GLOBALE ZENTRALBANKEN IM FOKUS September 2017 AUTOR Tomoya Masanao Managing Director Co-Leiter des asiatisch-pazifischen Portfoliomanagements BoJ: Neues Mandat? Wer wird der nächste Gouverneur der Bank of Japan (BoJ)? Diese wichtige Frage sollte in den kommenden Monaten beantwortet werden, da die Amtszeit des derzeitigen Gouverneurs Haruhiko Kuroda im April nächsten Jahres endet. „Wie wird mein Mandat aussehen“? Diese essentielle Frage sollte sich jeder von Premierminister Shinzo Abe ins Gespräch gebrachte Kandidat – und auch Kuroda selbst – stellen. Das Mandat für die kommenden Jahre wird anders sein: Es ist unrealistisch anzunehmen, dass die BoJ ihr aktuelles Inflationsziel von 2% nach ihrem vier Jahre währenden Kampf um einen Anstieg der Inflation mithilfe beispielloser geldpolitischer Lockerungsmaßnahmen erreichen wird – zumindest nicht in der nahen Zukunft. Zu verstehen, was die BoJ vorhat, ist für Anleger von wesentlicher Bedeutung. DAS MANDAT DER BOJ Das rechtliche Mandat der BoJ ist im BoJ-Gesetz von 1997 unmissverständlich festgelegt: Preisstabilität und ein stabiles Finanzsystem. Als Ergänzung zu diesem Gesetz unterzeichneten die Bank und die Regierung im Januar 2013 – drei Monate bevor Gouverneur Kuroda sein Amt antrat – eine Vereinbarung, mit der ein neues Preisstabilitätsziel, ein jährlicher Anstieg des Verbraucherpreisindex (VPI) um 2%, festgelegt wurde. Die BoJ nahm ihre gesetzlichen Verpflichtungen sehr ernst und versuchte unter der Führung von Haruhiko Kuroda, „alles Notwendige zu tun“, um die Verpflichtungen im Hinblick auf die Preisstabilität zu erfüllen. Bisher war sie damit jedoch nicht erfolgreich. Sie hat ihr Ziel noch nicht einmal annähernd erreicht, denn Japans VPI war im Juli gegenüber dem Vorjahr nur um 0,4% gestiegen, ohne die volatilen Preise für frische Lebensmittel und Energie sogar nur um 0,1%. Im Juli verschob die BoJ die Frist für das Erreichen des 2%-Ziels beschämenderweise weiter auf das Jahr 2019 – die meisten Wirtschaftsexperten und auch PIMCO sind der Meinung, dass diese Prognose immer noch optimistisch ist. Eines ist sicher: Niedrige Inflation ist heutzutage ein weltweit zu beobachtendes Phänomen. Nichtsdestotrotz ist es erstaunlich, dass die Inflation Japans nur unzureichend auf die außerordentlichen geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen des Landes reagiert. Der im April nächsten Jahres ernannte Gouverneur – Kuroda wird unserer Ansicht nach höchstwahrscheinlich wieder gewählt – dürfte mit einem subtil veränderten, aber nicht völlig überarbeiteten Mandat konfrontiert werden. 2 September 2017 Globale Zentralbanken im Fokus Abbildung 1: Beschäftigungswachstum? Anstieg der Zahl älterer Menschen, die in Japan seit Beginn der Abenomics im Dezember 2012 in Teilzeit arbeiten Älter als 65 Jahre 2.5 15–65 Jahre Millionen Arbeiter 2.0 1.5 1.0 0.5 0.0 Vollzeit Teilzeit Quelle: Ministerium für Innere Angelegenheiten und Kommunikation, PIMCO; Stand: 30. Juni 2017. 2% INFLATION: KEIN GLAUBWÜRDIGES ZIEL Es hat sich herausgestellt, dass das Inflationsziel der BoJ von 2% nicht erreichbar ist, weshalb es nun seine Glaubwürdigkeit verloren hat. Wir gehen zwar nicht davon aus, dass der Zielwert offiziell gesenkt wird, aber wir denken, dass er von der BoJ flexibler gehandhabt wird. Unter Umständen toleriert die japanische Zentralbank auch einen Anstieg des Verbraucherpreisindex unter 2%. In der am schnellsten alternden Volkswirtschaft der Welt stellen demografische Trends einen wesentlichen Grund dar, weshalb das 2%-Ziel sowohl wirtschaftlich als auch politisch nicht erreicht werden kann. Zum einen hat die höhere Lebensdauer Rentner dazu veranlasst, als Teilzeitarbeiter an den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Sie neigen dazu, Lohnkürzungen oder Jobs mit niedrigeren Löhnen in Kauf zu nehmen, wenn ihnen dafür flexible Arbeitszeiten gewährt werden (siehe Abbildung 1). Dies