Retrotransposons im Dictyostelium-Genom

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Retrotransposons im Dictyostelium-Genom
Konzept für die Gentherapie?
In der somatischen Gentherapie kann
eine lang anhaltende Expression eines
therapeutischen Gens nur nach dessen
Integration in das Genom der therapierten Zellen erreicht werden. Bislang
eingesetzte GentherapieVektoren inserieren jedoch ungerichtet, so dass sekundäre Tumorerkrankungen durch Zerstörung wichtiger
Gene durch die Vektorinsertion ausgelöst werden können. Gerichtet
inserierende Retrotransposons, wie sie
im Genom von Dictyostelium
vorkommen, könnten wegweisend für
die Entwicklung neuer GentherapieVektoren sein.
Peter Beck
Thomas Winckler
Dictyostelium ist ein weltweit geschätztes Forschungsobjekt, weil sich die einzelligen Amöben unter bestimmten Umweltbedingungen zu einem vielzelligen
Organismus zusammenfinden, dessen
Ziel es ist, resistente Sporen zu bilden
[1]. Dabei ist bemerkenswert, dass Dictyostelium – anders als bei den Metazoen,
deren Vielzelligkeit aus einer sich teilenden Zelle entsteht – einen multizellulären Verband durch Aggregation individueller Zellen bildet. Verschiedene
Stadien der morphologischen Umformung der Aggregate zu reifen Sporenträgern sind in Abbildung 1 wiedergegeben.
Abb.1: Entwicklungszyklus von Dictyostelium discoideum
Während der Wachstumsphase (oben links) phagozytieren D. discoideum-Zellen
Bakterien und vermehren sich durch mitotische Zellteilung. Ungünstige Umweltbedingungen (z. B. Erschöpfung der Futterquelle) induzieren einen Entwicklungsprozess, an
dessen Ende die Bildung eines Fruchtkörpers steht. Dazu finden sich etwa 100.000
Einzelzellen zu einem Aggregat zusammen, das wie ein multizellulärer Organismus
funktioniert. Die Zellen differenzieren zu verschiedenen Zelltypen und der multizelluläre Verband macht einige morphogenetische Veränderungen durch, bevor ein fertiger
Fruchtkörper aus Stiel- und Sporenzellen entsteht. Die Fotos zeigen verschiedene
Stadien im zeitlich Ablauf entgegen der Uhrzeigerrichtung.
BIOforum 3/2003, S. 135–137, GIT VERLAG GmbH & Co. KG, Darmstadt, www.bioforum.de
Mobile genetische Elemente – molekulare Parasiten?
In unserem Institut beschäftigen wir uns
mit Retrotransposons im Genom von Dictyostelium discoideum. Retrotransposons gehören zu der großen Gruppe der
mobilen genetischen Elemente. Solche
mobilen genetischen Elemente sind
quasi molekulare Parasiten, die ein
Wirtsgenom „befallen“ und in ihm „leben“. Über die Äonen evolutionären
Wettstreites zwischen den mobilen Elementen und ihren Wirtsgenomen hat
sich heute eine Art von Symbiose gebildet, in der auch ein „infiziertes“ Wirtsgenom von der Anwesenheit der mobilen
Elemente profitieren kann [2]. Die positionsspezifischen Retrotransposons in
D. discoideum sind etwas besonderes,
weil sie mit starker Präferenz in der
Nähe von Transfer RNA (tRNA)-Genen
integrieren [3]. Ähnliche Integrationspräferenzen findet man nur noch unter
den Ty-Elementen der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae [4]. Anscheinend
ist die tRNA-Gen-gerichtete Integration
in der Koevolution von mobilen genetischen Elementen mit ihren Wirtsgenomen besonders dann zum „Überleben“
aktiver Populationen der mobilen Elemente von Bedeutung, wenn die Wirtsgenome besonders wenig Platz zwischen
ihren Genen lassen. In solchen kompakten Genomen kann ein mobiles Element
nur dann amplifizieren, wenn es Strategien entwickelt, bei seiner Integration
keine Gene des Wirtes zu zerstören.
tRNA-Gene sind deshalb besonders gute
Integrationsziele, weil sie immer in hohen Kopienzahlen vorkommen (also viele
potenzielle Ziele bieten), weil sie in der
Regel über das gesamte Genom verstreut
sind, und – was am wichtigsten ist – weil
ihre Umgebung normalerweise keine anderen Gene enthält.
Positionsspezifische Retrotransposons –
wegweisend für die Gentherapie?
