activities (e.g., overlooks or misses de­ tails, work is inaccurate). b. Often has difficulty sustaining attention in tasks or play activities (e.g., has dif­ ficulties remaining focused during lectures, conversations, or lengthy reading). c. Often does not seem to listen when spoken to directly (e.g., mind seems els­ where, even in the absence of any obvious distraction). d. Often does not follow through on intructions and fails to finish schoolwork, chores, or duties in the workplace (e.g., starts tasks but quickly loses focus and is easily sidetracked). e. Often has difficulty organizing tasks and activities (e.g., difficulty managing sequential tasks; difficulty keeping materials and belongings in order; messy, disorganized work; has poor time management; fails to meet deadlines). f. Often avoids, dislikes, or is reluctant to engange in tasks that require sustained mental effort (e.g., schoolwork or homework; for older adolescents and adults, preparing reports, completing forms, reviewing lengthy papers). g. Often loses things necessary for tasks or activities (e.g., school materials, pen­ cils, books, tools, wallets, keys, paperwork, eyeglasses, mobile telephones). h. Is often easily distracted by extraneous stimuli (for older adolescents and adults, may include unrelated thoughts). i. Is often forgetful in daily activities (e.g., doing chores, running errands; for ol­ der adolescents and adults, returning calls, paying bills, keeping appointments). 2. Hyperactivity and impulsivity: Six (or more) of the following symptoms have persisted for at least 6 months to a degree that is inconsistent with develop­ mental level and that negatively impacts on social and academic/occupational activities: Note: The symptoms are not solely a manifestation of oppositional behavior, defiance, hostility, or failure to understand tasks or instructions. For older ado­ lescents and adults (age 17 and older), at least five symtoms are required. 32 a. Often fidgets with or taps hands or feet or squirms in seat. b. Often leaves seat in situatios when remaining seated is expected (e.g., leaves his or her place in the classroom, in the office or other workplace, or in other situations that require remaining in place). c. Often runs about or climbs in situations where it is inappropriate. (Note: In adolescents or adults, may be limited to feeling restless.) d. Often unable to play or engage in leisure activities quietly. e. Is often „on the go“, acting as if „driven by a motor“ (e.g., is unable to be or uncomfortable being still for extended time, as in restaurants, meetings; may be experienced by others as being restless or difficult to keep up with). f. Often talks exessively. g. Often blurts out an answer before a question has been completed (e.g., com­ pletes people's sentences; cannot wait for turn in conversation). h. Often has difficulty waiting his or her turn (e.g. while waiting in line). i. Often interrupts or intrudes on others (e.g., butts into conversations, games, or activities; may start using other people's things witout asking or receiving per­ mission; for adolescents and adults, may intrude into or take over what others are doing). B. Several inattentive or hyperactive-impulsive symptoms where present prior to age 12 years. C. Several inattentive or hyperactive-impulsive symptoms are present in two or more set­ tings (e.g., at home, school, or work; with friends or relatives; in other activities). D. There is clear evidence that the symptoms interfere with, or reduce the quality of, soci­ al, academic, or occupational functioning. E. The symptoms do not occur exclusively during the course of schizophrenia or another psychotic disorder and are not better explained by another mental disorder (e.g., mood disorder, anxiety disorder, dissociative disorder, personality disorder, substance intoxi­ cation or withdrawal). Specify wether: 314.01 (F90.2) Combined presentation: If both Criterion A1 (inattention) and Crite­ rion A2 (hyperactivity-impulsivity) are met for the past 6 months. 314.00 (F90.0) Predominantly inattentive presentation: If Criterio A1 (inattention) is met but Criterion A2 (hyperactivity-impulsivity) is not met for the past 6 months. 314.01 (F90.1) Predominantly hyperactive/impulsive presentation: If Criterion A2 (hyperactivity-impulsivity) is met and Criterion A1 (inattention) is not met for the past 6 months. Specify if: In partial remission: When full criteria where previously met, fewer than the full cri­ teria have been met for the past 6 months, and the symptoms still result in impairment in social, academic, or occupational functioning. Specify current severity: Mild: Few, if any, symptoms in exess of those required to make the diagnosis are pre­ sent, and symptoms result in no more than minor impairments in social or occupatio­ nal functioning. Moderate: Symptoms or functional impairment between „mild“ and „severe“ are pre­ sent. 33 Severe: Many symptoms in exess of those required to make the diagnosis, or several symptoms that are particularly severe, are present, or the symptoms result in marked impairment in social or occupational functioning. 1.5.1 ADHS als Condition Condition wird in der Definition der Neurodevelopmental Disorders im DSM-V be­ nutzt im Sinne einer wesenhaften Bedingung oder Gegebenheit, die sich typischerweise recht früh als Defizit in der Entwicklung zeigt. Dieser Mangel an etwas, das man braucht, verur­ sacht Impairment: Es wird in der Definition der ADHS also deutlicher als zuvor unterschieden zwischen der Beeinträchtigung des psychosozialen Funktionsniveaus (vgl. Abschnitt 3.1) und dessen Ursachen. Beides wird zur Diagnosestellung herangezogen, da „the symptoms interfe­ re with, or reduce the quality of, social, academic, or occupational functioning“ (APA, 2013, S. 60). Hier liegt auch die Begründung für die womöglich endgültige Abkehr von der hyperki­ netischen Störung des Sozialverhaltens als Kombinationsdiagnose, die in der ICD-10 enthal­ ten ist. Der Aufbau des DSM-V basiert auf der Betrachtung von psychischen Störungen als Lebensspannenerkrankung von lebendiger Wirksamkeit. Im Zentrum steht dabei die entwick­ lungsbezogene „Ur-Sache“: Representation of developmental issues related to diagnosis. The change in chapter organzation bet­ ter reflects a lifespan approach, with disorders more frequently diagnosed in childhood (e.g. neurodeve­ lopmental disorders) at the beginning of the manual. … Integration of scientific findings from the la­ test research in genetics and neu roimaging. The revised chapter structure was informed by recent research in neuroscience and by emerging genetic linkages between diagnostic groups. (APA, 2013, S. xlii) Die Konzentration auf die Bedingungen, die der Beeinträchtigung des psychosozialen Funkti­ onsniveaus zugrundeliegend, eröffnet eine grundsätzlich neue Perspektive von enormer Be­ deutung insbesondere für die differenzierte Diagnostik und entsprechend effektive Behand­ lung von ADHS: Die Conditions können neuropsychologisch als Inhibitionsstörung (vgl. Abb. 3, Abschnitt 2.2) beschrieben und diagnostiziert werden. 34 Für diese Arbeit lässt sich feststellen, dass die psychosozialen Auswirkungen der ADHS—insbesondere für das Sozialverhalten—auf neuropsychologisch erklärbaren Defiziten beruhen, die die Entwicklung der betroffenen Kinder über die Lebensspanne negativ beein­ flussen können (vgl. Abschnitt 2ff). Die Beeinträchtigung sozialer Interaktion stellt dabei eine Folge im Zusammenhang mit der defizitären Neurodevelopmental Condition dar. Abbildung 2 liefert ein entsprechendes Modell für die Entwicklung des psychosozialen Funktionsniveaus. Abbildung 2. Wirkzusammenhänge des psychosozialen Funktionsniveaus von neuropsycholo­ gischer Warte am Beispiel ADHS Die Abkopplung der ADHS von den Verhaltensstörungen und ihre Zuordnung zu den neurologischen Entwicklungsstörungen lässt verschiedene Weiterentwicklungen im Umgang mit ADHS zu. Die Betonung eines originären, entwicklungsbezogenen Defizits, das erst spä­ ter zu einer Beeinträchtigung des psychosozialen Funktionsniveaus führt, kann eine stärkere medizinische (Präventiv)-Versorgung von ADHS und womöglich von Entwicklungsstörungen im Allgemeinen nach sich ziehen. Da das Impairment als Folge einer defizitären neurologi­ schen Entwicklung gesehen wird, liegt es Nahe, in einer etwaigen Behandlung zunächst die 35 Ursache (neurologisch) und erst sukzessive die Auswirkung (psychologisch) anzugehen. Da­ bei erscheint es als durchaus plausibel begründbar, die erfolgreiche medikamentöse Behand­ lung einer bestimmten Störung in ähnlicher Form auf weitere Störungsbilder innerhalb dersel­ ben Störungsgruppe auszudehnen. Die psychotherapeutische Intervention stellte von dieser Warte aus immer ein verspätetes Eingreifen dar, das lediglich die negativen Folgen einzudäm­ men sucht, die auf das Unterlassen einer frühzeitigen medikamentösen Behandlung zurückzu­ führen wären. Eine weniger medizinische Sichtweise kann die Bedeutung der neuropsychologischen Aufmerksamkeitsfunktionen und der ADHS als Inhibitionsstörung für eine erfolgreiche Be­ handlung hervorheben. Durch gezieltes Funktionstraining, wie es etwa mit dem ATTENTIO­ NER-Programm (Jacobs & Petermann, 2013) möglich ist, können die das (Sozial-)Verhalten bedingenden neuropsychologischen Basisfunktionen trainiert werden. 