Spontanverlauf und Therapiebeurteilung rheumatischer Erkrankungen Spontanverlauf und Therapiebeurteilung rheumatischer Erkrankungen Herausgegeben von M. Franke und W. Müller Mit Beiträgen von J. J. de Blecourt, W. Dihlmann, J.-M. Engel, M. Franke, K. Helmke, E. C. Huskisson, H. Mathies, W, Miehle, P. Pfannenstiel, F. Schilling, G. Ströbel, U. Steiger, H. Thabe, Th. L. Vischer, E. Weber, H. Zeidler Steinkopff Verlag Darmstadt 1983 Prof. Or. M. Franke Staatliches Rheumakrankenhaus Rotenbachtalstraße 5 0-7570 Baden-Baden Prof. Or. W. Müller Rheumatologische Universitätsklinik F elix-Platter-Spital CH-4055 Basel CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Spontanverlauf und Therapiebeurteilung rheumatischer Erkrankungen / hrsg. von M. Franke u. W. Müller. Mit Beitr. von J.J. de Blecourt ... Darmstadt: Steinkopff, 1983. NE : Franke, Martin [Hrsg.]; BIt~court, J.J. de [Mitverf.] Alle Rechte vorbehalten (insbesondere des Nachdruckes und der übersetzung) Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Xerographie, Mikrofilm, unter Verwendung elektronischer Systeme oder anderer Reproduktionsverfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert werden. ISBN -13: 978-3-7985-0626-8 DOI: 10.1007/978-3-642-72366-7 e-ISBN-13: 978-3-642-72366-7 Copyright © by Dr. Dietrich Steinkopff Verlag, GmbH & Co. KG, Darmstadt Verlagsredaktion: Juliane Weller - Herstellung: Heinz J. Schäfer Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dieser Veröffentlichung berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Gesamtherstellung: betz-druck gmbh, Darmstadt Vorwort Kenntnisse über den Spontan verlauf rheumatischer Erkrankungen sind die Grundlage für unser therapeutisches Handeln und die Beurteilung von Therapieeffekten. Nur unter Berücksichtigung des Spontanverlaufes sind Aussagen über Zweckmäßigkeit und Effizienz einer Therapie erlaubt. Die heutigen Behandlungsmöglichkeiten, inSbesondere des Kardinalsymptoms rheumatischer Erkrankungen, des Schmerzes, lassen Studien über den Spontanverlauf jedoch nicht mehr zu. Deshalb wurde auf dem Schweizerisch-Deutschen Rheumatologenkongreß 1982 in Basel versucht, eine übersicht über den bisher bekannten Spontanverlauf der verschiedenen rheumatischen Erkrankungen zu geben. Die schwierige Aufgabe, die bekannten Fakten über den Spontanverlauf zusammenzutragen, ist den aufgeforderten Referenten in einem Umfang gelungen, der es rechtfertigt, diese thematik in einer Monographie darzustellen. So erhält der praktisch tätige Rheumatologe die Möglichkeit, die Effekte der Behandlung rheumatischer Erkrankungen auf dem Hintergrund des Spontanverlaufs zu sehen, zu überprüfen und damit therapeutische Entscheidungen zu treffen. Weitere Grundlage therapeutischer Entscheidungen ist die Beobachtung verschiedenster, den Krankheitsverlauf widerspiegelnder Parameter. Die Referate zu dieser.l Thema reichen über die Wertung klinischer Befunde bis hin zu modernen röntgenologischen, nuklearmedizinischen und Laborverfahren der Befund- und Verlaufsobjektivierung. Auch diese Bestandsaufnahme schien uns wert zu sein, in die Hand des praktisch tätigen Rheumatologen zu gelangen. Es ist unser Wunsch, daß damit die Thematik des Basler Rheumatologenkongresses 1982 eine bleibende Nachwirkung haben möge. Prof. Dr. med. M. Franke Prof. Dr. med. W. Müller v Inhaltsverzeichnis Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Spontanverlauf der chronischen Polyarthritis Vischer, Th.L. '" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spontanverlauf reaktiver Arthritiden und Spondylarthropathien Miehle, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Spontanverlauf der Kollagenosen Helmke, K. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . " 15 Spontanverlauf der Arthrose Steiger, U. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , 37 Spontanverläufe bei degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen Thabe, H. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , 47 Spontanverlauf beim "Weichteilrheumatismus" - sog. Fibrositis-Syndrom Schilling, F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 55 Verlaufsdokumentation bei rheumatischen Erkrankungen Ströbel, G., Franke, M., Engel, J.-M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 67 Allgemeine Probleme der Erfolgsbeurteilung der Behandlung rheuma tischer Erkrankungen de Blecourt, J.J . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , 91 Measurement of the effects of treatment by the patient Huskisson, E. C. " . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 99 Die Beurteilung von Therapieeffekten mittels klinischer Methoden Mathies, H. .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 103 Die Beurteilung von Therapieeffekten mittels Laborparametem Zeidler, H. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 109 Die Beurteilung von Therapieeffekten bei Arthritiden mit röntgenologen Methoden? Dihlmann, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 115 Nuklearmedizinische Untersuchungstechniken zur Objektivierung von Therapieeffekten bei rheumatischen Erkrankungen Pfannenstiel, P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 VII Beurteilung von Therapie-Effekten mittels thermographischer Diagnostik Engel,J.-M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Die Patienten-Compliance als Problem der Therapiebeurteilung Weber, Ellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. VIII 143 Spontanverlauf der chronischen Polyarthritis Thomas L. Vischer Die chronische Polyarthritis (cP) gilt sehr oft als eine schmerzhafte Dauererkrankung, die unweigerlich zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Invalidität fUhren soll. Deshalb wird eine klinische Besserung meist dem letztgegebenen Pharmakon zugeschrieben. Der Spontanverlauf der cP ist jedoch nicht so eindeutig bestimmt. Ihn besser zu kennen ist unumgänglich, um die Indikation für das Verschreiben potentiell toxischer Medikamente stellen zu können und um die Wirksamkeit neuer Basistherapeutika zu beweisen. Der Spontanverlauf der cP ist aus verschiedenen Gründen schwierig zu definieren. Als erstes bestehen Probleme bei der Diagnose. Die cP wird meistens nach den Kriterien der "American Rheumatism Association" definiert (1), die leider vage sind. In einer Studie von Stevens et al. (2) wurde gezeigt, daß nur bei 18 von 26 Patienten, die am Anfang der Krankheit 5 klinische Kriterien (= definierte cP) erfüllten, die Diagnose nach 3 Jahren noch bestätigt wurde! Auch in epidemiologischen Studien konnten die Mängel der ARAKriterien gezeigt werden (3): in Sunbury (Ms) wurden in 1964 bei 2.6% der Bevölkerung eine cP nach ARA-Kriterien gefunden. Fünf Jahre später wurden diese Patienten nachkontrolliert. Bei ca. 7(Jfo dieser Patienten wurde keine Spur der Krankheit mehr gefunden. Die neueren, vereinfachten "New York Criteria" (4) scheinen besser zu sein. Relativ kurzdauernde Poly-Oligoarthritiden, die die Kriterien für die cP erfüllen, scheinen häufiger zu sein, als sich viele Rheumatologen vorstellen, und verschwinden oft, ohne Spuren zu Tabelle 1. Klinische Verlaufsformen der cP 1. Lange Remissionen ~ 10% 2. Intermittierend ~ 20-30% 3. Andauernde Aktivität, ---~ ~ progressive Krankheit -,'--'~~----------------~ Nach Short (5) 50-60% hinterlassen. Handelt es sich hier um andere Krankheiten oder um "formes frustes" der cP? Falls diese Patieten eine Behandlung erhalten hätten, wäre das Verschwinden der Krankheit ihr zugeschrieben worden! Ein zweites Problem besteht darin, daß die meisten Publikationen von Rheuma-Kliniken und -Polikliniken herkommen. Solche Institutionen ziehen natürlich die Patienten mit den schweren Krankheitsformen an. Die prognostischen Daten, die beim Studium solcher Patienten gewonnen werden, entsprechen sicher nicht der Realität, wie sie aus epidemiologischen Studien hervorgeht oder wie sie in einer Allgemeinpraxis da steht. Viele Diskrepanzen, die in der Literatur gefunden werden, können so erklärt werden. Wir sind jedoch auf solche Daten angewiesen, da die Studien über den Spontanverlauf aufwendig sind und praktisch nur von Rheumazentren durchgeführt werden können. Im Folgenden soll mit der Hilfe solcher Studien der Spontanverlauf und die Prognose der cP dargestellt werden. Spontanverlaul Short (5) hat 3 Typen von Spontanverlauf definiert (Tabelle 1). Bei etwa 50% der Patienten bleibt die Krankheit permanent aktiv, mit zunehmender Gelenksdestruktion. Bei 20-30% der Patienten wechseln Perioden von Krankheitsaktivität mit Remissionen ab und bei ca. 10% treten Jahre-dauernde oder definitive Remissionen auf (6). Spätere Studien aus England und den USA geben ähnliche Werte (7, 8). Bei allen diesen Studien kann kaum an der Diagnose gezweifelt werden, da die Patienten von bekanntesten Rheumatologen während Jahren nachkontrolliert wurden. Tabelle 2. Zeichen am Anfang der cP, die auf eine ungünstige Prognose hinweisen. Zahlreiche Gelenke beteiligt (7, 15) Rheumaknoten (13,16) Rheumafaktoren (7,9,13,17) Beständig erhöhte BSR CRP (7,13,17) Höheres Alter (7, 14) Männliches Geschlecht: günstig unwichtig (14,15) (9, 13) Prognose: Das Auskommen der Krankheit scheint analog zu sein. Wie bei ca. der Hälfte der Patienten die Aktivität eine dauernde ist, sind etwas weniger als 50% der Patienten nach 15-20 Jahren Krankheitsdauer in den Steinbroker-Klassen 3, 4, d.h. sie sind teilweise oder gänzlich invalid (9, 10). Es muß nochmals betont werden, daß es sich hier um Patienten von großen rheumatologischen Zentren handelt; eine Selektion im schlechten Sinne hat also zuvor stattgefunden! Ob eine Therapie den Verlauf der Krankheit in diesen Studien beeinflußt hat, ist möglich, aber unwahrscheinlich. Die Aspirin-ähnlichen Medikamente haben keine Wirkung auf die Prognose. Während der Zeitdauer dieser Studien wurden noch wenig Basistherapeutika verwendet, und die Goldsalze wurden nur in 1-2 "Kuren" verwendet. Wie in einer holländischen