Zwangsstörungen: Diagnose, Ätiologie, Behandlung 09.01.06 Dr. phil. Dipl-Psych. M. Backenstraß Referentin: Johanna Köhling Kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung bei Zwangsstörungen Einführung • 60er Jahre: Konzentration der Verhaltenstherapie auf störungspezifische Behandlung von Zwängen, Durchbruch durch: - „In-vivo-Exposition mit Reaktionsmanagement“ (ERM) (Zwangshandlungen) - kognitive Strategien (Zwangsgedanken) Störung wird als Resultat heterogener Einflussvariablen betrachtet, Einsatz symptombgerichteter Vorgehensweisen ergibt aich aus umfassender Funktions- und Problemanalyse des einzelnen Patienten • Stand der Terapieforschung: - Exposition mit Reaktionmanagement: Besserungsraten 50-80% - kognitive Verhaltenstherapie: verringert Abbruch und Rückfallquoten bei ERM Weg zur Erfolgreichen Behandlung führt über beide Methoden, => kogn. VT ! Besondere Anforderungen • Beziehungsgestaltung verständnisvolle Reaktion und Demonstration von Sachkenntnis, Beziehungsaufbau hat zunächst höchsten Stellenwert (wichtig für ERM) Gratwanderung zwischen Lenkung und Unterstützung • Motivations- und Zielklärung Hoffnungslosigkeit überwinden, Zuversicht wecken, Alternativverhalten finden, kleinste Schritte unterstützen, Besserungsmöglichkeiten beschreiben • problembezogene Informationserfassung und Verhaltensanalyse ERM erfordert genaue Kenntnis von Auslösebedingungen und familiärer Eingebundenheit der Zwänge, strukturierte Interviews (Y-BOCS), Verhaltensbeobachtung und Selbstbeobachtung sind hilfreich bei genauer Erfassung • Zwänge unter funktionaler Perspektive Funktionalitäten sind zentrale Bedingungen zur Aufrechterhaltung von Zwängen, wichtiger Ansatzpunkt für Veränderung, dienen Intrapsychischer (Regulation des eigenen Erlebens und Verhaltens) und Interpersoneller Regulation (Beziehungen zu relevanten Bezugspersonen) Implikation für die Therapie: neben störungsspezifischer Behandlung auch Bearbeitung persönlicher Bedingungsfaktoren nötig Durchführung spezieller Techniken • Verschiebung der Problemdefinition Konsens, dass das Problem nicht die befürchtete Gefahr, sondern die Angst vor dieser ist, Ermöglicht Distanzierung und Einsicht, Voraussetzung für ERM Objektives Problem Subjektives Problem Inahlt der Befürchtungen aufdringlicher Gedanke, Gefühl der Unruhe und Angst • Vermittlung eines plausiblen Erklärungsmodells (nach Reinecker,1994) bei Patienten besteht hohes Bedürfnis nach Erklärung, therapeutisch relevanter Wirkfaktor, Aufzeichnung und Erklärung einzelner Bestandteile des Modells, Ziel der Therapie: Umkehrung der Rückkopplungspfeile + Aufdringlicher Gedanke Habe ich jemanden überfahren? - + Bedeutung Ich muß das um jeden Preis verhindern. Gefühl Neutralisieren Angst/Unruhe In den Rückspiegel sehen, Überlegen: Was war an dieser Kreuzung? • Entschluss für die Exposition wichtig: wahrgenommene Entscheidungsfreiheit, erhöht Selbstattribution • Erklärungsmodell für die Genese vor dem Hintergrund der individuellen Lebensgeschichte entspricht Übersetzung des funktionalen Bedingungsmodells (Vorbedingungen, Auslösebedingungen, aufrechterhaltende Bedingungen), möglichst erst nach der Exposition besprechen, um Klienten nicht zuviel Informationen auf einmal zuzumuten • Exposition mit Reaktionsmanagement (ERM) Standardmethode, abgeleitet aus Modell zur Aufrechterhaltung, in vivo vs. In sensu, graduiert vs. Massiert, therapeutengeleitet vs. Selbstkontrolliert Beginn mit einer 50% (Angst) Situation, möglichst