1.6 Komorbidität, Folgeerkrankung und Kernsymptomatik – ADHS als Ausschlussdiagnose Die ADHS umfasst laut Multiaxialem Klassifikationsschema (MAS; Remschmidt et al., 2008) die drei Kardinalsymptome Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität. Dabei imponiert das Störungsbild durch seine Heterogenität: Betroffene Patientinnen und Pa­ tienten14 unterscheiden sich etwa hinsichtlich der Begleiterkrankungen, unterschiedlich starker Symptomausprägungen und mannigfaltiger Variationen im Krankheitsverlauf über die Le­ bensspanne (Petermann, F., 2010; Schmidt, S. & Petermann, 2011; Tischler, Schmidt, et al., 2010). Allerdings lässt sich die Symptomatik der ADHS in ähnlicher Form auch bei anderen psychischen und somatischen Erkrankungen beobachten. So treten psychomotorische Unruhe und Konzentrationsschwierigkeiten ebenfalls bei depressiven Patienten (Groen & Petermann, 2011), Impulsivität auch bei Angststörungen (Perugi et al., 2011) auf. Auf körperlicher Ebene imponiert etwa das Phäochromozytom, ein tumorales Überfunktionssyndrom der Nebenniere (Allolio et al., 2013), als ADHS-ähnlich (Havekes, Romijn, Eisenhofer, Adams & Pacak, 14 Im weiteren Verlauf des Textes werde ich aus Gründen der Einfachheit die maskuline Form verwenden. 36 2009). Eine ADHS kann entsprechend erst dann diagnostiziert werden, wenn etwa eine Angst­ störung, die dieselben Symptome aufweisen kann, verlässlich ausgeschlossen werden kann15. Die Frage nach komorbiden Störungen erweist sich als grundlegend für die Konzep­ tualisierung und Klassifizierung der ADHS im Speziellen und von Psychopathologie im All­ gemeinen (s. Abb. 1; vgl. Krueger & Markon, 2006; Regier, Kuhl, Narrow & Kupfer, 2012). Aufmerksamkeit stellt eine neuropsychologische Basiskompetenz dar; eine Beeinträchtigung der Aufmerksamkeitsleistung beeinflusst das Leben Betroffener entsprechend weitreichend. Unüberlegtes Verhalten, impulsive Handlungen und Äußerungen beeinträchtigen das psycho­ soziale Funktionsniveau mittel- und unmittelbar (vgl. Abb. 2). Das Herauslösen der Kernsym­ ptomatik aus einem komplexen Bedingungsgefüge erweist sich dabei als umso schwieriger, je weniger starr strukturgebende Rahmenbedingungen auffälliges Verhalten bestimmen oder ver­ ursachen. Immer bedarf es zur Indikation also der differentialdiagnostischen Abklärung von Verhaltensursachen. Nur so wird—immer mit Blick auf eine gezielte und effektive Behand­ lung—offenbar, ob etwa (aktive oder reaktive) aggressive Handlungen und verbale Äußerun­ gen im Rahmen einer ADHS auftreten oder mit Blick auf eine andere genuine oder eine se­ kundäre Störung zu sehen sind (vgl. etwa Patel & Barzman, 2013). Aggressives Verhalten lässt sich im Zusammenhang mit einer ADHS als direkte Folge einer eingeschränkten Inhibitionsfähigkeit verstehen. Dies schließt sowohl unüberlegte Reak­ tionen auf äußere Reize als auch Aktion im Zusammenhang mit innerem Spannungserleben ein. Eine besondere Rolle spielt hier die motorische Überaktivität, wie sie etwa im Schulun­ terricht andere Schülerinnen und Schüler erheblich beeinflussen kann. Ein hyperaktives Kind produziert durch seine Bewegungen hochfrequent visuelle wie auch akustische Reize, die an­ dere Kinder erheblich ablenken und von der Umgebung als belastend bis störend erlebt wer­ den können. Aus der klinischen Praxis heraus lässt sich feststellen, dass es durch unmotivierte Bewegungen oftmals zu Situationen kommt, die von anderen Kindern als intentionale körper­ liche Grenzüberschreitung—mithin als gerichteter aggressiver Akt—gewertet werden (vgl. etwa bei Vorliegen einer komorbiden Störung der visuellen Informationsverarbeitung auch Tischler, Knievel, Jacobs & Petermann, 2010). Nicht selten kommt es so gerade bei ausge­ prägter Hyperaktivität zur Ausbildung einer komorbiden Störung des Sozialverhaltens (vgl. 15 Die in der klinischen Praxis von Eltern und Betroffenen immer wieder geschilderte Vorgehensweise einer ärztlichen Augenschein-Diagnose mit anschließender Sofort-Medikation erweist sich als überaus bedenklich und unverantwortlich. 37 hierzu Jacobs et al., 2009). Diesem Umstand trägt die ICD-10 Rechnung und verfügt über die Möglichkeit der Kombinationsdiagnose hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (s. Ab­ schnitt 3). Dennoch stellt Aggression weder in der ICD-10 noch im DSM-IV-TR ein vorrangi­ ges oder eigenständiges Symptom der ADHS dar. Die ausdrückliche Trennung beider Stö­ rungsbilder wird im DSM-V vollzogen (s. o.) Es wird deutlich, dass komorbide emotionale und Verhaltensauffälligkeiten immer mit Blick auf ihre Ursachen gesehen werden müssen. Nur so kann die zu Grunde liegende Störung einwandfrei identifiziert und die dieser zugehörige Symptomatik gezielt behandelt werden. Dazu ist es erforderlich, andere Erklärungsmodelle für klinisch relevantes Verhalten bei Ver­ dacht auf ADHS differentialdiagnostisch auszuschließen. ADHS stellt somit eine Ausschluss­ diagnose dar (s. Kasten 1, G7 und Kasten 2, E—das DSM-IV-TR formuliert hier umfassen­ der). 38 2 Symptomatik – Funktion und Verhalten Von einer funktionsbezogenen, neurologischen Warte kann Aufmerksamkeit verstan­ den werden als „selektive Ausrichtung des Wahrnehmens, Vorstellens und Denkens auf be­ stimmte gegenwärtige oder erwartete Erlebnisinhalte bei gesteigerter Wachheit und Aufnah­ mebereitschaft“ (Gehlen & Delank, 2010, S. 69). In dieser Definition werden bedeutende De­ terminanten menschlichen Verhaltens angerissen. Als wesentlich erweist sich hier der Zusam­ menhang zwischen Aufmerksamkeitssteuerung, visueller Informationsverarbeitung, Lernen und Erfahrung sowie Explorationsverhalten und lerntheoretischen Konzeptualisierungen des menschlichen Verhaltens (s. Abschnitt 3.3.2). Die Neuropsychologie und die kognitiven Neu­ rowissenschaften (Karnath & Thier, 2006, 2012) untersuchen diese Beziehungen zwischen Hirnfunktionen (der Wahrnehmung) und Verhalten. Sie stellen damit die Verbindung zwischen Neurologie und Psychologie her und liefern Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsmodelle, die sich zum Verständnis der ADHS nutzbar machen lassen (Desman & Petermann, 2005). 2.1 Funktion – Neuropsychologie der Aufmerksamkeit: ADHS als Inhibi­ tionsstörung Aus neuropsychologischer Sicht ist die ADHS in erster Linie als Inhibitionsstörung zu verstehen (Häßler & Fegert, 2012; Koglin & Petermann, 2004). So ist es betroffenen Kindern oftmals kaum möglich, eine unerwünschte Orientierungsreaktion auf irrelevante Störreize zu unterdrücken. Die Folge besteht in häufig leicht zu beobachtenden impulsiven Verhaltenswei­ sen und altersunangemessenem Bewegungsdrang. Die Kinder sind entsprechend nicht in der Lage, sich über einen längeren Zeitraum hinweg in altersangemessener Weise auf eine Aufga­ benstellung zu konzentrieren. Auch fällt es ihnen etwa schwer, beim Essen oder bei den Haus­ aufgaben sowie im Schulunterricht still an ihrem Platz sitzen zu bleiben. Barkley (1997, 2011) führt in diesem Zusammenhang exekutive Funktionen an, deren verhaltensbezogene Wirkwei­ se durch die angenommene Disinhibition beeinträchtigt ist: Arbeitsgedächtnis, die Fähigkeit zur Selbstregulation von Affekt, Motivation und Erregungsniveau, Internalisierung von Spra­ che sowie Verhaltensanalyse und -synthese. Neben einer motorischen Dysregulation komme es so zu Schwierigkeiten in der Emotionsregulation, Handlungsplanung und Strukturierung (Barkley, 2010). Abschnitt 3.2 stellt die Bedeutung der exekutiven Funktionen für die soziale 39 Interaktion näher dar und unterstreicht deren Bedeutung für das psychosoziale Funktionsni­ veau auch in einer Partnerschaft. 