Studie gezeigt wurde, beeinflußt eine Goldkur die Prognose auf 5 Jahre nicht (11, 12)! Welche Faktoren beeinflussen nun das Auskommen der cP? Viele Kliniker glauben, daß Frauen eine schlechtere Prognose haben (13, 14). Neuere Studien scheinen dies nicht zu bestätigen (7, 9). Ursprünglich wurde angenommen, daß die cP, die erste bei Senioren be2 ginnt, eine gleiche oder sogar bessere Prognose habe (z.B. 13), die neueren Studien zeigen eher das Gegenteil (5, 7, 8). Die Anfangssymptome, die statistisch gesehen das Auskommen beeinflussen sollen, sind in Tabelle 2 angeführt. Bei den Labordaten sind sich alle Autoren einig, daß seropositive Patientengruppen eine schlechtere Prognose haben als seronegative (7,9, 15, 16). Andauernd beschleunigte Blutsenkungsreaktion oder erhöhte CRP-Werte sind ebenfalls ein schlechtes Indiz (7, 9, 15, 16, 17). Seitdem die genetische Praedisposition zur cP durch die HLA Studien bestätigt wurde, haben verschiedene Forscher versucht, Untergruppen der cP nach Verlauf und HLA-Antigene aufzustellen. Leider sind die Resultate bisher negativ, oder falls positiv, noch nicht bestätigt (18, 19). Auf diesem Gebiet werden weitere Studien ungeduldig erwartet. Schlußfolgerung Aus dem Vorhergesagten geht hervor, daß die cP ein weites klinisches Spektrum hat und einen sehr variablen Verlauf. Gut die Hälfte der Kranken, mit nach heutigen Kriterien eindeutiger cP, haben eine gute Prognose, mit temporären oder andauernden Remissionen. Die Wirksamkeit neuer Basistherapeutika können deshalb nur in Placebo-kontrollierten, randomisierten Studien bewiesen werden. Um die verschiedenen Rekrutierungsmechanismen der verschiedenen Rheumazentren zu kompensieren, sollten solche Studien multizentrisch sein. Wegen der häufigen, spontanen Remissionen müssen genügend Patienten an solchen Studien teilnehmen. Offene, unkontrollierte Studien sind nur nützlich, um zu lernen, ob sich eine kontrollierte Studie etwa lohnen kann, und später, wenn die Wirksamkeit klar bewiesen ist, um toxikologische Daten zu sammeln. Zusammenfassung Obwohl die chronische Polyarthritis (cP) als chronische und invalidisierende Krankheit gilt, ist der Spontanverlauf relativ schwierig definierbar. Teil- und Voll remissionen sind wohl bekannt und längst nicht alle Patienten werden invalid. Zur Abklärung, ob ein Basistherapeutikum wirksam ist, sind deshalb kontrollierte Studien unumgänglich. Literatur 1. Ropes, M.W., Bennett, E.A., Cobb, S., Jacox, R., anel Jessar, R.: Revision of diagnostic criteria for rheumatoid arthritis. Bull. Rheum. Dis. 9: 175-176 (1958). 2. Stevens, M.B., Billingsley, L., Hahn, B.H., Arnett, F.C., and Zizic, T.M.: Recent-onset polyarthritis: A prospective study. Arthritis Rheum. (abstracts), 22: 665 (1979). 3. O'Sullivan, J.B., and Cathart, E.S.: The prevalence of rheumatoid arthritis. Ann. Int. Med. 76: 573-577 (1972). 4. Bennet, P.H., and Bureh, T.A.: New York symposium on population studies in the rheumatic diseases: New diagnostic criteria. Bull. Rheum. Dis. 17: 453-458 (1967). 5. Short, c.L.: Rheumatoid arthritis: Types of course and prognosis. Med. Clin. North Am. 52: 549557 (1968). 6. Short, c.L.: Long remissions in rheumatoid arthritis; Medicine 43: 401-406 (1964). 7. Fleming, A., Crown, J.M., and Corbett, M.: Prognostic value of early features in rheumatoid disease. Brit. Med. J. 1: 1243-1245 (1976). 8. Rasker, 1.1., and Cosh, I.A.: Cause and age at death in a prospective study of 100 patients with rheumatoid arthritis. Ann. Rheum. Dis. 40: 115-120 (1981). 3 9. Ragan, c., and Farrington, E .. The clinical features of rheumatoid arthritis. Jama 181: 663-667 (1962). 10. Cosh, J.A., and Rasker, J.J.: A twenty-year follow-up of 100 patients with rheumatoid arthritis (RA). Ann. Rheum. Dis. 41: 317 (1982). 11. Blecourt, J.J. de: Die Goldbehandlung der primär chronischen Polyarthritis 1. Akt. Rheumatologie 2,4: 193(1977). 12. Blecourt, J.J. de: Die Goldbehandlung der primär chronischen Polyarthritis 1. Akt. Rheumatologie 4, 3: 97 (1979). 13. Duthie, J.J.R., Brown, P.E., Truelove, L.H., Baragar, F.D., and Lawrie, A.J.: Course and prognosis in rheumatoid arthritis. A furt her report. Ann. Rheum. Dis. 23: 193-204 (1964). 14. Short, c.L., and Bauer, W.: The course ofrheumatoid arthritis in patients receiving simple medical and orthopedic measures. New Eng!. J. Med. 238: 142-148 (1948). 15. Feigenbaum, S.L., and Kaplan, S.B.: Prognosis in rheumatoid arthritis. A longitudinal study of newly diagnosed younger adult patients. Am. J. Med. 66: 377-384 (1979). 16. Hart, F.D.: Presentation ofrheumatoid arthritis and its relation to prognosis. Brit. Med. J. 2: 621624 (1977). 17. Amos, R.S., Constable, T.J., Crockson, R.A., Crockson, A.P., and McConkey, B.: Rheumatoid arthritis: relation of serum C-reactive pro tein and erythrocyte sedimentation rates to radiographie changes. Brit. Med. J. I: 195-197 (1977). 18. Winchester, R.J.: Genetic aspects of rheumatoid arthritis. Springer Semin. Immunopatho!. 