Untitled - ViFaMusik

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Bayerische Staatsbibliothek
· II lllll lllllllllllllll lllll llllllllll lllll llllllllll lllll llllllllllllll llll
" <36644824860010
Dem Andenken
meines gellebten Vaters
gewidmet.
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Einleitung·.
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I
Der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit ist ein so all~
mählicher und langsamer, dass es unmöglich ist, für das Zusammentreffen der letzten Periode der einen und der ersten
Periode der ~nderen Zeit ein bestimmtes geschichtliches Ereignis zu c setzen.
Es sind vielmehr Bestrebungen _verschiedenartigen Inhalts,
welche zwar an Altes anknüpfen, sich aber endlich zu einer
selbständigen schöpferischen Thätigkeit herausbilden, die den
Übergang zwischen beiden Zeiten vermitteln. Unter den Bestrebungen, die vom Mittelalter zur Neuzeit überleiten, ist die
mit dem Namen der· Renaissance bezeicl1nete, die Zeit vom
14. bis zum 16. Ja,brhundert umfassende, die von Italien aus
ihren Eingang endlich in Deutschland findet, die wichtigste. 1)
Sie erstreckt sich auf alle Künste mit Ausnahme der
Tonkunst, denn dieser erblüht erst später eine Reform,
die in ganz neue, ungeahnte Bahnen lenkt. Bis nach 1500
lag die Musik in Italien noch ganz in den Banden der
niederländischen Tonkunst, die allmählich zu kontrapunktischer
Künstelei ausgeartet wai·. Naturgemäss machte sich das Bedürfnis gelte;nd, den gelehrten Künsten der niederländischen
Schule entgegenzutreten, und wie in der Renaissance aus dem
universalistischen Streben des Mittelalters das Individuum sich
loslöst, so ist die Tendenz der Musikreforip des 16. und 17. Jahrnunderts die Befreiung der persönlichen, bewegteren Empfindung von der Gebundenheit und Ruhe des polyphonen Stils.
Vergleiche hierzu L. Geiger, Renaissance und Humanismus fu
,\talien und Deutschland. -i;-llg. Gesch. in Einzeldarstelh~gen.) Berlin 1882.
1)
r·
6
An die Stelle der Musik, welche durch künstliche Verschlingung
der Stimmen das Wort ganz in den Hintergrund drängte, trat
eine Richtung, welche den Text, die Wortbedeutung, die
deklamatorisehen Redeaccente zu ihrem Rechte kommen liess:
Der instrumental begleitete Einzelgesang, die Monodie, die der
weltlichen Vokalmusik die Oper, die Kantate und das Oratorium einbringen sollte.
Die Hauptmerkmale der neuen Kunstrichtllllg. 1)
Obwohl die Übersättigung mit Polyphonie ziemlich heftig
auf eine Änderung des Bestehenden hindrängte, so vollzog
sich der endliche Umschwung doch ganz plötzlich. Die Idee
einer Wiederherstellung des antiken Musikdramas hatte in
Florenz im Hause des Grafen Vernio lebhaften Anklang gefunden.
Giovanni Bardi, der damalige Repräsentant der genannten
gräflichen Jt'amilie, hatte einen Kreis kunstliebender Männer
um sich versammelt, von denen Vincenzo Galilei und Giulio
Caccini als die ersten, die an der praktischen Ausführung der
Ideen sich bethätigten zunächst Erwähnung finden mögen.
Die Vorreden zu den ersten Werken in dem neuen Stile klären
uns, wie das gewöhnlich bei derartigen musikalischen Reformationen ist, über Ziele und Tendenzen ihrer Autoren auf
und lassen als Hauptmerkmale der neuen Kunstrichtung folgende erkennen:
Im Vordergrund steht der Text, das Wort. Der Vers
ist unverletzlich, er darf nicht auf Kosten der Melodie zerrissen werden; Textwiederholungen gelten als grobe Fehler. 2)
Der Gesang soll sich dem Verse des Dichters anbequemen
und ihn durch die Singstimme versüssen, soll aber auch nicht
durch Passagen verrenkungen, die lediglich die Kehlfertigkeit
des Sängers zeigen sollen, verstiiDlmelt werden. Caccini in
den Vorreden zu seinen Gesängen fasst die wichtigsten Regeln
kurz zusammen in folgenden Worten (übersetzt von Winterfeld, Gabrieli und sein Zeitalter II, 13):
') Siehe Ambros, Musikgeschichte Band IV.
2
) Da, wie schon erwäbut, der eigentliche Anlass der Reform von
Gelehrten ausging, so kam es, dass der ganzen Reform zunächst etwas
Gelehrtenmässiges anhaftet.
•
I
j0l _ Jt
1
7
„Jene verständigen Herren (d. h. im Hause des Grafen Vernio)
ermunterten mich allezeit, und überzeugten mich durch die
einlenchtendsten Gründe, dergleichen Musik gering zu achten,
welche die Worte nicht gehörig vernehmen lasse, Sinn und
Versmass . verderbe, die Silben bald dehnend, bald verkürzend,
um sie dem Kontrapunkt anzupassen, jenem Zerstörer der
Poesie; sondern der Weise mich anzuschliessen, die von Plato
und andern Philosophen so sehr gelobt wurde, indem sie bekräftigten, dreierlei sei in der Musik, die Rede zuerst, dann
der Rhythmus und zuletzt der Ton, und nicht umgekehrt;
einer solchen Ansicht beizustimmen, wenn ich wolle, dass die
Tonkunst in der Hörer Gemüt dringe, und jene wunderwürdigen Wirkungen erzeuge, welche alte Schriftsteller preisen,
und die sie bei den Neueren durch den Kontrapunkt herbeizuführen ausser Stande sei."
Peri bemerkt, er habe redende Personen genau beobachtet, f~
um deren verschiedepe Äusserungen in Tönen wiederzugeben, I ~ ~ 1 -1 ~ 1 ~
indem er dieselben über einen ruhenden Instrumentalbass in
halb gesprochenen Tönen singen lasse. Noch von der ersten
Oper Monteverdis, dem Orfeo, wird als etwas ganz Neues und 1'v\ ~~
Eigenartiges hervorgehoben, dass darin alle Darsteller singend 11 6 "J - / 6 3
sprächen.
Wenn bisher von einer solistisch auftretenden Stimme die
Rede gewesen war, so war darunter eine vom Kontrapunkt
losgelöste Stimme verstanden worden. An die Stelle eines
solchen, im Grunde unabhängigen Gesangs aber trat nun der
wirkliche Sologesang, in dem einerseits das Wort und der
Vers seine rhythmische Accentuation beibehalten, andrerseits
die Musik nicht den Zweck des Wohlklangs, sondern der
Wiedergabe der Gemütsbewegungen, verfolgen sollte. War
die Dichtung bisher in den Verschlingungen der Kontrapunktik
fast erstickt word~n, so tritt sie jetzt wieder hervor, macht
die Musik zu ihrer Dienerin, erklärt aber durch das Wort die
seelischen Regungen, die die Musik ausdrücken will.
..
Die ersten Monodien.
Der erste, der durch Kompositionen von einstimmigen,
begleiteten Gesängen positiv fördernd für die neue Kunstrichtung eintrat, war Vincenzo Galilei. Diese für die Entstehung des einstimmigen Liedes so überaus wichtigen Kompositionen, es waren Stücke aus Dante und den Klageliedern
Jeremiae, sind leider bis jetzt noch nicht aufgefunden worden,
wohl aber sind uns die bald darauf von Giulio Caccini 1602
unter dem Titel „Nuove musiche" herausgegebenen Einzelgesänge oder Monodien erhalten geblieben.
Demselben Künstlerkreise im Hause der Vernio gehörte
der nächste bedeutende Monodist J aco~ Peri an, der 1609
mit dem Werke „le varie musiche de! Signor Jacobo Peri a
una, due e tre voci con alcune spirituali in ultimo. Per cantare nel clavicembalo, e chittarrone & ancora la maggior parte
di esse per sonare semplicemente ne organo, nuovamente poste
in luce" an die Öffentlichkeit trat. Ihm folgten in demselben
Jahre Maria Melli Regiano mit „prime, secunde, terze musiche",
1614 Antonio Cifra mit „li diversi scherzi", 1614-1616 Antonio Brunelli mit „Scherzi, arie, canzonette e madrigali",
1616-1617 Radesca de Foggia mit fünf Büchern „Canzonette",
Franceco Capello mit „Madrigali e Arie a voce sola" und endlich Girolamo Fornaci mit „Amorosi respiri musicali".
Auch ein Deutscher beteiligte sich an der Liedkomposition; Girolamo Kapsberger veröffentlichte 1612 ein Buch
„Mottetti Passeggiati a una voce", die aber wenig musikalischen
Wert haben; sie sind mit nichtssagenden Koloraturen überhäuft.
Eine festgefügte Form haben diese ersten Monodien noch
nicht; sofern sie nicht auf Tanzmelodien zurückzuführen sind,
zeigt sich keine Spur von Periodenbau; selbst einfache Sequenzen von eintaktigen Motiven kommen bei Peri nur selten
vor. Öfter schon bei Melli , wo das Gefühl für einen bestimmten, wohl auch der Tanzmusik entstammenden Rhythmus
9
entschiedener hervortritt, ein gewisses Motiv ( fn) zu Abschnitten erweitert oder in der Begleitung nachgeahmt wird.
Brunelli, Radeska und Capello zeigen ein festes Formgefüge. Als Beispiel möge das Scherzo von Brunelli (MB 1) 1 )
dienen. Es ist aus einem einzigen Motiv gearbeitet und durch
Sequenzen zu einer acbtaktigen regelmässigen Periode erweitert worden. Die ganze Periode zerfällt in zwei Sätze, deren
erster nach dem zu G-moll gehörigen B-dur, deren zweiter
regelmässig wieder nach G- moll moduliert. Nach diesem
Muster sind die Lieder der drei zuletzt genannten Komponisten
grösstenteils aufgebaut.
Das wirklich Liedmässige gewinnt bei Peri nur selten die
Oberhand. So zum Beispiel der Anfang des auch von Ambras 2) zitierten Liedchens
„
In
„
qual paT - te
=
-
del ciel
=
.-~
-.i.+----
~
in qual
de - a
----j-~----+--l---------+--+--+-~ ·-
o·~--- "~t9'~---- ~-&------~-·,,,_.-~.,,, .-
mit der charakteristischen eingeklammerten Phrase, der wir
bei Peri noch öfters begegnen, oder der Anfang des fast volkstümlichen Liedchens 8)
oder endlich folgende schöne, elegische Wendung:
-oalt
1
0
~-
miei gior - ni
e -- - o-
-&
dr
1"T-
- .F'
~
fu - ga - ci
~
Musikbeilagen am Schlufs deT vorliegenden Abhandlung.
Ambros' Musikgeschichte IV, 202.
3
) Die Notenbeispiele sind zitiert aus dem oben erwähnten Je varie
musiche u. s. w. (Exemplar v. d. Universitätsbibliothek in Prag.)
1
}
2
)
10
Auch bei Melli tritt das Liedmässige ganz zurück; unschöne Intervallesprünge bilden die hässliche holprige Melodie.
Erst bei Brunelli, Radeska und Capello se~ en wir die Anfänge
einfacher, schlichter, wenn auch unter sich noch sehr ähnlicher
Melodien.
Gewisse einschmeichelnde Wendungen, wie die
folgende aus einer Arie des Capello 1 ) kehren immer wieder:
~~n, F:=:
l 1~-"-~-·"4,___o~~~~~~----<J,_"~o_-_-_-_-~~-~--o~o---~~~--~-~
mi - a,
Di
te
gli
ho - ma.i gl'as-
~~~~~~'~''--~-•OS----1~-+----uj·~~~~~~~~~~~~~~
~-~::p:_
#.J·
~
~
I
~~~~
l
~i
miei g-u - ai.
-~
Der punktierte Rhythmus scheint überhaupt auch auf eine
Tanzmelodie zurückzugehen.
Die Harmonisierung dieser ersten Monodien ist grell und
unschön, so dass Ambros mit Recht von einem Aufeinanderplatzen der Tonarten spricht. Die Modulation beschränkt sich
fast nur auf Ober- und Unterdominante. Wendungen wie den
folgenden drei ist allerdings Kühnheit und Schönheit nicht
abzusprechen: 1)
Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf die Behandlung der Instrumentalbegleitung.
1
)
Peri, a.. a. 0 .
•
11
Eine so ausgebildete Bassführung wie die folgende aus
dem Lied „Quest' humil fera" ist bei Peri eine Seltenheit: 1 )
~~-'Eftf~~&if?J r-r§_-
~
~
Nur ein einziges Vorspiel findet sich bei Peri; es ist
ausserordentlich charakteristisch und sei deshalb angeführt:
Un di so - let - to
etc.
In der später zu besprechenden Grummerschen Sammlung findet sich dieselbe Phrase in folgender Form
~! 1. 1 J #P #JJ
@1
Beide Arten sind wohl auf ein gemeinsames Vorbild, eine
Tanzmelodie zurückzuführen.
Die wenigen Nachspiele bei Peri sind alle gleich; sie
lauten:
Ritornell.
{ ~A
;;=~TJ
Bei Melli ist die Instrumentalbegleitung freier behandelt;
sie beschränkt sich nicht darauf, einfach die Harmonien zu
bringen, sondern sie ahmt sehr häufig die Oberstimme nach.
Als Vor- und Nachspiel verwendet Melli nur einen Ton resp.
Akkord. Am meisten ausgebildet sind die Ritornelle von
Brunelli, der gewöhnlich ein Motiv aus der vorangegangenen
1
)
Peri, a a. 0.
12
Melodie aufgreift und aus demselben ein vier- bis sechstaktiges
Sätzchen bildet.
Die Gedichte, die die T exte der ersten Monodien bilden,
sind fast ausschliesslicb Liebesgedichte und von sehr geringem
poetischem Wert. Die Litteratur lag im 1 7. Jahrhundert in
Italien trostlos darnieder. Die Poesie verlor allen tieferen
Gehalt, die Sinnlichkeit überwucherte, alles war gesucht. Die
Frivolität wurde mit dem Mantel einer idyJiischen Scheinnatürlichkeit überdeckt. Zuletzt wurde das leere Wort, sein
Klang, also das rein musikalische Element der Sprache die
Hauptsache. 1 )
Die Fortschritte des neuen Musikstils und seine
Verpflanzung nach Deutschland.
Der Erste, der die Monodie geistig vertiefte, der in ihr
wie seine Vorgänger und Zeitgenossen ein Mittel zur Darstellung
leidenschaftlicher .Affekte sah, der aber auch seine Ideen külin
und entschlossen selbst auf Kosten der alten straffen Kunstregeln zur Ausführung brachte, dadurch seine Vorgänger weit
übertreffend, seinen Zeitgenossen weit vorauseilend, war Claudio
l\fonteverdi. 2) Seine neuen, fast unerhörten Ausdrucksmittel,
frei eintretende Dissonanzen, Dissonanzenverbindungen, Tritonus
u. s. w., die der schildernden Musik ganz neue Bahnen eröffneten, haben in seinem Lamento d' Arianna hinreissenden
Ausdruck gefunden.
Es war natürlich, dass der plötzliche Umschwung der
Tonkunst in Italien in Deutschland nicht verborgen blieb, und
dass sieb das Bedürfnis geltend machte, die Neuerungen kennen
zu lernen. War im 15. und 16. J ahrhundert eine geistige
Bewegung von Norcten nach Süden gegangen, so trat jetzt
eine entgegengesetzte Rieb tung ein, welche die von den
Italienern neu erfundenen Formen den Deutschen zuführte.
Die Rolle des Vermittlers spielte Heinrich Schütz, der hochbedeutende Dresdner Hofkapellmeister. Peri's und Caccini's
Vorgehen bedeutete einen Bruch mit der Vergangenheit;
Schütz aber knüpft an die Vergangenheit wieder an und sucht
1)
2
)
Sauer, Geschiche der italienischen Litteratur.
Siehe Emil Vogel, Claudio Monteverdi, sein Leben und seine Werke.
13
eine Verbindung beider Formen herbeizuführen. Rezitativischer,
nur der Recle und dem in ihr liegenden Sinn folgender Sprechgesang wechselt ab mit glühenden breiten Melodien, die bis
dahin den Italienern noch fremd waren. Die Kühnheit und
Eigenartigkeit der Tonbildungen, wie sie Monteverdi angeregt,
fanden in Schütz nicht nur einen b"egeisterten Anhänger, sondern einen praktischen Vertreter und Fortbildner. Chromatische Wendungen, disharmonische Härten wie Septimenschritte,
Sprünge in verminderte Quinten oder übermässige Quarten,
Durchgangstöne geben der Melodie etwas Herbes, aber zugleich
Einschmeichelndes, Flüssiges und Geschmeidiges, vermöge
dessen sie immer geeigneter ward, den verschiedenartigsten
Stimmungen des Dichters und Sängers einen adäquaten Ausdruck zu verleihen.
Schon der Umstand, dass Schütz ein Schüler Giovanni
Gabrielis und als solcher mit der italienischen Kunst eng verwachsen war, lässt es begreiflich erscheinen, dass es ihn drängte,
die Neuerungen in Italien selbst kennen zu lernen. „Um nach
der inzwischen aufgebrachten und heutigen Tages gebräuchlichen Manier der Musik sich zu erkundigen", 1 ) trat er 1628
seine zweite Reise nach Italien an. Die Frucht der Eindrücke,
die Schütz hier empfing, war die 1629 als Symphoniae sacrae
herausgegebene Sammlung von 20 grösseren Gesangsstücken.