beeinträchtigt das gesamte Lohnwachstum trotz des Beschäftigungswachstums. Gleichzeitig scheinen auch jüngere Arbeitnehmer aufgrund der steigenden Lebenserwartung und der schlechten Aussichten im Hinblick auf die Sozialsicherheit dazu geneigt, im Gegenzug für einen sicheren Arbeitsplatz ein eher niedriges oder gar kein Lohnwachstum hinzunehmen, als Lohnerhöhungen zu fordern oder mit dem Wechsel zu besser bezahlten Jobs Risiken einzugehen. Dass ein sicherer Arbeitsplatz bevorzugt wird, ist auf der Arbeitnehmerseite wahrscheinlich ein Hindernis für die Arbeitsplatzmobilität, während arbeitsrechtliche Einschränkungen in Bezug auf Entlassungen (betriebsbedingte Kündigungen) auf der Arbeitgeberseite eine Rolle spielen. Zum anderen geben die höhere Lebensdauer und die schlechten Aussichten im Hinblick auf die Sozialsicherheit Anlass zum sogenannten Vorsichtssparen. Die Sparquote der Haushalte ist etwa im vergangenen Jahrzehnt in den Abbildung 2: Sparquote der Haushalte in den meisten Altersgruppen gestiegen Stand 2002 40 Stand 2015 35 % 30 25 20 10 Bis 29 30-39 40-49 Quelle: National Institute of Population and Social Security Research, PIMCO; Stand: Dezember 2015. 50-59 65+ September 2017 Globale Zentralbanken im Fokus Abbildung 3: Phillips-Kurve für Japan: flacher und niedriger Daten von 1988 bis 1997 Daten seit 1997 Aktuell Veränderung des VPI ohne Lebensmittel/Energie gegenüber dem Vorjahr (%) 4 3 2 1 0 -1 -2 -8 -6 -4 -2 0 2 4 Produktionslücke über drei Quartale (in % des BIP) Quelle: Haver Analytics, Bloomberg, PIMCO; Stand: Juni 2017. Abbildung 4: Ein großer Teil des Finanzvermögens entfällt in Japan auf ältere Menschen und Bankeinlagen. Vermögen nach Alter 20-29 (2%) 30-39 (7%) Vermögen nach Anlageinstrument Investmentfonds 5% Aktien 10% 40-49 (13)% 60+ (48%) 50-59 (29%) Versicherungen 29% Sonstige 4% Einlagen 52% Quelle: Japan Institute of Life Insurance, PIMCO; Stand: Dezember 2015. meisten Altersgruppen und besonders in der jüngsten (bis 29 Jahre) gestiegen (siehe Abbildung 2). Die jüngere Generation stellt in einer alternden Gesellschaft zunehmend eine Minderheit dar. Die Menschen dieser Generation sind sich bewusst, dass die Sozialleistungen, die sie erhalten, wahrscheinlich niedriger sein werden als die von ihnen im Laufe ihres Lebens geleisteten Beiträge. Darüber hinaus werden die Erwartungen in Bezug auf eine Null-Inflation – oder sogar auf eine Deflation – aufgrund von 3 Kohorteneffekten mit der Zeit gefestigt. Da es in den zurückliegenden zweieinhalb Jahrzehnten keine Inflation gab, haben viele Japaner keine Erfahrung damit. Das ist ein wichtiger Faktor, denn wie die BoJ in ihrer Selbsteinschätzung im vergangenen September einräumte, sind die Inflationserwartungen des Privatsektors eher „flexibel“ – beeinflusst von früherer Deflation und den aktuellen Erfahrungen mit der Null-Inflation – als „rational“, also an einem Zielwert wie dem der BoJ festgemacht. Obwohl demografische Faktoren im Allgemeinen inflationäre und deflationäre Tendenzen auslösen können, da sie sich sowohl auf das gesamte Angebot als auch auf die Nachfrage einer Wirtschaft auswirken, haben wir es in Japan letztendlich wohl mit strukturellen deflationären Kräften zu tun. Wie aus Abbildung 3 hervorgeht, ist die Phillips-Kurve, die den Zusammenhang zwischen der Produktionslücke und der Inflation einer Wirtschaft deutlich machen soll, im vergangenen Jahrzehnt erheblich flacher geworden und hat sich nach unten bewegt. Die Verflachung der Phillips-Kurve ist unter anderem dadurch zu erklären, dass ältere Arbeitnehmer in Teilzeit Lohnkürzungen oder schlecht bezahlte Jobs in Kauf nehmen; aber auch die nicht vorhandene Arbeitsplatzmobilität spielt eine Rolle. Die demografischen Kohorteneffekte, die die Inflationserwartungen belasten, liefern – wenn auch nur teilweise – eine Erklärung für das Abrutschen der Phillips-Kurve. Und da auch bei den jüngeren 