Im Genom von D. discoideum gibt es insgesamt sieben tRNA-Gen-gerichtete Retrotransposons (TREs). Wir untersuchen
die Mechanismen, anhand derer die
TREs tRNA-Gene als potenzielle Ziele für
die Integration erkennen. Da alle tRNAGene im Dictyostelium-Genom völlig
unterschiedliche flankierende DNA-Sequenzen aufweisen, ist es nahe liegend
anzunehmen, dass die Erkennung von
tRNA-Genen durch mobile TREs über
Wechselwirkungen zwischen dem TREkodierten Integrationssystem und tRNAGen-typischen
Transkriptionsfaktoren
zustande kommt. Würden wir diese
Form der Erkennung von Integrations-
Abb.2: Konzept der „TRE-Falle“
(Details siehe Text)
Abb.3: Ergebnis eines genetischen Screenings
nach de novo Insertionen von TRE-Elementen
In dem hier gezeigten Beispiel wurden
D. discoideum-Zellen mit Plasmiden transformiert, die ein modifiziertes UMP-Synthasegen entweder mit oder ohne Präsenz des
tRNA-Gens im Intron enthielten (vgl. Abb. 2).
Etwa 107 Zellen wurden in einer Pertischale
in Gegenwart von 5-Fluoroorotsäure (5-FOA)
kultiviert. Nach ca. drei Wochen waren alle
5-FOA-sensiblen Zellen gestorben und 5-FOAresistente Zellen bildeten Klone. Diese Klone
wurden mit Giemsa-Lösung gefärbt und fotographiert. Die Resistenz der Klone gegen
5-FOA beruhte in fast allen Fällen auf der
tRNA-Gen-abhängigen Insertion eines TREs in
das UMP-Synthasegen. In einem typischen
Experiment werden 25–50-mal mehr Klone
erhalten, wenn das tRNA-Gen anwesend war,
als wenn es fehlte. Details dieses Experimentes finden sich in [6].
zielen auf molekularer Ebene verstehen,
könnten wir neue Konzepte zur Verbesserung heutiger Gentherapie-Vektoren
entwickeln. Gentherapie-Vektoren, wenn
sie eine langanhaltende Expression des
therapeutischen Gens in der Zielzelle
unterstützen sollen, müssen in das Genom integriert werden. Solche Vektoren
basieren in der Regel auf Retroviren, die
im Prinzip infektiöse Retrotransposons
darstellen. Der Nachteil von retroviralen
Gentherapie-Vektoren ist jedoch, dass sie
mehr oder weniger ungerichtet in das
Genom der Zielzellen integrieren. Damit
haben sie ein geringes, aber durchaus
realistisches Potenzial zur Zerstörung
von Genen der Zielzellen und damit zur
Auslösung sekundärer Tumor-Erkrankungen. Dass solche desaströsen Ereignisse nicht so unwahrscheinlich sind, wie
bislang angenommen wurde, hat sich
kürzlich in dramatischer Weise in einer
französischen Studie bei der Therapie
von Kindern mit einer schweren, angeborenen Immunschwäche gezeigt. Nach
der erfolgreichen Gentherapie von elf
Kindern entwickelte eines eine seltene
Form von Leukämie. Untersuchungen an
den leukämischen Zellen haben gezeigt,
dass die Ursache in einer Integration des
retroviralen Vektors in ein Onkogen zustande kam [5]. In unserer Arbeitsgruppe stellen wir uns die Frage, ob die
Kombination der effektiven retroviralen
Gentherapie-Vektoren mit der hohen Insertionsspezifität anderer Retrotransposons kombiniert werden kann, um das
Risiko einer Insertionsmutagenese wäh-
rend der somatischen Gentherapie zu
minimieren.
Dictyostelium-Retrotransposons in die
Falle gelockt
Der tägliche Umgang mit DictyosteliumDNA ist eine Herausforderung für sich.
