BIODIVERSITÄT 2020 - Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

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BIODIVERSITÄT 2020
DAS GRÜNE HANDLUNGSKONZEPT ZUM SCHUTZ DER BIOLOGISCHEN VIELFALT
Wirklicher Fortschritt ist nicht Fortgeschrittensein, sondern Fortschreiten.
Wirklicher Fortschritt ist, was Fortschreiten ermöglicht oder erzwingt.
Und zwar in breiter Front die angeschlossenen Kategorien mitbewegend.
Wirklicher Fortschritt hat als Ursache die Unhaltbarkeit eines wirklichen Zustandes und als Folge seine Veränderung.
Bertolt Brecht
IMPRESSUM
Herausgeberin
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Verantwortlich
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Bezug
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Redaktionsschluss
Mai 2012
INHALT | BIODIVERSITÄT 2020
1.
Wo stehen wir beim Schutz der biologischen Vielfalt? ............................ 1
1.1.
Internationaler Stand ................................................................. 1
1.2.
Stand in der Europäischen Union .................................................. 2
1.3.
Stand in Deutschland ................................................................. 3
2.
Biodiversitätsschutz aus ethischer Verantwortung ................................. 5
3.
Kulturelle Dimensionen der biologischen Vielfalt .................................. 8
4.
Biodiversitätsschutz – der Rechtsrahmen ...........................................10
4.1.
Internationaler Rechtsrahmen ....................................................10
4.2.
Europarechtlicher Rahmen .........................................................11
4.3.
Deutscher Rechtsrahmen ...........................................................12
5.
Querschnittsaufgabe Biodiversitätsschutz ..........................................13
5.1.
Die nationale Biodiversitätsstrategie ............................................13
5.2.
Die Messung der biologischen Vielfalt ..........................................15
5.3.
Biodiversitätsschutz als Rechtsnorm und Vollzugsproblem.................16
5.3.1.
Biodiversitätsschutz als Rechtsnorm .............................................16
5.3.2.
Biodiversitätsschutz und Föderalismus..........................................18
5.3.3.
Vollzugsdefizite des Biodiversitätsschutzes ....................................20
5.4.
Schutz von Arten, Biotopen und Lebensräumen ..............................21
5.4.1.
Schutzgebiete ..........................................................................21
5.4.2.
Artenschutz.............................................................................23
5.4.3.
Biotopschutz und Biotopverbund ................................................27
5.4.4.
Gewässer- und Auenschutz ........................................................29
5.4.5.
Schutz der Biodiversität in Ost- und Nordsee ................................. 32
5.4.6.
Waldschutz............................................................................. 34
5.4.7.
Bodenschutz........................................................................... 37
5.5.
Klimawandel, Energiewende und Biodiversitätsschutz ..................... 39
5.6.
Landwirtschaft und Biodiversität ................................................ 42
5.7.
Biodiversität in der Stadt........................................................... 45
5.8.
Verkehrsinfrastruktur und Biodiversität ........................................ 47
5.9.
Bürgerbeteiligung und Biodiversität ............................................ 49
5.10.
Sport und Biodiversität ............................................................. 51
5.11.
Biodiversität in Wirtschaft und Arbeit........................................... 54
5.11.1.
Unternehmenspolitik und Biodiversitätsschutz ............................ 54
5.11.2.
Arbeitsmarkteffekte des Biodiversitätsschutzes............................ 57
5.11.3.
Tourismus – eine spezielle Herausforderung ............................... 60
5.11.4.
Rohstoffe und Biodiversität .................................................... 62
5.12.
Biodiversität in Bildung, Wissenschaft und Forschung ..................... 65
5.13.
Biologische Vielfalt als Gesundheitsfaktor ..................................... 71
5.14.
Biodiversität und Zivilgesellschaft ............................................... 74
5.15.
Finanzierung des Biodiversitätsschutzes ....................................... 77
6.
Internationaler Biodiversitätsschutz ................................................. 81
6.1.
Europäischer Biodiversitätsschutz................................................ 81
6.2.
Biodiversitätsschutz im Rahmen der Vereinten Nationen .................. 85
6.3.
Biodiversitätsschutz in der Entwicklungszusammenarbeit................. 91
6.4.
Welthandel und Biodiversität ..................................................... 95
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
die jeden Tag aussterben.3 Für 2005 stellte
das Millennium Ecosystem Assessment der
Vereinten Nationen fest, dass 60 Prozent der
weltweiten Ökosystemdienstleistungen eingeschränkt sind beziehungsweise nicht nachhaltig genutzt werden.4
1. WO STEHEN WIR BEIM SCHUTZ
DER BIOLOGISCHEN VIELFALT?
Der Begriff Biodiversität1 beschreibt die gesamte Vielfalt des Lebens. Er umfasst drei
Ebenen zwischen denen eine enge Wechselwirkung besteht: Zum einen die Artenvielfalt,
die durch die Erfassung der Arten von ausgewählten Organismengruppen wie Vögeln oder
Pflanzen auf einer bestimmten Fläche beschrieben wird. Zum anderen die Vielfalt innerhalb der Arten, die genetische Vielfalt.
Hierzu gehört zum Beispiel die Vielfalt von
Sorten und Rassen bei Nutztieren und Nutzpflanzen. Genetische Vielfalt ermöglicht es
den Arten, sich an Veränderungen der Umwelt
anzupassen und Krankheit und Schadtieren 2
besser zu widerstehen. Schließlich umfasst die
Biodiversität auch die Vielfalt der regionalen
Lebensräume und Ökosysteme. Je größer die
Vielfalt ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Arten Umweltveränderungen überleben und das Funktionieren von Ökosystemen sichern. Dennoch gilt nicht automatisch:
Je mehr Arten auf einer Fläche desto stabiler
und wertvoller ist diese. Vielmehr sind es oft
„artenarme Lebensräume“, die selten und
wertvoll für die Gesamtheit der Vielfalt sind.
Die letzte weltweite Erhebung zur Lage der
biologischen Vielfalt hat der 3. Globale Ausblick des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) 2010 vorgelegt. Diese Studie belegt, dass das 2002 vereinbarte Ziel der
Staatengemeinschaft, bis 2010 eine signifikante Reduzierung der Verluste an biologischer Vielfalt zu erzielen, nicht annähernd
erreicht wurde. Die Hauptursachen des
Biodiversitätsverlustes wirkten konstant weiter, in einigen Fällen verstärkten sie sich sogar. Damit stehen auch die in den Millenniums-Entwicklungszielen umrissenen Ziele auf
dem Spiel: Ernährungssicherheit, Armutsbekämpfung und ein besserer Gesundheitszustand der Weltbevölkerung.
„Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass bei
den drei wesentlichen Komponenten der biologischen Vielfalt – den Genen, Arten und
Ökosystemen – weiterhin ein Rückgang zu
verzeichnen ist.“5 Bei den natürlichen Lebensräumen nimmt die Ausdehnung und
Integrität weltweit ab. Süßwasserfeuchtgebiete, Eismeere, Salzwiesen, Muschelbänke, Seegraswiesen und Korallenriffe weisen ernsthafte Zustandsverschlechterungen auf. Wälder
und Flüsse sind weitgehend fragmentiert.
Jährlich gehen weltweit rund 13 Millionen
Hektar Wald verloren – das entspricht ungefähr der Fläche Griechenlands oder rund 25
Hektar pro Minute.6
1.1. INTERNATIONALER STAND
Zur Evolution gehört es, dass Arten aussterben
und durch andere, besser angepasste Arten
„ersetzt“ werden. Aber: Momentan erleben
wir weltweit ein Artensterben in beispiellosem Tempo. Die Aussterberaten sind heute
einhundert bis eintausend Mal höher als dies
unter natürlichen Bedingungen der Fall wäre,
Schätzungen gehen von bis zu 130 Arten aus
Weltweit sind die Amphibien die am stärksten
vom Aussterben bedrohte Artengruppe, bei
den Korallenarten verschlechtert sich der Erhaltungszustand am schnellsten. Fast ein
Viertel der Pflanzenarten ist vom Aussterben
Biological diversity means the variability among living
organisms from all sources including, inter alia, terrestrial, marine and other aquatic ecosystems and the
ecological complexes of which they are part: this includes diversity within species, between species and of
ecosystems. (CBD 1993)
2 Auf den Begriff „Schädlinge“ wird bewusst verzichtet,
denn er bezeichnet einen Organismus in seinem Bezug
auf eine Verringerung des wirtschaftlichen Erfolgs des
Menschen. Kein Tier ist per se ein Schädling.
1
WWF (2007) Hintergrundinformation „Ausgestorbene
Arten“ http://www.wwf.de/fileadmin/fmwwf/pdf_neu/Ausgestorbene_Arten_HG_12_06.pdf
4 Millennium Ecosystem Assessment 2005.
5 Ebd., S.7. Vgl. Mitteilung der Kommission: Lebensversicherung und Naturkapital: Eine Biodiversitätsstrategie
der EU für das Jahr 2020.
6 Global Forest Resources Assessment, FAO 2010.
3
1
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
1.2. STAND IN DER
EUROPÄISCHEN UNION
bedroht. Die Zahl der Wirbeltiere ist zwischen
1970 und 2006 um fast ein Drittel zurückgegangen, mit besonders drastischem Rückgang
in den Tropen und in den Binnengewässern. 7
20 Prozent der untersuchten Wirbeltierarten
gelten weltweit als bedroht.8 Die genetische
Vielfalt an Nutzpflanzen und Nutztieren in der
Landwirtschaft nimmt weiterhin dramatisch
ab.
Als Ausgangspunkt für die Umsetzung der
europäischen Biodiversitätsstrategie hat die
EU für 2010 eine so genannte Baseline formuliert, gegenüber der die Veränderungen der
biologischen Vielfalt gemessen werden sollen.
Demnach befinden sich nur 17 Prozent der
EU-rechtlich geschützten Lebensräume und
Arten und 11 Prozent der wichtigsten EUrechtlich geschützten Ökosysteme in einem
günstigen Erhaltungszustand – und dies trotz
aller Maßnahmen, die seit dem Jahr 2001
getroffen wurden. Rund zwei Drittel der Lebensräume und mehr als die Hälfte der Arten,
die von der FFH-Richtlinie erfasst werden,
sind dagegen in einem schlechten Erhaltungszustand. Insbesondere der Zustand der
Wälder und Gewässer ist schlecht, während
die größten Lebensraumverluste bei Feuchtgebieten und Grünland zu verzeichnen sind.
Zu den am stärksten bedrohten Artengruppen
gehören Meeressäuger, Reptilien und Amphibien. Für 31 Prozent der Arten und 18 Prozent
der Lebensräume reichen die Beobachtungsdaten nicht aus, um eine Aussage über den
Erhaltungszustand zu treffen.11
Die Hauptbelastungen sind Veränderungen
und Vernichtung des Lebensraums, Übernutzung, Überdüngung, Umweltverschmutzung,
invasive gebietsfremde Arten und der Klimawandel. Maßnahmen zum Schutz und zur
nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt erhalten nur einen Bruchteil der Gelder,
die für Infrastrukturmaßnahmen oder den
Ausbau der Industrie ausgegeben werden.
Möglichkeiten, schon bei der Planung vermeidbare negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt auf ein Minimum zu reduzieren, werden nicht genutzt.
In wenigen Bereichen gibt es Fortschritte.
Weltweit werden zwar immer mehr bedrohte
Arten und Lebensräume unter Schutz gestellt
und im Rahmen der CBD wurde ein strategischer Plan mit 20 konkreten Zielen formuliert.9 Aber leider werden gute Ansätze zu oft
durch kollidierende wirtschaftliche und politische Maßnahmen untergraben. „Um die
Hauptursachen des Biodiversitätsverlustes zu
bekämpfen, müssen wir dem Problem daher
in alle n Bereichen, in denen Entscheidungen
zu treffen sind, sowie in allen Wirtschaftssektoren eine höhere Priorität einräumen. [Es] …
darf an die Erhaltung der biologischen Vielfalt
nicht erst dann gedacht werden, nachdem
man sich zuvor mit anderen Zielen befasst
hat“.10
Nach wie vor wächst der Anteil von Siedlungen und Infrastruktur an der Fläche Europas,
ihr Anteil nahm mit rund acht Prozent von
1990 bis 2006 zu. Als Resultat dieser Entwicklung gelten rund 30 Prozent der EULandfläche als hochgradig fragmentiert.
Obwohl beispielsweise die Ausweisung von
Natura 2000-Gebieten an Land als weitgehend abgeschlossen gilt, werden positive
Trends beim Schutz der Biodiversität in Europa
durch fortwährende und zunehmende Belastungen konterkariert und aufgehoben. Dazu
zählen insbesondere:
Landnutzungsänderungen: Natürliche
Lebensräume gehen verloren zugunsten von Siedlung, Infrastruktur und
Ackerland,
7 Global
Biodiversity Outlook 3, CBD 2010.
Red List 2011.
9 Die so genannten Aichi-Ziele des strategischen Plans:
http://www.cbd.int/sp/targets/
10 Vorwort des Generalsekretärs der Vereinten Nationen
Ban Ki-Moon, in: 3. Globaler Ausblick, a.a.O.
8 IUCN
11 European
Environment Agency (2010): EU 2010 Biodiversity Baseline.
2
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
der Raubbau an der biologischen Vielfalt durch intensive Landnutzung,
die Einschleppung invasiver gebietsfremder Arten,
Umweltverschmutzung
Klimawandel.
durch Natura 2000 geschützt ist, besteht auch
hierzulande großer Handlungsbedarf. Während die Fläche der streng geschützten Gebiete zwar angestiegen ist (ihr Anteil lag 2008
bei 4,1 Prozent), ist der Anteil gefährdeter
Biotoptypen mit 72,5 Prozent aber noch immer alarmierend hoch.13 Wie die Bundesregierung auf Anfrage hin selbst bestätigt, ist
sie zudem nicht in der Lage, die Qualität der
Schutzgebiete einzuschätzen.
Im Meer ist die Ausweisung von Schutzgebieten trotz erster Ansätze sowohl quantitativ als
auch qualitativ noch unzureichend. Hier wirken sich zudem Fischerei und invasive Arten
besonders belastend aus.
Unter den bedrohten Lebensräumen ist der
Anteil an Meeres- und Küstenlebensräumen
sowie der Gewässer besonders hoch. Durch
die Ausweisung von Nationalparken an den
Küsten konnten aber auch positive Wirkungen
erzielt werden, so dass der Zustand einiger
Lebensraumtypen stabilisiert oder sogar eine
Ausweitung erreicht werden konnte.
Indirekte Ursachen wie Bevölkerungszunahme, begrenztes Bewusstsein für die Biodiversität und die Tatsache, dass dem wirtschaftlichen Wert der biologischen Vielfalt bei der
Entscheidungsfindung nicht Rechnung getragen wird, tragen ebenfalls in hohem Maße
zum Biodiversitätsverlust bei.12 Dies spiegelt
sich auch in der Debatte um die europäische
Biodiversitätsstrategie wider: Mitgliedsstaaten
wie auch andere Ressorts pochen darauf, dass
sie den laufenden Reformprozessen im Agrarbereich und der Haushaltsplanung bis 2020
nicht vorgreift. Gleichzeitig betreffen diese
Prozesse zentrale Handlungsfelder für die
Erreichbarkeit der in der Strategie formulierten Ziele, insbesondere den zu erhöhenden
Beitrag von Land- und Forstwirtschaft zur
Erhaltung und Verbesserung der Biodiversität.
Ebenso setzt auch der Streit um die gemeinsame Fischereipolitik Grenzen für den Meeresschutz. Der Ressort übergreifende Ansatz der
Strategie wird so im Keim erstickt und es ist
zu befürchten, dass weder direkte noch indirekte Treiber des Biodiversitätsverlustes effizient bekämpft werden können, sofern sie
nicht im direkten Zuständigkeitsbereich des
Umweltressorts liegen, wie das Schutzgebietssystem Natura 2000.
Bei den Gewässern erreichten nach den Maßstäben der EU-Wasserrahmenrichtlinie 2009
nur 10 Prozent einen guten oder sehr guten
ökologischen Zustand. Hauptursachen hierfür
sind: Verbauung, Begradigung und regelmäßige Unterhaltung der Fließgewässer. Die
deutschen Fluss-Auen sind insgesamt stark
beeinträchtigt und in natürlicher Ausprägung
nur noch als Relikte vorhanden.
Besonders groß ist der Druck auch auf Lebensräume landwirtschaftlich geprägter Kulturlandschaften wie Kalkmagerrasen, blumenreiche Wiesen und Weiden oder auch Streuobstwiesen. Der Indikatorenbericht 2010 14
weist einen sinkenden Anteil unzerschnittener
verkehrsarmer Räume (UZVR) an der Gesamtlandfläche aus. Neben dem direkten Verlust
an Lebensräumen ergibt sich dadurch eine
unmittelbare Bedrohung von Arten. Im Agrarland ist die Bestandssituation vieler Vogelarten kritisch. Insbesondere Vögel, die auf
Äckern, Wiesen und Weiden brüten, gehen im
Bestand zurück. Die Rote Liste kategorisiert 28
Prozent der untersuchten Arten als gefährdet.
Zu den bedrohten Tiergruppen gehören insbesondere Kriechtiere. Bei Farn- und Blüten-
1.3. STAND IN DEUTSCHLAND
Obwohl in Deutschland ein Flächenanteil von
15 Prozent der terrestrischen Landesfläche
12
vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische
Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen:
Lebensversicherung und Naturkapital: Eine Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr 2020.
BfN 2007, Hintergrundpapier zur Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen Deutschlands.
14 Indikatorenbericht zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt 2010.
13
3
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
pflanzen gelten mehr als ein Viertel aller vorkommenden Arten als gefährdet.15
Wichtigste Ursachen für diese Entwicklungen
sind die intensive Landwirtschaft, die Zerschneidung und Versiegelung der Landschaft,
direkte Eingriffe in Gewässerökosysteme,
Stoffeinträge und in zunehmendem Ausmaß
der Klimawandel. Im Siedlungsbereich wirken
sich Verluste an naturnahen Flächen und
dörflichen Strukturen negativ aus. An den
Küsten wie im Gebirge kommen Störungen
durch eine gestiegene Freizeitnutzung hinzu.
Das Bundesamt für Naturschutz konstatiert bei
einigen Agrar-Lebensräumen allerdings auch
leichte Linderungen, was auf Agrarumweltmaßnahmen, Ökolandbau und die Ausweisung von Biosphärenreservaten zurückgeführt
wird.
Zum Wald trifft der Indikatorenbericht 2010
lediglich Aussagen über den Anteil zertifizierter Waldfläche. Unter Einbeziehung aller zertifizierten Flächen (größtenteils nach PEFC
zertifiziert), ist der Zielerreichungsgrad hoch.
Eine Aussage über die aus der Nutzung genommenen
Waldflächen
ist
im
Indikatorenbericht jedoch nicht enthalten.
Erhebliche Defizite gibt es in Deutschland in
Bezug auf das „gesellschaftliche Bewusstsein“. Laut Indikatorenbericht 2010 haben im
Jahr 2009 lediglich 22 Prozent der Bevölkerung ein mindestens ausreichendes Bewusstsein für die biologische Vielfalt gehabt, das
lag sehr weit vom Zielwert (75 %) entfernt.16
15
16
BfN: Rote Listen für Deutschland
Indikatorenbericht zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt 2010.
4
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Gott ist Urheber und Schöpfer aller Dinge. Die
christlichen Kirchen (Katholizismus, Protestantismus und Orthodoxie) haben zwar lange
Zeit die Schöpfung als dem Menschen gegebenen Herrschaftsbereich verstanden, heute
allerdings sehen sich Christen als „Statthalter
Gottes“ in der Verantwortung, aktiv für den
(Fort-) Bestand der Natur als Schöpfung einzutreten.21 Für das Judentum gilt das Verbot
der rücksichtslosen und willkürlichen Ausbeutung und Zerstörung der Schöpfung. Die Einrichtung des Sabbatjahres – nach sechs Jahren Bebauung ruht der Boden und liegt brach
– kann als der erstmalige schriftlich festgehaltene Versuch interpretiert werden, die
Natur zu schonen und langfristig zu bewahren. Obwohl im Islam eine umfassende Umweltdiskussion bislang nicht stattfindet,
kommt auch in der vereinzelten islamischen
Ökologie-Diskussion der Erhaltung der Schöpfung eine zentrale Bedeutung zu.22 Die
Schöpfung ist vollkommen, und dem Menschen wird nahegelegt, kein Unheil in dieser
gottgeschaffenen Ordnung anzurichten.
2. BIODIVERSITÄTSSCHUTZ AUS
ETHISCHER VERANTWORTUNG
Sich durch schöne Landschaften, Wildnis und
einmalige Lebensräume ergreifen und berühren zu lassen stellt einen Wert für sich dar,
der weit über das hinausgeht, was wir die
Erhaltung der Lebensgrundlagen nennen.
Die nationale Biodiversitätsstrategie verweist
zurecht darauf, dass sich die biologische Vielfalt in Deutschland einer hohen Wertschätzung als wesentlicher Bestandteil der Lebensqualität erfreut und allgemein als Voraussetzung für ein gesundes und erfülltes Leben
angesehen wird.17 Unsere Haltung zur biologischen Vielfalt kann daher nicht nur durch
Nützlichkeitserwägungen (Nahrung, Gesundheit, Arbeitsplätze usw.) getragen werden. 18
Die Biodiversität hat auch einen Eigenwert.
Bei unseren Bemühungen, die biologische
Vielfalt zu erhalten geht es auch darum, einen
moralischen Standpunkt einzunehmen und
Verantwortung im persönlichen Leben zu
übernehmen.
Im Zentrum der Ethik von Buddhismus und
Hinduismus steht das individuelle Streben
nach einer Geisteshaltung, die davon geprägt
ist, keinem fühlenden Wesen Leid zuzufügen
und ihnen mitfühlend zu begegnen. Auf der
Grundlage der Entwicklung eines tief empfundenen Mitgefühls für sich selbst und für
andere Wesen ist ein achtsamer Umgang mit
sich selbst, anderen Menschen sowie Tieren
und der Natur gefordert.
Der Schutz der biologischen Vielfalt als religiöse Aufgabe
Der Verlust an biologischer Vielfalt ist auch ein
Verlust in kultureller und spiritueller Hinsicht.
„Das mag zwar schwierig zu quantifizieren
sein, ist für unser Wohlergehen trotzdem unerlässlich.“19 Man muss nicht religiös sein, um
dem Satz zuzustimmen: „Die Lebensfähigkeit,
Vielfalt und Schönheit der Erde zu schützen,
ist eine heilige Pflicht.“20 Die sog. Weltreligionen spielen hier aber eine große, orientierende Rolle.
Der Schutz der biologischen Vielfalt in indigenen Kulturen
Ein erheblicher Teil der indigenen Völker lebt
in Gebieten, die für den Schutz der biologischen Vielfalt von zentraler Bedeutung sind.
Mit ihrem traditionellen Wissen leisten indigene Völker einen großen Beitrag zum Schutz
und auch zur nachhaltigen Bewirtschaftung
dieser Gebiete. Dieses Wissen ist zu achten, zu
Die Bewahrung der Schöpfung ist eine alle
Weltreligionen verbindende Überzeugung und
damit Orientierung für Milliarden Menschen:
NBS, Kapitel B5, Seite 60.
Eser, Ann‐Kathrin Neureuther und Albrecht Müller:
Klugheit, Glück, Gerechtigkeit. (2011) Naturschutz und
Biologische Vielfalt Nr. 107.
19 Ban Ki-Moon, Vorwort zum 3. Globalen Ausblick,
a.a.O.
20 Die Erd-Charta, deutsche Übersetzung vom 8. Mai
2001.
17
18 Uta
Siehe: Gem. Erklärung, Rat der Evangelischen Kirche in
Deutschland/Deutsche Bischofskonferenz (Hrsg.) 1985:
Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung, Hannover/Bonn, Selbstverlag, S.34.
22 Vgl. Marburg Journal of Religion: Volume 2, No. 1 (May
1997).
21
5
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wahren und zu schützen. Indigene Kulturen
weisen verschiedenste Moralsysteme auf, die
die Gemeinschaft schützen sollen und die auf
dem Wissen um die unmittelbare Abhängigkeit der Gemeinschaft von der sie umgebenden Natur und ihrer Achtung basiert. In den
meist mündlich weitergegebenen Überlieferungen wird ein bestimmtes, das Überleben
der Gruppe sicherndes soziales Verhaltens
gerade auch gegenüber der Natur fundiert.
Dies trifft beispielsweise für Bevölkerungsgruppen in Westafrika zu, die in ihren religiösen und gesellschaftlichen Regeln den Schutz
besonderer Lebensräume verankert haben.
Die mythischen Vorstellungen haben dabei
einen starken Bezug zum jahreszeitlichen
Rhythmus, auf dem ein für indigene Völker
typisches zyklisches Zeitbewusstsein basiert.
Nur wenige indigene Völker konnten ihre traditionellen Religionen und Mythen unbeeinflusst bewahren. In Lateinamerika allerdings
gewinnen indigene Religionen und die Rechte
der indigenen Bevölkerung wieder an Bedeutung. Gleichzeitig wird aber auch hier ihr
Lebensraum weiter massiv eingeschränkt, ein
Prozess, der nicht ohne Gewalt abläuft. Das
Widererstarken indigener Gruppen und Bewegungen und die internationale Beachtung, die
das Konzept des „Guten Lebens“ und der
„Mutter Erde“, das auf traditionellem Wissen
und dem Moralsystem andiner indigener Gemeinden aufbaut, bedeuten in diesem Zusammenhang eine Chance.
Wir anerkennen auch, dass der Schutz der
biologischen Vielfalt – über saubere Luft und
fruchtbare Böden hinaus – dazu beiträgt, den
Menschen ein Leben in Glück, Gesundheit und
Geborgenheit zu ermöglichen. Hieran müssen
wir in der Kommunikation unserer Biodiversitätspolitik anknüpfen.
Wir wollen die Zusammenarbeit mit den in
Deutschland tätigen Kirchen und Religionsgemeinschaften vertiefen und gemeinsame
Schnittmengen für den Schutz der biologischen Vielfalt identifizieren.
Die Rolle indigener Völker und Kulturen wollen wir im Rahmen der CBD stärken. Der
Schutz der Rechte indigener Völker kann nicht
länger nur als innerstaatliches, nationales
Anliegen betrachtet werden. Wir treten für
den Erhalt der kulturellen Identität indigener
Völker ein.
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge
Vermeintlich subjektiven Vorstellungen
von einem glücklichen, gesunden und
gelungenen Leben in der Kommunikation über biologische Vielfalt größeren
Raum geben.
Unterschiedlichen
Interessen
und
Wertvorstellungen der Menschen in der
gesellschaftliche Debatte über den
Schutz der Biodiversität Rechnung tragen [und die Natur als Rechtssubjekt
anerkennen]24.
Interreligiösen
Dialog
zu
Biodiversitäts- und Klimaschutz unterstützen.
Dialog zwischen Umweltbewegung und
den Kirchen und Religionsgemeinschaften im Sinne der UN-Dekade für
die biologische Vielfalt fördern.
Indigene sowie Kirchen und Religionsgemeinschaften stärker in die internationalen Verhandlungs-, Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse zur
Biodiversität einbeziehen.
U n ser e Z ie l e
Für Bündnis 90/Die Grünen ist die Erhaltung
der biologischen Vielfalt auch eine ethische
Herausforderung. Deshalb ist es für uns wichtig herauszustellen, dass Biodiversitätsschutz
nicht nur um des Menschen willen stattfindet.
Es geht auch darum, Natur und Landschaft,
Pflanzen und Tiere, die Vielfalt des Lebens auf
unserem Planeten auch um ihrer selbst willen
zu schützen. [Die Natur hat einen Wert aus
sich heraus und eigene Rechte, die jenseits
des Bezugs auf den Menschen liegen.]23
23
Diese Formulierung wird derzeit noch in der Fraktion
24
diskutiert.
Diese Formulierung wird derzeit noch in der Fraktion
diskutiert.
6
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Einbeziehung der Kirchen und Religionsgemeinschaften in die Erarbeitung
und Umsetzung von Biodiversitätsstrategien auf allen Ebenen, u.a. durch
geeignete
Beteiligung
an
der
Bund/Länder Arbeitsgemeinschaft Naturschutz (LANA).
Achtung, Wahrung und Schutz des traditionellen Wissens indigener Völker
auch für den Erhalt der biologischen
Vielfalt und Unterstützung aller internationalen Aktivitäten, die den Schutz
der indigenen Völker zum Ziel haben.
Vertretern indigener Völker die Teilnahme an Sitzungen der CBD und ihrer
vorbereitenden Treffen ermöglichen.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antrag „Rechte indigener Völker stärken ILO-Konvention 169 ratifizieren“ BTDrucksache 17/5915
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Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Melodien in Musik, häufig vor der Kulisse
plastisch vertonter Naturereignisse. Um den
Stimmen der Natur in der Musik originären
Ausdruck zu verleihen, entwickelte er sogar
eigene
Tonsysteme,
die
sogenannten
„Messiaen-Modi“. Auch die künstlerische
Verarbeitung der Transformation von Natur
und Landschaft unter zunehmender Gefährdung durch die menschliche Naturausbeutung
wird seit der Industrialisierung in zahlreichen
Werken aus Kunst, Musik und Literatur manifestiert. Der amerikanische Schriftsteller T. C.
Boyle (geb. 1948) thematisiert aktuell in seinem Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“
die Ausbeutung der Natur durch den Menschen und fragt, welches menschliche Eingreifen in das ökologische Geschehen verantwortbar ist. Frank Schätzing (geb. 1957) hat
in „Der Schwarm“ den Anthropozentrismus
unserer Naturnutzung dramatisch kritisiert,
indem er mögliche Folgen drastisch ausmalte.
Geistesgeschichtlich verbindet sich unsere
Sicht auf die Natur mit vier großen Namen:
Goethe, Brehm, Darwin und Haeckel. „Diese
Großen Vier vertreten die idealistische, die
anthropomorphe, die evolutionäre und die
ökologische Sicht der Natur.“
3. KULTURELLE DIMENSIONEN
DER BIOLOGISCHEN VIELFALT
Weltweit wird Kultur als Gesamtheit der unverwechselbaren geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Eigenschaften
angesehen, die eine Gesellschaft oder eine
soziale Gruppe kennzeichnen, und die über
Kunst und Literatur hinaus auch Lebensformen, Formen des Zusammenlebens, Wertesysteme, Traditionen und Überzeugungen umfasst,25 Kultur ist mehr als die Gesamtheit
„menschlicher Hervorbringungen und Artikulationen“ in Abgrenzung zur nicht hervorgebrachten Natur. Über den Zusammenhang
zwischen Biodiversitätsverlust und kultureller
Verarmung wurde bisher kaum diskutiert. Das
sollte sich ändern. Denn die Frage ist berechtigt: Sind nicht die Zerstörung der biologischen Vielfalt und der Verlust an kulturellem
Reichtum jeweils ein Aspekt ein und desselben Vorgangs?26
Natur und Naturschutz in der Kunst
Die Natur ist vielen Künstlerinnern und Künstlern ein lebenslanges Objekt ihrer Schaffenskraft. Sie dient Malerei, Musik, Literatur und
Philosophie als Inspirationsquelle. Die größten Meisterwerke der Malerei wie von Vincent
van Gogh, der Musik wie die 6. Sinfonie von
Ludwig van Beethoven und ebenso der Literatur und Poesie entstanden unter Eindrücken
von Landschaften, Naturschauspielen oder der
Tierwelt. Einige Beispiele seien genannt: Der
deutsche Maler Caspar David Friedrich (17741840) begeistert noch heute ein großes Publikum mit seinen Natur- und Landschaftsdarstellungen. Wie bei kaum einem anderen
verbindet sich sein Name mit dem Genre des
romantischen, friedvollen Naturbildes als
Ausdruck menschlicher Stimmungen und Gefühle. Der französische Komponist Olivier
Messiaen (1908-1992) beschäftigte sich intensiv mit Vogelrufen und transkribierte deren
Schönheit von Natur und Landschaft
Betrachtet man Lebewesen als Kunstwerk,
dann sind Kunstwerke nichts mehr, was uns
von der Natur trennt.27 Die Tierwelt bietet
eine Fülle von Formen, die keinerlei Selektionsvorteil erkennen lassen, sondern eine
zweckfreie Begleiterscheinung des Nützlichen
sind, z. B. die Pracht auf den samtenen Flügeldecken von Faltern. „So gibt gerade die
nutzlos erscheinende Körperform der Wesen
Aufschluss über ein im Lebendigen schlummerndes Potenzial. Ihre Sichtbarkeit dient
nicht einem Zweck, sondern enthüllt sich als
solcher.“28 Auch Tiere scheinen Schönheit zu
schätzen; so sammelt der australische Seidenlaubenvogel kräftige Blüten von schillernden
Blumen, um mit ihnen eine Partnerin in sein
Erdnest zu locken.
Vgl. „Kultur in Deutschland“ Schlussbericht der Enquete-Kommission, BT-Drs. 16/7000, S. 47.
26 Marcel Robischon: Vom Verstummen der Welt. Wie uns
der Verlust der Artenvielfalt kulturell verarmen lässt“,
2012, S. 19.
25
27
28
8
Andreas Weber: Alles fühlt. 2008, S.169ff.
Ebd., S. 207.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Um die Schönheit von Natur und Landschaft
empfinden zu können, bedarf der Mensch der
sozialen Sicherheit und des Wohlgefühls seiner Sinne. Nur der von Existenzängsten befreite und vor Naturkatastrophen weitgehend
beschützte Mensch kann die Natur als schön
und vollkommen empfinden und sie als individuellen, aber auch politischen ‚Sehnsuchtsort‘ entdecken, der dem Leben Sinn zu geben
vermag. Das deutsche Naturschutzrecht
schützt die Schönheit von Natur und Landschaft.29 Schöne Landschaften werden als
Heimat geliebt und verehrt, können aber auch
politisch missbraucht werden: In der Zeit des
Verrats / Sind die Landschaften schön.30 Anhänglichkeit an bestimmte Landschaftsbilder
ermöglicht hohe naturschutzpolitische Akzeptanz31, denn als Ort von Sehnsüchten, Erinnerungen und Idealen steht uns die Natur näher
als jede monetäre Inwertsetzung.
In einer ganzheitlichen Biodiversitätspolitik
erfordern die kulturellen, ästhetischen und
philosophischen Dimensionen der biologischen Vielfalt größere Beachtung als bisher.
Künstlerinnen und Künstler können auf ihre
Art und Weise dazu beitragen, den Verlust der
Biodiversität und dessen Folgen zu rezipieren
und Lösungen anzumahnen, vorausgesetzt,
ihre schöpferische Arbeit entsteht unter politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Freiräume für die Ausübung von
Kreativität und Kunst ermöglichen.
Biologische und Sprachenvielfalt
Die Vielfalt und immer neuen Begegnungen
mit immer neuen Erscheinungen der Natur
haben die menschliche Fantasie und Kreativität inspiriert und angeregt. In Auseinandersetzung mit der gesamten belebten Umwelt
des Sprachraums, mit allen Pflanzen und Tieren, allen Vögeln des Himmels und allen Fischen des Wassers entwickelten sich Worte
und Sprache. „Besonders Kulturen, die noch
heute in engem Austausch und Kontakt mit
der freien, wilden Natur leben, zeigen, wie
differenziert die Begriffswelt einer Sprache in
Abhängigkeit vom Artenreichtum ihrer Umwelt
sein kann.“32 Umgekehrt; wo die Natur verarmt, verarmt auch die einheimische Sprache,
sie verliert an Begriffsschärfe und die Ausdrucksmöglichkeiten verengen sich, sie wird
‚wortkarg‘. Habitate bedrohter Sprachen und
bedrohter Tier- und Pflanzenarten befinden
sich heute häufig in denselben geographischen Regionen.
BNatSchG §1.
Heiner Müller, 1958.
31 Joachim Radkau, zitiert in: Reinhard Piechocki: Landschaft Heimat Wildnis, 2010, S.237.
32 Robischon, a.a.O., S.245ff.
29
30
9
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
sentlichen Prozesse, Funktionen und Interaktionen zwischen Organismen und ihrer Umwelt umfassen. Er erkennt an, dass die Menschen mit ihrer kulturellen Vielfalt fester Bestandteil der Ökosysteme sind. Der ökosystemare Ansatz umfasst zwölf Prinzipien und
fünf Handlungsleitlinien.
4. BIODIVERSITÄTSSCHUTZ – DER
RECHTSRAHMEN
4.1. INTERNATIONALER RECHTSRAHMEN
Des Weiteren arbeitet die CBD mit Arbeitsprogrammen und Handlungsleitlinien. Die CBD
hat zunächst einen umfangreichen Katalog
von Leitlinien für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt und für
den gerechten Vorteilsausgleich erarbeitet.
Das Übereinkommen über die biologische
Vielfalt, (Convention on Biological Diversity,
CBD) ist eines der drei Übereinkommen, die
auf dem Weltgipfel in Rio de Janeiro 1992
verhandelt wurden. Es trat 1993 in Kraft und
formuliert folgende Ziele: „Erhaltung der biologischen Vielfalt, nachhaltige Nutzung von
deren Bestandteilen sowie eine faire und
gleichberechtigte Aufteilung der sich aus der
Nutzung genetischer Ressourcen ergebenden
Vorteile, darunter durch einen entsprechenden Zugang zu den genetischen Ressourcen,
und durch einen geeigneten Transfer relevanter Technologien unter Berücksichtigung aller
Rechte an diesen Ressourcen und an Technologien sowie durch eine sachgerechte Finanzierung.“33
Die CBD hat wenige völkerrechtlich direkt bindende Elemente. Nur die Zusatzprotokolle wie
das „Cartagena-Protokoll über biologische
Sicherheit“, das sich mit dem grenzüberschreitenden Handel gentechnisch veränderter Organismen befasst und das noch nicht in
Kraft getretene Nagoya-Protokoll über den
Zugang und gerechten Vorteilsausgleich bei
der Nutzung genetischer Ressourcen, haben
eine solche rechtlich bindende Wirkung. Weitere rechtsverbindliche Regelungen für alle
Arten der Nutzung biologischer Vielfalt wären
notwendig.