4 September 2017 Globale Zentralbanken im Fokus Generationen das Vorsichtssparen zunimmt, hat die Wirkung der geldpolitischen Lockerung mittels niedrigerer Zinsen nachgelassen. stieg – hauptsächlich aufgrund der schwachen Währung und des darauffolgenden Anstiegs der Importpreise –, begannen Politiker verbal in die Währungsmärkte einzugreifen, indem sie Bedenken an der Kaufkraft von Rentnern äußerten. Demografische Trends haben Zweifel am Inflationsziel der BoJ von 2% aufkommen lassen, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch. Eine Inflation schwächt grundsätzlich die Kaufkraft von Sparern, und in Japan wäre die ältere Generation davon am meisten betroffen: Etwa die Hälfte des von Haushalten gehaltenen Finanzvermögens entfällt in Japan auf Menschen ab 60 Jahren und Bankeinlagen (siehe Abbildung 4). Politisch betrachtet ist diese ältere Altersgruppe in Japan am einflussreichsten, denn zwei Drittel der Wähler, die bei der bislang letzten Parlamentswahl abstimmten, waren 50 Jahre alt oder älter. Ein Vorkommnis im Jahr 2015 machte dies besonders deutlich: Als der Verbraucherpreisindex ohne den Zinsanhebungseffekt um 1,5% POLITIK ZUNEHMEND VON FISKALPOLITISCHEN ASPEKTEN GEPRÄGT Die Schlussfolgerung der BoJ, dass die Inflationserwartungen eher flexibel als rational seien, ist vernünftig, aber auch mit einer gewissen Ironie behaftet. Die moderne Volkswirtschaftslehre geht von rationalen Erwartungen aus, und darauf stützten sich in grundlegender Weise die aggressiven geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen der BoJ unter der Führung von Kuroda. Da der geldpolitische Spielraum bereits ausgeschöpft ist, kann die BoJ ihr gesetzliches Mandat im Hinblick auf die Preisstabilität künftig nicht mehr erfüllen, es sei denn, eine neue Wirtschaftstheorie wird veröffentlicht oder die Regierung kooperiert. Im Idealfall sollte die Regierung vernünftige Reformen für die Arbeitnehmerseite beschließen. Das Sozialsystem könnte so überarbeitet werden, dass jüngere Generationen mehr Vertrauen fassen und der Unterschied bei der Vermögensaufteilung zwischen den Generationen nicht mehr so sehr zu ihren Ungunsten ausfällt. Arbeitsrechtliche Bestimmungen könnten ebenfalls angepasst werden, um Mobilität und somit eine bessere Verteilung der Ressourcen zu ermöglichen. Diese auf lange Sicht positiven Reformen können für die Wirtschaft kurzfristig jedoch negative Folgen haben, und somit ist ihre Umsetzung angesichts der schwindenden politischen Macht von Premierminister Abe zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich. Abbildung 5: BoJs „heimliche Reduzierung“ des Programms der quantitativen Lockerung JGB Käufe (Billionen JPY/Monat) 12 11 10 Zinssteuerkurve 9 8 7 6 5 Jun ‘13 Dez ‘13 Jun ‘14 Quelle: Nomura, Bloomberg PIMCO; Stand: 31. Mai 2017 Dez ‘14 Jun ‘15 Dez ‘15 Jun ‘16 Dez ‘16 Mär ‘17 September 2017 Globale Zentralbanken im Fokus Es dürfte vielmehr der Fall eintreten, dass in nächster Zeit fiskalpolitische oder andere auf die Arbeitgeberseite ausgerichtete politische Maßnahmen beschlossen werden, die auf die Geldpolitik abgestimmt sind. Die Steuerung der Renditekurve durch die BoJ, bei der die Bank das vordere Ende – oder Zinsen auf überschüssige Reserven – und die zehn Jahre markierenden Punkte auf der Renditekurve anstrebt, ist ein geschicktes Mittel, um die Politiker zu fiskalpolitischen Maßnahmen zu bewegen: Die BoJ hält sich bereit, eine Neuverschuldung des Staates zu äußerst niedrigen Zinsen zu finanzieren. Als die Regierung eine zusätzliche Maßnahme zur fiskalischen Konsolidierung in Form einer Reduzierung der Staatsverschuldung beschloss, gab sie damit zu verstehen, dass sie sich unter Umständen darauf vorbereitet, im Juni durch “Helikoptergeld” fiskalpolitische Anreize zu schaffen. Würde sich die Regierung auf die Staatsverschuldung anstatt auf die aktuellen Maßnahmen zum Primärsaldo konzentrieren, wäre