mit hoher praktischer Relevanz, möglichst viel Entscheidungsspielraum für Klienten, evtl. Einbezug von Angehörigen Aufgaben des Therapeuten: Verstärkung und Ermutigung, Angstkomponenten fokussieren, Modell geben, Nutzung zur kogn. Veränderung, Selbstmanagement einleiten Reaktionsverhinderung: umfasst Unterlassen der Neutralisierung und Bewältigung aufkommender Emotionen, oft reicht Anwesenheit des Therapeuten aus, Ziel ist es zu lernen, dass Angst ohne Ausführung der Neutralisierung abnimmt • kognitive Interventionen Umstrukturierung der Bewerung aufdringlicher Gedanken Überschätzung der Gefahr durch paradoxe Überlegungen, Gedankenexperimente, Hinweis auf naive Irrtümer bei Wahrscheinlichkeitsschätzung, kumulierte Wahrscheinlichkeiten Umstrukturierung dysfunktionaler Grundannahmen (übertriebene Verantwortlichkeitsüberzeugung, Überzeugung von Wertlosigkeit und Schuld durch sokratischen Dialog, transparent machen, „pie-chart-technik“, hedonistischen Blickpunkt, Verhaltensexperimente • spezielle Techniken für Zwangsgedanken Psychoedukation, gezielte Strategien zur Veränderung der subjektiven Bedeutung, Demonstration des paradoxen Effekts der Gedankenunterdrückung, Distanzierung („It’s not me, it’s my OCD“), Auflösung von Gedanken-Handlungen-Konfusion Stabilisierung der Erfolge & Rückfallprophylaxe • gezielte Maßnahmen zur Rückfallprophylaxe Aufklärung über Rückfallgefahr, Rekapitulation erlernter Strategien, Identifikation und Antizipation von Rückfallsituationen, Nutzung sozialer Ressourcen und selbsthilfegruppen, evt. Follow-up-Sitzungen • Stabilisierung der Erfolge durchweg hohes Selbstmanagement, Rekapitulation des Prozesses aus der MetaPerspektive, gezielte allmähliche Zurücknahme der therapeutischen Unterstützung Zusammenfassung: Ein idealtypischer Therapieverlauf 1) Anfangsphase (Sitzung 1-4) 2) Kogn. Vorbereitung auf Exposition (Sitzung 5) 3) Therapeutengeleitete Exposition (Sitzung 6-10) - Detaillierte Exploration: Symptomatik, Entwicklung der Störung, Lebensumstände, weitere Problembereiche, Fremdbeobachtung, Selbstbeobachtung - Verschiebung der Problemdefinition, Psychoedukation, Reduktion der Bedeutung der Gedanken, Funktionalitäten eruieren, Miteinbezug Angehöriger, Verhaltensalternativen finden - Plausibles Erklärungsmodell, Ableitung des Expositionskonzeptes, Planung der Übungen 4) Kogn. Umstrukturierung, Exposition im Selbstmanagement (Sitzung 11-15) - Erste therapeutengleitete Expositionsübungen, eigenständige Exposition zu Hause mit Aufzeichnungen, Besprechung der eigenständigen Übungen, Weiterführung der Exposition 5) Weitere Problembereiche, Exposition im Selbstmanagement (Sitzung 1-4) - Besprechung eigenständiger Expositionen, Erklärungsmodell auf lebensgeschichtlichem Hintergrund, Weiterführung der Exposition - Kognitive Umstrukturierung bzgl. Dysfunktionaler Überzeugungen, Verhaltensexperimente 6) Rückfallprophylaxe, Vorbereitung auf Therapieende, Abschluß der Therapie (Sitzung 1-4) - Bearbeitung der im einzelfall noch wichtigen Probleme/Zielbereiche - Rekapitulation erlernter Strategien, Identifikation potentieller Rückfallsituationen Quellenangaben: Lakatos, A. & Reinecker, H. (2001). Kognitive Verhaltenstherapie bei Zwangsstörungen. Göttingen: Hogrefe Ambühl, H. (2005). Kognitive Verhaltenstherapie bei Zwangsstörungen. In Ambühl, H. (Hrsg.), Psychotherapie der Zwangsstörungen (S. 69-87). Stuttgart: Thieme Ecker, W. (2001). Verhaltenstherapie bei Zwängen. Lengerich: Pabst Science Publishers.