Der Weltgipfel Rio+10 in Johannesburg 2002
hat das Ziel von 1992 bestätigt, es wurde
durch die Generalversammlung der Vereinten
Nationen gebilligt. Zudem wurde es unter
einem der Millenniums-Entwicklungsziele –
Sicherstellung der ökologischen Nachhaltigkeit
– als neues Ziel aufgenommen. Das
Biodiversitätsziel 2010 stellte daher eine Verpflichtung nicht nur der Vertragsstaaten der
Konvention dar, sondern aller UN-Staaten.
Derzeit gibt es 193 Vertragsparteien der CBD.
Alle Ziele und Beschlüsse der Konvention
zum Schutz der biologischen Vielfalt müssen
auf der nationalen Ebene umgesetzt werden.
Wichtigste Instrumente sind dabei nationale
Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne.
Weitere internationale Abkommen sind:
Das Washingtoner
(CITES).
Artenschutzabkommen
Es regelt bzw. verbietet seit 1975 den internationalen Handel mit geschützten Arten und
ist damit ein wichtiges Instrument im Kampf
gegen Wilderei und Schmuggel. Die Erfolge
hängen allerdings von der konsequenten Umsetzung auf nationaler Ebene ab und gelten
nur für die Arten, die ausdrücklich in – oft
kontroversen – Verhandlungen in die entsprechenden Listen aufgenommen werden.
Stark bedrohte Arten wie der BlauflossenThunfisch oder diverse Hai-Arten wurden trotz
mehrfacher Anläufe noch immer nicht in diesen Schutzstatus erhoben. Elfenbeinhandel
Die CBD arbeitet auf der instrumentellen Ebene mit dem Ökosystemansatz.34 Der Ökosystemansatz ist die übergreifende Strategie für
das integrierte Management von Umweltmedien wie Land, Wasser und von lebenden
Ressourcen. Der Ökosystemansatz stützt sich
auf die Anwendung wissenschaftlicher Methoden, in deren Mittelpunkt die Ebenen biologischer Organisation stehen, die alle we-
Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD),
Artikel 1
34 http://www.cbd.int/ecosystem/
33
10
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
wurde beschränkt wieder erlaubt. Beschlüsse
über Handelseinschränkungen sind schwer zu
erreichen. Um gegenüber Freihandelsabkommen und den Interessen der Welthandelsorganisation WTO Bestand zu haben, müssen die
relevanten Umwelt- und Artenschutzabkommen auch Handelsaspekte rechtsverbindlich
regeln.
sermanagement und Erosionsschutz sind nur
einige der relevanten Querbezüge.
4.2. EUROPARECHTLICHER RAHMEN
Mit dem Schutzgebietsnetz Natura 2000, das
auf der Vogelschutzrichtlinie und der FaunaFlora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) beruht, verfügt Europa über ein einzigartiges
naturschutzrechtliches Instrument, das nur an
naturschutzfachlichen Kriterien orientiert ist.
Ihr Zweck ist der europaweite Schutz gefährdeter wild lebender heimischer Pflanzen- und
Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume.
Die Natura 2000-Gebietsausweisungen sind
zwar fast abgeschlossen, aber die Ziele nur
unzureichend erreicht, weil beispielsweise
Managementpläne für die Flächen fehlen oder
zahlreiche fragmentierte und kleinräumige
Schutzgebiete ausgewiesen werden, die durch
fehlende Verbindungsstrukturen den Netzwerk-Anspruch kaum erfüllen.
Die Ramsar-Konvention
Die Konvention regelt seit 1975 den internationalen Schutz von Feuchtgebieten internationaler Bedeutung, insbesondere als Lebensraum für Wasser- und Wattvögel. Die Konvention selber stellt noch keinen einklagbaren
rechtlichen Rahmen dar, sie wurde aber innerhalb der EU durch Richtlinien und Verordnungen umgesetzt.
Die Berner Konvention und die Bonner Konvention
Von Bedeutung sind auch die Berner Konvention und die Bonner Konvention, beide von
1979. Die Berner Konvention war der erste
europaweite umfassende Naturschutzansatz
mit völkerrechtlich verbindlichem Vertrag zum
Schutz frei lebender Tier- und Pflanzenarten.
Die Bonner Konvention regelt den Schutz
wandernder wildlebender Arten (Convention
on the Conservation of Migratory Species of
Wild Animals, CMS) und fördert dabei besonders die Zusammenarbeit der Staaten entlang
der Zugwege. Wandernde Tiere sind wegen
ihrer besonderen Bedürfnisse und der oftmals
sehr langen Zugwege besonders gefährdet.
Für den Gewässerschutz gibt es die EUWasserrahmenrichtline (WRRL) und zum
Schutz
der
Meere
die
EUMeeresstrategierahmenrichtlinie (MSRL). Diese Richtlinien sind direkt bindend für die Mitgliedsstaaten, leiden aber oftmals an mangelhafter Umsetzung, wobei der Umsetzungsprozess für die MSRL gerade erst begonnen
hat. Die WRRL setzt konsequent eine ganzheitliche Betrachtung der Gewässer um, bezieht also auch das Flusseinzugsgebiet in den
Schutz mit ein. Die MSRL setzt auf eine
sektorübergreifende Politik mit einem ökosystemaren Schutzkonzept, um in den europäischen Meeresgewässern (Ostsee, Nordostatlantik, Mittelmeer, Schwarzes Meer) bis zum
Jahr 2020 einen guten Umweltzustand zu
erreichen. Entsprechende Maßnahmenprogramme sind bis 2015 zu entwickeln.
In Ergänzung der Konvention über die Biologische Vielfalt liegt die Stärke der älteren Naturschutzkonventionen in ihrer gewachsenen
Verankerung in den Regionen sowie der Vielzahl an konkreten Projekten, die vor Ort
durchgeführt werden.
Die Konvention zur Bekämpfung der Ausbreitung von Wüsten (UNCCD) und die Klimarahmenkonvention (UNFCCC) stellen darüber hinaus ebenfalls Rahmenbedingungen für den
Schutz der biologischen Vielfalt. Der Anpassungsbedarf an den Klimawandel, die Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme, der Waldklimaschutz, Landnutzungsänderungen, Was-
Die EU hat 2011 eine neue Grundsatzstrategie
zur Verbesserung der europäischen Biodiversität in den nächsten zehn Jahren beschlossen:
die Europäische Biodiversitätsstrategie 2020.
Die EU bestimmt über zahlreiche gemeinsame
Politikfelder wie die Gemeinsame Agrarpolitik
11
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
(GAP) und die Gemeinsame Fischereipolitik
(GFP), die Handlungsoptionen und Anreize für
oder wider der biologischen Vielfalt vorgeben.
Falsche Förderanreize und ökologisch schädliche Subventionen in GAP und GFP sind ein
wesentlicher Grund dafür, dass Landwirtschaft
und Fischerei in Europa in den letzten Jahrzehnten wesentlich zur Gefährdung der biologischen Vielfalt beigetragen haben anstatt sie
zu fördern. Die EU besitzt jenseits der FFHBerichtspflicht kein einheitliches Monitoringsystem und noch immer kein europäisches
Monitoringzentrum.
eingegangen. Die nationale Biodiversitätsstrategie (NBS) setzt diese Verpflichtung um
und stellt den wichtigsten Bezugsrahmen für
den Schutz der biologischen Vielfalt auf Bundesebene dar (siehe. Kapitel 4.1.). Die fachlich für den Schutz der Biodiversität zuständige Bundesbehörde ist das Bundesamt für
Naturschutz (BfN). Da die Bundesregierung
gegenüber der EU und den internationalen
Konventionen berichtspflichtig ist, liegt in der
föderalen Struktur für den Naturschutz ein
klares Kompetenz- und Verbindlichkeitsproblem. So ist die Bundesregierung in vielen Fragen der Umsetzung von Natura 2000 oder der
Umsetzung
des
Biotopverbundsystems
schlichtweg nicht auskunfts-, geschweige
denn handlungsfähig.
4.3. DEUTSCHER RECHTSRAHMEN
Das Gesicht der Verwaltung gegenüber dem
Bürger sind die Kommunen. Planungs- und
Partizipationsprozesse werden hier gesteuert
und bieten die Möglichkeit zur Intervention.
Zahlreiche Kommunen haben bereits eine
Deklaration „Biologische Vielfalt in Kommunen“ unterzeichnet und verpflichten sich
dadurch zu Aktivitäten für mehr Grün- und
Freiflächen im Siedlungsbereich, Arten- und
Biotopschutz, nachhaltiger Nutzung der biologischen Vielfalt und Bewusstseinsbildung und
Kooperation. Diese Aktivitäten erfordern eine
intensive Kooperation zwischen Kommunen,
Bund und Ländern. Behindert und verhindert
wird die Umsetzung der z. T. guten gesetzlichen Ansätze zum Schutz der biologischen
Vielfalt durch erhebliche Vollzugsdefizite und
fehlende Kapazitäten auf allen Ebenen (siehe
Kapitel 5.3.3.).
Die Nationalstaaten sind zwar aus europäischer und internationaler Sicht die zentralen
Akteure für den Naturschutz. Im föderal organisierten Deutschland aber liegt die Zuständigkeit für den Naturschutz in erster Linie bei
den Ländern. Den rechtlichen Rahmen für den
Schutz von Natur, Landschaft und biologischer
Vielfalt bildet das Bundesnaturschutzgesetz
(BNatSchG), das als Rahmengesetz vorwiegend
unmittelbar wirkende Regeln setzt, die in den
(erneuerten) Landesgesetzen durch landesspezifische Regeln ergänzt werden. Das
BNatSchG und insbesondere die hier enthaltene Eingriffsregelung sind das wirksamste
Instrument eines effektiven Naturschutzes, es
ist immer wieder Angriffen von Schwarz-Gelb
ausgesetzt.
Als Vertragsstaat der CBD ist Deutschland völkerrechtliche Verpflichtungen zum Schutz und
zur nachhaltigen Nutzung der Biodiversität
12
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
schen Vielfalt in Deutschland und beschreibt
folgerichtig, was in welchen Teilbereichen
getan werden müsste. Für alle relevanten
Bereiche wurden Indikatoren festgelegt, an
denen der Fortschritt bei der Erreichung der
Schutzziele ablesbar ist. Allerdings enthält die
NBS lediglich Ziele und Visionen. Die konkrete
Ausgestaltung von Maßnahmen oder Sanktionen bei Nichtberücksichtigung der definierten
Ziele fehlen – zwei Tatsachen, die erheblich
zur bisherigen Wirkungslosigkeit beigetragen
haben.
5. QUERSCHNITTSAUFGABE
BIODIVERSITÄTSSCHUTZ
Der klassische schutzgebietsorientierte Naturund Artenschutz spielt für den Schutz der biologischen Vielfalt eine große und unverzichtbare Rolle. Doch gelingen kann er nur, wenn
wir Anstrengungen in allen gesellschaftlichen
Bereichen und in allen politischen Ressorts
unternehmen.
Biodiversitätsschutz ist eine Aufgabe für den
Staat, den Privatsektor und alle anderen Akteure – und zwar auf allen Ebenen, von der
kommunalen bis zu internationalen. Auf jeder
Ebene sind sehr unterschiedliche Zuständigkeiten und Kompetenzen angesiedelt, die den
jeweiligen Handlungsrahmen bestimmen.
Zwar treffen wir auf allen Ebenen auf Aktionspläne und Strategien zum Biodiversitätsschutz, doch deren Durchsetzung erfolgt zumeist nachrangig zu diversen anderen Aufgaben.
Der Indikatorenbericht 2010 zur NBS resümiert, dass bei fünf Indikatoren ein sehr geringer Zielerreichungsgrad von weniger als 50
Prozent und bei weiteren sechs von zwölf
dargestellten Indikatoren nur ein „geringer
Zielerreichungsgrad“ zwischen 50 und weniger als 80 Prozent zu verzeichnen ist. Eine
statistisch signifikante Entwicklung auf die
gesetzten Ziele hin sei überhaupt nur bei fünf
Indikatoren zu verzeichnen: Gebietsschutz,
Flächeninanspruchnahme, ökologischer Landbau, Stickstoffüberschuss der Landwirtschaft
und nachhaltige Forstwirtschaft. Eine grundsätzliche Trendumkehr ist jedoch noch nicht
zu sehen. Die Umsetzung der Nationalen Biodiversitätsstrategie ist also bisher gescheitert.
Um die nationalen und internationalen Ziele
für den Biodiversitätsschutz zu erreichen,
muss dieser wirklich als Querschnittsaufgabe
begriffen und entsprechend Ressort- und
sektorübergreifend verankert und unterstützt werden.
Dass dem Ziel Biodiversitätserhaltung noch zu
wenig Bedeutung beigemessen wird, ist erkennbar an der Tatsache, dass es ländereigene Biodiversitätsstrategien bislang nur in
Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt. Das ist unzureichend und wird der Verantwortung der
Länder nicht gerecht. Auch bei den vorhandenen Länderstrategien fehlt zumeist der ressortübergreifende Ansatz.
5.1. DIE NATIONALE BIODIVERSITÄTSSTRATEGIE
Pro b le m
Die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt35 (NBS) wurde 2007 vom Bundeskabinett
beschlossen, wesentlich erarbeitet wurde sie
noch in der Amtszeit des grünen Umweltministers Jürgen Trittin bis 2005. Eine interministerielle Arbeitsgruppe (IMA) unter Führung
des Bundesumweltministeriums (BMU) soll die
Umsetzung sichern. Die Biodiversitätsstrategie
bündelt die Ziele beim Schutz der biologi-
35
Seit 2011 gibt es das jährlich mit lediglich 15
Millionen Euro ausgestattete Bundesprogramm biologische Vielfalt, das wegen der
Länderzuständigkeit im Naturschutz aber ausdrücklich nur beispielhafte Demonstrationsvorhaben oder Maßnahmen mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung fördert. Zudem
Fördern BMBF und BMU mit einem gemeinsamen Etat die Forschung zur Umsetzung der
Strategie. Die damit mögliche verbesserte
Projektförderung ist zwar begrüßenswert, hat
Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt. Unterrichtung durch die Bundesregierung. Bundestagsdrucksache 16/7082 vom 7. November 2007.
13
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
jedoch nichts mit dem notwendigen Zugriff
auf alle relevanten Ressorts zu tun. Das Bundesprogramm braucht dringend einen ressortübergreifenden
Ansatz.
Biodiversitätsschutz muss als Querschnittsaufgabe begriffen, der Schutz der biologischen
Vielfalt in der Politik aller Ressorts verankert
und Wirtschaft und Zivilgesellschaft in die
Lösung der Probleme einbezogen werden. Wir
wollen zusätzliche auf die einzelnen Ressorts
zugeschnittene Aktionspläne, die im jeweiligen Haus kontinuierlich bearbeitet und nicht
allein durch externe Projektnehmer realisiert
werden.
chung notwendigen Instrumente und Mechanismen präzisiert werden. Auch auf Landesebene sollen ressortübergreifende Förderprogramme zur biologischen Vielfalt aufgelegt
werden. Die länderübergreifende Koordination im Naturschutz muss gestärkt werden. Die
Umweltministerkonferenz (UMK) und die
Bund/Länder
Arbeitsgemeinschaft
Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung (LANA)
sollen insbesondere Fragen der Rechtsvereinheitlichung, der Abstimmung der Länderstrategien, des Biotopverbundes und des Gewässer- und Hochwasserschutzes in festen Arbeitsprogrammen ausgestalten.
U n ser e Z ie l e
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge
Die Bundesregierung muss ein Bundesprogramm biologische Vielfalt erarbeiten, das
diesen Namen verdient, ausgestattet mit eigenen Haushaltsmitteln in jedem Ressort, mit
dem ressortspezifische Aktionspläne realisiert
werden können. Die zentrale strategische
Steuerung soll durch das Bundesumweltministerium erfolgen. Jedes Ministerium muss
seinen Beitrag zum Schutz der biologischen
Vielfalt leisten und nachweisen. Die zur
interministeriellen Zusammenarbeit bereits
aufgebauten Strukturen (z. B. interministerielle Arbeitsgruppe (IMA), gemeinsames Bundesforschungsprogramm) sollen intensiv weiter genutzt werden. Die Maßnahmen werden
im Rahmen der IMA vom BMU koordiniert. Die
Umsetzung der NBS wird ein Schwerpunkt der
Arbeit der Nachhaltigkeits-StaatssekretärsRunde.
Bu nd
Analyse des konkreten und ressortspezifischen Finanzbedarfs für die Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie und Anpassung des Bundesprogramms Biologische Vielfalt an den
tatsächlichen Finanzbedarf mit Beiträgen aus den jeweils zuständigen Ressorts, im ersten Schritt auf 25 Millionen Euro jährlich.
Ausweitung des Bundesprogramms
Biologische Vielfalt zu einem umfassenden Förderprogramm zur Stärkung
der ressortübergreifenden Zusammenarbeit. Die notwendigen Maßnahmen
müssen ressortübergreifend durchgeführt werden, die zentrale Steuerung
erfolgt im Bundesumweltministerium.
Bereitstellung von Haushaltsmitteln
zur Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie in jedem Ressort. Die
Koordination der Umsetzung erfolgt
durch das Bundesumweltministerium.
Sicherstellung der Vereinbarkeit mit
den Zielen der Biodiversitätsstrategie
bei Gesetzen und relevanten Fördermitteln im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung.
Im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung ist
das Umweltministerium schon jetzt für die
Bewertung von Umweltfolgen zuständig.
Künftig müssen die Gesetzesfolgen für die
biologische Vielfalt bereits im Gesetzgebungsverfahren und bei der Vergabe von Fördermitteln konkreter geprüft und stärker berücksichtigt werden.
Wir werden dazu beitragen, dass die Länder –
auf der Grundlage der nationalen Strategie –
eigene und kohärente Biodiversitätsstrategien
zur Umsetzung auf lokaler und regionaler
Ebene beschließen. Nur so können quantifizierbare Ziele benannt und die zur Zielerrei-
Bund und Länder
Beschluss und Umsetzung von Biodiversitätsstrategien und Förderprogrammen in jedem Land als Teil der
14
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Umsetzung des Strategischen Plans der
CBD bis 2015.
Jährliche Berichterstattung der Bundesregierung über Indikatoren und
Fortschritt und über Fehlentwicklungen
bei der Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie; je einmal pro Legislaturperiode in Verbindung mit einem Fortschrittsbericht über die Länderstrategien.
Schließung von Lücken in der länderübergreifenden Koordination im Naturschutz durch die UMK und die LANA,
insbesondere beim Gewässerschutz
und Biotopverbund.
Veränderung und ihre Ursachen müssen mit
dem Ziel ermittelt werden, die Folgen dieser
Veränderungen für Natur, Naturhaushalt und
Mensch abzuschätzen, um rechtzeitig und
gezielt Vorschläge für Gegenmaßnahmen erarbeiten zu können. Ein systematisches und
flächendeckendes Monitoring für die biologische Vielfalt fehlt in Deutschland aber weitgehend.36 Schlimmer noch, insgesamt fehlt das
Wissen über die Biodiversität. Es werden immer weniger Wissenschaftler ausgebildet, die
Arten und ihre Lebensansprüche überhaupt
kennen (siehe Kapitel 5.12.).
Obwohl im Rahmen internationaler Verpflichtungen zahlreiche Berichtspflichten37 bestehen, neue umweltpolitische Herausforderungen diese sogar noch erweitern38 und gleichzeitig die Umsetzung bestehender Biodiversitätsstrategien defizitär ist, gibt es keine koordinierte Erfassung der dazu notwendigen
Daten.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache
17/2005
U n ser Zi el
Fraktionsbeschluss „Endlich handeln! Biodiversität schützen – im Jahr 2010 und darüber
hinaus“ 09.09.2010
Es soll ein Nationales Monitoringzentrum
geschaffen werden. In diesem Zentrum sollen
Natur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler
daran arbeiten, den Status und die Entwicklung der Biodiversität in Deutschland zu erfassen, zu interpretieren, die ökologischen,
ökonomischen und sozialen Folgen zu untersuchen und Gegenstrategien zu formulieren.
Das Zentrum soll auch Grundlagenforschung
betreiben bzw. koordinieren. Hier geht es um
die Entwicklung von differenzierten Indikatoren und Verfahren zur Erhebung von Daten im
Bereich der Arten und Biotope und zur Bewertung solcher Daten sowie deren ständige Fortschreibung.
Kleine Anfrage „Umsetzung des Strategischen
Plans der UN-Biodiversitätskonvention, insbesondere im Meeresschutz“ BT-Drucksache
17/5578
5.2. DIE MESSUNG DER
BIOLOGISCHEN VIELFALT
Pro b le m
Zwingende Voraussetzung dafür, die Veränderungen der biologischen Vielfalt frühzeitig zu
erkennen und Gefährdungen rechtzeitig begegnen zu können, ist es, die jeweilige Bestandssituation zu erfassen und zu bewerten
und deren Entwicklung systematisch zu überwachen. Dies ist gleichermaßen eine Aufgabe
für Forscher und Fachbehörden. Sie gewinnt
dadurch an Bedeutung, dass Veränderungen
sich schleichend und oft unbemerkt vollziehen, andererseits Verluste unwiederbringlich
sind.
So verfügt etwa kein einziger deutscher Nationalpark
über vollständige Inventare der wichtigsten Insektengruppen. (Angabe des VBiO).
37 Zu nennen sind hier unter anderem: das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD), das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000, das Afrikanisch-Eurasische-Wasservogelabkommen (AEWA), die
Ramsar-Konvention, die Bonner Konvention über
wandernde wild lebende Tierarten (CMS).
38 NEFO (2012): Nationales Biodiversitätsmonitoring
2020.
http://www.biodiversity.de/images/stories/Downloads/
Monitoringpapier/monitoring_final_10-02-12.pdf
36
15
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Das Nationale Monitoringzentrum soll zur
Harmonisierung
des
bundesweiten
Monitorings beitragen und die nationalen
Roten Listen (gefährdete Arten und Biotoptypen), Blauen Listen (erfolgreich erhaltene
oder geförderte Tier- und Pflanzenarten der
Roten Listen) und Schwarzen Listen (invasive
Arten) mit Kommentierungen und Erläuterungen führen, Untersuchungen zu den Gefahren- und Bedrohungspotenzialen durchführen
bzw. koordinieren (z. B. zu den Auswirkungen
des Klimawandels oder zu anthropogen induzierten Krankheiten). Das Monitoringzentrum
soll Teil eines europäischen und globalen
Netzwerkes sein und entsprechende Kooperationen betreiben und auch zur Umweltbildung
im Bereich der biologischen Vielfalt beitragen.
Zur Vereinheitlichung der Datenerhebung und
zur Kartierung ist eine intensive Zusammenarbeit mit den Landes- und Kommunalbehörden notwendig. Die Daten aus nationalen
Monitoring-Programmen sollen für alle Interessierten transparent und frei zugänglich
sein.
Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache
17/2005
5.3. BIODIVERSITÄTSSCHUTZ ALS
RECHTSNORM UND VOLLZUGSPROBLEM
5.3.1.
BIODIVERSITÄTSSCHUTZ ALS
RECHTSNORM
Pro b le m
Beim Schutz der biologischen Vielfalt handelt
es sich um einen der komplexesten Regelungsbereiche. Trotzdem – oder gerade deshalb – sollte er vollzugsfreundlich ausgestaltet werden. Hierzu können unter anderem
untergesetzliche Regelwerke dienlich sein,
zum Beispiel zur bundeseinheitlichen Handhabung der Eingriffsregelung.
Entscheidende verfassungsrechtliche Norm für
den Schutz der biologischen Vielfalt in
Deutschland ist Artikel 20a des Grundgesetzes
mit dem Staatsziel „Schutz der natürlichen
Lebensgrundlagen und der Tiere“. Dieses Ziel
erlegt es dem Staat auf, die natürlichen Lebensgrundlagen für die künftigen Generationen zu schützen und eine dementsprechende
Gesetzgebung, Rechtsprechung und vollziehende Gewalt zu gewährleisten. Der Schutz
der biologischen Vielfalt hat damit in
Deutschland Verfassungsrang und somit einen
hohen Wert in den Ermessens- und Abwägungsentscheidungen zwischen Schutz und
Nutzung von Natur und Landschaft.
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge
Bu nd
Unterstützung bei der Finanzierung
und Vernetzung von Datenportalen,
die den Zugang und den Austausch von
relevanten Daten im Bereich des
Monitorings ermöglichen.
Bu nd, Lä nd e r u nd Ko m m u n e n
Einrichtung
eines
unabhängigen
Monitoringzentrums, dessen Finanzierung sich Bund und Länder teilen.
Freier Zugang zu Monitoringdaten für
alle Interessierten.
Wichtigste gesetzliche Grundlage ist das Bundesnaturschutzgesetz. Es betont, dass Natur
und Landschaft „auf Grund ihres eigenen
Wertes und als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen im besiedelten und unbesiedelten Bereich“ zu
schützen sind. Mit der Betonung des Eigenwertes wird die Verantwortung des Menschen
gegenüber seiner natürlichen Umwelt und
den in ihr lebenden Tiere und Pflanzen hervorgehoben. Dabei geht es zum einen darum,
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Entschließungsantrag zum Haushaltsgesetz
2012, Einzelplan 16. BT-Drucksache 17/7862
Kleine Anfrage „Entwicklung und Monitoring
der Vogelbestände in Deutschland, der Europäischen Union und weltweit“ BT-Drucksache
17/3806
16
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
künftigen Generationen Nutzungsoptionen
und damit Entwicklungschancen zu erhalten;
zum anderen aber auch darum, Natur und
Landschaft um ihrer selbst Willen jenseits
zweckrationaler Nützlichkeit zu respektieren.
Die Erhaltung der biologischen Vielfalt wird in
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 explizit als Ziel des Gesetzes
prominent genannt. Damit wird eine grundlegende Rechtsnorm definiert, an der sich alle
fachgesetzlichen Einzelbestimmungen orientieren müssen. Dies ist zudem ein allgemeiner
Grundsatz, der auch für die Länderebene unverrückbar und abweichungsfest gilt.
terungen entgegenzuwirken. Ausdruck des
Verschlechterungsverbotes ist das Kompensationsprinzip, d. h. beeinträchtige Funktionen
des Naturhaushaltes sind in gleichartiger Weise wieder herzustellen oder neu zu gestalten.
Die BNatSchG-Novelle hat das Ziel verfehlt,
das Naturschutzrecht zu vereinfachen und zu
vereinheitlichen. Nach wie vor fehlen vollzugsfähige Formulierungen für die Eingriffsregelung, für die zu allgemein formulierte gute
fachliche Praxis und für den Biotopverbund.
Teilweise wird sogar direkt auf notwendige
Länderregelungen verwiesen (z. B. § 16 Abs.
2).39
Die wichtigsten Steuerungsinstrumente für
den Natur-, Arten- und Landschaftsschutz in
Deutschland sind Schutzgebiete, der gesetzliche Biotopschutz und der allgemeine wie der
besondere Artenschutz, die FFH-Verträglichkeitsprüfung sowie die Eingriffsregelung. Für
die Landschaft sind die raumbezogenen Planungen bzw. die Zulassungsverfahren der
Infrastrukturfachplanung bedeutsam, für den
Bereich der Landwirtschaft die gute fachliche
Praxis.
Die derzeit von Teilen der Bundesregierung
und einigen Ländern angestrebte normative
Gleichsetzung des bisher nachrangigen Ersatzgeldes mit der Realkompensation (Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen) ist nach unserer Auffassung verfassungswidrig und naturschutzfeindlich.40 Wir setzen uns dafür ein,
den Primat der Realkompensation zu erhalten, denn die Verantwortung des Verursachers
muss erhalten bleiben.41
Besondere Bedeutung hat die appellative
Aufnahme der allgemeinen Verpflichtung zur
Beachtung der Ziele des Naturschutzes in das
Bundesnaturschutzgesetz, die im Jahr 2002
erfolgte. Sie trägt der Tatsache Rechnung,
dass der Schutz der Natur eine Aufgabe ist, die
nicht allein durch den Staat zu bewältigen ist,
sondern der Mitwirkung aller gesellschaftlicher Akteure bedarf. Mit der Postulierung
einer Bürgerpflicht bekräftigte der Gesetzgeber, dass Schutz von Natur und Landschaft nur
gelingen kann, wenn sich jeder und jede naturschutzgerecht verhält – nicht nur Behörden
und
Umweltorganisationen.
Die
SollVerpflichtung umfasst sowohl ein Beitrags- als
auch ein Vermeidungsgebot.
Gegenüber dem Bundesnaturschutzgesetz, das
angesichts der Länderzuständigkeit nur eingeschränkten Spielraum für die Bundesebene
lässt, liegt bei diversen Fachgesetzen (z. B. im
Bau-, Berg-, Jagd- oder Waldrecht) eine Bundeskompetenz vor, die zur stärkeren Verankerung von Leitplanken für den Natur- und
Biodiversitätsschutz genutzt werden sollte.
U n ser e Z ie l e
Wir wollen Schutz von Natur, Landschaft und
biologischer Vielfalt rechtlich stärken. Allen
Bemühungen, unter dem Vorwand der Flexibilisierung, die Anforderungen an die Zulassung von Eingriffen in die Natur abzusenken,
stellen wir uns entgegen. Insbesondere die
In Überwindung eines reinen SchutzgebietsNaturschutzes wurde in Deutschland die sog.
Eingriffsregelung (§ 14 BNatSchG) geschaffen,
die in ihrem Grundkonzept der Abweichungsgesetzgebung der Länder entzogen ist. Sie
beinhaltet zunächst für jeden Eingriff in die
Natur ein Vermeidungs- und Minimierungsgebot – es geht darum, wenn immer möglich,
das Bestehende zu bewahren und Verschlech-
Änderungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur
Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der
Landschaftspflege, BT-Drucksache 16/13490
40 Vgl. hierzu auch Prof. Dr. Christoph Degenhart (Universität Leipzig): Regelungsmöglichkeiten des Bundes zur
Gleichstellung von Ersatzgeld und
Naturalkompensation im Rahmen der naturschutzfachlichen Eingriffsregelung – verfassungsrechtliche
Rahmenbedingungen. Januar 2011.
41 Ebd. S.37.
39
17
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Eingriffsregelung, die gute Fachliche Praxis
und der Biotopverbund müssen auf Bundesebene verbindlich geregelt werden. Uns geht
es aber nicht nur darum, eine Absenkung von
Naturschutzstandards zu verhindern. Naturund Biodiversitätsschutz müssen zusätzlich zu
einem starken Naturschutzrecht eine bessere
rechtliche Verankerung in anderen Rechtsbereichen erhalten, denn auch dort werden
Rahmenbedingungen für den Naturschutz
gesetzt. Das betrifft vor allem das Bau- und
Planungsrecht sowie die Bereiche Bergbau,
Jagd, Land- und Forstwirtschaft (gute fachliche Praxis) und die Gewässernutzung, die
demokratische Teilhabe und das bürgerschaftliche Engagement (Planungs- und Beteiligungsrecht). Der Schutz der biologischen
Vielfalt muss deutlicher als bisher auch im
Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) und
im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) als Schutzgut
benannt werden. Für den Schutz von Natur
und Biodiversität muss eine direkte immissionsschutzrechtliche Grundpflicht (eine von
jeder unter den Immissionsschutz fallenden
Anlage einzuhaltende gesetzliche Anforderung) eingeführt werden.
ten wie z. B. Biotopverbund besser genutzt
werden.
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge
Bu nd
Erfüllung der gesetzgeberischen Kompetenz des Bundes, um grundlegende
und länderübergreifende Ziele bundeseinheitlich zu regeln (z. B. Biotopverbund, Eingriffsregelung, gute fachliche Praxis).
Gesetzliche Stärkung des Schutzes von
Natur
und
Biodiversität
im
Imissionsschutz-, Berg- und Bau-,
Jagd- und Waldrecht sowie Minimierung der Flächeninanspruchnahme.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache
17/2005
Antrag „Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren“ BT-Drucksache 17/6502
Änderungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes
zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes
und der Landschaftspflege. BT-Drucksache
16/13490
Das Bergrecht weist umfassende Lücken beim
Schutz der biologischen Vielfalt auf. Tagebaue
und Rohstoffabbau im Meer müssen beispielsweise FFH-Gebiete ausgeschlossen werden.
Rechtlicher Handlungsbedarf besteht auch bei
der Reduzierung des Flächenverbrauchs. Eine
primäre Anknüpfung für die Steuerung des
Flächenverbrauchs ergibt sich zunächst aus
den planungsrechtlichen Regelungen auf
übergeordneter (Raumordnungsgesetz, Landesplanungsgesetze) und kommunaler Ebene
(Baugesetzbuch). Ein zusätzliches Instrument
kann eine Pflicht zur Minimierung der Flächeninanspruchnahme sein. 42 Prüfen wollen
wir ein Handelssystem Flächenausweisungsrechten. Bei der Nutzung der Lenkungsmöglichkeiten der Regional- und Flächennutzungspläne sollen ökologische Komponen-
42
5.3.2.
BIODIVERSITÄTSSCHUTZ UND
FÖDERALISMUS
Pro b le m
Erschwert wird der Vollzug von Naturschutzrecht durch den deutschen Föderalismus. Der
Bund hat bislang seine grundsätzlich vorhandene Kompetenz zur Gesetzgebung nach
Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 Grundgesetz nicht vollumfänglich ausgenutzt. Dies führt – unabhängig von der Abweichungskompetenz der
Länder – zu einer Zersplitterung des Naturschutzrechts in ein Bundes- und viele Landesgesetze. Für den Vollzug des Naturschutzes
sind die Länder verantwortlich. Dazu gehören
insbesondere die Ausweisung und das Management von Schutzgebieten, die Biotopver-
Wege zu einer nachhaltigen Flächenpolitik. Fraktionsbeschluss 10.05.2011; BT-Drs. 17/6502: Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren.
18
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
bundplanung, die Einhaltung der Eingriffsregelung und der Einsatz weiterer Naturschutzinstrumente, namentlich der Landschaftsplanung und des Artenschutzes, der Vollzug des
Naturschutzrechtes im Einzelfall und das
Monitoring.
oder bei der Umweltbildung. Das Bündnis
dient dem Erfahrungsaustausch und soll engagierten Kommunen die Chance bieten, mit
einer gemeinsamen Stimme zu sprechen, um
Förderung für Projekte zu erhalten und mehr
Einfluss auf Gesetzgebungsprozesse zu nehmen zu können.
Die Aufgabenerfüllung im Naturschutz ist seit
Langem in einem nicht akzeptablen Maße
defizitär.43 Das kann zwar nicht allein den
Funktionsschwächen des Föderalismus zugeschrieben werden, denn es spielt hier auch
der unterschiedlich ausgeprägte politische
Gestaltungswille eine Rolle ebenso wie der
Lobby-Einfluss von Nutzergruppen. Gerade
beim Biotopverbund und beim Monitoring
zeigt sich aber, dass eine viel engere und
umfangreichere Länder übergreifende Koordination notwendig wäre, da der Zugang zu
Monitoring-Daten und deren Harmonisierung
oftmals eingeschränkt sind, aber Planung und
Ausgestaltung eines bundesweiten Biotopverbunds eine Länder übergreifende Koordination erfordert. Hier muss der Bund mehr Initiative und Verantwortung übernehmen (können). Bundesweite Vernetzungen zu gewährleisten und damit europäischem Recht zu
entsprechen, muss Bundessache werden –
vergleichbar der Linienführungsbefugnis für
Fernstraßen – und nicht der Kooperation von
16 Ländern überlassen bleiben.
Im städtischen Raum sind die Bedeutung der
biologischen Vielfalt und ihre Bedrohung besonders sichtbar. Einerseits gefährden Flächenverbrauch und Zerschneidung, Nutzungsintensität oder invasive Arten die Vielfalt.
Andererseits spielt sie für Lebensqualität und
Wohlbefinden der Menschen sowohl rein ästhetisch als auch physisch wichtige Rolle und
ist durch kleinteilige Strukturen bis hin zu
Kleingärten geprägt (siehe Kapitel 5.7. und
5.13.).
U n ser e Z ie l e
Wir wollen ein übersichtliches Rechtssystem
mit angemessenen Verfahrensabläufen und
der Möglichkeit, unterschiedlichen Aufwand
für den Schutz der biologischen Vielfalt zwischen den Ländern ausgleichen zu können
(siehe Kapitel 5.9. und 5.15.).
Die Föderalismusreform hat eine Neuordnung
der Gesetzgebungskompetenzen ergeben, mit
der wir auf absehbare Zeit leben müssen. Mit
der eingeführten Abweichungskompetenz im
Naturschutz der Länder wurde jedoch eine
„Doppelzuständigkeit“ von Bund und Ländern
geschaffen, auf deren Grundlage ein und derselbe Gegenstand in unterschiedlicher Weise
geregelt werden kann. Rechtsvereinheitlichung und Rechtsvereinfachung wurden dadurch nicht befördert.
Verantwortung für die biologische Vielfalt
können auch die Kommunen übernehmen.
Viele haben sich bereits dem Verein „Biologische Vielfalt in Kommunen“ angeschlossen. 44
Sie erkennen damit ihre Rolle für die Erhaltung der biologischen Vielfalt auf örtlicher
Ebene an. Ziel ist es, diese Vielfalt vor Ort zu
stärken und bei der Entwicklung der Kommune zu berücksichtigen. Möglichkeiten dazu
bestehen im Bereich der Erhaltung und Pflege
von Grün- und Freiflächen, bei speziellen
Maßnahmen zum Arten- und Biotopschutz,
bei der nachhaltigen Nutzung von Flächen
(z. B. Land- und Waldflächen, Gewässer,
Siedlungsflächen und Verkehrsverbindungen)
Der Bund muss seine Gesetzgebungskompetenz ausfüllen, um Kohärenz im Natur- und
Biodiversitätsschutz zwischen Bund, Ländern
und EU sowie zwischen unterschiedlichen
Gesetzen herzustellen (siehe Kapitel 5.3.1.).