sie bei der Umsetzung der Fiskalpolitik flexibler, während die BoJ die Renditen für Staatsanleihen künstlich niedrig hält. In welchem Umfang Japans Politik nicht mehr von der Geld-, sondern von der Fiskalpolitik bestimmt sein wird („Helikoptergeld“), ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. Zumindest eines scheint aber klar zu sein: Die BoJ wird nicht länger den Ton angeben. Bei einem Konjunkturabschwung dürften fiskalpolitische Anreize wohl die bevorzugte Maßnahme sein, während die BoJ Unterstützung leisten würde, indem sie die Zinsen niedrig hält. Bei künftigen Versuchen, aus der Politik auszusteigen, würde die BoJ vermutlich langsam vorgehen, um die japanische Regierung bei der Bewältigung des steigenden Schuldenberges zu unterstützen. Auf diese Weise würde auch dem anderen Mandat der Zentralbank Rechnung getragen, nämlich für ein stabiles Finanzsystem zu sorgen. STEUERUNG DER RENDITEKURVE MUSS NOCH ANGEPASST WERDEN Die Steuerung der Renditekurve durch die BoJ ist eine geschickte Maßnahme, um für eine geordnete Fortführung der Geldpolitik zu sorgen. Es kann unserer Auffassung nach aber auch nicht allzu lange so weitergehen, ohne dass gewisse Anpassungen vorgenommen werden. Um ehrlich zu sein, hat die Steuerung der Renditekurve, was die Durchführung betrifft, bisher so funktioniert wie geplant. Sowohl am vorderen Ende als auch bei zehnjährigen Renditen konnten die jeweiligen Zielwerte in etwa erreicht werden. Seit Beginn der Steuerung der Renditekurve gingen die monatlichen Ankäufe japanischer Staatsanleihen durch die BoJ zurück, was dieser eine, wie wir es nennen, „heimliche Reduzierung“ ihres Programms der quantitativen Lockerung ermöglicht (siehe Abbildung 5). Die BoJ kann die Renditekurve heute mit weniger Ankäufen von Staatsanleihen steuern, da sie bereits einen Großteil des Durationsrisikos auf dem Markt aufgefangen hat. 5 Von der erfolgreich durchgeführten Steuerung der Renditekurve einmal abgesehen, bezweifeln wir, dass die derzeitigen Zielwerte für die Renditekurve angemessen sind. Die BoJ räumte in ihrer Selbsteinschätzung voriges Jahr ein, dass mit der Senkung von Renditen und der Verflachung der Renditekurve auf extrem niedrige Stände besonders für Finanzinstitute Nebenwirkungen bestehen. Wir sind der Meinung, dass es der Wirtschaft angesichts des strukturellen Vorsichtssparens der Haushalte mit einer steileren statt flacheren Renditekurve wahrscheinlich besser gehen würde. GELDPOLITISCHER AUSBLICK UND ANLAGEIMPLIKATIONEN Ganz gleich, wer zum nächsten Gouverneur der BoJ gewählt wird: Unserer Ansicht nach wird die BoJ geldpolitisch in den Hintergrund treten, nach Möglichkeiten für eine Anhebung der Zielwerte auf der Renditekurve Ausschau halten und das Inflationsziel von 2% flexibler auslegen. Jegliche Anpassung wird schrittweise erfolgen, wobei damit wohl erst begonnen wird, wenn der VPI um 1% steigt. Die Liquidität der BoJ dürfte somit weiterhin eine leichte Unterstützung für die globalen Märkte leisten. Dennoch ist dringend darauf zu achten, nicht in Selbstgefälligkeit zu verfallen. Denn jede Anpassung des zehnjährigen Renditeziels wäre ein noch nie da gewesenes Ereignis und könnte deshalb zu Problemen führen. Diese Veröffentlichung gibt die Meinungen des Managers wieder, die sich jederzeit ohne vorherige Ankündigung ändern können. Diese Veröffentlichung dient ausschließlich zu Informationszwecken. Hierin enthaltene Prognosen, Schätzungen und bestimmte Angaben basieren auf eigener Forschung und stellen weder Anlageberatung noch eine Empfehlung für ein bestimmtes Wertpapier, eine Strategie oder ein Anlageprodukt dar. Die hier enthaltenen Informationen stammen aus Quellen, die wir für zuverlässig halten; es wird jedoch keine Gewähr übernommen. PIMCO bietet die eigenen Dienstleistungen ausschließlich qualifizierten Institutionen und Anlegern an. 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