Ethik – eine Einführung „Leben wir eigentlich richtig? Diese Frage bewegt den Menschen zumindest zeitweise in seinem persönlichen Leben - elementar. Bezogen auf die Gesellschaft drängt diese Frage jedoch stets an die Oberfläche und verlangt nach einer möglichst für alle verbindlichen Antwort. Diese Frage ist deshalb so relevant, weil das Verhalten des Individuums immer wieder an Grenzen stößt; Grenzen, die Konflikte heraufbeschwören - mit dem Nächsten, innerhalb einer Gruppe, mit dem Staat und u. U. in mir selbst, wenn sich das eigene Gewissen zu Wort meldet. Auch der nichtreligiöse Staat ist darauf angewiesen, Grundwerte festzulegen, auf deren Grundlage Gesetze formuliert werden und nach denen sich der Bürger richten muss. Ein Zusammenleben wäre sonst nicht möglich. Doch reicht das aus? Auch die höchsten irdischen Instanzen müssen sich fragen lassen, ob sie in ihrem Menschenbild, in ihren Werten und in ihren ethischen Entscheidungen gemäß diesen Werten nicht zu kurz greifen. Eine »christliche Ethik« sucht ihren Ausgangspunkt jenseits der materiellen Welt bei der höchsten Instanz überhaupt, bei Gott. Sie basiert auf der Überzeugung, dass der Schöpfer unserer Welt für seine geschaffene Welt die umfassendsten und grundlegendsten Werte gibt, nach denen der Mensch leben und sein Menschsein auf die bestmögliche Weise verwirklichen kann. Eine »biblische Ethik« geht darüber hinaus; sie gründet sich auf die Überzeugung, dass Gott seinen Willen klar und deutlich geoffenbart hat - in der Bibel. Sie entfaltet daher ihre Grundsätze und Prinzipien auf der Grundlage der Heiligen Schrift.“ (aus dem Vorwort zu dem Buch »Einführung in die Biblische Ethik« von Robertson McQuilkin, CVD). „Langsam dämmert es uns. Unsere Gesellschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend nach dem Prinzip funktioniert, dass alles, was wir können, auch erlaubt sei. Nachdem, es uns nun aber gelungen ist, Atombomben zu bauen, ungeborenes Leben abzutreiben und an den genetischen Codes des Lebens herum zu manipulieren, nachdem wir nun nach Lust und Laune Ehen schließen und wieder scheiden, die Wirtschaft gnadenlos liberalisieren und uns mit dem Internet einen Raum geschaffen haben, wo jeder und jede jeden beliebigen Müll verbreiten kann, fragen sich immer mehr Menschen, ob wir uns nicht langsam, aber sicher selbst zerstören, wenn wir nach der Maxime leben, dass jede Machbarkeit erlaubt ist. Dachte man zuerst noch, mit einer immer größer werdenden Flut von Gesetzen könnten Fehlentwicklungen und Missbrauch in Grenzen gehalten werden, wird heute der Ruf nach Ethik immer lauter. Nicht nur einige mehr oder weniger fromme Moralapostel rufen nach ethischen Normen, nein, kaum eine Hochschule, die heute nicht Themen der Ethik in ihrem Vorlesungsverzeichnis auflistet. Schon vor Jahren hatte ein Schweizer Spitzenpolitiker nach einer gewonnenen Abstimmung zu einem neuen Umweltschutzgesetz erklärt: „Gesetze werden nicht reichen, wir brauchen ein inneres Umdenken in unserem Land.“ Doch wohin wenden wir uns, wenn wir nach einem ethischen Navigationssystem suchen? Eine christliche Antwort geht davon aus, dass diese Welt die Schöpfung Gottes ist und dass wir uns deshalb an den „Hersteller" wenden müssen, wenn wir die „Gebrauchsanleitung“ für ein gelingendes Leben in dieser Welt finden wollen. Umgekehrt gesagt: Es kann nicht gut kommen, wenn wir Menschen versuchen, ohne Bezug zum Schöpfer an der Schöpfung herumzubasteln. Wie es jemand einmal kurz und pointiert gesagt hat: „Ohne den Schöpfer ist das Geschöpf bald erschöpft.