Aber er vertrat hier nicht lediglich die neue Kunstrichtung,
sondern es war nur ein beiläufiger Versuch, den er wagte.
Daher kommen denn in Symphoniae sacrae auch nur die spärlichen Stellen in Betracht, in denen eine einzelne Singstimme,
nur vom bassus pro organo begleitet, sich bisweilen zu herrlichen tief empfundenen Melodien entwickelt, wie in der rührenden Klage des greisen David um seinen Sohn Absalon (Spitta's
Gesamtausgabe von Schütz' Werken V, 13) oder der Anfang
des 78. Psalmes, der einem unter sein Volk tretenden Propheten in den Mund gelegt ist, u. a. m. Diese Stücke sind
zwar einfach, aber von einer Fülle und Tiefe des Geistes, die
Schütz als den genialsten Vertreter der neuen Kunstrichtung
in Deutschland erscheinen lassen.
Die venezianische Oper nützte die Form des Liedes bis
1)
Sachsen-Chronik für Vergangenheit und Gegenwart, 1854, S. 528.
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11
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14
zum Überdruss aus.
Eine Erweiterung zu den grösseren
Kunstformen der Arie und Kantate erfuhr das Lied in Italien
um 1680. Über seine Beschaffenheit während dieser Zeit giebt
L. Torghi in dem Aufsatz Canzoni ed arie italiane ad una
voce nel secolo XVII (Rivista musicale Italiana 1894) ·ein
klares übersichtliches Bild.
Die Monodie in Deutschland.
Schütz' Werken, die hier in Betracht kommen, liegen zumeist geistliche Texte zu Grunde. Der Erste, der weltliche
~ieder für eine Singstimme komponierte, war der Neffe und
Schüler Heinrich S~hütz', Heinrich Albert, der 1622 bis 1623
in Dresden bei Schütz Musik studierte und 1633 in Kopenhagen 1) mit Schütz sich bei den Festkompositionen zur Vermählung des dänischen Kronprinzen mit Johann Georgs
jüngster Tochter beteiligte. 2)
Alberts Werk erschien 1638 unter dem Titel:
Erster Theil der Arien oder Melodeyen. Etlicher
theils Geistlicher, theils Weltlicher, zur Andacht, guten
Sitten, keuscher Liebe und Ehrenlust dienender Lieder."
Das Werk fand viel Gefallen, und es machten sieb neue
Teile und neue .Auflagen nötig. Der erste Teil wurde 1642,
1646 und 1652 nochmals aufgelegt. Die folgenden Teile erschienen in folgenden Jahren:
der zweite 1640, 1643, 1651,
der dritte
1640, 1643, 1651,
der vierte 1641, 1645, 1651,
der fünfte 1642, 1645, 1651,
der sechste 1645, 1652,
der siebente 1648, 1654,
der achte
1650.
Endlich erwähnt eine handschriftliche Notiz in einem aus
von Meusebachs Besitz stammenden Exemplare der Berliner
1
) Zum Folgenden siehe L. H. Fi eher , Die Gedichte des Königsberger Dichterkreises.
2
) Fischer ist dieser Aufenthalt in Kopenhagen entgangen.
3) Über den Nachdruck .,Poetisch-Musikalisches Lustwäldlein", sowie
über Profes Sammlung von Alberts Arien siehe Fischer, a. a. 0. XXXXIDff.
15
König!. Bibliothek noch einen neunten Teil, der in „Johanns
Grossens zu Leipzig Verzeichnis alter Bücher der Ostermesse 167 6"
angeführt sein soll. Dieser Teil ist aber noch nicht aufgefunden
worden.
Alberts Arien erschienen in Königsberg. Dort tritt uns
10 Jahre später ein neuer Komponist entgegen, der für
uns von Wichtigkeit ist, nämlich Johann Weichmann mit
seiner .
„ Sorgen-Lägerin".
Das ist
Etliche Teile
Geistlicher und Weltlicher
Zur Andacht und Ehren-lust
-dienende
Lieder.
Erster Teil
newer
Geistlicher und Weltlicher
Lieder 1
Welche theils allein 1 theils in ein Positiv J Clavicimbel 1
Spinet 1 Theorbe 1 Harff 1 Laute 1 Bandoer 1 Viole di Gamba
zu singen gesetzet
\.
von
Johann Weichmann
Wolgasto Pomer.
Königsberg 1
Gedruckt durch Johann Reufnern 1
In Verlegung Sel. Peter Händ(;lls Witwen.
Im Jahre 1648.
Es sind 3 Teile, von denen der erste 20, 11 geistliche
und 9 weltliche, der zweite 20, 7 geistliche und 13 weltliche,
der dritte 25, 3 geistliche und 22 weltliche Lieder entl'l.ält.
Alberts und Weichmanns Liederbücher enthalten Kompositionen ZU Texten verschiedner Dichter, die zum grössten
Teil dem Königsberger Dichterkreise angehörten.
Leider unbekannt ist der Komponist eines Liederbuches,
das aber die Gedichte nur eines Dichters enthält, nämlich
16
„N eu ausgeschlagene
Liebes und ]'rühlings
Knospen 1
Das ist
Keuscher Ehren - und Liebes-Lieder
Erstlinge;
Mit schönen J anmutigen 1 mehrenteils neu und unbekanndten
Melodeyen angefeuchtet J und zu sonder Ehren und W ohlgefallen auf freundlichstem Ansuchen des lieb- und lob-würdigen
Frauenzimmers
ans Licht gegeben
von
Georg Heinrich Schreiber 1 der hoch-Edlen Teutfchen Dichtkunst
Liebhaber.
Franckfurt am Mayn
J
Gedruckt bey Johann Görlin J
1 Jun. Bremens.
Im Jahr 1664.
In Verlegung Joost Kölers
Diese Sammlung enthält 30 Gedichte mit 25 zweistimmigen
Melodien. Die Gedichte sind Liebeslieder, in süsslicher, bilderreicher Sprache abgefasst.
Ein neuer Teil dieses Liederbuches erschien 1664 unter
dem Titel:
Neu ausgeschlagener
Liebes und FrühlingsKnospen
N achschöfslinge u. s. w.
Er enthält anfangs ebenfalls Liebeslieder, nimmt aber
dann plötzlich eine Wendung, die erkennen lässt, dass dem
Dichter seine Geliebte untreu geworden ist. Die Titel der
letzten Lieder sind:
1 7:
Strick ist entzwey
Und ich bin frey.
18:
Ein jeder folge seinen Sinn
Den Büchern ich ergeben bin.
20:
Weil alles nur ein Rauch und Dunst
Was frag ich denn nach Glückes Gunst.
Als Komponist nennt sich C. H. Organist zu W.
17
Ein Dichter und ein Komponist treten uns in einem
Lübeck'schen Liederbuche entgegen:
Georg Heinrich W ehern
Sing und Spiel-Arien 1
,Das ist 1 Zur Ehren-Lust 1 Keuschen Liebe 1 gutem Lobe und
politischen Sitten: Anreitzenden Lieder 1 Erster Th eil 1 Auff
gantz neue und anmuthige Melodien zu singen und zu spielen
unterlegt von
Herrn Johann Friedrich Zubern der Singe-Kunst berühmten Liebhabern in Lübeck.
Lübeck. In Verlegung Ulrich Wetstein. 1665. 1 )
Die zwei letztgenannten Werke leiten zu einer anderen
Gruppe über. War bei Albert und Weichmann der Musiker
der Herausgeber gewesen, so treten jetzt mehrere Musiker in
den Dienst eines Dichters. In Betracht kommen hier die H~­
burger Johann Rist, Philipp von Zesen und Jacob Schwiger,
und zwar mit folgenden Werken:
„Des Daphnis aus Cimbrien besungene Galathea."
Erschienen ist dieses Buch der Vorrede nach (Th. Grummer) 1642 in Lüneburg, nach Mollers Cimbria Iiterata in
Hamburg. Die zweite Auflage (nach einem der Zwickauer
Ratsschulbibliothek gehörigen Exemplare) in Hamburg 1646
(siehe übrigens Goedeke III, 82, 13). Nach Moller ist es
1644 und 1657 in Frankfurt und 1656 in Schaffhausen wieder
erschienen. Der Herausgeber, nicht aber zugleich auch der
Dichter, wie C. F. Becker („Lieder und Weisen vergangener
Jahrhunderte") fälschlich angiebt, ist Theobald Grummer.
Die Gedichte sind von Johann Rist. Dass Rist diese Liebeslieder nicht selbst veröffentlicht hat, kam daher, dass er die
erotische Poesie von seinem dreissigsten Jahre an überhaupt
verachtete und von den Liebesliedern, die er, wie es in der
Vorrede zum fünften Teil der „Himmlischen Lieder" heisst,
in der „zum Teil unvernünftigen Jugend" gedichtet hat, nichts
mehr wissen wollte. Zwar findet sich in diesen weltlichen
Liedern nichts, was Anstand und Sitte verletzte, trotzdem
Goedeke
) Das Exemplar ist auf der Leipziger Stadtbibliothek.
III, 93, verzeichnet übrigens 3 Teile und andere Druckorte (nach Mollers
Cimbria litera.ta).
1
2
18
verdammt er sie und ist zufrieden, „dass man sie auf gut
päbstisch gleich denen ketzerischen Büchern zu Staub und
Asche brenne, damit ihrer hinfort in Ewigkeit nicht mehr
gedacht werde."
Das andere auch nicht von Rist selbst herausgegebene
Buch ist:
„Des edlen Daphnis aus Cimbrien besungene Florabella, mit gantz neuen und anmuhtigen Weisen hiebevor
aussgezieret und hervorgegeben, Anitzo aber mit verschiedenen schönen Stückchen vermehret und zum Truck
befördert Hamburg 1666."
Hieraus geht hervor, dass diese Auflage nicht die erste
ist; diese ist vielmehr nach Goedeke (III, 84) 1644 erschienen.
Sie sind herausgegeben von „Peter Meiern, Hamburgischem
Musico" .
Die Galathea enthält 71 Gedichte; davon sind 41 für
2 Stimmen komponiert. Als Komponisten nennt die Nachrede
den Daphnis (Rist) selbst, ferner Johann Schop, :M. S. S. und
andere; „die allermeisten aber von einem nicht unverständigen
Organisten H(einrich) P(ape) zu A(ltona)." Mit J. S. ausdrücklich bezeichnet sind nur 4 Lieder.
Die Florabella vom Jahre 1677 enthält 72 Lieder; davon
sind 15 einstimmig, nämlich 32, 36, 40, 44, 48, 52, 56 , 60,
64, 66, 67, 68, 69, 70, 72, die übrigen zweistimmig.
Ein weiter in Betracht zu ziehendes Werk von Rist 1 ) ist
„N euer Teutscher Parnass,
auf welchem befindlich
Ehr- und Lehr}
Schertz- und Schmertz- Gewächse,
Leid- und Freudenwelche zu unterschiedlichen Zeiten gepfiantzet u. s. w.
Lüneburg 1652.
Überschwängliche Lo bgedichte, Hochzeitsgedichte und
Gelegenheitspoesien aller Art bilden den litterarischen Inhalt
dieses Bandes, zu dem Michael Jacobi, Rist und Pape einund zweistimmige Melodieen geliefert haben.
) Die „Himmlischen Lieder" von Rist mit l\lelodien vo11 Schop, die
1643, aber vor der Florabella erschienen sind, enthalten geistliche Gedichte, gehören also nicht in den Bereich dieser Untersuchung.
1
Endlich sind noch zu erwähnen zwei Schauspiele von Rist:
„Das Friede wünschende Teutschland" und „Das Friede
jauchtzende Teutschland", ersteres 1647, 1649 und 1673, letz·
teres 1653 erschienen, beide mit Melodien von Jakobi.
Dem litterarischen Inhalt und Wert dieser wie der vorher
erwähnten Werke Rists ist (abgesehen von Koberstein, Goedeke u. a.) b ei Schletterer , Johann Risten: Das Friede wünschende Teutschland und das Friede jauchtzende Teutschland,
Augsburg 1864 und bei Hansen, Johann Rist und seine Zeit,
Halle 1872, eine eingehende Besprechung gewidmet worden.
Johann Rist hatte sehr viele Feinde und Gegner, als deren
erbittertster Philipp von Zesen hervortritt, der 1643 in Hamburg die deutscbgesinnte Genossenschaft stiftete. Auf seine
litterarischen Fehden mit Rist kann hier :i;icht eingegangen
werden. Er kommt hier nur in Betracht als Verfasser einiger
Sammlungen von Gedichten, die von Musikern des siebzehnten
Jahrhunderts in Musik g esetzt worden sind. Es sind dies:
Fili ps von Zesen
Dichterisches
Rosen und Liljen-tahl 1
mit mancherlei
Lob· lust- schertz- schmertz- leidund
freuden-liedern
gezieret.
Zu Hamburg
bei Georg Rebenlein.
Im 1670. Jahre.
Diese Sammlung enthält 115 Gedichte mit zweistimmigen
Melodieen.
Ferner
„Die schöne Hamburgerin"
1668
und
Die Reimweisse
Hertzogin
auf Gnädigsten befehl
2*
20
besungen
durch
F. von Zesen.
Auch ausserhalb Hamburgs wurden die Komponisten der
Hamburger Liederbücher zu Kompositionen herangezo§'en.
Hierher gehört zunächst ein Gedichtbuch von Jacob Schw1ger,
der, wie Reifferscheid (in der allgem. deutschen Biographie)
nachgewiesen hat, mit Filidor dem Dorfferer identisch ist.
Das Buch ist
Liebes-Grillen
das ist 1
Lust- und Liebes
Schertz- Ehr- und SittenLieder u. s. w.
Auf begehren hervorgegeben
von
Jacobo Schwiegern 1 A. H.
Hamburg
Gedruckt bei Michael Pfeiffern
1656.
Dieser Band enthält 4 Bücher Liebesgedichte mit Melodieen, und zwar das erste und zweite Buch je 30, das dritte
und vierte je 20 Gedichte. Zu erwähnen ist noch, dass der
1. Teil 1654 erschienen . .
Aus demselben Jahre stammt
Jacobi Schwiegers
Wandlungs-Lust 1
Welche
In allerhand Anbindungs- Hochzeit- NeuJahres- und Liebes Schäfereien bestehet.
So dan auch
Mit gantz neuen und
wolklingenden Weisen ausgeschmükket
von dem
•
21
Vortrefflichen / weitberühmten und
sehr wolerfahrnen
Herrn Hans Haken
u. s. w.
Hamburg 1656 .
Drei Jahre später erschien
V erlachte Venus f
aus
Liebe der Tugend
und
teutsch gesinneten Gemühtern zur ergetzung /
auf
begehren
der Hoch-Tugend Edelen und Ehren-wehrten
Constantia /
aufgesetzet
von
Jacob Schwigern.
Glückstadt / gedrukt bei Melchior
Koch / im Jahr 1659.
Das wichtigste Werk Schwigers aber ist
Die
Geharnschte Venus
oder
Liebes Lieder im Kriege gedichtet mit neuen Gesang-Weisen
zu singen und zu spielen gesezzet
nebenst
etlichen Sinnreden der Liebe
Verfertiget
und
Lustigen Gemütern zu Gefallen
herausgegeben
von
Filidor dem Dorfferer.
Hamburg
1660.
Dieses Werk enthält 70 Liebeslieder mit Melodieen: (Ober-
22
und Unterstimme. Neu abgedruckt sind die Gedichte von
Raehse (Halle, Niemeyer, 1888, 74 und 75).
Eine dritte Gruppe endlich zeigt einen Dichter; die Melodieen sind von einem Komponisten oder es sind bereits
bekannte. Hierher gehört:
Schärfer-Belustigung
oder
Zur Lehr und Ergetzligkeit angestimmter Hirtben Lieder
Erstes und Andres Buch
Nebenst zugehörigen Melodeyen
ausgefärtiget von
Enoch Gläsern
aus Schlesien.
Altorf bei Georg Hagen 1 der Universität Buchdrukkern daselbst 1653.
Über die Melodien belehrt die Vorrede: „Wisse also der
geneigte Leser j dass die meisten gantz neu erfunden 1 aufser
etliche 1 welche sonst bekand und theils von den Frantzosen
tbeils andern nachdehm es manchem Freunde beliebet j entlehnet worden. In jenen hat voraus seinen Fleifs angewendet
meiner vertrautesten einer H. Georg Klemm j anjetzo noch in
Helmstädt Studierend, dessen ich billig vorhergedenke."
In Norddeutschland gehört eine Liedersammlung hierher,
deren Herausgeber der Dichter ist, deren Melodien aber nicht
näher bezeichnet sind; sie stammen wahrscheinlich aus der
französischen oder italienischen Tanzmusik.
Es ist:
Erster Theil l1)
Allerhand Oden und Lieder j
welche auff allerley j als Italiänische j 2) Frafitzösische 1 Engische j vnd anderer Teutschen guten Componisten, Melodien
und Arien gerichtet j hohen und Nieder Standes 8) Persohnen
zu sonderlicher Ergetzligkeit j in · vornehmen Conviviis vnd
') Ob ein zweiter Teil erschienen ist, ist ungewiss.
Goedeke III, 95 liest (nach einem älteren Druck vom Jahr 1642)
„Italianische ".
3) Bei G.: Stands.
