Kapitel 2 Reelle und komplexe Zahlen In diesem Kapitel wollen wir die für die Analysis wesentlichen Zahlbereiche R und C systematisch beschreiben. Wir unterscheiden dabei zwischen arithmetischen, Ordnungs-, und metrischen Eigenschaften. Im ersten Abschnitt beschreiben wir abstrakte arithmetische Eigenschaften, dann gehen wir darauf ein in welchem Sinne die Menge der reellen Zahlen eine geordnete Menge ist und schließlich sprechen wir über Abstand und Metrik und über die zentrale Vollständigkeitsaussage. Inhaltsangabe 2.1 2.1 Körperaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Angeordnete Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.3 Konsequenzen einer archimedischen Ordnung . . . . 29 2.4 Metrische Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.5 Vollständigkeit von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.6 Irrationale Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.7 Teilmengen von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.8 Die komplexe Zahlenebene . . . . . . . . . . . . . . . . 52 R R 21 Körperaxiome Wir kommen nun zu einer zentralen algebraischen Struktur. Dies ist eine Menge mit zwei Verknüpfungen, für die wir die vertrauten Symbole +, · schreiben. 21 22 KAPITEL 2. REELLE UND KOMPLEXE ZAHLEN Definition 2.1.1 (Körper) Wir betrachten eine Menge K und zwei Abbildungen σ, µ : K × K → wollen zwei spezielle Zeichen für diese Abbildungen einführen, K. Wir σ(x1 , x2 ) = x1 + x2 , µ(x1 , x2 ) = x1 · x2 falls die Axiome der Addition (Add 1) (x1 + x2 ) + x3 = x1 + (x2 + x3 ) für alle x1 , x2 , x3 ∈ (Assoziativgesetz der Addition) K × K × K. (Add 2) Es existiert ein Element 0 ∈ K mit 0 + x = x + 0 = x für alle x ∈ K. (Existenz des additiv neutralen Elementes) (Add 3) Zu jedem x ∈ K gibt es ein inverses Element, d.h. ein Element x0 ∈ K mit x + x0 = 0. (Existenz des additiv inversen Elementes) (Add 4) x + x0 = x0 + x für alle x, x0 ∈ K (Kommutativgesetz der Addition). und die Axiome der Multiplikation (Mul 1) (x1 · x2 ) · x3 = x1 · (x2 · x3 ) für alle x1 , x2 , x3 ∈ K × K × K. (Assoziativgesetz der Multiplikation) (Mul 2) Es existiert ein Element 1 ∈ K, 1 6= 0 mit 1 · x = x · 1 = x für alle x ∈ K. (Existenz des multiplikativ neutralen Elementes) (Mul 3) Zu jedem x ∈ K, x 6= 0 gibt es ein inverses Element, d.h. ein Element x0 ∈ K mit x · x0 = x0 · x = 1. (Existenz des multiplikativ inversen Elementes) (Mul 4) x·x0 = x0 ·x für alle x, x0 ∈ K (Kommutativgesetz der Multiplikation). (Dis) x · (y + z) = x · y + x · z erfüllt sind. In diesem Fall nennen wir K einen Körper. Schreiben Sie diese Formeln mittels der Funktionen σ, µ. Wir wollen sofort einige einfache Schlussfolgerungen aus den Axiomen ziehen. 2.1. KÖRPERAXIOME 23 Lemma 2.1.2 (Einfache Eigenschaften von Körpern) 1. Das additive neutrale Element ist eindeutig. 2. Zu jedem x ∈ K gibt es genau ein additiv inverses Element. 3. Das multiplikativ neutrale Element ist eindeutig. 4. Zu jedem 0 6= x ∈ K gibt es genau ein multiplikativ inverses Element. Beweis. 1. Wären 0, 00 zwei additiv neutrale Elemente, so gälte 0 = 0 + 00 = 00 . 2. Angenommen x + x0 = x + x00 = 0, so hat man x0 = x0 + 0 = x0 + x + x00 = 0 + x00 = x00 . Die verbleibenden beiden Behauptungen beweist man ganz analog. In der Tat hätte man durch eine kleine weitere Abstraktion beide Fälle in einem beweisen können. Wir führen folgende Schreibweisen ein: das additiv inverse eines Elementes x ∈ K wird mit −x bezeichnet, das multiplikativ inverse mit x−1. Für x−1 · y (x 6= 0) schreiben wir auch y x−1 · y = . x Lemma 2.1.3 (Eindeutige Lösbarkeit von Gleichungen) In einem Körper hat die Gleichung a+x=b höchstens eine Lösung, die Gleichung a·x=b für a 6= 0 oder b 6= 0 höchstens eine Lösung. Im erstgenannten Fall ist die Gleichung immer lösbar mit x = (−a) + b. Im zweiten Fall existiert eine Lösung für alle b genau dann wenn a 6= 0. In diesem Fall ist die Lösung x = a−1 b = ab . Beweis. Wir führen zunächst den ersten Fall aus. Wir sehen sofort a + ((−a) + b) = (a + (−a)) + b = 0 + b = b. Angenommen a + x1 = a + x2 , dann ist