Übereinkommen über die biologische Vielfalt

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Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt und sein Einfluss
auf die Naturschutzpolitik
Nach der Verabschiedung der Convention on Biological Diversity (CBD) beim Erdgipfel in Rio de Janeiro
1992 wurde „Biodiversität“ zu einem Schlüsselbegriff der Naturschutzpolitik. Bislang aber wurden die
Inhalte und Ziele der Konvention kaum in Handlungsziele überführt und damit kaum
politisch umgesetzt. Vor allem mangelt es an konkreten Vorgaben für die nachhaltige
Nutzung der biologischen Vielfalt. Die öffentliche Diskussion um die Biodiversität fokussiert
Beate Jessel
vor allem auf den Schutz der Artenvielfalt – und steht damit im Gegensatz zu dem
viel weiter gefassten Anspruch der CBD.
Ambitions and Reality. The Convention on Biological Diversity and its Influence on Nature Conservation Policy
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uf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro 1992 (United Nations Conference on Environment and Development,UNCED) wurde auch
der Vertragstext des Übereinkommens über die biologische Vielfalt
(Convention on Biological Diversity, CBD) ausgelegt und vor Ort
von 156 Ländern unterzeichnet. Nach den erforderlichen nationalstaatlichen Ratifizierungen trat das Übereinkommen am 29.
Dezember 1993 in Kraft.Vorausgegangen war eine nur dreijährige Verhandlungsphase – das ist Rekordzeit für ein derart komplexes Regelwerk. Es veranschaulicht zugleich, dass mit dem in
den 1980er Jahren von amerikanischen Biolog(inn)en kreierten
Wort „Biodiversität“ ein politisch hoffähiger Symbolbegriff geschaffen war, der positive Werte und den Appell an ethische Verpflichtungen zum Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen vereint (Takacs 1996, Haber 2008, Eser 2009).
A
Inhalt und Anspruch des Übereinkommens
Das Übereinkommen – es hat inzwischen 193 Vertragsparteien
– brachte in seiner grundlegenden Zielbestimmung (Artikel 1)
erstmalig drei Aspekte zusammen: den Schutz der biologischen
Vielfalt, ihre nachhaltige Nutzung und den gerechten Vorteilsausgleich bei der kommerziellen Nutzung genetischer Ressourcen
zwischen denen, die diese Ressourcen vorhalten (meist Entwick-
Kontakt: Prof. Dr. Beate Jessel | Bundesamt für Naturschutz (BfN) |
Konstantinstr. 110 | 53179 Bonn | Deutschland | Tel.: +49 228 84911000 |
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and reproduction in any medium, provided the original work is properly cited.
lungsländer) und denen, die sie verwenden (im Wesentlichen
die Industrieländer). Dieser integrierende, Schutz und Nutzung
verbindende Anspruch reichte deutlich über die bis dahin bestehenden naturschutzpolitischen Instrumente hinaus, die sich –
etwa dieWelterbekonvention der UNESCO, die Ramsar-Konvention
oder das Washingtoner Artenschutzübereinkommen – auf besonders bedeutsame Gebiete oder bestimmte Arten oder Lebensräume und damit nur auf Teilaspekte beschränkten.
Ein internationales Novum war auch, dass in der CBD erstmals den Vertragsstaaten die souveränen Rechte über ihre genetischen Ressourcen zugesprochen wurden (Artikel 15). Gleichwohl konnte erst auf der letzten CBD-Vertragsstaatenkonferenz
(VSK) 2010 im japanischen Nagoya ein verbindlich umzusetzendes Protokoll verabschiedet werden, das die Modalitäten dieses
„gerechten Vorteilsausgleichs“ (access and benefit sharing, ABS)
bestimmt.
Mit dem Beitritt zur CBD hat sich außerdem jedes Land verpflichtet, eine nationale Strategie zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt zu entwickeln und Biodiversitätsaspekte in andere Politikfelder zu integrieren (Artikel 6).
