Fibromyalgie und seine differenzialdiagnostische

Werbung
398 Übersichtsarbeit
Fibromyalgie und seine differenzialdiagnostische
Bedeutung bei HWS-Beschwerden
Autoren
W. Hermann, G. Stapfer, K. Richter
Institut
Kerckhoff-Klinik, Rheumatologie, Bad Nauheim
Schlüsselwörter
▶ Fibromyalgiesyndrom
●
▶Halswirbelsäule
●
▶ entzündlich-rheumatische
●
Erkrankung
▶ Polymyalgia rheumatica
●
Zusammenfassung
Abstract
Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) stellt in der
rheumatologischen Sprechstunde eine wichtige
Differen­zialdiagnose bei Patienten mit chronischen
Nackenbeschwerden dar. Mehrere entzündlich-rheumatische Krankheiten können sich im
Bereich der HWS manifestieren und müssen dabei von einem FMS unterschieden werden. Dazu
gehören die Polymyalgia rheumatica, die Rheumatoide Arthritis, axiale Spondarthritiden oder
eine Derma­
tomyositis/Polymyositis. Andererseits können chronische Schmerzsyndrome auch
begleitend bei entzündlichen und degenerativen
Erkrankungen oder posttraumatisch auftreten.
In rheumatology practice, the fibromyalgia syndrome (FMS) is a crucial differential diagnosis in
patients with chronic nuchal discomfort. A number of inflammatory rheumatic diseases manifested in the area of the cervical spine must be differentiated from FMS. They include rheumatic polymyalgia, rheumatoid arthritis, axial spondyloarthritis and dermatomyositis/polymyositis.
On the other hand, chronic pain syndromes may
also occur in association with inflammatory or
degenerative diseases or as a posttraumatic condition.
Key words
▶ fibromyalgia syndrome
●
▶ cervical spine
●
▶ inflammatory rheumatic
●
diseases
▶ polymyalgia rheumatic
●
Bibliografie
DOI http://dx.doi.org/
10.1055/s-0035-1564138
Akt Rheumatol 2015; 40:
398–403 © Georg Thieme
Verlag KG Stuttgart · New York
ISSN 0341-051X
Korrespondenzadresse
Dr. Walter Hermann
Kerckhoff-Klinik
Rheumatologie
Benekestrasse 2-8
61231 Bad Nauheim
Tel.: + 49/6032/996 2101
Fax: + 49/6032/996 2104
[email protected]
▼
Zervikovertebrale Symptome stellen in der allgemeinmedizinischen oder orthopädischen Sprechstunde einen der häufigsten Gründe für einen
Arztbesuch dar. Auch Patienten, die sich bei
Rheumatologen vorstellen, äußern oft Beschwerden im Bereich der HWS oder des Nackens wie
z. B. Nackensteifigkeit, muskuläre Nackenschmerzen oder zeigen klinisch das Bild einer Schiefhaltung. Neben degenerativen Veränderungen und
Myogelosen reicht die Liste der möglichen Differenzialdiagnosen von entzündlich-rheumatischen
Erkrankungen über Frakturen, bis hin zu Tumormetastasen oder bakteriellen Infekten [1]. Häufig
finden sich zervikale Beschwerden auch in Zusammenhang mit einem Fibromyalgiesyndrom.
Fibromyalgiesyndrom (FMS) – Definition
und Epidemiologie
▼
Beim Krankheitsbild des FMS ist das Leitsymptom
chronischer Schmerz eingebettet in eine Vielzahl
weiterer Beschwerden. Dazu gehören Schlafstörungen mit der Folge einer Tagesmüdigkeit, Miktionsbeschwerden, Morgensteifigkeit sowie multiple
▼
weitere vegetative Symptome [2]. Die aktuellen
▶ Abb. 1) tragen
ACR-Diagnosekriterien 2010 ( ●
diesem Umstand Rechnung.
Im klinischen Alltag gebräuchlich ist auch nach
Einführung der Diagnosekriterien von 2010 die
Beschreibung des Krankheitsbildes über die 1990
erstellten ACR-Kriterien üblich [4]. Neben dem
Symptom „widespread pain“ (Schmerzen in der
rechten und linken Körperhälfte, ober- und unterhalb der Taille, im Bereich der Wirbelsäule)
über mindestens 3 Monate sind hierbei die „Tender Points“ mit lokal feststellbarer abnormer
Druckwahrnehmung entscheidend. Die Untersuchung der Tender Points hat mit einem Daumendruck von 4 kg/cm2 zu erfolgen. Um einen Tender
Point als positiv zu bezeichnen, muss der Patient
die Palpation als schmerzhaft empfinden, eine
Empfindlichkeit allein reicht nicht aus [1]. Entsprechend der ACR-Kriterien von 1990 ist eine
Schmerzhaftigkeit in 11 von 18 möglichen
Druckpunkten erforderlich. Tender Points sind
nicht spezifisch für ein FMS, sie können bei einer
Vielzahl von anderen Erkrankungen positiv sein
[5]. Bei 2/3 der Patienten mit erfüllten Kriterien
eines FMS sind auch die sogenannten Kontroll-
Hermann W et al. Fibromyalgie und seine differenzialdiagnostische … Akt Rheumatol 2015; 40: 398–403
Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
Fibromyalgia and its Differential Diagnostic Significance in Patients with
Cervical Spine Discomfort
punkte, die außerhalb der Muskel-Sehnenansätze liegen und
klassischerweise nicht druckschmerzhaft sein sollten, positiv
[23].