2.1.1 Taxonomie der Aufmerksamkeit Die folgenden Ausführungen richten sich nach der sogenannten Taxonomie von Auf­ merksamkeitskomponenten, wie Sturm (2004, 2005) sie herausgearbeitet hat. Die Untertei­ lung der Aufmerksamkeitsleitung in Aufmerksamkeitsintensität und Aufmerksamkeitssteue­ rung erlaubt eine differenzierte Diagnostik und entsprechend eine gezielte Förderung der be­ einträchtigten Komponenten. 2.1.2 Aufmerksamkeitsintensität Die Aufmerksamkeitsintensität meint die Kraft oder das Maß der zur Verfügung ste­ henden Aufmerksamkeit, die je nach Anforderung gemäß der in Abschnitt 2 angeführten Defi­ nition Wahrnehmungs- und Verhaltensprozessen zur Verfügung gestellt werden kann. Die Aufmerksamkeitsintensität lässt sich unterteilen in Alertness, Vilgilanz und Daueraufmerk­ samkeit. Unter Alertness wird die längerfristige Aufmerksamkeitsaktivierung oder allgemeine Wachheit verstanden, die über den Tag je nach Umweltreizen und Tätigkeiten natürlichen Schwankungen unterliegt (tonische Alertness). Bei entsprechenden Warnreizen oder erwarte­ ten Ereignissen kann das Aufmerksamkeitsniveau kurzfristig gesteigert werden. Erfolgt eine selbstgenerierte Steigerung des Aktivierungsniveaus bei akuter Reaktionsbereitschaft, so spre­ chen Sturm et al. (1999) von intrinsischer Alertness, bei Reaktionsbahnung durch eine Rei­ zankündigung mittels Warnreiz von phasischer Alterness. Vigilanz und Daueraufmerksamkeit setzen eine längerfristige, willentliche Aufrechter­ haltung der Aufmerksamkeit unter „mentaler Anstrengung“ (Sturm et al., 1999, S. 108) vor­ aus. Dabei wird unter Vigilanz die längerfristige Aufrechterhaltung des Aufmerksamkeitsnive­ aus bei niedriger Frequenz sogenannter kritischer Reize oder Signale verstanden, während Daueraufmerksamkeit die längerfristige Aufrechterhaltung des Aufmerksamkeitsniveaus bei hoher Reizdichte umfasst. Ein kritischer Reiz erfordert dabei eine Reaktion. Tabelle 3 stellt die einzelnen Aufmerksamkeitskomponenten und ihre Entsprechungen übersichtlich dar. 40 2.1.3 Aufmerksamkeitssteuerung Die Aufmerksamkeitssteuerung oder selektive Aufmerksamkeit umfasst die Fokussie­ rung auf einen umgrenzten Wahrnehmungsausschnitt. Dabei werden irrelevante Störreize aus­ geblendet und eine parallele Reizverarbeitung unterbunden. Dies bezieht ebenso die Fähigkeit ein, den Aufmerksamkeitsfokus zu wechseln und verschiedene Reize seriell einer isolierten Betrachtung zugänglich zu machen. Das Gegenstück zur fokussierten seriellen Reizverarbei­ tung stellt die parallele Reizverarbeitung, die geteilte Aufmerksamkeit, dar. Tabelle 3. Aufmerksamkeitskomponenten und ihre tätigkeitsbezogenen Konzepte (modifiziert nach Sturm, 1999) Intensität Steuerung Aufmerksamkeitskomponente Alertness Tätigkeitskonzept Vigilanz Langandauernde Signalentdeckungsaufga­ ben bei niedriger Reizdichte Daueraufmerksamkeit Langandauernde Signalentdeckungsaufga­ ben bei hoher Reizdichte Fokussierte Aufmerksamkeit Wahlreaktionsaufgaben, Aufgaben mit ab­ lenkenden Störreizen (Distraktoren) Geteilte Aufmerksamkeit Aufgaben mit paralleler Reizverarbeitung, Aufgaben zur kognitiven Flexibilität Einfache optische oder akustische Reakti­ onsgeschwindigkeitsmessung Für die parallele Reizverarbeitung ist neben der Komplexität der zu verarbeitenden Reize und den zur Verfügung stehenden Aufmerksamkeitsressourcen vor allem auch der Grad an Interfe­ renz, also die Ähnlichkeit der Reize oder Aufgabenstellung, entscheidend. Eine wesentliche Rolle spielt hierbei die Verarbeitungspriorität, die den wahrgenommenen Reizen eingeräumt wird. Diese richtet sich vor allem nach externen Gesichtspunkten wie besonderer Auffälligkeit (Farbe, Lautstärke) oder internen Faktoren wie Motivation und Erwartungshaltung. Diese wiederum werden maßgeblich durch (Selbstwirksamkeits-)Erfahrung und Lernen bestimmt (zum Konzept der Selbstwirksamkeit vgl. etwa Tsang, Hui & Law, 2012; s. a. nächster Ab­ schnitt). 41 2.2 Verhalten – Disinhibition und Verhaltensanalyse – das SORKC-Modell Den beschriebenen neuropsychologischen Funktionsbeeinträchtigungen in den Auf­ merksamkeitsleistungen folgen nach außen oftmals deutlich sichtbare Störungen des Verhal­ tens. Das in der Verhaltenstherapie zur Verhaltensanalyse gebräuchliche SORKC-Modell (Kanfer, 1989) lässt sich auch auf ein neuropsychologisches Modell der ADHS anwenden (s. Abb. 3). Das SORKC-Modell basiert auf der lerntheoretischen operanten Konditionierung (Skinner, 1938) und stellt eine mechanistische Abstraktion menschlichen Verhaltens nach dem Ursache-Wirkungsprinzip in einem vereinfachten Bedingungsgefüge dar. Während in der Kin­ derverhaltenstherapie jedoch vorwiegend Reiz und Reaktion als verhaltensindizierend- und -modulierend angesehen werden, wird von einer neuropsychologischen Warte gerade auch der Abbildung 3. SORKC-Modell zur ADHS aus neuropsychologischer Sicht (modifiziert nach Jacobs & Petermann, 2013) Organismusvariable eine wesentliche Bedeutung beigemessen. Als ursächlich für die ADHS wird hierbei eine Fehlfunktion in den dopaminergen und noradrenergen Neurotransmittersys­ temen (Katecholamine) des präfrontalen Kortex angenommen (vgl. etwa Rösler, Michael & Retz, Wolfgang, 2006)16. 16 In diesen Zusammenhang ist auch der medizinische Ansatz einer medikamentösen Behandlung der ADHS etwa mit Methylphenidat (Ritalin®) oder Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (Atomoxetin, Strattera®) zu stellen (Biederman & Spencer, 1999). Das Stimulanzium Methylphenidat blockiert vor allem den Dopamintrans­ port zwischen den cerebralen Nervenzellen und führt so zu einer Anreicherung von Dopamin im synaptischen Spalt (Volkow et al., 2004). Medikamente wie Ritalin®, die den Wirkstoff Methylphenidat enthalten, sind vor al­ lem wegen ihres Missbrauchspotentials umstritten (vgl. Upadhyaya et al., 2013). Methylphenidat ist in Deutsch­ 42 In der Verhaltensanalyse werden die Entstehung von und aufrechterhaltende Bedin­ gungen für Verhalten untersucht. Auf eine bestimmte Reizbedingung (Stimulus S; sozial, in­ tern, körperlich) folgt bei vorherrschender Organismusbedingung (O; biologischer Zustand) eine Reaktion (R; physisch, motorisch, kognitiv, emotional). Diese Reaktion ist eng mit kon­ tingenten (Kontingenz, K) Konsequenzen (C) verknüpft, die sich mittelbar und unmittelbar auf das (Erlernen von) Verhalten auswirken (vgl. etwa Steinhausen & von Aster, 1999). Dabei können positive oder negative Konsequenzen erfolgen, die die Auftretenshäufigkeit von er­ wünschtem und unerwünschtem Verhalten modulieren. Im Rahmen einer verhaltenstherapeu­ tischen Intervention wird erwünschtes Verhalten durch Belohnung (positive Verstärkung, C+) oder durch Beenden unangenehmer Reize (negative Verstärkung, /C//–//) aufgebaut. Uner­ wünschtes Verhalten hingegen wird durch Entzug von Belohnung (C ///+ ///) oder negative Konse­ quenzen (Bestrafung, C–) abgebaut beziehungsweise gelöscht (Extinktion). Dabei ist ein lang­ fristiger Aufbau erwünschten Verhaltens nur möglich durch positive Verstärkung, insbesonde­ re wenn sie erkennbar und verlässlich regelmäßig (kontingent) und nicht unvorhersehbar (in­ termittierend) eingesetzt wird. Bestrafung führt lediglich zu einem kurzfristigen Beenden oder Ausbleiben unerwünschten Verhaltens (vgl. a. Petermann, F., 2011). Kasten 4 beinhaltet beispielhaft Auszüge aus einem fiktiven, verhaltenstherapeuti­ schen Bericht zur Beantragung einer Verhaltenstherapie im Rahmen der kassenärztlichen Pati­ entenversorgung. Das klinisch relevante Verhalten wird zunächst global dargestellt. Die in den Diagnosekriterien der ICD-10 angeführten Verhaltensweisen werden skizziert (Symptomatik). Das entsprechende Verhalten wird dann innerhalb einer spezifischen Situation genau betrach­ tet (Analyse einer Mikrosituation), auf abstrakter Ebene beschrieben (Symptomatisches Ver­ halten) und anschließend nach dem SORKC-Modell strukturiert (Verhaltensanalyse). Auf ei­ ner systemischen Ebene werden die Entstehung des Verhaltens und entsprechende aufrechter­ haltende Bedingungen herausgearbeitet (Kontingenz und Systemanalyse). land seit 1954 verfügbar und zur Behandlung von ADHS ab einem Alter von 7 Jahren zugelassen. Für die Narko­ lepsiebehandlung liegen keine Altersbegrenzungen vor. Die Verschreibung von Methylphenidat hat in den letzten beiden Jahrzenten stetig zugenommen, von 1990 bis 2009 um das 184-fache (Schwabe & Paffrath, 2010). In Deutschland erhielten 2005 1.5 % aller Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren Methylphenidat (Kraut et al., 2013). Dabei erhielten Jungen eine entsprechende Medikation viermal häufiger als Mädchen. 