2)
23
Zusammenkunfften J bey Clavi Cymbalen, Lauten J Tiorben,
Pandorn J Violen di Gamba 1 gantz bequemlich zu gebrauchen J
vnd zu singen 1
Gestellet vnd in Druck gegeben
J
durch
Gabrielem Voigtländer 1 Ihrer Hoch Printzlichen Durchlauchtigkeit zu Dannemarck vnd Norwegen etc wohlbestelten
Hoff-Feld Trompetern vnd Musico.
J
Lübeck
Bey Michael V olcken
Im Jahr
MDCL.
J
J
In den bisher in 3 Gruppen angeführten Werken nahmen die
Musiker nur eine untergeordnete Stellung ein. Selbst Albert
und Weichmann traten nur mit bescheidenen, schlichten Versuchen auf. Es geht überhaupt durch die ganzen Musiker,
die auf dem hier zu behandelnden Gebiete thätig waren, ein
Zug von Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit, der ausserordentlich charakteristisch ist. Die zitierten Vorreden lassen
das zum Teil erkennen. Eine interessante Bemerkung macht
auch Gläser in der Vorrede zum ersten Teil seiner SchäferBelustigung: „ . .. sie geben solche verfertigte Melodeyen
nicht eben vor grofse Musterstücke aus, sondern als blofse
anzeigungen ihrer zu dergleichen Künsten gefafsten Liebe."
Aus der Masse der Autoren von Liederbüchern in der
Art der angeführten hebt sich, die Musik als Hauptmoment
betonend, scharf ab Andreas Hammerschmied, der aber auch
kein untergeordneter Musiker, sondern auf dem Gebiet der
Kirchenmusik wenigstens Autorität war. Er unternahm es,
1650 eine Liedersammlung zu veröffentlichen, die zugleich
die Liedkomposition in ganz Mitteldeutschland wach rief.
Es war:
Weltliche Oden
oder
Liebesgesänge
mit einer und zwei Stimmen zu singen benebenst einer Violina und dem Basso pro Viola di gamba diorba etc.
24
auf eine sonderliche Invention
componieret
von
Andrea Hammerschmieden
zur Zeit Organisten vu Zittau 1
in Oberlausitz. Freiberg in Meifsen.
Auch der zweite Teil erschien in Freiberg, der dritte in
Leipzig. Im ersten Teil sind 18, im zweiten 20, im dritten
30 Lieder enthalten.
Der litterarische Inhalt der ersten Monodienbücher
tn Deutschland. 1)
Erst mit dem 17. J ahrhundert begann auch auf die
deutsche Litteratur der Einfluss der Wiederbelebung des klassischen Altertums sich entschiedener geltend zu machen,
aber zunächst nicht zum Vorteil der Dichtkunst. Denn da
zugleich mit der antikisierenden Richtung die Gelehrtenwelt
eine herrschende Stellung einzunehmen begann, diese aber
ihren Ideenkreis auf Ji,rem des, A~sserdeutsches hauptsächlich
konzentrierte, so konnte natürlich die Volkstümlichkeit der
Poesie 2u keiner rechten Entfaltung kommen. Daher krankt
denn auch die deutsche Litteratur in dieser Zeit an Verirrungen des Geschmacks und künstlerischen Verkehrtheiten
aller Art.
Eine andere Folge der Gelehrtenherrschaft war eine Änderung in den örtlichen Verhältnissen der von dem protestantischen Schul- und Universitätswesen abhängigen Litteratur. Zugleich mit dem Protestantismus wandte sie sich
im 1 7. Jahrhundert mehr nach Norden und Osten. So treffen
wir in Königsberg zunächst ein lebhafteres Interesse für die
deutsche Litteratur, das sich bald in dem Entstehen eines
durch das geistige Band der Freundschaft und Kunst verknüften Dichterkreises kund that, und in dem die Namen
Simon Dach, Heinrich Albert und Robert Roberthin wichtig sind.
Die Gedichte des Königsberger Dichterkreises 2) durch1
2
)
)
Kobersteins Grundriss II.
Oesterley, Simon Dach, seiue Freunde und J. Röling.
25
weht ein eigenartig elegischer Hauch; überall herrscht dasselbe Wühlen in Todesgedanken, überall dieselbe Zahmheit
der Freude und dieselbe Mattherzigkeit des Lebensgenusses. 1)
Es ist das aus der Geschichte dieser Zeit zu erklären. 2)
In Deutschland wütete der dreissigjährige Krieg mit seinen
Greueln; auch Preussen war von einer ähnlichen Heimsuchung
durch den Kampf zwischen Schweden und Polen nicht frei
geblieben. Eine pestartige Seuche, der 1620 allein in Königsberg 15 000 Opfer gefallen sein sollen, scheint das durch Verarmung und Hungersnot ohnehin unglückliche Land nur erst
im Jahre 1660 nach mehrfachen erneuten heftigen .Ausbrüchen
verlassen zu haben.
Die beiden für Königsberg in Betracht kommenden Werke
sind Alberts und Weichmanns Arienbücher.
Als äussere
Eigentümlichkeit weisen beide eine Vermischung von geistlichen und weltlichen Texten auf, die damals üblich war. In
wie weit die Gegensätze in solchen Zusammenstellungen geschärft wurden, sieht man aus einer von Becker in seiner
„Hausmusik" 3) (Seite 9) erwähnten Liedersammlung aus dem
Jahre 1569 von Jacob Meiland,4) in der zum Beispiel auf
das Lied „Christ lag in Todesbanden" ein Trinklied „Herzliebster Wein von mir nicht weich" folgt. Obwohl auch in
Königsberg eine solche willkürliche Zusammenstellung bereits
bekannt war, glauben Albert und Weichmann doch, dem Publikum Erklärungen dafür schuldig zu sein.
Albert sagt in der Vorrede zum ersten Teil: „Wunderte
euch etwan dieses, dafs ich Geist- und Weltliche Lieder in
ein Buch zusammengesetzet, so gedencket, wie es mit ewren
eignen Leben beschaffen, die Ihr offt an einem Tage des
Morgens andächtig, des Mittags in einem Garten oder lustigem
Orte, und des Abends bey einer Ehrlichen Gesellschaft, auch
wohl gar bey der Liebsten fröhlich seid."
Ähnlich in der Vorrede zum dritten Teil:
„Es dienen aber diese Lieder sonderlich für junge Leute 1
sich damit vnterweilen zu erlustigen. Vnd weil es zu ge') a. a. 0. Einltg. XVII.
2 ) Döring, Zur Geschichte der Musik in Preussen 83 ff.
3 ) Becker, Geschichte der Hausmusik in Deutschland.
4 ) Goedeke II, 48 ff. scheint den Verfasser nicht zu kennen.
26
schehen pflegt 1 dafs ihnen offtermahls auch mitten in der
Frölichkeit 1 doraufs 1 wenn es wor ein wenig nicht nach
ihrem Willen geht 1 sonderbare Sterbens Gedancken zufallen 1
als werden sie auch in diesem 1 wie in den vorhergehenden
vnd folgenden Theilen finden 1 was diesfals ihre Andacht nicht
wenig befördern wird."
In diesem Sinne spricht er sich auch in der Vorrede zum
vierten Teil aus.
Eine ähnliche Erklärung wie Albert giebt Weichmann in
der Vorrede zum ersten Teil:
„Lasset euch aber nicht irren 1 dafs ich Geist- und Weltliche Lieder in ein Buch zusammen gebracht 1 bedencket nur
Euer Leben 1 da ihr zuweilen lustig 1 zu weilen traurig 1 vnd
offt auf Todes-gedancken gerahtet 1 ihr werdet alhier was zu
iederzeit euer Andacht 1 wie auch euer Lust und Ergötzlichkeit befördern wird zu finden haben."
Was die weltlichen Lieder, mit denen wir uns hauptsächlich zu beschäftigen haben, anlangt, so spielen unter ihnen
die Gelegenheitsgedichte eine grosse Rolle. 1) Die Persönlichkeit des Dichters trat im 17. Jahrhundert mehr und mehr in
den Vordergrund; subjektive Anschauungen und Empfindungen
drängen sich an die Stelle volkstümlicher Allgemeinheit. Eine
der hauptsächlichsten Formen, in denen die engherzigen Bestrebungen der Dichter so recht zum Ausdruck kommen, ist
das Gelegenheitsgedicht. Zu allen möglichen Gelegenheiten,
Todesfällen, Hochzeiten, 2) Abschieds- oder Ankunftsfeierlichkeiten wurden sie angefertigt. Benjamin N eukirch (Herrn
von Hoffmannswaldau u. a. D. Gedichte 1695 I Vorrede) erzählt, dass die Gelegenheitsgedichte damals so im Sehwange
gewesen seien, dass sogar die Knaben in der Schule sich
damit abquälten.
Diese Sitte artete schliesslich so aus, dass beispielsweise
in Hamburg 1658 der Magistrat dagegen einschreiten musste.
Alberts und Weichmanns Sammlungen, noch mehr aber Rists
Werke wimmeln von solchen minderwertigen Poesien.
Koberstein, II 108 ff.
Hayn, Bibliotheca Germ anorum nuptialis.
Bahlmann, Deutsche , insbesondere Hamburger Hochzeitsgedichte des
17. und 18. Jahrhunderts.
1)
2
)
27
Aber vielleicht war es gerade die Gelegenheitsdichtung,
welche eine freundschaftliche Verbindung zwischen den Königsbergern zustande brachte (siehe Fischer, Gedichte des Königsberger Dichterkreises Halle 1883, XXX).
Wie schon bemerkt, sind für die Königsberger die Todesschatten charakteristisch, die ihre Gedichte verdüstern. Ernste
Mahnungen zur Tugend und Verachtung aller irdischen Nichtigkeiten drängen sich vor; selbst die Liebespoesie ist Tbränenpoesie; in I, 16 bei Albert klagt H. Bucholtz:
Wie oft hab ich gesungen
Von deiner Augen Macht 1
Dass Berg und Thal erklungen
Und neben uns gelacht 1
Wie pflegen wir zu schertzen 1
Du liebtes mich 1 ich Dich 1
Und das aus keuschem Hertzen,
Jetzt endert alles sich.
In III, 6 begebt Franck sogar die Geschmacklosigkeit,
den unglücklichen Liebhaber mit einem Toten zu vergleichen:
Euch reifst des Todes Zahn darnieder 1
Ibn reifst der Ungunst Gift dahin 1
Die Würme nagen Eure Glieder 1
Ihn nagt der Liebsten harter Sinn 1
Ihr seid beraubt der Sinne Röhren 1
Er kann nicht fühlen, sehn noch hören.
Über die Untreue der Frauen, über ihr „falsches Scbertzen
(I, 20) und das mit List verhüllte Hertzen" werden lange
Trauerlieder gesungen. Auch die Sprödigkeit der Geliebten,
ihl'
Felsengleicher Sinn
Der kein Erbärmnis pflegt zu fohlen (II, 8)
giebt Anlass zu Klagen. Beliebt sind Vergleiche wie der
obige „ felsengleicher Sinn"; so III, 11
oder III, 17
Ihr Mut ist eisenfest 1
Dem Demant zu vergleichen
Der sieb nicht beugen läfst,
28
Lasst mir einen Demant bringen
Den der härtste Stahl nicht gleicht
Ihn will ich bezwingen u. s. w.
Aber deinen Hafs nicht.
Neben der grossen Masse der Gelegenheitsgedichte, neben
den Gedichten mit moralisierender Tendenz spielten Liebes-,
Trink- und Naturlieder noch eine grosse Rolle. 1 ) Aber auch
sie blieben nicht unbeeinflusst von der gelehrten Richtung, die
namentlich der ihrem Wesen völlig fremd gegenüberstehenden
Liebespoesie lästige Fesseln auferlegte. Nur erfundene, nicht
wirklich durchlebte Stimmungen lagen den Liebesgedichten
zugrunde, und das leidige Schäferwesen mit seiner unnatürlichen Ziererei machte diese Poesien vollends ungeniessbar.
Bis zum Überdruss wird die Natur zu Vergleichen in die
Liebeslyrik hineingezogen; die Geliebte ist „ des Geistes Sonne",
die Augen sind „der Sterne Strahl", die Zähren „ein trüber
Bach, der der Wangen Feld durchfiiefset", die Wangen sind
Feldnarcissen und Lilien; auch zu anderen Vergleichen stellt
die Natur Verschiedenes: „Jugend ist gleich schnellen Winden" ,
das Alter ist „die Winterszeit" , „Sinnenlerm" ist Sturm, die
Hoffnung der Mond, der Sommer die Brunst, der Winter die
Furcht u. s. w.
Ein Zug aus der galanten Lyrik ist es, wenn es in der
„Schäffer-Belustigung" II, 9 heisst
„Ich liebe 1 du liebest 1 er liebet das Lieben
Wir alle fast werden von Liebe getrieben."
1
Ähnlich dichtet Hoffmannswaldau: 2)
„Ich liebe, du liebest, er liebet das Lieben,
Was liebet wird alles vom Lieben getrieben."
Dem Dichter, wie dem Komponisten der „Schäffer-Belustigung" hat überhaupt Alberts Werk zum Vorbild gedient.
Flüchtigkeit alles Irdischen, Lob der Tugend behandelt der
Dichter in seinen Poesien. Auch der Natur ist gedacht und
zwar mit einem Frühlingslied, einem Sommerlied und einem
Herbstlied.
) Siehe Hoffmann v. Fallersleben, Die deutschen Gesellschaftslieder
des 16. und 17. Jahrhunderts, Leipzig 18i4.
2
) D. h., er hat Gläsers Worte überno=en .
1
...
29
Parodien auf eigene oder anderer (z. B. II, 1 auf ein
Opitzsches Gedicht) Gedichte kommen ebenfalls vor. Die
Liebeslieder besingen die „Hartigkeit" der Geliebten, die
Qualen, die die Liebe verursacht, die Schönheit der Geliebten
und Ähnliches.
Wie abgeschmackt und süsslich die Verse oft waren, zeigt
folgendes Beispiel aus Schreibers Liebesknospen Nr. 8:
Dorindchen mein Gehör 1
Ergetzestu vielmehr 1
Den aller Seiten Thon 1
Dein Stimmchen bringt ein Hohn 1
Das besten Lauten Quintchen 1
Dorindchen.
oder Nr. 9, wo am Schlusse jedes Verses ein Reim auf Marindchen gebracht wird, wie „Gesindchen, Windehen, Hündchen,
Wündchen, Fündchen, Mündchen" und was dergleichen Wortspielereien mehr waren.
W abrhaft erfrischend wirkt inmitten dieser weichlichen
Lyrik die plumpe, derbe, ja bisweilen rohe Lebensphilosophie,
die in den hundert lustigen und heiteren Liedern der Voigtländerschen Sammlung (die übrigens litterarisch interessanter
als musikalisch ist) herrscht. Hier tritt das praktische Element in den Vordergrund. So in No. 16:
Weiber nehmen ist kein
Pferde-Kauff:
1. Jung Gesell wiltu freyen
So ist die Wahl gar schwer 1
dafs dichs nicht möge rewen
raht ich, bedenks vorher.
Kriegst eine du mit viel Vermögen
so bald du was sagst
So stellt sie zornig sich dagegen
worüber du denn klagst,
dafs du hast eine Frau genommen
Und einen Herren mitbekommen,
Denn sie wird sagen zu dir 1
was hast du bracht zu mir.
30
Dieser Gedanke ist im 17. Jahrhundert ausserordentlich
beliebt. 1 ) Sogar noch im 18. Jahrhundert kommt er vor. In
der Komödie „Colombina der Zwilling" singt Olivette
Freyen ist kein Pferdekauf!
Wer sich erst nicht will bedencken,
Wird sich dann vergeblich kräncken ,
Durch den ganzen Lebenslauf.
Freyen ist kein Pferdekauf.
Spitta (Musikgeschichtliche Aufsätze, Berlin 1894 S. 289)
erwähnt dasselbe Lied mit drei Strophen und Melodie in einem
Sammelband von Arien, den ein gewisser Lorenz Hoffmann
1720 sich anlegte. Bei Voigtländer ist derselbe Gedanke in
18 „Allerley Bedenken im Heyrathen", der entgegengesetzte
in 17 und 19 („Dieser holt das Wiederspiel") durchgeführt.
Ähnliche praktische Winke giebt der Dichter in 32
„Alt und Jung schicket sich nicht
wol zusammen",
in 61
73
74
„Worzu die Jungfrauen nutze sein"
„Manche ist so lang hoffärtig,
bis sie ins alte Register kömmt."
Geld sticht jetzt Schönheit, Ehr und
Tugend weg u. s. w."
Auch allgemeine praktische Lebensregeln werden gegeben,
z. B. 51
Vor allen Reverentzet
W eils jeden so behagt,
52
Was für ein Stand zu erwählen sei.
57
Zur Vertreibung der Melancholey
72
Einern jeden klebt der Böse an
84
Man muss nicht allzeit mit dem Kopfe hindurch.
In einem anderen Liede wendet sich der Dichter von der
besseren Gesellschaft weg und „hälts mit seinen Bauermägden" .-i)
t) Siehe Spitta, Bach I, 169. .A.uch Spittas .A.ufsatz über Sperontes
singende Muse a.~d. Pleisse.
t) Zu der ebenfalls überhand nehmenden Sitte siehe Waldberg, J. G.
Schoch (A.. D. B. 34, Seite 729).
2 ) Bolte, Der Bauer im deutschen Liede.
31
Bisweilen tragen Text und Musik den Charakter eines
Couplets in unserem heutigen Sinne. So z. B. 32:
2. Was ich erzehlen will ist allzu wahr \
Vom Alter fallen gerne aus die Haar 1
Vom Alter wil der Kopf so frey nicht stehn \
Vom Alter werden einem stumpf die Zän \
Von Alter wird gar wüste das Gehirn 1
Von Alter kriegt man Runzeln an der Stirn.
u. s. w.