Die klassische Definition des FMS entsprechend der ACR-Kriterien von 1990 ist umstritten, da wesentliche Aspekte des Symptomkomplexes nicht damit abgebildet werden [6]. Die im Jahre
2010 veröffentlichten ACR-Diagnosekriterien berücksichtigen
ein neues Verständnis des Krankheitsbildes der Fibromyalgie.
Während früher die chronischen Schmerzen alleine betrachtet
wurden, wird die Komplexizität der Erkrankung mit der Berücksichtigung der vegetativen Symptome und einer zusätzlichen
Einteilung nach Schweregraden besser abgebildet. Allerdings ist
eine weitere Validierung der Kriterien von 2010 erforderlich [2].
Das FMS kann als organische Erkrankung mit möglichen psychischen Komorbiditäten, als funktionelles somatisches Syndrom,
als rein psychosomatische Störung oder als affektive Störung
klassifiziert werden. Zwischen 40–80 % der Patienten mit FMS
erfüllen auch die Kriterien einer Angst- bzw. depressiven Störung [7].
Elektronenmikroskopisch oder im MRT lassen sich an der Muskulatur in manchen Fällen Veränderungen finden. Es handelt es
dabei jedoch nicht um krankheitsspezifische Veränderungen [5].
Eine Erklärung hierfür kann einfach eine „Dekonditionierung infolge verminderter Aktivität“ bieten.
Die „weichen“ Klassifikationskriterien der Erkrankung und das
Fehlen eindeutiger diagnostischer Kriterien führt bei vielen Medizinern zu einer geringen Akzeptanz der Erkrankung, die Diagnose FMS ist daher an sich immer wieder umstritten [7]. Letztendlich bleibt weiter ungeklärt, ob „die Mitteilung der Diagnose
FMS einen positiven oder negativen Effekt auf die weitere klinische Symptomatik und die Inanspruchnahme medizinischer
Leistungen“ hat.
Das dem FMS klinisch ähnliche Krankheitsbild der „Chronic Widespread Pain“ (CWP) ist bei ca. 5–13 % der Bevölkerung zu finden sind (Frauen: Männer 2:1), die Häufigkeit des FMS beträgt
etwa 1–2 % der Bevölkerung (Frauen: Männer 4–6:1) [6].
Das FMS kann als als eine extreme Ausprägung des CWP bzw. als
möglicher Endpunkt eines Schmerz-Distress-Kontinuums gesehen werden [23].
Das American College of Rheumatology (ACR) empfiehlt zwischenzeitlich, die im klinischen Alltag (und auch in diesem Artikel aus Gründen der Einfachheit) gebräuchliche Unterscheidung
zwischen einem primären FMS (d. h. typische Symptomatik
ohne nachweisbare zugrundeliegende Erkrankung und einem
sekundären FMS bzw. konkomitanten FMS (mit somatischer
und/oder psychischer Komorbidität) zu verlassen (S3-Leitlinienen, Evidenzgrad 5, starker Konsens) [23].
Die Beschwerden und Beeinträchtigungen persitieren bei den
meisten Betroffenen im Langzeitverlauf. Drei Viertel der Patienten mit einem CWP nehmen wegen der Schmerzen medizinische Leistungen in Anspruch. Durch die Erkrankung entstehen
in vielen Fällen hohe direkte und indirekte Krankheitskosten.
▶ Tab. 1– 4)
( ●
In einer Allgemeinarztpraxis ist bei 5 %, in einer internistischen Klinik bei 15 % der betreuten Patienten mit einem FMS zu rechnen [7].
Myofasciales Schmerzsyndrom
▼
Abb. 1 Lokalisation der Tender Points (Skulptur „Trois graces“ von Aristide
Maillol (1861–1944), Jardin des Tuileries, Paris (Fotograf: W. Hermann)
Im klinischen Sprachgebrauch werden die Tender Points immer
wieder mit den Trigger Points verwechselt. Hierbei handelt es
sich um lokalisierte Myogelosen, die als umschriebene Verhär-
Tab. 1 Vorläufige Diagnosekriterien des ACR 2010 [3].