4: 89102 (1981). 19. Scherak, R., Smolen, J.S., and Mayr, W.R.: Rheumatoid arthritis and B lymphocyte alloantigen HLA-DRw4. J. Rheumato!. 7: 9-12 (1980). Anschrift des Verfassers: Prof. Thomas 1.. Vischer Division de Rhumatologie Hopital Cantonal Universitaire CH-1211 Geneve 4 4 Spontanverlauf reaktiver Arthritiden und Spondylarthropathien w. Miehle Tritt eine Arthritis kurz nach Abklingen eines Infekts auf und bleibt die Synovia steril, spricht man von einer reaktiven bzw. postinfektiösen Arthritis. Beide Begriffe decken sich in der klinischen Praxis, da es selten gelingt, das mikrobielle Agens im Punktat nachzuweisen. Die so definierte Arthritis manifestiert sich nach der Infektion durch Kampylobakter, Salmonella typhi murium and anderen Salmonellen, Shigella flexneri, Yersinia enterocolitica und pseudotuberculosis sowie nach Chlamydien-, Streptokokken-, Gonokokken- und Brucellen-Infektionen. Mit Schlumpf und Lüthy (1982) lassen sich einige gemeinsame diagnostische, wegweisende Eigenschaften dieser reaktiven Arthritiden charakterisieren (Tabelle 1): Tabelle 1. Gemeinsamkeiten reaktiver Arthritiden. 1. 2. 3. 4. 5. Symptomloses Intervall zwischen akutem Infekt und Arthralgien/Arthritiden Es werden überwiegend die großen Gelenke der unteren Extremitäten betroffen Hochakuter Beginn, migratorischer Verlaufs charakter HLA-B 27 meist - Rheumafaktor nicht nachweisbar Selbstlimitierung ohne Gelenkdestruktion Das Intervall zwischen akutem Infekt und "rheumatischem" Geschehen ist symptomlos; es dauert in der Regel 2-3 Wochen. Eine Ausnahme macht die Yersinia-Arthritis, die bereits früher in Erscheinung treten kann. Die Arthritiden greifen überwiegend größere Gelenke der unteren Extremitäten an, beginnen (hoch)akut und zeigen meist migratorischen Charakter. Eine erheblich beschleunigte Blutsenkungsgeschwindigkeit und Fieber sind häufige Begleitbefunde. HLA-B 27 ist in 60-80% der Fälle der "Rheumafaktor" in der Regel nicht nachzuweisen. Viszerale Manifestationen wie eine Myocarditis (nach Streptokokken-Infekt, im Rahmen des Reiter-Syndroms, im Rahmen der Yersinia-Arthritis), eine Iritis bzw. Chorea würden den Ausdruck "postinfektiöser Rheumatismus" rechtfertigen. Alle reaktiven Arthritiden limitieren sich selbst. Im Verlauf von 1-3-6-12 Monaten tritt, ohne Gelenkdestruktion, Spontanheilung ein. Ausnahmen sind Arthritiden im Anschluß an Urogenitalinfektionen und das post dysenterische Reiter-Syndrom mit chronischen Verläufen und objektivierbaren pathologisch-anatomischen Substraten an Gelenken und Wirbelsäule. Eine Streptokokken-Gruppe-A-Pharyngitis leitet stets das rheumatische Fieber (Streptokokken-Rheumatismus) ein. Die Krankheit verläuft akut und limitiert sich selbst. Die Rezidivneigung, vor allem in den ersten Jahren nach der ersten Episode, ist sehr hoch. Mit dem Wandel des Krankheitsbilds hat sich auch die Mortalität erheblich verringert. Im Gegensatz zur Arthritis kann die mögliche Karditis den Verlauf entscheidend beeinflussen. Etwa drei Monate dauert eine unbehandelte Episode des rheumatischen Fiebers. Ist die Diagnose gesichert, sollte eine Dauerprophylaxe mit Benzathin-Penicillin (monatliche 5 Dosis 1,2 Millionen Einheiten) als Schutz vor weiteren Rezidiv-Attacken eingeleitet werden. Die Zeitspanne dieser Prophylaxe wird von verschiedenen Faktoren bestimmt, wie die Tabelle 2 zeigt. Der Einfluß von Therapie und Prophylaxe auf den Spontanverlauf ist gut. Ohnehin ist die Prognose des Spontanverlaufs bei Fällen ohne Karditis günstig. Tabelle 2. Faktoren, die die Dauer einer Rezidivprophylaxe beim Streptokokken· Rheumatismus bestimmen. 1. 2. 3. 4. 5. Risiko der antibiotischen Langzeitbehandlung Risiko-Alter der Patienten Vorkommen einer Herzklappenkomplikation Zuverlässigkeit der Patienten Rezidivrisiko - kinderreiche Umgebung (Streptokokken-Reservoir) - primitive Wohnverhältnisse (Oekologie der Gruppe, A·Streptokokken) 6. Bereits bestehende Vittium Nach Schlumpf u. Lüthy, 1982 Ausgelöst durch Yersinia enterocolitica oder pseudotuberculosis manifestieren sich Yersiniosen mit dem Bild einer Pseudoappendicitis, Lymphadenitis mesenterialis, Ileitis terminalis oder als akute, subakute und selten chronische Enteritis. Akute Gelenkbeschwerden können bereits wenige Tage nach Beginn der Enteritis, aber auch erst nach 1-3 Wochen folgen. Bilateral, selten symmetrisch, erkranken große und kleine Gelenke mit Schwellung, Rötung, Schmerz und Bewegungseinschränkung (Knie-, Fuß-, Handgelenke). Meist verläuft die Arthritis mild und transitorisch. Die axiale Beteiligung ist häufig (Skandinavien/ begleitende Myocarditis). Die Dauer der arthritischen Syndrome beträgt 1-6-9 Monate (Knapp, 1981), jedoch wurden in Einzelfällen deutlich längere Verläufe beschrieben. Langzeitstudien lassen den Übergang einer akuten Yersinia-Arthritis in chronische Verlaufsformen nicht mehr ausschließen, wie jüngst Leirisalo u. Mitarb. (1982) beobachteten: Mindestens 12 Monate nach