Die Kommunen wollen wir so stärken, dass sie
finanziell in der Lage sind ihre Verantwortung
für die biologische Vielfalt wahrzunehmen.
Insbesondere für die urbane Biodiversität sind
Kommunikation und Kooperation notwendig,
um die Interessen der Nachverdichtung mit
Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen, „Umweltverwaltung unter Reformdruck“,
a.a.O.
44 http://www.kommunen-fuer-biologische-vielfalt.de
43
19
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
dem Schutz von Freiflächen, städtischem Grün
und Gewässern stadtplanerisch optimal zu
verbinden.
terschiedliche Zuständigkeiten wie Landwirtschaft, Umwelt und Naturschutz vermengt
werden. Darunter leidet insbesondere der
Naturschutz. Oft fehlen auch die Mittel für
Kommunikation und Umweltbildung einerseits und Weiterbildung andererseits. Zudem
werden Spielräume, die die Ermächtigung zu
Verwaltungsvorschriften eröffnen, nur unzureichend genutzt.
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge
Bu nd un d Lä nd e r
Nutzung der Gesetzgebungskompetenz
des Bundes, um höhere Standards und
Kohärenz im Biodiversitätsschutz von
der Landes- bis zur EU-Ebene sicherzustellen
Prüfung eines Finanzierungsinstrumentes, das einen Ausgleich zwischen
den Ländern für unterschiedlichen
Aufwand im Naturschutz ermöglicht.
5.3.3.
Abwägungen der Behörden in Entscheidungsprozessen werden oft zulasten der Natur getroffen. Insbesondere in Bezug auf großflächige Schutzgebiete sind Aufgabenverlagerungen
auf die Landkreisebene kritisch zu beurteilen.
Eine Nationalparkverwaltung ist auf der
kommunalen Ebene nicht sachgerecht angesiedelt, da hier oftmals zugunsten wirtschaftlicher und finanzieller Interessen entschieden
wird und dem Schutz von nationaler Bedeutung nicht das nötige Gewicht beigemessen
wird.45
VOLLZUGSDEFIZITE DES
BIODIVERSITÄTSSCHUTZES
Pro b le m
U n ser e Z ie l e
Auf allen Ebenen vom Bund bis hin zur Kommune sind gravierende Vollzugsdefizite beim
Schutz von Natur und Umwelt festzustellen.
Missstände werden zwar häufig beklagt, eine
systematische Analyse der Ursachen findet
aber kaum statt. Anfragen bei der Bundesregierung zu Fragen des Naturschutzes werden
allzu oft mit dem Hinweis auf die Zuständigkeit der Länder nicht beantwortet, auch wenn
eine klare bundesweite Relevanz wie beim
Biotopverbund, beim Monitoring oder schlicht
bei der Umsetzung der nationalen, also bundesweiten Strategie vorliegt.
Der Biodiversitätsschutz muss seiner Bedeutung entsprechend auf allen Behördenebenen
verankert werden. Die Politik muss zugleich
hinreichend Mittel frei geben, dass künftig
mehr und nicht weniger Personal für den
Schutz von Natur und Umwelt zur Verfügung
steht. Die Umweltverwaltungen müssen in die
Lage versetzt werden, komplexe Überwachungskonzepte auszugestalten und anzuwenden. Es darf keinen weiteren Aufgabenabbau in den Behörden unter dem Deckmantel von Entbürokratisierungsmaßnahmen geben. Genehmigungsverfahren dürfen nicht so
schlank werden, dass es keinen ordentlichen
Vollzug mehr gibt. Die Beratungstätigkeit darf
nicht noch weiter eingeschränkt werden,
denn eine Umweltverwaltung soll nicht nur
Weisungen erteilen, sondern auch Hilfestellungen geben. Zudem müssen die Behörden
auf Landes- und Kommunalebene in der Lage
sein,
Erfolge
und
Defizite
im
Biodiversitätsschutz systematisch zu evaluie-
Die für den Vollzug des Naturschutzrechtes
zuständigen Unteren und Oberen Naturschutzverwaltungen sind sowohl in personeller als auch in finanzieller Hinsicht häufig in
ihrer Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt. Oft fehlen sogar die Kapazitäten, um einfachste
Kontrollaufgaben wahrzunehmen oder gar um
EU-Fördermittel einzuwerben. EU-Mittel können zudem nur eingeschränkt abgerufen werden, da die Länder und Kommunen die notwendige Kofinanzierung mitunter nicht aufbringen können. Dies wird verstärkt, wenn
bei der Zusammenlegung von Behörden un-
45Sondergutachten
des Sachverständigenrates für Umweltfragen „Umweltverwaltungen unter Reformdruck“,
a.a.O., S.112.
20
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
ren und als unabhängige Vollzugsbehörden
die eigenen Aktivitäten zu optimieren.
Schutzgebiete unterschiedlicher Ausprägung.
Bei der Erhaltung reproduktionsfähiger Populationen spielen der Biotopverbund und
Schutzgebietsnetze eine zentrale Rolle, um
den notwendigen genetischen Austausch zu
ermöglichen.
In den Verwaltungen muss der interdisziplinäre Ansatz ausgebaut werden, dafür müssen
entsprechende
Personalentwicklungspläne
aufgestellt werden. Zur Stärkung des Vollzugs
vor Ort ist auch ein größeres Bewusstsein für
die biologische Vielfalt notwendig (siehe Kapitel 5.12. und 5.14.).
Um dem Ziel eines vernetzten Schutzes gerecht zu werden, ist auf Bundesebene die
Nationale Biodiversitätsstrategie verabschiedet worden. Sie sieht für die unterschiedlichen Schutzkategorien und zugelassenen Nutzungen zu erreichende Schutzziele vor. So soll
der Flächenanteil der Wildnis von derzeit 0,5
Prozent auf zwei Prozent der Landesfläche
anwachsen, 30 Prozent der Landesfläche sollen als Naturparke ausgewiesen werden. 46
Eine weitere Kommunalisierung von Umweltaufgaben betrachten wir mit großer Skepsis
und Besorgnis, denn sie erfolgt zumeist ohne
Rücksicht auf Kapazitäten der örtlichen Verwaltungen und gefährdet so die Vollzugsqualität. Gebraucht werden Zentren zur Aufgabenerfüllung, die interdisziplinäre Kompetenzen vereinen.
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge
5.4.1.
Bu nd, Lä nd e r u nd Ko m m u n e n
SCHUTZGEBIETE
Pro b le m
Sicherung der Unabhängigkeit und
entsprechender personeller Ausstattung
der
Vollzugsbehörden
im
Biodiversitätsschutz, um die Wahrnehmung aller internationalen und
nationalen Mindestverpflichtungen sicherzustellen.
Schaffung ausreichender Kapazitäten
für Evaluation, Bürgerinformation und
Transparenz.
Verwaltungen von Biosphärenreservaten und Nationalparken sollen auf der
Ebene der Länder in den oberen Naturschutzbehörden angesiedelt werden.
Die wichtigsten Schutzgebietstypen sind Nationalparke, Naturparke, Biosphärenreservate,
Landschafts-, Naturschutz- sowie FaunaFlora-Habitat (FFH)- und Vogelschutzgebiete,
die sich auch auf ein und der gleichen Fläche
überschneiden können. Schutzgebiete sind in
der Regel keine Ausschlussgebiete für
menschliches Handeln und Wirtschaften.
Grundsätzlich sind in den verschiedenen Zonen aller Schutzgebiete Nutzungen im Einklang mit den jeweils für das Gebiet erklärten
Zielen zugelassen. Nur in Totalreservaten ist
die Nutzung durch den Menschen ausgeschlossen. Zuständig für die Ausweisung und
das Management aller Schutzgebiete – mit
Ausnahme der Allgemeinen Wirtschaftzone
(AWZ) – sind die Länder.
5.4. SCHUTZ VON ARTEN, BIOTOPEN
UND LEBENSRÄUMEN
Der Flächenanteil der Nationalparke vergrößerte sich seit der deutschen Einheit bundesweit durch die Gründung der Nationalparke
Unteres Odertal in Brandenburg, Hainich in
Thüringen, Eifel in Nordrhein-Westfalen und
Biodiversitätsschutz heißt Arten, Biotope und
Lebensräume zu schützen, also zu erhalten
und vor Verschlechterungen oder gar Vernichtung zu bewahren. Die Artenvielfalt und die
genetische Vielfalt wild lebender Pflanzenund Tierarten wird in erster Linie durch den
Schutz ihrer Habitate erhalten; dazu dienen
46
http://www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/presse/
Wildnis_Hintergrundpapier_Presse_20100511_final_1.pdf
21
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Kellerwald-Edersee in Hessen. Er beträgt jetzt
0,54 Prozent der Landfläche der Bundesrepublik. Dieser Anteil sollte größer werden.
Hektar große Kyritz-Ruppiner Heide gefunden
wird ohne dass dies auf Kosten anderer wertvoller Gebiete geht.
Gerade Schutzgebiete, in denen Nutzungen
ein zentraler Bestandteil des Konzepts sind –
wie zum Beispiel Naturparke und Biosphärenreservate –, brauchen stringente Managementpläne, um die Erreichung der Schutzziele laufend zu evaluieren. Leistungen, die
für die Erbringung des Schutzzieles notwendig
sind, müssen honoriert werden können. Das
gilt für die Nutzerinnen und Nutzer, muss
aber auch für die praktische Naturschutzarbeit
sowie deren wissenschaftliche Begleitung
gelten, die oft von Naturschutzorganisationen
übernommen werden; die biologischen Stationen in Nordrhein-Westfalen sind hierfür ein
gutes Beispiel. Dafür muss der Vertragsnaturschutz gestärkt werden. Leider bleibt es hier
in vielen Ländern bei Lippenbekenntnissen.
U n ser e Z ie l e
Bündnis 90/Die Grünen wollen, dass das
Schutzgebietsnetz Deutschlands – entsprechend der nationalen Biodiversitätsstrategie –
weiter quantitativ und qualitativ verbessert
wird.
Die Unterschutzstellung der Natura 2000Gebiete muss 20 Jahre, nachdem die FFHRichtlinie beschlossen wurde, endlich abgeschlossen werden. Sehr viele dieser Gebiete
haben keine Schutzgebietsverordnung; im
Schutzgebietsmanagement finden wir noch
immer gravierende Vollzugsdefizite. Es müssen fachlich anspruchsvolle Managementpläne entwickelt und fortgeschrieben werden
und es muss ein ausreichendes Monitoring
geben. Deutlichere Nutzungseinschränkungen
sind dabei insbesondere in den Meeresgebieten notwendig.
Schutzgebiete spielen eine wesentliche Rolle
bei der Bewahrung der biologischen Vielfalt.
Sie sind stressarme Rückzugsräume. Von einander isolierte Schutzgebiete allein können
aber nicht die biologische Vielfalt sichern. In
den Blick genommen werden müssen ganze
Landschaften, Wassereinzugsgebiete und Migrationsrouten von Tieren. Deshalb besteht in
Deutschland die gesetzliche Verpflichtung auf
zehn Prozent der Fläche einen Biotopverbund
zu realisieren (§ 20 Bundesnaturschutzgesetz).
(Siehe Kapitel 5.4.3)
Wir wollen auf Bundesebene das Förderprogramm Naturschutzgroßprojekte fortführen.
Der Bund muss mit den Ländern daran arbeiten, die qualitative Entwicklung der Schutzgebiete voranzutreiben und zu überprüfen. Derzeit ist die Bundesregierung hierzu weder
willens noch in der Lage. Wir wollen erreichen, dass in und vor allem zwischen den
Ländern auf eine gute Vernetzung der Schutzgebiete hingearbeitet wird. Eine effektive
Betreuung und Pflege der Gebiete im Sinne
ihrer jeweiligen Schutzzwecke muss sichergestellt werden.
Ökologisch wertvolle Flächen sollen als Nationales Naturerbe nachfolgenden Generationen
erhalten bleiben. Das haben Bündnis 90/Die
Grünen noch zu rot-grünen Zeiten angestoßen. 125.000 Hektar „gesamtstaatlich repräsentativer Naturschutzflächen des Bundes“
sollen aus der Privatisierung genommen und
den Ländern oder Naturschutzorganisationen
für den Naturschutz übertragen werden. Der
Prozess geht aber viel zu träge voran. Die bisher benannte Kulisse von 100.000 Hektar
wird nun endlich schrittweise an die Deutsche
Bundesstiftung Umwelt (DBU), die Länder oder
von diesen benannte Naturschutzorganisationen übertragen. Aktuell wird über die
2. Tranche verhandelt. Dabei ist es wichtig,
dass insbesondere eine Lösung für die 13.000
Das Nationale Naturerbe wollen wir sichern
und ausbauen; das Grüne Band entlang der
früheren innerdeutschen Grenze soll auf seiner ganzen Länge als Weltkultur- und naturerbe vorgeschlagen werden. Es muss als
durchgängiger Biotopverbund erhalten bleiben und dort, wo es ökologisch geboten ist,
muss die Verbindung zu benachbarten
Schutzgebieten hergestellt werden. Ein erster
Schritt ist dabei die Ausweisung als nationales
Naturmonument. Die Integration in das Grüne
Band Europa wollen wir vertiefen. Für Flächen
22
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
des Grünen Bandes im Besitz der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG)
wollen wir zügig eine Lösung finden. Um die
Akzeptanz für das Grüne Band zu bewahren
und zu verbessern, wollen wir die naturverträgliche touristische Nutzung entlang der
früheren innerdeutschen Grenze anschließend
an das Entwicklungs- und Erprobungsvorhaben „Erlebnis Grünes Band“ weiter entwickeln.
turschutzorganisationen oder die Bundesforst.
Ausweisung von zwei Prozent der Landesfläche Deutschlands als repräsentative Wildnisflächen bis 2020; Bereitstellung der dafür erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen
durch die Länder.
Aufstockung der Mittel für den Vertragsnaturschutz.
Den Anteil an Wildnis wollen wir in Deutschland erhöhen, denn wir brauchen im Interesse der biologischen Vielfalt mehr große weitgehend unzerschnittene Gebiete, die frei von
menschlicher Einflussnahme sind und die sich
daher ungehindert entwickeln können. In
Wildnisgebieten findet natürliche Entwicklung
unabhängig von menschlicher Nutzung statt.
Sie stellen eine wichtige Referenz zu den Kulturlandschaften dar und sind einzigartige
Untersuchungsräume für wissenschaftliche
Studien. Wenn Deutschland stärker Wildnis
zulässt, erhöht das auch die internationale
Glaubwürdigkeit Deutschlands hinsichtlich der
Erhaltung von Tropenwäldern und anderer
Wildnisgebiete.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache
17/2005
Fraktionsbeschluss „Erhalten was uns erhält –
Den Biodiversitätsschutz im UN-Jahr der biologischen Vielfalt 2010 strategisch neu ausrichten“ vom 26.01.2010
Antrag: „Kyritz-Ruppiner Heide in ihrer Einheit erhalten – Voraussetzungen für eine
chancenreiche Regionalentwicklung schaffen“
BT-Drucksache 17/1989
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge :
5.4.2.
In Ko op e ra t ion z wi s ch en B u nd un d
Länd e r n
Pro b le m
ARTENSCHUTZ
Die große Artenvielfalt an Tieren und Pflanzen
ist eine wesentliche Voraussetzung für einen
leistungsfähigen Naturhaushalt und damit
unser aller Lebensgrundlage. Gegenstand des
Artenschutzes sind natürliche Populationen
der zu schützenden Arten. Bei diesen handelt
es sich prinzipiell um wild lebende Tier- oder
Pflanzenarten; es gibt heute aber auch Arterhaltungsprogramme für selten werdende
Nutztierrassen oder alte Kulturpflanzen.
Bereitstellung angemessener Haushaltsmittel in den Ländern für die
deutschen Großschutzgebiete, um die
Schutzgebietsarbeit personell und inhaltlich bewältigen zu können.
Erlass einer Rechtsverordnung für NATURA 2000-Gebiete.
Ausweisung des Grünen Bandes als
nationales Naturmonument sowie Vorschlag als Weltkultur- und -naturerbe;
Arrondierung der Flächen des Grünen
Bandes im Rahmen eines Flächenaustausches.
Erweiterung des Nationalen Naturerbes
durch weitere Flächenübertragungen
insbesondere von im Rahmen der
Bundeswehrreform
aufgegebenen
Truppenübungsplätzen an Länder, Na-
In Deutschland kommen mindestens 48.000
Tierarten und mehr als 24.000 Pflanzen und
Pilze vor. Anhaltende starke Bestandsrückgänge im kurz- und langfristigen Trend zeigen
sich u. a. bei Säugetieren und Vögeln gleichermaßen. Am stärksten gefährdet sind Amphibien, hier sind 60 Prozent der einheimischen Arten vom Aussterben bedroht.
22 Wirbeltierarten sind im 20. Jahrhundert in
23
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Deutschland ausgestorben oder verschollen.
Auch wenn Artenschutzmaßnahmen für bestimmte Arten zu Bestandserholungen geführt
haben (Fischotter, Wolf, Biber, Kormoran) so
ist die Gesamtsituation jedoch weiter dramatisch. Artenschutzprogramme zielen auf den
Schutz meist einer einzelnen gefährdeten
bzw. vom Aussterben bedrohten Art ab.
Blaue, Schwarze, Graue und Weiße Listen
werden vom BfN geführt. Für die neu eingewanderten Arten, die vor Ort vorhandene
Arten gefährden – indem sie Krankheiten
übertragen, ökologische Kreisläufe und sogar
das Landschaftsbild verändern oder durch
einkreuzen von Genen heimische Arten verändern – müssen Vorkehrungen getroffen und
Bekämpfungsmaßnahmen ergriffen werden.
Beispielhaft seien hier die Maßnahmen zur
Bekämpfung von Ambrosia genannt. Der
wichtigste Beitrag zur Erhaltung der einheimischen Arten ist jedoch eine vernünftige Bewirtschaftungs- und Landnutzungsform. Dies
betrifft insbesondere auch den Artenschutz in
der Stadt, wo kleinteilige Lebensräume und
massive Regulation die Lebensbedingungen
prägen.
Der Klimawandel stellt das Verhältnis zwischen Gebiets- und Artenschutz vor zusätzliche Herausforderungen, da bisherige Gefährdungsfaktoren für Arten sich mit Arealverschiebungen, veränderten Arteninteraktionen
und Lebensraumverlust überlagern können.
Um die Bestandsveränderungen bewerten zu
können und entsprechende Gegenmaßnahmen begründet einleiten zu können, ist eine
genaue Bestandserfassung unabdingbar.
Das Bundesnaturschutzgesetz ermächtigt die
Bundesregierung, auch solche Arten unter
besonderen (§ 54 Abs. 1 Nr. 2) bzw. strengen
(§ 54 Abs. 2 Nr. 2) Schutz zu stellen, die in
ihrem Bestand gefährdet sind und für die die
Bundesrepublik Deutschland in hohem Maße
verantwortlich ist, wie beispielsweise die
Sumpfspitzmaus.48 Das zuständige Bundesumweltministerium hat von diesen Ermächtigungsgrundlagen für die so genannten Verantwortungsarten noch nicht Gebrauch gemacht.49 Damit könnte aber der Kreis der
streng geschützten Arten erweitert werden.
Zugriffsverbote für diese Arten wären dann in
Planungsverfahren zu berücksichtigen. Wir
Grünen teilen selbstverständlich nicht die
Auffassung einiger Länder, von einer Unterschutzstellung der Verantwortungsarten abzusehen, weil der Artenschutz in Deutschland
bereits jetzt unter einem Vollzugsdefizit leide.
Auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten werden seit 1966 gefährdete
Arten erfasst, die dann besonderen Schutzbestimmungen unterliegen. Rote Listen werden
sowohl international (IUCN) als auch national
(BfN) und auf Länderebene (Obere Naturschutzbehörde) geführt. Die Roten Listen des
Bundes werden alle zehn bis 15 Jahre neu
herausgegeben. Die Liste der bedrohten Vogelarten wird von Bird Life International betreut. Der Nachteil Roter Listen ist, dass die
Verluste einer Art bereits massiv sein müssen,
um in diese aufgenommen zu werden. Weitergehende Gefährdungsanalysen über das
Aussterberisiko hinaus fehlen, so dass eine
Spiegel-Funktion für Veränderungen in der
Landschaft nicht erfüllt wird. Rote Listen sind
kein Frühwarnsystem, sondern sind auf eine
„Alarmfunktion“ begrenzt.
Seit 1998 gibt es auch die Blaue Liste der
erfolgreich erhaltenen und geförderten Tierund Pflanzenarten. Die Schwarzen, Grauen
und Weißen Listen enthalten gebietsfremde
bzw. invasive Arten, die je nach Gefährdung
für einheimische Arten und Lebensräume
sowie dem Wissensstand über diese Gefährdung in diese Listen eingruppiert werden. 47
47
für die Naturschutzpraxis, in: Natur und Landschaft
Heft 9/10, 2008.
48 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Antwort der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Strenger
Schutz von Arten, für die Deutschland in besonderem
Maße verantwortlich ist“, Anlage 1.
ist“ Bundestags-Drucksache 17/1672.
49 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Strenger Schutz
von Arten, für die Deutschland in besonderem Maße
verantwortlich ist“, BT-Drs. 17/1672.
Weiterführend vgl. Franz Essel et al.: Schwarze Listen
invasiver Arte – ein Instrument zur Risikobewertung
24
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Eine solche zynische Argumentation wird der
Herausforderung Artenschutz nicht gerecht.50
Gefährdungen für die Artenvielfalt entstehen
insbesondere durch Habitatszerstörungen,
Nachstellungen (e. c. Jagd), Klimawandel
(Treibhauseffekt) und durch anthropogen
induzierte Krankheiten. Hier müssen wir vor
allem ansetzen, wenn wir den Verlust an Artenvielfalt nachhaltig stoppen wollen.
Weltweit werden nach CITES51-Angaben insgesamt zirka 3,6 Millionen lebende geschützte
Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische und Wirbellose gehandelt. Nicht erfasst
wird der Handel mit ungeschützten Arten, der
aber zu einer Bedrohung für diese werden
kann. Deutschland ist einer der größten Absatzmärkte, insbesondere für so genannte
Exoten.
Wir wollen mehr Wildnis, um ursprüngliche
Natur auch in Deutschland zu bewahren. Für
den Ausgleich zwischen menschlichen Nutzungsinteressen und wild lebenden Arten wie
zum Beispiel Wolf, Luchs, Bär und Kegelrobbe
muss ein bundesweites Handlungskonzept
erarbeitet und mit den Ländern umgesetzt
werden. Abstimmungen sind auch mit den
Anrainerstaaten erforderlich. Für Arten mit
starkem Wanderungsverhalten müssen wir
den Lebensraum wieder vergrößern, indem
wir Lebensraum-Inseln wieder verbinden, sei
es durch einen Biotopverbund, sei es durch
Grünbrücken. Beispielhaft sei hier das Wildkatzenprojekt des BUND genannt. Auch die
Ansiedlung von Wölfen im Bundesgebiet geht
voran und wird heute von fast 80 Prozent der
Bevölkerung befürwortet. Ungefähr 60 Wölfe
werden derzeit in Deutschland vermutet. Wölfe gehören nicht ins Jagdrecht. Vielmehr sind
Managementpläne aufzustellen und für die
Schädigung von Nutztierherden müssen in
Übereinstimmung mit dem EU-Recht staatliche Entschädigungen gezahlt werden. Um die
Akzeptanz für Rückkehrende Wildtiere weiter
zu steigern, sind aber auch begleitende Kommunikationsstrategien
und
Bildungsprogramme notwendig.
U n ser e Z ie l e
Um Umweltveränderungen frühzeitig zu erkennen und um rechtzeitig gegensteuern zu
können, muss das Monitoringsystem um Indikatorarten aus unterschiedlichen Artengruppen ergänzt werden, die auf Veränderungen
in der Landbewirtschaftung oder andere Einflussfaktoren sensibel reagieren.
Wir wollen eine über die Erstellung der Roten
Listen hinausgehende Gefährdungsanalyse
und eine Bewertung des Erhaltungszustandes
bestimmter Arten erreichen (siehe Kapitel
5.2). Wir wollen erreichen, dass Bestandsveränderungen zeitnah dokumentiert und analysiert werden.
Der Schutz aller Arten, für die Deutschland
besondere Verantwortung trägt, muss sichergestellt sein. Hier muss auch der Sachverstand
der Naturschutzorganisationen intensiv eingebunden und Kooperationen müssen verbindlich gestaltet werden.
Für den Artenschutz ist das Zusammenspiel
aus nachhaltiger Nutzung und Gebietsschutz
von zentraler Bedeutung. Daher müssen wir
den direkten Gefahren aus der Nutzung wild
lebender Arten und dem Handel entschiedener begegnen. Der Schutz gefährdeter Arten
muss durch arten- oder lebensraumspezifische Schutzmaßnahmen verbessert werden.
Konflikte durch konkurrierende Habitatsansprüche unterschiedlicher geschützter Arten
wollen wir in Übereinstimmung mit dem Artenschutzrecht lösen. Der Nutzungsdruck, den
zum Beispiel der nach EU-Recht geschützte
Kormoran auf Fischbestände ausübt, berechtigt nicht dazu, sie massenweise abzuschießen. Jede geplante Reduktionsmaßnahme
bedarf einer Verträglichkeitsprüfung. 52
Siehe: www.schwaebische.de/region/wir-imsueden/baden-wuerttemberg_artikel,-Bareiss-FuerEnergiewende-muss.Umweltschutz-auf-denPruefstand-_arid,5190290.html
51 CITES = Washingtoner Artenschutzabkommen.
50
52
25
Vgl. Urteil des Verwaltungsgerichtshofes BadenWürttemberg vom 16. März 2011 zum „Radolfzeller
Aachried“.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Wir stellen uns allen Bemühungen entgegen,
das europäische Recht aufzuweichen und es
unter die Maßgabe einer „ausgewogenen
Balance“ mit den Interessen von Nutzergruppen zu stellen. Nachweisbare Nachteile durch
bestimmten Beutegreifer können und sollten
durch Entschädigungszahlungen ausgeglichen
werden.
Unterstützung der natürlichen Rückkehr ausgerotteter Wildtierarten. Abstimmung von Management- und Wiederbesiedlungsmaßnahmen mit den
Nachbarstaaten sowie verbesserte Aufklärungs- und Akzeptanzstrategien inklusive Entschädigungszahlungen.
Vorlage eines Bundesprogramms zum
Umgang mit invasiven Arten auf der
Grundlage der Grauen und Schwarzen
Listen.
Erarbeitung von Artenschutzvorgaben
für die Pflege öffentlichen Grüns.
Regulierung des Handels, der Haltung
und der Zucht von Wildtieren nach den
Erfordernissen des Vorsorgeprinzips.
Für die Artenvielfalt urbaner Lebensräume ist
ebenfalls ein breiteres Bewusstsein notwendig, um die durch kurzfristige Planung, Nachverdichtungs- und Verkehrssicherungsziele,
vermeintlichen Ordnungssinn und gebietsfremde Arten in Bedrängnis geratenen Arten
und ihre Lebensräume zu schützen. Konkrete
Vorgaben für den Artenschutz im Baurecht
und in der Planung sind hier ein genauso
wichtiger Ansatz wie der Ermessensspielraum
der einzelnen Akteure, um Nisthilfen, Fassaden- und Dachbegrünung o. ä. zu einem Teil
des Stadtbildes zu machen (siehe Kapitel
5.7.).
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Strenger
Schutz von Arten, für die Deutschland in besonderem Maße verantwortlich ist“ BTDrucksache 17/1864
Für den Handel mit exotischen Arten muss das
Vorsorgeprinzip Geltung haben, deshalb muss
der Wildtierhandel besser reguliert werden.
Damit begegnen wir auch der Gefahr, dass
durch Handel eingeführte Arten zu einer Gefahr für die heimische Tier- und Pflanzenwelt
werden (Entkommen, Aussetzen).53
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Fischwanderhilfen an Bundeswasserstraßen – Finanzierung und Umsetzung“ BT-Drucksache
17/4481
Antrag „Dem Verlust an Agrobiodiversität entgegenwirken“ BT-Drucksache 16/5413
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Gefahren
für Bienen durch Pestizide“ BT-Drucksache
17/1520
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge :
In Ko op e ra t ion z wi s ch en B u nd un d
Länd e r n
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Entwicklung und Monitoring der Vogelbestände in
Deutschland, der Europäischen Union und
weltweit“ BT-Drucksache 17/3806
Entwicklung eines Monitoring-Systems
mit einem breiten Spektrum an Indikatorarten, das zugleich als wirksames
Frühwarnsystem dient.
Aufbau eines speziellen Schutzprogramms für die deutschen Verantwortungsarten.
Konsequenter Schutz, Ausweitung und
Vernetzung von Wildnisflächen. (Siehe
Kapitel 5.4.3. und 5.8.)
53
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Umsetzung des ASCOBANS-Abkommens und Schutz
von Kleinwalen in Deutschland“ BTDrucksache 17/5009
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Vorkommen und Schutz des Juchtenkäfers“ BTDrucksache 17/4157
Nach IUCN-Angaben werden aktuell fast 700 Reptilien- und Amphibienarten als potenziell invasiv eingestuft, zahllose Säugetiere, Vögel, Fische und Wirbellose kommen hinzu. Siehe: Aliens: The Invasive Species
Bulletin, IUCN 28: 13-18, F. Kraus: Global trends in
alien reptiles and amphibians.
26
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
5.4.3.
BIOTOPSCHUTZ UND
BIOTOPVERBUND
dass alle früher extensiv genutzten Offenlandbereiche (Feucht- und Niedermoorgrünland, Magerrasen, Sandmagerrasen, Zwergstrauchheiden usw.) mittel- bis langfristig mit
traditionellen Konzepten des Natur- und Kulturlandschaftsschutzes erhalten werden können. Die Gründe hierfür sind vor allem der
Rückzug der Landwirtschaft aus diesen Bereichen und die begrenzte Verfügbarkeit von
Finanzmitteln für den Naturschutz und die
Biotoppflege.
Pro b le m
Der Zustand des Naturhaushaltes ist in
Deutschland an dramatischen Zahlen ablesbar: Über zwei Drittel aller vorkommenden
Biotoptypen sind als gefährdet eingestuft.
Der Anteil der vollständig vernichteten Biotoptypen hat deutlich zugenommen. Weniger
als die Hälfte aller gefährdeten Biotoptypen
ist in ihrem derzeitigen Bestand stabil. Einzige
positive Nachricht: Der Anteil der von vollständiger Vernichtung bedrohten Biotoptypen
hat abgenommen. Die Schutzbemühungen für
diese Biotoptypen scheinen also erste Erfolge
zu zeigen. Die stark gefährdeten und die gefährdeten Biotoptypen haben jedoch anteilsmäßig zugenommen.54
Die Misere beim Schutz der Biotoptypen spiegelt sich auch in den Naturräumen wider. Die
sechs Hauptlebensraum- und Landschaftstypen Deutschlands sind: Agrarland, Wälder,
Siedlungen, Binnengewässer, die Meere einschließlich der Küsten sowie die Alpen. Deren
Entwicklung wird im Rahmen der nationalen
Biodiversitätsstrategie statistisch mit Hilfe
ausgewählter Vogelarten als Indikatorenarten
abgebildet. Der Indikatorenbericht 2010 stellt
fest, dass sich Agrarland, Siedlungen sowie
Meere und Küsten in den letzten zehn Jahren
bis 2008 signifikant weg von den Zielen der
NBS entwickelt haben, eine Trendumkehr ist
nicht zu erkennen. Binnengewässer und Alpen stagnieren, allein die Wälder weisen
beim Arten-Indikator einen leicht positiven
Trend auf, erreichen aber auch nicht das vorgegebene Ziel.55
Besonderer Bedeutung hat auch die Bewertung der Ausgleichbarkeit von Eingriffen in
den Naturhaushalt. Rund ein Viertel der gefährdeten Biotoptypen gelten als nicht oder
kaum regenerierbar, 28 Prozent als schwer
regenerierbar und nur 21 Prozent als in überschaubaren
Zeiträumen
bedingt
regenerierbar.
Die künftige Entwicklung der Biotoptypen
hängt von vielen Faktoren ab. Zu nennen sind
hier vor allem der Klimawandel und die EUAgrarpolitik mit ihren zum Teil naturschutzwidrigen Fördertatbeständen.
Von großer Bedeutung für die Sicherung von
Lebensräumen ist die räumliche Vernetzung
von Teillebensräumen. Doch die seit 2002 in
Deutschland bestehende gesetzliche Verpflichtung, zehn Prozent der Landesfläche
durch einen Biotopverbund zu vernetzen, ist
noch immer unerfüllt. Eine besondere Rolle
kommt hier dem Grünen Band entlang der
früheren innerdeutschen Grenze zu.
Biotopschutz beinhaltet alle Maßnahmen zur
Erhaltung oder Wiederherstellung der Lebensräume von Pflanzen- und Tiergemeinschaften. Besonders positiv auswirken würde sich
eine konsequente Umsetzung der FFH- und
der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Davon sind
wir leider noch weit entfernt. Ebenso große
Bedeutung hat die konstruktive Einbeziehung
der Landnutzer in den Biotopschutz. Gerade
der Schutz von Lebensräumen, die auf Grund
historischer Nutzung entstanden sind wie die
meisten Offenlandbereiche stößt auf besondere Schwierigkeiten. Es ist unwahrscheinlich,
54
U n ser e Z ie l e
Biotoppflege findet durch unterschiedliche
Akteure statt, von der öffentliche Hand, über
Verbände bis hin zu Privatpersonen. Besondere Verantwortung übernehmen dabei die
Landschaftspflegeverbände, aber auch im
Bundesamt für Naturschutz: Rote Liste der gefährdeten
Biotoptypen Deutschlands (2006).
55
27
Indikatorenbericht 2010 zur Nationalen Strategie zur
biologischen Vielfalt, Nov. 2010, S.11ff.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Bereich der Stadtplanung müssen Biotopschutz und -verbund stärker berücksichtigt
werden. Alle Handelnden brauchen politische,
finanzielle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, um wirksamen Biotopschutz realisieren zu können.
Umdenken in vielen Bereichen – von der
Land- und Forstwirtschaft über die Bauwirtschaft bis hin zur Verkehrsplanung. Dafür
wollen wir die politischen Leitplanken setzen.
Durch einen rechtsverbindlichen „Bundesnetzplan Biotopverbund“ wollen wir in Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern
den Aufbau des Biotopverbundes ebenso voranbringen wie durch den Aufbau einer entsprechenden Bund-Länder-Koordination. Die
in Frage kommenden Verbindungsflächen
haben häufig noch keinen Schutzstatus. Hier
wollen wir in den Ländern entsprechende
Förderprogramme ermöglichen, die diese
Verbindungsflächen durch Aufwertungsmaßnahmen in ihrer naturschutzfachlichen Ausstattung optimieren. Ein Bundesprogramm für
die Wiedervernetzung ist hierfür ein besonders wichtiges unterstützendes Instrument
(siehe Kapitel 5.8.).
Wir müssen Biotopschutz und -pflege verbessern. Dazu wollen wir naturschutzfreundliche
Nutzungen – wie Beweidung oder Streuobstwiesen – fördern. Auch alte Haustierrassen
können hier ihren Einsatz finden: Schafbeweidung auf Halbtrockenrasen, Rinderbeweidung auf Grünland. Artenreiche Grünlandbestände wollen wir erhalten, ebenso die extensive Nutzung schwierig zu bewirtschaftender Lagen (Hanglagen, besonders trockene
oder besonders nasse Standorte). Die durch
Biotoppflege anfallende Biomasse wird oft
noch aufwändig entsorgt, sie sollte nach
Möglichkeit in Biogasanlagen oder Hackschnitzelanlagen aufgenommen werden. Das
würde zur Finanzierung der Biotoppflege beitragen. Städtisches Grün muss so gestaltet
und gepflegt werden, dass der Biotopverbund
innerhalb der Stadt und mit Anschluss an das
Umland gewährleistet ist.
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge :
In Ko op e rat ion z wi s ch en B u nd un d
Länd e r n
Stärkere Förderung von landschaftspflegenden
Bewirtschaftungsformen
sowohl durch Agrar- als auch Naturschutzprogramme.
Einbindung der Biotoppflege in die
energetische Nutzung von Biomasse.
Auflage eines „Bundesnetzplans Biotopverbund“ und Aufbau einer entsprechenden
Bund-LänderKoordination.
Der Biotopverbund als Länder übergreifendes
System von Kernflächen, die mit linienhaften
Korridoren oder Trittsteinbiotopen miteinander verbunden sind, wollen wir so ausgestalten, dass funktionsfähige ökologische Wechselbeziehungen in der Landschaft bewahrt,
wiederhergestellt und entwickelt werden.