Die Diagnose Fibromyalgie ist dann gegeben, wenn die folgenden 3 Bedingungen gegeben sind:
1.) Widespread Pain Index (WPI) > = 7 und Wert auf der Symptomschwere (SS)Skala > = 5 oder WPI 3–6 und SS-Skala-Wert > = 9
2.) Die Symptome bestehen seit mindestens 3 Monaten in ähnlicher Stärke
3.) Es gibt keine Hinweise auf eine Erkrankung, die die Schmerzen anderweitig erklären könnte
WPI: Anzahl der Areale, in denen der Patient in den letzten Wochen Schmerzen hatte. Wert zwischen 0 und 19. Dazu gehören: Schultergürtel, Oberarm, Unterarm, Hüfte,
Oberschenkel, Unterschenkel, Kiefer (alle jeweils bds.), Thorax, Abdomen, oberer Rücken, unterer Rücken sowie Nacken
SS-Skala: Betrachtet werden Fatigue, unerholtes Aufwachen, kognitive Symptome. Beurteilung mit einem Schweregrad von 0 bis 3 (schwere, tiefgreifende, kontinuierliche,
lebenseinschränkende Probleme). Zusätzlich Betrachtung somatischer Symptome, ebenfalls Schweregrad 0–3 (hohes Maß an Symptomen). Zu den somatischen Symptomen
gehören: Muskelscherzen, Reizdarmsyndrom, Fatigue, Denk- oder Gedächtnisstörung, Muskelschwäche, Zephalgien, Schmerzen/Krämpfe im Abdomen, Taubheit/Kribbeln,
Schwindel, Schlafstörung, Depression, Obstipation, Oberbauchschmerzen, Übelkeit, Nervosität, thorakale Schmerzen, Verschwommensehen, Fieber, Diarrhoe, Mundtrockenheit, Juckreiz, Giemen, Raynaudsyndrom, Uricaria/Angioödem, Tinnitus, Erbrechen, Sodbrennen, orale Ulzerationen, Verlust/Veränderung des Geschmackssinnes, Krampfanfälle, trockene Augen, Kurzatmigkeit, Appetitverlust, Hautausschlag, Sonnenempfindlichkeit, Hörstörungen, Hämatomneigung, Haarverlust, Pollakisurie, Algurie, Blasenkrämpfe.
Der SS-Skala-Wert ist die Summe der Schwere der 3 Symptome Fatigue, unerholtes Aufwachen, kognitiver Symptome plus das Ausmaß somatischer Symptome allgemein. Der
Endwert liegt zwischen 0 und 12
Hermann W et al. Fibromyalgie und seine differenzialdiagnostische … Akt Rheumatol 2015; 40: 398–403
Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
Übersichtsarbeit 399
400 Übersichtsarbeit
Tab. 2 Lokalisation der Tender Points.
– Ansatz der subokzipitalen Muskulatur am Os occiput beidseits
– Zwischenräume der Querfortsätze der Halswirbelsäule C5-C7
– Mitte des oberen Randes des M. trapezius
– Ursprung des M. supraspinatus am medialen oberen Scapularand
– Knorpel-Knochengrenze am 2. sternocostalen Übergang
– 2 cm distal des Epicondylus lateralis
– Oberer äußerer Quadrant der Glutäalregion
– Trochanter maior posterior
– Gelenkpolster („fat pad“) proximal des medialen Kniegelenkspalts beidseits
Tab. 3 Diagnosekriterien Polymyalgia rheumatica [11].
1. Beidseitige Schulterschmerzen und/oder beidseitige Steifigkeit (alternativ auch Schmerzen in folgenden Regionen: Nacken, Oberarme, Gesäß,
Oberschenkel)
2. Akuter Krankheitsbeginn (innerhalb von 2 Wochen)
3. Iniziale BSG-Beschleunigung > 40 mm in der ersten Stunde
4. Morgendliche Steifigkeit von mehr als einer Stunde
5. Alter über 65 Jahre
6. Depression und Gewichtsverlust
7. Beidseitiger Oberarmdruckschmerz
vor allem die Temporalis- und Massetermuskulatur signifikant
häufiger betroffen ist. Im Gegensatz dazu sind bei der FMS typische Schmerzregionen die Sternocleidomastoidmuskulatur sowie suboccipitale Muskeln [8].
Differenzialdiagnose FMS
▼
Eine Vielzahl von anderen Erkrankungen, die ähnliche Beschwerden auslösen können, muss bei der Diagnosestellung berücksichtigt werden [1]. Dazu gehören unter anderem:
▶ metabolische Störungen (Hypothyreodismus, Hypophyseninsuffizienz)
▶ degenerative Skelettveränderungen
▶ maligne Erkrankungen (Leukämien, Myleome oder metastatische Knochenerkrankrankungen)
▶ psychogene Syndrome (z. B. somatisierte Depressionen) und
Überlastungssyndrome
▶ Knochenstoffwechselerkrankungen (Vitamin D-Mangel,
Osteoporose z. B. Mit high-turn-over-Raten)
▶Myopathien
▶ entzündlich-rheumatische Erkrankungen mit Weichteilbeteiligung (z. B. Polymyalgia rheumatica oder Kollagenosen)
▶ Infekte (z. B. Borreliose)
▶ Nebenwirkungen von Medikamenten (Steroidmyopathie,
Myopathien durch Lipidsenker).