Zudem wird in der CBD gefordert, die Biodiversität zu erfassen
und zu überwachen (Artikel 7) sowie Verträglichkeitsprüfungen
einzuführen, um sicherzustellen, dass die Folgen von Plänen und
Programmen auf die biologische Vielfalt gebührend berücksichtigt werden (Artikel 14). Neben dem In-situ-Schutz (Artikel 8) soll
auch der Ex-situ-Schutz (Artikel 9) vorangetrieben werden. Eine
nachhaltige Nutzung der Biodiversität (Artikel 10) soll unter anderem mit wirtschaftlich und sozial verträglichen Anreizen erreicht werden (Artikel 11). Ferner werden die Handlungsbereiche Forschung, Ausbildung und Bewusstseinsbildung (Artikel
12, 13) sowie Informations- und Technologietransfer (Artikel 16,
17, 18) angesprochen.
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Die CBD spannt damit ein breites Spektrum an Themen auf,
dies jedoch in sehr allgemeiner Form. Die konkrete Ausfüllung
findet über die im Rahmen der VSK zu verhandelnden Protokolle statt, die einstimmig verabschiedet werden müssen, und verbleibt letztlich weitgehend bei den Mitgliedstaaten. Damit ist in
gewisser Weise bereits präjudiziert, dass es in den Verhandlungsprozessen innerhalb der CBD schwierig ist, über allgemeine Willensbekundungen hinaus konkret umsetz- und nachprüfbare
Handlungsziele zu definieren. Zudem fehlen Sanktionsmöglichkeiten für den Fall des Nichteinhaltens der Vereinbarungen.
Biodiversität – Symbolbegriff mit Januskopf
Prinzipiell war mit der CBD als völkerrechtlich verbindlichem
Vertragswerk gleichwohl die Chance eröffnet, dem Naturschutz
einen höheren Stellenwert zu verschaffen und ihn als Grundlage einer nachhaltigen, ökonomisch, ökologisch wie sozial ausgewogenen Entwicklung stärker ins Zentrum der Gesellschaft zu
rücken (Korn 2003, S.104). Demgegenüber waren aber die Biodiversität als Konzept wie auch die CBD in der öffentlichen Diskussion in Deutschland lange kaum präsent (siehe Weinzierl 2004,
S. 19). Dies änderte sich erst, als sich abzeichnete, dass 2008 die
VSK zur CBD in Deutschland stattfinden und das Land danach
für zwei Jahre die Präsidentschaft der Konvention übernehmen
würde. Wie zuvor blieb aber in der öffentlichen Darstellung und
der politischen Wahrnehmung Biodiversität weitgehend auf Artenvielfalt reduziert 1 – obwohl die CBD eine umfassende Definition von biologischer Vielfalt gibt, die die Vielfalt innerhalb der
Arten (genetische Vielfalt), die Vielfalt zwischen den Arten und
die Vielfalt der Ökosysteme einschließt (Artikel 2). Zugleich wurde in der Fachdiskussion das breite Verständnis von Biodiversität derart bereitwillig aufgenommen, dass vielfach eine Gleichsetzung von Biodiversität und Naturschutz erfolgte (siehe Suter
et al.1998 oder die Kritik von Haber 2008, 2009), wobei allerdings
die physischen wie ästhetischen Grundlagen des Naturschutzes
ausgespart blieben.
Wie ist das zu erklären? Man muss sich vergegenwärtigen,
dass die Entstehung des Begriffs Biodiversität primär politischstrategisch motiviert war: Er wurde in den 1980er Jahren als
Kunstbegriff von namhaften Biolog(inn)en bewusst gewählt, um
auf den weltweiten Artenschwund, die Zerstörung von Lebensräumen sowie den rapiden Verlust an genetischer Vielfalt bei
Nutzpflanzen und -tieren aufmerksam zu machen (Takacs 1996,
Piechocki 2005). Biodiversität hat damit nicht nur einen naturwissenschaftlichen Hintergrund, sondern war und ist zugleich
Mittel einer sozialen Konstruktion von Natur, die die Zerstörung
des Lebens auf der Erde thematisiert (Takacs 1996, Escobar 1998,
Eser 2003). Entsprechend gibt es auch kein einheitliches, durch
eine konsistente Theorie fundiertes Konzept von Biodiversität
(Jessel 2009). Der Begriff steht nicht nur in der Forschung für
heterogene und kaum vernetzte Forschungsprogramme (Görg
1999), sondern bietet sich gerade auch der Politik als breite Projektionsfläche an, die nicht nur Arten, Gene und Ökosysteme um-
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fasst, sondern auch die Möglichkeiten ökonomischer Nutzung
einschließt und damit imstande ist, viele Bedarfe und Ansprüche zu vereinen.