Das liegt an dem extrem geringen GC-Gehalt des D. discoideum-Genoms von nur
durchschnittlich 22 %. In nicht-kodierenden Regionen kann der GC-Gehalt leicht
unter 5 % rutschen [6]. Solche DNA ist in
Bakterien sehr instabil, und so ist es z. B.
nie gelungen, komplette TREs auf Plasmiden zu etablieren, um deren Fähigkeit
zur Retrotransposition zu studieren. Wir
sind deshalb einen komplett anderen
Weg gegangen und haben im D. discoideum-Genom mobile TREs in „die Falle
gelockt“. Da TREs immer in die Nähe von
tRNA-Genen inserieren, werden sie niemals Mutationen setzen, an deren phänotypischer Ausprägung Mutanten mit „frischen“ Retrotranspositionen erkennbar
werden. Man benötigt also ein Selektionssystem, mit dem auf die Zerstörung eines
Reportergens durch TRE-Insertionen positiv selektioniert werden kann. Wir haben hierfür das Gen für die UMP-Synthase ausgesucht [7]. Zellen mit einem
intakten UMP-Synthasegen sind sensibel
gegen das Zytostatikum 5-Fluoroorotsäure (5-FOA). Zellen mit defektem UMPSynthasegen können 5-FOA nicht „giften“
und sind dadurch resistent gegen das
Zytostatikum. Damit mobile TREs im
D. discoideum-Genom in das UMP-Synthasegen inserieren und es damit zerstören, muss ein tRNA-Gen in der Nähe sein.
Wir haben deshalb ein Derivat des UMPSynthasegens kloniert, in das wir ein
künstliches Intron eingebaut haben. In
dieses Intron wiederum wurde ein tRNAGen inseriert (Abb. 2). Dieses künstliche
UMP-Synthasegen wurde dann in Zellen
eingebracht, deren natürliches UMP-Synthasegen vorher deletiert wurde (D. discoideum-Zellen sind haploid). Die Idee
war, dass mobile TREs das künstliche
UMP-Synthasegen als Ziel für Integrationen erkennen sollten, wenn das „Köder“tRNA-Gen in dem Intron vorhanden war.
Die TREs würden dann in das Intron inserieren und damit das Gen zerstören
(Abb. 2). Da es sich bei TRE-Insertionen
quasi um somatische Ereignisse bezogen
auf eine große Population von Einzelzellen handelt, könnte man Zellen mit de
novo-Insertionen in das künstliche UMPSynthasegen dadurch isolieren, dass
diese Zellen in Gegenwart von 5-FOA klonal aus der sterbenden Restpopulation
herauswachsen. Ein typisches Experiment ist in Abbildung 3 gezeigt. Man erkennt, dass die Mutationsrate des künst-
lichen UMP-Synthasegens um das 25–50fache erhöht war, wenn das „Köder“tRNA-Gen in dem Intron des UMP-Synthasegens vorhanden war. Wir haben
5-FOA-resistente Klone im Detail untersucht und gefunden, dass in 96 % der
Fälle das UMP-Synthasegen durch TREInsertionen zerstört wurde. Die neu inserierten TREs zeigten dabei alle für sie typischen Charakteristika. Sie inserierten
im richtigen Abstand zum tRNA-Gen und
in nur einer Orientierung, und sie zeigten
strukturelle Besonderheiten, wie sie auch
von anderen, „alten“ Insertionen im D.
discoideum-Genom bereits bekannt waren. Durch die Anwendung der hier beschriebenen „TRE-Falle“ können jetzt einige interessante Frage untersucht
werden, die uns dem Ziel näher bringen,
die außerordentliche Spezifität der Integration zu verstehen.
Literatur
[1] Loomis, W. F.; Insall R. H.: Nature 401, 440441 (1999)
[2] Kazazian, H. H.: Science 289, 1152-1153
(2000)
[3] Winckler, T.; Dingermann, T.; Glöckner, G.:
Cell. Mol. Life Sci. (2002), in Druck
[4] Kim, J. M.; Vanguri, S.; Boeke, J. D.; Gabriel,
A.; Voytas, D.F.: Genome Res 8, 464-478
(1998)
[5] Lemoine, N.R.: Gene Therapy 9, 1561-1562
(2002)
[6] Glöckner, G.; Eichinger, L.; Szafranski, K.; Pachebat, J.; Dear, P.; Lehmann, R.; et al.: Nature 418, 79-85 (2002)
[7] Beck, P.; Dingermann, T.; Winckler, T.: J. Mol.
Biol. 318, 273-285 (2002)
Dr. rer. nat. Thomas Winckler
Biologie-Studium in Konstanz, Promotion 1991, seit
1992 im Institut für Pharmazeutische Biologie in
Frankfurt, Habilitation im Fach Pharmazeutische Biologie 2000, Hochschuldozent seit 2002
Peter Beck
Pharmazie-Studium in Frankfurt, seit 1999 Doktorand
im Institut für Pharmazeutische Biologie in Frankfurt
Universität Frankfurt (Biozentrum)
Institut für Pharmazeutische Biologie
Marie-Curie-Straße 9
60439 Frankfurt
[email protected]
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