FORTBILDUNG BIPOLARE STÖRUNG Diagnose Bipolare Störung Die zwei Krankheitspole Was bedeutet manisch-depressiv? Wenn sich ein Patient oder ein Angehöriger diese Frage stellt, wenn der Arzt diese Diagnose zum ersten Mal erwähnt, sind oft schon viele (im Durchschnitt etwa zehn) Krankheitsjahre ins Land gegangen. Warum ist es so schwer, die Diagnose richtig zu stellen? Patienteninformation Was ist eine Bipolare Störung? Die meisten Menschen können sich in etwa vorstellen, was eine Depression sein könnte. Aber welche Tücke steckt bereits in diesem Wort! Depression, so denkt der Laie, ist, wenn die Stimmung gedrückt ist. Das kann sein, muss aber nicht sein! Ebenso wichtig für die Diagnose Depression sind zwei weitere Symptome: zum einen der Verlust von Interesse oder Freude an Aktivitäten, die normalerweise angenehm waren, sowie zum anderen verminderter Antrieb oder gesteigerte Ermüdbarkeit. Sind diese beiden Merkmale vorhanden, so braucht die depressive Stimmung nicht vorliegen, und trotzdem leidet der Patient möglicherweise unter einer depressiven Episode. Sie ahnen, wie schwer es ist, die Diagnose „Depression“ korrekt zu stellen, wenn eine gedrückte Stimmung gar nicht vorliegt. Vielleicht zeigen sich eher körperliche Symptome, Appetitverlust, Libidoverlust, Gewichtsverlust, Schlafstörung: nicht wenige depressive Patienten und Patientinnen gehen mit diesen Symptomen zu ihrem Hausarzt, Internisten oder Frauenarzt. Oft müssen hier die depressiven Störungen richtig erkannt und frühzeitig behandelt werden. Manie oder Hypomanie Unter einer Manie können sich die meisten Menschen viel weniger vorstellen: vielleicht denken sie an unkontrollierte, „außer Rand und Band“ geratene Patienten, an Polizei-Einsatz, aber gewiss denken die meisten Menschen nicht daran, welche eigenen „manischen“ Merkmale sie möglicherweise besitzen. Manie „in Verdünnung“ (das nennen wir dann Hypomanie) hat nämlich durchaus Seiten, die für den Einzelnen, aber auch für die 40 · DNP · 1-2/02 Gemeinschaft positiv sein können. Gesteigerte Aktivität, gesteigerte Gesprächigkeit, vermindertes Schlafbedürfnis, gesteigerte Libido, gesteigerte Geselligkeit können angenehme Eigenschaften sein. Viele Patienten leisten in ihren hypomanischen Episoden, die sich über Monate oder Jahre hinziehen können, viel und Großes: sie gründen Firmen, machen Erfindungen, schaffen Kunstwerke, gehen in die Politik. Nicht wenige Berühmtheiten waren (soweit man das heute feststellen kann) manisch-depressiv, Maler, Komponisten, Politiker. Bei manchen weiß man von ihren schweren Depressionen: so bei Michelangelo, bei Martin Luther, bei Ignatius von Loyola, bei Hugo Wolf oder Winston Churchill. Aber umgekehrt wären sie vielleicht nicht das geworden, was sie berühmt gemacht hat, wenn sie nicht die gesteigerte Aktivität der Hypomanie genutzt hätten. Die dunklen Seiten Leider besitzen die Manie und die Hypomanie nicht nur positiv verwertbare Eigenschaften, sondern auch zahlreiche dunkle Seiten: der Patient ist ruhelos und gereizt, erkennt seine Grenzen nicht, normale soziale (auch sexuelle) Hemmungen gehen verloren, der Patient macht möglicherweise Schulden, verliert seine Urteilskraft, überschätzt sich, wird tollkühn, rücksichtslos oder leichtsinnig. Sie können sich vielleicht ausmalen, was in diesen Situationen alles passieren kann: vom Skiunfall zur Autobahnraserei, vom Seitensprung zur Wirtshausprügelei: aber an die Manie denken hierbei die wenigsten (die Boulevardpresse nicht, leider übrigens oft auch nicht die Rechtsanwälte und Richter, wenn in der Hypomanie/Manie Straftaten begangen werden). Die bipolare Störung ist zusammenfassend vorhanden, wenn bei einem Patienten beide Pole auftreten, der depressive und der manische Pol (deswegen „bipolar“). Zwischen den beiden Polen, den unterschiedlichen Krankheitsepisoden können (aber müssen nicht) längere gesunde Zeiten liegen. Oft mischen sich die beiden Pole auch in einer Episode (der Patient ist zum Beispiel gleichzeitig gereizt, rücksichtslos und antriebsgesteigert, dabei depressiv, verzweifelt und selbstmordgefährdet): wir sprechen dann vom „affektiven Mischzustand“. Diese Mischzustände werden leider selten richtig erkannt, dabei sind es die am schwersten zu behandelnden bipolaren Episoden und führen häufiger zum Selbstmord als „einfache“ Depressionen. Komplikationen Kompliziert wird es mit der Diagnose, wenn – was sehr häufig ist – noch weitere Störungen vorliegen, welche die Hauptdiagnose „manisch-depressive Erkrankung“ überlagern können, manchmal so stark, dass es schwer fällt, die richtige Diagnose zu treffen. Denken Sie daran, was passieren kann, wenn ein bipolarer Patient viel Alkohol trinkt oder Drogen konsumiert. Wird ein solcher Patient einem Arzt vorgestellt, so wird die Diagnosestellung zunächst schwierig sein. Ebenso ist es häufig, dass manisch-depressive Patienten unter Platzangst, unter Panikattacken, unter Zwangsgedanken oder sozialen Ängsten leiden. Auch hier werden oft diese Symptome leichter erkannt als die Grundkrankheit. Zuletzt sei noch darauf verwiesen, dass nicht wenige bipolare Patienten in den Krankheitsepisoden an einem Wahn leiden. Depressive glauben oft, alles mache keinen Sinn mehr, sie seien unrettbar verloren, würden nie mehr gesund. Maniker dagegen können an einem Größenwahn leiden, aber auch an anderen Wahnformen, auch an Halluzinationen. Diese Patienten sind in Gefahr, dass hier fälschlich an eine Schizophrenie gedacht wird, eine Erkrankung, die anders behandelt wird und einen ganz anderen Verlauf als die bipolare Störung nimmt. ■ (Priv.-Doz. Dr. Andreas Erfurth, Münster) Diese Patienten- und Angehörigeninfos bitte heraustrennen und für Ihre Patienten kopieren |