Hinzu kommt: Biodiversität ist in ihrer Komplexität kaum adäquat messbar 2; ein Verlust an Biodiversität insoweit nur schwer
konkret bestimmbar, als nicht nur einheitliche Indikatoren fehlen, sondern diese vielfach auch mit unterschiedlichen Methoden und Daten hinterlegt sind (siehe auch Butchart et al. 2010, S.
1166). Zwar ist auch umstritten, was eine „Art“ ist (Kunz 2002),
dennoch erscheint die Fokussierung auf Arten(zahlen) als der
vordergründig einfachste Weg, um Biodiversität zu fassen. Ökosystemtypen sind aufgrund ihrer vielfältigen strukturellen Ausprägungen und funktionalen Bezüge noch schwerer zu kategorisieren; für die genetische Vielfalt ist die Datenlage besonders
defizitär, da für ihre Erforschung aufwendige Genomanalysen
und Laboruntersuchungen erforderlich sind (Haber 2008, Piechocki et al. 2010).
Zugleich kann jedoch die mangelnde Messbarkeit von Biodiversität bei gleichzeitig umfassendem Anspruch als wesentlich
für den Erfolg des Begriffs gelten, da er dem Bedürfnis der Politik nach vielseitig deutbaren, aber nur schwer bestimmbaren Symbolbegriffen entgegenkommt. Positiver drückt dies Eser (2001,
2003) aus, die Biodiversität als eine Art boundary object betrachtet, als ein Grenzobjekt, das Brückenschläge und die Verständigung zwischen verschiedenen Disziplinen ermöglicht und imstande ist, zwischen Naturschützern und -nützern zu vermitteln,
das aber unter Umständen auch dahinterstehende Interessenkonflikte verschleiert.
Es ist im Übrigen bezeichnend, dass auf der Tagesordnung
der Rio-Konferenz auch eine Waldkonvention (zur Eindämmung
der weltweiten Waldvernichtung und -degradation) und eine Bodenkonvention (zum nachhaltigen Umgang mit Böden) standen.
Beider Bezugsobjekte sind konkreter eingrenzbar, jedoch konnten sich entsprechende Übereinkommen, obwohl kontinuierlich
weiter eingefordert (siehe etwa Hönerbach 1998, WBGU 1999,
S. 421 ff.), bis heute nicht durchsetzen.
Anschaulich wird die Janusköpfigkeit auch am Beispiel der
Aussagen der CBD zum gerechten Vorteilsausgleich. So wurden
im Zuge der Verhandlungen zur CBD zwar die souveränen Nutzungsrechte der Vertragsstaaten über ihre biologischen Ressourcen festgeschrieben (Artikel 15.1). Für jede Vertragspartei besteht
aber auch eine Verpflichtung, den kontrollierten Zugang für andere Vertragsparteien zu erleichtern (Artikel 15.2). Damit wurden
zugleich die Erwartungen der überwiegend in den entwickelten
Ländern verorteten Industrie und Forschung erfüllt.
1 Stellvertretend für viele andere Suplie (1996, S. 121); selbst der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) machte in seinem Umweltgutachten 2004
den Verlust von Biodiversität überwiegend an der Gefährdung von Arten fest
(SRU 2004, S. 115 ff.). Die Vertragsstaatenkonferenzen zur CBD wurden in der
Presse überwiegend als „Artenschutzkonferenzen“ tituliert. Auch Bundeskanzlerin Merkel sprach zum Auftakt des Internationalen Jahres der
Biodiversität 2010 vom „Jahr der Artenvielfalt“.