In Zusammenhang mit einer Grunderkrankung kann ebenfalls
ein chronisches Schmerzsyndrom auftreten (im klinischen
Sprachgebrauch bisher als sekundäres FMS bezeichnet). Ursachen können z. B. entzündlich-rheumatische Erkrankungen, Infekte (Virushepatitis, subakute bakterielle Endokarditis, …), endokrine Erkrankungen (wie z. B. Hypothyreose) oder vorangegangene Traumata und posttraumatische Stresserkrankungen [2]
sein. Alle Erkrankungen, die mit chronischen Schmerzen einhergehen, können grundsätzlich über eine veränderte Schmerzwahrnehmung zur Entwicklung einer Fibromyalgie führen.
Folgende Laboruntersuchungen werden zum Ausschluss einer
zugrundeliegenden weiteren Erkrankung empfohlen (interdisziplinäre S3-Leitlinie AWMF, Evidenzgrad 5, starker Konsens) [6]:
▶ BSG, CRP, kleines Blutbild (z Bsp. entzündlich-rheumatische
Erkrankungen)
▶ CK (z. B. Myositiden)
▶ Kalzium (z. B. Hypercalciämie)
▶ TSH (z. B. Hypothyreose)
▶ ohne klinische Hinweise ist die Bestimmung weiterer
Autoantikörper nicht sinnvoll
Tab. 4 verschiedene entzündlich-rheumatische Erkrankungen als Differenzialdiagnose zum FMS.
PMR
Typische
Bildgebung:
Typisches
Labor
BSG (Sturzsenkung!)
DD zum
­primären
FMS
FMS:
Nicht nur Schulter- und
Beckengürtel-, sondern Ganzkörperschmerz
Entzündungswerte
unauffällig
RA
SPA
DM/PM
Röntgen
Sonografie
MRT
BSG/CRP
RF
CCP-AK
FMS:
Nicht nur Gelenk- und segmentaler,
sondern Ganzkörperschmerz
Bildgebung unauffällig
Entzündungswerte/AK unauffällig
Röntgen
MRT
MRT
BSG/CRP
HLA B27
CK
Aldolase
verschiedene Autoantikörper
FMS:
Keine Hautveränderungen
Labor unauffällig
FMS:
Nicht nur segmentaler und
Gelenk-, sondern Ganzkörperschmerz
Bildgebung unauffällig
Hermann W et al. Fibromyalgie und seine differenzialdiagnostische … Akt Rheumatol 2015; 40: 398–403
Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
tung bandförmig über eine Strecke von wenigen Zentimetern in
den Muskeln tastbar sind [1]. Trigger Points sind in der Regel
ebenfalls druckschmerzhaft, wobei die Schmerzen jedoch anders als bei Tender points typischerweise in eine spezifische Region („reference pain zone“) ausstrahlen.
Das myofasciale Schmerzsyndrom mit einer Vielzahl von
schmerzhaften Trigger Points stellt eine wichtige Differenzial­
diagnose zum FMS dar. Auslöser ist oft eine Fehlhaltung oder
Überlastung. Die Prognose bei entsprechender Therapie ist
meist günstiger als beim FMS [1]. Chronische Nackenschmerzen
in Kombination mit tastbaren Myogelosen können klassischerweise beim myofasciales Schmerzssyndrom auftreten und sind
differenzialdiagnostisch schwer von Nackenschmerzen in Zusammenhang mit einem FMS zu unterscheiden.
Alonso-Blanco et al. versuchten in ihrer Studie, klinische Unterschiede zwischen einem myofascialen Schmerzsyndrom und
einem FMS herauszuarbeiten. Es wurden 2 Gruppen mit jeweils
20 Patientinnen untersucht: Frauen mit einem myofascialem
temporomandibulären Schmerzsyndrom (temporomandibular
disorder = TMD) und Frauen mit einem FMS. Es zeigte sich, dass
die Lokalisation der Trigger- und der Tender Points zwar grundsätzlich ähnlich ist, jedoch erscheinen bei Patientinnen mit FMS
die betroffenen Areale großflächiger. Bei TMD-Patientinnen sind
die druckschmerzhaften Punkte eher cranial angeordnet, wobei
Übersichtsarbeit 401
▶ In Abhängigkeit von Anamnese und körperlicher Untersuchung können weitere Laborbestimmungen sinnvoll sein
(z. B. Vitamin-D-Spiegel…)
Folgende Nebensymptome sollten gemaäß der aktuellen
S3-Leitlinien systematisch miterfasst werden (Evidenzgrad 5,
S3-Leitlinie) [23]:
▶ Körperliche Müdigkeit bzw. vermehrte Erschöpfbarkeit
▶ Kognitive Störungen (wie z. B. Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen)
▶ Morgensteifigkeit > 15 Min./Schwellungsgefühl der Hände/
Füße und des Gesichtes
▶ Ein- und Durchschlafstörungen bzw. nicht erholsamer Schlaf
▶Ängstlichkeit
▶Depressivität
Eine FMS-bedingte Osteoporose wäre eine mögliche zusätzliche
Ursache von Rückenschmerzen bei den betroffenen Patienten. In
mehreren aktuellen Arbeiten konnte jedoch kein Zusammenhang zwischen einem primären FMS und einer Verringerung der
Knochendichte nachgewiesen werden [9, 10].