Derartige Wortwiederholungen kommen öfter vor z. B.
in 80:
Halb faul, halb frisch
Halb langsam, halb risch
Halb schwarz und halb weifs
Laufft halb, geht halb leifs
Halb karg und halb mild
u. s. w.
Ähnlich in 23:
Bin ich zu toll Sauf ich mich voll
Bin ich zu grob zu plump
u. s. w.
Auch Wortspielereien wie die folgende aus 25:
Wie sich eins theils anstellen \
Wenn sie geküsset werden
kommen vor: No. 25, 2
Sie wüten j sie rasen 1
Sie brausen \ sie blasen
Sie schlagen 1 sie beifsen 1
Sie werfen \ sie schmeifsen 1
Sie schnarchen \ sie schreyen
Sie zwicken \ sie speyen 1
Sie rennen \ sie laufen 1
Sie kleyen 1 sie rauffen 1
Sie droben \ vnd winden
Sich forne \ vnd hinten.
58, ein Sommerlied und 54 ein Frühlingslied passen offenbar
nicht in den Rahmen hinein. Zwei von diesen Liedern finden
32
sich übrigens noch im Liederbuch des Studenten Clodius 1)
von 1669, müssen also sehr beliebt gewesen sein. Es sind
dies die beiden
„Eine reiche Magd hat Matz"
und
„Giebt Gott uns Wein."
(V
Zu schamloser Roheit artet die Liebeslyrik aus in der
Geharnischten Venus und in den Liebesgrillen von Jacob
Schwiger.
Trinklieder finden sich verhältnismässig wenig; ebenso
Naturlieder; zwar ist das Erfassen und Durchdringen der
Natur mit der Seele ein spezieller Zug des Germanentums,
aber solange Deutschland unter dem Einflusse fremder, diesen
Zug nicht kennender Elemente steht, tritt in der Kunstdichtung die romantische Naturstimmung zurück. So ist es im
17. Jahrhundert.
Eine andere Sitte waren die Reden Verstorbener aus dem
Grabe, z. B. Albert II, 7: Rede einer verstorbenen Jungfrawen
aus dem Grabe. Heu! ubi noster honos, laus, decus atque
nitor? oder IV, 4: Letzte Rede einer vormals stoltzen vnd
gleich jetzt sterbenden Jungfrawen. Auch VI, 9 gehört hierher. Bei Weichmann ist diese Dichtungsart III, 1 mit einem
von Adam Gutsehe gedichteten, dem Roberthinschen bei Albert
sehr ähnlichen Beispiel v ertreten . Anlehnungen an heimatliche
Verhältnisse, wie die öftere Erwähnung des Pregel oder des
Meeres kommen auch bei Albert sehr oft vor. 2)
Die Gedichte der Albertschen und Weichmannschen Arienbücher sind, wie schon erwähnt, von Mitgliedern des Königsberger Dichterkreises und zwar bei Albert von
Robert Roberthin (Berrintho, R) 16,
Andreas Adersbach (Barchedas, A. A.) 8,
Johann Peter Titz 5,
Martin Opitz 3,
Cbristoff Kaldenbach (Celadon) 3,
1 ) W. Niessen, Das Liederbuch des Studenten Clodius vom Jahr 1669.
Leipzig 1891.
2
) Über das Zurückgehen nautischer Vergleiche wie über die ganze
Art der hier in Betracht kommenden Vergleiche siehe Waldberg , Die galante Lyrik.
33
;
Christophorus Wilkow (C. W.) 2,
:M. Georg Mylius 2,
Michael Behm (M. B.) 2,
Johann Sand 1,
Johann Gamper 1,
Jonas Daniel Koschwitz 1,
c. V. M. 3,
P. S. 1,
Anonym sind sieben.
Von Albert selbst rühren 18 Gedichte her, die meisten
aber, 120, von Simon Dach (S. D. Chasmindo), dem Haupt
und Vorbild des Königsberger Dichterkreises. 1 )
Zu Weichmanns Werk lieferten Gedichte:
Johann Franck 27,
Theodor Wolder (T. W.) 17,
Hans Heinrich Kohlhans 5,
Heinrich Bucholtz 4,
Heinrich Held 3,
Opitz 3,
Zesen (Caesius) 1,
E. A. S. P. 1,
Adam Gutsehe 1,
Mylius 1,
M. B. 1,
J. W. 2) 1.
Voigtländer und Georg Heinrich Weber waren selbst die
Dichter.
An die Stelle von Königsberg trat Hamburg als Hauptpflegestätte des deutschen Liedes. Der gelehrte Pfarrer Johann Rist in Wedel war der geistige Mittelpunkt eines dem
Königsberger sehr ähnlichen Künstlerkreises. So sehr er sich
durch seine Eitelkeit und seine Vielschreiberei 3) bei den zeitgenössischen Schriftstellern verhasst gemacht hatte, so warme
Bewunderung und Anerkennung wurde ihm von den Musikern
1
eine Freunde und Johann Röling,
) H. Oesterley, Simon Dach,
Deutsche National.-Litt. Bd. 30.
2 ) J. W. ist wahrscheinlich Weichmann selbst, was Gödeke Bd. 3,
. 135, bestreitet.
3
) M. v. Walderberg, Johann Rist.
3
34
gezollt. Viele Tonsetzer seiner Zeit drängten sich förmlich
zu der Ehre, seine Lieder komponieren zu dürfen, und sogar
seine schlechtesten Gedichte wurden in Musik gesetzt. Er
selbst wusste (siehe Vorrede zum „Seelenparadies") das Glück
zu schätzen, „dafs die fürnehmsten und kunsterfahrcasten
Musici in Deutschland" 1) ihm „in Aufsetzung vieler tausend
auserlesener Melodien gern zu Willen gewesen" sind. Es
musste ihn dies um so angenehmer berühren, als er selbst ein
begeisterter Anhänger der Musik war, und im „sonderbaren
Buch Neuer himmlischer Lieder" bekennt, „dafs der Gesang,
wenn derselbe von einer menschlichen Stimme, danebenst auch
wohlklingende Instrumente erschallen, noch bis auf den heutigen Tag den Liedern ein rechtes Leben und erwünschte
Anmuthigkeit giebt".
Musikalisches.
Es war die Aufgabe der ersten Komponisten von Liedern
im neuen Stil, sich von der starren Kontrapunktik frei zu
machen und die Musik den Worten des Textes anzubequemen.
Es waren zunächst Experimente, die vorgenommen wurden,
und die vorerst noch selten gelangen. So ist eine wirklich
liedmässige Melodie in den ersten Versuchen nicht zu finden;
bricht wirklich einmal eine gemütvolle und gefällige Kantilene
durch, so sind die Einflüsse von Chorälen oder Tänzen unverkennbar. Ja, stellenweise werden sogar Tanzformen ausdrücklich benutzt, bei anderen Liedern wieder ist die Abstammung von italienischen oder französischen Tänzen unverkennbar. 2 ) Im 16. Jahrhundert bereits waren ausländische
Tänze in Deutschland eingedrungen und erfreuten sich grosser
') Das ist eine Übertreibung von Rist, denn es ist gerade das Eigentümliche an der ersten Periode des neuen Liedes etwa bis auf Hammerschmidt, dass seine Ausbildung in deu Händen untergeordneter Musiker
lag. Ähnlich ist das Schicksal der Monodie in· Italien bis auf Monteverdi.
2
) Zu dem Folgenden siehe Franz M. Böhme, Geschichte des Tanzes
in Deutschland, Leipzig 1886 I, 120 ff. , 255 ff., auch:
F. L. Schubert , Die Tanzmusik in ihrer historischen Entwicklung.
Leipzig 1867.
A. Czerwinski, Die Tänze des 16. Jahrhunderts. Danzig 1878.
A. Czerwinski, Geschichte der Tanzkunst, Leipzig 1862.
35
Beliebtheit. Es waren Galliarde, Volta, Pavane, Passemezzo,
Courante, Sarabande und Allemande, zu denen sich im
17. Jahrhundert noch Ballet, Gigue und Menuett gesellten.
Die Tanzmelodien zeigen eine gesunde Rhythmik und ein
schönes Ebenmaass im Periodenbau. Sie bestehen gewöhnlich
aus zwei 4-8taktigen Teilen, die wiederholt werden. Es
finden sich aber auch einfache, 8-16taktige Perioden und
endlich dreiteilige Formen. Stehend'\- für deutsche wie italie"-""'nische Tänze ist die Taktumwandlung. Sie bestand darin,
dass der zuerst in geradem Takt gesetzte Tanz (prima pars,
Vortanz) gleich darauf in ungradem Takte wiederholt ward.
Diese veränderte Wiederholung der Melodie nannte man secunda pars oder proportio.
Ein andrer Teil der Lieder trägt dagegen noch choralmässigen Charakter. In Weichmann, der als Komponist weltlicher Lieder bis jetzt kaum Beachtung gefunden hat (Reissmann 1) und Schneider 2) kennen ihn nicht, andere, wie Winterfeld und Döring, erwähnen nur seine Bedeutung auf dem
Gebiete der Kirchenmusik) tritt uns ein gelehrter Musiker
entgegen, der mit allen Regeln seiner Kunst wohl vertraut
ist, dem aber der Sinn für einfache, schlichte, volkstümliche
W eisen abgeht. Auch ist er nicht -so vielseitig wie Albert;
alle seine Lieder tragen den Stempel ihrer geistlichen Abstammung auf der Stirn, von Tonmalerei ist sehr wenig zu
spüren. Die begleitende Stimme ist zwar rhythmisch wenig
belebt, kontrapunktiert aber äusserst geschickt die Oberstimme.
Nachspiele kommen nicht vor, nur viermal ein einzelner nachschlagender Akkord. Häufiger sind Zwischenspiele in der Art
wie bei Albert. Der Einfluss der Kirche, der bei Weichmann
noch in dem gemessenen, feierlichen Charakter der fast nur
in Sekunden fortschreitenden Melodie sich kundgiebt, schwindet
öfter bei Albert. Albert sucht die lästigen Fesseln bisweilen
abzustreifen, sich frei zu machen von fremden Einflüssen, ja,
durch Tonmalereien, Formerweiterungen schon auf die weitere
Entwicklung des Liedes hinzudeuten. Das Verhältnis des
1 ) August Reissmann, Das deutsche Lied in seiner historischen Entwicklung.
2 ) Dr. K. F. Schneider, Das musikalische Lied in geschichtlicher
Entwicklung.
8*
36
Textes zur Musik wird von Albert und Weichmann ausdrücklich bestimmt. In der Vorrede zum ersten Teil sagt Albert:
„Nachmals (müsset Ihr) auch eines Sängers gebrauchen 1
der nebenst anderer Erfordernufs 1 die Worte deutlich und
wol heraufs bringe 1 und in derselben Aufssprach in denen
Syllaben 1 so auf Consonantes oder Diphtongos enden 1 nicht
eher den Consonanten oder letzten Vocalem Diphtongi anschlage 1 denn es Zeit ist."
In der Vorrede zum dritten Teil heisst es:
„Wenn ein Lied 1 einig und allein in Melodey zu vernehmen 1 sol gespielet werden 1 da mufs man billich den Discant oder die Arie, wie sie steht mitnehmen vnd deutlich ins
Gehör bringen; Ist aber ein Singer vorhanden 1 oder dafs man
selbst darzu singt J alfsdann richtet man sich einig vnd allein
im Spielen nach dem vorgeschriebenen Basso vnd wird also
die rechte Hand, welche sonst die singende Stimme angedeutet
hatte J besser zu nützt gebracht 1 nemblich die Accorden desto
richtiger in acht zu nehmen J vnd die Harmoney so viel lebhafter zu machen."
Weichmann sagt in der Vorrede zum ersten Teil:
„Wolt ihr das Wercklein gebrauchen müfset ihr zuvörderst einen vnd anderen guten Sänger haben 1 die ihre Stimmen
zu moderiren und mit deutlicher Vernehmung die Wörter fein
hervorzubringen wissen."
Alberts Bemerkung zeigt übrigens deutlieh das Verhältnis
des Sängers zur Instrumentalbegleitung. Es war gar nicht
nötig, dass die Lieder gesungen wurden, sie konnten ebenso
als reine Instrumentalstücke gelten . Viele Liederbücher tragen
gleich auf dem Titel die Bemerkung „zu singen und zu spielen";
so Webers Sing- und Spielarien, die Geharnischte Venus u. a.
Erst später macht man sich von dieser Abhängigkeit frei.
Wurden aber die Lieder wirklich als Gesänge behandelt, so
war der Text die Hauptsache. Als trefflichstes unter den
vielen Beispielen hierfür bei Albert führe ich den Anfang
der zwölften Arie des ersten Teils an, wo einfach der natürliche, beim Sprechen des Textes in Anwendung kommende
Tonfall musikalisch fixiert ist:
„[O ihr] Auszug meiner Frewden, dem mein Herz sich
un tergiebt"; der stärkste Accent liegt auf der Silbe „Aus-",
J
37
1-
weshalb für sie der höchste Ton g fixiert worden ist, während
für die am schwächsten betonte Silbe am Ende des Satzes
„-giebt" der tiefste Ton g angewendet worden ist. Bei dem
Wort „Ihr" am Anfang der Verszeile geht die Stimme in die
Höhe, gleichsam um zu dem starken Accent auf „Aus-" aus·
zuholen, deshalb geht auch die Melodie auf dieser Silbe noch
über g bis a hinauf. Der Tonfall beim Sprechen schwächt
sich nach der Mitte (Frewden) zu, steigt von da wieder bis
„Hertz" und sinkt am Ende „untergiebt" ganz herab. Dieses
Steigen und Fallen zeigt auch die fixierte Melodie:
mein Hertz
~~=r_SL__l_~AI·========================
sich un - ter - giebt.
Der Umstand, dass diese. Arie in 8 / 2 Takt gezwängt ist,
was bei strenger Beobachtung desselben eine vollkommen
sinnwidrige Wortbetonung hervorruft, beweist, dass man sich
um die Musik und den derselben vorgeschriebenen Rhythmus
gar nicht kümmerte, sondern nur den Text ins Auge fasste.
Auch im Vorwort zum ersten Teil ermahnt Albert „dass der
Sänger . . . . fast keines Taktes sich gebrauche, sondern die
Worte, wie sie ungefährlich in einer etwas langsamen und
deutlichen Erzählung ausgeredet werden", zum Vortrag bringen.Es ist klar, dass auf diese Weise oft, manchmal ohne vom
Komponisten beabsichtigt zu sein, eine liedhafte Melodie ent··
stand, wie die vorliegende die durch ihren ungezwungenen,
natürlichen Charakter wie durch ihre Sangbarkeit angenehm
berührt. Solche liedhaft melodische Züge kommen in Alberts
weltlichen Liedern sehr oft vor. Gewisse anmutige und gefällige Phrasen kehren immer wieder, wie die folgenden Beispiele zeigen, die sich auffällig ähnlich sehen:
I, 19
II, 9
f-t-1--14'---=-~=,,.·---_-_a::-==l-=-==....t=-=-=:=-·==-·-;: :-. =--~-------___.~---a-~e--n-=j
Und sich bei den frischen Quel-len
Ein an - der halt auf
/
38
II, 14
0 ~i:191
Ei~~~=~
· 1;~~~s~S1E~~·§
~a~a~~:-=:=;.9~
und Guth
0
ihr
Bä - ehe die
Uns die Sterb-lich-keit auch rei - chen
ihr klar hin-zu - rau-sehen pfle - get
Nicht alle Melodien sind von Albert,1) so 12, welche die
Bezeichnung Aria Gallica, 3, welche die Bezeichnung Aria
Polonica tragen. Ferner kommen noch eine „Italienische Arie",
zwei Psalmmelodien von Goudimel, eine Melodie von Antoine
Boesset und endlich 3 Arien vor, welche mit Aria incerti
autoris überschrieben sind, unter diesen „Anke von Tharow",
wahrscheinlich eine Tanzmelodie von Samland (siehe Böhme,
Geschichte des Tanzes, II, 127).
Den weltlichen Liedern Alberts ist eine eingehende Betrachtung noch nicht gewidmet worden. Robert Eitner bemerkt
sehr treffend 2): „Wenn den Liedern auch noch die symmetrisch
abgerundete Form fehlt, und es mehr noch ein Tappen nach
dem richtigen Ausdruck ist, so können wir doch in Albert
den ältesten Liedkomponisten bewundern, der fast ohne Vorbild aus eigner schöpferischer Kraft das Gedicht in meist
treffender Deklamation zum melodischen Ausdruck bringt."
Döring 3) beschäftigt sich nur mit den geistlichen Liedern
Alberts. Schneider 4) hat die Bedeutung Alberts als ersten
deutschen Komponisten weltlicher einstimmiger Lieder richtig
erfasst, während Reissmann ") dieses so überaus wichtige Moment
völlig unberücksichtigt lässt und auf das Musikalische bei
Albert nur ganz allgemein eingeht, die Einfachheit und Dominantbewegung der Harmonien in der Hauptsache betont. Am
1 ) Fischer, Fremde Melodien in Albert Arien.
Vierteljahrsschrift für
Musikwissenschaft. II, 407 ff.
i) R. Eitner, Heinrich Albert, Musikbeilagen zu den Gedichten des
Königsberger Dichterlueises.
3) Döring, Geschichte der Musik in Preusscn.
