Domprediger Friedrich-Wilhelm Hünerbein 1

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Domprediger Friedrich-Wilhelm Hünerbein
1. Adventssonntag, 2. Dezember 2001, 10 Uhr
Predigt über Hebräer 10,23-25
Endlich, endlich ist es so weit. Der 1. Advent. Nun kann uns keiner mehr hineinreden, dass
wir schon seit Wochen Weihnachtsartikel anbieten; dass wir schon seit Tagen die
Weihnachtsbeleuchtung auf den Straßen und in den Fenstern der Wohnungen haben; dass wir
schon die dunkle Zeit, in der wir nun auch noch an Tod und Ewigkeit erinnert wurden, längst
abgehakt hatten. Jetzt hat das Warten endlich ein Ende. Es beginnt das neue Kirchenjahr. Es
beginnt - ja, es beginnt wieder das Warten. Muß das denn sein? Immer dieses Warten, dieses
Hoffen. Das Erleben ist so kurz. Und es beginnt wieder das Warten und Hoffen.
Worauf? Auf Zuwendung. Auf Post. Auf ein Telefonat. Auf ein Lebenszeichen. Auf
Vergebung. Auf einen Neuanfang . Auf Leben.
Da sind doch so viele verschlossene Türen vor uns. Deprimierend kann es sein, wenn eine Tür
ins Schloss gefallen ist und ich sie nicht mehr von selbst öffnen kann. Wir rufen Hilfe herbei,
wenn es um die Haustüre geht. Ungleich schwieriger aber ist es, wenn uns die Tür zu einem
anderen Menschen verschlossen ist. Sie ist nicht zu öffnen, weder durch handwerkliche
Fähigkeiten, erst recht nicht durch Gewalt. Hier muß ich warten, bis die Tür von der anderen
Seite her aufgeht, vielleicht lange warten, geduldig warten.
Wir könnten manche öffnen. Wir können sie nicht öffnen, uns fehlt die Kraft, der Mut, das
Vergeben. Und doch gehen verschlossene Türen auf, wenn wir nicht nur da sitzen und warten,
sondern in dieser Wartezeit auch aktiv sind, etwas tun. Immer wieder klopfen.
Eine nach der anderen auf unserem Adventskalender. Auch für Erwachsene geeignet. Wir
lernen wieder Türen zu öffnen und zu warten.
Der Predigttext für heute steht im Hebräerbrief im 10. Kapitel:
10,23 Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist
treu, der sie verheißen hat; 10,24 und Lasst uns aufeinander Acht haben und uns anreizen zur
Liebe und zu guten Werken, 10,25 und nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu
tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das um so mehr, als ihr seht, dass sich der Tag
naht.
Gott ist treu. Auch der Monatsspruch, der uns in diesem neuen Monat begleiten soll, sagt:
"Der Herr ist treu".
Wir scheuen uns, das Wort "Treue" in den Mund zu nehmen. Es klingt zum einen zu groß und
pathetisch, zum anderen verschlissen, mit zu vielen Enttäuschungen verbunden - im
persönlichen Leben wie im politisch-gesellschaftlichen Bereich. Treue ist das, was die
wechselnden Zeiten überdauert. Damit tun wir uns schwer in unserer kurzlebigen und
kurzatmigen Zeit, in der morgen "out" ist, was heute als "in" gepriesen wird.
"Treu" ist eines der ältesten deutschen Wörter und bedeutet: getreu sein, zuverlässig,
aufrichtig, echt, sicher. All das steckt in diesem kleinen Wort. Treue überdauert die
wechselnden Zeiten: Ich verlasse mich auf jemanden; ich vertraue jemandem, trotz mancher
Unterschiede und sich einstellenden Veränderungen. Und jemand vertraut mir, verlässt sich
auf mich.
Das biblische Wort für Treue "emunah" steckt in dem Wort "Amen" - das meist benutzte
Wort in der Kirche.
Gott hat sein "Ja und Amen" zu einem jeden von uns gesprochen. Er nimmt es nach Auskunft
der Bibel auch nicht mehr zurück. Gott lässt uns nicht los und nicht fallen. Gott steht treu zu
uns, mehr als wir es jemals sein können, und auch dann, wenn wir es nicht mehr sind. Auf
diese Treue können und dürfen wir bauen. Der Apostel Paulus bringt das auf den Punkt: Er ist
der festen Überzeugung, dass es nichts auf Erden gibt und dass auch niemand imstande ist,
uns von Gott und seiner wohlwollenden Zuneigung zu trennen, was auch immer im Leben
unserer Völkergemeinschaft und eines jeden Einzelnen passieren mag.