2 Was etwa Hoffmann et al. (2005,S. 276) veranlasst, anstelle von „Biodiversitätsindikatoren“ lediglich von „biodiversitätsrelevanten“ Indikatoren zu sprechen.
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Kleine Schritte statt großer Sprünge
Dennoch: Ohne die CBD gäbe es kein weltweites Forum, in dem
die mit dem Thema Biodiversität verknüpften Aspekte auf einer
völkerrechtlich verbindlichen Basis diskutiert werden können.
Auf den großen Wurf, den Inhalt und Anspruch des Begriffs Biodiversität suggerieren, darf man dabei nicht hoffen – das haben
allein die über fast zwei Jahrzehnte andauernden Verhandlungen
um ein ABS-Protokoll deutlich gemacht. Aber es ist doch auf verschiedene kleine Schritte und Teilerfolge zu verweisen:
So ist die CBD eines der wenigen internationalen Foren, in das
indigene und lokale Gemeinschaften ihre Belange einbringen
können. Dass Biodiversität keine empirisch fassbaren Tatsachen
wiedergibt, sondern sich als sozial konstruiert erweist, hat es befördert, dass soziale Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen sie sich vielerorts zu eigen gemacht haben, um auf ihre
Rechte und regionalen Identitäten zu pochen(Beispiele bei Escobar 1998). Das Waldarbeitsprogramm der CBD stellt nach dem
Scheitern einer internationalen Waldkonvention und angesichts
des Mangels an anderen verbindlichen Abkommen das derzeit
international weitreichendste Instrument zum Waldschutz dar.
Im internationalen Meeresnaturschutz bestehen große Defizite
(nur etwa 0,6 Prozent der Fläche der Meere und Küstengewässer
stehen weltweit unter Schutz) und es fehlen klare Verantwortlichkeiten, um zu internationalen Schutzvereinbarungen zu gelangen. Daher ist der Prozess zur Ausweisung von Schutzgebieten
auf hoher See, den die CBD im Rahmen der Vereinten Nationen
initiiert hat, besonders hervorzuheben.
Zwiespältig gestaltet sich hingegen das für die Umsetzung der
CBD zentrale Thema Finanzierung. Die 1991 gegründete Global
Environment Facility (GEF) der Weltbank soll die Umsetzung der
CBD mitfinanzieren und vor allem die Entwicklungsländer unterstützen. Für Biodiversitätsprojekte hat die GEF bis 2008 2,9
Milliarden US-Dollar an Zuschüssen aufgewendet und damit weitere 8,2 Milliarden US-Dollar an Kofinanzierungsmitteln mobilisiert, womit immerhin 990 Projekte in 155 Ländern unterstützt
wurden (GEF 2008). Jedoch ist die GEF, am Gesamtanspruch der
CBD gemessen, unterfinanziert und steht zudem wegen mangelnder Einbindung von Indigenengemeinschaften in der Kritik (Frein und Richter 2009). Bundeskanzlerin Merkel hat an-
Weil andere verbindliche Abkommen fehlen, ist das Waldarbeitsprogramm des Übereinkommens über die biologische Vielfalt eines der international weitreichendsten
Abkommen zum Waldschutz. Deutschland hat eine besondere Verantwortung für seine Buchenwälder.
© Hans-Dieter Knapp
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lässlich der 9.VSK zur CBD 2008 in Bonn bis 2012 zusätzliche
500 Millionen Euro für die weltweite Erhaltung von Wäldern und
anderen Ökosystemen zugesagt; ab 2013 soll jährlich eine halbe
Milliarde Euro bereitstehen. Enttäuschend ist, dass bisher kaum
weitere Geberstaaten zu ernsthaften Zusagen für die Finanzierung von Schutzgebieten bereit waren. Die CBD konnte damit
zwar beträchtliche Geldquellen zur Erhaltung und nachhaltigen
Nutzung biologischer Vielfalt erschließen, jedoch reichen diese
bei weitem nicht aus, um vor allem die Entwicklungsländer hinreichend zu unterstützen.
