Japans Geldpolitik

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WIRTSCHAFT & POLITIK
Das Dilemma mit der Geldpolitik
Weltweit haben Notenbanker tatkräftig die Folgen der
Finanzkrise bekämpft. Mit dem Ausstieg aus der Nullzinspolitik tun sich vor allem Japan und Europa noch schwer.
Von Jörg Krämer
B
eachtliche Erfolgszahlen: Nach
einem kräftigen Plus im ersten
Quartal dürfte das Wachstum in diesem
Jahr 1,8 Prozent erreichen, die Inflation liegt bei fast 2 Prozent. Man weiß
kaum, ob von Japan oder Deutschland
die Rede ist. Aber es ist das Inselreich.
Und die Zahlen scheinen zu belegen,
dass die „Abenomics“ in Verbindung
mit einer ultra-expansiven Geldpolitik Wirkung zeigen. Ob das japanische
Experiment aber über das Strohfeuer im
Vorfeld der Mehrwertsteuererhöhung
im April hinaus Bestand hat, wird sich
noch zeigen müssen. Derweil werden in
Europa immer wieder das Gespenst von
der Deflation und die Mär vom verlorenen Jahrzehnt in Japan bemüht, um
auch von der Europäischen Zentralbank
(EZB) eine noch expansivere Geldpolitik
zu fordern.
Deflation nicht gleich Deflation
Dabei taugt das Bild vom Japan unter der
Knute der Deflation keineswegs. Denn
nie kamen die negativen Inflationsraten
an das Niveau der 1920/30er Jahre in
den USA heran, nie sind die Unternehmensgewinne in Japan massiv erodiert.
Und so ging auch die Wirtschaftsleistung nicht wirklich zurück, wenn man
die schrumpfende Bevölkerungszahl in
Rechnung stellt: Pro Kopf entwickelte sie
sich in den zurückliegenden zehn Jahren
in Japan nicht viel schlechter als in den
USA.
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J A PA N M A R K T
JUNI 2014
Dennoch beschwören in Europa die
Befürworter breit angelegter Staatsanleihenkäufe durch die EZB das Schreckgespenst einer Deflation, ohne zu sagen,
was an fallenden Verbraucherpreisen
schlecht ist und was nicht. Dabei hinkt
nicht nur der Vergleich mit Japan, sondern auch ein differenzierter Blick auf
die Entwicklung in Europa selbst entlarvt
die Deflationsrhetorik. Leicht fallende
Verbraucherpreise sind in den Krisenländern der Währungsunion kein Problem. Vielmehr haben Irland, Portugal
und Spanien lediglich die Lohnexzesse
der Boomjahre rückgängig gemacht und
ihre Lohnstückkosten um insgesamt 8
Prozent gesenkt. Anders als in den USA
der dreißiger Jahre fallen die Kosten
schneller als die Preise, so dass sich die
Gewinnmargen der Unternehmen erholen. Die Länder – außer Italien – gewinnen Wettbewerbsfähigkeit im Weltmarkt
zurück, Irland und Portugal können die
Hilfsprogramme abschließen und wollen sich künftig wieder eigenständig am
Kapitalmarkt behaupten.
Die EZB als Getriebene
Trotz dieser Erfolge in der Krisenbewältigung kochte die öffentliche Diskussion um die Geldpolitik der Frankfurter
Währungshüter hoch und hat die EZB
im Frühjahr zu einer Getriebenen der
Zahlen werden lassen: Schon kleinste
Veränderungen der Wachstums- und
Inflationsprognosen wurden als Signal
für eine Zinssenkung mit erstmals negativen Einlagensätzen für Banken angesehen. Dabei hätte die EZB allen Grund,
bei einer Politik der ruhigen Hand zu
bleiben.
Das Wirtschaftswachstum im Euroraum dreht von minus 0,4 Prozent 2013
auf plus 1 Prozent im laufenden Jahr.