Die Vielschichtigkeit des Krankheitsbildes sowie die häufig von
den Patienten geäußerten multiplen Beschwerden führen in vielen Fällen zu multiplen Arztbesuchen mit einer daraus resultie▶ Abb. 2). Im Augenblick gilt
renden umfangreichen Diagnostik ( ●
hierbei die Empfehlung, dass „bei typischem Beschwerdekomplex und fehlendem Hinweis auf internistische, orthopädische
oder neurologische Erkrankungen“ eine „weitere technische Diagnostik (weiterführendes Labor, Neurophysiologie, Bildgebung)“ nicht durchzuführen ist (interdisziplinäre S3-Leitlinie
AWMF, Evidenzgrad 5, starker Konsens) [6].
Entzündlich-rheumatische Erkrankungen mit Beteiligung der HWS-Region und möglichen fibromyalgieformen Beschwerden
▼
Polymyalgia rheumatica
Die Polymyalgia rheumatica (PMR) ist eine hochentzündliche
weichteilrheumatische Erkrankung, die bei älteren Menschen
auftritt und neben dem Schultergürtel auch den Beckengürtel
betreffen kann [1]. Zusätzlich ist häufig der Allgemeinzustand
reduziert und es können subfebrile Temperaturen und Gewichtsverlust auftreten.
Eine PMR kann dann angenommen werden, wenn 3 Kriterien
positiv sind oder ein Kriterium zusammen mit einer Temporalarteriitis auftritt.
Neben den in den Diagnosekriterien beschriebenen Symptomen
können bei einer PMR auch oligoartikuläre Synovialitiden oder
bilaterale Bursitiden auftreten [12]. Eine begleitende Temporalarteriitis ist bioptisch in ca. 20 % der Fälle nachweisbar und
macht sich klinisch häufig mit dem Leitsymptom Cephalgien bemerkbar. Weitere Symptome können eine plötzliche Visusverschlechterung, Schleiersehen oder Doppelbilder sein.
Der Krankheitsbeginn liegt meist jenseits des 50. Lebensjahres,
wobei Frauen 2–3x häufiger als Männer betroffen sein können.
Differenzialdiagnostisch relevant zum FMS sind vor allem neben
den erhöhten Entzündungszeichen (BSG: „Sturzsenkung“) die
typischerweise nicht druckdolenten Tender Points.
Atlantoaxiale Dislokation und weitere HWS-Beschwerden im Rahmen einer Rheumatoiden Arthritis
▼
Im Zusammenhang mit einer destruierenden Zervikalarthritis
im Rahmen einer Rheumatoiden Arthritis (RA) kann es zu einer
Kapsel-, Band- und Knochenzerstörung (Dens axis!) im Bereich
der HWS kommen [1]. Leitsymptom sind chronische, zum Teil
bewegungsabhängige Nackenschmerzen. Bei fortgeschrittener
Erkrankung treten auch neurologische Symptome z. B. Schwindel
auf.
Die Diagnosesicherung erfolgt in der Regel über HWS-Funk­
tionsaufnahmen, ggf. auch durch eine MRT-Untersuchung.
Differenzialdiagnostisch zum primären FMS ist das Vorhandensein einer entzündlich-rheumatischen Grunderkrankung in
Form einer meist schon fortgeschrittenen und radiologisch
nachweisbaren RA.
Eine Kiefergelenksbeteiligung im Rahmen einer rheumatoiden
Arthritis oder auch einer iuvenilen chronischen Arthritis kann
ebenfalls zu Beschwerden führen, die in den Bereich der HWS
projeziert werden. Auch andere Funktionsstörungen der Kiefer
wie z. B. Zähneknirschen oder Fehlstellungen durch fehlerhafte
Hermann W et al. Fibromyalgie und seine differenzialdiagnostische … Akt Rheumatol 2015; 40: 398–403
Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
Abb. 2 Multiple Vorbefunde bei rheumatischer
Erstvorstellung mit der Diagnose Fibromyalgie­
syndrom (Fotograf: W. Hermann).
402 Übersichtsarbeit
Zervikale Spondylitiden im Rahmen von seronegativen Spondylarthropathien (SPA)
▼
Die Diagnosesicherung erfolgt über konventionelles Röntgen
bzw. MRT der HWS. In der Bildgebung lassen sich typische Entzündungszeichen nachweisen. Die Krankheitsgruppe der Spondylarthropathien zeichnet sich durch folgende Gemeinsamkeiten aus [14]:
▶ Befall der Iliosacralgelenke und Wirbelsäule
▶ Periphere Arthritiden (meist asymmetrisch/untere Extremitäten)
▶Enthesiopathien
▶ Extraartikuläre Manifestationen wie Augenentzündungen,
Schleimhautentzündungen, Hautveränderungen
▶ Familiäre Häufung und Assoziation mit HLA B27
Der Nachweis entzündlicher Veränderungen ermöglicht eine
Differenzialdiagnose zum FMS. Es muss jedoch berücksichtigt
werden, dass auch im Rahmen von Spondylarthropathien die
Entwicklung eines sekundären FMS erfolgen kann (dies wird ca.