“ Gemeindebibelschule Stadtmission Solingen 2013, Pastor Jens Bärenfeld 1 Doch wie kommen wir an die göttliche „Gebrauchsanweisung“ heran? Da für uns Menschen Gott nicht einfach zugänglich ist, sind wir auf das angewiesen, was er uns gezeigt hat. Die Theologen nennen das „Offenbarung“. Die Frage ist also, wo und wie der Schöpfer seine „Spielregeln“ offenbart hat. 1 1. Der Begriff Ethik Ethik kann als ein System moralischer Werte und Pflichten bezeichnet werden. Es hat damit zu tun, wie der ideale Charakter des Menschen beschaffen ist und wie er am besten handelt. Was sollte eine Person tun oder unterlassen zu tun? Welche Haltungen und welches Verhalten soll als gut angesehen werden? Und warum sollten sie für gut gehalten werden? Was ist der höchste Grad von Gutsein, «das Hauptziel des Menschen«, der Zweck der menschlichen Existenz? Dies sind die Fragen, die das Studium der Ethik zu beantworten sucht.2 „Das griechische Wort ethos bedeutet ursprünglich »Wohnung«, dann »Gewohnheit« und »Sitte». In der lateinischen Sprache entspricht ihm das Wort mos, von dem unser Wort »Moral« herkommt, und das ursprünglich »Willen«, »Absicht« (verwandt mit dt. »Mut«, »Gemüt«), später »übliches Verhalten« bedeutet, und in diesem Sinn zum genauen Äquivalent für ethos werden konnte. Beiden Begriffen fehlt das Element von Gut und Böse, welches die Basis für unser Verständnis von Ethik und Moral darstellt. Heutzutage benutzt man den Begriff Ethik gewöhnlich, wenn es um die Unterweisung in Fragen der Moral geht: wie wir leben und handeln sollen. Es ist die Theorie des richtigen Lebenswandels. Ethik ist für uns nicht beschreibend, sondern vorschreibend: Sie lehrt uns nicht, wie wir leben, sondern wie wir leben sollen. ... Wir müssen also genau und deutlich sein: Ethik ist die Lehre darüber wie die Menschen richtig handeln sollen.“3 „Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt.“ - Albert Schweitzer, Kultur und Ethik, Kap. 21 Formen und Begriffsgebrauch Wenn es um die möglichst präzise empirische Erfassung und Beschreibung tatsächlicher Moral und Sitte geht, spricht man allgemein von deskriptiver Ethik (deskriptiv = beschreibend). Diese Disziplin ist verwandt mit anderen empirischen Disziplinen wie z.B. Soziologie und Ethologie (Lehre von den Sitten und Gebräuchen eines Volkes). Hier wären auch Beschreibungen christlichen Verhaltens zuzuordnen (Wie leben die Christen heute, welche Verhaltensweisen finden sich in bestimmten Kirchen, Verbänden,...) Die Grundfrage lautet also: Wie verhält sich der Einzelne (die Gruppe)? Wenn die methodische Reflexion auf Moral nicht in empirisch-deskriptiver oder historisch klärender Weise, sondern mit dem Ziel der Begründung und Kritik vorgenommen wird, spricht man - in einem allgemeinen Sinn - von normativer Ethik (präskriptiv = vorschreibend). Hier lautet die Frage: Wie soll sich der Einzelne (die Gruppe) verhalten? Welches Verhalten ist gutes, rechtes Verhalten, welches Verhalten ist schlecht, zerstörerisch? Ethik ist demnach als weitere Definition laut Burkhardt die Lehre vom Leben des Menschen unter dem Gesichtspunkt seiner Verantwortung für dessen rechte Gestaltung.4 1 Bernhard Ott in dran 2/2004 Seite 23 Robertson Mc Quilkin, Biblische Ethik, CVD 2003, Seite 13 3 Klaus Bockmühl, Christliche Lebensführung, TVG Brunnen 1993, Seite 11 4 Helmut Burkhardt, Einführung in die Ethik, TVG Brunnen 1996, S.16 2 Gemeindebibelschule Stadtmission Solingen 2013, Pastor Jens Bärenfeld 2 2. Die Notwendigkeit und Begründung der Ethik „Ethik ist notwendig, weil der Mensch mit einem freien Willen geschaffen wurde und nicht gebunden ist an seine Instinkte oder ein göttliches „Halsband“. Im Menschen lebt ein Konflikt zwischen Geist und Fleisch. Er hat Entscheidungsspielraum und kann alle seine Lebensbeziehungen (zu sich selbst, zu Gott und zu anderen) kreativ gestalten. Diese Entscheidungen brauchen Begründungen und Maßstäbe.