Gemessen an der Tiefe der Rezession
bleibt das Tempo der konjunkturellen
Erholung allerdings bescheiden. Es wird
wohl noch mehr als zwei Jahre dauern,
bis die Wirtschaft im Euroraum wieder
das Niveau vor Ausbruch der Finanzmarktkrise Anfang 2008 erreicht. Aber
die Staatsschuldenkrise drückt dort nicht
länger die Stimmung, vielmehr wird die
Konjunktur maßgeblich von der höheren
globalen Nachfrage bestimmt, von der
auch Japan profitiert.
Erholung mit Herausforderungen
Mit dem Ende der akuten Staatsschuldenkrise hat auch die deutsche Wirtschaft den Weg aus der Rezession gefunden. Seit dem Frühjahr 2013 wächst sie
wieder ordentlich mit Raten von durchschnittlich 0,5 Prozent pro Quartal. Für
das erste Vierteljahr stand eine Zunahme
des Bruttoinlandsprodukts um 0,8 Prozent gegenüber dem Schlussquartal 2013
zu Buche. Für das gesamte Jahr ist ein
Wirtschaftswachstum von 2,0 Prozent zu
erwarten, für 2015 ein ähnliches Plus.
Dabei wird das Wachstum von den
für Deutschland viel zu niedrigen Zin-
sen künstlich angefacht. Noch für einige
Jahre wird sich das bei niedriger Arbeitslosigkeit und steigenden Löhnen gut
anfühlen. Politiker sind da geneigt, die
üppigen Steuereinnahmen mit beiden
Händen wieder auszugeben: Die Einführung des Mindestlohns und Erleichterungen bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen
werden – zusammen mit den normalen
Lohnerhöhungen – die Arbeitskosten
schon 2015 um 5 Prozent steigen lassen.
Die mühevoll mit den Agenda-Reformen
zurückgewonnene internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wird zum
Teil aufgegeben.
Auch die japanische Wirtschaft
befindet sich auf Expansionskurs. Das
Bruttoinlandsprodukt ist 2013 um 1,5
Prozent gestiegen und die Wachstumsrate 2014 dürfte noch etwas höher, bei
etwa 1,8 Prozent, liegen, zumal Regierung und Notenbank entschlossen sind,
negative Nachfrageeffekte infolge der
Mehrwertsteuererhöhung von 5 Prozent
auf 8 Prozent zum 1. April mit konjunktur- und geldpolitischen Impulsen auszugleichen. Die Teuerungsrate dürfte ohne
den Sondereffekt aus der Steuererhöhung
entgegen dem politischen Wunschdenken nicht bei rund 2 Prozent bleiben,
sondern längerfristig wieder fallen. Das
zeigt auch, wie wenig nachhaltig diese
Wirtschaftspolitik ist – und wie wenig sie
als Modell etwa für Europa taugt.
Verlagerung globaler Antriebskräfte
Im globalen Wachstum, für das 2014 ein
Anstieg um 3,5 Prozent zu erwarten ist
(nach 2,9 Prozent im Vorjahr), haben
sich die Antriebskräfte verlagert: Waren
Commerzbank Prognosen für Japan
2013
2014
2015
BIP-Wachstum
1,5
1,8
1,5
Inflationsrate
0,4
2,0
1,5
USD/YEN
(Jahresmitte)
–
103
116
EUR/YEN
(Jahresmitte)
–
141
150
Quelle: Commerzbank C&M
Wechselkurse
USD-JPY (linke Skala)
Inflation in Japan
EUR-JPY (linke Skala)
EUR-USD (rechte Skala)
150
1,50
140
1,40
130
1,30
120
1,20
110
1,10
100
1,00
90
0,90
80
0,80
0,70
70
Jan 10
Jan 11
Jan 12
Jan 13
Jan 14
Jan 15
Quelle: Commerzbank C&M, ab Juni 2014 Prognosen
insgesamt
ohne Energie und Nahrungsmittel
3,0
2,0
1,0
0,0
-1,0
-2,0
Jan 10
Jan 11
Jan 12
Jan 13
Jan 14
Jan 15
Quelle: Global Insight, Commerzbank C&M, ab April 2014 Prognosen
1 Positive Zahlen scheinen zu belegen, dass die „Abenomics“ in Verbindung mit einer ultra-expansiven Geldpolitik
Wirkung zeigen. Ob das Experiment Bestand hat, wird sich noch zeigen müssen.