der Erstmanifestation litten noch 63,6% von 129 Patienten unter chronischen Gelenkbeschwerden, 38% unter chronischen Rückenschmerzen und 10% gaben immer wiederkehrende Arthritiden an. In 30% aller Fälle waren komplette/inkomplette R.S. entstanden. Die HLA-B 27-positiven Kranken (94%) hatten eine deutlich längere Erstattacke (3,7 gegenüber 2,3 Monate) und stellten den Hauptanteil der Patienten mit chronischen Rückenschmerzen. Nach Diarrhoen, die durch Salmonella typhi murium verursacht werden, treten vorwiegend die Gelenke der unteren Extremitäten befallende, mehrere Monate anhaltende Arthritiden auf. In Abgrenzung zum Reiter-Syndrom fehlen urologische, ophthalmologische und auch dermatologische Komplikationen. Ebenfalls vom Reiter-Syndrom abzugrenzen sind UroArthritiden, die speziell in Skandinavien beschrieben werden (Ohlhagen, 1980: Gonokokken-Infektion; unspezifische Urethritiden: Neisseria gonorrhoeae, Chlamydia trachomatis, Mykoplasma-T und L-Formen des Herpes genitalis-Virus werden als auslösende Ursachen diskutiert). Wie reaktive Arthritiden nach parasitären Infekten (Taenia saginata, Malaria, Schistosomiasis) sollen Gelenkmanifestationen bei bakterieller Endokarditis nur erwähnt werden. Ein relativ neues Krankheitsbild ist die "HLA -B 27-positive, chronische rezidivierende Oligoarthritis". Diese Arthritiden wurden vor der Möglichkeit der Bestimmung des HLAB 27 entweder zum Kreis der sero-negativen chronischen Polyarthritiden, der kompletten bzw. inkompletten Reiter-Syndrome, oder zu einer Sp.a. mit peripherer Gelenkbeteiligung eingeordnet. Von 119 Patienten, die nach Schattenkirchner u. Mitarb. (1980) eine B 276 positive Oligoarthritis ohne zusätzliche Symptome einer der bekannten B 27-assoziierten Erkrankungen hatten, entwickelten nach einem Überwachungszeitraum von minimal 2, maximal 6 Jahren 30 Patienten eine Sp.a., 4 ein komplettes/inkomplettes Reiter-Syndrom, 3 eine Arthritis psoriatica und 7 eine sero-negative chronische Polyarthritis. Die übrigen Fälle zerfielen in zwei verschiedene Verlaufsformen: 46 mal lag eine einmalige akute Mono- bzw. Oligoarthritis vor, die in den folgenden Jahren nicht mehr rezidivierte. Anamnese und klinisches Bild dieser Verläufe legen die Verdachtsdiagnose "reaktive Arthritis" nahe. Tabelle 3 zeigt neben den klinischen wesentlichen Kriterien auch die Verlaufsmöglichkeiten für das sehr heterogene Krankheitsbild "HLA-B 27-assoziierte Oligoarthritis". Tabelle 3. B- 27-positive Arthritis - Klinik und Verlauf. 1. Klinik Oligoarthritis (meist weniger als 6 Gelenke) Asymmetrische Verteilung Hauptlokalisation Knie-/Sprunggelenke Fehlende Progredienz Unauffälliger Röntgenbefund Fehlender Rheumafaktor 2. Verlauf In ca. 35% "Durchgangsstadium" für Sp.a., Reiter-Syndrom, Arthritis psoriatica und sero negative chronische Polyarthritis. In ca. 25% krankheitstypischer (?) chronisch-rezidivierender Verlaufscharakter ohne Progredienz. In ca. 40% einmalige akute Mono- oder Oligo-Arthritis (reaktive Arthritiden). Nach Krüger u. Schattenkirchner, 1981. Die Verlaufsdauer der reaktiven Arthritiden variiert von ein paar Wochen bis über ein Jahr. Prognostische Kriterien für die Dauer und den Charakter des Verlaufs (Rezidive, Chronifiziemng, Übergang in ein Reiter-Syndrom, in eine Spondylitis ankylosans, Gelenkdestmktionen) kennen wir nicht. Die Therapie hat wahrscheinlich nur symptomatischen Charakter und keinen Einfluß auf den Verlauf (Schattenkirchner, 1982). Vermutete ätiologische Gemeinsamkeiten und ähnliche klinische Symptomatik (z.B. Morbus Behyet) führten Mitte der siebziger Jahre zum Konzept "sero-negative Spondylarthritiden". Die anfangs zu diesem Formenkreis gerechneten Sp.a., Reiter-Syndrom, Arthritis und Spondylitis psoriatica, Behyet-Syndrom und Spondarthritiden im Rahmen des Morbus Whippie, Morbus Crohn und der Colitis ulcerosa, wurden später durch die juvenile chronische Arthritis und reaktive Arthritiden ergänzt: Der entzündliche Befall von Wirbelsäule und Gelenken, das Fehlen des Rheumafaktors, die Assoziation zu HLA-B 27 und das familiär gehäufte Auftreten bilden den "Konzeptboden". Im folgenden werden die Spontanverläufe von R.S., Sp.a., Arthritis/Spondylitis psoriatica - der bei uns häufigsten Spondylarthropathien - geschildert. Das Intervall zwischen Urethritis/Enteritis und dem Beginn des Reiter-Syndroms (R.S.) variiert: Die Regel sind 10 bis 30 Tage. Die erhebliche zeitliche Breite der Manifestation hat ihre Ursache in der multifaktoriellen Pathogenese. Eine endgültige Einteilung des R.S. in Stadien ist bisher nicht möglich: Folgende Formen sind bekannt (Tabelle 4): Das Syndrom beginnt meist mit der Urethritis; aber auch die Konjunktivitis kann am Anfang der Symptomatik stehen; seltener führt die Arthritis die klassische Trias an. Urethritis und Konjunktivitis heilen oft in 1-4 Wochen aus. Unkomplizierte R.S. enden, sich selbst limitierend, nach 2-6 Monaten (20-40%). Protrahierte Verläufe im Rahmen des ersten