Dadurch stellen wir sicher, dass der genetische Austausch zwischen Populationen, Tierwanderungen sowie natürliche Ausbreitungsund Wiederbesiedlungsprozesse ermöglicht
werden. Grundlage dafür ist das vom Bundesamt für Naturschutz mit den Ländern erarbeitete Fachkonzept.56 In dieses müssen aber
auch die Verbundflächen der Meeresgebiete
integriert werden. Zugleich muss in der Europäischen Union auch die Mitgliedsstaaten
übergreifende Zusammenarbeit vertieft werden. Damit der geplante Biotopverbund tatsächlich funktionieren kann, brauchen wir ein
56
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antrag „Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren“ BT-Drucksache 17/6502
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Beitrag
der Moore zum Klima-, Hochwasser- und
Grundwasserschutz“ BT-Drucksache 17/7649
Antrag „Strategie für Klimaschutz im Verkehr
vorlegen“ BT-Drucksache 17/4040
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Wiedervernetzung von Naturräumen“ BT-Drucksache
17/2399
Bundesamt für Naturschutz: Länderübergreifender
Biotopverbund in Deutschland (2011)
28
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
bend. Danach haben die Mitgliedsstaaten
dafür Sorge zu tragen, dass ihre Oberflächengewässer bis zum Jahre 2015 einen guten
biologischen, hydromorphologischen und
chemischen Zustand erreicht haben, erheblich
veränderte Gewässer ein gutes ökologisches
Potenzial und das Grundwasser eine gute
chemische und mengenmäßige Qualität aufweisen. Die WRRL lässt bei der Zielerreichung
leider Fristverlängerungen bis 2027 zu, die
Deutschland vielfach in Anspruch nehmen
wird. Die Datenerhebung ist in Deutschland
unzureichend koordiniert und muss dringend
optimiert und mit anderen Vorgaben wie der
FFH-Richtlinie harmonisiert werden.61
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Der besondere naturschutzfachliche Planungsauftrag
in der Planungspraxis für den Neubau von
Verkehrswegen des Bundes“ BT-Drucksache
17/2032
5.4.4.
GEWÄSSER- UND AUENSCHUTZ
Pro b le m
Natürliche und naturnahe Gewässer sind von
herausragender Bedeutung für die Erhaltung
der biologischen Vielfalt. In Flüssen, Bächen,
Seen, Übergangs- und Küstengewässern finden zahlreiche Arten ihre Lebensräume. 57
Vielfältige Bemühungen im Bereich der Gewässerreinhaltung während der letzten Jahrzehnte haben die biologische Wasserqualität
insgesamt verbessert. Besonders dazu beigetragen hat der Aus- und Neubau von Kläranlagen. Jedoch haben Verbauung und Entwässerung der Auen zu gravierenden Veränderungen der Gewässermorphologie 58 sowie zu einer Veränderung der natürlichen Abflussdynamik geführt, die wiederum eine strukturelle
Verarmung und den Verlust an Artenvielfalt
bewirkt. Die deutschen Fließgewässer sind
durchschnittlich alle zwei Kilometer durch
einen Querverbau59 für Organismen und Sedimente nicht mehr durchgängig. Diese Veränderungen, gepaart mit Nährstoffeinträgen
aus der Landwirtschaft, Verschmutzungen aus
Industrie und Siedlungen bis hin zur
Abwärmeeinleitung, sind heute die wesentlichen Belastungsfaktoren unserer Gewässer.60
Die Einzugsgebiete der Flüsse als maßgebende
Größe halten sich nicht an administrative und
nationalstaatliche Grenzen, sondern folgen
ökosystemaren Zusammenhängen. Deshalb ist
eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen den
Ländern und mit den Anrainerstaaten erforderlich. Bei der Aufstellung, Überprüfung und
Aktualisierung der Bewirtschaftungspläne, die
nach der WRRL für jede Flussgebietseinheit 62
zu erstellen sind, muss eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung sichergestellt werden.
Alarmierend ist, dass sich nach den Bewertungsmaßstäben der WRRL zeigt , dass 2009
nur zehn Prozent der Wasserkörper einen
guten oder sehr guten ökologischen Zustand
erreichten – 39 Prozent bei den Seen, neun
Prozent bei den Fließgewässern. Die Küstenund insbesondere die Übergangsgewässer
verfehlten diesen Zustand nahezu vollständig.
Für den schlechten Zustand ist insbesondere
ein vom Menschen verursachtes Nährstoffüberangebot mit negativen Folgen wie Algenwachstum,
Sauerstoffzehrung
und
Biodiversitätsverlust verantwortlich.63 Problematisch ist außerdem, dass Nutzer von Wasserdienstleistungen wie die Kühlung von
Kraftwerken für diese Nutzung nicht aufkommen müssen.
Für den Schutz der deutschen Gewässer ist die
EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) maßge-
In Deutschland gibt es ca. 9.900 Wasserkörper – 9.070
in Flüssen und Bächen, 710 in Seen, 5 in Übergangsund 74 in Küstengewässern.
58 Gewässermorphologie – Ausprägung eines Fließgewässers hinsichtlich seines Gewässerbettes, seines
Ufers und seines Umlandes. In Deutschland unterscheidet man 25 verschiedene Gewässertypen, deren
Vorkommen sich vom Alpenvorland bis zu den Meeresküsten erstreckt.
59 Zirka 200.000 Wehre insgesamt.
60 Indikatorenbericht 2010 zur Nationalen Strategie zur
biologischen Vielfalt, S.27.
57
Vgl. Sondergutachten des Sachverständigenrates für
Umweltfragen „Umweltverwaltungen unter Reformdruck“, a.a.O., S. 36.
62 Das sind: Donau, Rhein, Maas, Ems, Weser, Elbe, Eider,
Oder, Schlei/Trave, Warnow/Peene.
63 BMU (Hrsg.): Die Wasserrahmenrichtlinie – Ergebnisse
der Bewirtschaftungsplanung 2009 in Deutschland.
61
29
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Bis auf den Rhein, die untere Elbe und einige
Kanäle steht der Ausbau unserer Flüsse und
die damit verbundene Zerstörung der Biodiversität in keinem Verhältnis zu ihrem tatsächlichen Nutzen als Schifffahrtsstraßen.
zur Wiedergewinnung von 35.000 Hektar naturnaher Überflutungsflächen an der Elbe
Hochwasserschäden im Umfang von durchschnittlich 6 Millionen Euro pro Jahr vermieden werden können. Die wiedergewonnenen
Auenflächen vermindern gleichzeitig schädliche Nährstoffbelastungen des Gewässers und
ersparen hierdurch alternativ erforderliche
Maßnahmen zur Erreichung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie im Umfang von noch
einmal 16 Millionen Euro jährlich.“65
Trotz der immensen Bedeutung der Grundwasservorkommen für die Wasserversorgung
der Menschen und ihren immensen ökosystemaren Wert, gibt es für den Grundwasserschutz bisher noch immer ausschließlich chemische und mengenmäßige Parameter. Hier
ist weitere Forschung erforderlich, um zu Kriterien für die Beurteilung und den Schutz der
Grundwasserökosysteme zu kommen.
U n ser e Z ie l e
Wir wollen den Schutz der Gewässer und Auen
deutlich verbessern und überall dort, wo
möglich, Auen renaturieren und frei fließenden Flüssen Vorrang gewähren. Das erfordert
tiefgreifende Veränderungen wie Nutzungsänderungen, Deichrückbauten und Rücknahmen von Flussbegradigungen, die sich nicht
nur auf hydrologische Maßnahmen beschränken, sondern auch auf die Wiederherstellung
der auentypischen Vielfalt gerichtet sein müssen. Auen brauchen keine Regelprofile, sondern sollen sich als Wildnis-Flächen entwickeln können. Hier sind vor allem Bund und
Länder als Eigentümer von Auenflächen gefragt und für die Kontrolle des konsequenten
Vollzugs verantwortlich. 66
Flüsse und ihre Auen stellen häufig überregional einzigartige Biotopverbundachsen dar.
Sie gehören zu den artenreichsten, aber auch
zu den gefährdetsten Lebensräumen überhaupt. Auen sind zudem Überflutungsräume,
die wesentlich zum Schutz vor Hochwasserschäden beitragen. Ihren Zustand dokumentiert der Auenzustandsbericht von 2009.64 Bis
2020 sollen Fließgewässer und Auen in ihrer
Funktion als Lebensraum gesichert werden, so
dass eine naturraumtypische Vielfalt an Organismen und Biotopen gewährleistet ist. Konkret sollen die heute noch überflutbaren Teile
der Flussauen von Rhein, Elbe, Donau, Weser,
Ems, Oder, Maas sowie der direkten Zuflüsse
zur Nord- und Ostsee erheblich vergrößert
werden. Davon sind wir weit entfernt. Gemessen am Indikatorenwert zwischen null
Prozent (alle Auen sind sehr stark verändert)
bis 100 Prozent (alle Auen sind nur sehr gering verändert) ergibt sich für das Jahr 2009
ein Wert von 19 Prozent. Nur zirka zehn Prozent konnten als sehr gering verändert eingestuft werden. Vor allem der Rhein (13 Prozent)
weist schlechte Werte auf. Wesentliche Ursachen sind die intensive landwirtschaftliche
Nutzung der Auen, eine starke Einschränkung
der Überschwemmungsräume durch Bautätigkeiten sowie der weit reichende Gewässerausbau. Dabei unterstreicht selbst der Umweltwirtschaftsbericht der Bundesregierung,
dass „durch die Rückverlegung von Deichen
64
Ein zentrales Handlungsfeld hierfür ist eine
Novelle des Hochwasserschutzgesetzes, in
dem ein allgemeines Bau- und Nutzungsverbot der Überflutungsflächen (Auen) innerhalb
eines bestimmten Korridors (mit Ausnahmen
für Grünlandnutzung, Häfen, Anlegestellen
usw.) eingeführt werden soll, sowie im Ausbreitungsgebiet eines 10-jährigen Hochwassers Restriktionen für Pestizide und Dünger,
um eine Gewässerverunreinigung auszuschließen.
Wir wollen die Umwandlung aller in öffentlichem Besitz befindlichen Gewässerrandstrei-
Umweltwirtschaftsbericht 2011, Daten und Fakten für
Deutschland
http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/4210.pdf.
66 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages:
Kontrolle des Hochwasserschutzes durch eine Bundesbehörde. Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 064/12.
65
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit: Auenzustandsbericht (2009).
30
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
fen in tatsächlich ungenutzte Renaturierungsflächen erreichen. Die Renaturierung muss
Teil eines umfassenden Konzeptes zur Neuordnung der Bundeswasserstraßen werden.
Auen in ein neues Bundeswasserstraßenkonzept.
Striktere Durchsetzung der Bewirtschaftungsauflagen bei Gewässern und
ihren Auen, die Teil des europaweiten
Schutzgebietssystems Natura 2000
sind.
Schnellstmögliche und vollständige
Umsetzung
der
EUWasserrahmenrichtlinie mit Unterstützung
durch
eine
Bund-LänderArbeitsgruppe, insbesondere für die
Kostendeckung bei allen Wasserdienstleistungen im Sinne des Verursacherprinzips und für den Schutz von Gewässerrandstreifen.
Die Mittel- und Oberelbe, als einer der letzten
frei fließenden großen Flüsse in Deutschland,
soll als einzigartige Flusslandschaft erhalten
und in einen möglichst naturnahen Zustand
überführt werden. Insgesamt muss – auch an
anderen Flüssen wie der Donau – eine ehrliche Bilanz gezogen werden: Wie viel Transport
erträgt der Fluss ohne an biologischer Vielfalt
zu verlieren?
Dabei soll auch die Arbeit der internationalen
Gewässerkommissionen an Rhein, Mosel, Donau, Elbe und Oder gestärkt werden, denn
Flussökologie und Hochwasserschutz können
hier nur gemeinsam mit den Nachbarländern
sinnvoll vorangebracht werden.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antrag „Elberaum entwickeln - Nachhaltig,
zukunftsfähig und naturverträglich“ BTDrucksache 17/4554:
Die Wasserrahmenrichtlinie muss endlich
konsequent umgesetzt werden. Alle Wasserdienstleistungen müssen nach dem Verursacherprinzip bezahlt werden. Dazu zählen neben der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung unter anderem die Wasserentnahme zur Kühlung von Industrieanlagen
oder zur Bewässerung in der Landwirtschaft.
Antrag „Auenschutzprogramm vorlegen“ BTDrucksache 17/1760
Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Privatisierung von bundeseigenen oberirdischen
Gewässern BT-Drucksache 17/653
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Fischwanderhilfen an Bundeswasserstraßen – Finanzierung und Umsetzung“ BT-Drucksache
17/4481
Uns ist klar: Alle Maßnahmen im Gewässerund Auenschutz werden nur dann weit reichende Wirksamkeit entfalten, wenn die
Landwirtschaft ebenso konsequent dazu beiträgt. Insbesondere Gewässerrandstreifen
müssen besonders geschützt werden.
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Beitrag
der Moore zum Klima-, Hochwasser- und
Grundwasserschutz“ BT-Drucksache 17/7649
Antrag „Strategie für Klimaschutz im Verkehr
vorlegen“ BT-Drucksache 17/4040
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Erneute
Mahnung Deutschlands durch die EUKommission wegen unzureichender Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie“ BTDrucksache 17/8036
Bu nd
Novelle des Hochwasserschutzgesetzes,
um Vorrang für frei fließende Flüsse
bzw. deren Renaturierung und den
Auenschutz zu gewährleisten sowie
Auflage eines nationalen Fluss- und
Auenprogramms.
Ökologische Integration der Bundeswasserstraßen in den Gewässerschutz;
Einbeziehung der Schwerpunkte Hochwasserschutz und Renaturierung von
31
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
5.4.5.
SCHUTZ DER BIODIVERSITÄT
IN OST- UND NORDSEE
tiert wird und das Problem deutlich höher ist
als bekannt. Schon seit Jahren muss der Bestand von Schweinswalen in der zentralen
Ostsee als akut bestandsgefährdend eingestuft
werden.
Pro b le m
Deutschland hat rund 40 Prozent seiner Meeresfläche in Nord- und Ostsee als Schutzgebiet
nach der Fauna-Flora-Habitat- oder Vogelschutzrichtlinie ausgewiesen. Dies ist in Europa bislang einmalig. Bis auf wenige fehlende
Flächen sind damit national die schützenswerten Gebiete formal unter Schutz gestellt.
Doch der tatsächliche Schutz, der daraus resultiert, ist sehr unterschiedlich und insgesamt unzureichend. So darf noch immer uneingeschränkt in den Natura 2000-Gebieten
gefischt werden; Eingriffe wie Kiesabbau oder
die Errichtung von Bauten müssen zwar auf
die Vereinbarkeit mit dem Schutzziel überprüft werden, werden aber häufig dennoch
durchgeführt. Ein Teil der Natura 2000Gebiete sind gleichzeitig Nationalparke, in
denen über den Arten- und Lebensraumschutz hinaus auch umfassender Gebietsschutz das Ziel ist. Die Hürden für Eingriffe
sind hier höher.
Darüber hinaus sind aber auch Schutzgebiete
für die Sicherung der Bestände von empfindlichen Seevogelarten, Bodentieren, Fischen,
Kleinwalen und Robben von großer Bedeutung. Die Natura2000-Gebiete müssen Tabuzonen für die Offshore-Windkraft sein bzw.
bleiben. Die ökologischen Belastungen aller
Offshore-Anlagen müssen umfassend erfasst,
geprüft und so gering wie irgend möglich
gehalten werden. Das gilt ebenso für Sandund Kiesabbau, Öl- und Gasexploration und
eine Reihe von fischereilichen Nutzungen wie
Muschelkulturen.
Entsprechend der EU-Meeresstrategierahmenrichtlinie sollen die deutschen Meeresgebiete
bis 2020 einen „guten Umweltzustand“ erreichen. Dazu ist es notwendig, die bisher isoliert betrachteten Bereiche – zum Beispiel
Schifffahrt, Fischerei, Offshore-Energie, Meeresschutz und Entwicklung der Küstenregionen – übergreifend in einen Nutzungs- und
Schutzzusammenhang zu stellen. Zunächst
muss aber der „gute Umweltzustand“ definiert werden.
Noch findet aber in den Schutzgebieten umweltschädliche Fischerei – zum Beispiel mit
Grundschleppnetzen oder Stellnetzen – statt.
Sande und Kiese werden abgebaut. Planungen, Öl- und Gasvorkommen weiter auszubeuten oder CO2-Verpressungen vorzunehmen, sind nach wie vor nicht vom Tisch.
Die Meeresökosysteme werden durch den
Klimawandel besonders gestresst. Die Meere
werden wärmer und nehmen die Kohlenstoffdioxid-Mengen auf. Die dadurch resultierende Versauerung der Meere entzieht Organismen mit Kalkgehäuse (Korallen, Kieselalgen)
die Lebensgrundlage.67
Meeressäugetiere wie Robben, Wale, Delfine
sind durch Fischerei, Verkehr, Verschmutzung
und Baumaßnahmen erheblich bedroht. Dabei ließen sich die Auswirkungen mit technischen Maßnahmen in vielen Fällen deutlich
lindern. So sollten beim Bau von Windenergieanlagen Lärmschutzvorkehrungen verbindlich eingesetzt und in der Fischerei der Beifang durch naturschonende Fangtechniken
reduziert bzw. ausgeschlossen werden. Gerade die Beifang-Problematik, die auch Seevögel und andere Meeresorganismen betrifft,
erfordert eine bessere Kontrolle und Dokumentation, um die Maßnahmen optimal anpassen zu können. Bislang ist davon auszugehen, dass nur ein Teil des Beifangs dokumen-
Die fehlenden physischen Grenzen zwischen
unterschiedlichen Meeresgebieten legen aber
auch andere Schutzmaßnahmen als die rein
flächengebundene Ausweisung von Schutzzonen nahe. So beweisen Maßnahmen zur zeitlichen Einschränkung der Fischerei bzw. Ausschlusszeiten, dass sie zur Erholung der Bestände beitragen. In Verbindung mit weniger
67
32
Umweltbundesamt (Hrsg.): Klimawandel und marine
Ökosysteme: Meeresschutz ist Klimaschutz, DessauRoßlau, 2009.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
zerstörerischen und schädigenden Fangmethoden als beispielsweise Grundschleppnetzen ließe sich bereits eine erhebliche Entlastung für die Meeresökosysteme erreichen.
Beispiele finden sich neben Fischfallen und
Reusen vor allem in der Gestaltung und Beschwerung der Netze.68 Die Erforschung und
Entwicklung umweltverträglicher Fangmethoden wird in Deutschland leider noch vernachlässigt.
2000-Gebieten und die Möglichkeit zur
Schaffung fischerei- und nutzungsfreier Zonen
einschließen. Wir wollen die EU-Fischereipolitik nachhaltig ausrichten. Die festgelegten
Gesamtfangmengen dürfen die wissenschaftlichen Empfehlungen nicht mehr übersteigen.
Die Beifänge müssen deutlich vermindert
werden. Die Fangkapazitäten müssen europaweit an nachhaltige und bestandssichernde
Fangmengen angepasst werden. Wir wollen
die Entwicklung und Umstellung auf schonende Fangtechniken fördern. Für besonders gefährdete Arten wie Hummer, europäische
Auster oder europäischen Stör sind gezielte
Aufbauprogramme notwendig.
Die Europäische Fischereipolitik (GFP) konnte
immer noch nicht für alle kommerziell genutzten Fischbestände in Nord- und Ostsee
sicherstellen, dass sie bestandserhaltend und
ökologisch nachhaltig befischt werden. Der
EU-Fischereirat legt immer noch alljährlich
höhere Gesamtfangmengen fest als von den
Wissenschaftlern empfohlen wird. Die Folgen
sind nicht nur für die Meeresumwelt fatal,
sondern auch für die Fischerei, die bei höherem Fischereiaufwand geringere Fänge hat.
Die Bestandserholung bei Fischarten, die in
den letzten Jahren bereits schonend befischt
wurden, belegt die Wirksamkeit einer nachhaltigen Fischereipolitik und die Widersinnigkeit einer Politik der Überfischung.
Wir wollen die neuen Möglichkeiten und Herausforderungen
der
EU-MeeresstrategieRahmenrichtlinie nutzen, um durch konsequente Umsetzung von Maßnahmen in den
deutschen Meeresgebieten bis 2020 einen
„guten Umweltzustand“ zu erreichen. Die
umweltverträgliche Nutzung von Rohstoffen,
die Verringerung von Nährstoff- und Müllbelastungen sowie Mindestanforderungen an
Schifffahrt und Off-Shore Windkraft sind hierfür die wichtigsten Schwerpunkte.69
Darüber hinaus sind Nord- und Ostsee vielfältigen anderen Gefährdungen ausgesetzt: Havarien von Öltankern und Gefahrgutfrachtern,
diverser Müll, Überdüngung, Schadstoffeinträge, Unterwasserlärm von seismischen Untersuchungen, Baumaßnahmen, militärische
Aktivitäten oder Sprengungen, Einschleppung
von Fremdorganismen durch Schifffahrt oder
Aquakultur.
Wir wollen ein effektives Monitoring aller
marinen Lebensräume und Arten und aller
genutzten Meeresorganismen aufbauen. Das
ist die Voraussetzung für eine Wiederherstellung von geschädigten Meereslebensräumen.
Überwachung und Kartierung sind auch für
die Lärmbelastung (Quellen und Höhe der
Belastung) notwendig, um die Einhaltung von
Grenzwerten sicherstellen zu können.
U n ser e Z ie l e
Für Wildfänge wollen wir eine glaubwürdige
und wissenschaftlich belastbare Zertifizierung
(z. B. durch das Marine Stewardship Council
MSC) stärken, die es Verbraucherinnen und
Verbrauchern erlaubt, zu erkennen, welche
Angebote ökologisch verträglich sind.
Wir wollen effektive Maßnahmen zum Schutz
von Arten und Lebensräumen und zur Sicherung der natürlichen ökologischen Abläufe
insbesondere in den Meeresschutzgebieten
ergreifen. Dies muss auch europaweit einheitliche Regelungen zur Fischerei in Natura
68
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge :
Bernd Mieske: Alternative Fangmethoden aus der Sicht
der Fischereiforschung. In: Informationen aus der
Fischeriforschung, 54 (2007), S. 46–50; DOI:
10.3220/Infn54_46-50_2007; Antrag 16/1151: UNMoratorium für die Grundschleppnetzfischerei auf der
Hohen See durchsetzen.
69
33
Schifffahrt verbindet. Fraktionsbeschluss vom
13.12.2011 http://www.gruenebundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/399/399246.schifffahrt
.pdf
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Bu nd, Lä nd e r u nd E u r opä i sc h e Un io n
Fraktionsbeschluss „Schifffahrt verbindet“
vom 13.12.2011
Nachhaltige Nutzung von Meeresorganismen, insbesondere durch umfassendes Monitoring aller genutzten Arten und die Förderung einer glaubwürdigen
NachhaltigkeitsZertifizierung für Wildfänge, die Ausrichtung der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU an wissenschaftlichen
Erkenntnissen,
den
Wiederaufbau
übernutzter Bestände bestimmter Arten sowie nutzungsfreie Zonen.
Anerkennung von Schutzgebieten als
Sperrzonen für den Rohstoffabbau im
Meer und Verankerung von Haftungsregeln für Umweltschäden durch Rohstoffabbau im Meer über eine EUVerordnung.
Antrag „Rohstoffförderung im Meer - Aus der
Katastrophe lernen“ BT-Drucksache 17/3662
Antrag „Chancen der EU-Fischereireform 2013
nutzen und Gemeinsame Fischereipolitik
grundlegend reformieren“ BT-Drucksache
17/3209
Antrag „Ölkatastrophen vermeiden - Raubbau
an Mensch und Natur ausschließen“ BTDrucksache 17/1572
Antrag „Schutz der Meere vor Vermüllung und
anderen Verschmutzungen“ BT-Drucksache
17/1763
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Umsetzung des Strategischen Plans der UNBiodiversitätskonvention, insbesondere im
Meeresschutz“ BT-Drucksache 17/5578
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Umsetzung des ASCOBANS-Abkommens und Schutz
von Kleinwalen in Deutschland“ BTDrucksache 17/5009
Bu nd un d Lä nd e r
Effiziente Rechtsverordnungen und
Managementpläne für alle marinen
Natura 2000-Gebiete einschließlich
nutzungsfreier Zonen sowie umgehender effektiver Schutz der vom Aussterben
bedrohten
SchweinswalPopulationen in der zentralen Ostsee
vor Beifängen in der Fischerei und
Unterwasserlärm; ebenso konsequenter Schutz des Bestandes in der westlichen Ostsee und Nordsee.
Verbindlicher Schutz vor Umweltbelastungen im Meer durch ein gesetzliches
Verbot der Ölförderung im Watt und in
der Tiefsee, konsequenten Lärmschutz,
Lotsenpflicht in schwierigen Passagen
(Kadettrinne), bestmöglichen Artenschutz bei allen genehmigten und geplanten Windenergieanlagen sowie
verstärkte Bekämpfung des Plastikmülls im Meer.
Stärkung des Meeresnaturschutzes in
Behörden, Forschung und Lehre (siehe
Kapitel 5.12.).
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Vorbeugung von Ölhavarien im Meer“ BT-Drucksache
17/6979
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Präsidentschaft Deutschlands im Ostseerat“ BTDrucksache 17/6408
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie“
BT-Drucksache 17/4765
5.4.6.
WALDSCHUTZ
Pro b le m
Von der ursprünglichen Naturausstattung her
ist Deutschland ein (Buchen-)Waldland:
Deutschland wäre ohne menschliche Besiedlung fast vollständig bewaldet. Die vorherrschende Waldbaumart wäre die Buche. Auch
heute noch ist knapp ein Drittel der Landfläche Deutschlands mit Wäldern bedeckt, wenn
auch die allermeisten davon vom Menschen
bewirtschaftete Forste sind. Der Buchenwaldanteil liegt jedoch bei nur 15 Prozent, während mehr als 50 Prozent Nadelwälder sind.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
34
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Wälder erfüllen vielfältige gesellschaftliche
und ökologische Funktionen. Zunehmend
wächst das Verständnis dafür, dass Wälder
eine eminent hohe Bedeutung für die Bewältigung der Herausforderungen des Klimaschutzes haben. Sie sind aber auch in besonderer Weise vom Klimawandel betroffen. Gesunde Wälder sind entscheidende Faktoren
für die Erhaltung ökosystemarer Leistungen,
die die Grundlage jeden Lebens bilden, wie z.
B. die Wasserspeicherung, die Luftreinhaltung
und die Erhaltung fruchtbarer Böden. Als Lieferant des nachwachsenden Rohstoffes Holz
sind Wälder eine der Grundlagen für den
Wohlstand der Menschen. Und nicht zuletzt
sind Wälder Ziel vieler gesunder Freizeitaktivitäten und von hohem kulturellen Wert.
lung, Klimaschutz und der Schutz waldtypischer Biotope drohen so mit der Holznutzung
in Konflikt zu geraten. In vielen Teilen der
Welt zerstört die Holzwirtschaft durch Raubbau und Übernutzung einzigartige Biotope
und Urwälder. So sägt die Forstwirtschaft im
wahrsten Sinne des Wortes an dem Ast, auf
dem sie selber sitzt.
Auch die inländischen Potenziale für Waldholz
sind bereits weitgehend ausgeschöpft und auf
Teilflächen bereits übernutzt. Laut Inventurstudie des Bundes wurden in den Jahren
2002 bis 2008 durchschnittlich knapp 107
Millionen Kubikmeter Holz und damit 93 Prozent des Zuwachses durch Holzeinschlag und
natürlichen Abgang abgeschöpft. Diese Zahl
dürfte seither noch gestiegen sein, so dass die
Wälder in Deutschland ihre Senkenfunktion
für Kohlenstoff weitgehend verloren haben.
Wenn die Holznachfrage weiter steigt, dann
wird es also früher oder später zu einem Vorratsabbau in deutschen Wäldern kommen.
Dabei wäre bereits eine vollständige Ausnutzung des Zuwachses mit erheblichen Problemen verbunden. Denn es gibt nach den
kriegs- und nachkriegsbedingten Kahlschlägen sowie nach der Kahlschlagforstwirtschaft
und den Stürmen der letzten Jahrzehnte noch
sehr viele junge Wälder, deren Holzvorrat
nach Umsetzung des Kahlschlagverbots noch
einige Jahrzehnte aufwachsen muss. Außerdem
soll
aus
Gründen
des
Biodiversitätsschutzes ein Teil der Wälder aus
der Nutzung genommen werden.
Um der überragenden Bedeutung der Wälder
gerecht zu werden, sieht die nationale Biodiversitätsstrategie vor, dass bis 2010 80 Prozent der Waldflächen nach hochwertigen ökologischen Standards zertifiziert und bis 2020
zehn Prozent des Privatwaldes in Programme
des Vertragsnaturschutzes eingebunden sein
sollen. 2009 lag der Zertifizierungsanteil bei
69 Prozent für PEFC und bei vier Prozent für
das ökologisch anspruchsvollere FSC. Vertragsnaturschutz spielt im Wald nach wie vor kaum
eine Rolle.
Deutschland steht insbesondere bei den Buchenwäldern in der Pflicht. Alte, natürliche
Buchenwälder zählen heute zu den weltweit
stark bedrohten Lebensräumen. Deutschland
beherbergt etwa ein Viertel des natürlichen
Verbreitungsgebiets der Rotbuche. Zahlreiche
Buchenwaldtypen gibt es nur hier. Deutschland muss daher die Erhaltung und die großflächige Entwicklung natürlicher und naturnaher Buchenwälder gewährleisten. Als ein
Beitrag dazu wurde im Juni 2011 ein Netz von
fünf Buchenwald-Schutzgebieten – die „Alten
Buchenwälder Deutschlands“ – als UNESCOWelterbe anerkannt.
U n ser e Z ie l e
Wir wollen dem Ökosystem Wald wieder mehr
Raum für natürliche Entwicklungsprozesse
geben. Daher wollen wir, dass fünf Prozent
der Waldfläche der natürlichen Entwicklung
überlassen werden. Hier ist in erster Linie die
öffentliche Hand in der Pflicht. Zehn Prozent
der Waldflächen des Bundes und der Länder
sollen sich als Wildnis entwickeln können. In
allen Wäldern muss ein Mindestmaß an Totholz und Biotopbäumen verbleiben, um den
Arten, die an verschiedene Alters- und Zerfallsstufen von Bäumen gebunden sind, Lebensräume zu sichern. Der Holzvorrat in den
Wäldern soll weiter wachsen.
Die Nachfrage nach Holz als nachwachsendem
Rohstoff wird angesichts der Endlichkeit der
fossilen Rohstoffe zukünftig weiter steigen.
Sowohl bewirtschaftete als auch bisher
unbewirtschaftete Wälder geraten deshalb
bereits heute zunehmend unter Druck. Erho35
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Wir wollen eine rechtsverbindliche gute fachliche Praxis für die Forstwirtschaft in das Bundeswaldgesetz einführen, die u. a. Regelungen zu Kahlschlagverbot, Bodenschutz, Naturverjüngung, Biotopbaumschutz, Baumartenauswahl und Totholz verankert. Besondere
Waldtypen wie Berg- oder Auwälder müssen
dabei in ihrer lokalen Bedeutung und mit
ihren spezifischen Anforderungen besonders
berücksichtigt werden. Begleitet werden soll
dies von zusätzlichen Maßnahmen, z. B. im
Rahmen des Vertragsnaturschutzes. Wir wollen einen raschen Umbau naturferner und
instabiler Nadelholzforste in stabilere Laubund Mischwälder. Den Einsatz gentechnisch
veränderter Baumarten lehnen wir entschieden ab.
Jagdzeiten, angepasst an wildbiologische
Erkenntnisse und ohne bleihaltige Munition.
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge :
Bu nd
Novelle des Bundeswaldgesetzes zur
Verankerung der guten fachlichen Praxis, orientiert an einer naturnahen
und ökologisch verträglichen Waldbewirtschaftung.
Ökologisierung der nationalen Waldfördermaßnahmen im Rahmen der
Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) mit Anreizen zum
Waldumbau und der Honorierung von
Wald-Umwelt-Maßnahmen und des
Schutzes der Wälder im Natura 2000Netzwerk.
Stopp der Privatisierung der Bundesforsten, sofern sie nicht Naturschutzzielen dient
Bis zur Umsetzung des 5 Prozent Ziels
für natürliche Wälder ein befristeter
Einschlagstopp (Moratorium) für alte
Wälder in der Hand des Bundes in entsprechender Größenordnung
Unser Ziel ist es, den knappen Rohstoff Holz so
nachhaltig und naturverträglich wie möglich
bereitzustellen, ihn aber auch so sparsam,
intelligent und effizient wie möglich zu nutzen – insbesondere über langlebige Produkte
und Kaskadennutzung. Wir wollen verhindern, dass unsere Wälder übernutzt werden
und dass die biologische Vielfalt der Wälder in
Gefahr gerät. Der Waldumbau weg von Altersklassenwäldern und Monokulturen hin zu
Mischwäldern und naturnahen Dauerwäldern
muss fortgeführt werden.
Bu nd, Lä nd e r u nd Ko mmu n e n
Weitestgehende Zertifizierung der Wälder des Bundes und der Länder nach
FSC.
Gezielter Ausbau des bestehenden
Netzes an Wald-Schutzgebieten – insbesondere das an Naturwaldzellen,
Naturwäldern und Nationalparks – und
Umsetzung des Ziels der Nationalen
Biodiversitätsstrategie einer natürlichen Waldentwicklung auf fünf Prozent
aller Waldflächen und auf zehn Prozent aller staatlichen Waldflächen. Dabei muss sichergestellt werden, dass
nur Flächen angerechnet werden, bei
denen dauerhaft auf forstwirtschaftliche Nutzung verzichtet wird.
Unterstützung privater Waldbesitzer
durch
Vertragsnaturschutzmaßnahmen, Waldumweltmaßnahmen und
Öffentliche Waldbesitzer sollen sich nach
hochwertigen ökologischen Standards zertifizieren lassen. Die Öffentlichkeit muss für die
Inhalte der Zertifizierung sensibilisiert werden, damit durch einen verantwortungsvollen
Einkauf die Nachfrage nach zertifiziertem Holz
steigt.
Einen weiteren Verkauf von Bundesforsten
lehnen wir ab. Die Übertragung von Bundesforsten an Träger des Naturschutzes soll weiter
möglich sein.
Die Tierbestände (insbesondere Rehe und
Hirsche) müssen eine flächendeckende natürliche Verjüngung des Waldes ermöglichen.
Voraussetzung dafür ist der Verzicht auf Maßnahmen, die zu überhöhten Tierbeständen
führen, und bei hohen Wildschäden eine
ökologische und effektive Jagd mit kurzen
36
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Ausgleichszahlungen im Rahmen von
Natura 2000 durch ELER und GAK.
Überarbeitung der guten fachlichen
Praxis für die Forstwirtschaft in den
Landeswaldgesetzen.
Überarbeitung des Bundesjagdgesetzes
und des Jagdrechts der Länder unter
naturschutz- und tierschutzpolitischen
und waldbaulichen Prämissen.
Einführung bzw. Überarbeitung der
Holzbeschaffungs-Richtlinien
von
Bund, Ländern und Kommunen, um
die Beschaffung von Holz und Holzprodukte auf solche zu beschränken, die
nach hochwertigen ökologischen Standards zertifiziert sind.
den71 ist ein Lebensraum, der über einen
enormen Genpool verfügt. Ein Gramm Boden
enthält Milliarden von Mikroorganismen (Bakterien, Pilze, Algen, Einzeller). Unter einem
Quadratmeter Boden leben Hunderttausende
bis Millionen von Bodentieren, wie Fadenwürmer, Regenwürmer, Milben, Asseln,
Springschwänze und Insektenlarven. Das ergibt auf einen Hektar zirka 15 Tonnen Lebendgewicht.72 Die Rolle, die diese Organismen im Boden spielen, ist hoch komplex;
vieles ist noch unerforscht.73
Klar ist jedoch, dass einem intakten Bodenleben eine Schlüsselrolle bei den natürlichen
Bodenfunktionen zukommt. Bodenorganismen – vor allem Mikroorganismen – bauen
abgestorbene Biomasse wieder ab, und spielen so eine bedeutende Rolle bei der Humusund Bodenbildung und der Erschließung von
Stoffen für das Pflanzenwachstum.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e n t ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Umsetzung des 5-Prozent-Ziels für Wälder mit natürlicher Entwicklungsdynamik (Naturwalderbe)“ BT-Drucksache 17/6021
Die Erfassung der Bodenbiologie erfolgt über
die Ermittlung der Individuendichte bodentypischer Organismen, der Biomasse und der
Artenvielfalt. Bodenbiologische Untersuchungen werden auf Bodendauerbeobachtungsflächen (BDF) durchgeführt. Das Leben im Boden
ist u. a. ein Indikator dafür, ob die Landwirtschaft zur Erhaltung oder Förderung der biologischen Aktivitäten beiträgt oder nicht. Hinsichtlich der Indikatoren eines guten ökologischen Zustands und der biologischen Vielfalt
von Böden besteht noch großer Forschungsbedarf.
Antrag „Schaffung eines Naturwalderbes vorbereiten und Moratorium für die Privatisierung von Bundeswäldern erlassen“ BTDrucksache 17/796
Antrag „Das Bundeswaldgesetz novellieren
und ökologische Mindeststandards für die
Waldbewirtschaftung einführen“ BTDrucksache 17/1586
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Holzmobilisierung aus dem Kleinprivatwald“ BTDrucksache 17/7925
5.4.7.
Bodendegradationen sind nicht bzw. nur in
sehr langen Zeiträumen und zu sehr hohen
Kosten reversibel. Bodenversiegelung bedeutet Verlust an natürlichen Lebensräumen. 74
Der Schutz des Bodens vor Schadstoffen, die
über die Luft und das direkte Aufbringen auf
Böden eingetragen werden, muss deutlich
BODENSCHUTZ
Pro b le me
Böden sind kostbare und unentbehrliche Voraussetzung unserer menschlichen Existenz.
Sie sind Grundlage vieler Ökosystemfunktionen und wirtschaftlicher Nutzungen.70 Bo-
70
Boden – die an der Erdoberfläche entstandene, mit
Luft, Wasser und Lebewesen vermische Verwitterungsschicht aus mineralischen und organischen Substanzen.
72 „Biodiversität im Boden“ von Dr. Frank Glante, Umweltbundesamt.
73 Siehe: „Böden begreifen!“ in: Durch Umweltschutz die
biologische Vielfalt erhalten, Umweltbundesamt o.J.
74 „Wege zu einer nachhaltigen Flächenpolitik“ – Fraktionsbeschluss vom 10.05.2011
71
Vgl. „Umweltschutz im Zeichen des Klimawandels“,
Umweltgutachten 2008 des Sachverständigenrates für
Umweltfragen, Bundestags-Drucksache 16/9990, 6.