43 Kasten 4 Anwendung des SORKC-Modells in einer auszugsweisen Fallvignette zur Beantragung kas­ senärztlicher Leistungen Bericht an den Gutachter zum Antrag des Versicherten auf Verhaltenstherapie Chiffre T150505 - Der Patient ist zum Zeitpunkt der Untersuchung 8;4 Jahre alt und besucht die 3. Klasse der Grundschule. Symptomatik Der Patient zeige sich zu Hause, in der Freizeit und in der Schule häufig unkonzen­ triert und ablenkbar. Er arbeite flüchtig und unstrukturiert. Es falle ihm schwer bei einer Sa­ che zu bleiben und begonnene Aufgaben zu beenden. Eine Bearbeitung der Hausaufgaben ist nur in einem reizarmen Raum unter ständiger Anleitung möglich. Wiederholt müsse der Pati­ ent—auch in der Schule—auf die Aufgabenstellung zurückgeführt werden. Dabei komme es immer wieder zu Konflikten mit der Mutter. Die schulischen Leistungen des Patienten fielen zusehends ab. In mehreren Lebensbereichen falle der Patient zudem durch sein Unvermögen auf, sich ruhig zu beschäftigen. Er springe unvermittelt auf, renne umher und klappere häufig mit Gegenständen oder nestele an etwas herum. Es sei kaum möglich, im Kreis der Familie etwa das Mittagessen ohne massive Störungen einzunehmen. Analyse einer Mikrosituation Der Patient soll seine Hausaufgaben erledigen. Die Mutter sitzt neben ihm und will bei der Bearbeitung helfen. Der Patient beginnt erst nach mehrmaliger Aufforderung mit der Be­ arbeitung der Aufgaben. Dabei arbeitet er ungenau und macht viele Flüchtigkeitsfehler. Er lässt sich immer wieder ablenken, steht auf, holt sich etwas zu trinken, sucht Arbeitsmaterial, geht zur Toilette etc. Die Mutter greift wiederholt ein und führt den Patienten immer wieder auf die Aufgabenstellung zurück. Im weiteren Verlauf wird die Mutter zunehmend wütend und beginnt den Patienten zu schimpfen. Der Patient reagiert ebenfalls wütend und wirft seine Arbeitsunterlagen vom Tisch. Die Situation eskaliert, die Mutter verlässt den Raum und knallt 44 die Tür hinter sich zu. Der Patient schreit ihr wüste Beschimpfungen hinterher und beginnt anschließend zu weinen. Später kommt die Mutter zurück und versucht den Patienten zu trös­ ten. Als Wiedergutmachung erhält der Patient ein Eis. Die Hausaufgaben muss er erst an ei­ nem anderen Tag erledigen. Symptomatisches Verhalten Motorik: wendet sich irrelevanten Reizen aus der Umwelt zu; Weinen und wütende Reaktionen aus dem Gefühl heraus, ungerecht behandelt zu werden. Kognition: Angst, nicht gut genug zu sein, für unzureichend gehalten zu werden („Wenn ich nicht genug leiste, werde ich nicht geliebt“; „Ich kann mich einfach nicht konzentrieren.“). Emotion: Ohnmachtsgefüh­ le wegen der wahrgenommenen Unzulänglichkeit; Wut und Traurigkeit über Ungerechtigkeit; Angst, nicht genug Zuwendung zu bekommen, nicht genug geliebt zu werden. Physiologie: innere Anspannung und Unruhe. Verhaltensanalyse Der Patient wird von seiner Mutter aufgefordert, seine Hausaufgaben zu erledigen (C–). Die Mutter setzt sich dazu, spricht ihm Mut zu (C+) und hilft bei der Erarbeitung der Aufgabenstellung (C+). Der Patient wird zunehmend unruhig, lässt sich von inneren Impulsen und äußeren Begebenheiten ablenken und entzieht sich der Situation (C ///–//). Die Mutter fordert den Patienten vehement zur konzentrierten Weiterarbeit auf (C–). Durch heftiges Diskutieren mit der Mutter muss der Patient die Hausaufgaben nicht weiter bearbeiten (C ///–//). Es kommt zum Streit, und die Bearbeitung der Aufgabe wird auf später verschoben (C ///–//). Später tröstet die Mutter den Patienten und gibt ihm ein Eis (C+). Kontingenz und Systemanalyse Das Verhalten wird kontingent aufgebaut und stabilisiert. Durch Streitereien kann sich der Patient der unerwünschten Tätigkeit entziehen (negative Verstärkung). Durch das Trösten wird der Patient später für sein Verhalten belohnt (positive Verstärkung). Über das Ausweichbzw. Vermeidungsverhalten sichert sich der Patient die Zuwendung seiner Mutter. Die Verhal­ 45 tensweisen des Patienten geben der Mutter eine Aufgabe, die sie voll und ganz beschäftigt. Zuwendung der Mutter erfolgt häufig durch Problemlösung. Immer wenn der Patient Proble­ me produziert, erhält er zeitnah die Aufmerksamkeit der Mutter. So erhält der Patient Bezie­ hungssicherheit. 46 3 ADHS und Sozialverhalten Das häufige gemeinsame Auftreten von ADHS und Störungen des Sozialverhaltens, insbesondere der Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten (F91.3 ICD-10), findet seinen Niederschlag in der bereits angesprochenen Möglichkeit der Kombinationsdiagnose hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens in der ICD-10 sowie der ehemaligen Zuordnung der ADHS zu den Störungen der Aufmerksamkeit, der Aktivität und des Sozialverhaltens im DSM-IV-TR. Dabei wird von einem starken Einfluss genetischer Komponenten ausgegangen, der sowohl der Ausbildung einer ADHS als auch einer Dispositi­ on zu aggressivem Verhalten zugrunde liegt. Tuvblad, Zheng, Raine und Barker (2009) konn­ ten in ihrer Studie für ADHS und Störungen des Sozialverhaltens entsprechend gemeinsame genetische Risikofaktoren identifizieren. Entsprechend weisen Ghosh und Sinha (2012) auf die Möglichkeit eines gemeinsamen psychopathologischen Spektrums hin, dass im Sinne der DSM-IV-TR-Kategorisierung sowohl ADHS als auch Störungen des Sozialverhaltens (opposi­ tional defiant disorder, conduct disorder) umfasst17. Die Erkenntnis, dass unterschiedliche psy­ chische Störungen womöglich auf die gleichen genetischen Veranlagungen zurückgehen, im­ pliziert zugleich jedoch auch die Schlussfolgerung, dass es dann nicht-genetische Wirkfakto­ ren sein können, die je nach Erfahrung der betreffenden Person zur Ausbildung einer entspre­ chend unterschiedlichen psychischen (Verhaltens-)Störung führen. So scheinen etwa familiäre Einflüsse—mithin die Beziehung zu primären Bezugspersonen—eine bedeutsame Rolle für die Entwicklung verschiedener Störungsbilder zu führen (Burt, Krueger, McGue & Iacono, 2001). Den wesentlichen Einfluss umfeldbezogener Faktoren—unabhängig von gleicher ge­ netischer Disposition—auf die Ausbildung etwa einer Angststörung oder einer depressiven Erkrankung konnten bereits Kendler, Heath, Martin und Eaves (1987) aufzeigen. Demnach er­ weisen sich die sozialen Erfahrungen als ausschlaggebend dafür, welches Störungsbild sich auf Basis der genetischen Veranlagung tatsächlich entwickelt. Die Frage nach einem eigen­ 17 Nach Meinung des Autors lässt sich im wissenschaftlichen Diskurs ein starker Einfluss eindimensionaler Be­ trachtungsweisen ausmachen. Indem verschiedene Störungsbilder etwa verstärkt von einem ADHS-orientierten Blickwinkel gesehen werden, kommt es zu einer tendenziösen Interpretation verschiedenster Symptome, die dann im Sinne von Spektrumserkrankungen umfassende Einsichten liefern sollen. Die sicherlich richtige Kon­ zeptualisierung der ADHS als Lebensspannenerkrankung mit Symptomveränderungen und -verschiebungen von der Kindheit über die Jugend ins Erwachsenenalter hinein verleitet etwa zu der Annahme, mannigfache psychi ­ sche Störungen seien als Variationen und Begleiterscheinungen einer möglichen ADHS zu sehen. Das Aufdecken umfassender Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Störungsbilder aus einem bestimmten Blickwinkel darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass solche Verallgemeinerungen per definitionem allgemeine Interpretations­ möglichkeiten eröffnen, mithin eine konzeptuelle Ausweitung ebenso gut eine Verwässerung mit bloß scheinba­ rem Erkenntniszugewinn darstellen kann. 47 ständigen Störungsbild, dass sich durch das häufige gemeinsame Auftreten von aggressivem und hyperkinetischem Verhalten auszeichnet (Christiansen et al., 2008) kann ebenfalls inner­ halb dieses Bezugsrahmens gesehen werden. Loeber, Burke, Lahey, Winters und Zera (2000) liefern ein vielbeachtetes Modell, nachdem die ADHS mit weiteren Risikofaktoren zu opposi­ tionell-trotzigem, aggressiv-dissozialem Verhalten und im Erwachsenenalter zu dissozialen Persönlichkeitsstörungen führen kann. Dieses Modell wird durch zahlreiche neuere Studien gestützt, die den Zusammenhang zwischen ADHS und der Entwicklung einer oppositionellen Verhaltensstörung belegen (vgl. hierzu die Übersichtsarbeit von Witthöft et al., 2010). Dabei erhöht das Vorliegen einer ADHS das Risiko, zusätzlich eine Störung mit oppositionellem Verhalten auszubilden, die wiederum die Entwicklung einer aggressiv-dissozialen Störung be­ günstigt (vgl. van Lier, van der Ende, Koot & Verhulst, 2007). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Forschung zum gemeinsamen Auftreten von ADHS und Störungen des Sozialverhaltens nicht abgeschlossen ist. Weitere Forschungen werden ergeben müssen, wel­ che Möglichkeiten sich aus Verknüpfungspunkten in der Ätiologie der Störungsbilder auch für eine effiziente Behandlung betroffener Kinder, Jugendlicher und Erwachsener ergeben. Von entscheidender Bedeutung kann dabei eine, wie im DSM-V bereits vorgelegte, differenzierte­ re Betrachtung von Ursache und Folge, Wesen und Bedeutung einer Störung sein. Dabei bleibt festzuhalten, dass die durch das DSM-V vorgenommene Abgrenzung der ADHS von der Störung des Sozialverhaltens lediglich eine diagnostisch-strukturelle ist. Das häufige ge­ meinsame Auftreten beider Störungsbilder wird nicht angezweifelt. 3.1 Die Bedeutung der sozialen Interaktion und des psychosozialen Funk­ tionsniveaus Die Bedeutung der sozialen Interaktion bei ADHS stellt in der ICD-10 etwa die Kom­ binationsdiagnose hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens heraus. Auch im DSM-IV-TR wird das notwendige Vorliegen einer klinisch signifikanten Beeinträchtigung (impairment) unter anderem des psychosozialen Funktionsniveaus (social functioning) zur Diagnose einer ADHS betont (APA, 2000). Dies meint unter anderem auch Schwierigkeiten, Freundschaften aufzubauen und zu erhalten. So werden ADHS-betroffene Kinder deutlich häufiger von Klas­ senkameraden abgelehnt als Kinder ohne ADHS (Hoza et al., 2005). Es kommt zu Vorurtei­ len, sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung (Mueller, Fuermaier, Koerts & Tucha, 2012). 48 Soziale Isolation führt im Gegenzug zu Defiziten im Erwerb sozialer Kompetenzen, die wie­ derum zu weiterer sozialer Ablehnung führen (Murray-Close et al., 2010). Im DSM-V wird an der Bedeutung der sozialen Beeinträchtigung bei ADHS— auch ins Erwachsenenalter hinein—festgehalten, dies insbesondere mit Blick auf eine Reduktion der Symptome ohne eine Reduktion der entsprechenden sozialen Beeinträchtigungen ins Er­ wachsenenalter hinein (etwa Nachlassen der Hyperaktivität). Garcia et al. (2012) konnten in diese Zusammenhang etwa auch belegen, dass es bei ADHS-Erkrankten häufiger zu belasten­ den Lebensereignissen kommt. Zwar erweist sich das soziale Funktionsniveau ADHS-Betroffener über die Lebens­ spanne hinweg als durchgehend beeinträchtigt (vgl. etwa Schmidt, Schüßler & Petermann, 2012), zunächst jedoch tritt die ADHS häufig verdeckt im Zusammenhang mit Lern- und Ver­ haltensschwierigkeiten bei Schuleintritt und sukzessiv steigenden Leistungsanforderungen in Erscheinung (vgl. etwa Haworth et al., 2009; Jacobs, Tischler & Petermann, 2009; Willcutt, et al., 2010; Yoshimasu et al., 2011). In diesem Lebensabschnitt bewegen sich die Kinder häufig zum ersten Mal innerhalb festgelegter Strukturen. Es wird von Ihnen erwartet, dass sie längere Zeit stillsitzen und sich auf vorgegebene Aufgabenstellungen konzentrieren können. Aufmerk­ samkeitsgestörte Kinder können diesen Anforderungen oftmals nicht entsprechen. Mit zuneh­ mender Komplexität des Lehr- und Lernstoffs reichen zudem kompensatorisch genutzte neu­ ropsychologische Basiskompetenzen, wie etwa eine gute Lern- und Merkfähigkeit, nicht mehr aus, um die defizitären Aufmerksamkeitsfunktionen zu stützen (vgl. Jacobs & Petermann, 2013; Petermann & Toussaint, 2009; Tischler et al., 2010). Doch nicht nur das Sozialverhalten des Kindes etwa in Schule und Freizeit spielt hier eine Rolle. Von besonderem Interesse sind mit Blick auf wechselwirksame Zusammenhänge zwischen Sozialverhalten und ADHS auch transgenerationale, innerfamiliäre Verhaltensdyna­ miken. Problematische Eltern-Kind-Beziehungen treten dabei insbesondere bei komorbiden Störungen des Sozialverhaltens auf (Johnston, Chen & Ohan, 2006). Negative elterliche Attri­ buierungen für das Verhalten des Kindes wie „Es gibt sich keine Mühe“ oder „Es benimmt sich daneben“ ergeben sich hierbei deutlich häufiger als bei normalgesunden Kindern oder Kindern mit einfacher ADHS (ebd., S. 68f). Dabei beeinflusst die Ursachenzuschreibung für das kindliche Problemverhalten durch die Eltern sowohl das Verhalten der Eltern als auch das des Kindes (Bugental & Johnston, 2000). Es besteht mithin eine Reziprozität zwischen kindli­ 49 chem (Problem-)Verhalten und der Art und Weise wie die Eltern dieses Verhalten wahrneh­ men (Johnston et al., 2006). Haeley, Flory, Miller und Halperin (2011) weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ein positiver mütterlicher Erziehungsstil das psychosoziale Funktionsniveau ADHSbetroffener Vorschulkinder anhebt, wenn Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität relativ gering ausgeprägt sind. Insbesondere impulsive Verhaltensweisen des Kindes (temperamental impul­ sivity) wirkten sich jedoch negativ auf das mütterliche Stresserleben aus. Ein hohes Stresser­ leben führe wiederum zu einem vermehrt strafenden und inkonsistenten Erziehungsverhalten der Mutter. Der verhaltenstherapeutische Blickwinkel bestätigt, dass sich ein angemessenes psychosoziales Funktionsniveau (sozial erwünschtes Verhalten) langfristig nur über positive Verstärkung und nicht über Bestrafung und inkonsistentes Erziehungsverhalten aufbauen lässt (s. Abschnitt 2.2; Petermann, 2011). Auch Deault (2010) kommt in einer systematischen Un­ tersuchung empirischer Studien von 2000 bis 2008 zu dem Schluss, dass ADHS mit einem hö­ heren Stressniveau innerhalb der Familie, funktionellen Beeinträchtigungen der Kinder im so­ zialen Kontext und negativer Eltern-Kind-Beziehung einhergeht. Eltern ADHS-betroffener Kinder zeigen sich ihren Kindern gegenüber in der Regel hyperreaktiv, kritischer sowie weni­ ger wohlwollend und einfühlsam (Modesto-Lowe, Danforth & Brooks, 2008). Ein solches Er­ ziehungsverhalten zeigt sich verstärkt auch bei komorbiden oppositionellen Verhaltensstörun­ gen des Kindes. Alizadeh, Applequist und Coolidge (2007) konnten in diesem Zusammenhang belegen, dass Eltern von Kindern mit ADHS über weniger Selbstvertrauen und einen weniger liebevollen Erziehungsstil verfügen (warmth and involvement). Zudem neigten die Eltern in dieser Studie eher zum Einsatz körperlicher Züchtigung als Erziehungsmittel als Eltern in der Kontrollgruppe mit Kindern ohne ADHS. 3.2 Beeinträchtigte Exekutivfunktionen – soziodynamische Grundlagen der ADHS im Erwachsenenalter Die gesellschaftlichen strukturellen Vorgaben in Unterricht und Ausbildung nehmen ins Erwachsenenalter hinein stetig ab. Im Gegenzug nimmt die Bedeutung eigener strukturie­ render und organisatorischer Fähigkeiten—auch der Emotions- und Verhaltensregulation— stetig zu. Bei ADHS im Jugend- und Erwachsenenalter spielt neben den Kardinalsysmptomen Unaufmerksamkeit, (remittierende) Hyperaktvität und Impulsivität entsprechend eine mit der 50 defizitären Aufmerksamkeitsleistung zusammenhängende Beeinträchtigung der Exekutivfunk­ tionen eine wesentliche Rolle (Gregg, 2009; Mapou, 2009). Exekutivfunktionen repräsentie­ ren Aufmerksamkeitsprozesse höherer Ordnung, die zielorientierte Handlungsplanung und Strukturierung ermöglichen. Auf sozialer Ebene kommt es bei defizitären Exekutivfunktionen zu verminderter Introspektionsfähigkeit einerseits und fehlendem Einfühlungsvermögen ande­ rerseits sowie etwa zur Fehlinterpretation sozialer Rückmeldungen und Nichteinhalten von Gesprächskonventionen (Drechsler, 2007). Mit Blick auf die Aufmerksamkeitssteuerung in sozialen Situationen kommt es entsprechend etwa zu Minderleistungen in der parallelen Reiz­ verarbeitung in Gesprächssituationen (vgl. Baddeley, 2002) oder mangelhafter Hemmungsfä­ higkeit etwa in sozialen Konfliktsituationen (vgl. Drechsler, 2007). Im Jugend- und Erwachsenenalter nehmen in der Regel auch eigenverantwortliches Handeln und dessen Auswirkungen auf beruflicher sowie sozialer Ebene zu. Von Jugendlichen und Erwachsenen wird gemeinhin erwartet, dass sie sich selbständig strukturieren und ihren täglichen Tätigkeiten selbstbestimmt nachgehen. Die eigenverantwortliche Sorge um Beruf, Gesundheit und Lebensunterhalt sowie Partnerschaft, Ehe und Kindererziehung stellt an ADHS-Betroffene jedoch ungleich höhere Anforderungen als an normalgesunde Jugendliche und Erwachsene (Barkley & Benton, 2010). Impulsive Entscheidungen in Beruf und Bezie­ hung, wie Kündigung von Arbeitsverhältnissen und Beziehungsabbrüche, wirken sich weitrei­ chender auf das Leben eines Erwachsenen aus, als etwa das wütende Beenden einer Liebesbe­ ziehung im Jugendalter (zu behavioralen Impulsivitätsmodellen s. Winstanley, Eagle & Rob­ bins, 2006). 