20–25 % der Patienten mit ankylosierender Spondylitis beobachtet) [13].
Dermatomyositis (DM)/Polymositis (PM)
▼
Auch entzündliche Muskelerkrankungen verursachen immer
wieder fibromyalgieforme Weichteilschmerzen. Eine DM oder
PM [15] zeichnet sich durch eine Kombination einer Myositis
mit möglichen Hautveränderungen wie einem hellviolettem Exanthem, Gottron̛schen Knötchen an der Streckseite der Fingergelenke oder einem Erythem an den Streckseiten der Ellenbogen- und Kniegelenke aus. Typischerweise finden sich bei den
betroffenen Patienten neben erhöhten Entzündungswerten
auch erhöhte CK- oder Aldolasewerte. Die Myositis lässt sich in
der Bildgebung mittels MRT nachweisen, bioptisch finden sich
Infiltrationen der Skelettmuskulatur mit Entzündungszellen sowie degenerative Muskelzellveränderungen, eventuell kombiniert mit Nekrosen. Eine isolierte Beteiligung der Nackenmuskulatur ist selten.
Weitere entzündlich-rheumatische Erkrankungen
▼
Die Daten zur Prävalenz des FMS bei Patienten mit einem systemischen Lupus erythematodes sind stark unterschiedlich. Studien in den USA, Israel und Australien geben Zahlen von 22–47 %
an, in Großbritannien, Spanien, Mexiko und Indien liegt die
Häufigkeit bei 1–10 % [23].
Bei Patienten mit einem primären Sjögren Syndrom werden
FMS-Häufigkeiten von 44 % (deutsche Studie) und 22 % (italienische Studie) beschrieben [23].
Prospektive Studien oder Reviews liegen für beide Krankheitsbilder jedoch nicht vor.
Degenerative HWS-Veränderungen
▼
Im Rahmen von degenerativen HWS-Veränderungen kann es sowohl zu segmentalen als auch zu radikulären und pseudoradikulären HWS-Schmerzen kommen [1]. Klinisch finden sich typischerweise Myogelosen, eventuell mit positiven Trigger Points.
Radiologisch lassen sich meist klassische Zeichen einer Degeneration mit Spondylophyten oder Bandscheibenveränderungen
finden.
Chronische degenerativ bedingte Schmerzen können zur Ausprägung eines sekundären FMS führen. Andererseits findet man
bei vielen Patienten mit einem FMS im Rahmen der daraufhin
durchgeführten Diagnostik als „Zufallsbefund“ degenerative
Veränderungen. Es besteht dann z. B. die Gefahr, dass ohne Berücksichtigung des FMS als Grunderkrankung unnötige operative Eingriffe durchgeführt werden.
Die Arbeitsgruppe von Demir et al. untersuchte, wie häufig ein
FMS bei Patienten mit einem zervikalen Bandscheibenprolaps
(zervikal disc herniation = CDH) auftritt. Eingeschlossen wurden
52 Patienten mit CDH sowie 51 Patienten mit FMS. 6 Patientinnen
( = 11.5 %) mit CDH erfüllten die ACR-Kriterien (1990) eines Fibromyalgiesyndromes. In derselben Studie wurde untersucht, ob
sich die Verteilung der Tender points bei Patienten mit CDH von
denen mit einer Fibromyalgie unterscheidet. Tatsächlich zeigen
sich hier signifikante Unterschiede: Während bei CDH-Patienten
71,8 % der Tender points in der Schulter-Nacken-Region lokalisiert
sind, waren dies bei Fibromyalgiepatienten nur 58,7 % [16].
Psychogener Rheumatismus
▼
Nicht bewältigte Konflikte aller Art können zu chronischen
Weichteilschmerzen in Form eines psychogenen Rheumatismus
führen [1]. Dieser ist anamnestisch und klinisch oft sehr schwer
von einem klassischen FMS zu unterscheiden.
In manchen Fällen klagen die Patienten vorrangig über Nackenschmerzen. Die Schmerzlokalisation wird oft als stark wechselnd beschrieben (im Gegensatz zur multilokulären Symptomatik beim FMS), die Schmerzen werden in ihrer Intensität und
ihrem Charakter sehr bildreich und manchmal bizarr geschildert. Funktionelle Symptome gehören meist, ähnlich wie beim
FMS, ebenfalls zu diesem Krankheitsbild. Die Differenzialdiagnose zum FMS fällt oft schwer, in vielen Fällen ist eine weitere
psychosomatische Exploration erforderlich.
HWS-Traumata
▼
Der Fragestellung nach einem Zusammenhang zwischen
HWS-Verletzungen und der Entwicklung eines Fibromyalgiesyndromes ging die Arbeitsgruppe von Buskila et al. in ihrer Studie
nach. Dabei wurden 102 Patienten nach HWS-Verletzung mit
einer Kontrollgruppe von Patienten mit Beinfrakturen (n = 59)
verglichen. Obwohl niemand der Patienten vorher unter chronischen Schmerzen gelitten hatte, konnte die Diagnose einer Fibromyalgie (entsprechend der ACR Kriterien von 1990) bei
21,6 % der Patienten mit HWS-Verletzung gestellt werden. Bei
der Kontrollgruppe war dies nur bei 1,7 % der Patienten möglich.