Ist die CBD Opfer ihrer Komplexität?
Die angeführten Punkte decken jedoch nur einen kleinen Ausschnitt aus dem thematischen Spektrum der CBD ab. Ihre umfassenden Ziele erfordern die Berücksichtigung zahlreicher Aspekte und damit besteht die Gefahr, dass die CBD zum Opfer
ihrer eigenen Komplexität wird. Ihr sind zugleich verschiedene
Grundprobleme immanent: Wie ein roter Faden zieht sich bis
heute die Polarisierung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern durch; das Austarieren der Ansprüche beider Seiten erweist sich als maßgebend, um zu Beschlüssen zu gelangen. Die
Industrieländer betonten stets ihr Interesse an der Erhaltung der
biologischen Vielfalt (und hatten dabei vor allem den Zugang zu
Ressourcen des Südens im Auge). Die Entwicklungsländer hingegen knüpften ihre Kooperationsbereitschaft an die Anerkennung souveräner Rechte über ihre eigenen genetischen Ressourcen und an die Bereitstellung zusätzlicher Mittel, um den sich
aus der Konvention ergebenden Verpflichtungen nachkommen
zu können (Suplie 1996). Zudem haben sich die USA einen Sonderstatus gesichert, den sie gerade bei den Verhandlungen um
ein ABS-Regime auszuspielen pflegten: Indem sie die CBD zwar
unterzeichnet, aber nicht ratifiziert haben, nehmen sie einen
Beobachterstatus ein, über den sie gleichwohl direkt und indirekt Einfluss auf die Verhandlungen auszuüben versuchen.
Diese Konfliktlinien traten auch bei der letzten VSK in Nagoya wieder deutlich zutage: Während für die Industrieländer die
Verabschiedung eines möglichst ehrgeizig angelegten strategischen Plans zur CBD mit Zielen post 2010 im Vordergrund stand,
machten die Entwicklungsländer ihre Zustimmung von der Verabschiedung eines ABS-Protokolls abhängig, das ihnen die Rechte an ihren genetischen Ressourcen garantierte. Eine geschickte Verhandlungsführung der japanischen Konferenzleitung war
letztlich maßgebend, dass am Ende doch beide Dokumente verabschiedet werden konnten.
Die Untersetzung der CBD mit konkreten Handlungszielen
blieb lange vage. Zehn Jahre nach Rio, auf demWeltgipfel für nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg, hatte die Staatengemeinschaft das Ziel bestimmt, den Verlust biologischer Vielfalt
global, national und regional bis 2010 signifikant zu reduzieren.
Die Europäische Union hatte ein Jahr zuvor sogar das Ziel formuliert, den Verlust an Biodiversität bis 2010 ganz zu stoppen.
In beiden Fällen wurde jedoch nicht definiert, was unter Biodi-
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versität auf den verschiedenen Komplexitätsebenen zu verstehen
ist; es wurden keine genaueren Indikatoren und keine Baseline
bestimmt, anhand derer Veränderungen der biologischen Vielfalt konkret hätten ermittelt werden können. Und so war es kein
Wunder, dass das „2010-Ziel“ mit dem Näherrücken der Deadline dem Thema Biodversität zwar erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit verschaffte, dabei jedoch der besagte Fokus auf vordergründig leicht zu operationalisierenden Artenzahlen lag. Auch
das vermeintliche und in den Medien häufig thematisierte „Artensterben“ wurde kaum mit konkreten Zahlen belegt. Oder es
blieb dabei weitgehend ausgeblendet, dass ein Rückgang von Biodiversität auf Artebene sich nicht nur in Artenzahlen, sondern
zum Beispiel auch im Rückgang von Abundanzen (also Dichten
oder Häufigkeiten) oder der Verkleinerung von Verbreitungsgebieten äußert.