“5 „Erstens ist Ethik aus anthropologischen Überlegungen nötig, weil die Natur des Menschen das erforderlich macht. Aus bloßer einfacher Notwendigkeit handeln wir zur Erhaltung des Lebens. Im Unterschied zu den Tieren handeln wir aber nicht aufgrund von Instinkten, sondern weil wir fähig sind, Entscheidungen zu treffen. Das macht unser Leben so kompliziert; wir müssen fortwährend die Frage stellen, die Petrus von seinen Zuhörern gestellt bekam (Apg 2,37): „Was sollen wir tun?“ Das ist eine allgemein menschliche Frage. ... Der zweite Grund, weshalb wir Ethik studieren sollten, ist spezifisch christlich und lässt sich in drei verschiedene und doch miteinander verbundene Begründungen aufteilen. a) Zunächst ist es Gottes Absicht für seine Erlösten, dass sie gemäß dem Evangelium - heilig leben. Der Zweck der Erlösung ist die Heiligung des Gläubigen. Jesus Christus gab sich selbst für uns, »damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit and reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum. das fleißig wäre zu guten Werken - (Tit 2,14). Ethik beantwortet die Frage: »Welche guten Werken? b) Weiter gibt es einen eschatologischen Horizont für unser Studium der Ethik. Uns steht ein ewiges Gericht bevor, in dem wir verantwortlich gemacht werden für unser Tun (2Kor 5,10). Die Menschheit lebt zwischen den Polen von Gut und Böse: Wir müssen uns entscheiden und werden dann für unsere Entscheidung verantwortlich gemacht. c) Ein letzter Grund, den man vor allem in der frühen Kirche betonte, der aber auch heute seine Bedeutung hat, ist der irdische Horizont: die Notwendigkeit, in einer heidnischen Umgebung Zeugnis abzulegen.“6 3. Die Einbettung der Ethik in die Theologie Klassisch unterscheiden wir in der Theologie: 1. Altes Testament (Bibelkunde, Einleitung, Exegese, Umwelt, Hebräisch) 2. Neues Testament (Bibelkunde, Einleitung, Exegese, Umwelt, Griechisch) 3. Historische Theologie (Kirchengeschichte, Dogmengeschichte, Konfessionskunde) 4. Systematische Theologie (Dogmatik, Ethik, Apologetik) 5. Praktische Theologie (Homiletik, Gemeindepädagogik, Seelsorge, Pastoraltheologie) 6. Missionswissenschaft/Evangelistik Ethik findet sich also im Bereich systematischer Theologie, in enger Verbindung zur Dogmatik. Schirrmacher: „Ethik ist die Lehre vom richtigen und falschen, vom guten und bösen Denken und Handeln. Die christliche Ethik ist so untrennbar mit dem christlichen Glauben insgesamt verbunden, dass sie als losgelöste Größe gar nicht bestehen kann. Dogmatik (christliche Lehre) und Ethik (christliches Handeln) gehören untrennbar zusammen.“7 Heiko Krimmer: „Es ist nicht möglich abgelöst von einem christlichen Glauben von einem christlichen Handeln zu reden. Ethik und Dogmatik, Leben und Lehre, lassen sich in keinem Fall im Umkreis der Bibel voneinander trennen.“ Schirrmacher: „Indem Gott der Ausgangspunkt der christlichen Ethik ist, bekommt auch die Geschichte Gottes mit den Menschen, wie sie die Bibel über Jahrhunderte aufgezeichnet hat, entscheidende Bedeutung. Es gibt keine Ethik an sich, sondern nur eine in die biblische 5 dran 2/2004 S.25 Bockmühl, Seite 12+13 7 Thomas Schirrmacher, Ethik, 3.Aufl. Hänssler-Verlag 2002, Seite 19 6 Gemeindebibelschule Stadtmission Solingen 2013, Pastor Jens Bärenfeld 3 Offenbarungs- und Heilsgeschichte eingebettete Ethik.