Kapitel „Bodenschutz“.
37
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
verbessert werden.75 Jede Maßnahme zum
Schutz vor Verdichtung, Erosion, Versalzung
und Versauerung schützt die BodenBiodiversität.76
Für die dabei notwendige Bewertung der Lebensraumfunktion von Böden muss dringend
ein Konzept erarbeitet werden, das auch Untersuchungen zur Verbreitung von Lebensgemeinschaften einschließt. Die Datenbasis
hierfür muss deutlich verbessert bzw. geschaffen werden.
In der nationalen Strategie zur biologischen
Vielfalt wird die Bodenbiologie bisher noch
unzureichend berücksichtigt.77 In den Handlungsfeldern werden lediglich Ziele gesetzt,
zum Beispiel die Verringerung der Stoffeinträge, durch die indirekt auch die Bodenorganismen geschützt werden.
Die verstreuten rechtlichen Vorschriften im
Bodenschutz-, Naturschutz- und Düngerecht
müssen dafür besser auf einander abgestimmt
werden. Beispielsweise müssen die Grenzwerte für den Eintrag von Schadstoffen in Böden
in den einzelnen Rechtsbereichen harmonisiert werden, um ein einheitliches Schutzniveau zu gewährleisten.79
Auf europäischer Ebene wird in der Thematischen Strategie für den Bodenschutz 78 der
Verlust von Biodiversität als Gefahr bezeichnet; deshalb sollten entsprechende Maßnahmen eingeleitet und Projekte im künftigen
EU-Forschungs-Rahmenprogramm „Horizont
2020“ gefördert werden. Ein zentraler Baustein der EU-Bodenschutzstrategie – die Verabschiedung einer Rahmenrichtlinie – kommt
allerdings nicht voran, weil Deutschland diese
unter der Großen Koalition und unter der
jetzigen Bundesregierung grundsätzlich ablehnt und blockiert. Das muss sich ändern.
Wir setzen uns dafür ein, dass die BodenDauerbeobachtung erhalten und ausgebaut
wird, damit für die Biodiversität wichtige
Organismengruppen wie Käfer, Spinnen und
Milben erfasst werden. Dringend verbessern
wollen wir die Bodenforschung, insbesondere
zur Entwicklung von Indikatoren und Kriterien
zur Beschreibung einen guten ökologischen
Zustands und für die Auswirkungen der Landwirtschaft auf den Zustand der Böden.
Eine Verbesserung der Situation der Böden ist
jedoch nicht allein durch Gesetze und Verwaltungshandeln sicherzustellen. Es gilt auch, die
Öffentlichkeit einzubeziehen und ein entsprechendes Bewusstsein für den Wert der Böden
zu schaffen.
Um Risiken für Mensch und Umwelt besser
erkennen und abbauen zu können, müssen
Daten zu Altlasten auf Ebene der Länder erhoben und in bundesweit kompatiblen Katastern erfasst werden..
U n ser e Z ie l e
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge
Wir setzen uns für lebendige und intakte Böden ein und wollen Bodenqualität und Bodenfruchtbarkeit erhalten. Der vorsorgende
Schutz der Lebensraumfunktion der Böden
muss verbessert werden. Wichtige Schritte
dahin wären, dass der Bodenschutz viel stärker in die Gestaltung der guten fachlichen
Praxis in der Landwirtschaft einbezogen und
verbindlicher Teil der fachübergreifenden
Verträglichkeitsprüfungen (SUP, UVP) wird.
Bu nd
Überarbeitung
des
Bundesbodenschutzgesetzes und des Düngerechts
unter zentraler Berücksichtigung des
Biodiversitätsschutzes und Schaffung
von Kohärenz mit dem Bundesnaturschutzgesetz (insbesondere der Eingriffsregelung) und den zugehörigen
Prüfverfahren.
Verstärkte Förderung der Forschung zur
biologischen Vielfalt der Böden und
deren Gefährdung sowie anwenderorientierte Weitergabe der Erkenntnisse.
Umweltgutachten 2008, S.269.
Vgl. Nationale Biodiversitätsstrategie C 10.
77 Vgl. Nationale Biodiversitätsstrategie B 2.5
78 EU-Kommission 2006.
75
76
79
38
Derzeit gelten z. B. für Klärschlämme höhere Grenzwerte als für Düngemittel und Bioabfälle.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Zustimmung zur europäischen Bodenrahmenrichtlinie und deren zügige
Umsetzung.
tisch ausfallen als in vielen anderen Teilen
der Erde: auch hierzulande sind die Auswirkungen des Klimawandels längst spürbar.
Charakteristische Frühlingsereignisse, wie
z. B. der Vogelzug oder die Vegetationsentwicklung verlagern sich früher in das Jahr, das
Zusammenspiel von Lebensgemeinschaften,
wie z. B. bei der Bestäubung oder der Nahrungsverfügbarkeit werden gestört. Neuartige,
bisher regional untypische Pflanzenkrankheiten bedrohen die Erträge der Land- und
Forstwirtschaft. Nach den Prognosen für die
weitere Erderwärmung in Deutschland werden
vor allem die Sommer im Süden heißer und
im Osten noch trockener als bisher. Die Winter
werden vor allem im Süden und Südwesten
deutlich wärmer und sehr viel niederschlagsreicher sein.81 Auch bei Einhaltung des Ziels,
den Temperaturanstieg auf maximal zwei
Grad zu begrenzen, sind weitere negative
Folgen für die biologische Vielfalt absehbar,
insbesondere weil viele Arten und Ökosysteme
durch die ohnehin vielfältigen Umweltbelastungen auf zusätzliche Veränderungen besonders empfindlich reagieren können.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antrag „Blockade beim Bodenschutz aufgeben
– EU Bodenschutzrahmenrichtlinien voranbringen“ BT-Drucksache 17/3855
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Aktivitäten der Bundesregierung zum konsequenten
Schutz des Bodens auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene“ BTDrucksache 17/8478
5.5. KLIMAWANDEL, ENERGIEWENDE
UND BIODIVERSITÄTSSCHUTZ
Pro b le m
Der Klimawandel ist einer der wesentlichen
Treiber des weltweiten Verlustes der biologischen Vielfalt. Seit Beginn der Industriealisierung hat sich die Erde bereits um 0,7 Grad
gegenüber dem vorindustriellen Niveau erwärmt. Gleichzeitig steigt der globale CO2 Ausstieg weiter an und erreicht von Jahr zu Jahr
neue Rekordwerte. Die Geschwindigkeit des
menschgemachten Klimawandels stellt eine
kaum zu bewältigende Herausforderung für
die Anpassungsfähigkeit der Natur dar. Liefen
Temperaturänderungen in der Vergangenheit
meist in sehr langen Zeiträumen ab, die der
Natur die Chance auf Anpassung gaben, ändert sich derzeit die globale Temperatur rasant innerhalb von wenigen Jahrzehnten. Der
Weltklimarat kommt in seinem 4. Sachstandbericht aus dem Jahr 2007 zu dem Ergebnis,
dass je nach betrachtetem Szenario lokal zwischen 20 und 60 Prozent der Tier- und Pflanzenarten massiv vom Aussterben bedroht
sind.80
Klimawandel und Biodiversität hängen auch
in weiteren Belangen sehr eng zusammen.
Wälder, Moore und Böden sind riesige Kohlenstoffspeicher. Sie fungieren als natürliche
Kohlenstoffsenken, die der Atmosphäre CO2
entziehen. Werden solche Ökosysteme zerstört, tritt der gegenteilige Effekt ein: Allein
die Abholzung der tropischen Wälder ist für
rund ein Fünftel der vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich und damit ein massiver Treiber des Klimawandels82. Auch in Deutschland hat die
Senkenkapazität der Wälder für CO 2 durch die
Nutzung abgenommen (siehe Kapitel 5.4.6.).
Der Schutz der Biodiversität und natürlicher
Lebensräume kann aber auch einen erhebli-
Umweltbundesamt, Klimaauswirkungen und Anpassung in Deutschland – Phase 1: Erstellung regionaler
Klimaszenarien für Deutschland 2008,
http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/3513.pdf
82 EU Kommission 2008: Maßnahmen der EU gegen den
Klimawandel,
http://ec.europa.eu/clima/publications/docs/asia_de.p
df
81
Auch wenn die Prognosen für den Klimawandel in Deutschland insgesamt weniger drama-
80
Klimaänderung 2007, Synthesebericht,
http://www.de-ipcc.de/_media/IPCCSynRepComplete_final.pdf
39
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
chen Beitrag zur Anpassung an den nicht
mehr zu vermeidenden Klimawandel leisten.
So sind intakte Ökosysteme nicht nur unempfindlicher und anpassungsfähiger als vorgeschädigte Ökosysteme oder vom Menschen
angelegte Monokulturen. Die Renaturierung
von Mooren und Flussläufen z. B. stabilisiert
den Wasserhaushalt der Landschaft und kann
dadurch die Auswirkung von Extremereignissen deutlich mildern – und dies meist flexibler und kostengünstiger als durch rein technische und statische Maßnahmen. Gleichzeitig
bezeichnet der Umweltwirtschaftsbericht der
Bundesregierung Moorschutzmaßnahmen als
„kostengünstige Variante zur Minderung von
Klimagasemissionen. In günstigen Fällen
(Entwicklung von Erlenbruchwäldern) betragen die Vermeidungskosten nur 0–2 Euro pro
Tonne CO2“.83
den, der beide Seiten gleichermaßen berücksichtigt.84
U n ser Zi el
Wir wollen dem Klimawandel wirksam begegnen und die Erderwärmung auf maximal zwei
Grad begrenzen. Dazu wollen wir bis 2020
den Anteil erneuerbarer Energien im Stromsektor auf deutlich über 40 Prozent steigern
und unsere nationalen Treibhausgasemissionen um mindestens 40 Prozent senken (bezogen auf 1990). Es ist unser Ziel, eine Minderung der Treibhausgasemissionen von mindestens 95 Prozent bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Bereits 2030 wollen wir unseren
Strom zu 100 Prozent erneuerbar produzieren.
Wir wollen, dass Deutschland ein echter Vorreiter im Klimaschutz wird und mit einer erfolgreichen Klimaschutzpolitik Vorbild für
andere wird.
Ein weiterer wichtiger Berührungspunkt zwischen Biodiversität und Klimawandel sind
Zielkonflikte zwischen notwendigen Maßnahmen im Zusammenhang mit der begonnen Energiewende auf der einen Seite und
den Anforderungen des Biodiversitätsschutzes
auf der anderen Seite. Jeder Eingriff des Menschen hat mehr oder weniger unmittelbare
und mittelbare Auswirkungen auf die Natur,
also auch jedes im Zusammenhang mit der
Energiewende aufgestellte Windrad (sowohl
an Land als auch auf See) oder jede installierte Biogas- oder Wasserkraftanlage. Vor allem
der Nutzung der Biomasse kommt in diesem
Zusammenhang eine besondere Bedeutung
zu. Denn Biomasse wird ausschließlich von
Pflanzen und Tieren gebildet und ist, in ihrer
Verfügbarkeit stark begrenzt. Zugleich bestehen hier Nutzungskonkurrenzen mit der Nahrungsmittelproduktion und der Nutzung für
die Substitution erdölbasierter Produkte benötigt wird. Es muss also ein verantwortungsvoller Abwägungsprozess zwischen dem notwendigen Umbau der Energieversorgung hin
zu erneuerbaren Energiequellen und den Anliegen des Natur- und Artenschutzes stattfin-
83
Wir wollen, dass der Schutz der Biodiversität
und des Klimas sowohl international als auch
national viel stärker zusammengedacht werden und die jeweiligen Zielerreichungsinstrumente enger miteinander verzahnt werden. Denn Klimaschutz heißt Erhaltung der
Biodiversität und das gilt auch umgekehrt
(siehe auch Kapitel 6.2.). Eine Bekämpfung
der direkten negativen Folgen für die biologische Vielfalt durch die Begrenzung der weiteren Erderwärmung kann nur Erfolg haben,
wenn auch Klimaschutz und Energiewende
selbst im Einklang mit dem Naturschutz stehen. Dafür wollen wir die notwendigen Eingriffe in die Natur und auch die indirekten
Folgen – egal ob an Land, in Binnengewässern oder zu See – auf ein vertretbares Maß
begrenzen.85 Die Energiegewinnung in Schutzgebieten muss sich den Schutzzielen unterordnen.
Positionspapier der Bundestagsfraktion: „Stoffliche
und energetische Nutzung von Biomasse“, Seite 15 ff,
2011 http://www.gruenebundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/391/391070.biomasse.
pdf
85 Fahrplan Energiewende; Broschüre 17/36 der Bundestagsfraktion; Energie 2050: Sicher, erneuerbar; Reader
17/23 der Bundestagsfraktion
84
Umweltwirtschaftsbericht 2011, Daten und Fakten für
Deutschland
http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/4210.pdf
40
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Insbesondere bei der der Nutzung der Biomasse wollen wir Raubbau an der Natur und
falschen Umgang und Intensivierung auf
land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen stoppen. In diesem Zusammenhang
wollen wir die globale Entwaldung bis spätestens zum Jahr 2020 stoppen. Dazu bedarf es
verlässlicher und verbindlicher Regeln, angemessener Finanzierung für die Erhaltung der
Tropenwälder, die zusätzlich zu den Mitteln
für die wirtschaftliche Zusammenarbeit bereitgestellt werden müssen.86
Int e rn at io na l
Initiative der Bundesregierung und der
EU für eine bessere Verzahnung der
Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und
der Biodiversitätskonvention (CBD) auf
der Ebene der Vereinten Nationen, um
Synergien besser zu nutzen und kontraproduktive Entwicklungen zu vermeiden.
Strategiewechsel in der internationalen Klimapolitik der Bundesregierung
und der EU, hin zu einer Klimapolitik
der unterschiedlichen Geschwindigkeiten (KLUG), in der Deutschland oder die
EU auch in Allianzen und bilateralen
Abkommen eine ambitionierte und
naturverträgliche Klimapolitik umsetzen.
Unser Ziel ist es, dass der Naturhaushalt der
Erde erhalten bleibt und den Ökosystemen
nur so viel Biomasse entzogen wird, wie diese
es auch problemlos verkraften können. Über
den gesamten Produktions- und Lebenszyklus
des Produkts bzw. des Energieträgers muss
außerdem eine positive Klimabilanz sichergestellt sein. Das heißt, dass geschlossene Kohlenstoffkreisläufe geschaffen und Kohlenstoffsenken geschaffen werden müssen.
Nat i ona l
Sicherstellung der notwendigen Finanzierung insbesondere solcher internationaler Projekte, die Klimaschutz, Anpassung und Erhaltung der Biodiversität verbinden, bis 2020 und darüber
hinaus durch die Zusage konkreter und
verbindlicher nationaler und europäischer Finanzierungsanteile im Rahmen
eines nationalen Klimaschutzhaushaltes.88
Verabschiedung eines nationalen Klimaschutzgesetzes mit einer verbindlichen Festschreibung der nationalen
Klimaziele von mindestens minus 40
Prozent bis 2020 und mindestens 95
Prozent bis 2050 im Vergleich zu 1990,
sowie
der
dafür
erforderlichen
Zwischenziele.
Ausbau der erneuerbaren Energien unter Berücksichtigung der Belange des
Naturschutzes sowie mit Beteiligung
der Bürgerinnen und Bürger mit dem
Ziel die nationale Energieversorgung
Auch die Biomasse selbst wollen wir effizient
und umweltverträglich nutzen. Langfristig soll
deshalb die stoffliche und energetische Nutzung von Biomasse in Nutzungskaskaden erfolgen, indem z. B. einer energetischen Nutzung eine stoffliche vorausgeht. Dies soll
durch direkte Förderung oder steuerliche Anreize erfolgen. Importe von Biomasse wollen
wir davon abhängig machen, dass diese anspruchsvolle Nachhaltigkeitskriterien erfüllen87.
Wir wollen erreichen, dass bei Klimaschutz
und Anpassung an den Klimawandel weltweit
die Beiträge, die funktionsfähige Ökosysteme
leisten können, stärker berücksichtigt werden.
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge
Entschließungstrag zum Bundeshaushalt 2012: Grüner
Klimaschutzhaushalt: Energiewende und Klimaschutz
vorantreiben, Konsolidierungspotentiale nutzen
http://dserver.bundestag.btg/btd/17/078/1707862.pdf
87 Positionspapier der Bundestagsfraktion: „Stoffliche
und energetische Nutzung von Biomasse“, Seite 2,
2001 http://www.gruenebundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/391/391070.biomasse.
pdf
86
88
41
Entschließungstrag zum Bundeshaushalt 2012: Grüner
Klimaschutzhaushalt: Energiewende und Klimaschutz
vorantreiben, Konsolidierungspotentiale nutzen
http://dserver.bundestag.btg/btd/17/078/1707862.pdf
.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
bis 2040 vollständig auf erneuerbare
Energien umzustellen.
Einführung von nationalen, europäischen und internationalen Nachhaltigkeitskriterien für alle Energieträger,
Verschärfung und Ausweitung der nationalen
und
EUNachhaltigkeitsverordnungen
Konkretisierung des Aktionsplans zur
deutschen Klimaanpassungsstrategie,
insbesondere zur Berücksichtigung von
Beiträgen intakter Ökosysteme zur Linderung von Extremereignissen.
Artenrückgangs in der Agrarlandschaft. Ferner
hat der Einsatz mineralischer Dünger zu erheblicher Nährstoffanreicherung (Eutrophierung) der Agrar-Ökosysteme und angrenzender Biotope und damit zu einer Verschiebung
und Verarmung des Artenspektrums geführt.
Schließlich wurden die weniger Gewinn bringenden Grenzertragsstandorte aus der Nutzung genommen, was zu einer massiven Gefährdung von Flora und Fauna der mageren
Standorte geführt hat. Die Folgen sind unübersehbar: 65 Prozent der heimischen Feldvögel befinden sich auf der Roten Liste89,
ebenso 35 Prozente der Ackerwildkräuter. 90
Selbst „Allerweltsarten“ wie die Feldlerche
sind bedroht.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Diese Fehlentwicklungen werden durch die
weltweit steigende Nachfrage nach Fleisch
und Bioenergien zusätzlich angeheizt. Der
Druck auf landwirtschaftliche Nutzflächen und
ackerfähige Böden nimmt weiter zu. Die Notwendigkeit, die Ernährung für eine wachsende Weltbevölkerung zu sichern, wird von der
Agroindustrie als Argument genutzt, die Intensivierung der Landwirtschaft voranzutreiben. Die Folgen für die biologische Vielfalt
sind verheerend. Der Umbruch von Grünland
und die Abholzung des Regenwaldes haben
Rekordhöhen erreicht, wertvolle Biotope fallen Monokulturen zum Opfer. Die unökologische Landnutzung hat zudem verheerende
Auswirkungen auf Seen, Flüsse und Meere. Die
Folgen für das Bodenleben sind nur deshalb
bisher nicht in den Fokus gerückt, weil sie
weitgehend unerforscht sind. Dabei ist die
Sicherung der Welternährung und die Wahrung der Biodiversität u.a. durch ökologische
Anbaumethoden und entsprechende Flächenplanung keineswegs ein Widerspruch. Der
Weltagrarbericht von 2008 hat aufgezeigt,
dass globale Ernährungssouveränität nur
durch eine vorwiegend kleinbäuerliche,
standortangepasste und ökologische Landwirtschaft zu gewährleisten ist. Dieses Modell
unterstützen wir ausdrücklich.
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Beitrag
der Moore zum Klima-, Hochwasser- und
Grundwasserschutz“ BT-Drucksache 17/7649
Fraktionsbeschluss „Energiekonzept 2050 –
sicher erneuerbar“ vom 10.09.2010
Antrag „Atomzeitalter beenden – Energiewende jetzt“ BT-Drucksache 17/5202
Antrag „EA zum CCS-Gesetzentwurf“ BTDrucksache 17/6513
Entschließungsantrag zum Europarechtsanpassungsgesetz Erneuerbare Energien, BTDrucksache 17/4897
Entschließungsantrag zur Atomgesetzänderung, BT-Drucksache 17/3485
Antrag „Ein neues Bergrecht für das 21. Jahrhundert“ BT-Drucksache 17/8133
5.6. LANDWIRTSCHAFT UND
BIODIVERSITÄT
Pro b le m
Im letzten Jahrhundert ist die Landwirtschaft
vom Träger der Biodiversität zu einer ihrer
größten Bedrohungen geworden. Hierfür ist
im Wesentlichen die zunehmende Intensivierung und Industrialisierung der agrarischen
Landnutzung verantwortlich.
Hötker, Dr. Hermann (2004): Vögel der Agrarlandschaft: Bestand, Gefährdung, Schutz
90 Meyer, Stefan et al. (2010): Schutzbemühungen für die
Segetalflora in Deutschland in Treffpunkt biologische
Vielfalt IX (Hrsg. BfN, Bonn)
89
Die Verwendung chemisch-synthetischer Pestizide gehört zu den stärksten Treibern des
42
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Die Veränderungen betreffen nicht nur das
Landschaftsbild („Vermaisung“), sondern beeinflussen Funktionen und Leistungsfähigkeit
des Ökosystems, die auch die Grundlage der
Lebensmittelerzeugung bilden. So versetzt
beispielsweise das Bienensterben, verursacht
auch durch den hohen Pestizideinsatz, nicht
nur Naturschützer in große Sorge, sondern
auch Landnutzer, die auf die Bestäubungsleistung der Insekten angewiesen sind. Der
ökonomische Gesamtwert der Bestäubung
durch Bienen und andere Insekten wird
weltweit auf 153 Milliarden Euro geschätzt,
was knapp 10 Prozent des globalen landwirtschaftlichen Ertrags ausmacht.91 Für Deutschland schätzt der Umweltwirtschaftsbericht den
Marktwert der von Bestäuberleistungen abhängigen landwirtschaftlichen Produkte auf
2,5 Milliarden Euro.92 Die Regulierung des
Wasserhaushaltes, die Fruchtbarkeit der Böden und die Gewährleistung geschlossener
Nähr-Stoff-Kreisläufe sind weitere ökosystemare Leistungen, ohne die Landbau auf
Dauer nicht denkbar ist.
Saatgut-Marktes in der Hand von fünf großen
Unternehmen, die fortschreitende Einführung
der Agro-Gentechnik und die Patentierbarkeit
von Sorten beschleunigen diese Entwicklungen. Aber mit der biologischen Vielfalt geht
auch die Anpassungsfähigkeit der Landwirtschaft an unvorhergesehene Krankheitsgefahren und sich verändernde Umweltbedingungen wie den Klimawandel verloren.
Längst ist durch Wissenschaft und Politik anerkannt, dass die Trendwende weg von der
täglichen Vernichtung der biologischen Vielfalt
ohne eine grundlegende Änderung in der
Landwirtschaft nicht zu schaffen ist. Diese
Erkenntnis schlägt sich auch in der Nationalen
Biodiversitätsstrategie nieder, die Handlungsziele und Maßnahmen auch für den Bereich
Landwirtschaft benennt. Diese richtigen Ansätze werden bislang jedoch nicht umgesetzt.
U n ser e Z ie l e
Bündnis 90/Die Grünen treten dafür ein, dass
die Landwirtschaft beim Schutz der Biodiversität vom Teil des Problems zum Teil der Lösung wird.
Auch die Vielfalt der Nutzpflanzen und -tiere
unterliegt einer dramatischen Reduzierung.
Die Tierzucht beschränkt sich heute auf wenige Hochleistungsrassen. Während um das
19. Jahrhundert in Bayern beispielsweise
noch 35 Rinderrassen gehalten wurden, sind
es heute nur noch fünf.93 90 Nutztierrassen
gelten in Deutschland als bedroht. Vergleichbare Entwicklungen gibt es bei den Kulturpflanzen. Der hohe Einsatz von Mineraldüngern und chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln nivelliert die Anbaubedingungen. Die Standortangepasstheit unterschiedlicher Sorten wird so vordergründig immer unwichtiger. Die Fruchtfolgen konzentrieren sich
auf immer weniger Kulturarten und wenige
ertragsstarke Sorten. Die Konzentration des
Unser Leitbild ist der ökologische Landbau als
nachweislich ressourcenschonendste Anbauform, die auch für die Erhaltung der biologischen Vielfalt vorteilhaft ist. Seine Innovationsfähigkeit in den Bereichen Pflanzenschutz,
Tierhaltung, Bodenbearbeitung und Erhöhung
der Bodenfruchtbarkeit muss für die gesamte
Landwirtschaft genutzt werden. Als ersten
Schritt wollen wir das in der Nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie verankerte Ziel von
20 Prozent ökologischer Anbaufläche in
Deutschland zügig erreichen. Dazu müssen
ökologisch wirtschaftenden Betriebe für die
gesellschaftlichen Leistungen, die sie erbringen, verlässlich und angemessen honoriert
werden. Die Forschung im Bereich ökologischer Landbau muss massiv ausgebaut werden, um seine Potenziale noch weiter zu stärken – auch in Hinblick auf die Erhaltung der
biologischen Vielfalt. Im Mittelpunkt sollen
dabei die Themen Diversifizierung von Fruchtfolgen, Mischfruchtanbau, Agroforstsysteme
und die Züchtungsforschung an dabei bislang
vernachlässigten Pflanzen.
TEEB (2010): Die Ökonomie von Ökosystemen und
Biodiversität: Die ökonomische Bedeutung der Natur in
Entscheidungsprozesse integrieren. Ansatz, Schlussfolgerungen und Empfehlungen von TEEB – eine Synthese.
92 Umweltwirtschaftsbericht 2011, Daten und Fakten für
Deutschland
http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/4210.pdf
93 Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH), www.g-e-h.de.
91
43
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Flächendeckend darf die Landwirtschaft nicht
länger zur Zerstörung der natürlichen Ressourcen beitragen sondern muss diese nachhaltig nutzen. Fehlentwicklungen wie Stickstoffüberschüsse, Erosion oder Belastungen
mit Pestizid-Rückständen und Umweltschäden als Folge von Massentierhaltungsanlagen
wollen wir über eine gesetzlich verankerte,
sanktionsbewehrte „gute fachliche Praxis“
und die Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Fachgesetze beheben.
Unterstützung und inhaltliche Verstärkung der Vorschläge zur ökologischen
Qualifizierung (Greening) der landwirtschaftlichen Direktzahlungen im Rahmen der europäischen Agrarpolitik
(GAP).
Entwicklung und gesetzliche Verankerung einer sanktionsbewehrten „guten
fachlichen Praxis“ für die Landwirtschaft.
Einsatz von 20 Prozent des nationalen
Agrarforschungsbudgets für Projekte
des ökologischen Landbaus, insbesondere zu den
Änderung des deutschen Patentgesetzes zum Ausschluss von Patenten auf
Pflanzen, Tiere und biologische Züchtungsverfahren, Initiative auf europäischer Ebene zur Verschärfung der EUBiopatentrichtlinie. Einrichtung und
Ausweitung von Genbanken zur umfassenden Sicherung des Erbmaterials
von Nutztierrassen und Nutpflanzensorten.
Keine Forschungsförderung für die
Entwicklung gentechnisch veränderter
Organismen.
Initiative auf EU-Ebene, damit bei der
Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen auch mögliche Risiken für
Biodiversität und Umwelt sowie sozioökonomische Folgen umfassend berücksichtigt werden, sowie Ausbau der
Forschungsunterstützung bei diesen
Fragestellungen.
Rechtliche Absicherung von Anbauverboten für gentechnisch veränderte Organismen auf nationaler Ebene und
von gentechnikfreien Regionen.
Unterzeichnung des Weltagrarberichts
(IAASTD) und verstärktes (auch finanzielles) Engagement zur Fortsetzung seiner Arbeit und zur Umsetzung seiner
Erkenntnisse.
Über die nachhaltige Landbewirtschaftung in
der Fläche hinaus halten wir es für unabdingbar, Trittsteinbiotope und extensiv genutzte
Agrar-Biotope mit ihrer besonderen Flora und
Fauna zu erhalten. Das Förderinstrument der
Agrarumweltmaßnahmen, mit dem besonders
umwelt-, klima- und naturgerechte Anbauformen wie beispielsweise weite Fruchtfolgen
oder Zwischenfruchtanbau gefördert und gezielte Erhaltungsprojekte für einzelne Arten
und Biotope wie z. B. Feuchtwiesen oder
Kalkmagerrasen unterstützt werden, wollen
wir finanziell stärken und für die Landwirte
planungssicherer gestaltet.
Die Agro-Gentechnik widerspricht dem Ziel
einer
zukunftsfähigen,
umweltgerechten
Landwirtschaft, die sich an biologischer Vielfalt und an den Verbraucherwünschen orientiert. Bündnis 90/Die Grünen wollen den Anbau von Gentechnik-Pflanzen verhindern,
weil die damit verbundenen Risiken nicht
abschließend geklärt und einmal in die Natur
ausgebrachte
Organismen
nicht
mehr
rückholbar sind. Ebenso setzen wir uns für ein
Verbot von Bio-Patenten auf Pflanzen, Tiere
und biologische Züchtungsverfahren ein,
denn sie führen zu Monopolansprüchen weniger Konzerne auf Pflanzen und Tiere und
fördern die Verarmung der Agrobiodiversität.
Um Letzteres aufzuhalten, wollen wir gemäß
dem Prinzip „Schutz durch Nutzung“ alte
Nutzpflanzen und Tierrassen erhalten und die
züchterische Weiterentwicklung bislang vernachlässigter Nutzpflanzen fördern.
Bu nd un d Lä nd e r
Verlässliche und angemessene Honorierung der Umstellung auf ökologischen Landbau sowie der Beibehaltung
dieser Bewirtschaftungsform im Rah-
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge :
Bu nd
44
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
men der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) und
der Agrarförderprogramme auf Landesebene.
Entwicklung und Angebot wirksamer
Agrarumweltmaßnahmen für die Erhaltung der Biodiversität in der Agrarlandschaft in der GAK und Sicherstellung eines ausreichenden Budgets für
deren Finanzierung.
Aufnahme von Ausgleichszahlungen für
eine extensive Bewirtschaftung im
Rahmen von Natura 2000 in den Förderrahmen der GAK.
Einrichtung
von
MonitoringProgrammen sowohl zur genetischen
Vielfalt der Nutztierrassen als auch zur
genetischen Varianz innerhalb der
Nutztierrassen sowie Entwicklung eines
Maßnahmenkatalogs zur Erhaltung gefährdeter Nutztierrassen.
größer ist als der der umliegenden Agrarlandschaft. Es ist ein wichtiges Anliegen des
Biodiversitätsschutzes, die mit der biologischen Vielfalt verbundene Lebensqualität zu
sichern und zu stärken.
Diese biologische Vielfalt ist ein wichtiges
Merkmal lebenswerter und attraktiver urbaner
Lebensräume. Wir finden hier Grünanlagen,
Parks,
alte
Friedhöfe,
Kleingartenanlagen,
stillgelegte Bahnhöfe, begrünte Dächer und
Fassaden, Flüsse, Teiche, Kanäle und Seen.
Hier treffen wir auf Säugetiere, Vögel, Insekten, Nischen- und Höhlenbewohner und sogar
auf vom Aussterben bedrohte Tiere wie den
Juchtenkäfer.94
Die
vielerorts
praktizierte
Stadtentwicklung, die auf Flächenverbrauch
und Flächenwachstum setzt, Verkehrswege
quer durch Ökosysteme führt und dem Druck
der Innenverdichtung folgend den Grünraumschutz vernachlässigt, bedroht die biologische
Vielfalt.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Das stadtplanerische Handeln von Städten
Antrag „Gemeinsame europäische Agrarpolitik
nach 2013 – Förderung auf nachhaltige bäuerliche Landwirtschaft ausrichten“ BTDrucksache 17/4542
wirkt sich unmittelbar auf die Artenvielfalt
Antrag „Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur
und Küstenschutz“ auf Ökologisierung und
nachhaltige ländliche Entwicklung konzentrieren“ BT-Drucksache 17/3222
Anlagen kann die Artenvielfalt leiden oder
und den Erfolg von Naturschutzmaßnahmen
aus. Auch bei der Nutzung und Pflege
bestehender
Freiflächen
und
öffentlichen
profitieren. So sind etwa die Düngung, das
übermäßige Reinhalten von Gärten und Parks,
eine überzogene Biomassenentnahme und die
Antrag „Anbau von gentechnisch veränderter
Kartoffel Amflora verhindern“ BT-Drucksache
17/1028
Bepflanzung mit nicht-heimischen Pflanzen
schädlich für die natürliche Artenvielfalt. Mit
vergleichsweise
Antrag „Dem Verlust an Agrobiodiversität
entgegenwirken“ BT-Drucksache 16/5413
einfachen
und
kosten-
günstigen Maßnahmen – Nistmöglichkeiten
für Vögel, geeignete Lebensräume für Fledermäuse, Wildwuchs heimischer Pflanzen auf
Frei- und Brachflächen – kann die biologische
5.7. BIODIVERSITÄT IN DER STADT
Vielfalt im urbanen Raum dagegen gestärkt
und gesichert werden.
Problem
Viele Menschen empfinden bestimmte Wild-
Drei von vier Menschen in Deutschland leben
tiere in der Stadt als Bereicherung, z. B. Turm-
in Mittel- und Großstädten. Naturerleben
falken oder Nachtigallen, bestimmte Wildtiere
findet für viele in erster Linie in Städten statt.
aber – z. B. Füchse, Wildschweine, Tauben –
Städte zeichnen sich – anders als es viele
vermuten – durch einen erstaunlichen und
94
zunehmenden Artenreichtum aus, der oft
45
Siehe Kleine Anfrage: Vorkommen und Schutz des
Juchtenkäfers BT-Drucksache 17/3753
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
werden als lästig oder schädlich angesehen,
spielen als bisher. Städtisches Grün muss so
weil sie eine potenzielle Gefahr für die
gestaltet und gepflegt werden, dass der Bio-
menschliche Gesundheit oder die liebevoll
topverbund innerhalb der Stadt und sein An-
hergerichteten
Wir
schluss an das Umland gewährleistet wird.
müssen uns deshalb fragen: Was können die
Öffentliches Grün soll so gepflegt werden,
Bürgerinnen und Bürger und was die Stadt-
dass der Erhalt stadttypischer Artengemein-
planer tun, damit die Lebensräume der Wild-
schaften gefördert wird; hierzu zählen z. B.
tiere in der Stadt erhalten und verbessert
der stärkere Einsatz geeigneter Saatmischun-
werden und es zu einem gedeihlichen Neben-
gen. Der oft unbedachten Vernichtung von
einander
Niststätten und Wohnquartieren durch eine
von
Vorgärten
Menschen
darstellen.
und
Wildtieren
kommt.
gedankenlose Altbausanierung wollen wir in
Zusammenarbeit mit den Architektenkam-
Die zunehmende Lichtverschmutzung beein-
mern entgegenwirken.
flusst bestehende Ökosysteme in erheblichem
Maße. Sie stellt ein zunehmendes Problem
Der rechtliche Schutz vor Lichtverschmutzung
insbesondere für Insekten, Vögel und Fleder-
ist in Deutschland bisher unzulänglich. So
mäuse dar. Ungezielt streuendes Licht schadet
besteht für Lichtemission kein Regelwerk in
der Natur. Vögel können in ihrem Zugverhalten
Form einer technischen Anleitung (TA) Licht.
gestört werden. Fledermäuse sind vor allem
Wir wollen, dass alle Möglichkeiten ausge-
gefährdet, wenn ihre Sommerquartiere ausge-
schöpft werden, die schädliche Einwirkung
leuchtet werden. Nachtaktive Insekten
von
–
Beleuchtungsanlagen
auf
Tiere
und
darunter viele Schmetterlingsarten – werden
Pflanzen zu minimieren und dass auch gene-
durch Lichtquellen wie Straßenbeleuchtung
rell einer Aufhellung des Nachthimmels ent-
und hell angestrahlte Häuserwände oder
gegengewirkt wird. LED-Technik und Abschat-
Werbeflächen massenhaft angelockt, werden
tungen bieten hierbei energieeffiziente Lö-
zur leichten Beute anderer Tiere oder sterben
sungsansätze.
durch Kollision oder Erschöpfung. Sie fehlen
Unsere Grünen Lösungsvorschläge
als Bestäuber von Blütenpflanzen und als
Frühzeitige Berücksichtigung der Belange des Artenschutzes in der Bauleitplanung, denn nachträglich wird dies
aufwändig und teuer; wir wollen Modelle transparenter Teilhabe entwickeln.
Um eine stärkere Abwägung zwischen
Innenverdichtung und Freiflächen zu
erreichen, können informelle Planungen der Kommunen im Vorfeld der
Bauleitplanung einen wertvollen Beitrag leisten
Verbesserung des wildbiologischen
Wissens über Wildtiere in der Stadt,
entsprechende Forschung- und Bildungsarbeit wollen wir fördern.
Entwicklung und Umsetzung städtischer Managementpläne für bestimmte
Wildtierarten (Füchse, Wildschweine,
Tauben usw.) in Zusammenarbeit mit
dem Natur- und Tierschutz.
Glieder in der Nahrungskette.
Unsere Ziele
Bündnis 90/Die Grünen wollen Städte als lebenswerten Raum erhalten und entwickeln.
Dazu zählt auch, diese als Rückzugs- und
Lebensraum von Pflanzen und Tieren zu gestalten. Verdichtung und Freiflächenschutz im
Innenbereich müssen gegeneinander abgewogen werden. Vor der Inanspruchnahme
sollen Flächen auf ihre Bedeutung für die
biologische Vielfalt geprüft werden. Innerstädtische Grünräume wollen wir erhalten.
Wo es möglich ist, wollen wir den Wildwuchs
auf Brachen fördern und schützen.95 In der
Stadtplanung müssen Fragen der Erhaltung
der biologischen Vielfalt eine größere Rolle
95
Vgl. Beispielhaft zeigt sich dieser neue Ansatz in der
Grünraumgestaltung der IBA Emscher Park.