Schubes können bis zu eineinhalb Jahre dauern. Ohne Remission, von Beginn an chronisch, 7 entwickeln sich etwa 10%. Die Rezidivquote ist hoch: sie liegt zwischen 40 und 60% der Fälle. Meist sind die Rezidive milder und symptomärmer als der erste Krankheitsschub. Man spricht von einer Symptomverdünnung. Allerdings kann auch ein Rezidiv schwere, späte Deformationen verursachen. Insgesamt zeigt der Rezidivverlauf die gleiche Variationsbreite und Heilungstendenz wie die Erstattacke. Eine feste Regel für die Länge der Intervalle zwischen den "Schüben" gibt es nicht: Sehr kurze bis zu Jahreszwischenräumen sind ebenso möglich wie Abstände zwischen Urethritis und Polyarthritis von 9 Jahren oder eine Pause von 18 Jahren zwischen erster inkompletter Episode und "klassischer" Trias. Rezidiveinleitend sollen sexueller Verkehr, Dermatitiden, die Balanitis circinata, Reinfektionen, Prostatamassagen, Infektionen des Respirationstrakts sowie die chronische, nicht ausgeheilte Prostatitis und Prostatovesikulitis wirken. Die Gemeinsamkeiten des chronischen Reiter-Syndroms mit der Sp.a. wachsen mit der Verlaufsdauer. Schilling (1974) bezeichnet das chronische R.S. als eine der bekannten Ursachen der Sp.a. Bei den weiblichen R.S . überwiegen postdysenterische Erkrankungsformen, der Spontanverlauf ist mild und remissionsreich. Tabelle 4. Verlaufsformen des Reiter-Syndroms. 1. Akutes Syndrom mit Ausheilung im Zeitraum von 2 - 6 Monaten. 2. Von anfang an chronisches Reiter-Syndrom ohne längere Remissionsphase. 3. Chronisch-rezidivierendes Reiter-Syndrom mit längeren Remissionen und einem Verlauf über mehrere Jahrzehnte. 4. Juveniles Reiter-Syndrom / Reiter-Syndrom bei Frauen. 5. Sonderformen: Einmündung, Übergang in eine - Spondylitis ankylosans; - atypische chronische Polyarthritis; - Arthritis psoriatica. Der chronische Verlauf zeigt folgende Eigenheiten: Nach einer Langzeitstudie (Sairanen u. Mitarb., 1969), in der 100 Patienten 20 Jahre nach der Erstbeschreibung untersucht wurden, waren 20% der Fälle gleich nach der ersten Attacke ausgeheilt ; 34% zeigten die Symptomatik und Klinik einer Sp.a. ; 18% litten unter langanhaltender Gelenksymptomatik ohne Zeichen der Sp.a. und 30% unter chronisch rezidivierenden, leichten Gelenkbeschwerden. Der Spontanverlauf des R.S. kann zusammenfassend quoad vitam als gut, quoad sanationem als besser als der der chronischen Polyarthritis und der Sp.a. bezeichnet werden. Negativ beeinflussend wirken rezidivierende Iritiden, die viszerale Beteiligung im Bereich der Aorta und des Herzens und des Urogenitalsystems. Da das R.S. mit Wirbelsäulenbeteiligung in einigen Fällen als Sonderform der Sp.a. imponiert, gilt für diese Fälle die Verlaufsprognose der Sp.a. Ob die Therapie den Spontanverlauf des R.S. verändert, steht nicht fest und ist eher unwahrscheinlich: Die Behandlung im akuten Stadium und für die sich selbst limitierenden Verläufe ist symptomatisch. Ähnlich wie für die Sp.a. erlangt die aktive krankengymnastische Therapie für die chronischen Verläufe (Sp.a.-ähnlich) , ,spontan verlaufs-modifizierenden " Charakter. Die Sp.a. beginnt zu einem hohen Prozentsatz zögernd und schleichend. Der fast allen rheumatischen Krankheiten eigene, mit Remissionen durchsetzte Krankheitsverlauf trifft auf die Sp.a. zu. Verläufe von 15 -30 Jahren bis zur Selbstinaktivierung sind keine Seltenheit. Die Krankheit kann zu jeder Zeit stehenbleiben. Nach Brocher (1973) verlaufen 0,5 bis 1% der Fälle remissionslos, das heißt mit stetiger Progredienz. Manifestationsalter , Geschlecht, Verlaufstyp, Gelenkbeteiligung, Art der Wirbelsäulenbeteiligung, viszerale Komplikationen sowie In tensität der krankengymnastischen Therapie beeinflussen den Spontan- 8 verlauf. Meist allerdings nimmt die Krankheit einen ruhigen Verlauf - am ausgeprägtesten bei der "weiblichen Fonn". Aus diesen allgemeinen prognostischen Leitsätzen sind etwa 5% aller Sp.a.-Fälle mit von vornherein ungünstiger Prognose herauszunehmen. Dazu gehören jene, die von Anfang an eine persistierend hohe Senkung haben, einen starken Eisenmangel aufweisen, eine Hypergammaglobulinämie zeigen, antinukleäre Faktoren nachweisen lassen, unter Fieberschüben und dermatologischen Komplikationen leiden (Gamma-Typ nach Schilling, 1974). Einen ebenfalls ungünstigen Spontanverlauf nehmen juvenile Formen, die gern mit Frühankylosen einhergehen und in einem hohen Prozentsatz zu viszeralen Komplikationen neigen. Ihre Verlaufsprognose ist durch die Möglichkeit des frühen Nachweises des HLA-B 27 verbessert worden. Aber auch für diese in ihrem Spontanverlauf nur sehr schlecht oder nicht durch eine Therapie zu beeinflussende Form ist die Frühdiagnose von großer Bedeutung. Sie gelingt heute überwiegend mit Hilfe des HLA-B 27: Jedoch birgt die verbesserte Diagnostik auch eine Fülle von oft mit dem Nachweis dieses Antigens verknüpften Problemkonstellationen. Soll man eine über Jahre hinweg peristierende HLA-B 27-positive Sakroiliitis, "blande