Die Notwendigkeit, zur Umsetzung der CBD einen Handlungsrahmen zu formulieren, war bald erkannt worden. Daher
wurde bereits auf der 2. CBD-VSK in Jakarta der „ökosystemare
Ansatz“(ecosystem approach) vereinbart und auf der 5. VSK mit
einer Reihe von Prinzipien und Leitlinien unterlegt. Diese beinhalten einen umfassend angelegten adaptiven Managementansatz, um mit der Komplexität und Dynamik von Ökosystemen
umzugehen. Er berücksichtigt, dass die ökologische Tragfähigkeit Maßstab ökonomischer und sozialer Entscheidungen ist. Allerdings erwiesen sich die Prinzipien und Leitlinien insgesamt
wieder als zu vage und in zu viele Richtungen interpretierbar, um
eine hinreichend konkrete Richtschnur für die operative Ebene
abzugeben, und es blieb offen, wie ihre methodische Anwendung
in Planungsprozessen aussehen könnte (Klaphake 2003, Wilke
et al. 2011, S. 99 ff.). Das erste der zwölf „Malawi-Prinzipien“, die
den ökosystemaren Ansatz untersetzen, hält zudem fest, das Management und die Erhaltung der Biodiversität seien „a matter of
societal choice“, was bedeutet, dass sie sich in ihrer Umsetzung
in sozialen Prozessen erst herauskristallisieren und somit nicht
alleine (natur-)wissenschaftlich erklärt werden können. Der Ökosystemansatz hat daher vieles umfassend aufgenommen, was
gerade in der Naturschutzplanung diskutiert wurde, konnte aber
für planerisches Handeln keine eigenen Impulse setzen.
Vor allem aber wurde lange versäumt, Regelungen und politisch weiter zu instrumentierende Handlungsoptionen zur Vermeidung von Übernutzung und Zerstörung biologischer Vielfalt zu benennen, obwohl die nachhaltige Nutzung eine der drei
Säulen der CBD darstellt. Entsprechend spielte dieser Aspekt in
den Diskussionen um die Umsetzung der CBD auch kaum eine
Rolle. Erst mit Auslaufen des 2010-Ziels wurden mit den CBDBeschlüssen zum strategischen Plan der CBD in Nagoya neue
Weichen gestellt: Die globale Staatengemeinschaft einigte sich
auf 20 übergeordnete und quantifizierbare Biodiversitätsziele,
die bis 2020 erreicht werden sollen, die „Aichi-Targets“, benannt
nach der Provinz Aichi, in der die Konferenz stattgefunden hatte. Sie markieren insofern einen Paradigmenwechsel, als sie neben Artenschutzaspekten und der Ausweitung von Schutzgebieten (auf mindestens 17 Prozent der terrestrischen Gebiete sowie
zehn Prozent der Meeresflächen und Küstengewässer) nun we-
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sentlich auch an der Landnutzung, der Wiederherstellung degradierter Ökosysteme sowie Finanzierungsfragen (Abbau umweltschädlicher Subventionen) ansetzen. Vorteil der Aichi-Targets
gegenüber dem 2010-Ziel ist, dass sie vielschichtiger bestimmt
sowie besser quantifizierbar sind und dass mit ihnen ein Grundgerüst zur Fortschrittsmessung existiert, auf das weiter aufgebaut werden kann.
In ihrem Anspruch, der Verbindung von Schutz und Nutzung, weist die CBD über einen sektoralen, auf Artenschutz und
Schutzgebiete fokussierten Naturschutz hinaus. Dazu ist es notwendig, Biodiversitätsbelange auch in andere Sektoren zu transportieren und dort vor allem institutionell zu verankern, was
bislang nur unzureichend gelungen ist. Die Zielbestimmungen
der Aichi-Targets haben hier einen wichtigen Aufschlag gemacht.