3.3 ADHS und Partnerschaft Liebesbeziehung und Ehe stellen aufgrund ihres in der Regel rein privaten Charakters einen besonderen Fall sozialen Zusammenlebens dar. Sie erweisen sich als weitgehend frei von unmittelbarer gesellschaftlich vermittelter Struktur und Handlungsvorgabe. Der negative Einfluss einer ADHS auf Ehe, Partnerschaft und innerfamiliäre Interaktionsmuster ist seit lan­ gem bekannt (vgl. etwa Robin & Payson, 2002). Hinzu kommen die Partnerschaft belastende arbeits- und finanzbezogene Probleme (Jans & Jacob, 2013). Die Partner beklagen (scheinba­ re) Vergesslichkeit, impulsives, unüberlegtes und unstrukturiertes Reden und Handeln, Unzu­ verlässigkeit oder mangelhafte Konflikt- und Problemlesefähigkeit bei eingeschränkter Frus­ 51 trationstoleranz. Dies führt in Beziehungen ADHS-Betroffener zu ineffektiven und negativen Verhaltensmustern (Pera, 2008). Dabei besteht ebenfalls ein Zusammenhang zwischen riskan­ tem Sexualverhalten im Erwachsenenalter und dem Vorliegen einer ADHS im Kindesalter (vgl. Barkley, Fischer, Smallish & Fletcher, 2006; Flory, Molina, Pelham, Gnagy & Smith, 2006), insbesondere bei bestehender Hyperaktivität. Sowohl ADHS-betroffene Männer als auch Frauen berichten über früher einsetzende sexuelle Aktivität, häufigere und wechselnde Sexualpartner (more casual sex) sowie sexuell übertragene Krankheiten und frühere Schwan­ gerschaften (Hosain, Berenson, Tennen, Bauer & Wu, 2012). Allerdings finden sich in der Studie von Barkley et al. (2006) keine Hinweise auf eine erhöhte Scheidungsrate bei ADHSbetroffenen Erwachsenen (vgl. Barkley, Murphy & Fischer, 2008; Minde et al., 2003; Mur­ phy, Barkley & Bush, 2002). Dennoch schätzen sowohl Frauen als auch Männer mit ADHS ihre Ehe oder Partnerschaft als weniger zufriedenstellend ein als Erwachsene ohne ADHS (Barkley et al., 2008). Diese Ausführungen unterstreichen erneut, dass die Kernsymptomatik der ADHS in das vorgegebene Bedingungsgefüge gleichsam hineinwächst und dieses ausfüllt. Je nach Ein­ schränkung oder Akzeptanz durch das soziale und institutionelle Umfeld kommt es dann zur Ausbildung entsprechend variabler Symptome und ihrer Ausprägungen als (pathogene/patho­ logische) Kompromissbildung. 3.3.1 Exkurs – ADHS und Bindungstheorie Die Bindungstheorie (vgl. Bowlby, 1960) ist in der Psychoanalyse verwurzelt, entwi­ ckelte sich im Gegensatz zu anderen psychoanalytischen Theorien jedoch nie zu einer eigen­ ständigen Strömung (Fonagy, 2001). Während die klassische Psychoanalyse Freuds wie auch die Ichpsychologie (vgl. etwa Freud, 1936) und die aktuell vorherrschende Objektbeziehungs­ theorie (s. Kernberg, 1980) sich mit den inneren Repräsentanzen äußerer Realität befassen, sah Bowlby in der sozialen Interaktion ein biologisch motiviertes Verhaltens- und Bindungs­ system (1969), das zunächst unabhängig von einem Zielobjekt (Mutter) das Bedürfnis des Säuglings nach Nähe und Trennung einleite und aufrechterhalte (Bowlby, 1958, 1969, 1973): Bei Abwesenheit der primären Bezugsperson werde es aktiviert, bei hergestellter körperlicher Nähe wiederum deaktiviert. Entsprechend lag für Bowlby der wesentliche Grund für die Ent­ wicklung psychischer Störungen in einer Inkonsistenz in der Mutter-Kind-Beziehung, wie sie 52 etwa durch eine längere Abwesenheit der Eltern verursacht sein kann. Eine solche Abwesen­ heit von Bindungsfiguren (Mutter, primäre Bezugsperson) wirke sich hemmend auf das natür­ liche Explorationsverhalten des Kleinkindes aus (s. Ainthworth, 1963; Rajecki, Lamb & Ob­ mascher, 1978). Hier findet sich ein wesentlicher Verknüpfungspunkt zur neurologischen Auf­ merksamkeitsdefinition, wie sie in Abschnitt 2 dargelegt wurde. Eine Weiterentwicklung der Bindungstheorie erfolgte anhand der sogenannte Fremden Situation (Ainthworth, Blehar, Waters & Wall, 1978), in der die Reaktionen von Kindern auf die Trennung (= körperliche Abwesenheit) der Mutter bewertet wurde: In einem 20-minütigen Verfahren wurden die Kinder zwei kurzen Trennungssituationen ausgesetzt (Mutter verlässt den Raum und kehrt nach kurzer Zeit zurück). Das Verhalten der Kinder ließ sich kategorial bewerten und in verschiedene Bindungstypen einteilen. Ainthworth et al. kamen wie auch Bowlby (1973) zu dem Schluss, dass ab einem bestimmten Entwicklungsstand nicht allein die tatsächliche Abwesenheit der Mutter für das Reaktionsverhalten des Kindes verantwortlich zeichnet, sondern vielmehr die Verfügbarkeit (Bowlby, 1973, S. 246) der Mutter—ein erfah­ rungsbasiertes inneres Arbeitsmodell (vgl. Craik, 1943). Hier findet sich—im Sinne grundlegender kognitiver Mechanismen—die Schnittstelle zwischen bindungstheoretischem, neuropsychologischem (aufmerksamkeits- und gedächtsnis­ bezogenem), verhaltenstherapeutischem (lerntheoretischem), objektbeziehungstheoretischem (Selbst, Objekt und verbindende affektive Qualität) und neurologischem bzw. hirnorgani­ schem Bezugsrahmen (s. Abb. 4). Diese Verbindungen zu anderen Forschungs- und Behand­ lungsrichtungen ermöglichen eine umfassende Sichtweise auf die Entwicklungspsychopatho­ logie der ADHS im Zusammenhang mit Bindung, sozialer Interkation und Partnerschaft (s. Abschnitt 3.3.2). Das Kind internalisiert das elterliche Verhalten und entwickelt gleichsam strukturell-psychische Komplexe kondensierter Erfahrung. Entsprechend beeinflusst die Part­ nerschaft der Eltern als Modell das kindliche Bindungsverhalten (Grossmann, 1993). Hier sollte jedoch zwischen zwei Betrachtungsweisen unterschieden werden: Das bindungstheore­ tische Arbeitsmodell (s. o.)—ebenfalls eine erfahrungsbasierte mentale Repräsentation—be­ zieht sich zuvörderst auf die Interaktion zwischen Elternteil und Kind, und nicht auf die Inter­ aktion der Eltern untereinander. Hier steht die unmittelbare Erfahrung im Vordergrund. In der sozial-kognitiven Lerntheorie nach Bandura hingegen ermöglicht das (Eltern-)Modell stell­ vertretendes Lernen durch Beobachtung und Imitation, „weswegen als synonyme Begriffe 53 auch Beobachtungs-, Nachahmungs-, Vorbild-, Imitations- oder soziales Lernen Verwendung finden“ (Petermann & Petermann, 2011, S. 56). Vereinfacht bedeutet dies, dass Bindung und Partnerschaft auf zwei Ebenen betrachtet werden sollten: die Partnerschaft zwischen den El­ tern, wie sie für das Kind im Außen sicht- und erlebbar ist (Modelllernen/Verhaltenstherapie), einerseits und die als mentale Repräsentation verinnerlichte Interaktion zwischen Kind und Elternteil (inneres Arbeitsmodell/Bindungstheorie) andererseits18. 3.3.2 Bindung als Teil eines aufmerksamkeitsbasierten Explorations- und Part­ nerschaftsmodells Das Explorationsverhalten des Kindes erweist sich als unmittelbar reziprok zur Aus­ bildung des Bindungstyps, wie ihn Ainthworth et al. (1978) herausgearbeitet haben: Wenn ein Kind über ein sicheres Bindungssystem verfügt, ist es in der Lage seine Umgebung zu explo­ rieren, ohne aufgrund der Trennung von der primären Bezugsperson in Stress zu geraten (vgl. Gaertner, 2004). Ein im Zusammenhang mit dem verfügbaren Bindungssystem beeinträchtig­ tes Explorationsverhalten wirkt sich entsprechend etwa negativ auf die explorationsabhängige Fähigkeit zur Reflexion aus, wie Fonagy und Target sie in ihrem Mentalisierungsmodell her­ ausgearbeitet haben (Fonagy & Target, 2003). Hier findet sich eine Verknüpfung zwischen Er­ kundung der Umwelt und dem Verständnis von sozialen Interaktionen (Fonagy, Target, Gerge­ ly, Allen & Bateman, 2004; vgl. Schüle, 2006). Mentalisierung bezeichnet demnach „die Fä­ higkeit, interpersonales Verhalten unter dem Blickwinkel psychischer Zustände zu begreifen … [als] eine ausschlaggebende Determinante der Organisation des Selbst und der Regulation von Affekten … im Kontext früher Bindungsbeziehungen (Fonagy & Target, 2006, S. 364). Der Autor sieht hier eine Entsprechung zur Rolle der Inhibitionsfähigkeit und der exekutiven Funktionen mit Bezug zu Emotionsregulation und sozialer Interaktion, wie sie etwa Drechsler (2007) dargestellt hat. Des Weiteren wissen wir, dass insbesondere die visuelle Wahrnehmung und Informationsverarbeitung (Petermann, F., Knievel & Tischler, 2010; Tischler, Knievel, et al., 2010) einen wesentlichen Einfluss auf die Explorationsfähigkeit des Menschen ausüben— 18 Die psychoanalytische Objektbeziehungstheorie integriert beide Blickwinkel: die Ausbildung und Etablie­ rung von Selbst- und Objektrepräsentanzen mit Bezug zu unterschiedlichen Affektdispositionen (i. S. emotiona­ ler Erfahrungen) in drei hierarchisch unterscheidbaren Identifizierungssystemen: Introjekt, Identifizierung und Ichidentität, wie Kernberg (1976) sie beschreibt. Dabei wird die Verknüpfung zwischen Selbst- und Objektreprä­ sentanz über die genannten, aus der Interaktion gespeisten, Affektdipositionen (affektive Einfärbungen) herge­ stellt. 