4 ) Dr. K. F. Schneider, Das musikalische Lied in geschichtlicher Entwicklung. 3 Bände.
6 ) August Reissmann, Das deutsche Lied in seiner histol'ischen Entwicklung.
39
treffendsten ist Albert als Musiker von Winterfeld 1) behandelt
worden.
Alberts Vorbild waren die italienischen Kantaten, auf die
er in der Vorrede zu VI hinweist, wenn er sagt:
„ Was für herrliche und geistreiche Compositiones aus
Italien (welches billig die Muttee der edlen Music zu nennen)
zu vns gelangen, sehe ich offtermals mit höchster Verwunderung an."
Erdmann Neumeister hat in der Vorrede zu seinen geistlichen Kantaten ihr Wesen am bezeichnendsten charakterisiert
durch die Worte:
„Ein Stück von einer opera, vom stylo recitativo und
Arien zusammengesetzt." Einflüsse dieser Stilart sind ausser
in 5 selbständigen, grösseren Kantaten, die in Alberts Arien
mit aufgenommen sind auch in den strophischen Liedern zu
erkennen. Koloraturen und Melismen, die der Kehlfertigkeit
des Sängers Rechnung tragen, sind gewöhnlich am Schluss
und mit Rücksicht auf Worte des Textes, wie fliehen, eilen,
wehen, und ähnliche angewendet.
Albert eignet sich besonders für harmlose Naturbetrach~
tungen (Beilagen 2); wo er sich künstlerischer entfalten will,
gerät er häufig auf Abwege; noch mehr, wo er humorvoll
sein will, wie in dem burschikosen Trinklied I, 20. Für fein
durchdachte Harmonik hat er wenig Begabung; oft genug
verderben die Harmonien seine besten Melodien.
Als sein bestes Lied wird immer das Vorjahrsliedchen V,
18 angesehen, welches durch seine Anspruchslosigkeit und
Naivität fast den Charakter eines Volksliedes trägt. Es wird
auch von Reissmann (aber nicht ohne Fehler) zitiert; ebenso
von Schneider. Schon Becker hat es in der neuen Zeitschrift
für Musik B. 10, No. 28 abgedruckt (Beilagen 3). Ein anderes
Vorjahrslied für 2 Stimmen IV, 14 ist inhaltlich und musikalisch dem erstgenannten sehr ähnlich (siehe Beilagen 4).
Auch der Waldgesang VI, 20 gehört zu dieser Art Naturlieder
(Beilagen 2) .
.Andere einstimmige weltliche Lieder Alberts haben eine
mehr choralmässige Färbung. So II, 13, das in 4 rhythmische
1)
Winterfeld, Der evangelische Kirchengesang II, 136- 150.
40
Teile zerfällt (siehe Beilagen No. 5) I, 14. I, 6. II, 7. Hierfür waren ja im geistlichen Gesang genug Vorbilder gegeben,
und die Eigenarten desselben, Mangel an rhythmischer Belebtheit, Schluss der Melodie auf der Tonika, Anticipation, Harmonien im Sinne der alten Kirchentonarten haften von den
Italienern an bis tief in das siebzehnte Jahrhundert hinein
mehr oder weniger den 'Komponisten weltlicher Lieder an
Eine dritte Gruppe endlich ist aus Tanzmelodien hervorgegangen; bisweilen ist dies ausdrücklich bezeichnet wie in
III, 22, 23. V, 19: Tantz nach Ahrt der Polen, II, 13 achte
Strophe: Proportio nach Ahrt der Polen, VI, 14. VII, 16 in
Form eines Tantzes, VIII, 16, 17, 18, 19 Brauttanz.
In anderen Liedern z. B.: I, 25 ist auch ohne die ausdrückliche Bezeichnung die Abstammung von Tänzen noch
leicht zu erkennen.
~·
Die begleitende Stimme ist bei Albert ziemlich frei und
begnügt sich bei der Hälfte der einstimmigen Arien nicht damit, nur die harmonische Grundlage der Singstimme zu bilden.
Nachspiele kommen öfters vor und bestehen wie in I, 7, 8,
15, 16, 21. II, 8. III, 6, 7, 18, 30. IV, 4 aus einer mehrtaktigen und mehr- (2-3) stimmigen Symphonia Gder aus
einem nachschlagenden Aceord wie in III, 27. IV, 18, 22, 24.
In den wenigsten Fällen wird ein Motiv aus dem Liede selbst
im Nachspiel verwendet, gewöhnlich kommen neue Gedanken.
Die Bemerkung Schneiders a. a. 0, I_I, 499 „der Bass ahmt
immer die Singstimme im Wesentlichen nach" ist, wie aus den
vorangegangenen Untersuchungen zu ersehen, falsch.
~ "--
In folgenden Beispielen a u. b sind zwei ansprechende
Motive verwendet; b, offenbar ein Tanzmotiv, erinnert an die
im Beispiel 7 zitierte Arie des Oapello
n
{~...
'--"
a)
III, 18
Violin.
b)
.,..
.....
/
=
Symphonia.
;;
eto.
.;
..
III, 20
·-·
~,
- -·
Violin .
~
.
-~
41
{
~,__'---+--Ir
· s.--+-r---t--r---@@
======
i ======
ff_..__F~@I
,___
Auch Zwischenspiele, die freilich nur aus wenigen Noten
bestehen, kommen oft vor, z.B.: in I, 4, 5, 7, 9, 10, 14, 15,
16, 21. II, 7, 14, 18. III, 7, 14, 18.
Über die ·harmonische Ausführung der bezifferten Begleitungsstimme giebt Albert im Vorwort zu Teil 2 neue Regeln,
die noch heute gültigen Regeln des Generalbasse~
Was das Verhältnis der Musik zum Inhalt des Textes anlangt, so sind hin und wieder kleine Versuche von Tonmalerei
zu finden. In II, 18 malt die chromatisch aufsteigende Melodie
die Seufzer des unglücklich Liebenden:
Zit - tern stets muss schwe-ben
y
rt-B-~21~===================
1! : .
i
'
_:"· - - - - -
7!7
...
In IV, 4 ist die elegische Klage der sterbenden Jungfrau'
in vier Noten ausserordentlich treffend und charakteristisch
wiedergegeben:
l
\&@J_J. _L#-=tj
1
Lebt
al - le
wol
19~~8
W±d-#~j=-~-==-:..
Die begleitende Stimme schildert in II, 20 durch bewegte
Achtelgänge das Rauschen des Flusses:
1
f
42
In II, 14 kommt ein Echo vor. Der Gebrauch desselben
war in damaliger Zeit fast zur Manie geworden. Noch um
die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts spielt es eine grosse
Rolle. 1) Nach Spitta (Bach I, 61) verrät es die Einwirkung
, des Orgelstils. 2)
Die bisher besprochenen Lieder Alberts bewegten sieb
in kleineren Formen; aber es finden sich bei Albert auch einstimmige grössere Formen, alle unter dem Namen Arie. So
die Huldigungsmusik II, 20:
„Als Martin Opitz von Boberfeld u. s. w. nach Königsberg
kommen, seinen guten Freund Roberthin vnd andere daselbst
zu ersuchen 1 ward Ibme von Simon Dachen vnd mir 1 mit
etlicher Studenten Hülffe diese wenige Music gebracht 1 den
29. Heumonats im Jahr 1638."
Es liegt hier eine Kantate vor, in der instrumentale Sätze
mit einstimmigen vom basso continuo begleiteten gesanglichen
abwechseln und am Schluss ein Chorus die letzten Worte des
Textes
„Vnser Na.hme Lust und Ruh
Stehet Euch, Herr Opitz, zu"
wiederholt.
VI, 10 „Nemo confidat nimium secundis" überschrieben,
ist in demselben Stil gehalten: Eine fünfstimmige Symphonie
leitet die Kantate ein, dann folgt der erste Vers „cantus solus",
dann eine Symphonia secunda a 5, der zweite Vers Tenor
1
2
)
)
Ritter, Zur Geschichte des Orgelspiels, 147 f.
Spitta, Bach IT, 418 f.
43
solus, der dritte Altus solus, der vierte Bassus solus, dazwischen
jedesmal die Bemerkung „Repetatur hie praecedens Symphonia
si placet" [woraus hervorgeht, dass die Symphonien in keinem
inneren Zusammenhange mit dem Text stehen], und am Schluss
ein fünfstimmiger Chorus. Auch die Huldigungsmusik zur
Abreise des Kurfürsten von Brandenburg aus Königsberg VI,
11 und die Gratulationsmusik für Michael Friesen VIII, 10,
wo zwischen die instrumentalen Teile ein-, zwei-, drei- und
am Schluss ein fünfstimmiges Gesangsstück eingeflochten sind,
gehören der nämlichen Formengattung an.
In kleineren Liedern hat Albert nach einer l<'ormenerweiterung gestrebt, indem er, wie in I, 10. II, 18. IV, 16
Textworte wiederholt, oder wie in II, 12 für mehrere Verse
mehrere Melodien ersinnt. II, 13 steht schon in innerem Zusammenhange mit dem Text. Vers 1-7, choralmässig gehalten, beklagen die Sprödigkeit der Geliebten, Vers 8 und 9
werden nach einer Melodie gesungen, die aus der vorhergehenden durch Veränderung des Rhythmus aus 4 / 2 in 8 / 1 in
eine Proportio nach Art der Polen verwandelt worden ist.
Sie enthalten eine Aufforderung zum Lebensgenuss
„weil die Bli.i.th' uns noch erhitzt".
Auch VIII, 9 bat zwei Melodieen. Diese räumlichen Erweiterungen der Liedform kommen aber unter 192 Arien nur
9mal vor. Schneiders Behauptung a. a. 0. Band 2, Seite 490:
„Albert giebt ·noch häufig jeder Textstrophe eine andere Behandlung", ist also ungenau.
Weichmanns erster Teil enthält 8 einstimmige begleitete,
8 zweistimmige begleitete, 3 dreistimmige unbegleitete, der
zweite Teil 13 einstimmige begleitete, 6 zweistimmige begleitete, 1 dreistimmiges begleitetes. Der dritte Teil 23 einstimmige begleitete und 2 zweistimmige begleitete Lieder.
Bei Albert ist nach den letzten Teilen zu ein Abnehmen
der einstimmigen Gesänge und ein Zunehmen der düsteren
Todesstimmung zu erkennen; bei Weichmann ist gerade das
Gegenteil der Fall: im ersten Teil herrschen ernstere Stimmungen vor, die Gesänge sind meist mehrstimmig; im letzten
Teil sind von 25 Liedern 23 einstimmig und die Gedichte
meist Liebesgedichte.
Winterfeld, der im „Evangelischen Kirchengesang" II, 151
44
„Sorgen Lügnerin" citiert, rühmt von Weichmanns mehrstimmigen Gesängen die melodische Ausgestaltung der einzelnen
Stimmen, ihren edlen Gesang, die Art, wie sie eintreten, den
andern sich anschliessen und dann wieder verhallend absetzen und endlich die wechselnden, in so schönem Flusse
verschmelzenden Rhythmen.
Die Form ist bei Weichmann regelmässig. Nur die geistlichen Lieder zeigen Unregelmässigkeiten und sind mehr
recitativisch gehalten. Die Normalform ist:
1
Zeile
AAbschn~tt a} T 4k } Erste achttaktige Periode,
Zeile 2
bschmtt b
a te
S hl
. d
c uss m er
Zeile 3 } Wiederholung von
Ob d .
a und b
er ommante.
Zeile 4
Zeile
Zeile
Zeile
Zeile
5
6
7
8
Abschnitt c
} Z weite
. ach tta k t1ge
.
p eno
. d e;
S equenz von c
. d
d .
. d'
. d
mo u 1iert wie er m ie
Ab sc h mtt
T 'k
om a.
Sequenz von d
Als Beispiel für diese Form führe ich das achtzehnte
Lied des ersten Buches Musikbeilagen No. 6 an. Das ebendaselbst mitgeteilte lustige Mey-Liedlein (7) und die elegische
Scbäferklagc (8) sind die besten weltlichen Lieder Weichmanns.
Die Abstammung von italienischen und französischen
Instrumentalkompositionen ist besonders in Voigtländers Werk
in die Augen fallend. Die Melodieen haben keinen sangbaren
Charakter; übrigens wird die Ähnlichkeit mit folgendem Beispiel aus Negri, nuove inventioni di balli (le gratie d ' amore)
Milano 1604 1) leicht zu erkennen sein:
Voigtländer Nr. 4.
Italienischer Tanz.
Volkstümlichkeit oder speciell deutsche Züge , wie bei
Albert, fehlen aber diesen Melodieen.
Zum Teil weisen die ausserhalb Königsbergs entstandenen
1
)
a. d. Universitätsbibliothek in Prag.
45
Gesänge schon Fortschritte auf. Die folgenden Untersuchungen
'werden das beweisen.
------
Es kommen zunächst die Kompositionen zu den Gedichten
Rists in Betracht. Die Musiker, die sie komponierten, waren,
wie gewöhnlich in dieser Periode, zum Teil untergeordnete
Musiker: der Hamburger Ratsmusikus und Geigenvirtuos, Johann Schop, der Organist an der Peterskirche zu Hamburg,
Heinrich Pape, der holsteinische Sing- und Orgelmeister, J. Kortkamp, der Nürnberger S. G. Stade, Andreas Hammerschmidt,
J. Schultz (Praetorius), der Organist Scheidemann, der Ratsmusikus Peter Meier, der Stadtkantor Th. Selle, der Wolfenbüttler Kapellmeister Martin Coler, der Lüneburger Organist
Christian Flor, der Lüneburger Kantor Michael Jakobi und
endlich Johann Rist selbst.
Die Form der Lieder in der Florabella ist dieselbe wie
bei Weichmann, gewöhnlich zwei Perioden, deren erste durch
ein 4taktiges Sätzchen und dessen Wiederholung gebildet wird.
Die erste Periode beginnt gewöhnlich in Moll und endigt in
der Oberdominante oder der Durtonart der dritten Stufe. Die
zweite moduliert wieder nach der Ausgangstonart. Die Melodiebildung ist freier und anmutiger als bei Albert und Weichmann. Der Rhythmus ist belebter, grössere Intervallenschritte
kommen vor. Statt der ermüdenden, gewöhnlich durch Anticipation gebildeten Schlüsse der Melodie auf der Tonika treten
bisweilen schon Schlüsse auf der Terz oder Quinte auf. Für
die Gefälligkeit der Melodiebildung sei folgendes Beispiel aus
dem Liedchen: „Der missgünstiger Daphnis: preiset seine Galatheen" angeführt:
.
-
sin -gen frisch und frei, wie dein Geist so
freu - dig sei etc.
8 --
Die Harmonieen zeigen neben vielen steifen und harten
Modulationen einfache, aber dem Sinn des Textes angepasste
Wendungen. So hat das Klagelied des Myrtillo eine ent1
sprechend charakteristische musikalische Behandlung erfahren:
f
46
l
~+, d__,.r~r--+-1-J#]-------i--1J @r rI r r_
~ Ach, A.- ma - r:l - lis, Th._a_st_d_u_d_e_n_n_d_
ie~W
_ä_I-_d_
er_g_a_r_v_
er_-TI_a_s_-s_e_
n _?_et_c.
Frei eintretende Intervalle, wie die Seplime am Anfange
des eben citierten Sätzchens, finden sich schon häufiger, z. B.
auch in folgendem Beispiel aus „Der verliebte Daphnis":
II
Der Täu-cher in
den Se
.Auch frei eintretende Septimen
finden sich z. B. in „Daphnis bekümmerte Liebesgedanken":
1'4® r
en
...
1
J
be - trüb - ten
~
•
Unter den Liedern ohne Namensangabe findet sich eins,
welches durch Frische und Natürlichkeit sich auszeichnet und
in den Musikbeilagen als No. 9 mitgeteilt ist. Im zweiten Teil
ist eine Steigerung mit dem bereits bekannten, aus Italien
stammenden Mittel der Wiederholung eines Motivs auf höheren
Stufen versucht und dadurch ganz vorzüglich die Hast und
Eile eines Verliebten , der seinem Mädchen nachläuft, gezeichnet
worden.
Im „Neuen Teutschen Parnass" und den beiden oben
erwähnten Ristschen Schauspielen werden wir mit neuen Musikern bekannt.
Rist, Meier und Pape sind als Komponisten wenig bedeutend; ihre Weisen sind eintönig und rhythmisch wenig belebt.
Die Harmonieen sind, besonders bei Pape, oft unangenehm
hart. In dem Trostlied (Parnass 804) bringt Pape folgende
grelle Modulation zu stande:
„
47
Das relativ beste Lied von Rist ist das Ehrenlied, Parnass 476, Masik13eilagen-N6. Meier, der auch in der Zesenschen Sammlung mit 2 Liedern vertreten ist, ist ebenfalls
kein hervorragender Musiker. .Am bedeutendsten sind Schop
und Jacobi.
Der kräftige Schwung, die ~'rische und Sangbarkeit, die
Winterfeld an Schops geistlichen Melodien rühmt (Ev. Kirch. II,
367), zeichnen auch seine weltlichen Lieder aus. Rhythmische
Bewegtheit und Vielgestaltigkeit, gleich häufiger Gebrauch
von graden und ungraden Taktzeiten geben ihnen das Gepräge der Natürlichkeit und Lebendigkeit; dabei sind sie alle
überaus sangbar, haben die alte kirchliche Gewandung abgestreift und bewegen sich in durchaus modernen Tonarten.