Darum werden uns heute drei Mahnungen mitgegeben - zum Beginn des neuen
Kirchenjahres:
1. Lasst uns am Bekenntnis der Hoffnung festhalten und nicht wankend werden.
Einer hat einmal geschrieben: "Die Hoffnung will zu uns kommen, nur nehmen und ergreifen
müssen wir sie selber. Hoffnung ist ein Festhalten mit einer gewissen liebenswürdigen
Sturheit."
Hoffnung kommt aus dem Festhalten am Bekenntnis. Evangelisch aus gutem Grund - so heißt
seit einiger Zeit ein Schlagwort unserer Kirche. Aufeinander zugehen - ja, aber in dem festen
glaubenden Wissen, dass der Glaube an Jesus Christus für mich der einzig richtige Weg ist.
Da kann ich aus meinem Glauben heraus offen sein - auch für einen interreligiösen Dialog,
auch im Gespräch mit Nichtglaubenden. Auch in meinem Bekenntnis, das vielleicht keiner
hören will. Auch in mancher Notsituation, in der die Welt um mich herum zusammenbricht,
so viele Unglücke und Kriegsgeschrei mich bedrängen. Gott ist treu. Er gibt mir den Mut
aufzustehen gegen Krieg und Vernichtung. Gegen Rechtsradikalismus. Gegen die
Verfälschung von Wahrheit und Schuld.
Er gibt Mut, aufzustehen und mein Leben zu hinterfragen und in Ordnung zu bringen.
In dem Bekenntnis zu Gott bin ich geborgen in der Gemeinde Jesu; in den vielen, die vor mir
gelebt und geglaubt haben - wir sind durch die Taufe ein Glied in dieser langen Kette. Ein
wichtiges Glied. Ich bin geborgen in der Gemeinde meiner Zeit.
Darum 2.: Lasset uns aufeinander Acht haben.
Wenn wir durch das gemeinsame Christusbekenntnis verbunden sind, tragen wir auch
Verantwortung füreinander. Christliche Existenz gibt es nicht im Alleingang. Auch nicht im
Alleingang einer Familie oder Gruppierung.
Im NT wird immer wieder betont: Wir sollen aufeinander Acht haben.
Einer soll sich um den anderen kümmern.
Also die Nase in Dinge hineinstecken, die ihn nichts angehen? Was mischt der sich wieder
ein, sagen wir manchmal und meinen natürlich einen anderen. Doch wer weiß eigentlich, was
den anderen umtreibt? Achthaben heißt nicht, dem anderen auf den Wecker gehen, aber ihm
deutlich machen: Mir liegt an dir. Ich bin bereit, mich mitzufreuen oder mit zu leiden. Denn
wir sind Glieder einer Kette, einer Gemeinschaft. Aus diesem Grunde können wir uns auch
anreizen zur Liebe und zu guten Werken.
Wenn das Günter Jauch im Fernsehen schafft, der von sich selbst vor ein paar Tagen gesagt
hat: Er ist Heide, und doch so viele Menschen motiviert. Sollten wir das in unserem Bereich
in der christlichen Gemeinschaft nicht schaffen?
Bin ich wirklich auf den gegenseitigen Dienst bedacht, dann verlasse ich 3. Nicht die
Versammlung der Christen, bin ich der Gemeinde Jesu treu.
In einer Zeitung wird ein Steuerberater zitiert: "Ein guter Mensch können Sie auch ohne
Kirchenmitgliedschaft sein." sprich: Spar doch die Kirchensteuern.
Ein guter Mensch, ja. Aber kein Christ und keine Christin.
Ja, ich ärgere mich manchmal über diese oder jenen in der Gemeinde. Ich fühle mich
missverstanden. Von den Pfarrern mal ganz abgesehen. Was da alles zu berichten wäre. So
höre ich es immer wieder. Und ich ärgere mich ja auch.
Aber wir haben uns nötig zur Hoffnung! Will ich lieber den Rückzug antreten anstatt
gemeinsam auf dem Wege hin zur offenen Tür sein?
Diese Mahnungen wollen uns ermuntern, liebe Gemeinde, zu Beginn dieses neuen
Kirchenjahres. Nicht bedrücken, sondern Mut machen: Lasst euch nicht abbringen. Die
Gegenwart ist voller Zukunft.
Das Kommen ist so gewiß, dass man sich jetzt schon darauf einstellen kann, ja muß. Wie
einer, der etwas Schönes vorhat, sich geraume Zeit vorher schon darauf einstellt.
In 23 Tagen steht das Christfest vor der Tür: Gott wird Mensch; einmal wird es der "Jüngste
Tag" sein. Auf diesen Tag laufen die Linien unseres Lebens zu. Getragen vom Glauben, von
der Hoffnung, von der Liebe.
Wir leben im Advent, nicht nur in den kommenden Tagen und Wochen, aber in dieser Zeit in
doppelter Weise.
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