es in den Krisenjahren die Schwellenländer, vor allem China, die mit hohen
Wachstumsraten die Weltwirtschaft
anfeuerten, so sind es jetzt wieder die
etablierten Volkswirtschaften, allen
voran die USA, die das Wachstum beflügeln. In Amerika dürfte die Wirtschaftsleistung 2014 um 2,5 Prozent zunehmen,
da die hausgemachten Hindernisse des
Vorjahres (Thema „Budgetstreit“) ausgeräumt wurden. Mit der Aussicht auf ein
weiter beschleunigtes Wachstum 2015
hat die US-Notenbank Fed als erste die
Wende in der Geldpolitik eingeläutet
und ihr Anleihekaufprogramm zurückgefahren. Für 2015 stehen erste Zinserhöhungen an. Damit können sich die
globalen Finanzströme massiv verlagern,
der bislang eher schwache US-Dollar
könnte gegen Euro und Yen aufwerten –
was im Interesse der EZB und der Bank
of Japan (BoJ) liegen dürfte.
Tücken lockerer Geldpolitik
Die japanische Wirtschaftspolitik dürfte
über kurz oder lang zu einem schwächeren Yen führen, da die Konjunkturprogramme der Regierung zunehmend
die langfristige Kreditwürdigkeit Japans
zu gefährden drohen. Schon jetzt ist
der Schuldenstand Japans bezogen auf
das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dramatisch hoch. Hinzu kommt die beispiellos
expansive Geldpolitik der BoJ: Während
die anderen Zentralbanken sich allmählich mit der Normalisierung ihrer Geldpolitik auseinandersetzen, wird die ungehemmte Liquiditätsflut der BoJ den Yen
zunehmend schwächen.
Mit der Schwächung der eigenen
Währung liebäugelt nicht nur die BoJ,
sondern wohl auch der ein oder andere in der EZB. Denn das hätte gleich
mehrere Vorteile: Importgüter würden
teurer, was sich auch in höheren Preisen
niederschlägt. Gleichzeitig steigen die
Exportchancen der Unternehmen. So
würde sich scheinbar die Wettbewerbsfähigkeit verbessern, ohne dass ernsthaft
Reformen angepackt werden, insbesondere der verkrusteten Arbeitsmärkte,
wie sie auch in Italien und Frankreich
vorherrschen.
Während also die Volkswirtschaften
Japans und des Euroraums auf Wachstumskurs sind, gerät die Geldpolitik
beider Länder unter politischem Druck
immer weiter in das Dilemma, einen
schonenden Ausstieg aus der ultra-lockeren Liquiditätsversorgung und zurück
auf den Pfad der Stabilitätsorientierung
zu finden. Da die USA schon beim
Wachstum vorangehen, könnte auch
wenigstens von der US-Notenbank Fed
und ihrem Ausstieg aus der Nullzinspolitik im kommenden Jahr ein sanfter, heilsamer Zwang ausgehen, dass Geld wieder
seinen Preis bekommt. ■
Dr. Jörg Krämer
ist Chefvolkswirt der Commerzbank
AG.
E-Mail: [email protected]
Veranstaltungshinweis: Vortrag von
Dr. Jörg Krämer im Rahmen einer
Veranstaltung der AHK Japan in
Tokyo. Nähere Infos dazu in Kürze
auf www.japan.ahk.de/events.
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