“8 Im Umgang mit dem Verhältnis von Dogmatik und Ethik lassen sich zwei unterschiedliche Tendenzen beobachten: 1. Die Unterordnung der Ethik unter die Dogmatik Es besteht hierbei die Neigung die ethische Frage zu vernachlässigen unter der Meinung, dass sich aus einer Klärung der Wahrheitsfrage das richtige Leben schon von selbst ergibt. 2. Die Unterordnung der Dogmatik unter die Ethik Hier besteht die Neigung, die Wahrheitsfrage zugunsten der Frage nach der richtigen, förderlichen Lebensgestaltung zu vernachlässigen. 4. Felder und Aufgabenstellungen christlicher Ethik Bei der Frage der Ethik finden wir uns wieder in der Frage der drei grundlegenden Lebens- und Beziehungsbereiche des Menschen: 1. Die Beziehung zu Gott // 2. Die Beziehung zueinander // 3. Die Beziehung zur Umgebung Entsprechend können wir folgende Aufgabenfelder unterscheiden, wobei alle drei Bereiche miteinander verwoben sind: 1. „Religionsethik“= Gott und die „Götter“ / Rechte Gottesverehrung / Macht und Autorität 2. Humanethik = Lebensethik (z.B. die Frage nach Lebensrecht und Lebensschutz, Abtreibung, Euthanasie, Tötung, Selbsttötung, Biotechnik und Gentechnik) Sexualethik (z.B. die Frage nach Geschlechtlichkeit, Ehe, Ehescheidung) Sozialethik (z.B. die Fragen nach Familie, Erziehung, Staat, Gesellschaftsverantwortung, Gemeindeethik) 3.Naturethik= Wirtschaftsethik (z.B. die Frage nach der Verteilung von Ressourcen, Arbeitsstrukturen) Umweltethik (z.B. die Fragen nach Schöpfungsverantwortung, Ökölogie) Kulturethik (z.B. die Frage nach Kunst, Medien, Ästhetik) Rechtsethik (z.B. Allgemeine Gesetzgebung, Steuern, Eigentum) 5. Die zentralen Texte der Bibel zur Ethik AT Die zehn Gebote (2.Mo.20,2-17; 5.Mo.5,6-21) und ihre Ausführung in Gesetz und Propheten Die Weisheitsliteratur (z.B. Sprüche ) Spr.1,7 // Jes.58,1-12 NT Mt.6,33 // Mt.15,1-20 Die Bergpredigt (Mt.5-7) Das Doppelgebot der Liebe (Mt.22,34-40; Röm.13,9f) Der so genannte Praxisteil in den Briefen (z.B. Röm.12-15; Eph.4-6; Kol.3-4; 1.Petr.1,13ff) 8 Schirrmacher, S.22 Gemeindebibelschule Stadtmission Solingen 2013, Pastor Jens Bärenfeld 4 9 1.6. Hilfreiche Literatur A. Grundlegende Literatur McQuilkin, Robertson. Biblische Ethik – Eine Einführung in biblisch begründetes Denken und Handeln, Dillenburg: Christliche Verlagsgesellschaft, 2003. Schirrmacher, Thomas. Ethik, Nürnberg: Verlag für Theologie und Religionswissenschaft (VTR), 2002 Bd.1-7. Burkhardt, Helmut. Einführung in die Ethik – Grund und Norm sittlichen Handelns, Gießen: Brunnen Verlag (TVG), 1996 Geddert, Timothy. Verantwortlich leben - Wenn Christen sich entscheiden müssen, Regensburg: Neufeld Verlag, 2004 Höffe, Otfried. Lexikon der Ethik, Nördlingen: Verlag C.H. Beck, 2002 B. Quellentexte Höffe, Otfried. Lesebuch zur Ethik, Nördlingen: Verlag C.H.Beck, 2002 Wickert, Ulrich. Das Buch der Tugenden, München: Wilhelm Heyne Verlag, 1995 C. Ethik mit Schwerpunkt auf die zehn Gebote Afflerbach, Horst. Christliche Ethik, Wuppertal: R. Brockhaus Verlag (TVG), Bockmühl, Klaus. Christliche Lebensführung – Eine Ethik der Zehn Gebote, Gießen: Brunnen (TVG), 1993 Burkhardt, Helmut. Ethik – Das gute Handeln, Gießen: Brunnen Verlag (TVG),2003 D. Spezialthemen der Ethik (Entscheidungen treffen) Holmes, Arthur F. Wege zum ethischen Urteil, Wuppertal: R. Brockhaus Verlag (TVG), 1987 Schirrmacher, Thomas. Führen in ethischer Verantwortung, Giessen: Brunnen Verlag, 2002 9 Cartoons Thees Carstens aus der Zeitschrift dran Nr.2/2004 BundesVerlag-Witten Gemeindebibelschule Stadtmission Solingen 2013, Pastor Jens Bärenfeld 5