So zeigt „Daphnis daktylisches Lied" aus Grummers Sammlung (Musikbeilagen
reines .A-dur. Schneider führt in seiner
„Geschichte des musikalischen Liedes" Band III, 136 als charakteristisch für Johann Schops Kompositionsweise das Lied
„Gute Nacht, ihr schönen Wiesen" aus Schwigers Geharnischter
Venus an; dieses Lied findet sich in Schwigers „Liebesgrillen"
III, 18 , als Komponist ist aber .Albertus Schop ausdrücklich
bezeichnet. Schneider bat also J. Schop falsch beurteilt, denn
Albertus Schop, der nach Mattheson der Sohn Johanns und
Organist zu Güstrow war, hat nur wenig von dem Talent
seines Vaters geerbt. In den „Liebesgrillen" III, 2, 8, 19
zeigt er Neigung zur Chromatik:
/II
'
'
III, 2
~
Ach,
~
III, 19.
~
-J-
~
ll~
mir
itzt
z=JI$=!:=q
iJ
~~
~
Ed
ver - setzt
in
Geist und
tief - fen Schmertz
~~==-i~~iF
Kunst
ge - bricht.
Weil
====
.Auch für punktierten Rhythmus zeigt er eine besondere
Vorliebe. Sein bestes Lied ist das oben erwähnte Abschiedslied, Liebesgrillen III, 18. .Ausser dem kleinen chromatischen
Zug (der sich übrigens in dieser ' Form schon bei Peri und
.Albert findet) ist noch die Härte im ersten Takt, wo der Bass e,
die Singstimme fis hat, und im vorletzten Takt, wo der Bass g,
48
die Oberstimme fis (das f des Originals ist offenbar ein Druckfehler) auffällig (Musikbeilage 16).
Höher als Johann und .Albert Schop steht Jacobi, der
1651 Stadtkantor in Lüneburg war. Seine Lieder zeigen eine
Originalität, eine Freiheit in der harmonischen Behandlung,
die Jacobi als seinen Zeitgenossen weit vorauseilend erscheinen
lassen. Er weiss die Situation mit so trefflichen, musikalischen
.Ausdrucksmitteln zu schildern, wie im weltlichen Liede keiner
vor ihm. Die plumpen Bauern, die in ihrer derben, massigen Ausgelassenheit unendlich komisch wirken, charakterisiert er in dem ersten und zweiten Lied des ersten Zwischenspiels im „friedejaucbzenden Teutschland" ganz vortrefflich
(Musikbeilagen 11 ).
Andererseits gelingt ihm auch die elegische Klage in dem
„Klage-Lied" des verliebten Sausewindes im zweiten Zwischenspiel überraschend gut. Besonders auffallend ist die zum
Ausdruck des Seelenschmerzes dienende, häufige ( 5 mal in
13 Takten) .Anwendung des verminderten Dreiklangs d f as,
dem dann noch die Septime c hinzugefügt ist, um die Dissonanz noch herber zu machen (Musikbeilagen 12). Beide Lieder
sind auch bei Schletterer zu finden.
Eine besondere Eigentümlichkeit Jacobis ist die Vorliebe
für den Quintsextakkord. In der l\1elodiebildung verwendet
er oft ein Motiv aus zwei tonisch und rhythmisch gleichen
Noten, das dann durch Sequenzen weiter ausgesponnen wird.
Folgende Beispiele mögen zum Beweise dienen.
Friedewilnsch. Teutsch.
Schluss der 1. Handlung.
·--·----·
vel'füh-l'et hat.
Ebendas. Schluss des zweiten Aufz.
0
p
49
l
jgft-F F r
Ebendas. III, 2.
1~ pE §kL::4==}tA-Fttl
Ja muss denn, da
6
'
du
6~
Gut und Mut ver - lo - ren hast
etc.
6
~esens „Dichterischem Rosen- und Lilienthal". Die 115 Melodien sind zweistimmig, die zweite Stimme
ist aber so wenig gesanglich, dagegen so ausgesprochen instrumental behandelt worden , dass sie offenbar zum Spielen
benutzt worden sein wird. 35 Melodien sind ohne Namensangabe, 32 von dem „weitberübmten Herrn" Malacbias Siebenhaar. „Dieser liebe Mann," sagt die Vorrede, „ist nicht allein
ein getreuer Aaron J und Seelsorger seiner anvertrauten Gemeine zu Magdeburg, sondern auch ein fürtreffllicber Assaf
und Meistersänger." Er komponierte auch Zesens „Jabrgesänge",
Nürnberg 1675.
. )/V.~
16 Melodien sind von ottlieb Nüsler (der Findende genannt), 13 von Dietrich Bäkker, 4 vo~cbop, 3 von Martin
Frenstorf, 2 von Peter Meier, 5 von Wekmann, 2 von C. B.
No. 45 gebt nach der Melodie Si vous ne me voulez guerir,
71 nach „Solt ich die nicht lieben" , 79 nach „Polifemus aan
den strande" und 101 nach „Wie schön leuchtet der Morgenstern".
Als bedeutendster von diesen Musikern tritt uns Dietrich
Bäkker entgegen, „der ausbund unsrer Meisterspieler und
Meistersänger J" (Vorrede zum Rosen- und Lilienthal), der
mit einfachen, sinnvoll verwendeten Mitteln die herrlichsten
Wirkungen zu erzielen, der alle Regungen des menschlichen
Herzens, die süsse Sehnsucht des Liebenden, wie die fröhliche
Ausgelassenheit des lustigen Zechers gleich gut in Tönen
wiederzugeben weiss. Sein Schattenlied (Musikbeilagen 13),
Scbeidelied (Musikbeilagen 15) gehören zu den bedeutendsten
Kompositionen aus dieser Zeit. Das Schattenlied ist rezitativisch gehalten; im zweiten Takt schwingt sieb die Melodie
empor zu einer Wendung, der durch die Anwendung der Septime als Vorhalt ein süsser, wehmütiger Zug verliehen ist,
und die vom Echo ganz piano wiederholt wird. Durch triller-
4
50
artige Verzierungen ist der stimmlichen Fertigkeit des Sängers
Rechnung getragen.
Ein elegischer Hauch weht durch das Scheidelied, das
in ein regelmässiges Formgewand (zwei zwölftaktige Perioden)
gekleidet ist. Regelmässig gebaut ist auch das fröhliche Wein·
lied, das einen volkstümlichen Anstrich hat und in dem die
Kadenz une b"ondern anheimelt.~
__
~d;t~_ J]_J=
Nüsler zeigt bei weitem nicht die rhythmische Lebendigkeit und harmonische Vielgestaltigkeit wie Bäkker. Mehr
nähert sich ihm weni~stens in erster Beziehung Frenstorf,
der durch kleine, auf den Text Bezug nehmende Melismen
wie die folgenden aus dem „Scherzlied" No. 12 für eine reichere
Ausschmückung der Melodie sorgt:
tiu ~~f~E~~d=iRtm@j
Fal-ke-- fiie
get
ver-la
chet
Durch eine blühende Melodik zeichnet sich Siebenhaar
aus. Leider aber sind seine besten Melodien, von denen
einige Beispiele folgen, durch eine wirre und unverständliche
Harmonisierung vollkommen verdorben.
No. 35.
b~::::+:::F=::::::f~F==t~~-;==gzj===t?+F':=~J==iJ~~;=~l==-t:==.-:J=g
0 Spie - gel der
Tu - gend 1 wie, dass du
' - i'l- - - lieb - li · chen Stun- den
mit Schweigen die
etc.
Auffällig in der Melodiebildung ist Siebenhaars Vorliebe
für Terzenschritte, z. B.
No.,_....,._,
38. A.bschiedslied.
,,_,.__
0
D
O::_I r
hört mei-nem
j
No. 34.
~~ 0--'t=zj
Seuf - zen
zu
Frei - lieh die
51
~r@z=-~~·-)~~.)J[jDich - ter seincl
0
-e-----.-1~o- ,-,-
dei - ne
etc.
Ver ·- nich - ter
No. 71.
cloch rührt und regt sich noch bei dir, wie vor-mals oft uncl
viel
Die bisher erwähnten Komponisten finden wir zum Teil
wieder in der Geharnischten Venus.
Die Vorrede sagt darüber:
„Die Melodeyen betreffend 1 sind deren wenige entlehnet 1 etliche von einem der berühmtesten Meister 1
auff dessen höchst ruhm-würdigen Sazz weder der Neid
noch ein einziger Tadler das geringste Wort zu sprechen
mir überschikket . . . . . Die übrigen, übelklingenden 1 )
schreibe ich mir zu."
Bezeichnet sind von den Melodien mit C. S. 17, M. C. 22,
C. B. 14, J. K. 3, J. S. 2, C. 2, J. M. R. 56.
Französisches Ballet 1,
Französische Blamande 1,
Französische Sarabande 2,
Franzisch Ballett 4,
Franzöische (!) Arie 1.
Am Ende des „sechsten Zehen" entschuldigt sich der
Autor, dass etliche Melodien sehr hoch gesetzt seien. Es
komme dies von der „franzischen Geigenahrt" her. Diese Melodien geben bis zum g", a", h", was sonst nie vorkommt. Der
Einfluss französischer Instrumentalmusik ist hier klar und deutlich zu erkennen .
M. C. ist Martin Coler, C. B. Christoph Bernhardt, der Lieblingsschüler Schütz', der seit 1664 in Hamburg Kantor war,
J. K. Johannes Kortkamp, J. S. Johannes Schop.
Die Komponisten von Schwigers Liebesgrillen sind:
M. Z. (22), Albertus Schop (20), J(ohannes) K(ortkamp) (16),
H(einrich) P(ape) D(er) J(üngere) (9), H(einrich) P(ape) D(er)
Ä(ltere) (4), J. Schop d. J. (5), J. S. (1), Hans Haken (1),
H. S. (1), Heinrich Strathmann (wohl identisch mit H. S.) (1).
1)
Wieder ein Beweis für die Bescheidenheit der Musiker.
4*
\
)
'
52
Hans Haken, Musikus der Stadt Stade, begegnet uns
wieder als Komponist von Schwigers Wandlungs-Lust.
Die Melodien der Schwiger'schen Sammlungen sind unbedeutend und reichen nicht zur Hälfte an die Schops und
Bäkkers.
Am meisten machen noch den Eindruck der Frische und
Lebendigkeit die Kompositionen Kortkamps. Manchmal laufen
ihm allerdings Versehen wie Quintenparallelen zwischen Oberund Unterstimmen aus der Feder (z. B.: Geharnischte Venus
IV, 7). In einigen Liedern (I, 15, II, 15, 16) giebt er die
Anweisung, dass der Bass gespielt werden soll. C. S. hat
ganz erträgliche, aber jeglicher Charakteristik, jeglichen rhythmischen Lebens entbeh,rende Melodien geliefert.
Neigung und Begabung für das Elegische zeigt M. Z.
Besonders charakteristisch wirkt in dem angeführten Liede
„Auf Candorillen Grab", Liebesgrillen IV, 20 (1. u. 8. Takt)
die grosse Septime auf dem guten Taktteil als Ausdruck des
bittersten Schmerzes (Beilagen 1 7).
Die Grundstimme ist bei allen Schwiger'schen Liedern sehr
ausgebildet. Namentlich Kortkamp liebt lebhafte Bässe, z. B.
Geharnischte Venus IV, 5:
r1:
i L;.J
rr-t=§#fgtg_[fi-O
J~
...
-+
·~
etc.
Bernhard ist in der Bezifferung der Bässe sehr genau,
fast jede Note ist signiert. Bei ihm kommt auch das heute
noch gebräuchliche Zeichen o für die erhöhte Sexte vor.
Durch Frische und Natürlichkeit zeichnen sich die Lieder
Hans Hakens aus, der, wie wir aus der Vorrede zur Wandluugslust erfahren, Musikus in Stade war. Eine besondere
Eigenart zeigt er nicht. Das als Beispiel angeführte Lied
J o. 20 (Beilagen 18) „Siegreichs Traur- und Freuden-Schein,
womit er Elisetten auf ihren Nahmenstag verehret Anno 1655"
ist wohl sein bestes Lied.
Zu Gläsers „Schäfer-Belustigung" haben Melodien geliefert:
J. G(eorg) K(lemm) 28, I. G. A. 5, I. C. F. 2, G. W. 1,
M. G. H . 1; ohne Namen sind 13.
A usserdem finden sich noch die Bezeichnungen:
53
Sarab. II, 11; Sarab. Hammerschm . II, 18. Arie Königsberg I , 25. Letztere findet sich bei Albert III, 7 auch mit
ähnlichem Text. Bei Gläser ist aber das Nach spiel weggelassen. Die Melodien sind wenig wert. Es ist dasselbe unsichere Tasten und Suchen , dieselbe Formlosigkeit wie bei
Albert. Sogar das melodische Element ist bei Gläser in noch
geringerem Masse vorhanden als bei Albert.
Sehr ungeschickt schreibt I. G. A. in II, 13:
,{!. .4.~;- .- _ ,._ ,.
II, 13 Takt 1.
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II, 13 vorletzter Takt.
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Auch Klemm scheut sich nicht vor derartigen Härten:
{F5~äl.
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1
J
~
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]
Überhaupt haben diese Kompositionen einen ausserordentlich auffallenden Stich ins Unreife und Dile~enhafte. ---~
Kurze Nachspiele kommen zwölfmal vor. Der Bass ist
stellenweise sehr bewegt; in der Hauptsache aber bildet er
die harmonische Grundlage der Melodie und schmiegt sich
auch rhythmisch an dieselbe an.
Zum Teil tragen die Melodien noch kirchlichen Charakter;
folgende Phrase aus II, 12
die genau den zwei letzten rhythmischen Teilen von „Jesus
meine Zuversicht" entspricht, lässt noch die Verwandtschaft
mit der Kirche erkennen.
Als gelungenstes Lied aus der ganzen Sammlung führe
9'11 <Jvh.l. '.
54
ich Klemms „die meisten Menschen werden durch einen blossen
wahn geführt I , 15 an (Musikbeilagen 19), das durch seine
warmen Modulationen, seine eigentümlichen Intervallenschritte,
z. B.: Ta~t 5 der umgekehrte Tritonus c-fis, Takt 6 die verminderte Quarte fis-b, überrascht.
Leider ist der Komponist der reizenden und anmutigen
Melodien zu Schreibers Liebesknospen unbekannt. Er sagt
in der Vorrede:
„Als habe auch ich unter dieser nicht unlieblichen
Materien und wolgesetzten Liedern gleichfals die noch
wenigen Erstlinge meiner in der Musik gefafsten Wissenschaft dem günstigen Musik und Kunst liebenden Leser
einhändigen wollen. Ob nun wol selbige mehrenteils
aufs dem Garten meiner Jugend gebrochen J so lauffen
doch bifsweilen andere mit unter 1 welche ich nicht mehr 1
als mit einem Bafs der Schlechte nach besetzet J daferne
nun selbige Melodeyen schon keiner sondern Kunst
(massen derselben höchst geschonet) fähig seynd sie
doch gleichwol nicht unlieblich J der Musi~ gemäfs und
dem Text gleich lautend. "
No. 18 trägt die Bemerkung „vom Autor". Ji„ür grössere
Formen hat der Komponist keine Begabung; 24 ist o1me
Melodie „so sich unter, eine förmliche Melodey nicht bequemen
wollen"; es ist ein Gespräch. No 2 kann auch nach der
Melodey gesungen werden
J
„Weil ich so beraubt mufs leben
Schönste Deiner Gegenwart J "
1
Bei Hammerschmied 1) ist wie bei Albert der Text die
Hauptsache, aber die Melodik ist bei Hammerschmied viel
blühender, die Harmonik kunstvoller als bei Albert; die Form
ist aus einem Motiv entwickelt, das durch aufsteigende Sequenzen zu Perioden erweitert wird. Koloraturen (z. B. I, 12)
tragen zur rhythmischen Belebtheit bei.
Die besten , in heiterem , neckischem Ton gehaltenen
Lieder wirken durch ihre Derbheit und Naturwahrheit (z. B.
I, 13 Lied vom Kufs), zu der der in schlesischem Bauern-
1
') Anton Tobias, Andreas Hammerschmied. Mitteilung des Vereins
für Geschichte der Deutschen in Böhmen. Jahrg. IX, 7 u. 8.
55
dialekt verfasste Text (z. B. I, 14, 15, II, 13) oft wesentlich
beiträgt. Solche Dialektdichtungen kommen auch bei anderen
vor, z. B bei Albert V, 51: Anke van Tharow öfs, de my
geföllt, bei Zesen Rosenthal 44: met recht ma~ ik Ulieflik
noemen, mijn Anemone Bloem der bloemen.
In Freiberg erschien 1651 noch eine Sammlung:
Erster Theil 1 Weltlicher 1
Liebes-Gesänge
Mit einer Vocal-Stimmen benebenst dem 1 general Bass
darunter gesetzet. Von Christoph Antonius 1 Organisten zu
S. Petri 1 in Freybergk. 1 Freybergk in Meissen. 1 Gedruckt
und verlegt durch Georg Beuthern.
Im Jahr 1651.
Das Manuskript des zweiten Teiles befindet sich auf der
Leipziger Stadtbibliothek.
Jeder Teil enthält zwölf Lieder, die zum Teil aus andern
Sammlungen genommen sind, so
I, 5 Daphnis ging vor wenig Tagen.
I, 8 Daphnis, du getreuste Seele.
I, 7 Daphnis wollte Blumen brechen.
I, 1 ist entlehnt aus Hammerschmied.
• II, 1.
