Grande Oriente d'Italia di Palazzo Giustiniani gg. Italien NL 2001, S. 163 (NL 01/4/8) GRANDE ORIENTE D’ITALIA DI PALAZZO GIUSTINIANI gegen Italien Urteil vom 2. August 2001 Verbot der Mitgliedschaft in Freimaurerlogen für Kandidaten für öffentliche Ämter und Recht auf Vereinigungsfreiheit Art. 11 EMRK Art. 13 EMRK Art. 14 EMRK Sachverhalt: Die Bf. ist eine Vereinigung mehrerer Freimaurerlogen, die seit 1805 besteht. Nach ital. Recht ist sie eine privatrechtliche Vereinigung, jedoch keine juristische Person. Durch das Regionalgesetz Nr. 34 vom 5.8.1996 wurde die Nominierung und Bestellung für öffentliche Ämter in der Region Marche geregelt. Dieses sah vor, dass die Kandidaten für die in diesem Gesetz genannten Ämter deklarieren mussten, keiner Freimaurerloge anzugehören. Rechtsausführungen: q Die Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 11 EMRK (hier: Recht auf Vereinigungsfreiheit), Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz) und Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot). q Zur behaupteten Verletzung von Art. 11 EMRK: Der Eingriff war gesetzlich vorgesehen und verfolgte ein legitimes Ziel, nämlich den Schutz der nationalen Sicherheit und die Aufrechterhaltung der Ordnung. Zu prüfen bleibt, ob der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war. Die tatsächliche oder potentielle Mitgliederanzahl der Bf., die mit der Wahl zwischen der Zugehörigkeit zur Bf. und der Teilnahme an der Bewerbung für ein öffentliches Amt iSd. Regionalgesetzes konfrontiert sein könnte, fällt verglichen zur Gesamtanzahl der Mitglieder nicht entscheidend ins Gewicht. Der Schaden, den die Bf. dadurch erleiden kann, ist gleichermaßen gering. Dennoch kommt der Vereinigungsfreiheit aber eine solch wichtige Bedeutung zu, dass das bekämpfte Verbot in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig zu sein scheint. Der GH prüft nun, ob das bekämpfte Verbot durch den letzten Satz in Art. 11 (2) EMRK gerechtfertigt werden kann, wonach die Staaten ermächtigt sind, die Ausübung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit durch bestimmte Mitglieder der Staatsverwaltung gesetzlichen Einschränkungen zu unterwerfen. Der Ausdruck gesetzlich in diesem Satz weist auf das genau vergleichbare Konzept der Rechtmäßigkeit hin, auf das die Konvention auch anderswo Bezug nimmt, wenn sie gleiche oder ähnliche Ausdrücke verwendet, insb. den Begriff gesetzlich vorgesehen, wie er im zweiten Absatz der Art. 9 bis 11 EMRK zu finden ist. Das Konzept der Rechtmäßigkeit in der Konvention impliziert abgesehen von der Forderung des Einklangs mit dem innerstaatlichen Recht auch qualitative Erfordernisse, wie die Vorhersehbarkeit und allgemein das Fehlen von Willkür. Die Bf. hatte nicht die Möglichkeit, die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes prüfen zu lassen. Die rechtliche Situation war ausreichend klar bestimmt, um der Bf. die Einschätzung ihres Verhaltens zu erlauben. Die Regelung war daher vorhersehbar und die bekämpfte Einschränkung gesetzlich iSv. Art. 11 (2) EMRK. Der Begriff der Staatsverwaltung iSv. Art. 11 (2) EMRK ist angesichts des von den betroffenen Personen auszuübenden Amtes eng auszulegen. Der GH erinnert daran, dass er im Urteil Vogt/D von der Entscheidung der Frage Abstand genommen hatte, ob Lehrer als Teil der Staatsverwaltung anzusehen sind. Im vorliegenden Fall ist das Band zwischen den in den Anhängen A und B des Regionalgesetzes genannten Ämtern file:///D|/web/Institut%20für%20Menschrechte/Alte%20Seite/docs/01_4/01_4_08.htm[03.03.2010 20:34:32] Grande Oriente d'Italia di Palazzo Giustiniani gg. Italien und der Region Marche zweifelsohne weniger eng als das Band, das zwischen Frau Vogt, einer Beamtin, und ihrem Arbeitgeber bestand. Der bekämpfte Eingriff kann daher nicht durch Art. 11 (2) EMRK gerechtfertigt werden. Verletzung von Art. 11 EMRK (einstimmig). q Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK und Art. 14 EMRK (einstimmig). q Entschädigung nach Art. 41 EMRK: ITL 10.000.000,-- für Kosten und Auslagen (einstimmig). Anm.: Vgl. die vom GH zitierten Urteile Vogt/D v. 26.9.1995, A/323 (= NL 1995, 188 = EuGRZ 1995, 590 = ÖJZ 1996, 75); Rekvényi/H v. 20.5.1999 (= NL 1999, 100 = ÖJZ 2000, 235). P.R. Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format). file:///D|/web/Institut%20für%20Menschrechte/Alte%20Seite/docs/01_4/01_4_08.htm[03.03.2010 20:34:32]