54 dies im multisensorischen Zusammenspiel auch mit taktilen Erfahrungen (vgl. etwa Lunghi & Alais, 2013; Shams & Seitz, 2008; Zangaladze, Epstein, Grafton & Sathian, 1999). Als grund­ legendste aller neuropsychologischen Basiskompetenzen tritt wiederum—gleichsam als ver­ bindendes und integratives Element—die Aufmerksamkeitsleistung in das Zentrum der Be­ trachtung (s. a. Kimchi, 2009). Als Voraussetzung erweist sich hier ein Mindestmaß an Auf­ merksamkeitsintensität, die die Grundlage zur Aufmerksamkeitssteuerung (selektive Auf­ merksamkeit; etwa Fokussierungsfähigkeit und Blicksteuerung) darstellt (s. Abschnitt 2.1.4). Ein Hinweis auf den Einfluss von Lern- und Merkfähigkeit, die den exekutiven Zusammen­ hang zwischen Aufmerksamkeit, Erfahrung und (auditiv, taktil, olfaktorisch, gustatorisch) vi­ suell bedingtem (Wieder-)Erkennen herstellt und manifestiert, erweist sich hier als nahezu redundant (vgl. orientierend etwa das Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley, 1986; s. hierzu Kerns, McInerney & Wilde, 2001). Diese Zusammenhänge stellen nach Meinung des Autors die wesentlichen Bedingungen für die weitere psycho-physiologische Reifung des Menschen dar (vgl. Bhatt & Quinn, 2011, S. 30: "We believe that ultimately it will be found that mecha­ nisms of learning work interactively with maturational factors to drive development"). Das Gehirn verfügt dabei über eine andauernde strukturelle und funktionelle Plastizität entspre­ chend den gemachten Erfahrungen (McEwen, Eiland, Hunter & Miller, 2012). Dieser Neuro­ plastizität liegen Interventionsansätze zugrunde, die auch bei ADHS-Betroffenen langfristige Verhaltensänderungen erzielen sollen, indem sie direkt auf die Hirnentwicklung Einfluss zu nehmen versuchen (vgl. Gopin & Healey, 2011; Halperin & Healey, 2011). Abbildung 4 zeigt schematisch das entsprechende Bedingungsgefüge, in dem sich—über die Lebensspanne—die Aufmerksamkeit entwicklungsbezogen gleichsam als Substrat erweist. Den zentralen Aspekt stellt innerhalb dieses Modells das Explorationsverhalten des Menschen dar, der über die Lebensspanne verschiedene Beziehungsformen initiiert, aufrecht­ erhält und abbricht (etwa Eltern-Kind-Beziehung, Freundschaft, Partnerschaft und Liebesbe­ ziehung) und sich in seiner Umwelt verhält. Aus biologischer Perspektive entsteht Verhalten (Kognition, Emotion, Motorik) dabei in einem komplexen Zusammenspiel elektrophysiologi­ scher (Nervensystem) und biochemischer (endokrines/hormonelles System) Vorgänge. Die Entwicklung von Verhalten und die Reifung der verschiedenen Systeme verhalten sich rezi­ prok und werden wesentlich beeinflusst von den durch sie selbst ermöglichten Erfahrungen 19. 19 Dies entspricht einer autopoietischen Auffassung von umfassenden Inter- und Intradependenzen menschli­ cher Entwicklung, wie sie ansatzweise auch in der sogenannten Dynamic Causal Modelling (DCM) -Theorie An­ 55 In diesem Zusammenhang diskutieren etwa Dahmen, Pütz, Herpertz-Dahlmann und Konrad (2012) den Einfluss früher pathogener Erziehungseinflüsse (early pathogenic care) auf die Entstehung von Dysfunktionen im limbischen System, die mittelbar zu ADHS-ähnlichem Ver­ halten führen: „Thus, the complex phenotype observed after early pathogenic care might be best described by a dimensional approach with behavioural and neurobiological similarities to ADHD coinciding to a certain degree as a function of early experiences” (ebd., S. 1030). Abbildung 4. Aufmerksamkeitsbasiertes Explorations- und Partnerschaftsmodell (A = Auf­ merksamkeit) Hier ergibt sich ebenfalls eine mögliche Verknüpfung zur Genese etwa einer reaktiven Bin­ dungsstörung (RAD), die ebenfalls deutliche ADHS-Symptome aufweist. Niederhofer (2009) untersuchte 101 Kinder (87 Jungen, 14 Mädchen) mit ADHS-ähnlichen Symptomen. Von den 79 unsicher-gebundenen Kindern wiesen 72, von den 22 sicher-gebundene Kindern lediglich 5 ADHS-ähnliche Symptome auf. Eine besondere Rolle sollte bei zukünftigen Betrachtungen wendung findet (Friston, Harisson & Penny, 2003), um Wirkungszusammenhänge innerhalb dezentralisierter Systeme (Gehirn) darzustellen. 56 die Impulsivität im sozial-interaktiven Bezugsrahmen (social relatedness; APA, 2010c) spie­ len—bei ADHS liegt der Schwerpunkt wissenschaftlicher Kategorienbildung gegenwärtig bei Verhalten und Kognition. Weiterhin wird zu klären sein, ob Interaktionsstörungen (s. Schmidt, M. H., 2008) wie RAD pathogenetisch nicht sogar schwerere oder frühere Formen einer „ADHS“ darstellen (vgl. hierzu Sonuga-Barke & Rubia, 2008), und welche Rolle hierbei frü­ he Bindungserfahrungen spielen20. Studien belegen, dass etwa eine frühe Vernachlässigung in der Beziehung zu primären Bezugspersonen sich negativ auswirkt auf Verhalten, Kognition (Intelligenz, Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis etc.) sowie Gehirnstruktur und -funktion (Hart & Rubia, 2012; Konrad, Pütz, Dahmen & Herpertz-Dahlmann, 2012). 20 In diesem Sinne verschöbe sich der Ansatz wissenschaftlicher Bemühung möglicherweise von einer katego­ rialen wieder hin zu einer tatsächlich phänomenologisch orientierten Betrachtung der ADHS. Entsprechend stün­ de im Vordergrund nicht das Zuschreiben von lebensspannenbezogenen Symptomen zum Störungsbild ADHS— was nach Meinung des Autors zu einer inakkuraten Ausweitung des Konzepts der ADHS führt, sondern die Ein­ ordnung der ADHS in eine grundsätzliche Phänomenologie psychischer Störungen mit Blick auf das sozio-emo­ tionale Funktionsniveau Betroffener und deren Teilhabe an der Gesellschaft. 57 4 Wirksamkeitsstudien zum ATTENTIONER-Trainingsprogramm In den vergangenen Abschnitten wurde, ausgehend von der Konzeptualisierung und Kategori­ enbildung in den gängigen Klassifikationssystemen psychischer Störungen die funktionsbezo­ gene sowie die verhaltensbezogene Symptomatik der ADHS über die Lebensspanne herausge­ arbeitet. Es wurde deutlich, dass die Kernsymptomatik erhalten bleibt, ihre Ausprägung je­ doch je nach Umwelt der ADHS-Betroffenen variiert. Als wesentlich und grundlegend wurde hier die Rolle einer gestörten Inhibitionsfähigkeit (Impulsivität) in Handeln, Denken und Pla­ nen betont. An diesem Punkt setzt das neuropsychologische Gruppenprogramm ATTENTIO­ NER (Jacobs & Petermann, 2013) zur Behandlung von Aufmerksamkeitsstörungen im Kin­ des- und Jugendalter an. Der folgende Abschnitt stellt zusammenfassend die Ergebnisse einer Studie aus der Inanspruchnahmepopulation der Psychologischen Kinderambulanz der Univer­ sität Bremen dar (Tischler et al., 2011). In mehreren Studien wurde die Wirksamkeit des ATTENTIONERS anhand einfacher Prä-post-Messungen und einer Prä-post-post-Studie untersucht (Jacobs & Petermann, 2005, 2007, 2008). Eine kurze Darstellung der Trainingsinhalte und des verhaltenstherapeutischen Rahmenkonzepts findet sich an gleicher Stelle sowie ausführlich in Jacobs und Petermann (2008, 2013). Die gemessenen Verbesserungen in der Aufmerksamkeitssteuerung erwiesen sich als nachhaltig. In einer neueren Untersuchung (Tischler et al., 2011) konnte die Wirksam­ keit des Trainings anhand eines Prä-prä-post-Designs belegt werden. Abbildung 5 stellt die verschiedenen Untersuchungsdesigns der Wirksamkeitsstudien zum ATTENTIONER-Trai­ ning anschaulich dar. Die jeweiligen Messungen zur Überprüfung der Aufmerksamkeitsleistungen, T1, T2 und T3, wurden hierbei zu verschiedenen Zeitpunkten vor und nach der Intervention durchge­ führt. Die Wartezeit zwischen den Messzeitpunkten vor und nach dem Training ist durch waa­ gerechte Pfeile