Die Kompositionen sind unbedeutend.
Viel bedeutender ist eine Sammlung von ernsten Liedern :
Georg Neumarks
von Mühlhausen aufs Thür:
Poetisch- und Musikalisches
Lustwäldchen
in welches erster Abteilung absonderliche Geist- und weltliche
aber auch keusche Ehren und Liebeslieder mit Melodien nach
itziger neuer Ahrt 1 in der andern Hochzeits- Traur- Glückwünschungs und Lobschrifften 1 und in der dritten allerhand
kurtze Sinn- Lehr etc. so geist- als weltliche 1 enthalten sind.
Gedruckt zu Hamburg bei Michael Pfeiffern in Verlegung
.Johann Neumarks 1 Im Jahr 1652.
Es enthält der erste Teil 22 Lieder, die ihrem Inhalt
nach Busslieder, Danklieder, Trostlieder u. s. w. sind. 9 ist
ein Loblied des Studierens mit einer Geigenstimme, 13 ein
I
1
I
56
Klagelied mit einer „Symfonia für 2 Geigen und GeneralBass". Auch ein Tanzlied „nach Ahrt der Poblen" findet
sich (20).
Es zerfällt in zwei Teile
1. Kleiner oder Vortantz
2. Trippel. Grofser oder N achtantz.
Der .zweite Teil bringt dieselbe Melodie in Dreitakt, ein
Verfahren, das wir schon bei Albert kennen lernten, und das
an die Suite erinnert. Ähnlich ist 22 gebaut, ein siebenstimmiger Tanz nach der „polnischen A.hrt".
Im andern Teil ist ebenfalls diese Formgattung mehrere
Male vertreten.
16ß7 erschien in Jena eine vermehrte Auflage 1 )
Dürftiger sind die Melodien zu den 1654 in Dresden erschienenen „Singenden Rosen" von David Schirmer , 2) die
Philipp Stolle komponiert hat. Interessant ist die Bemerkung
in der Vorrede, in der der Dichter in des Komponisten Namen
den Leser bittet, er möchte die Melodien nicht so faul und
schläfrig herausweinen oder -keuchen, wie in den gemeinen
Schulen zu geschehen pflegt, oder sonst ein abscheuliches
und beulendes Dehnen der Noten vorstellen lassen.
Die Vollendung des einstimmigen Kunstliedes in
seiner ersten Periode durch Adam Krieger.
Was allen den bisher besprochenen Kompositionen fehlte,
die Verbindung einer festgefügten, nicht vom Text abhängigen
regelmässigen Form mit dem rechten Gesangscharakter der
Melodie, der sieb in der Anwendung rhythmisch belebender,
dem Ausdruck des innersten Gemütslebens dienender Figuren
u. s. w. äussert, das brachte Adam Krieger in das deutsche
Lied. Mit einem Schlage schwand die Unbeholfenheit , die
bisher den Liedkompositionen mehr oder weniger anhaftete,
und eine musikalisch reiche, süsse und gesangvolle Cantilene
kam zum Durchbruch.
1
) Gödeke erwähnt 3, 75 von Neumark noch „Betrübt- Verliebter
doch endlich hoch erfrewter Hürte Filamon. Mit Melodeyen und Symfonien.
Königsberg 1648.
2
) R. Kade, David Schirmer, ein sächsischer Dichter. N. .A.. Säcbs. G. 13.
57
Adam Krieger, geb. am 7. Jan. 1634 zu Driesen, gest.
am 30. Juni 1666 zu Dresden, ein Schüler von Scheidt in
Halle, war Kammermusikus und Hoforganist in Dre.sden. 1 )
Sein hier in Betracht kommendes Werk ist:
Herrn Adam Kriegers _
Churf. Durchl. zu Sachsen u. s. w. Wohlbestalt gewesenen Kammer- und
Hoff-Musici
Neue
ARIEN
In 5. Zehen eingetheilet.
Von einer J zwo J drey 1 und fünf Vokal-Stimmen J benebenst
ihren Rittornellen 1 auf zwey Violinen 1 zwei Violen 1 und
einem Violon 1 samt dem Basso Continuo J
zu singen und zu spielen
So nach seinem Seel. Tode erst zusammengebracht 1 und zum
Druck befördert worden
Mit
Churf. Durchl. zu Sachsen etc. Special-Privilegio
in 10 Jahren nicht nachzudrucken.
Drefsden 1
In Wolffgang Seyfferts Druckerey 1
Anno 1667.
Die Vorrede an den „Hocbgeneigten und Music-liebenden
Leser" besagt, dass Krieger auch der Dichter der Texte war.
Sie enthält ferner ~ne Lobpreisung auf Musik und Poesie,
die mit einander eine heimliche Verwandtschaft haben, „welche
man nicht ehe erfahren kann 1 als wenn die himmlische Krafft
sie rege machet 1 und denen Mensr.hen sie gleichsam als eine
Verzückung zueignet J dafs sie alles Kummers J alles Traurens 1
und aller Sorgen J ja ihrer selbsten zum öfftern darüber vergessen."
Dann heisst es weiter: „Es sind Liebeslieder 1 aber mit
einer ernsthafften Tugend dermafsen vermenget 1 dafs sie dahero billich einem trauerhafften Schild und ihren dornen1)
i. d. allg. deutsch. Biographie.
58
freyen Lorber - Krantz tragen 1 der sie viel besser als die
Myrthen J wieder alle verläumldet 1 die gemeiniglich auff gute
und nützliche Sachen ihre Pfeile abgehen lassen 1 nicht unbillich beschützen wird. Und ob gleich eines oder das andere
auf den Trunck eingerichtet zu seyn scheinet 1 so ist es einer
ehrlichen Gesellschaft meines erachtens 1 nicht zu wieder 1
dass sie bey fröhlichen Gemütern eine noch annehmlichere
Belustigung und vertraulichere Freundschafft gebehren."
Besonders habe sich um die Veröffentlichung dieser Lieder
bemüht Herr Wilhelm Forchheim.
Die ganze Sammlung enthält 50 Lieder, das erste Zehn
canto solo, das 2. Zehn a 2 Voc. con 5 Instr., das 3. Zehn
canto solo, das 4. Zehn a 1, 2, 3, 5 Voc. con 3-5 Instr.,
das 5. Zehn canto solo.
Die Gedichte sind, wie schon gesagt, in der Hauptsache
Liebeslieder. Zwar ist Krieger kein hochbegabter Dichter,
aber seine Poesien durchweht ein Hauch tiefer, aus Selbsterlebtern hervorgegangener Empfindung. Ergreifend wirkt die
Klage um Adonis I, 5:
„Wo
muss der schöne Jäger seyn
Adonis, meine Seele?"
1
Es sind einfache Worte, aber so aus der Seele gesprochen,
dass jeder die Empfindung hat, der Dichter schildert Selbsterlebtes, klagt um ein Unglück, das ihm selbst zugestossen
ist, um eine Liebe, deren bitter-süsse Schmerzen sein eignes
Herz durchglühten. Denselben Eindruck hat man von V, 1:
So ist es denn geschehn 1
Dass mich kein Glücke nicht
will mehr ausehn?
Nur Leiden und Meiden 1
W eiss mir bald zu nähn 1
Soll dann die Fröligkeit 1
Mir schon vergehn in
meiner jungen Zeit?
Das wär abscheulich
Und gar zu greulich;
Ja freilich muss
Ich leiden den Verdruss."
59
Die Qual und die Unruhe, die die Liebe begleiten, werden hauptsächlich besungen. Sie sind tief aus eignem Empfinden gequollen und frei von dem nichtigen Tand der italie:
nischen Schäferpoesie und der geplanten Lyrik, mit dem diese
ihre bisweilen sehr matten und flachen Gedanken aufzuputzen
wussten.
Ein liebliches Nachtständchen ist I, 8:
1. Nun sich der Tag geendet hat 1
Und keine Sonn mehr scheint 1
schläft alles was sich ab gematt'
und was zuvor geweint.
7. Du Schöne bist in Schlaf gebracht
Und liegst in stiller Ruh:
Ich aber geh die gantze Nacht
Und thu kein Auge zu.
Die Motive sind zum Teil dieselben, wie sie uns aus der
Liebeslyrik des siebzehnten Jahrhunderts schon bekannt sind:
Die Unbeständigkeit der Geliebten, ihre Schönheit, auf die
möglichst speziell eingegangen wird; in I, 3 z. B: werden ihre
Augen besungen:
Ihr schönen Augen! Ihr heller Glantz
Wer wird euch taugen? Ihr blendet gantz.
Ihr klahren Sternen 1 scheint gegen mir 1
alfs wie von fernen 1 des Himmels Zier.
in II, 8 ihre Haare, die „seydene Stricke" genannt werden.
In IV, 5 wird dagegen geklagt:
„Ey mangeln eben Dir die Brüste?
Die doch der Jungfern Ruhm und Ehr.
Ach! wenn ich liebstes Kind doch wüsste,
Wie deiner Zier zu belffen wär."
J
Das moralische Lied verschwindet bei Krieger völlig; auch
das gesellige Lied, das Freundschaft und Frohsinn besingt,
tritt in den Hintergrund:
I, 6 Bey mir mufs seyn Ein Freund und Wein.
II, 2 Ji'riscb 1 frölich 1 frey obn Heucheley.
IV, 4 Die Fröhligkeit acht keinen Neid.
Eine spezielle Gattung dieser Lieder, die den Wein besingen, sind Krieger, am besten gelungen. Es sind folgende:
60
II, 6 Der Neckar-Wein mufs k östlich seyn.
II, 10 Es steigt der Wein so hoch wir seyn.
III, 3 Rinckauer Wein der schmeckt recht rein.
V, 2 Der Rein-Wein schafft der Sinnen Krafft.
V, 3 Der Rein 'scbe Wein tantzt gar zu fein.
V, 9 Ein Freund 1 Ein Trunck 1 ein Lieb / ein Sprung
V, 10 Wer froh will seyn j liebt Bier und Wein.
1
Wie schon erwähnt, finden sich die Lieder zum Preis der
Tugend, wie sie bei den Königsbergern und Hamburgern so
überaus häufig waren, bei Krieger nicht mehr. Nur I, 2
„die Pracht der Welt vergebt und fällt" zeigt noch einen
schwachen Anklang an diese Moral -Poesie.
Der Hauptvorzug der Krieger'schen Melodien besteht in
ihrem musikalischen, sowohl rhythmischen als harmonischen
Reichtum; sie lassen den Hörer gleichsam frei aufatmen und
sind nicht mehr wie bei Albert u. s. w. ein unsicheres Fühlen
und Tasten nach dem Richtigen; sie haben diese drückende
Fessel abgestreift, und noch heute wirkt ihre Frische und Ungezwungenheit überraschend. Durch weite Intervallensprünge,
gleichsam durch ein weites Ausholen der Melodie gewinnen
diese Lieder einen süssen, einschmeichelnden Charakter. Die
folgenden Beispiele beweisen das zur Genüge.
Pr
!
~ ~ie
q
I, 5.
r J f=GITJJ J i~~
von fer-nen des Hirn - mels Zier
muss be
- kla-
0
-~---
bet und stets
le
etc.
~-P~~,---,--~----,~-..-~~
:
p~__,_,,,..-~-.-~-~~~
p4
3
6 5
Auch die Bässe bewegen sich hier und da in Sprüngen
wie folgenden:
„
61
Rhythmische Mannigfaltigkeit ist ein anderer Vorzug
Kriegers. Die Unterbrechung einer rhythmisch gleichmässigen
Notenreihe durch Eintreten eines neuen Motivs bringt Leben
in die Melodie. So tritt in die aus Achteln bestehende Melodie des Liedes „Bey mir muss sein" u. s. w. plötzlich das
Viertelmotiv
ti~P?Q~
Und
ein Glas Wein
oder in demselben Lied
~~-rq
.A.uff
E - vo -
e
Ähnlich ist es in II, 10
~ li
Der
-1--~~---
ed - Ie Wein
ist
doch der
bes - te
etc.
Durch Vorhalte ist reges L eben in die Begleitung gebracht.
Besonders gern wird die Terz vorgehalten, auch Terz und
Quinte zusammen , Septime u. s. w.
No. I, 5 „Adonis Todt bringt mich in Noth" ist nicht
nur Kriegers bestes Lied, sondern das beste in dieser Gattung
bisher überhaupt komponierte (Beilagen 20). Stille Resignation
zeichnet die Musik am Anfang aus, allmählich wird der Rhythmus belebter, es kommt eine Steigerung, die ihren Höhepunkt
in dem schmerzvollen Aufschrei
be
-
kla -gen
erreicht.
Charakteristisch ist auch der scharfe Wechsel des Rhythmus beim Eintritt der Klage: „O bittre Pein 1 über die wohl
nichts kann seyn".
Eine süsse, gemütvolle Melodie hat auch das Lied I, 3
mit seinen verliebten Sprüngen in die kleine Sexte (M. B, 21).
62
Ein frischer, kecker, burschikoser Zug geht durch die Trinklieder. Das beste dieser Art ist das vorhin bereis erwähnte
I, 6 : „Bei mir muss seyn Ein Freund und Wein." Adam
Krieger wäre ebensowohl wie Dietrich Bäkker einer Biographie,
ihre Werke einer eingebenden Spezialuntersuchung würdig, denn
sie sind die grössten Meister des Liedes im 17. Jahrhundert.
Unter den Nachfolgern Adam Kriegers sind zunächst
zwei Brüder zu nennen, die einer in damaliger Zeit sehr bekannten und geschätzten Künstlerfamilie angehörten: Johann
Philipp Krieger (geb. 26. Februar 1649 in Nürnberg, gest. den
6. Febr. 1725 in Weissenfels), der Kapellmeister in Weissenfels wat", und Johann Krieger (geb. 1. Jan. 1652 zu Nürnberg,
gest. am 18. Juli 1735 in Zittau), der ziemlich 54 Jahre lang
in Zittau als Musikdirektor und Organist tbätig war. Einer
seiner Söhne, Adolph Gottlob war ebenfalls Organist in Zittau.
Auch der Sohn J oh. Phil. Kriegers, Johann Gottbilf, war
Kammermusikus und Kammerorganist 1).
Der dritte Inhaber dieses berühmten Namens war J obannes
Crüger~), Organist an der Nicolaikircbe in Berlin, der für die
Kirchenmusik grosse Verdienste hat. Eine weltliche Liedersammlung (Recreationes) erschien von ihm 1650.
Johann Krieger hat durch das jetzt zu besprechende Werk
Bedeutung erlangt:
Johann Kriegers
Neue
Musikalische Ergetzligkeit
Das ist
Unterschiedene Erfindungen
Welche
Herr Christian Weise J in Zittau
Von
Geistlichen Andachten
Politischen Tugend-Liedern
Und
Theatralischen Sachen
bisbero gesetzet bat;
1)
2
)
Spitta i. d. allg. deutsch. Biographie. Mattheson Ehrenpforte.
Langbecker, Crügers Choralmelodien .
•
,
63
In die Music gebracht
Und der Tugend-liebenden Jugend
vornel:imlich recommendiret !
Haupt-Stimme.
Franckfurt und Leipzig 1
Zu finden bey Christian Weidmann
Druckts Johann Köler 1 Im Jahre 1684.
Gewidmet ist der Band dem Herzog Christian von Sachsen,
Jülich , Cleve und Berg, die Widmung datiert Zittau den I Mart.
1684. Aus der Vorrede erfahren wir, dass ursprünglich nur
die Musik zu den Theatralischen Spielen" gedruckt werden
sollte. Da aber Krieger fürchtete, dergleichen Sachen würden
nicht viel Anklang finden , so wollte er sie mit andern „Inventionen" vermehren, und bat Weise um Überlassung verschiedener Gedichte.
Ein Gedicht Weises an Krieger folgt der Vorrede und
preist in ziemlich nüchterner und verstandesgemässer Weise
die Musik, „die schöne Zauberey", die „alles zu versüssen
weiss".
Dann folgt der Musikalischen Ergetzlichkeit
„
Erster Theil
bestehend
In Geistlichen Andachten.
Es sind 30 Lieder, Andachten zu Kirchenfesten und anderen kirchlichen Gelegenheiten, so z. B.: 5 „Als eine Orgel
eingeweihet ward", ferner Trauungsgesii.nge, 2 2 „Auff die Geburth eines lieben Sohnes", 23 „Christlicher Eltern Gedanken (
wenn ihre Kinder auff die Universität ziehen" , Begräbniss
und Sterbelieder; 26 „Armer Studenten Trost" verweist auf
Gott als den Retter in der Not, ist übrigens so allgemein gehalten, dass es ebenso gut für jeden anderen Stand passen
würde.
Gesetzt sind von den Liedern für Sopran-Solo 19 (1, 2,
3, 6, 7, 8, 9, 10, 12, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 21, 28, 30),
für 2 Soprane 2 (5, 20), für Alt Solo 1 (11), für Bass-Solo 2
(4, 13) und vierstimmig 6 (22, 23, 24, 25, 26, 29).
64
Der musikalischen Ergetzlichkeit
.Andrer Teil I
Bestehend
In allerhand Politischen
Lehr-Schertz-Lustund Tugend· Liedern.
enthält 34 Lieder, von denen von der Liebe und den Frauen
15 handeln (6, 9, 10, 11, 12, 15, 16, 19, 21, 24, 25, 26, 27,
28, 31), von der Natur: Wintergedanken (13), die gewünschte
Einsamkeit (18) , Ein Meyen Lied (23), die Garten-Annehmlichkeit (32).