Die Diagnosestellung Fibromyalgie war durchschnittlich 3,2 Monate nach dem Trauma möglich. Ein Zusammenhang mit möglichen Versicherungsansprüchen konnte nicht nachvollzogen
werden [17].
Hermann W et al. Fibromyalgie und seine differenzialdiagnostische … Akt Rheumatol 2015; 40: 398–403
Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
Spangen oder Zahnimplantate sind mögliche Ursachen chronischer HWS-Schmerzen.
Andererseits kann ein FMS als Folge einer RA selbstverständlich
ebenfalls zu chronischen Nackenschmerzen führen. Die Prävalenz eines FMS bei Patienten mit RA beträgt ca. 20–25 % [13].
Eine eventuell zusätzlich vorhandene atlantoaxiale Dislokation
darf bei diesen Patienten nicht übersehen werden.
Übersichtsarbeit 403
Schlussfolgerung
▼
HWS-Beschwerden stellen eines der häufigsten Symptome in
der rheumatologischen Sprechstunde dar. Ein FMS kann in vielen Fällen die Ursache darstellen oder aber als sekundäres FMS
Folge einer Grunderkrankung sein. Differenzialdiagnostisch gibt
es eine Reihe von Erkrankungen, die klinisch ähnlich wie ein
FMS imponieren können und daher mitberücksichtigt werden
müssen. Eine frühzeitig durchgeführte Diagnostik kann helfen,
strukturelle und funktionelle Spätschäden zu verhindern und
somit auch auf die soziale Prognose einer Erkrankung (depressive Entwicklung, sozialer Abstieg) einen positiven Einfluss haben.
Interessenkonflikt: Es besteht kein Interessenkonflikt
Literatur
1 Müller W, Zeidler H. Differentialdiagnosen rheumatischer Erkrankungen. 3. Aufl Berlin, Heidelberg, New York: Springer; 1998
2 Späth M. Fibromyalgie. Z Rheumatol 2011; 70: 573–558
3 Wolfe F. New American College of Rheumatology 1990 Criteria for the
Classification of Fibromyalgia: a twenty-year journey. Arthritis Care
Res 2010; 62: 583–584
4 Wolfe F, Smythe HA, Yunus MB et al. The American College of Rheumatology 1990 Criteria for the Classification of Fibromyalgia. Report of
the Multicenter Committee. Arthritis Rheu 1990; 33: 160–172
5 Jäckel WH, Genth E. Fibromyalgie. Z Rheumatol 2007; 66: 579–590
6 Eich W, Häuser W, Friedel E et al. Definition, Klassifikation und Diagnose des Fibromyalgiesyndroms. Z Rheumatol 2008; 67: 665–676
7 Buskila D, Neumann L, Odes LR et al. The prevalence of muskuloskeletal
pain and fiobromyalgia in patients hospitalized on internal medicine
wards. Semin Arthritis Rheum 2001; 30: 411–417
8 Alonso-Blanco C, Fernández-de-Las-Peñas C, de-la-Llave-Rincón AI et
al. Characteristics of referred muscle pain to the head from active
trigger points in women with myofascial temporomandibular pain
and fibromyalgia syndrome. J Headache Pain 2012; 13: 625–637 Epub
2012 Aug 31
9 Buyukbese MA, Pamuk ON, Yurekli OA et al. Effect of fibromyalgia on
bone mineral density in patients with fibromylagia and rheumatoid
arthritis. J Postgrad Med 2013; 59: 106–109
10 Mateos F, Valero C, Olnos JM et al. Bone mass and vitamin D levels in
women with a diagnosis of fibromyalgia. Osteoporos Int 2014; 25:
525–533 doi:10.1007/s00198-013-2434-2 Epub 2013 Sep 6
11 Bird HA, Esselinckx W, Dixon AS et al. An evaluation of criteria for
polymyalgia rheumatic. Ann Rheum Dis 1979; 38: 434–439
12 Vaith P.http://dgrh.de
13 Clauw DJ, Katz P. The overlap between fibromyalgia and inflammatory
rheumatic diseases: when and why does it occur? J Clin Rheumatol
1995; 1: 335 –341
14 Köhler L, Zeidler H.http://dgrh.de
15 Röther E, von Kempis J, Ch Scholz et al. Kriterien zur Diagnose oder
Klassifikation rheumatischer Erkrankungen. Rheumazentrum Südbaden, 4. Auflage 2006;
16 Demir SE, Aytekin E, Caracan I et al. The prevalence of fibromyalgia
among patients with cervical radiculopathy due to cervical disc herniation: a pilot study. J Back Musculoskelet Rehabil 2014; 27: 167–171
17 Buskila D, Neumann L, Vaisberg G et al. Increased rates of fibromyalgia
following cervical spine injury. A controlled study of 161 cases of
traumatic injury. Arthritis Rheum 1997; 40: 446–452
18 Neumann L, Zeldets V, Bolotin A et al. Outcome of posttraumatic fibromyalgia: a 3-year follow-up of 78 cases of cervical spine injuries.