46
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Einführung eines finanziellen Instruments
ähnlich einer
Flächenverbrauchsabgabe oder handelbare Flächenausweisungsrechte.
Einführung umfassender Brachflächenkataster im Sinne eines Flächenmonitorings, damit die Gemeinden eine Informationsbasis über Alternativen
zur Neuausweisung von Bauflächen im
Außenbereich haben und die Gefahr
von Nachverdichtung an der falschen
Stelle eingedämmt wird.
Erarbeitung einer Technischen Anleitung zur Verminderung künstlichen
Lichts (TA Licht).
Zur Verkehrsinfrastruktur zählen Straßen,
Bahntrassen und Flughäfen, ausgebaute Flüsse, Kanäle und die entsprechenden Begleitbauten. Asphaltierte oder geschotterte Flächen sind als Lebensräume verloren.
Die wohl schwerwiegendste Beeinträchtigung
für viele Arten ist die Zerschneidungswirkung
durch Verkehrstrassen, insbesondere von Autobahnen und Landstraßen. Zahlreiche Wildtier- und Pflanzenarten benötigen für die
Erhaltung ihrer Populationen einen ständigen
Austausch zwischen den einzelnen Lebensräumen. Den lauter werdenden Forderungen
nach einem Biotopverbund steht jedoch der
immer noch anhaltende Trend zum Flächenverbrauch und zur Flächenzerschneidung im
Weg. Die bislang ergriffenen Maßnahmen,
diese Entwicklung zu stoppen, sind unzureichend (siehe Kapitel 5.4.3.).
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Fraktionsbeschluss: Stadtentwicklungspolitische Vorschläge - Wege zu einer nachhaltigen
Flächenpolitik vom 10. Mai 2011
Allein in Deutschland umfasst das Straßennetz
über 230.000 Kilometer überörtliche Straßen,
davon knapp 13.000 Kilometer Autobahnen –
Tendenz
steigend.
Die
Anzahl
der
unzerschnittenen,
verkehrsarmen
Räume
nahm in den vergangenen Jahrzehnten entsprechend ab. Zudem ist der Verkehr immer
dichter geworden, wodurch sich die
Barrierewirkung einzelner Straßen zusätzlich
erhöht hat. Diese Entwicklung führt zur Verinselung von Lebensräumen und damit zur Abnahme von Tier- und Pflanzenpopulationen.
Je kleiner aber die Populationen werden,
desto geringer ist der genetische Austausch
innerhalb dieser. Das wiederum mindert die
Biodiversität der entsprechenden Regionen.
Darüber hinaus können durch einen verminderten Genpool Effekte des so genannten
„genetischen Flaschenhalses“ auftreten. Dabei steigt wie bei der Inzucht die Gefahr, dass
Gendefekte innerhalb einer Art nicht mehr
ausgeglichen werden und sich krankhafte
Gene ausbreiten können, die normalerweise
durch die Kombination mit gesunden Genen
in ihrer Ausbildung unterdrückt würden.96
Antrag „Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren“ BT-Drucksache 17/6502
AK 2-Position „Lichtverschmutzung – ein
noch unterbelichtetes Umweltthema“ vom
12.05.2009
Antwort auf unsere Kleine Anfrage „Vorkommen und Schutz des Juchtenkäfers“ BTDrucksache 17/4157
5.8. VERKEHRSINFRASTRUKTUR UND
BIODIVERSITÄT
Pro b le m
Im Bereich der Verkehrsinfrastruktur wird das
Problem der widersprechenden Nutzungsinteressen besonders deutlich. Einerseits brauchen wir als Wirtschaftsstandort unabdingbar
Mobilität von Menschen und Gütern, andererseits liegt der Schutz der Biodiversität, also
der Schutz von Naturräumen ebenso im gesamtgesellschaftlichen Interesse. Jede Verkehrsinfrastruktur greift grundlegend in natürliche Lebensräume ein und beeinflusst so
die dort lebenden Tier- und Pflanzenarten.
96
47
Betroffen von dieser Entwicklung sind vor allem Rotwild, Schwarzwild, Baummarder, Waldfledermäuse,
Fischotter, Dachs, Wolf, Wildkatze und Luchs.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Besonders problematisch für die Biodiversität
sind auch der Ausbau und die Kanalisierung,
die die deutschen Flüsse in einen naturfernen
Zustand versetzen (siehe Kapitel 5.4.4.).
Tiere. Sie ziehen enorme Infrastruktur zu ihrer
Anbindung nach sich. Und sie verdrängen
insbesondere die Avifauna der Region, beispielsweise durch Vergrämung, um die Sicherheit der Flugbewegungen zu gewährleisten.
Ein wichtiges Instrument, der Verinselung
entgegen zu wirken, sind so genannte Grünbrücken als Querungshilfen. Sie dienen auch
der Verkehrssicherheit. Neben Umweltverbänden und Jagdverbänden setzt sich daher auch
der ADAC für Querungshilfen ein, um Wildunfällen vorzubeugen. Jährlich rechnet man in
Deutschland mit etwa 250.000 Kollisionen
mit Tieren, bei denen durchschnittlich etwa
3.000 Menschen zu Schaden kommen, 20
Personen sogar tödlich, und bei denen ein
Schaden von schätzungsweise 500 Millionen
Euro entsteht.
U n ser e Z ie l e
Wir wollen einen angemessenen Ausgleich
zwischen notwendiger Verkehrsinfrastruktur
und Naturschutzanliegen erreichen. Wir wollen verkehrsträgerübergreifende Mobilitätsplanung statt Verkehrswegeplanung.98 Dabei
gilt es, auf der Grundlage sorgfältiger Bedarfsanalysen Planungen immer so vorzunehmen, dass der Naturschutzgedanke von
vornherein fester Bestandteil aller Infrastrukturplanungen im Verkehrsbereich ist. Die vom
Bundesamt für Naturschutz identifizierten
Lebensraumkorridore und die Planungsvorschläge von BUND99 und NABU100 müssen dafür
die Basis sein.
Das Konjunkturpaket II der Bundesregierung
beinhaltet neben vielen ökologisch unsinnigen Maßnahmen immerhin die Möglichkeit,
solche Grünbrücken zu finanzieren. Angesichts
der Tatsache, dass sich die Anzahl der
unzerschnittenen
verkehrsarmen
Räume
(UZVR), die größer als 100 Quadratkilometer
sind, in Sachsen in den vergangenen Jahren
aufgrund des Verkehrswegebaus halbiert hat,
müssen die Möglichkeiten, Grünbrücken zu
bauen noch besser genutzt werden.
Die Barrierewirkung von Straßen und Bahntrassen soll durch klug geplante Querungsund Vernetzungshilfen gesenkt werden. Vorhandene Wanderwege von Tieren und Pflanzen müssen berücksichtigt bzw. wiederhergestellt werden. Zusammenhängende Offenlandschaften,
Bergketten,
überregionale
Waldkorridore und Flusstäler wollen wir auch
als wertvolle Wanderwege erhalten.
Im Dezember 2011 hat das Kabinett ein
„Bundesprogramm Wiedervernetzung“ beschlossen, das aufgrund der vom Bundesamt
für Naturschutz identifizierten Lebensraumkorridore97 93 Brennpunkte benennt, an denen lang- oder mittelfristig Querungshilfen
notwendig sind. Die dafür notwendigen 180
Millionen Euro sollen je nach Verfügbarkeit
aus dem Budget für den Bundesfernstraßenbau bestritten werden. Da im Haushalt für
2012 dafür noch keine Mittel eingeplant sind,
scheint das Bundesprogramm nur ein Lippenbekenntnis der Bundesregierung zu sein.
Das Bundesprogramm Wiedervernetzung ist
ein Ausgangspunkt für die Wiedervernetzung
an bestehenden Trassen. Dazu darf die Finanzierung allerdings nicht von der Mittelverfügbarkeit in bestehenden Budgets abhängig
gemacht werden. Bereits im Haushalt für
2012 haben wir daher 30 Millionen Euro für
Querungshilfen eingeplant. Vor allem an den
Stellen, an denen die Wanderkorridore Autobahnen kreuzen, sind Grünbrücken eine Lösung. Bei Aus- und Neubau müssen gleichermaßen die Querungshilfen Teil der Planungen
Flugplätze und -häfen sind unter verschiedenen Gesichtspunkten für den Naturhaushalt
kritisch. Betonierte und bebaute Betriebsflächen sind quasi verloren für Pflanzen und
97
Nachhaltige Verkehrsinfrastruktur für das 21. Jahrhundert. Thesenpapier vom 13.01.2012
99http://www.bund.net/themen_und_projekte/wildkatze
_netze_des_lebens/rettungsnetz_wildkatze/ gruene_korridore/wildkatzenwegeplan/
100 NABU: Der NABU-Bundeswildwegeplan (2007)
98
Bundesamt für Naturschutz: Länderübergreifender
Biotopverbund in Deutschland (2011)
48
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
sein und die gesetzlichen Regelungen unbedingt berücksichtigt werden.
Entschließungsanträge zum Haushaltsgesetz
2012, BT-Drucksachen 17/7862, 17/7863
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Wiedervernetzung von Naturräumen“ BT-Drucksache
17/2399
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge
Bu nd
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Der besondere naturschutzfachliche Planungsauftrag
in der Planungspraxis für den Neubau von
Verkehrswegen des Bundes“ BT-Drucksache
17/2032
Stärkung der ökologischen Verbundfunktion von Wasserstraßen. Ausbaumaßnahmen gehören auf den Prüfstand.
Anwendung der gleichen Prüfkriterien
zur Notwendigkeit von Grünrücken
beim Autobahnausbau wie beim Neubau.
Aufstockung und Verstetigung von
Bundesmitteln zur Verminderung der
Zerschneidungswirkung vorhandener
Verkehrsinfrastruktur im Rahmen des
Bundesprogramms Wiedervernetzung.
5.9. BÜRGERBETEILIGUNG UND
BIODIVERSITÄT
Pro b le m
Egal ob Energie- oder Verkehrsinfrastruktur,
Massentierhaltungsanlagen oder Bergbau –
sämtliche Vorhaben müssen frühzeitig und
unter Bürgerbeteiligung auch mit Blick auf
mögliche Beeinträchtigungen des Naturhaushaltes geprüft und geplant werden. Diese
Aspekte jedoch werden immer noch zu spät in
Planungsprozesse eingespeist und daher am
Ende oft unzureichend berücksichtigt. Das ist
ein systematischer Mangel im deutschen Planungsrecht.
Bu nd un d Lä n d e r
Ersatz des Bundesverkehrswegeplans
durch einen verkehrsträgerübergreifenden Bundesmobilitätsplan. Darin
wird der Planungsgrundsatz verankert,
dass die Erhaltung von Verkehrswegen
die erste Priorität ist. Bei allen Planungen müssen die Auswirkungen auf die
Biodiversität geprüft und berücksichtigt werden. Auch Rückbau und Rückstufung von Straßen dürfen kein Tabu
mehr sein.
Wahrnehmung der Raumordnungskompetenz des Bundes und der Länder, um den Wildwuchs hochsubventionierter Regionalflugplätze zu beenden.
Verzicht auf den Ausbau von Flughäfen
in hochverdichteten Siedlungsräumen.
Am Anfang von Planungsprozessen stehen
Bedarfs- oder Raumordnungspläne, die zwar
teilweise bereits naturschutzfachliche Aussagen oder Hinweise auf Konflikte beinhalten.
Ihnen fehlen jedoch Konkretisierung und Detailschärfe, darüber hinaus die Verbindlichkeit. Öffentlichkeit und Naturschutzverbände
werden in diesen Stadien nicht ernsthaft einbezogen. Mit den so vorbereiteten Plänen ist
es nicht möglich, die Belange des Naturschutzes in das anschließende Planungsverfahren
ausreichend einzubringen. Fachlich falsche
Planungen werden somit verfestigt. Bei den
endgültigen und verbindlichen Vorhabensgenehmigungen sind die Planungen zumeist so
weit gediehen, dass Umplanungen kaum noch
möglich sind. Ohnehin tragen Verfahren wie
das Planfeststellungsverfahren den Charakter
eines „Umsetzungsinstrumentes“, d. h. sie
sollen Planungen rechtssicher machen, nicht
aber grundsätzlich die Betroffenen einbinden
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antrag „Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren“ BT-Drucksache 17/6502
Antrag „Klimaschutz in der Stadt“ BTDrucksache 17/5368
Antrag „Strategie für Klimaschutz im Verkehr
vorlegen“ BT-Drucksache 17/4040
Antrag „Mit grüner Elektromobilität ins postfossile Zeitalter“ BT-Drucksache 17/1164
49
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
oder gar Vorhaben auf den Prüfstand stellen.
Die Prüfung von Umweltaspekten, insbesondere von naturschutzfachlichen Gesichtspunkten, bleibt für Vorhabenträger und verfahrensführende Behörden oftmals eine „Last“,
die formal „abgearbeitet“ werden muss. Umweltverträglichkeitsprüfungen oder landschaftspflegerische Begleitpläne sind häufig
oberflächlich, lückenhaft und teilweise falsch.
Solche so genannten Verfahrensfehler können
von Vorhabensträgern jedoch ohne größeren
Aufwand „geheilt“ werden und stellen daher
Vorhaben so gut wie nie in Frage.
rechtlich und ökologisch valide Einwände in
frühen Planungsphasen ignoriert wurden und
die Beteiligungselemente nur als Instrument
zur Verfahrensabsegnung betrachtet wurden.
Dagegen ist die biologische Vielfalt ein wichtiges Merkmal lebenswerter und attraktiver
Kommunen. Sie übernimmt wichtige Funktionen zum stadtklimatischen Ausgleich, zur
Sicherung der natürlichen Wasser- und Stoffkreisläufe, bietet die Möglichkeit zur Naturerfahrung und Erholung der Menschen an ihrem
Wohn- und Arbeitsort und prägt damit wesentlich die Lebensqualität. Das Handeln von
Städten, Gemeinden und Landkreisen wiederum wirkt sich unmittelbar auf diese Funktionen und Qualitäten aus und ist für die Erhaltung und Förderung der biologischen Vielfalt
vor Ort entscheidend.
Alle Ebenen haben wichtige Rollen in Planungsprozessen. Eine wesentliche Funktion
für ein modernes Planungsrecht kommt dem
Bund zu. Das Fachplanungsverfahren ist maßgeblich in Bundesgesetzen geregelt. Zu diesen
bundesgesetzlichen Regelungen gehören das
Verwaltungsverfahrensgesetz, das Immissionsschutzgesetz, das Bundesberggesetz und
die Fachgesetze zu Energieleitungen und Verkehrsinfrastruktur. Darüber hinaus werden
Bedarfspläne, beispielsweise zum Fernstraßenausbau, im Bundestag in Gesetzesform
beschlossen. Das gleiche gilt für die Verabschiedung beispielsweise der Landesbedarfspläne durch die Landtage. Die Durchführung
der Planungsverfahren obliegt in der Regel
den Landesbehörden. Ob Raumordnungsverfahren, Planfeststellungsverfahren, immissionsschutzrechtliches oder bergrechtliches
Verfahren – zuständig sind im Allgemeinen
Landesbehörden. Den Kommunen kommt die
Planungskompetenz nach dem Baugesetzbuch
zu. Im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung planen sie Wohn- und Gewerbegebiete sowie Straßen mit Flächennutzungsund Bebauungsplan.
U n ser e Z ie l e
Wir wollen, dass Bürgerinnen und Bürger sowie Nichtregierungsorganisationen die Möglichkeit haben, sich an Planungsprozessen
von Anfang an zu beteiligen. Das erfordert
eine transparente Gestaltung von Planungsprozessen und umfassende abrufbare Informationen über Vorhaben für alle Interessierten und Betroffenen.101 Daten müssen durch
Register für Laien verständlich aufbereitet und
zugänglich gemacht werden. Das Internet und
andere moderne Kommunikationsmittel müssen dafür genutzt werden. Aber Transparenz
allein reicht nicht. Erforderlich ist darüber
hinaus, dass Planungsprozesse wirklich ergebnisoffen und Entscheidungen revidierbar
sind. Nur so haben alle Interessierten die
Möglichkeit, ernsthaft in Planungen einzugreifen. Wir wissen, Öffentlichkeitsbeteiligung
ist nicht zum „Nulltarif“ zu haben. Aber sie
schafft Akzeptanz, spart Zeit und mitunter
auch Geld – Frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung führt im Ergebnis zu besseren Lösungen
und kann den Missbrauch von Genehmigungsprozessen zur reinen Verzögerung von
Vorhaben verhindern. Der freie Zugang zu
Geodaten ist für transparente Planung und
Der Naturschutz wurde in vielen Verfahren als
Bremser wahrgenommen, einerseits weil insbesondere der Artenschutz oft die einzige
Möglichkeit darstellte, Vorhaben doch noch zu
verhindern, die teilweise aus ganz anderen
Gründen auf Ablehnung stoßen, andererseits
weil Beschränkungen oder Kostensteigerungen im Interesse des Naturschutzes immer
noch als überflüssig angesehen werden.
Gleichzeitig kann festgestellt werden, dass
Bürgernahe und effiziente Planung im 21. Jahrhundert. Fraktionsbeschluss vom 01.09.2011.
101
50
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
informierte Beteiligung ebenfalls von großer
Bedeutung.
Abschwächung von Regelungen, die
die Beteiligung beschränken (materielle Präklusion) sowie Modernisierung
der Klagemöglichkeiten für Naturschutzverbände (Verbandsklage), der
Umweltvereine sowie der betroffenen
Bürgerinnen und Bürger, insbesondere
im Hinblick auf die zeitliche Präklusion
und die vorzubringenden Inhalte (materielle Präklusion);
Die Kommunen wollen wir weiter ermutigen,
den entsprechenden Rahmen für eine engagierte Bürgerbeteiligung herzustellen. In Planungsverfahren muss die Verringerung des
Flächenverbrauchs und die Abwägung zwischen Innenentwicklung und dem Schutz von
städtischen Brachen mehr Raum bekommen.
Zur notwendigen Transparenz muss ein verbindliches Flächenmonitoring eingeführt werden.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge
Kleine Anfrage „Planungsbeschleunigung und
Bürgerbeteiligung“ BT-Drucksache 17/4788
Siehe im Detail: Fraktionsbeschluss „Bürgernahe und effiziente Planung im 21. Jahrhundert“:
Entschließungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben, BTDrucksache 16/3176
http://www.gruene-bundestag.de/cms/
beschluesse/dokbin/389/389419.
buergerbeteiligung.pdf
Änderungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes
zur Beschleunigung von Planungsverfahren
für Infrastrukturvorhaben, BT-Drucksache
16/3175
Bu nd, Lä nd e r u nd Ko m m u n e n
Einbeziehung der Öffentlichkeit sowie
der Umwelt- und Naturschutzverbände
bereits in die ersten Planungsstufen.
Dies gilt insbesondere für die Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Bedarfsermittlung an Projekten und in den zu
stärkenden vorbereitenden Planungsschritten wie etwa beim Raumordnungsverfahren.
Implementierung informeller Expertenbeteiligung, auch in modernen
Formen wie Planungszellen, Mediationsverfahren und anderen alternativen Konfliktlösungsverfahren.
Stärkung direkter Demokratie durch
Einführung direktdemokratischer Elemente in Planungsverfahren
Schaffung finanzieller und personeller
Kapazitäten in den Kommunen, um
diese in die Lage zu versetzen, ihre
Planungs- und Prüfaufgaben zu erfüllen. Darüber hinaus müssen aber auch
die anerkannten Umwelt- und Naturschutzorganisationen für die Beteiligung an Planungsverfahren angemessen unterstützt werden.
Fraktionsbeschluss „Bürgernahe und effiziente Planung im 21. Jahrhundert“ vom
01.09.2011
„Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu
Rechtsbehelfen nach der EG Richtlinie
2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz)“
BT-Drucksache 17/7888
5.10. SPORT UND BIODIVERSITÄT
Pro b le m
Sportliche Betätigung in der freien Natur gewinnt immer mehr an Bedeutung. Grund ist
ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein in
der Bevölkerung und die Hinwendung zu Naturerlebnissen, die im städtischen Alltag kaum
noch vorkommen. Dabei bilden naturnahe
Lebensräume ein attraktives Ziel bzw. eine
attraktive Kulisse für Natursportaktivitäten. Ob
in der Luft, auf dem Meer oder an Land: Sport
findet überall statt. Beachtet werden muss
aber, dass der Aktionsraum für Sport gleich-
51
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
zeitig Lebensraum für Tiere, Pflanzen und
andere Lebewesen ist.
Natursport muss generell grüner werden. Wir
wollen, dass die Sportverbände und Sportvereine noch stärker Prinzipien der Nachhaltigkeit und damit auch Ziele der Erhaltung der
biologischen Vielfalt in ihre Programmatik
aufnehmen. Auch kann und muss der Sport –
gerade wegen seiner vielen jugendlichen Mitglieder – Vorbildfunktion übernehmen. Verschiedene Sportverbände engagieren sich
bereits im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit105; wir wollen auch zu einem stärkeren
Engagement für den Naturschutz ermutigen.
Von der Integration weitreichender Naturschutzziele in die jeweils verbandseigene
Satzung bis hin zu öffentlichkeitswirksamen
Umweltbildungsprojekten bestehen Möglichkeiten, Verantwortung für die biologische
Vielfalt und den Schutz der Natur zu übernehmen. Diese Möglichkeiten sollen insgesamt stärker genutzt werden.
In den letzten Jahren ist in der Breite eine
Tendenz hin zu "sanften" Natursportarten wie
Nordic Walking, Wandern und Radfahren zu
beobachten. Gleichzeitig nehmen Extremsportarten zu. Natursport ist in vielen Regionen zu einem wichtigen Sozial- und Wirtschaftsfaktor geworden, er ist in der Mitte der
Gesellschaft angekommen und findet viele
Anhänger. Die Belastungen der Natur werden
dadurch nicht geringer – vor allem dort, wo
einmalige Lebensräume mit seltenen Tierund Pflanzenarten betroffen sind.
Für 21 Prozent der Menschen ist die sportliche
Betätigung ein wichtiger Grund, in die Natur
zu gehen.102 Natur und Landschaft bieten viel
für Sport und Freizeit. Sportarten wie Rudern,
und Kanu, Gleitschirmfliegen oder Klettern
sind stark auf die Funktionsfähigkeit der Natur angewiesen. Beiträge zur Sicherung der
biologischen Vielfalt sind daher auch im ureigensten Interesse des Natursports und müssen
dort geleistet werden, wo die Ziele des Naturschutzes und die Interessen des Natursports
aneinander stoßen.
Grundsätzlich ist es unerlässlich, dass sich die
Sportausübung nach den naturräumlichen
Voraussetzungen richtet. Wo sie aus naturschutzfachlichen Gründen nicht möglich ist,
muss sie in weniger sensible, aber trotzdem
geeignete Gebiete umgelenkt werden. Differenzierte Schutz- bzw. Nutzungskonzepte
helfen, Konflikte zu minimieren und die Nutzung langfristig zu sichern. Zu ihrer Entwicklung bedarf es einer engen und vertrauensvollen Kooperation zwischen den Verantwortlichen aus den Bereichen Naturschutz und
Sport. Vorrang sollen dabei gemeinsame
Problemlösungen haben, indem die beteiligten Gruppen gemeinsam sachgerechte und für
alle Seiten akzeptable Lösungen entwickeln
und umsetzen. Besondere Sensibilität ist
hierbei in Schutzgebieten und um diese herum gefragt. Gemeinsame Konfliktlösungsund Managementplanungen verbessern die
gegenseitige Akzeptanz. Der Naturschutz gewinnt so den Natursport als Partner bei der
Umsetzung nachhaltiger Nutzungskonzepte.
Die wachsende Verantwortung der Sportverbände für den Naturschutz zeigt sich auch
Häufig sind die aus Naturschutzsicht wertvollen, aber auch sensiblen Ökosysteme für die
Ausübung von Freizeitaktivitäten besonders
attraktiv wie z. B. in den Alpen. Das kann zu
erheblichen Belastungen für Flora und Fauna
führen. Wie groß diese sind, hängt von der Art
der Sportausübung, der Intensität der Aktivität und der Empfindlichkeit der Ökosysteme
ab.
Auch auf Sportplätzen gibt es Handlungsbedarf und Handlungsoptionen, die sich mit
Zielen des Biodiversitätsschutzes103 und der
Umweltbildung verbinden lassen. So ruft der
DFB seine Mitgliedsvereine zu Umweltmaßnahmen auf, die auch den Arten- und Biotopschutz betreffen.104
U n ser e Z ie l e
Beispielhaft sei das Kooperationsprojekt „Jugend für
Umwelt und Sport“ (JUUS) zwischen Naturschutzjugend
(NAJU) und Deutscher Sportjugend (dsj) erwähnt ( siehe: www.juus.de ).
105
Vgl. Naturbewusstseinsstudie 2009.
103Siehe hierzu etwa: http://sportplatzdschungel.de/
104 http://umwelt.dfb.de
102
52
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
daran, dass der natur- und landschaftsverträgliche Sport in das Bundesnaturschutzgesetz aufgenommen wurde.
ben, auf Kunstschnee in der freien Natur und
künstlich beleuchtete Pisten muss weitgehend
verzichtet werden und ökologisch besonders
empfindliche Gebiete müssen für diesen Sport
tabu sein. Landschafts- und naturzerstörende
Bauvorhaben für Sportgroßereignisse lehnen
wir ab. Wo Freiwilligkeit nicht fruchtet, muss
das Ordnungsrecht greifen. Das gilt zum Beispiel für das Klettern während der Brutzeit
von Wanderfalken oder Uhus. Veranstaltungen
wie Motorbootrennen haben in Naturschutzgebieten nichts zu suchen. Die kommunalen
Verwaltungen müssen dafür sensibilisiert
werden, Naturschutzrecht konsequent zu beachten und durchzusetzen.
Wir wollen für den Sport und die naturnahe
Erholung siedlungsnahe Flächen sichern und
ausweisen. Dabei muss es auch um die naturverträgliche Entwicklung und Aufwertung
solcher siedlungsnaher Flächen gehen, um
Raumnutzungskonflikte zu entschärfen.
Dort, wo in Natura 2000-Gebieten relevante
Nutzungen durch Sport und Erholung stattfinden, müssen in Übereinstimmung mit den
Schutzzielen entsprechende Managementkonzepte für naturverträglichen Sport und Erholung erarbeitet werden.106 Die Nutzergruppen
müssen weitgehend in die Erarbeitung einbezogen werden, um eine hohe Akzeptanz für
mögliche Nutzungsbeschränkungen zu erreichen.
Da es sich beim Natursport vielfach um Individualsportarten handelt, bei denen nur ein Teil
der Aktiven in Vereinen organisiert ist, kommt
der Öffentlichkeitsarbeit und Information in
den jeweiligen Regionen eine besondere Rolle
zu.
Ein gutes Beispiel ist die Zusammenstellung
der ABA-Gebiete (Aircraft relevant Bird Area),
die seit 2007 in die offiziellen Luftfahrtnavigationskarten
aufgenommen
wurden.107
Durch diese Informationen können Piloten
diese Gebiete bei der Flugplanung beachten
und meiden bzw. hoch überfliegen. Dadurch
reduziert sich die Flugschlaggefahr und die
Störung von Rast- und Brutplätzen wird minimiert. Vergleichbares gibt es für so genannte Tauchseen, in denen der Tauchsport problemlos ausgeübt werden darf.108 Oft gelingt
auch eine ehrenamtliche Zusammenarbeit
beim Monitoring bestimmter Arten, insbesondere bei Neobiota.109 Diese Kooperationsformen wollen wir auf allen Ebenen fördern und
stärken.
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge
Bu nd,
V e r ein e
Lä nd e r,
K omm un e n
u nd
Verbindliche Regelungen zur Mitwirkung der Sportverbände und -vereine
bei allen sie betreffenden Naturschutzmaßnahmen. Vertragliche Vereinbarungen mit Natursport- und Naturschutzverbänden sollen dabei wo
möglich Vorrang vor dem Ordnungsrecht haben.
Überprüfung aller sportlichen Großveranstaltungen auf Natur- und Umweltverträglichkeit; verbindliche Umweltund Naturschutzkonzepte als Teil der
Genehmigungsverfahren. Frühzeitige
Einbeziehung von Umweltverbänden in
die Planungen.
Nach Möglichkeit, Benennung von Naturschutzbeauftragten in allen Sportvereinen, die u. a. dafür sorgen, dass
Naturschutzziele – z. B. der nationalen
Biodiversitätsstrategie, der Alpenkonvention und der EU-Wasserrahmenrichtlinie – konsequent beachtet werden.
Für uns gilt: Soll der Natursport Zukunft haben, muss er sich der Natur anpassen und
nicht umgekehrt. Das gilt in besonderem Maße für den Wintersport in den Bergen. Generell muss es naturverträgliche Skirouten ge-
106„Natura
2000, Sport und Tourismus“, Leitfaden von
Universität Wien, DOSB und BfN.
107Siehe: www.aba.bfn.de.
108Siehe: www.tauchseen-portal.de.
109Vgl. „Ehrenamtliches Gewässermonitoring durch
Sporttaucher in Brandenburg“, in: Sport schützt Umwelt Nr. 88, Sept. 2008.
53
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
5.11. BIODIVERSITÄT IN WIRTSCHAFT
UND ARBEIT
und den Kosten des Biodiversitätsverlustes
aufgrund unterlassener Schutzmaßnahmen im
Vergleich zu den Kosten eines wirkungsvollen
Naturschutzes.“ Die Studie wurde im Rahmen
der deutschen G8-Präsidentschaft 2007 initiiert und zwischen 2008 und 2010 in verschiedenen Teilbänden mit unterschiedlichen
Zielgruppen veröffentlicht.112 Ein Kompetenzzentrum am Bundesamt für Naturschutz sowie
eine auf Deutschland bezogene Studie „Naturkapital Deutschland“ sollen diese Ansätze
auch auf die nationale Ebene übertragen.113
5.11.1. UNTERNEHMENSPOLITIK UND
BIODIVERSITÄTSSCHUTZ
Pro b le m
Intakte Ökosysteme haben einen konkreten,
nicht ersetzbaren Wert für die Wirtschaft. Sie
stellen alle für unser Leben notwendigen Güter wie Wasser, saubere Luft, fruchtbare Böden zur Verfügung, die auch unabdingbare
Grundlage für jede Form des Wirtschaftens
sind. Außerdem ist die Natur unser wichtigster, aber nicht unerschöpflicher Rohstofflieferant. Das Umweltprogramm der Vereinten
Nationen (UNEP) schätzt die Leistungen von
Ökosystemen auf einen Wert von bis zu 72
Billionen Dollar jährlich, der weit über der
globalen Wirtschaftsleistung von 58 Billionen
Dollar (2008) liegt. Doch zwei Drittel der
weltweiten Ökosysteme sind in Folge von
Missmanagement, Zerstörung, Übernutzung
und fehlender Investitionen in einem degradierten Zustand.110 Trotz dieser Erkenntnisse
agieren viele Unternehmen noch immer –bei
Produktionsprozessen wie bei der Rohstoffgewinnung – gegen die Natur und gefährden
damit ihre eigenen Produktionsgrundlagen.
So sind die weltweit 3.000 größten Unternehmen für Umweltschäden in Höhe von
mehr als zwei Billionen US-Dollar verantwortlich.111 Wir müssen feststellen, dass die Märkte allein nicht in der Lage sind, solche Fehlentwicklungen zu verhindern.
Die Sicherung der ökologischen Ressourcen ist
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu der
sich die Regulation über Märkte bislang als
ungeeignet erwiesen hat. Als Teil der Gesellschaft sind auch Unternehmen den Risiken
durch Biodiversitätsverluste ausgesetzt. Selbst
das Weltwirtschaftsforum betrachtet Schäden
durch Biodiversitätsverlust in ihrer Wahrscheinlichkeit und in ihrer Höhe zunehmend
als Risiko. Dagegen würden allein Investitionen von 45 Milliarden US-Dollar jährlich in
ein kohärentes Schutzgebietssystem Ökosystemleistungen in Höhe von fünf Billionen USDollar sichern, was einem Kosten-NutzenVerhältnis von 1:100 entspricht. Dies wären
Investitionen in den Schutz materieller Lebensgrundlagen, die Einkommen schaffen
und zum Klimaschutz und zur Anpassung an
den Klimawandel beitragen.
Die Gleichzeitigkeit von Ressourcen-, Finanz-,
Klima- und Biodiversiätskrisen zeigt, dass das
konsequente Ignorieren von Fehlentwicklungen den Herausforderungen nicht gerecht
wird. Festzustellen ist, dass „wir nicht ehrlich
sind und nicht die wahren Kosten in Rechnung stellen für Energie und Rohstoffe und
die Nutzung von Wasser, Luft und Böden“. 114
Um die wirtschaftliche Betrachtung von Ökosystemleistungen zu erreichen, die sich als ein
sinnvolles Instrument herausgestellt hat, um
dem Verursacherprinzip näher zu kommen
und eine Inwertsetzung dieser Leistungen
bzw. eine Schonung der Ressourcen zu erreichen, ist die TEEB-Studie (The Economics of
Ecosystems and Biodiversity) veranlasst worden. Sie befasst sich mit dem „globalen wirtschaftlichen Nutzen der biologischen Vielfalt
110
111
Nur durch fundamentale Änderungen unserer
Wirtschafts- und Lebensweise115 lassen sich
TEEB-Synthesebericht 2010, Deutsche Fassung.
http://www.bfn.de/11930.html
114 http://nachhaltigkeitsrat.de/index.php?id=6565
115 So z. B. die Conclusions des Umweltministerrats der
EU vom 20.12.2010 zu „Sustainable Materials Management“.
http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/10/st17/st1
7495.en10.pdf; hier: Erster Erwägungsgrund.
112
113
UNEP 2010 „Dead Planet, Living Planet“.
www.teebweb.org
54
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
diese Probleme in den Griff bekommen. Wir
müssen lernen, mit weniger Naturverbrauch
mehr zu erreichen und Wohlstandsentwicklung vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Eine Entkopplung ist aufgrund des
Reboundeffektes nicht allein mit technologischer Effizienz erreichbar, denn häufig werden Effizienzsteigerungen durch Mehrverbrauch wieder aufgebraucht. Um Wohlstand
vom
Ressourcenverbrauch
abzukoppeln,
braucht es einen Dreiklang aus technologischer Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Dies
bedeutet eine Stärkung der Innovation und
Investition im Bereich der Ressourcenproduktivität, die Umsetzung einer konsequenten
Kreislaufwirtschaft und ein Überdenken unserer Konsummuster.
merische Ansätze und Kooperationen finden
sich hierfür bereits im Rahmen der Business
und Biodiversity Initiative, der TEEB for Business Coalition oder im „Environmental profit
and loss account“ der Firma Puma.117
U n ser e Z ie l e
Der Raubbau an der Natur zu Gunsten kurzfristiger Gewinne Einzelner muss beendet
werden. Um aber die Wirtschaft systematisch
in eine nachhaltige, klima-, umwelt- und
biodiversitätsschonende Richtung zu lenken,
braucht es ambitionierte und verbindliche
ökologische und soziale Leitplanken sowie
stärkere Anreize zu weniger Ressourcenverbrauch über den Marktmechanismus. Wir
wollen ökonomische Anreize und ordnungsrechtliche Vorgaben gleichermaßen nutzen,
um die Honorierung von Leistungen der Natur
und der nachhaltigen Bewirtschaftung zu
verbessern. Der Abbau umweltschädlicher
Subventionen zählt hierzu ebenso wie beispielsweise Erleichterungen für nachhaltige
Produkte im Abfallrecht.
Der Schutz der biologischen Vielfalt kann aber
nur gelingen, wenn er über die Umweltressorts hinaus betrieben und zu einem festen
Bestandteil auch der Wirtschafts- und Unternehmenspolitik wird. Deshalb werten wir die
neue Strategie der EU zur gesellschaftlichen
Verantwortung von Unternehmen (CSR) 116, die
erstmals über einen freiwilligen Ansatz hinaus
geht und verpflichtende Regeln für die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen
fordert, als Schritt in die richtige Richtung. Wir
setzen uns für eine gesetzliche Verpflichtung
der Unternehmen ein, Informationen zur Einhaltung von sozialen und ökologischen
Grundstandards bei ihrer Geschäftstätigkeit zu
veröffentlichen. Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen muss dabei gewährleistet und
den beschränkten Kapazitäten kleiner und
mittlerer Unternehmen ausreichend Rechnung
getragen werden.
Die Schädigung natürlicher Ressourcen wie
der biologischen Vielfalt muss sanktioniert
werden. Dies darf aber nicht zu einem „Ablasshandel“ führen. Wir wollen vielmehr erreichen, dass die Einsicht Raum greift, dass
für Unternehmen ein Engagement für die
biologische Vielfalt und für die Erhaltung natürlicher Ressourcen nicht nur Marktchancen
und mögliche Umsatzsteigerung sondern in
vielen Fällen auch schlicht die Erhaltung der
eigenen Wirtschaftsgrundlage bedeutet. Zusätzlich dazu sinken die Haftungsrisiken bei
Umweltschäden und auch die zunehmende
Nachfrage nach nachhaltig produzierten Gütern bietet ökonomische Anreize.