Verlaufsfonn der Spondylitis ankylosans" nennen? Stellen diese Verläufe wirklich abortive Abläufe dar? Ist das Etikett Spondylitis ankylosans hier nicht falsch? Ist die Sakroiliitis, ähnlich wie andere Teilsymptome, nicht nur ein Teilchen des Puzzles, das letztlich das Bild Sp.a. ausmacht? Fest steht, daß die "blanden/abortiven" Verlaufsfonnen prozentual sehr zunehmen und daß diese Stadien oft über Jahre hinweg persistieren können, wenn sie nicht sogar schon Anfangs- und Endstadium der Krankheit in einem darstellen. In diesen Stadien ist eine Therapie - sieht man von symptomatischer Therapie ab nicht nötig und beeinflußt wohl auch nicht den Spontanverlauf. Nach einer groben Schätzung versteifen heutzutage maximal zwischen 10 und 20% der diagnostizierten Sp.a.-Fälle - sicherlich auch eine Folge der durch Früherfassung und Frühdiagnostik geänderten Inzidenz und der daraus resultierenden, früher beginnenden Therapie. Zwischen diesen beiden Extremen, der über Jahre hinweg persistierenden Sakroiliitis und dem Gamma-Typ, liegt das Gros der Spontanverläufe, die durch die Therapie eine Modifikation erfahren: Wir wissen, daß die konsequent durchgeführte Krankengymnastik die Art der Versteifung Abb. 1. V. Finger rechts: Grund-, Mittel- u. Endgelenk ohne Befund. 9 Abb. 2. 2 Jahre später: mittel schwere destruierende Arthritis im Grund- und Endgelenk. Multilierende Prozesse am Köpfchen der Mittelphalanx. Abb. 3. Nochmals 2'/2 Jahre später: Glättung der destruierten Gelenkflächen: Reparationsphase (Beobachtung von Schacher!). und die Progression der Funktionseinschränkung positiv beeinflussen. Auch sprechen einzelne Arbeiten (Phenylbutazon) der medikamentösen Therapie, andere der Therapie mit Strahlen eine die Sp.a.-Progression bremsende Wirkung zu. Die Arthritis psoriatica (A.ps.) beginnt in den meisten Fällen akut oder subakut, selten schleichend. Oft erkrankt zu Beginn ein einzelnes Gelenk. Der Zeitraum bis zum Befall des 2. oder 3. Gelenks ist meist größer als im Rahmen der monoartikulär beginnenden cP. 10 Die A.ps. ist eine launenhafte Krankheit mit großer Schub- und Remissionsbereitschaft. Bereits dem ersten Schub kann eine lange, manchmal Jahre andauernde Remission folgen. Asymmetrisch können in den folgenden Jahren die einzelnen Gelenke nacheinander angegriffen werden. Bedeutsam ist, daß in den Phasen zwischen den einzelnen Schüben systemische Entzündungszeichen völlig verschwinden können. Auslösende Faktoren für Rezidive sind bisher nicht bekannt. Auch Dauer, Schwere und Lokalisation des Rezidivs und das Ausmaß der Gelenkbeteiligung bei erneuten Schüben ist nicht vorauszusagen. Eine Besonderheit stellen reparative Phasen dar, wie sie die folgenden Abbildungen (Abb. 1,2,3) demonstrieren. Jedoch gibt es auch Formen, deren Schübe ohne Pause ineinander übergehen und die konsequent zur Invalidität führen können. Die Spondylitis psoriatica spielt für die Funktionskapazität im Rahmen einer Arthritis psoriatica keine entscheidende Rolle. Sie bietet allein oder im Rahmen der A.ps. in der Regel klinisch sehr milde Symptome. Die Zeitdauer, in der sie sich entwickelt, ist deutlich länger als der Normverlauf im Rahmen einer Sp.a., wie die nächsten Abbildungen (Abb. 4, 5, 6) zeigen. Eine Ausnahme bilden Luxationen/Sub- Abb.4. Keine paraspinalen Ossifikationen / Parasyndesmophyten erkennbar. luxationen im atlantoaxialen Bereich. Dagegen kann die Arthritis der peripheren Gelenke - entwickelt sie sich als Arthritis mutilans - die Bewegungen sehr einschränkende Veränderungen verursachen. Diese Verlaufsform kommt in circa 5% aller Fälle vor und bietet im Endstadium atypische Deviationen und regellose Dislokationen. Die Verlaufsbeurteilung der A.ps. ist nicht einheitlich: Fälle, deren Verlauf sich auf die Gelenke der Finger und Zehen beschränkt, neigen zu längeren Remissionen und langsamer Progredienz. Zu betonen ist der "Remissionsreichtum" gegenüber der chronischen Polyarthritis. Ungünstig für den Verlauf sind eine ausgedehnte generalisierte Psoriasis oder Erythrodermie und eine Arthritis mutilans. Viszerale Komplikationen spielen fUr den Spontanverlauf keine Rolle. Ob die therapeutische Beeinflussung der Hauterkrankung auch die Gelenksymptomatik bessert, ist noch unklar. Zusammenfassend wird die Arthritis psoriatica/Spondylitis psoriatica durch ihre Remissionsaffinität, in einem geringen Prozentsatz mutilierende Tenden11 zen, die Reparationsbereitschaft und durch ihre milde Wirbelsäulenbeteiligung charakterisiert. Auch hier gilt, daß dem augenblicklichen Wissensstand nach die Therapie keinen entscheidenden Einfluß auf den Spontanverlauf hat. Die reaktiven Arthritiden und Spondylarthropathien stellen eine Gruppe von Krankheiten dar, die rheumafaktor-negativ sind, eine genetische Disposition (HLA-B 27) aufweisen und möglicherweise infektiös verursacht werden. Sie lassen sich in Krankheitsbilder mit spondylitischen Erscheinungen und chronischem Verlauf (Spondylitis ankylosans, Spondylitis psoriatica) und solche mit vorwiegend peripherer Arthritis und akutem, fakultativ rezidi- Abb. 5. 