Semin Arthritis Rheum 2003; 32: 320–325
19 Tishler M, Levy O, Maslakov I et al. Neck injury and fibromyalgia –
are they really associated? J Rheumatol 2006; 33: 1183–1185 Epub
2006 May 1
20 Tishler M, Levy O, Amit-Vazina M et al. Can fibromyalgia be associated
with whiplash injury? A 3-year follow-up study. Rheumatol Int 2011;
Sep 31: 1209–1213 Epub 2010 Apr 1
21 Robinson JP, Theodore BR, Wilson HD et al. Determination of fibromyalgia syndrome after whiplash injuries: methodologic issues. Pain 2011;
152: 1311–1316 Epub 2011 Mar 17
22 Otte A, Stratz T. Brain SPET statistical parametric mapping (SPM)
in fibromyalgia syndrome: is brainstem perfusion impaired?
J Vasc Invest 1998; 4: 111–116
23 Themenheft „Interdisziplinäre S3-Leitlinie“. Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndromes. Der
Schmerz 2008; 22 Themenheft
Hermann W et al. Fibromyalgie und seine differenzialdiagnostische … Akt Rheumatol 2015; 40: 398–403
Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
Bei 78 der Patienten dieser Studie war nach 3 Jahren eine Nachbeobachtung möglich. Insbesondere konnten 20 der ursprünglich 22 Patienten mit neu diagnostiziertem FMS reevaluiert werden. Bei 60 % konnte die Diagnose weiterhin bestätigt werden,
wobei ein Unterschied bei den Geschlechtern auffiel: alle 11
Frauen waren weiterhin betroffen, von den 9 Männern erfüllte
nur noch 1 Mann die ACR-Kriterien für ein FMS. Neue Fälle waren nicht hinzugekommen, sodass die Untersucher (unter Beachtung der geringen Fallzahlen!) konstatierten, dass 1 Jahr
nach einer HWS-Verletzung kein erhöhtes Risiko für eine Neuentwicklung eines FMS besteht [18].
Mit der Fragestellung Zusammenhang zwischen HWS-Verletzung und Entwicklung einer Fibromyalgie beschäftigt sich auch
die Arbeit von Tishler et al. Hier wurden 153 Patienten nach
Schleudertrauma eingeschlossen, in die Kontrollgruppe kamen
Patienten mit Frakturen der Extremitäten, Wirbel- und Rippenfrakturen (n = 53). Während des Beobachtungszeitraumes von
durchschnittlich 14,5 Monaten konnte nur bei einem Patienten
in der Studiengruppe die Entwicklung eines FMS festgestellt
werden [19].
Auch hier konnten bei 126 der 153 ursprünglichen Patienten
3-Jahres-Daten gewonnen werden (Kontrollgruppe: 33 der 53
Patienten). Dabei zeigte sich ein FMS bei 3 Patienten in der Studiengruppe und einem Patienten in der Kontrollgruppe. Letztendlich konnte hier kein eindeutiger Zusammenhang zwischen
Schleudertrauma und neu aufgetretener Fibromyalgie nachgewiesen werden [20].
Ein ähnliches Patientenkollektiv wurde von Robinson et al. beobachtet. Untersucht wurden 326 Patienten, die 3 Monate nach
einem Schleudertrauma unter persistierenden Nackenschmerzen litten. Es zeigte sich, dass bei dieser Gruppe vorrangig Tender Points im Schulter-Nacken-Bereich positiv sind. Verglichen
mit der Kontrollgruppe von Patienten mit Fibromyalgie sind distal lokalisierte Tender Points seltener positiv. Die ACR-Kriterien
für ein FMS wurden von 14 % der Patienten erfüllt. Allerdings
zeigte sich, dass bei 63 % dieser Patienten nach intensiver 6-monatiger Behandlung diese Kriterien nicht mehr erfüllt waren und
somit auch die Diagnose eines FMS nicht mehr aufrechterhalten
werden konnte. Somit muss davor gewarnt werden, bei Patienten mit länger anhaltenden Schmerzen zu rasch die Diagnose
eines Schmerzsyndromes zu stellen [21].
Der Behauptung, dass bei Patienten mit chronischen Schmerzen
nach einem Schleudertrauma ein vorbestehendes FMS die Ursache der Beschwerden ist, widerspricht eine Studie von Otte et al.
[22], bei der mittels SPM und SPECT festgestellt werden konnte,
das Unterschiede in der Hirndurchblutung zwischen Schmerzpatienten nach Schleudertraua und FMS-Patienten bestehen.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass durch die wenigen
dazu bisher durchgeführten Studien kein eindeutiger Zusammenhang zwischen einer HWS-Verletzung und einer dadurch
ausgelösten Fibromyalgie zu belegen ist. Fibromyalgiforme Beschwerden können infolge einer Verletzung zwar auftreten, jedoch durch entsprechende intensive Therapie auch wieder abklingen.
Herunterladen