Eine wesentliche Rolle kommt jedoch der Ausgestaltung und institutionellen Verankerung der nationalen Biodiversitätsstrategien zu, die alle Vertragsparteien erarbeiten müssen. 173 Staaten
sind diesem Auftrag bisher nachgekommen. Der Anspruch der
deutschen Biodiversitätsstrategie ist ambitioniert: Sie enthält etwa 330 Ziele und 430 Maßnahmen, die mit 16 Aktionsfeldern einem breiten Spektrum biodiversitätsrelevanter Themen zugeordnet sind. Sie wurde in einem diskursiven Verfahren mit vielen
gesellschaftlichen Gruppen erarbeitet und im November 2007
vom Bundeskabinett verabschiedet (BMU 2007). Damit wie auch
in der Koordination der Umsetzung der Strategie durch eine interministerielle Arbeitsgruppe ist ein wichtiges Signal gesetzt,
dass es sich um eine Strategie der gesamten Bundesregierung,
nicht nur um eine Sektorstrategie handelt. Auch ist es in Zeiten
knapper Kassen ein Erfolg, dass es gelungen ist, seit 2011 im
Bundeshaushalt ein mit 15 Millionen Euro jährlich ausgestattetes Bundesprogramm Biologische Vielfalt zu etablieren. Dennoch
erschwert die Breite der Handlungsziele eine Fokussierung auf
einzelne Themen und sind über das deutsche Umweltministerium hinaus andere Ressorts bisher nur unzureichend in die Umsetzung eingebunden.3
Einen ganz anderen Weg für die nationale Strategie hat die
Schweiz eingeschlagen (BAFU 2011). Sie befindet sich momentan in der öffentlichen Anhörung und soll im Frühjahr 2012 vom
Parlament verabschiedet werden. Sie fokussiert auf zehn bis zum
Jahr 2020 zu erreichende strategische Ziele, deren Schwerpunkte neben einer nachhaltigen Nutzung insbesondere der Aufbau
einer „ökologischen Infrastruktur“ von Schutzgebieten und Vernetzungsgebieten, die Verbesserung des Zustands von gefährdeten Arten, die Überprüfung negativer finanzieller Anreize und
die Förderung der Biodiversität in Siedlungsräumen sind. Außerdem sieht sie eine landesweite quantitative Erfassung der
Ökosystemleistungen bis 2020 vor.
3 Die deutsche Biodiversitätsstrategie flankierend, steht ein beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung angesiedeltes Bundesprogramm zur Wiedervernetzung von Lebensräumen vor der Verabschiedung
im Kabinett; das beim Bundesumweltministerium verortete Bundesprogramm Biologische Vielfalt wird vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung mit einem Forschungsprogramm flankiert.
In einer späteren Betrachtung dürfte spannend sein, welcher
Weg letztlich zu einer effektiveren Umsetzung geführt hat. Die
deutsche Biodiversitätsstrategie ist als eine bewusst breite Argumentationsgrundlage angelegt, die über die Naturschutzdiskussion hinaus den Querschnittscharakter von Biodiversitätspolitik
ins Auge fasst (hierzu Doyle et al. 2010). Die Überprüfung der
Ziele und Maßnahmen über den in jeder Legislaturperiode zu
erstellenden Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der
Strategie erlaubt ein umfassendes Monitoring der Entwicklung
von Biodiversitätsbelangen in den einzelnen Sektoren. Dabei
werden aber zugleich Umsetzungsdefizite in Kauf genommen,
da es kaum möglich ist, alle 330 Ziele gleichermaßen im Blick
zu behalten. Hingegen setzt der schweizerische Weg von vornherein auf eine stärkere Zielfokussierung und nimmt dabei Abstriche bei der eigentlich gebotenen Breite in der Umsetzung
von Biodiversitätsbelangen hin.
Die Zukunft der CBD
Die Breite und Vagheit von Biodiversität, wie sie auch in der CBD
angelegt ist, erweist sich als Fluch und Segen zugleich: Zum einen steigert sie die politische Konsensfähigkeit, zum anderen
aber verschleiert sie Konflikte, wie sie gerade zwischen schutzund nutzungsbezogenen Zielen bestehen können, und erschwert
die politische Verständigung auf konkrete Handlungsmaximen.