Ferner kommen noch vor ein Loblied auf die Musik (1),
eine Nachtmusik (34), ein Loblied auf die Orgel l5) und ähnliches.
29 Lieder sind für Sopran-Solo, 1 für .Alt-Solo (6), 1 für
Bass-Solo (15), 1 für Tenor-Solo (19) , 1 für Sopran und Bass
(29), 1 für Sopran, Tenor und Bass (30).
Der dritte Teil, bestehend in
.Allerhand theatralischen Stücken 1
Welche
nach und nach in Zittau
praesentiret worden,
enthält Scenen aus dem verfolgten David, der Sizilianischen
Argenis, dem Nebukadnezar (unter andern auch das Lied der
3 Männer im feurigen Ofen), dem Schwedischen Regnero, und
dem politischen Quacksalber. Diese Lieder sind reich an
humoristischen Zügen, im Hochzeitslied aus dem Quacksalber setzen kanonisch die vier Stimmen nach einander ein
und zwar das Wort „ wir" buchstabierendi; im 4. .Akt, 6. Aufzug lässt sich „ein possierlicher Virtuoser mit Vier Stimmen
bey dem Kapellmeister hören"; er beginnt im Sopran mit
langen Trillerfiguren auf der Silbe „o (vanitas amoris), dann
wiederholt er „o vanitas" im Tenor, „amoris" im Bass. Ungemein komisch wirkt es, wenn er nun das Motiv „o vanitas"
im Sopran, unmittelbar darauf im Tenor und dann im Bass
wiederholt und endlich mit schmelzender .Altstimme ein klagendes „doloris" hinhaucht u. a. m.
Alle Lieder in den 3 Teilen haben reich bezifferten Bass,
über dessen instrumentale Ausführung die Inhaltsverzeichnisse
„
65
am Schluss jedes Bandes Aufschluss geben. Das Vorwort zum
ersten Teil enthält hierüber noch folgende Bemerkung:
„Die Instrumente sind 1 vornehmlichen im geistlichen Theile
vielfältig abgewechselt worden 1 damit ein Liebhaber offt etwas
neues ohne sonderbahre Mühe vorbringen möge."
Die gewöhnlichste Art der Begleitung ist 2 Viol. c Fagotto (I, 5, 7, 8 II, 15). Dann kommen vor 4 Violdigambi
(I, 9, 15), 2 Violin. e Violon. (I, 17), 5 Viol. e Violon (II, 6),
3 Flöten (I, 12), 2 Trompeten (I, 10), 2 Cornettini e Fagotto
(I, 11), Pauken und 2 Trompeten (I, 4, 20), Pauken und
3 Trompeten (I, 13), 2 Trompeten, Pauken, 2 Violin. 2 Viol.
e Fagott (II, 34) und endlich ein 13stimmiges Orchester I, 14.
„Zu Ende des Kirchenjahres": 2 Tromp., Pauken, 2 Cornet., 3 Trombon., 2 Violini e 2 Viol. e Fagot. Das genannte
Lied, in zweiteiliger Liedform, mit einem Mittelsatz in 3 / 4 Takt
trägt übrigens einen über die Formengrenzen der anderen
Lieder hinausgehenden Charakter und muss mit dem pomphaften Orchesterglanz eine mächtige Wirkung erzielt haben.
Die in dem zweiten Teil enthaltenen weltlichen Lieder
sind in dieselben Formen eingekleidet, wie bei Adam und
Joh. Phil. Krieger (siehe diesen). Sie bestehen entweder aus
einer oder zwei Perioden, denen dasselbe rhythmische Motiv
zu Grunde liegt (5, 6, 10, 11, 12, 13, 16, 17, 19, 20, 23, 28,
31, 32, 33, 34), oder aus 2, oft auch durch die Taktart gesonderten Sätzen wie 1, 9, 8, 14, 15, 18, 25, oder aus 3 Sätzen,
von denen der letzte gleich dem (erweiterten) ersten ist (2,
3, 4, 7).
Im Kantatenstil gehalten sind 29 und 30. Die einzelnen
Sätze werden bisweilen durch ein Zwischenspiel verbunden
(z. B. 2, 3); am Schluss kommt dann und wann ein kleines
Nachspiel (6, 15, 34).
29, „Heraclitus und Democrit", ein Duett für Sopran und
Bass, ist besonders interessant. 1) Die reichen Melismen, mit
denen der Sopran beginnt, und die an den Kantatenstil erinnern, charakterisieren den lustigen Demokrit, dessen fröh1
Es ist ab) Schon von Carissimi existiert ein Duett dieser Art.
gedruckt bei Burney, A general history of music IV, 150. Nur verwendet
Car. gleiche Motive (für H. in f-moll), während Kl"ieger zwei verschiedene
charakteristische Motive erfunden hat.
5
66
liebes „Lacht doch, lacht doch" von einem Adagio unterbrochen wird: Heraklit tritt auf mit einem grämlichen,
schluchzenden Motiv, in dem besonders die übermässige
Quarte im Bass die Stimmung sehr gut wiedergiebt:
~
g
Die Bässe sind bei Krieger sehr bewegt; sie greifen Motive der Oberstimme auf, ahmen sie nach und führen sie
durch. Oft treten sie wie eine zweite Singstimme der ersten
gegenüber wie in 4.,_)
Nur in sehr wenigen Fällen (z. B. in 9) beschränkt sich
der Bass darauf, nur die Harmonien zu bestimmen.
Krieger liebt es, eine Phrase am Schluss des Liedes piano
zu wiederholen; es ist dies wohl eine feinere Art des früher
besprochenen Echos. So schliesst er z. B. in 6
„Denn des Winters Ungemach
Eilt uns auf dem Fusse nach"
und wiederholt dann die zweite Zeile mit der Vorschrift piano.
Bei J oh. Phil. Krieger finden wir das wieder.
Auch einzelne Worte werden, namentlich am Anfang, gern
wiederholt. Sie werden unterbrochen von Pausen und dadurch eine Steigerung erzielt, z.B. 15:
Ähnlich in 7: „nicht, nicht, nicht" Geld, Geld" (siehe Joh. Phil. Krieger).
oder in 17: „Geld,
) Vielleicht sind die ausserordentlich lebhaften Bässe bei Reinhard
Kaiser auf den Einfluss J oh. Kriegers zurückzuführen, der auch sonst für
die musikalische Entwicklung Kaiser von Bedeutung ist. Siehe Ernst
Otto Lindner: Die erste stehende deutsche Oper, Berlin 1855, Teil I, 40
und Teil II, Die Musikbeilagen.
1
67
Besonders zeichnet sich Job. Krieger aus durch seinen
Humor. Ausser den meisterhaften Zügen, an denen die Singspiele überreich sind, ausser der schon erwähnten charakteristischen Zeichnung des knurrigen, mürrischen Heraklit verdienen am meisten Beachtung seine fröhlichen Lieder. In
dem kantatenartigen Lied No. 30, „die lustige Kompagnie",
kommt eine Bass-Arie vor, deren Urwüchsigkeit und Frische
an manches deutsche Studentenlied erinnert. Überhaupt gelingt Krieger heitere fröhliche Ausgelassenheit wie in dem
genannten , oder der neckische, spöttische Ton, wie in dem
offen bar auf Zittauer Verhältnisse anspielenden Lied 20:
„Floretto verlässt sich auf freien Credit",
und in 14:
„Auf, ihr Saiten, lasst mich tanzen" (M. B. 22)
viel besser als die elegische Stimmung.
18. bei Johann und Seite 92 bei Job. Phil. Krieger behandeln die Einsamkeit, jenes die Sehnsucht nach ihr, dieses
ihre Qualen. Aber Job. Phil. Krieger bat die Stimmung bedeutend besser getroffen als sein Bruder.
Werfen wir endlich noch einen Blick auf J oh. Phil. Krieger
als Liedkomponisten. Es kommen hier in Betracht:
Auserlesne 1 in denen 1
dreyen Sing-Spielen
Flora 1 Cekrops und Procris
enthaltene
Arien. j
Auf hohes Ansinnen in die Noten gesetzt
und zum Druck gegeben
von
Johann Philipp Kriegern j Fürstl. Sächs.
Capellmeistern in Weisenfels.
Nürnberg 1
Gedruckt bey Wolfgang Moritz Endter j
Im J ahr 1690.
(In dem Exemplar der Leipziger Stadtbibliothek fehlen
leider Seite 3-6.)
Diese Arien sind für eine gesonderte Veröffentlichung
erst bearbeitet worden. In der Vorrede „An den Edlen und
5*
68
.M:usiclie benden Leser" sagt Krieger, dass „ der Verfasser
unser seitherigen Singspiele j H. Paul Thymich" 1) etliche in
etwas verändert, zu den meisten aber mehr Strophen verfertiget habe, „damit solche bey jeder musikalischen Zu ·
sammenkunft desto füglich er können gebrauchet werden."
Der litterarische Inhalt dieser Arien ist dem der Voigtländerschen Sammlung sehr ähnlich. Das .Motto ist immer
wieder: Cherchez la femme. Auf Seite 8 dichtet Tbymich:
„Geld ist das Fundament der Liebe" und spricht auf Seite 9
gerade das Gegenteil aus: „Wer nach Geld und Gut will
freyen, wird sein Freyen bald bereuen." Voigtländer in 74
klagt: „Geld sticht jetzt Schönheit, Ehr und Tugend weg."
Das Geld spielt bei Thymich überhaupt eine grosse Rolle:
Die Liebe und das Geld
bethören die Welt
heisst es auf Seite 110, und auf Seite 55:
„Wer Geld gewinnen kan
Sieht keine Freundschaft an."
Das Heiraten wird auf seine Vorzüge und Nach teile
geprüft:
„Freyen ist kein Pferde-Kauff
Wer sich hier will recht bedencken
Der wird sich vergeblich kräncken,
Durch den gantzen Lebenslauff
Freyen ist kein Pferde- Kauff."
„Allerley Bedenken" hat Voigtländer in 18, während er
in 17 und 19 grade die entgegengesetzten Ansichten über das
Heiraten ausspricht. Auch dem Mädchen giebt Tbymich 41
den guten Rat, es soll
nicht so gar geschwind
die verliebte Fessel tragen
sondern sich zuvor befragen.
Ein beliebter Stoff ist auch das Küssen.
Bei Tbymich Seite 107:
Ein Küsschen in Ehren
Kann niemand wehren,
Seite 108:
1
)
Thymich spielt in der Geschichte der Strnngk'schen Oper eine Rolle.
69
Nach dem Küssen
Will man gerne weiter wissen,
Was die süsse Liebe kan.
Voigtländer zählt 24 auf
der Damen Bedencken 1 warumb sie sich nicht küssen
lassen wollen
und 25:
Wie sich eins Theils anstellen 1
wenn sie geküsset werden.
Bei Thymich kommt eine Gattung von Liedern vor, die
sich bei Voigtländer nicht findet. Es sind dies die Jagdlieder,
z.B. S. 96:
Wers Jagen recht begreifen will,
Der muss sich darauf legen
oder
Wer seine Lust am Jagen hat
Der folge meinem treuen Rath
und geh dem Jäger nicht zu nah
oder 80
Jagen ist die schönste Freude,
Die man nur erdenken kan,
und endlich 98:
Jäger sucht nur eure Lust.
Der Soldatenstand und die Liebe werden zusammengebracht. Während es bei Thymich 68 heisst:
„Soldaten die müssen der Liebe nicht achten"
sind bei Voigtländer 44 „ein Kriegsmann und ein Liebhaber
in einem Stande". Ein Sommerlied findet sich bei Thymich
Seite 16, eins auf Seite 38:
In dem Meyen
Ist die schönste Zeit zum Freyen.
Seite 30
0 herrliche Wonne
Nun scheinet die Sonne.
Den Hauptinhalt der 108 Lieder aber bildet, wie schon
gesagt, „Der Liebe Schmerz und Qual."
Geben wir nun auf das l\Iusikalische dieser Arien ein
und betrachten zunächst ihre Form. Die Länge schwankt
zwischen 10 (8) und 24 Takten. Eine Ausnahme macht nur
70
das später näher zu erörternde Lied aus Procris II, 1 (Seite 92),
das 29 Takte bat. Für eine Erweiterung der gewöhnlich
sehr kurzzeiligen Liedertexte ist durch Wiederholung einzelner
Worte oder ganzer Zeilen gesorgt worden. Sehr oft wird
am Schluss einer Strophe die erste Zeile wiederholt. Oft
wird diese Wiederholung aber übertrieben. So z. B. werden
an dem Lied Seite 8:
Geld ist das Fundament der Liebe,
Wer auf dergleichen Gründe baut,
Der ist versichert wohlgetraut
Und achtet keine Sorgen-Hiebe.
folgende Erweiterungen vorgenommen:
Geld, Geld, Geld, Geld, Geld
Ist das .B'undament der Liebe.
Geld ist das Fundament der Liebe.
Wer auf l : dergleichen Gründe baut : I
Der ist versichert woblgctraut
Und achtet keine Sorgen-Hiebe
I : Geld, Geld, Geld, Geld, Geld ist das Fundament der
Liebe, Geld ist das Fundament der Liebe. I :
Wird die erste Verszeile wiederholt, dann werden auch
in der Musik die ersten Motive (Abschnitt oder Satz) wiederholt und somit die zweiteilige Liedform bergestell t.
Der Mittelsatz bringt einen neuen oder aus dem ersten
entwickelten Gedanken.
So ist es z. B. auf Seite 18.
2 Takte Vordersatz a
4 Takte Mittelsatz (Neue Gedanken) b
2 Takte N acbsatz a.
Diese Form des zweiteiligen Liedes zeigt ziemlich die
Hälfte der ganzen Arien. Die anderen Lieder zeigen zwei
acht- (oder mehr)taktige P erioden. Natürlich kommen Abweichungen in kleinerem oder grösserem Masse vor.
Rhythmisch sind diese Lieder sehr bewegt, tragen aber
einheitlichen Charakter. 2 / 6 haben ungerade Taktzeit. Koloraturen kommen als blosse Ausschmückungen nur selten vor;
so auf Seite 96, 87, 88, 117, und auch da nur in sehr bescheidenem Masse. Wo sie dagegen durch den Takt gerechtfertigt sind, treten sie häufiger auf, z. B.: auf Seite 96, 87,
71
88, 117, und auch da nur in sehr bescheidenem Masse. Wo
sie dagegen durch den 'rext gerechtfertigt sind, treten sie
häufiger auf, z. B.: auf Seite 7 auf „Schertz", 26 auf „läufft
wütend hin und her", 73 auf „steigen" 127 auf „Winde".
Die begleitende Stimme ist sehr ausgebildet; WechselNoten, durchgehende Noten, überhaupt alle Arten melodischer
Töne sind zu finden. Ja oft ist der Bass ein figurierter Akkord
und somit die Grundlage zu seiner selbständigen harmonischen
Ausbildung geschaffen. Er ahmt bisweilen Motive der Oberstimme nach, unterbricht den Gesang durch Zwischenspiele,
bringt Tonmalereien, wodurch er den Inhalt des Textes
illustriert, wie auf Seite 14 und 127, wo er durch bewegte
Sechszehntel das Rauschen und Brausen des Windes oder auf
Seite 16, wo er das Hüpfen der Lämmer durch Intervallensprünge in etwas gesuchter und grotesker Weise versinnbildlicht.
Die Musik selbst ist frisch und lebendig, charakteristisch
und gesanglich, wenn sie auch hier und da noch kleine Unbeholfenheiten aufweist.
Musikalisch wirklich bedeutend ist das Lied „Einsamkeit"
(Procris: II. Hdlg. I. Auftritt) Seite 92. Hier ist die Stimmung
ausserordentlich glücklich getroffen: der Bass führt ein elegisches Motiv durch, während die Singstimme in rhythmisch
belebtem Wechsel klagend sich über ihn entwickelt.
So Bedeutendes auch Job. und Job. Phil. Krieger für
das neue Lied geleistet haben, ihren Meister und ihr Vorbild
Adam Krieger häben beide nicht erreicht. Was er geleistet
hat, ist bis heute noch nicht vergessen worden. Von seinen
Zeitgenossen setzt ihm David Schirmer ein schönes Denkmal
in folgenden Zeilen:
War gleich bei uns Herr Krieger nicht gekrönt,
So krönen ihn doch seine schönen Sachen.
Wer ist 1 der ihn deswegen hier verhöhnt?
Wird es nach ihm auch einer besser machen?
Jetzt tritt sein Ruhm noch endlich an das Licht 1
Das zeuget ihm nichts 1 als nur lauter Sonnen.
Ihr Sternen hört 1 was Hand und Feder spricht:
Er sieget ob 1 wir geben Ihm gewonnen!
Vita.
Ich bin geboren am 28. September 1871 in Löbau in
Sachsen als Sohn des Musiklehrers Karl Burkhardt.
1877
siedelte ich mit meinen Eltern nach Zittau über, wo ich die
Bürgerschule und dann das Gymnasium besuchte.
Im Jahre
1892 bestand ich die Reifeprüfung und ging dann nach Greifswald, wo ich bei den Herren Professoren Reifferscheid, Schuppe,
Rehmke, Preuner, Dr. Siebs und Bruinier Germanistik und
Philosophie studierte. Nach dem 1894 plötzlich erfolgten Tode
meines Vaters ging ich nach Leipzig und setzte bei den
Herren Professoren Kretzschmar, Sievers, Paul, Volckelt,
v. Bahder meine wissenschaftlichen, am Konservatorium meine
musikalischen Studien fort.
Max Burkhardt,
cand. phil.
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