dargestellt. Die Ringe um die jeweiligen Messzeitpunkte sowie die Uhren stel­ len die variablen Wartezeiten zwischen den Messzeitpunkten innerhalb der verschiedenen Stichproben dar. Sie erweisen sich als mögliche Störfaktoren und können einen Einfluss auf die Ergebnisse der Aufmerksamkeitsprüfung ausüben. Lediglich in der Untersuchung von Tischler et al. (2011) wurde dieser Einfluss kontrolliert. Hier wurde neben der zur Diagnose­ stellung erforderlichen Eingangsdiagnostik eine erneute Überprüfung der Aufmerksamkeits­ leistung unmittelbar vor der therapeutischen Intervention durchgeführt. Anhand dieses Prä- 58 prä-post-Designs (Quasi-Kontrollgruppen-Design) ist es möglich, etwaige Einflüsse der War­ tezeit zwischen den Messzeitpunkten T1 und T2 vor der Aufmerksamkeitstherapie aufzude­ cken. Auf diese Weise kann ausgeschlossen werden, dass Veränderungen in den Aufmerksam­ keitsleistungen der Intervention zugerechnet werden, die ursächlich jedoch mit Veränderungen etwa im familiären oder Schulalltag der betroffenen Kinder und Jugendlichen in Zusammen­ hang stehen. Möglicherweise wird etwa ein Kind mit Verdacht auf eine Aufmerksamkeitsstö­ rung untersucht, das lediglich kurzfristig auffällige Ergebnisse erzielt. Nach einer Intervention erschiene das entsprechende Kind als symptomfrei, obwohl das schlechte Abschneiden in der vorherigen Aufmerksamkeitsdiagnostik realiter auf Müdigkeit, Angst vor der aktuellen Prü­ fungssituation oder andere äußere Erlebnisse und innere Befindlichkeiten zurückzuführen ist —also nie eine klinisch relevante Beeinträchtigung der Aufmerksamkeitsleistung im Rahmen einer Aufmerksamkeitsstörung vorgelegen hat. Auf dieselbe Weise wird für den Messzeit­ punkt unmittelbar nach Beendigung des Trainings der mögliche Einfluss von Störgrößen au­ ßerhalb der Therapie minimiert. 1. Prä-post (Jacobs & Petermann, 2007) 2. Prä-post-post (Jacobs & Petermann, 2008) 3. Prä-prä-post (Tischler et al., 2011) Abbildung 5. Untersuchungsdesigns der Wirksamkeitsstudien zum ATTENTIONER-Training (modifiziert nach Jacobs & Petermann, 2013, S. 169) Die Untersuchung von Jacobs und Petermann (2007) kontrolliert in diesem Zusam­ menhang weder die Wartezeit vor, noch die Wartezeit nach der Durchführung des ATTEN­ 59 TIONER-Trainings. Die weitere Untersuchung von 2008 legt dar, dass sich die zum Messzeit­ punkt T2 (unmittelbar nach der Therapie) erzielten Ergebnisse in den Subtests Geteilte Auf­ merksamkeit und Go/Nogo ½ der TAP (Zimmermann & Fimm, 2002) auch nach 10 bis 76 Monaten (Messzeitpunkt T3; Mittelwert = 32.7, Standardabweichung = 17 Monate) als weit­ gehend stabil erweisen. Es ergibt sich zwischen den Ergebnissen von T2 zu T3 kein signifi­ kanter Unterschied. Allerdings können erweisen sich diese Ergebnisse als nicht ausreichend belastbar, da mögliche Störgrößen vor Beginn des Trainings nicht kontrolliert wurden. Die Frage der Quali­ tätssicherung und Weiterentwicklung therapeutischer Standards zielt auf eine wissenschaftlich untermauerte und nachweisbar effektive Behandlung. Somit hängen Qualitätssicherung und Evaluationsforschung eng zusammen (Müller, 2007). In diesem Zusammenhang wurde der Begriff der Evidenzbasierten Medizin (EbM; Sackett, Rosenberg, Gray, Haynes & Richard­ son, 1996) eingeführt. Evidenz meint in diesem Zusammenhang Beweis (und nicht Offenkun­ digkeit) und unterstützt so den wissenschaftlichen Anspruch, sichere und eindeutige Ergebnis­ se zu produzieren. Die evidenzbasierte Evaluation einer psychotherapeutischen Intervention sollte von dieser Warte aus entsprechend festgelegten Kriterien genügen. Ein randomisiertes Wartekontrollgruppen- beziehungsweise Quasi-Kontrollgruppendesign, wie es in der Untersu­ chung von Tischler et al. (2011) Verwendung findet, erfüllt diesen Anspruch (vgl. Dick & Kringler, 2007). Es kann entsprechend davon ausgegangen werden, dass die von Tischler et al. beschriebenen, kurzfristigen Verbesserungen in der Aufmerksamkeitssteuerung tatsächlich auf die therapeutische Intervention zurückzuführen sind. 4.1 Prä-prä-post-Untersuchung zur Wirksamkeit des ATTENTIONERTrainings Die untersuchte Stichprobe (Tischler et al., 2011) umfasste N = 17 Kinder- und Jugendliche (12 Jungen, 5 Mädchen) im Alter von 7;6 bis 13;11 Jahren (Mittelwert = 9;2 Jahre). Die Un­ tersuchungsteilnehmer stammten aus der Inanspruchnahmepopulation der Psychologischen Kinder- und Jugendlichenambulanz der Universität Bremen und besuchten die dritte bis achte Klassenstufe. Die Zuordnung zur Untersuchungsstichprobe erfolgte dabei zufällig nach der te­ lefonischen Anmeldung der Patienten durch ihre Bezugspersonen. Bei allen Kindern und Ju­ 60 gendlichen wurde in einer Eingangsuntersuchung eine Einfache Aktivitäts- und Aufmerksam­ keitsstörung (F90.0), eine hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1) oder eine Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität (F98.8) diagnostiziert. Eine medikamentöse Be­ handlung fand nicht statt. Wie bei den genannten Untersuchungen von Jacobs und Petermann (2005, 2007, 2008) wurde in der vorliegenden Studie die Aufmerksamkeitsleistung mit den Untertests Ge­ teilte Aufmerksamkeit und Go/Nogo ½ (Aufmerksamkeitssteuerung) sowie Alertness (Auf­ merksamkeitsintensität) der Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP, Zimmermann & Fimm, 2002) überprüft. Als auffällig wurden dabei t-Werte von < 40 in einem der Kennwerte Auslassungen, Fehler, Median und Standardabweichung angesehen. Aufgrund der Stichpro­ benbeschaffenheit wurde auf eine Einteilung in Slow- und Fastresponder (vgl. Jacobs & Pe­ termann, 2008) verzichtet. Identifizierte Slowresponder wurden zuvor von der weiteren Un­ tersuchung ausgeschlossen. Nach der Eingangsuntersuchung wurden die Untersuchungsteilnehmer auf eine Warte­ liste gesetzt und sukzessive einer Behandlung mit dem ATTENTIONER-Gruppentraining zur Behandlung der Aufmerksamkeitsstörung zugeführt. Die Wartezeit von der Eingangsdignostik (T1) bis zur Untersuchung unmittelbar vor Therapiebeginn (T2) betrug dabei gemittelt 214 Tage, die Zeit zwischen T2 und der Abschlussuntersuchung (T3) 190 Tage. Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse findet sich in Tischler et al. (2011, S. 78ff). Als wesentlich wird eine bedeutende Verbesserung der Inhibitionsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen angesehen. Es kommt zu einer eindrucksvollen Verbesserung in der fokus­ sierten Aufmerksamkeit (Untertest Go/Nogo ½, TAP). Die Untersuchungsteilnehmer sind nach der Teilnahme am ATTENTIONER-Training in einer Wahlreaktionsaufgabe deutlich besser in der Lage eine Reaktion bei irrelevanten Reizen zu unterdrücken. Dabei besteht kein Zusammenhang mit Alter, Geschlecht, besuchter Klassenstufe, Intelligenz (HAWIK-IV, Peter­ mann, F. & Petermann, 2010) oder den verschiedenen Wartezeiten zwischen den unterschied­ lichen Messzeitpunkten. 61 4.2 Schlussfolgerung Die Ergebnisse legen nahe, dass mit dem ATTENTIONER-Training eine effektive Be­ handlung der Aufmerksamkeitssteuerung als ein Kardinalsymptom der Aufmerksamkeitsstö­ rung möglich ist. Mit Blick auf die Entstehung und Etablierung komorbider Störungen des Sozialverhaltens (vgl. etwa Ghosh & Sinha, 2012; Tischler, Schmidt, et al., 2010) stellt dies ein bemerkenswertes Ergebnis dar. Gerade impulsive Verhaltensweisen erweisen sich hier als wesentlich (s. hierzu auch Ackerman, Brown & Izard, 2003; Lanza & Drabick, 2011). Den Zusammenhang zwischen aggressivem Verhalten und ADHS konnten Witthöft et al. (2010) eindrucksvoll belegen. Dabei erweist sich eine ADHS in der Regel als eine Vorläuferstörung des aggressiven Verhaltens. 62 Literatur Ackerman, B. P., Brown, E. & Izard, C. E. (2003). Continuity and change in levels of extern­ alizing behavior in school of children from economically disadvantaged families. Child Development, 74, 694-709. Ainthworth, M. D. S. (1963). The development of infant-mother interaction among the Ganda. In B. M. Foss (Ed.), Determinants of infant behaviour (pp. 67-112). New York: Wiley. Ainthworth, M. D. S., Blehar, M. C., Waters, E. & Wall, S. (1978). Patterns of attachment: A psychological study of the Strange Situation. Hillsdale, NJ: Erlbaum. Alizadeh, H., Applequist, K. F. & Coolidge, F. L. (2007). Parental self-confidence, parenting styles, and corporal punishment in families of ADHD children in Iran. Child Abuse & Neglect, 31, 567-572. 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