Ein Ziel der EU-Biodiversitätsstrategie ist es
daher auch, dass die Mitgliedstaaten bis 2014
nicht nur den Zustand sondern auch den Wert
ihrer Ökosysteme und Ökosystemleistungen
erfassen, um dies künftig in Berichterstattungen und wo sinnvoll in Berechnungen zu berücksichtigen. Erste Beispiele für unterneh-
Leider gilt für die ökonomische Berücksichtigung von Biodiversität und Ökosystemleistungen: Was du nicht messen kannst, kannst du
nicht lenken. Um eine tatsächliche Verankerung in der Wirtschaft zu ermöglichen, sind
Eine neue EU-Strategie (2011-14) für die soziale
Verantwortung der Unternehmen (CSR) Brüssel,
KOM(2011):
http://ec.europa.eu/enterprise/newsroom/cf/_getdocu
ment.cfm?doc_id=7008
Puma: Environmental Profit and Loss Account for the
year ended 31 December 2010:
http://about.puma.com/wpcontent/themes/aboutPUMA_theme/financialreport/pdf/EPL080212final.pdf
116
117
55
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
insbesondere für eine ökonomische Betrachtung von Schädigungen der Natur noch große
Wissenslücken zu schließen. Als wichtigste
Voraussetzung für einen wirksamen Schutz der
Biodiversität und eine stärkere Berücksichtigung in Unternehmen müssen daher bessere
Mess- und Monitoring-Systeme und allgemein
anerkannte Bewertungskriterien von Ökosystemleistungen und Naturkapital geschaffen
werden. Dies gilt für die betriebswirtschaftliche Ebene genauso wie für die volkswirtschaftliche. „Die grüne Rohstoffstrategie stellt
dabei den Zugang und Umgang mit Rohstoffen auf eine gerechte und nachhaltige Grundlage. Wir konzentrieren uns auf eine Innovationsstrategie basierend auf Effizienz, Recycling und Substitution, die ökologisch notwendig und ökonomisch vorteilhaft ist.“118
Dies sind gute Grundlagen für die künftige
Berichterstattung von Unternehmen und öffentlicher Hand. Die Vielzahl der Ansätze muss
im Sinne der Transparenz aber durch Kooperation zwischen den Initiativen verbessert
werden. Die Erfahrungen, die Unternehmen
im Rahmen der Initiative „Biodiversity in
Good Company“ machen, wollen wir als wichtige Pilotvorhaben würdigen.
Bei
der
Einrichtung
neuer
Inwertsetzungssysteme werden wir darauf achten,
dass sie nicht über eine reine Marktorientierung den Zugang zu natürlichen Ressourcen
kapitalabhängig machen. Vielmehr müssen
Funktionen und Leistungen von Ökosystemen
als Gemeingüter betrachtet werden, die über
transparente und partizipative Mechanismen
verwaltet werden, um gerechten Zugang zu
diesen Gütern sicherzustellen.
Wir wollen das Verständnis und die Aufmerksamkeit für die Werte der Natur unter Politikern, Unternehmen, Verbänden und Bürgern
erhöhen. Dazu sind Unternehmenskooperationen, Pilotprojekte, Begleitforschung und ein
internationaler Austausch notwendig, um
mehr Erfahrungen mit unterschiedlichen Instrumenten zum Biodiversitätsschutz in der
Wirtschaft zu sammeln. Vorschläge für die
Berichterstattung über Einflüsse und Abhängigkeiten von Unternehmen in Verbindung
mit der biologischen Vielfalt hat jüngst die
Global Reporting Initiative (GRI) vorgelegt. 119
Einen Leitfaden für die betriebliche Praxis
stellt
das
„Handbuch
Biodiversitäts120
management“ dar.
Ähnliche Ansätze verfolgt auch das World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) mit dem
„Guide to Corporate Ecosystem Valuation“. 121
Die TEEB for Business Coalition hat sich ebenfalls zum Ziel gesetzt, Standards für die Einbindung von Ökosystemdienstleitungen in die
Firmenbilanzen zu entwickeln.122
Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben
über die Nachfrage am Markt ebenfalls eine
wichtige Lenkungsmöglichkeit. Um diese Verantwortung wahrnehmen zu können, ist aber
nicht nur ein Bewusstsein für ökologische
Folgen und Folgekosten notwendig, sondern
auch Transparenz und Vertrauen. Entsprechende Zertifizierungssysteme können dafür
ebenso eine Basis sein wie kompetente Beratung bei der Beschaffung durch die öffentliche Hand. Die im Aufbau befindliche Kompetenzstelle für Nachhaltige Beschaffung 123 sollte daher insbesondere auch Folgen für die
biologische Vielfalt berücksichtigen. Mittelund langfristig müssen aber auch alternative
Bemessungsgrundlagen für die wirtschaftliche
Entwicklung gefunden werden, die über das
BIP (Bruttoinlandsprodukt) und dessen
Wachstum hinausgehen und die Bedeutung
von ökosystemaren Dienstleistungen als
Grundlage für Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität berücksichtigen. Die Initiative
zum Wohlfahrtsindex in Schleswig-Holstein124
grüne Rohstoffstrategie – 01.09.2011
GRI 2011: An approach for reporting on ecosystem
services
120 BMU 2010: Handbuch Biodiversitätsmanagement.
121 WBCSD: Guide to Corporate Ecosystem Valuation
(2011)
http://www.greenbiz.com/sites/default/files/WBCSD_Gu
ide_CEV_April_2011.pdf
122 http://thefinancelab.org/archives/390
118
119
123
http://www.bescha.bund.de/DE/Nachhaltigkeit/node.h
tml?__nnn=true
124 Grüne Wirtschaftspolitik und regionaler Wohlfahrtsindex für Schleswig-Holstein.
http://www.sh.gruenefraktion.de/cms/files/dokbin/382/382773.bipgutachten.pdf
56
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
und die Arbeit der Bundestags-Enquete sollen
dazu ebenso als Ausgangspunkt dienen wie
die Initiative WAVES (Wealth Accounting and
Valuation of Ecosystem Services) von Weltbank
und UNEP.125
Produkte Erleichterungen im Abfallrecht geschaffen werden.127
Einführung eines Nachhaltigkeitsrankings für Finanzmarktprodukte und
Geldanlagen, das umweltschädliche
und naturverbrauchende gegenüber
nachhaltigen Investitionen kenntlich
macht.128
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge :
Bu nd
In Koo p e rat i on z w isc h en B un d, Lä nde r n u nd Komm u n en
Start einer Initiative zur Entwicklung
eines Bewertungssystems für naturverträgliches Wirtschaften über die Einhaltung naturschutzrechtlicher Vorschriften hinaus, gemeinsam mit Wirtschaft und Naturschutzverbänden; bestehende freiwillige Kooperationen wie
z. B. „Biodiversity in Good Company“
können hierfür als Ausgangspunkt dienen und durch eine stärkere Vernetzung mit entsprechenden internationalen Initiativen und Verbänden gestärkt werden.
Ergänzung der Indikatoren zur Biodiversitäts- und Nachhaltigkeitsstrategie um einen Indikator zu nachhaltigem und biodiversitätsverträglichem
Konsum.126
Unterstützung einer Weiterentwicklung
und Vereinheitlichung von staatlich
garantierten
Nachhaltigkeitssiegeln
sowie der Definition verbindlicher
Nachhaltigkeitskriterien, um transparente Konsumentscheidungen zu ermöglichen.
Abbau umweltschädlicher Subventionen; Entwicklung ordnungspolitischer
und finanzieller Steuerungsinstrumente, die die tatsächlichen Kosten von
nicht-nachhaltig produzierten Gütern
einpreisen, indem z. B. die Steuerbefreiung für die stoffliche Nutzung von
Erdöl abgeschafft oder für nachhaltige
Erarbeitung eines nationalen Aktionsplans und Stärkung der Praxishilfen für
die öffentliche Beschaffung, um die
Möglichkeiten des Vergaberechts zur
Beschaffung ökologisch und sozial erzeugter Produkte und Dienstleistungen
sowie zur Förderung regionaler Strukturen besser und breiter nutzbar zu
machen.
5.11.2. ARBEITSMARKTEFFEKTE DES
BIODIVERSITÄTSSCHUTZES
Pro b le m
Die Argumentation konservativer Wirtschaftskreise, Umwelt- und Naturschutz verhinderten eine ökonomisch sinnvolle wirtschaftliche
Entwicklung und stünden der Schaffung neuer
Arbeitsplätze entgegen, ist längst widerlegt.
Dieses Argument wird regelmäßig dann vorgetragen, wenn es die Akteure in den unterschiedlichen Wirtschaftbereichen versäumt
haben, sich neuen Entwicklungen rechtzeitig
anzupassen. Beispielhaft hierfür ist der Bereich der Energieversorgung, wo von der
Atom- und Kohlelobby über Jahrzehnte behauptet wurde, dass ein Umstieg auf regene-
Positionspapier der Bundestagsfraktion: Stoffliche
und energetische Nutzung von Biomasse, September
2011, http://www.gruenebundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/391/391070.biomasse.
pdf
128 Grüner Antrag 17/795: Finanzmärkte ökologisch,
ethisch und sozial neu ausrichten
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/007/1700795
.pdf
127
125
http://web.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/TOPICS/ENVI
RONMENT/0,,contentMDK:23133814~pagePK:148956~
piPK:216618~theSitePK:244381,00.html
126 Fraktionsbeschluss 25. Mai 2010: Eine neue Entscheidungsarchitektur für nachhaltigen Konsum.
57
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
rative Energiequellen für einen Industriestandort wie Deutschland nicht machbar sei.
Heute wissen wir, dass gerade bei der Nutzung erneuerbarer Energien Hunderttausende
von zukunftssicheren Arbeitsplätzen entstanden sind und weiter entstehen.
kommen, dass zu hohe und unzureichend
kontrollierte Fischerei zu einem jährlichen
Verlust von 50 Milliarden US-Dollar pro Jahr
gegenüber einer nachhaltigen Fischerei führen. Der so unvermeidbare Zusammenbruch
großer Fischbestände wird längerfristige und
gravierendere Konsequenzen haben als eine
Anpassung der Fangmengen an ökologisch
nachhaltige Größenordnungen. Nach TEEB
Schätzungen könnte dagegen das Unterschutzstellen von 20 bis 30 Prozent der Ozeane eine Million Arbeitsplätze schaffen und
Fischerträge von 70 bis 80 Milliarden USDollar pro Jahr sowie Ökosystemleistungen im
Wert von 4,5 bis 6,7 Billionen US-Dollar erbringen.
Nicht nur im Energiebereich erweisen sich
Nachhaltigkeit
und
Umweltschutz
als
Jobmotor, denn Arbeitsplätze können nur dort
Bestand haben, wo sie nicht auf Raubbau an
den vorhandenen natürlichen Ressourcen
fußen und damit ihre eigenen Produktionsgrundlagen vernichten. Zu welch verheerenden, natur- und arbeitsplatzzerstörenden
Folgen unterlassene Umweltschutzmaßnahmen führen können, zeigen Beispiele wie die
Havarie der BP-Bohrplattform „Deep Water
Horizon“ im Jahr 2010. Dabei wurden nicht
nur ganze Landstriche um das MississippiDelta verseucht und Zehntausende in der Region brütende Küstenvögel verendeten qualvoll; in Folge dieser Ölkatastrophe wurde im
Bereich der Mississippimündung und an der
Küste von Florida ein Fischfangverbot verhängt, die Fischereiwirtschaft und der Tourismus in dieser Region kamen zu Erliegen. Wir
brauchen Leitplanken für die Wirtschaft, damit Arbeitsplätze sicher und zukunftsfähig
werden.
Die TEEB-Studie unterstreicht die Bedeutung
für Arbeitsplätze im klassischen Umweltsektor.
Dazu gehören insbesondere Ökotourismus und
Erholung. An der Neuseeländischen Westküste
hängen 15 Prozent der Arbeitsplätze von Aktivitäten im Umfeld des Naturschutzes ab. In
Bolivien sichert der Tourismus in Schutzgebieten 20.000 Arbeitsplätze (und damit die Lebensgrundlage für 100.000 Menschen). Das
Working for Water Programm stabilisiert durch
die Wiederherstellung von Ökosystemen und
die Bekämpfung invasiver Arten in Südafrika
nicht nur den Wasserhaushalt. Es beschäftigt
auch zahlreiche Menschen. Insbesondere in
Entwicklungsländern finden sich weitere Beispiele, wie die Abstimmung zwischen Naturschutz, Landnutzung bzw. Fischerei und Tourismus das Einkommen der Bevölkerung steigern kann.
Auch in der Landwirtschaft erleben wir Vergleichbares. Zugunsten der Gewinne einiger
Weniger werden funktionierende Strukturen
im ländlichen Raum zerstört. Bislang werden
die Kosten einer billigen und umweltschädlichen Landwirtschaft, die weniger Arbeitskräfte beansprucht, über Sozialsysteme, Agrarförderung und fehlende Haftung für Umweltschäden mit falschen Anreizen gedeckt.
Dass die Profite dabei oft nicht nur auf der
lokalen Ebenen zu verbuchen sind, sondern
auch überregionale oder globale Auswirkungen haben, unterstreicht die Bedeutung öffentlicher Vorgaben und Investitionen gegenüber der Privatwirtschaft. Die TEEB-Studie
bezeichnet Investitionen in „Naturkapital“
ausdrücklich als arbeitsintensive Investitionsformen. Dennoch kommt sie mit einer weit
gefassten Definition des Umweltsektors zu
dem Ergebnis, dass auch in Europa jeder
Auch die wiederkehrende Debatte über Fischfangquoten wird meist über Arbeitsplatzargumente geführt, um Quoten durchzusetzen,
die weit über den wissenschaftlich empfohlenen liegen, die die Fischpopulationen noch
ertragen können. Diese Argumentation muss
konsequent als falsch und irreführend angeprangert werden, nicht obwohl sondern gerade weil in Europa rund 400.000 Arbeitsplätze
an der Fischereiindustrie hängen. Weltbank
und FAO sind vielmehr zu dem Ergebnis ge58
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
sechste Arbeitsplatz von natürlich Ressourcen
bzw. der Umwelt abhängt.129
Potenziale für mehr Arbeitsplätze liegen gerade auch in der regionalen Wertschöpfung und
im Rahmen der Energiewende, der ökologischen Lebensmittelwirtschaft und dem Tourismus in einem breiten Spektrum an Branchen. Je häufiger ein Euro innerhalb der Region die Hand wechselt, desto mehr Wertschöpfung, qualifizierte Arbeits- und Ausbildungsplätze und regionale Entwicklungsperspektiven werden geschaffen.132 Neben Anreiz- und
Zertifizierungssystemen wollen wir auch dafür
Sorge tragen, dass Nationalparke und Biosphärenreservate als arbeitsplatzsichernder
Faktor anerkannt werden, denn sie tragen
bereits heute erheblich zur regionalen Wertschöpfung bei und fördern gleichzeitig das
Naturbewusstsein.
Auch der Umweltwirtschaftsbericht130 des
Bundesumweltministeriums für Deutschland
zu einem deutlichen Ergebnis. Demnach ziehen zum Beispiel Schutzgebiete wie Nationalparke, Biosphärenreservate und Naturparke
jährlich etwa 50,9 Millionen Besucher an.
Allein diese generieren so einen Bruttoumsatz
von rund 2,1 Milliarden Euro, was einem Einkommens- bzw. Beschäftigungsäquivalent
von etwa 69.000 Personen entspricht.
U n ser e Z ie l e
Wir wollen erreichen, dass die Arbeitsmarktund Wirtschaftspolitik sich stärker als bislang
mit den ökologischen Folgen ihrer Prioritäten
auseinandersetzt. Wir brauchen Leitplanken,
die ein Wirtschaften auf Kosten der Natur
verhindern helfen. Die Förderung von besonderen Leistungen für den Naturschutz muss
insbesondere in der Landnutzung als Mehrwert erkannt werden, der breiten gesellschaftlichen Nutzen und positive Arbeitsmarkteffekte mit sich bringt. Wir wollen verhindern, dass das Arbeitsplatz-Argument
missbraucht wird, um notwendige Veränderungen in der Art und Weise, wie wir produzieren und was wir konsumieren, zu verhindern. Im Gegenteil: Die Abhängigkeit vieler
Arbeitsplätze von natürlichen Ressourcen
muss viel stärker berücksichtigt werden. Auch
wollen wir, dass das Arbeitsplatzpotenzial,
das durch den Naturschutz und den damit
einhergehenden Tourismus entsteht, viel stärker als bisher berücksichtigt wird. 131 Naturund Biodiversitätsschutz müssen als hartes
Wirtschafts-und Arbeitsplatzthema in den
verschieden Politikfeldern etabliert werden,
damit zukünftige Entscheidungen auf einer
breiteren Abwägungsbasis getroffen werden.
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge :
Bu nd, Lä nd e r u nd E u r opäi sc h e Un io n
Ausrichtung aller arbeitsmarktrelevanten ökonomischen Unterstützungssysteme (wie z. B. die europäische Agrarund Fischereipolitik) gemäß dem Prinzip „öffentliches Geld für öffentliche
Güter“, damit die Bedeutung intakter
Ökosysteme für Wirtschaft und Arbeit
in Wert gesetzt wird. Verbindliche ökologische Auflagen müssen die Nachhaltigkeit in den geförderten Branchen
erhöhen und damit auch zur Sicherung
und Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen.
In Koo p e rat i on z w isc h en B un d, Lä nde r n u nd Wi rt scha ft
Förderung von mehr Akzeptanz für den
Mehraufwand für umweltfreundliches
Wirtschaften bei den Verbraucherinnen
und Verbrauchern. Zertifizierungssysteme und Ökolabel sind hierfür ein guter Ausgangspunkt. Schutz der Biodiversität muss dabei immer ein zentrales Kriterium sein.
Förderung insbesondere regionaler
und ökologisch nachhaltiger Produkte
TEEP for National and International Policy Makers,
Summeray 2009. TEEB for Local and Regional Policy
Makers, Kap. 1 und Deutscher „Kurzleitfaden“, 2010.
130 Umweltwirtschaftsbericht 2011, Daten und Fakten für
Deutschland
http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/4210.pdf
131 Vgl. Kapitel 5.10.3
129
Fraktionsbeschluss „Regionale Wertschöpfung in
ländlichen Räumen stärken“.
132
59
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
und Dienstleistungen im Rahmen eines
Bundesprogramms Regionalvermarktung.
Unterstützung der Vermarktung durch
ein einheitliches und überprüfbares
Kriterien- und Kontrollsystem zur Bewertung von Regionalsiegeln.
gische Vielfalt. Er hat einen erheblichen Anteil
am Arten- und Lebensraumverlust weltweit.
Die falsche Ansiedlung touristischer Einrichtungen – an ökologisch sensiblen Küsten oder
mitten in naturnahen Wäldern – trägt dazu
ebenso bei wie die Ausübung von Freizeitaktivitäten in empfindlichen Bereichen oder der
durch den Tourismus bedingte Eintrag von
Schadstoffen in Ökosysteme. Die weltweiten
Reiseverbindungen sind auch eine wichtige
Ursache für das Einschleppen von invasiven
gebietsfremden Arten.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antrag „Regionale Produktions-, Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen stärken“
BT-Drucksache 17/7249
U n ser e Z ie l e
Wir wollen, dass die Tourismusbranche Verantwortung für die biologische Vielfalt übernimmt. Sie darf nicht darauf setzen, sich bei
Problemen in bisherigen Tourismusregionen
einfach anderen, (noch) unzerstörten Reisezielen zuzuwenden.
5.11.3. TOURISMUS – EINE SPEZIELLE
HERAUSFORDERUNG
Pro b le m
Wir setzen uns für intakte Landschaften, Küsten-, Meeres- und Gebirgsökosysteme ein –
das nutzt auch dem Tourismus. Wer Natur und
Umwelt schadet, entzieht dem Tourismus seine Existenzgrundlagen. Da der Tourismus dazu
neigt, gerade dort zu expandieren, wo Artenund Lebensraumdiversität besonders hoch
und attraktiv sind, muss jedes Unternehmen
frühzeitig darauf achten, sich im Einklang mit
den CBD-Richtlinien über biologische Vielfalt
und Tourismusentwicklung zu entwickeln.133
Diese sind zwar ein Instrument der freiwilligen Umsetzung, stellen aber ein sehr detailliertes Planungsinstrument für eine nachhaltige Tourismusentwicklung dar und sollen
dazu beitragen, die weltweite Erhaltung der
Biodiversität in Unternehmensziele zu integrieren. Durch einen frühzeitigen Biodiversitäts-Check in allen ihren Planungen
kann viel zu einer naturverträglichen Entwicklung beigetragen werden – in Deutschland und weltweit.
Reisen gehört heute für uns in Deutschland zu
unserem Alltag. Wer das Geld dafür hat,
kommt schnell an den Ort seiner Wünsche –
seien es noch so ferne Städte, Berge, Küsten.
Der Tourismus hat sich neben der Landwirtschaft zum größten Flächen- und Landschaftsverbraucher entwickelt. Um Hotelanlagen, Strandpromenaden, Golfplätzen oder
Skiliften Platz zu machen, werden wertvolle
Lebensräume zerstört oder schwer beeinträchtigt. Es gibt eine Vielzahl von Studien,
Modellprojekten und Initiativen, die den Wert
der Biodiversität für den Tourismus thematisieren. Aber leider repräsentieren die positiven Beispiele nach wie vor nur eine Minderheit und sind weit davon entfernt, zum
Mainstream zu werden. Das ist fatal, denn es
gibt keine Branche, in der intakte Natur und
Landschaft eine so existenzielle Rolle spielen.
Der Tourismus lebt zu einem großen Teil von
der Attraktivität der Landschaften, der Berge,
Meere und Wälder. Er muss aus ureigenem
Interesse natur- und umweltverträglich werden und zum Verständnis für Biodiversität
und Naturschutz beitragen. Er wirkt jedoch in
seinem stärksten Segment, dem Massentourismus, neben den sozialen Folgen auch stark
negativ auf Klima, Landschaftsbild und biolo-
Tourismusunternehmen können sich heute
einem Biodiversitäts-Check unterziehen. 134
Er führt durch die verschiedenen Funktions-
CBD Guidelines on Biodiversity and Tourism Development, http://www.cbd.int/tourism/guidelines.shtml
134 Siehe www.business-and-biodiversity.de.
133
60
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
bereiche des Tourismusunternehmens – vom
Management über das Firmengelände und die
Liegenschaften, über Beschaffung und Lieferketten bis hin zu Produktion und Marketing.
Alle Geschäftsbereiche können sich darauf
durchleuchten lassen, welchen Einfluss sie auf
die biologische Vielfalt haben. So erhält das
Unternehmen einerseits einen Überblick über
Negativauswirkungen und gleichzeitig Vorschläge, um diese zu reduzieren. Für große
Unternehmen sollte ein solcher BiodiversitätsCheck verbindlich vorgeschrieben werden.
Beim Umweltmanagementsystem EMAS 135
wurde Biodiversität inzwischen als ein signifikanter Umweltaspekt und PerformanceIndikator ausgewiesen, d.h. EMAS-zertifizierte
Tourismus-Unternehmen müssen darüber
berichten, wie sich ihre Wirkungen auf die
biologische Vielfalt darstellen und welche
Maßnahmen sie zum Schutz der Natur ergreifen.
schutzspots des BfN im Bordprogramm der
TUIfly-Flotte gezeigt.
Der internationale Ökotourismus trägt ebenso
wie der so genannte Sanfte Tourismus zur
Sicherung von biologischer Vielfalt bei. Es
können hier Einnahmen generiert werden,
die direkt für die Erhaltung natürlicher Gebiete genutzt werden. Auch mit konventionellen
Reisen kann ein Beitrag geleistet werden –
wenn die Angebote sowohl für die Tourismuswirtschaft als auch für den Reiseort langfristig positiv und dabei ökologisch und sozial
verträglich sind.
Eine gezielte Vermarktung regionaler Produkte, die durch den Tourismus eine zusätzliche
Nachfrage erzielen, führt zu längeren Wertschöpfungsketten. Das bedeutet: Regionale
Rohstoffe werden vor Ort angebaut, verarbeitet und verkauft. Die Umsätze kommen der
Region und der heimischen Wirtschaft zugute;
das stärkt das Bewusstsein für die eigene
Existenzgrundlage – die intakte Natur. Wir
Grünen wollen daher, den nachhaltigen Tourismus durch Bundesmittel zur Leistungssteigerung im Tourismusgewerbe gezielt so fördern, dass Reiseangebote klimaneutral gestaltet werden, regionale Küche durch die
Gastronomie angeboten oder auf eine regionale Bauweise in Hotelerie und Gastronomie
zurückgegriffen wird.
Grundsätzlich sehen wir alle Unternehmen in
der Verantwortung, die Folgen ihrer Aktivitäten für die biologische Vielfalt zu Bewerten
und die Möglichkeiten, negative Folgen zu
vermeiden, auch zu nutzen (siehe Kapitel
5.11.1.) Die Möglichkeiten touristischer Unternehmen, Lebensräume und Artenvielfalt zu
schützen, sind breit gefächert. Da Tiere und
Pflanzen grüne Korridore, Rückzugsgebiete
und Nahrung benötigen, ist die naturnahe
Gestaltung der Destinationen ein guter Einstieg. Auch bei der Beschaffung kann man,
soweit es heute bereits möglich ist, auf
biodiversitätsfreundliche Label setzen, wie
z. B. Fair Trade, FSC für Holz oder MSC für Produkte aus nachhaltigem Fischfang. Spezielle
Weiterbildung für die Mitarbeiterschaft sensibilisiert für Fragen des Umwelt- und des Artenschutzes. So hat zum Beispiel das Bundesamt für Naturschutz gemeinsam mit der TUI
AG 2009 einen Souvenir-Ratgeber unter Berücksichtigung von Artenschutzaspekten veröffentlicht. Er wird in über 20 Urlaubsgebieten verteilt, in denen illegaler Souvenirhandel
mit geschützten Arten häufig vorkommt. Zudem werden seit November 2009 kurze Arten-
Die Tourismuswirtschaft trägt durch einen
hohen Energieverbrauch zur Klimaerwärmung
und damit dem Verlust der Biodiversität in
erheblichem Maße bei. Der Anteil am Ausstoß
von Treibhausgasen liegt bei 12,5 Prozent. Bei
Kurzreisen zu Nahzielen nimmt dabei die Unterkunft einen erheblichen Anteil ein. Das
deutsche Gastgewerbe befindet sich aber seit
geraumer Zeit in einem gesättigten Markt. Das
schlägt sich auch in einem erheblichen Investitionsstau nieder. Deshalb wollen wir Hotelerie und Gastronomie mit gezielten Maßnahmen für Energieeffizienz und Energieautarkie
mit Erneuerbaren Energien begeistern. Das
spart Emissionen, löst den Investitionsstau
und dient dann auch der Erhaltung der Biodiversität.
Eco- Management and Audit Scheme, auch bekannt
als EU-Öko-Audit oder Öko-Audit.
135
61
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Der Umfang touristischer Angebote in Großschutzgebieten, also Nationalparken, Biosphärenreservaten und Naturparken, ist bereits beachtlich und liefert einen nicht zu
unterschätzenden Beitrag zum Schutz der
Natur. Es handelt sich um eine gute Alternative zu flächen- und infrastrukturintensiven
Freizeitnutzungen, die noch verbessert werden kann und muss. Die Anbindung an den
Verkehr muss aber besser werden, wie das
vorbildlich bei dem gemeinsamen Projekt
Fahrtziel Natur von der DB AG, dem VCD und
dem NABU und BUND geschieht. Dennoch sind
auch bei An- und Abreise viele Möglichkeiten
umweltfreundlicher noch nicht ausgeschöpft.
Für das notwendige Verständnis für den Naturschutz muss Begeisterung für die Natur
geweckt werden. Großschutzgebiete haben
dazu grundsätzlich bessere Möglichkeiten.
Aber auch für Natura 2000 Gebiete sollten
vergleichbare Bildungsangebote wie die
NaturaTrails genutzt und ausgebaut werden
(siehe Kapitel 5.12.).
verbraucherfreundlich und emissionsarm gestaltet. Möglichkeiten der Kompensation von CO2-Emissionen von
Reisen sollen gefördert werden.
Beratung der Tourismusbranche beim
Biodiversitätsmanagement und Unterstützung bei der Einführung eines
Biodiversitätschecks.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Fraktionsbeschluss „Tourismus für die Region“
vom 24.01.2012
Flyer „Green New Deal auf dem Lande“ Fraktionsdrucksache 17/44
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Wiederaufbauhilfe der Bundesregierung für die vom
Tsunami 2004 betroffenen Tourismusregionen
in Südostasien“ BT-Drucksache 17/488
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Freizeitparks und Freizeitunternehmen in Deutschland“ BT-Drucksache 17/1275
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Freizeitparks und Bundesgartenschauen in Deutschland“ BT-Drucksache 17/5029
Tourismus und Schutz der Biodiversität können Hand in Hand gehen. Damit das von der
Ausnahme zur Regel wird, muss die Politik die
richtigen Rahmenbedingungen setzen.
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Rahmenbedingungen für die Tourismuswirtschaft“ BTDrucksache 17/5104
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge :
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Deutschgriechische Zusammenarbeit“ BT-Drucksache
17/7537
Bu nd
Gezielte Förderung des nachhaltigen
Tourismus durch Bundesmittel zur
Leistungssteigerung im Tourismusgewerbe. Dazu gehört auch die Verbesserung der Kundeninformationen über
die ökologische, soziale und ökonomische Qualität des Reiseangebots.
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Nachhaltige Bewirtschaftung des Edersees“ BTDrucksache 17/7535
5.11.4. ROHSTOFFE UND
BIODIVERSITÄT
In Koo p e ra t i on z w isc h en B un d, Lä nde r n u nd To u ri sm u s wi rt scha ft
Positionierung von Großschutzgebiete
als Modellregionen für naturverträglichen Tourismus. Hierfür werden Regionalmanager eingesetzt, die aus bestehenden (EU-)Förderprogrammen zur
Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur finanziert werden.
Intermodales Mobilitätskonzept, dass
die (An- und Ab-)Reisemöglichkeiten
Pro b le m
Wachsende Weltbevölkerung und Wirtschaftswachstum erzeugen einen enormen Rohstoffhunger. Die Nutzung von Rohstoffen wie wir
sie heute betreiben, verursacht über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg – von der
Gewinnung, über die Verarbeitung und Nut-
62
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
zung bis hin zur Entsorgung – enorme Belastungen für Mensch, Natur und Umwelt.
giftige Chemikalien wie Arsen oder ZyanidVerbindungen enthalten.
Der Rohstoffabbau kann ganze Landschaften
zerstören. Bisher relativ unberührte aber rohstoffreiche Gebiete wie die arktische Tundra,
die fast unerforschte Tiefsee oder hochbiodiverse Regenwaldgebiete werden durch die
gestiegenen Rohstoffpreise und die weiterentwickelte Förder- und Abbautechniken
wirtschaftlich immer attraktiver. Je unzugänglicher die Lagerstätten sind, desto höher
das Risiko von nicht mehr beherrschbaren
Unfällen beim Rohstoffabbau. Die wiederum
haben dramatische Folgen für die Natur und
Umwelt, wie das Beispiel der Ölkatastrophe
2010 im Golf von Mexiko zeigt. Zudem machen gestiegene Preise im Energiebereich
auch Förderungen rentabel, die mit einem
immensem Land- und Naturverbrauch einhergehen, wie zum Beispiel die Gewinnung
von Öl aus Teersanden in Kanada. Ganze Gebiete werden dafür abgebaggert, mit unwiederbringlichen Verlusten an Lebensräumen
und Biodiversität.
In Deutschland wurden im Jahre 2008 1,2
Milliarden Tonnen nicht-erneuerbare Rohstoffe bei der Produktion und für den privaten
Konsum verbraucht. Pro Kopf sind dies etwa
15 Tonnen. Den überwiegenden Anteil der
Rohstoffe verwendet in Deutschland das produzierende Gewerbe (89,2 Prozent), darunter
vor allem die Bereiche Glas, Keramik, Steine,
Erden sowie Bauarbeiten und Stromerzeugung.136
Laut Statistischem Bundesamt ist es zwar gelungen, dass im materialintensiven Wirtschaftsbereich Glas, Keramik, Steine, Erden
sowie im Bereich des Zweiges Bauarbeiten in
der Zeit von 2000 bis 2008 wesentlich weniger Rohstoffe verbraucht wurden, doch in den
meisten anderen Bereichen nahm der Verbrauch zu. Die praktischen Erfahrungen aus
der Effizienzberatung belegen, dass kleine
und mittelständische Unternehmen im Durchschnitt etwa 20 Prozent der Rohstoffe allein
durch effektivere – technische und organisatorische – Produktionsabläufe einsparen können.137 Die deutsche Materialeffizienzagentur
(demea) beziffert das Einsparpotenzial durch
den effizienteren Einsatz von Materialien und
effizientere Prozesse auf 100 Milliarden Euro.
Diesen Schatz gilt es zu heben – auch für den
besseren Schutz der Biodiversität.
Doch nicht nur die nicht nachhaltige Gewinnung energetischer Rohstoffe ist eine Gefahr
für die Biodiversität. Auch der Abbau mineralischer und metallischer Rohstoffe ist häufig
mit massiven Eingriffen in die Naturräume
und damit einhergehend mit Verlust an biologischer Vielfalt verbunden. Weltweit werden
heute jährlich annähernd 60 Milliarden Tonnen an abiotischen nicht-energetischen Rohstoffen verbraucht. Dies sind 50 Prozent mehr
als noch vor 30 Jahren – Tendenz weiter steigend. Gleichzeitig nimmt der Metallgehalt von
Erzen in den herkömmlichen Lagerstätten ab.
Um dies auszugleichen, werden neue Lagerstätten in ökologisch sensiblen Gebieten erschlossen, beispielsweise Erze im Regenwald
oder Seltene Erden auf Grönland. Immer mehr
Böden müssen weltweit bewegt werden, um
die gleiche Menge an Erzen zu fördern. Die
notwendige Infrastruktur (Straßen, Pipelines
etc.) belastet die Umwelt zusätzlich. Problematisch ist auch die Entsorgung von Bergbauund Industrieabfällen, besonders wenn sie
Schwermetalle wie Blei und Cadmium oder
Plastikmüll ist ein wachsendes Problem in den
Meeren, das von der Verletzungs- und Erstickungsgefahr über das Verhungern von Tieren,
deren Magen mit unverdaulichen Plastikteilen
gefüllt ist, bis zur Auswaschung giftiger Substanzen auf diversen Eben des marinen Ökosystems katastrophale Folgen hat.
U n ser e Z i e l e
Rohstoffe einsparen: Wir wollen die Rohstoffeffizienz deutlich steigern, denn sie bringt
eine Dreifachdividende: Sie senkt die Abhängigkeit von Rohstoffen, schont damit Umwelt,
Biodiversität und Klima und stärkt die Wett-
Umweltwirtschaftsbericht 2011.
Fraktionsbeschluss „Grüne Rohstoffstrategie“ vom
1.9.2011.
136
137
63
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
bewerbsfähigkeit unserer Industrie. Gleichzeitig müssen die Lebensdauer und die Nutzungszeiten der Produkte verlängert werden.
Es geht auf Kosten von Natur, Umwelt und
Verbrauchern, dass insbesondere moderne ITProdukte kurz nach Ende der Garantiezeit
ausfallen und Akkus sowie Ersatzteile nicht
oder nur zu unverhältnismäßigen Kosten ausgetauscht werden können. Auch neue Nutzungskonzepte, die der Philosophie "Nutzen
statt Besitzen" folgen, helfen den Ressourcenverbrauch deutlich zu senken und können
die mit Effizienzsteigerungen einhergehenden
Rebound- oder Bumerang-Effekte mindern.
insbesondere für die Landwirtschaftspolitik
(siehe Kapitel 5.6.).
Rohstoffe naturverträglich fördern: Die Gewinnung mineralischer Rohstoffe muss in
Übereinstimmung mit dem Natur- und Landschaftsschutz erfolgen. Wertvolle Naturschutzgebiete wie Fauna-Flora-Habitat- und Vogelschutzgebiete (Natura 2000) sind in ihrer
ökologischen Qualität zu erhalten und vor
erheblichen Beeinträchtigungen zu schützen.
Eine Aufweichung des deutschen und europäischen Naturschutzrechts zugunsten von Eingriffen für Rohstoffgewinnung werden wir
nicht zulassen. Auch international setzen wir
uns für substanzielle ökologische Standards
bei der Rohstoffförderung ein.
Rohstoffe wiederverwenden und substituieren: Auch die Rückgewinnung und Wiederverwendung der im Abfall enthaltenen Ressourcen birgt ein riesiges Potenzial. So enthält
eine Tonne Handyschrott dreißig Mal mehr
Gold als eine Tonne Golderz. Wir wollen die
Recyclingquoten und vor allem die Qualität
des Recyclings deutlich anheben. Die „neuen
Ziele“ der Bundesregierung im gerade beschlossenen Abfallgesetz sind dagegen nur
eine Festschreibung des schon Erreichten.
Pfand auf Endgeräte wie Mobiltelefone und
haushaltsnahe Sammlungen können hier ein
Lösungsansatz sein.
Wir wollen hohe Standards bei der Förderung
von Rohstoffen – weltweit. Im eigenen Land
wollen wir dafür das Bergrecht umfassend
reformieren. Die Zahlung einer Förderabgabe
muss der Regel- und nicht der Ausnahmefall
in Deutschland sein. Die Höhe der Abgabe
sollte mindestens zehn Prozent des Rohstoffwertes betragen und von den Ländern festgesetzt werden. Diese Einnahmen sollen insbesondere für die Behebung der unvermeidbaren Schäden des Abbaus und für die Entwicklung von Substitutionsmaßnahmen verwendet
werden. Auch wollen wir die völlig unzureichende Bürgerbeteiligung und Transparenz
bei den Genehmigungsverfahren nach Bergrecht stark verbessern (siehe auch Kapitel
5.9.).
Außerdem wollen wir verstärkt problematische (knappe oder besonders umweltbelastende) Rohstoffe durch andere mineralische
oder biotische Rohstoffe ersetzen. Dabei ist es
wichtig, auch den „ökologischen Rucksack“
der Rohstoffe zu beachten. Für die Weiterentwicklung dieses Themenfelds und für die Orientierung auf seine Praxisanwendung müssen
zusätzliche Anreize in der Forschung gesetzt
werden.