Ein ähnlicher Zwiespalt – zwischen einem konsensfähigen Anspruch und den Schwierigkeiten, in der Umsetzung den Ausgleich
zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Belangen
zu bewerkstelligen – wohnt ja auch dem Konzept der Nachhaltigkeit inne (dazu Wullenweber 2000). Gleichwohl haben beide
Konzepte, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, eine Sensibilisierung von Politik und breiter Öffentlichkeit erreicht und
erfüllen wichtige Aufgaben als umweltpolitische Leitbilder.
Der Erfolg der CBD wird sich vor allem daran messen, inwieweit es gelingt, Teilziele präzise zu fassen und sich, wie im Fall
des in Nagoya verabschiedeten ABS-Protokolls, auf Instrumente
und Prozedere für die Umsetzung zu verständigen. Wesentlich
wird vor allem sein, neben den Schutzaspekten künftig vermehrt
die Nutzungsaspekte in den Blick zu nehmen und durch Handlungsziele in den zuständigen Sektoren zu operationalisieren,
da sich hinter der Nutzung die wesentlichen Antriebskräfte für
den Rückgang biologischer Vielfalt auf allen Ebenen verbergen
(Sala et al. 2000). Die Aichi-Targets haben hier zu Recht neben
einer nachhaltigen Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft den
Abbau umweltschädlicher Subventionen ins Visier genommen,
durch den sich außerdem beträchtliche finanzielle Potenziale erschließen ließen (UBA 2010). Es stimmt optimistisch, dass die
Europäische Union im Mai 2011 eine europäische Biodiversitätsstrategie für 2020 verabschiedet hat (European Commission 2011),
die maßgebliche Ziele des strategischen Plans von Nagoya aufgreift, präzisiert und dabei auf eine Integration in andere Sektoren sowie stärker quantifizierbare und damit überprüfbare Teilziele abstellt.
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Angesichts der oft auf Artenschutzbelange verkürzten Wahrnehmung von Biodiversität erweist sich ein verbesserter Wissenstransfer als wesentlich. Nicht zuletzt sollten von wissenschaftlicher Seite die Inhalte und Anliegen der CBD als Grundlage für
politische Entscheidungen besser aufbereitet und damit stärkerer Handlungsdruck generiert werden. Zwar kann die Wissenschaft der Politik die Entscheidung über die zu wählenden Handlungsoptionen keinesfalls abnehmen. Sie kann und sollte jedoch
das Thema „Biodiversitätsverlust“ durch Daten und Fakten greifbar machen, die Folgen von Handlungsalternativen aufzeigen und
nicht zuletzt die Ziel- und Interessenkonflikte, die der CBD aufgrund ihrer Querschnittsthematik sowie möglicher Widersprüche zwischen Schutz und Nutzung immanent sind, verdeutlichen.
Hier ruhen große Hoffnungen auf der Intergovernmental SciencePolicy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES), auf
deren Einrichtung als zwischenstaatliches Beratungsgremium
sich die internationale Gemeinschaft, untermauert durch einen
Beschluss der UN-Generalversammlung vom Dezember 2010,
verständigt hat (Görg et al. 2010). Ihre wesentliche Aufgabe wird
es sein, ein solches „Science-Policy Interface“ bereitzustellen.
Für wertvolle Hinweise danke ich meinen Kollegen Horst Korn und
Rainer Dröschmeister vom Bundesamt für Naturschutz (BfN).
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Eingegangen am 10. Januar 2012; überarbeitete Fassung
angenommen am 21. Februar 2012.
Beate Jessel
Geboren 1962 in Stuttgart-Bad Cannstatt. Studium der
Landespflege an der TU München. 1998 Promotion an der
TU München. 1999 bis 2006 Professorin für Landschaftsplanung am Institut für Geoökologie der Universität
Potsdam. 2006 bis 2007 Allianz-Stiftungsprofessur für
Strategie und Management der Landschaftsentwicklung an der TU München.
Seit 2007 Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz (BfN) in Bonn.
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