2 Jahre später: beginnende paraspinale Ossifikation rechts. Abb. 6. Nach weiteren 2 Jahren: jetzt auch links Ossifikationen, rechts Zunahme der Ossifikationen (Beo bachtung von Schacheri). 12 vierendem Verlauf und Neigung zur Chronifizierung (Reiter-Syndrom, reaktive Arthritiden, HLA-B 27-positive Oligoarthritiden) einteilen (Schattenkirchner, 1982). Abgesehen von der Schwierigkeit der Objektivierung von Therapieerfolgen und dem daraus resultierenden Muß zu langen Beobachtungszeiträumen sind vereinzelt (sich selbst limitierende Form des R.S., persistierende Sakroiliitis, einige reaktive Arthritiden) weitgehend exakte Aussagen über Spontanverläufe möglich. Bis auf wenige Fälle scheint die Therapie einen symptomatischen Charakter zu haben. Sie beeinflußt den Spontanverlauf nur unwesentlich. Literatur Brocher, J.E.W.: Die Prognose der Wirbelsäulenleiden. Die Spondylarthritis ankylopoetica, 2. Aufl, Thieme, Stuttgart : 1973. Knapp, W.: Yersinia Arthritis. Vortrag anläßlich des 8. Symposions der Deutschen Gesellschaft ftir Infektiologie, Schloß Reisensburg, 6. - 9. 5. 1981. Krüger, K., Schattenkirchner, M.: Die seronegativen Spondarthritiden. Akt. Rheumato!. 6: 162 - 168 (1981). Leirisalo, M., Skylv, G., Kousa, M., Voipo-Pulkk, L.M., Souranta, H., Nissalä, M., Hvidman, L., Nielsen, E.D., Svejgaard, A., Tiilikainen, A., Laitinen, 0.: Folloup Study on Patients with Reiters Disease and Reaktive Arthritis with special Reference to HLA-B 27. Arthr. Rheum. 25, 3: 249-259 (1982). Olhagen, B. : Postinfective or Reaktive Arthritis. Scand. J . Rheum. 9: 193 - 202 (1980). Sairanen, E., Paronen, 1., Maehoenen, H.: Reiters Syndrome: a follow up study, Acta Med. Scand. 185 : 57 - 63 (1969). SchaUenkirchner, M., Krüger, K., Herzer, P.: B 27-positive Krankheiten. Ein neues Konzept in der Rheumatologie. Münch. Med. Wschr. 122: 1725 (1980) . Schattenkirchner, M.: Persönliche Mitteilung 1982. Schilling, F.: Spondylitis ankylosans, die sog. Bechterewsche Krankheit und ihre Differentialdiagnose. In: Röntgendiagnostik der Wirbelsäule, Teil H. Handbuch der Med. Radio!., Hrsg. von Dietheim, L., Berlin-Heidelberg- New York, Springer, 1974. Schlumpf, U., Lüthy, R.: Gelenkinfektionen und Arthritiden bei Infektionskrankheiten. In: Klin. Rheumatologie. Ed. K. Fehr, W. Miehlke, K. Tillmann, M. Schattenkirchner. Thieme, Stuttgart, in Vorberei tung. Anschrift des Verfassers : Dr. W. Miehle Leitender Arzt der Klinik Wendelstein Rheumazentrum der BfA Kolbermorrer Str. 56 8202 Bad Aibling 13 Spontanverlauf der Kollagenosen K. Helmke Ein wesentliches, gemeinsames Charakteristikum der verschiedenen Krankheitsbilder, die unter dem Begriff der Kollagenosen zusammengefaßt werden, ist, daß sie mit einer Ausnahme alle Spontanverläufe zeigen können, die vorstellbar sind: Sowohl der rasche, therapeutisch nicht zu beeinflussende tödliche Verlauf wie auch ein jahrelang sich hinziehendes, schubweise sich verschlechterndes Krankheitsbild ist möglich; zum anderen paßt aber auch eine jahrelange Remission nach akuter, lebensbedrohlicher Erkrankung in diesen Rahmen, ebenso wie ein nur mildes, kurz aufflammendes Krankheitsbild, welches nach gering dosierter medikamentöser Therapie in die komplette Remission kommt und ohne jegliche Medikation über Jahre inaktiv bleibt (Abb. 1). - Nur ein Krankheitsveriaufläßt sich bis heute noch nicht dieser Krankheitsgruppe zuordnen: die sichere, entweder spontan oder therapeutisch induzierte Ausheilung. Wenngleich sehr viele gerade der milden Verlaufsformen über Jahre bis Jahrzehnte beschwerdefrei und ohne Krankheitssymtomatik und Therapie sind, so daß sie eigentlich als geheilt bzw. gesund angesehen werden können, lehrt doch die Erfahrung, daß es auch nach solch langer Ruhepause zu einem plötzlichen erneuten Ausbruch der Erkrankung kommen kann. Diese Unsicherheit ist bedingt durch die Unkenntnis der gen auen Ätiologie und - trotz vieler wichtiger und weiterführender Forschungsergebnisse auf diesem Feld - auch weitgehend der Pathogenese dieser Erkrankungen (22,52,61,95,113). REMISSION MILDER VERLAUF ----" MILDE KRAtJKHEITS- <STABILE , ?I SVMPTOMA TI K ~ 1 CHRON, REZIDIV, VERLAUF 1 PROGREDIENTER VeRLAUF ~ AKUTES, SCHWERES KRANKHEITSBILD ?I < , I , I, ) ~?''>a../l I ~ CHRON,'SCHUBWEISE VERSCHLECHTERUNG '7\ , , .'>I RASCH- PROGREDIENT Abb. 1. Schematische Darstellung der unterschiedlichen Krankheitsverläufe der Kollagenosen. Das ursprüngliche Konzept dieser Erkrankungen hat sich durch die neueren Erkenntnisse in den letzten Jahren entscheidend gewandelt. Die Ursache hierfür liegt neben weiteren therapeutischen Möglichkeiten vor allem in der verfeinerten Diagnostik. Krankheitsbilder mit relativ geringer klinischer Symptomatik - entweder als primär milde Krankheitsverläufe oder zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Erkrankung - können erfaßt und einer ent15