Vor der Genehmigung von Tiefseebergbau
müssen umfangreiche Forschung und Umweltverträglichkeitsprüfungen stattfinden. Wir
sind gegen Tiefseebohrungen nach Öl und für
ein gesetzliches Verbot der Ölförderung im
Watt.
Langfristig wollen wir die Eingriffe in die Natur zur Gewinnung fossiler und mineralischer
Rohstoffe auf ein Minimum reduzieren, indem
wir unseren Rohstoffbedarf durch Recycling in
geschlossenen Kreisläufen senken und durch
biotische Rohstoffe decken. Die Gewinnung
dieser biotischen Rohstoffe ebenso wie die
Erzeugung der Nahrungsmittel muss nachhaltig und mit Gewinn für die Biodiversität erfolgen – hier liegt die große Herausforderung
Zum Schutz der Arktis, der Tiefsee, der Regenwälder und anderer empfindlicher Ökosysteme weltweit müssen die gleichen Maßstäbe
auch für Importe und Aktivitäten deutscher
Unternehmen weltweit gelten.
Die von der Bundesregierung völlig vernachlässigte Fortentwicklung der Zertifizierungsdebatte, die für erneuerbare Energierohstoffe
64
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
bereits zu europäischem Recht geführt und für
mineralische Rohstoffe durch den DoddFrank-Act des US Kongresses einen gewaltigen
Chance bekommen hat, sehen wir als zentrales Anliegen.138 Auch die in den USA (DoddFrank) und von der EU-Kommission vorgelegten Initiativen für mehr Transparenz im Rohstoffsektor sind für uns ein wichtiger Schritt in
die richtige Richtung.
bohrungen nach Öl und Verbot der Ölförderung im Watt.
Verpflichtende ökologische Kriterien
für Rohstoffunternehmen weltweit.
Unterstützung rohstoffreicher Länder
durch Capacity Development und Technologietransfer, um den Rohstoffabbau
so naturschonend wie möglich zu gestalten.
Unterstützung der Schutzanstrengungen in Entwicklungsländern
Einen internationalen Vertrag zum besonderen Schutz der Arktis.
Plastikmüll vermeiden: Abgaben auf Plastiktüten sowie vereinzelt auch Verbote werden
in zahlreichen Ländern bereits als wirksame
Instrumente zur Verringerung des Plastikmülls
genutzt. Wir Grüne haben bereits beschlossen,
auch in Deutschland eine Abgabe von 22 Cent
auf Plastiktüten einzuführen.139 Verbindlich
vorgeschriebenes Recycling und Abgaben in
allen Anwendungsbereichen von Kunststoffen
müssen genutzt werden, um das StoffstromManagement zu verbessern. Zudem muss der
Einsatz von Kunststoffen massiv reduziert
werden.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Fraktionsbeschluss „Grüne Rohstoffstrategie“
vom 01.09.2011
Antrag „Sammlung und Recycling von Elektronikschrott verbessern“ BT-Drucksache
17/8899
Änderungsantrag zum Koalitionsentwurf
„Deutsches Ressourceneffizienzprogramm –
Ein Baustein für nachhaltiges Wirtschaften“
BT-Drucksache 17(16)504
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge
Bu nd
Antrag „Transparenz im Rohstoffsektor – EUVorschläge umfassend umsetzen“ BTDrucksache 17/8354
Reform des Bundesberggesetzes mit
u. a. einheitlicher Förderabgabe von
zehn Prozent, die zur Behebung der
Abbauschäden eingesetzt wird.
Unterstützung der Yasuní-ITT-Initiative
in Ecuador und ähnlicher zukunftsweisender Projekte, die Biodiversität
durch einen Verzicht auf Rohstoffabbau effektiv schützen.
Entschließungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts-und Abfallrechts BT-Drucksache
17(9)664
5.12. BIODIVERSITÄT IN BILDUNG,
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG
In int e r nat i ona l e r Z u s a m m ena r b eit
Weitentwicklung des Tiefseebergbaukodex inklusive einer international
verbindlichen und vor dem Seegerichtshof einklagbaren Umweltverträglichkeitsprüfung;
Erforschung
und
Monitoring der Ökosysteme als Teil des
Tiefseebergbaus. Verzicht auf Tiefsee-
Bildung
Pro b le m
Um die biologische Vielfalt dauerhaft zu erhalten, bedarf es einer breiten Zustimmung
und Mitwirkung in der Gesellschaft. Alle Menschen140 sollten um die Bedeutung der biologischen Vielfalt als Lebensgrundlage heutiger
Fraktionsbeschluss „Grüne Rohstoffstrategie“ vom
1.9.2011.
139 Entschließungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur
Neuordnung des Kreislaufwirtschafts-und Abfallrechts
BT-Drucksache 17(9)664.
138
Vgl. Indikatorenbericht 2010, 2.5 Gesellschaftliches
Bewusstsein.
140
65
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
und künftiger Generationen wissen. Das ist
eine große Bildungsaufgabe. In der Nationalen Biodiversitätsstrategie heißt es zu Recht:
„Aktivitäten zur Erhaltung der biologischen
Vielfalt benötigen gesellschaftliche Unterstützung. Dazu bedarf es handlungsorientierten
Lernens sowohl im Bildungsbereich als auch
in allen anderen Bereichen des Lebens.“141
denen die Ziele und Initiativen einer „Bildung
für nachhaltige Entwicklung“ verstetigt werden. Die jüngst eröffnete UN-Dekade der biologischen Vielfalt hat sich ebenfalls Bildungsziele gesetzt. Die Programme im Rahmen beider Dekaden sollten im Bereich der Biologischen Vielfalt optimal auf einander abgestimmt werden.
Bildungsarbeit im Naturschutz ist fast so alt
wie der Naturschutz selbst und war von Beginn an konstitutiver Teil der Naturschutzbewegung.142 Unter anderem dadurch spielen
Naturschutzorganisationen, Verwaltungen der
Großschutzgebiete und Vogelschutzwarten,
naturkundliche Museen sowie in begrenztem
Umfang auch die Zoologischen und Botanischen Gärten eine viel größere Rolle bei der
Bildung für den Naturschutz als die klassischen Bildungsinstitutionen. Auch Freiwilligendienste wie das Freiwillige Ökologische
Jahr haben in der Bildungsarbeit wichtige
Funktionen übernommen.
U n ser e Z ie l e
Die Bedeutung der biologischen Vielfalt soll
als ein wichtiges Bildungsthema in stärkerem
Maße als bisher verankert werden. In den
verschiedensten Bildungseinrichtungen sollen
entsprechende Angebote zielgruppengerecht
und orientiert an der Lebenswirklichkeit von
Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ausgebaut werden. Für konfliktträchtige Themen
wie die Wiederansiedlung von Beutegreifern
wie dem Wolf sind gezielte Aufklärungsstrategien notwendig, um Sorgen und Ängsten der
Bevölkerung zu begegnen.
In den Schulen sollten Umwelt- und Naturschutzthemen im Rahmen des fachübergreifenden Unterrichts oder auch durch schulische
sowie außerschulische Initiativen neben dem
Unterricht thematisiert werden. Viele längst
verbreitete Wege wie Waldschulen, Naturschutzzentren an den Schulen (Grünes Klassenzimmer), Schulbiotope, Schulgärten und
Schulbauernhöfe sind sehr geeignet, Kindern
und Jugendlichen frühzeitig Zugang zur Natur
zu ermöglichen und Erfahrungsräume zu bieten.. Die Vermittlung des Wertes der biologischen Vielfalt muss die gesamte Breite moderner Kommunikationswege nutzen. Ein
Beispiel dafür sind die internetgestützten
Projekte „Biodiversity around my School“, mit
denen sich Deutschland an der Umsetzung der
„Globalen Bildungsinitiative der CBD CEPA“ 144
beteiligt hat. Auch vielfältige außerschulische
Umweltbildungs- und Naturerfahrungsangebote sollten diese schulischen Möglichkeiten
ergänzen.145
So
verfolgen
die
als
Mit der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige
Entwicklung“ (BNE 2005-2014) hat die Weltgemeinschaft sich das Ziel gesetzt, die Bildungsaktivitäten stärker auf die Erfordernisse
der nachhaltigen Entwicklung auszurichten.
Internationale Lead-Agency ist dabei die
UNESCO. In Deutschland wird die UN-Dekade
von einem von der Deutschen UNESCOKommission einberufenen Nationalkomitee
koordiniert. Im Frühjahr 2009 fand die Halbzeitkonferenz der UN-Dekade in Bonn statt.
Vertreter und Vertreterinnen aus 150 Staaten
appellierten in der am 2.April 2009 verabschiedeten „Bonner Erklärung“ eindringlich,
die Bildungssysteme weltweit neu auszurichten. Und dennoch haben in Deutschland nur
22 Prozent der Bevölkerung ein mindestens
ausreichendes Bewusstsein für die biologische
Vielfalt, also weniger als ein Drittel der Zielmarke von 75 Prozent.143 Es ist daher dringend notwendig, nach Ablauf der Dekade
Folgeaktivitäten anschließen zu lassen, mit
NBS 2007: 61.
„Bildung und Naturschutz – alte und neue Herausforderungen“, Natur und Landschaft , März 2009.
143 Indikatorenbericht zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt 2010.
CEPA = Communication, Education, Public Awareness.
„BNE und biologische Vielfalt im schulischen und
außerschulischen Kontext – curriculare Vorgaben und
Verständnis“, Jorge Groß, Armin Lude, Susanne Menzel, in: Natur und Landschaft, März 2009.
141
144
142
145
66
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Dekadeprojekt im Rahmen der UN-Dekade
„Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausgezeichneten NaturaTrails der NaturFreunde 146
das Ziel, in Natura 2000-Gebieten durch Aufklärung und Information Begeisterung für die
Natur und Verständnis für den Naturschutz zu
wecken. Zur Umweltbildung im Bereich biologische Vielfalt soll auch ein nationales
Monitoringzentrum beitragen (siehe Kapitel
5.2.).
nen. Die Wissenschaft leistet sowohl im Bereich der Forschung als auch in der Lehre einen erheblichen Beitrag dazu, notwendiges
Wissen zu erlangen und weiterzuverbreiten.
Die Biodiversitätsforschung hat in den letzten
zwanzig Jahren trotz stagnierender finanzieller Unterstützung große Fortschritte bei Erkenntnisgewinn und interdisziplinärer Vernetzung gemacht, weist aber immer noch
eklatante Defizite auf147. Millionen von Arten
sind noch unentdeckt, viele von ihnen rottet
der Mensch aus, bevor er sie überhaupt kennengelernt hat. Große Ökosysteme wie die
Tiefsee, der Boden oder das Grundwasser sind
noch weitgehend unerforscht. Das Verständnis
der funktionalen Zusammenhänge innerhalb
von Ökosystemen und die Wirkung menschlicher Aktivitäten darauf ist für viele Systeme
noch lückenhaft.
Unsere grünen Lösungsvorschläge:
In Kooperation von Bund und Ländern
Verbindliche Einführung der Themenfelder Ökologie, Umwelt und Naturschutz in die Lehrpläne aller Klassenstufen und Schulformen.
Berücksichtigung der Themenfelder
Ökologie, Umwelt und Naturschutz in
den Aus-, Fort- und Weiterbildungscurricula der pädagogischen Berufe.
Überarbeitung aller Förderrichtlinien
und Aktionspläne von Bund und Ländern, damit sie den speziellen Bedingungen und Möglichkeiten von außerschulischen Bildungsträgern, die sich
mit Umweltbildung befassen, entsprechen.
Erarbeitung
zielgruppenspezifischer
Bildungsangebote zur biologischen
Vielfalt mit allen geeigneten Bildungseinrichtungen.
Verbesserung der Kooperation von
schulischen und außerschulischen Bildungsträgern im Bereich der Bildung
für nachhaltige Entwicklung.
Es macht „Sinn, von der Natur zu lernen, einer Firma, die in vier Milliarden Jahren nicht
Pleite gemacht hat“ (Frederic Vester).148 Heute
versuchen immer mehr Forschende den
Schöpfergeist der Natur in interdisziplinären
Teams zwischen Naturwissenschaft und Technik nachzuvollziehen149 und neue effizientere
Problemlösungen zu finden (Bionik) 150. Auch
die Nutzung genetischer Ressourcen z.B. für
die Pharmazie ist ein Forschungsbereich, der
vollständig vom Vorhandensein biologischer
Vielfalt und Information abhängt. Ebenso
zeigt die Forschung immer deutlicher die Rolle
von Ökosystem und ihren Dienstleistungen für
das menschliche Wohlbefinden auf – neben
technischen Lösungen und der Erfüllung von
Grundbedürfnissen wie Nahrung und Gesundheit sind dies auch zunehmend die regulierenden und kulturellen Leistungen der Natur,
wie etwa der Hochwasserschutz oder die Nah-
Wissenschaft und Forschung
Problem
Es ist unstrittig, dass es fundierten Wissens
bedarf, um im Bereich der biologischen Vielfalt Zusammenhänge begreifen, Entwicklungen abschätzen sowie bewerten zu können
und um verantwortlich entscheiden zu kön-
146
EPBRS: European Biodiversity Research Strategy 20102020
http://www.epbrs.org/PDF/EPBRS_StrategyBDResearch_
May2010.pdf
148 „Warum Naturschutz? Fünf Gründe, die Viele überraschen dürften“, BfN 2005.
149 Vgl. Prof. Dr. Berndt Heydemann: Vielfalt im Leben.
Ausblicke in die Zukunft. Menschen lernen vom Ingenieurbüro Natur, Nieklitz 2002;
150 Andreas Weber: Bionik für Fortgeschrittene, in: „Perspektive Zukunft. natur.technik.leben“ hrsg. von der
Umweltstiftung des WWF 2011.
147
http://www.natura-trails.naturfreunde.de/
67
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
erholung. Die Studie über die Ökonomie von
Ökosystemdienstleistungen und Biodiversität
(TEEB151) war hierfür ein wichtiger Meilenstein, der im Rahmen des Vorhabens „Naturkapital Deutschland“ auf nationaler Ebene
weiterentwickelt werden soll.
Um unabhängig arbeiten und forschen zu
können, benötigt Wissenschaft und Forschung
im Bereich der Biodiversität eine breite gesellschaftliche Unterstützung und Anerkennung. Dies ist nicht in allen Disziplinen der
Fall: Leider gehört z. B. die Taxonomie zu den
vernachlässigten Wissensgebieten, die als
vermeintlich nachrangig nicht ausreichend
gewürdigt werden. Insbesondere vor Ort
nimmt die Anzahl der versierten und aktiven
Fachleute mit vertieftem Expertenwissen ab.
Es fehlen zunehmend jene, die über die biologische Vielfalt konkret Auskunft geben können, diese erfassen und dokumentieren und
die ihre Kompetenz weitergeben könnten
(siehe Kapitel 5.2). Nationale wie internationale Anforderungen der Biodiversitätspolitik
haben die Biodiversitätsforschung wieder
etwas gestärkt, viele Strukturen befinden sich
derzeit jedoch noch im Aufbau. An den Hochschulen und Universitäten sind freilandökologischer und naturschutzorientierter Lehrstühle
und Studiengänge unterrepräsentiert. Gleichzeitig zeigt sich in der Förderpolitik, dass die
Biodiversität noch nicht überall als wichtiges
Forschungsthema verankert ist. So enthält der
Entwurf für das künftige EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizont 2020“154 keinen
eigenen Schwerpunkt zur Biodiversitätsforschung, sondern marginalisiert Biologische
Vielfalt als Teilaspekt der Bereiche Ernährungssicherheit und Ressourcen.
Die mit der biologischen Vielfalt verbundenen
Forschungsfragen sind äußerst vielfältig. 152
Genauso vielfältig ist auch das notwendige
Handlungswissen, um politische Entscheidungen wissensbasiert treffen zu können – zu
Problemlösungen im Bereich der biologischen
Vielfalt, aber auch zu den Implikationen anderer Politiken auf die Biodiversität.153 Denn
mit jeder aussterbenden Tier- und Pflanzenart
gehen raffinierte technische Lösungen und
andere Werte für den Menschen für immer
verloren.
Die forschungspolitischen Rahmenbedingungen werden durch Plattformen bei wie EPBRS
(European Platform für Biodiversity Research
Strategy), GTI (Global Taxonomy Initiative)
oder GSPC (Global Strategy for Plant
Conservation) entscheidend mitgeprägt. Auf
nationaler Ebene befassen sich nicht nur die
Forschungsverbünde wie die Helmholtz- und
die Leibniz-Gemeinschaft mit Fragen der biologischen Vielfalt. Netzwerke wie das Netzwerk-Forum
zur
Biodiversitätsforschung
(NEFO) und DIVERSITAS-Deutschland spielen für
die Vernetzung und Kommunikation in der
Biodiversitätsforschung herausragende Rollen.
Auch seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Ressortforschung im
Umweltforschungsplan wird eine Vielzahl an
Vorhaben im Bereich der Biodiversitätsforschung gefördert, ein DFG-Forschungszentrum in Leipzig ist in Planung. Diese Vielfalt an Akteuren macht die Forschungs- und
Förderkulisse allerdings auch unübersichtlich
und für die Öffentlichkeit schwer zugänglich.
Ein spezielles Problem im Bereich der
Biodiversitätsforschung stellen die Sammlungen dar. Der Verlust von Sammlungen ist
gleichzusetzen mit dem Verlust von Wissen,
da jeweils große Teile der Sammlungen
unwiederbringbar sind. Es kommt darauf an,
das vorhandene Wissen zu bewahren und zu
erweitern. Projekte wie das German Barcode
of Life Projekt (GBOL), das Sammlungen mit
genetischen Informationen verknüpft, sind
ein wichtiger Ansatz hierzu. Deutschland hat
sich international zur Erhaltung seiner naturwissenschaftlichen und kulturhistorischen
www.teebweb.org
Vgl. „Konzept – Themenschwerpunkte für den Bereich
Wissenschaft und Forschung zur Unterlegung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt und des
Bundesprogramms Biologische Vielfalt“, BfN/UBA,
Bonn/Dessau, Juni 2011. Siehe auch: EPBRS: European
Biodiversity Research Strategy 2010-2020
153 Vgl. „Vilmer Handlungsempfehlungen zur Förderung
einer umsetzungsorientierten Biodiversitätsforschung
in Deutschland“, 30.9.-2.10.2007, Insel Vilm.
151
152
Europäische Kommission (2011): Vorschlag für eine
Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ (2014-2020),
KOM(2011)809
154
68
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Sammlungen verpflichtet. Forschungssammlungen und -museen realisieren ihre Arbeit
im Spannungsfeld von Forschung, Ausbildung,
Sammlungsbetreuung und wissenschaftlicher
Serviceleistungen.155 Sie sind unverzichtbare
Institutionen im Gefüge der globalen Forschungsinfrastruktur – gerade auch einmalige
Spezialsammlungen (z. B. hochspezialisierte
mikrobiologische Sammlungen) und Spezialbibliotheken (z. B. für Paläontologie). Sie tragen darüber hinaus zur Ausbildung von Spezialisten bei und vermitteln naturwissenschaftliches Wissen an die Öffentlichkeit, Interessenverbände, Schülerinnen, Schüler und Studierende. Sie sind wichtige Partner für den
Naturschutz, die Raum- und Landschaftsplanung sowie staatliche Behörden. Doch die
personelle Besetzung der Forschungsmuseen
gestaltet sich zunehmend dramatisch; für
viele Arbeitsgebiete und Organismengruppen
gibt es bereits keine Spezialisten mehr. Es
bedarf dringend geeigneter Förderprogramme, insbesondere im Bereich Taxonomie. 156
Eine Studie zur Biodiversitätslehre in Deutschland identifiziert darüber hinaus Lücken insbesondere in den Bereichen Methodik und
Modellierung, Anwendungsorientierung in
Richtung Naturschutz und Landwirtschaft sowie interdisziplinäre Ausrichtung in soziologische und ökonomische Bereiche.157 Die Vernetzung mit anderen angewandten Forschungsgebieten wie dem Bodenschutz, dem
Meeresnaturschutz bis hin zur Klimafolgenforschung sollte ebenso verstärkt werden wie die
interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen
natur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen sowie mit Rechts- und Wirtschaftswissenschaften und Praktikern. Hier hat Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen
Ländern deutlichen Nachholbedarf.158
Im April 2012 hat die UNO den so genannten
Biodiversitätsrat IPBES159 gegründet, dessen
Sekretariat in Bonn angesiedelt werden soll.
Die Einrichtung wird die globale Schnittstelle
zwischen Wissenschaft und Politik werden
und soll unter anderem nationale und internationale Programme, Organisationen und
Mechanismen umfassen. IPBES hat ferner das
Ziel, den Bedarf an Forschung zur Biodiversität besser zu identifizieren und deren Durchführung anzustoßen. Es ist zu hoffen, dass
davon starke Impulse für Wissenschaft und
Forschung im Bereich der Biodiversität ausgehen werden. Die Balance zwischen wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit und politischer
Relevanz, die Eingliederung in das UN-System
sowie die genaue Ausgestaltung der Arbeitsgruppen und -strukturen sind bislang jedoch
noch weitgehend ungeklärt.
Unsere Ziele
Die deutsche Forschung zur Biodiversität leistet trotz struktureller und finanzieller Herausforderungen der letzten Jahrzehnte weiterhin
wertvolle Beiträge von internationaler Bedeutung. Diese Rolle muss gezielt gestärkt und
eine weiterführende trans- und interdisziplinäre Forschung entwickelt werden, die ausgehend von der Grundlagenforschung auch
problembezogene Lösungen erarbeitet.
Wir wollen Wissenschaft und Forschung stärker in den Umsetzungsprozess der nationalen
Biodiversitätsstrategie
einbeziehen.
Die
Biodiversitätsforschung muss gestärkt werden
– sowohl in der Grundlagen- als auch in der
problemorientierten Forschung, auch um die
Basis für politische und gesellschaftliche Lösungsansätze bereitstellen zu können. Vor
allem inter- und transdisziplinäre Forschungsansätze wollen wir fördern, da nur so
dem Querschnittscharakter der Biodiversitätsproblematik Rechnung getragen wird. 160 Die
nationalen
Forschungsprogramme
und
-initiativen sollen mit internationalen Forschungsstrategien (z. B. im Rahmen von
„Schatzkammern des Lebens und der Erde“, Kleine
Senckenberg-Reihe 47, Stuttgart 2005.
156 Vgl. hierzu auch: www.taxonomie-initiative.de
157 NeFo (2011): Überblicksstudie zur Biodiversitätslehre
in Deutschland.
(http://www.biodiversity.de/images/stories/Downloads/
schiffer_2010_lehre.pdf)
158 Vgl. „Vilmer Handlungsempfehlungen zur Förderung
einer umsetzungsorientierten Biodiversitätsforschung
in Deutschland“, 30.9.-2.10.2007, Insel Vilm.
155
Intergovernmental Platform on Biodiversity and
Ecosystem Services; siehe: www.ipbes.net
160 Siehe: www.biodiversity.de
159
69
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
DIVERSITAS161) und Forschungsnetzwerken (z.B.
GEO-Bon162) abgestimmt werden und über
den Projektcharakter vieler Vorhaben hinaus
für Qualitätskontrolle, Kontinuität, Transparenz und Kommunikation sorgen. Um dies zu
unterstützen, muss auch die nationale und
europäische Vernetzung der deutschen Biodiversitätsforschung weiter entwickelt werden.163 Für die Zusammenarbeit zwischen
Forschung und Praxis ist das Monitoring eine
wichtige Schnittstelle, für die ein nationales
Monitoring-Zentrum zuständig sein soll (siehe
Kapitel 5.2.).
digitalen Medien und neuen Forschungsmethoden produktiv eingesetzt werden.
Bei der Bewältigung der Biodiversitätskrise
müssen die Ergebnisse der Biodiversitätsforschung auf allen Ebenen berücksichtigt
werden, von der lokalen bis zu globalen; einen entsprechenden Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse wollen wir ebenso unterstützen wie den Auf- und Ausbau strategischer Partnerschaften. Dazu muss auch die
wissenschaftliche Beschäftigung mit den Ursachen des Biodiversitätsverlustes sowie den
politischen Lösungsansätzen wie die CBD und
die nationale Biodiversitätsstrategie gestärkt
und gezielt gefördert werden.164 Andererseits
müssen
die
Ergebnisse
der
Biodiversitätsforschung stärker in die Öffentlichkeit transferiert werden; hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung der Biodiversität ist
dies mit den TEEB-Studien bereits teilweise
gelungen (siehe Kapitel 5.11). Deutschland
muss hierfür den IPBES-Prozess aktiv unterstützen und eine aktive Einbindung deutscher
Expertinnen und Experten sicherstellen.
In den Hochschulen muss die wissenschaftliche Ausbildung von Biologen, Taxonomen,
Biogeografen und Umweltbildungsfachleuten
wieder einen größeren Stellenwert erhalten.
Gesamtstaatliche Förderinstrumente können
Anreize schaffen, mit denen eine gewisse
überregionale Steuerung möglich ist. Eine
nationale Schwerpunktbildung der vorhandenen Fachkompetenzen und Sammlungsressourcen muss begonnen werden; sie soll ermöglichen, auf aktuelle Entwicklungen forschungspolitisch schnell zu reagieren. Ebenso
wollen wir entsprechende Forschungsprojekte
besser europäisch vernetzen und international anbinden. Für das kommende EUForschungsrahmenprogramm „Horizont 2020“
ist der Ausbau von verbesserten Förderansätzen für den Bereich der Taxonomie und der
angewandten Biodiversitätsforschung notwendig. Der Zugang zu biologischen Forschungsobjekten soll – unter Berücksichtigung
lokaler und indigener Interessen im Sinne des
ABS-Protokolls (siehe Kapitel 6.4.) – so frei
wie möglich gestaltet werden, ebenso wie zu
den Daten aus Monitoring und Biodiversitätsforschung.
Die Lücken im Wissen und in der Vernetzung
zwischen Wissenschaft und Praxis müssen
insbesondere im Bereich Boden- und Meeresschutz geschlossen werden.
Unsere grünen Lösungsvorschläge
In Kooperation von Bund und Ländern
Auflage eines wissenschaftlichen Bundesprogramms zur Biodiversität. Dieses
beinhaltet insbesondere:
Verankerung des Themas Biodiversität
in allen in Frage kommenden universitären Studiengängen (z. B. BWL, Pädagogik, Landwirtschaft).
Sicherung und Stärkung der Lehre für
Naturschutz, Ökologie, Biogeografie
und Taxonomie.
Förderung von Infrastrukturen, Netzwerken,
Koordinierungsstrukturen,
(inter- und transdisziplinären) Forschungsprojekten, Forschungsverbün-
Wir wollen die Rahmenbedingungen der naturwissenschaftlichen Sammlungen verbessern. Sie müssen auch im weltweiten Wettbewerb und in der internationalen Zusammenarbeit bestehen können. Dabei sollen die
Siehe: www.diversitas-international.org
Siehe:
http://www.earthobservations.org/geobon.shtml
163 Siehe: http://www.biodiversityknowledge.eu/
161
162
Vgl. 2. Dialogforum zur biologischen Vielfalt. Wissenschaft und Forschung, 21.10.2008.
164
70
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
5.13. BIOLOGISCHE VIELFALT ALS
GESUNDHEITSFAKTOR
den und strategischen Partnerschaften
zwischen universitären und außeruniversitären Einrichtungen.
Langfristige Förderung von Datenbanken, mit dem Ziel, Daten aus der Biodiversitätsforschung zu erschließen, zu
vernetzen und verfügbar zu machen.
Stärkung der angewandten Biodiversitätsforschung zur Überprüfung von Naturschutzmaßnahmen und zur entsprechenden Politikberatung.
Auflage eines Förderprogramms für
wissenschaftliche Sammlungen analog
zur Förderung von Sammlungen im Bereich der Kultur, u.a. für die Rettung
und dauerhafte Erhaltung akut bedrohter Sammlungen, zur Modernisierung der Sammlungsinfrastruktur einschließlich Digitalisierung und zur
Stärkung der arbeitsteiligen Zusammenarbeit zwischen den Sammlungen.
Einrichtung einer nationalen IPBESKontaktstelle zur Beobachtung des
IPBES-Prozesses, zur Organisation des
Informationsflusses und zur Einbindung von Wissenschaftlern in die Prozesse.
Stärkung der Biodiversitätsforschung
und der Taxonomie auf europäischer
Ebene im Rahmen der kommenden
Forschungsrahmenprogramme.
Förderung und Unterstützung der interdisziplinären
Biodiversitätsforschung auch durch die
Länder; verstärkte Öffentlichkeitsarbeit
und bessere Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses in allen Bereichen der Biodiversitätsforschung.
Pro b le m
Naturschutz und Gesundheit
Eine intakte Natur mit einem leistungsfähigen Naturhaushalt ist für unsere Gesundheit
unverzichtbar – und das in mehrfacher Hinsicht: Intakte Natur ist die Grundlage für Ernährung und Trinkwasserversorgung, liefert
saubere Atemluft und stellt vielerlei Grundstoffe für Arzneimittel zur Verfügung.
Auch emotional verbinden 95 Prozent der
Bevölkerung Natur mit Gesundheit und Erholung.165 Im Zusammenhang mit Konzepten zur
Gesundheitsvorsorge und -förderung gewinnt
der Natur- und Landschaftsschutz zunehmend
an Beachtung. Umgekehrt ist es Ziel des modernen Naturschutzes, Natur und Landschaft
zwar einerseits um ihrer selbst willen, aber
auch als Grundlage für Leben und Gesundheit
des Menschen zu schützen. Er stellt Erholungsräume für Bewegung, natur- und landschaftsverträglichen Sport sowie Ruhe und
Entspannung zur Verfügung. Um nicht nur im
Urlaub, sondern auch im Alltag die gesundheitsfördernden Wirkungen von Natur und
Landschaft erfahren zu können, sind siedlungsnahe Erholungsräume von besonderer
Bedeutung. Damit leistet der Naturschutz angesichts der zunehmenden Probleme von
Stress, Übergewicht und Bewegungsmangel in
unserer Gesellschaft einen wichtigen Beitrag
zur Gesundheitsförderung und -prävention.
Es bestehen komplexe Zusammenhänge zwischen Natur und Gesundheit. Der Erholungswert von Natur und Landschaft im Hinblick
auf die Förderung des psychischen Wohlbefindens ist seit Langem bekannt. Die direkt
erlebte Natur hat eine stabilisierende, entspannende und beruhigende Wirkung und
somit einen therapeutischen Nutzen. Dies gilt
ebenso für die Förderung der Kindergesundheit über Naturerlebnisse. Grundsätzlich gilt
es, das Erholungsbedürfnis des Menschen mit
Unsere bisherigen parlamentarischen Initiativen und Positionen
Entschließungsantrag zum Haushaltsgesetz
2012, EP 16, BT-Drucksache 17/7862
165
71
aktuelle Naturbewusstseinsstudie des BfN.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
dem Schutzbedürfnis der Natur in Einklang zu
bringen.
„FairWild“168, das Produkte auszeichnet, die
sowohl die Kriterien einer nachhaltigen Wildsammlung als auch eines fairen Handels erfüllen.
Naturschutz und Heil- und Arzneimittel
Pflanzliche und tierische Naturstoffe sowie
andere Stoffe aus der Natur (z. B. Moor, Lehm,
Schlamm, Meersalz) sind schon seit Jahrtausenden eine Grundlage für viele Arznei- und
Heilmittel sowie Heilverfahren und Kuranwendungen. Die Natur beherbergt aber noch
ein großes Potenzial an medizinisch wirksamen Rohstoffen, das erst in Ansätzen bekannt
ist. Etwa 50.000 Pflanzenarten werden weltweit zu medizinischen Zwecken genutzt, 50
Prozent aller zugelassenen Medikamente sind
pflanzlichen Ursprungs. Besonders groß ist
das Reservoir solcher Pflanzen in tropischen
Regenwäldern. So wurden bisher zum Beispiel
in 1.400 Tropenpflanzen potenzielle Wirkstoffe gegen Krebserkrankungen entdeckt. Das
weltweite Marktvolumen für Pharmazeutika
aus genetischen Ressourcen wird auf 75-150
Milliarden US-Dollar geschätzt (für 1999).166
Naturschutz, Klimawandel und Gesundheit
Die Sicherung und Entwicklung von intakten
Ökosystemen ist auch von großer Bedeutung
im Hinblick auf den Klimawandel und seine
Folgen für die menschliche Gesundheit. Wegen des Klimawandels werden extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Stürme, starke
Niederschläge und Überschwemmungen weiter zunehmen. Diese können bei den Menschen zu ernsthaften Bedrohungen für Gesundheit und Leben führen. Intakte Naturräume können helfen, diese Auswirkungen
einzudämmen.
Durch die Klimaerwärmung erhöht sich auch
das Risiko für unterschiedliche Krankheiten –
Erreger und Überträger von Krankheiten breiten sich in neue Gebiete aus. So ist zu erwarten, dass sich das Verbreitungsgebiet tropischer Krankheiten nach Europa verschiebt.
Durch den Anstieg der Durchschnittstemperaturen werden die Voraussetzungen für Malaria
und tropische Fieber hier zunehmend günstiger. Eine genauere Überwachung der möglichen Überträger wäre dringend erforderlich.
Bereits Gegenwart ist die Zunahme von Allergien. Zum einen dehnt sich bei pollenbedingten Allergien die Blütezeit heimischer Pflanzen aus und es gibt im Jahresverlauf fast keine pollenfreie Zeit mehr. Zum anderen wird
das Allergierisiko durch bestimmte Arten, die
sich infolge des Klimawandels stark ausbreiten, erhöht. Ein Beispiel hierfür ist Ambrosia
(Beifußblättriges Traubenkraut)169, das zu den
sogenannten invasiven Arten zählt. Das Bundesamt für Naturschutz betreibt in Kooperation mit der AG Umwelt und Gesundheit der
Fakultät für Gesundheitswissenschaften der
Universität Bielefeld ein Online-Informationssystem zu Naturschutz und Gesundheit.170
Der größte Teil des Bedarfs wird aus Wildsammlungen und nicht aus Anbau oder Kultur
gedeckt. Etwa 15.000 Heilpflanzenarten sind
jedoch bereits gefährdet. Deutschland trägt
als weltweit viertgrößter Importeur von Heilpflanzen und Exporteur von Arzneimitteln
eine besondere Verantwortung. Der unregulierte internationale Handel zählt neben dem
Lebensraumverlust zu den größten Bedrohungen der Artenvielfalt. Deshalb müssen die
Lebensräume von Pflanzen und Tiere, die
Grundlage für Heil- und Arzneimittel sind
oder künftig werden könnten, erhalten werden. Ihre Nutzung zu medizinischen Zwecken
muss nachhaltig erfolgen. Seit 2006 existieren
„Internationale Standards für die nachhaltige
Wildsammlung von Heil- und Aromapflanzen“.167 Daraus entstand das Label
Umweltwirtschaftsbericht 2011, Daten und Fakten für
Deutschland
http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/4210.pdf
167 ISSC-MAP – International Standard for Sustainable
Wild Collection of Medical and Aromatic Plants. Vgl.
„Der Internationale Standard für nachhaltige Wildsammlung von Heil- und Aromapflanzen“ WWFHintergrundinformation, Februar 2007.
166
http://www.fairwild.org/
Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Aktionsplan Ambrosia“, Bundestags-Drs. 17/3799.
170 Das „NatGesIS“, s. www.natgesis.bfn.de.
168
169
72
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Naturschutz als Infektionsschutz
Handel mit ihnen. Hierfür muss das Abkommen gegen Biopiraterie zügig umgesetzt und
die notwendige Unterstützung der Entwicklungsländer sichergestellt werden (siehe Kapitel 6.3. und 6.4.).
Der Artenreichtum bildet einen wichtigen
Schutz gegen Infektionskrankheiten. Eine
reichhaltige Pflanzen- und Tierwelt wirkt wie
ein Puffer zwischen Mensch und Krankheitserregern. Viele Arten stecken sich nur untereinander an oder geraten nur selten mit Menschen in Kontakt. Doch diese Barriere wird
immer dünner. Der Artenschwund reduziert
nicht etwa die Zahl der Krankheitserreger
sondern sorgt für höhere Infektions- und
Übertragungsraten der Wirte.171
Klimaschutz dämmt die gesundheitlichen
Risiken des Klimawandels ein. Intakte Lebensräume sind hierfür von großer Bedeutung, deshalb wollen wir Klima- und
Biodiversitätsschutz noch enger verknüpfen
(siehe Kapitel 5.5.). Der umweltbezogene
Gesundheitsschutz172 muss aber auch den
Naturschutz als potenzielles Handlungsfeld
begreifen. Das Konzept der therapeutischen
Landschaften173
(Gesundheitslandschaften,
Gesundheitsregionen) soll im Rahmen einer
nachhaltigen Regionalentwicklung in Kombination mit dem MAB-Programm174 und über
die Umsetzung in Großschutzgebieten weiterentwickelt werden. Es beinhaltet umweltund raumbezogene, individuelle und soziokulturelle Faktoren. Als idealtypisch gelten
Landschaften
mit
überdurchschnittlicher
Dichte an spezifischen Gesundheitseinrichtungen zur Prävention und Rehabilitation,
vielfältigen Naturerlebnis- und Gesundheitsangeboten (Heilbäder, Mineralbrunnen, Kurund Erholungsorte) und an Barrierefreiheit.
Dieser Ansatz ermöglicht auch umfassende
Synergien mit sanften Tourismuskonzepten
(siehe Kapitel 5.11.3.).
U n ser e Z ie l e
Wir setzen uns auch deshalb für eine konsequente und am Vorsorgeprinzip ausgerichtete
Naturschutzpolitik ein, weil sie die Gesundheit für alle schützt und zu mehr Lebensqualität verhilft. Zudem hat die Bewegung in der
Natur vielfältige positive Gesundheitseffekte.
Deshalb muss sie gerade auch denjenigen
ermöglicht werden, die nicht in unmittelbarer
Nähe von bekannten Naturerholungsräumen
leben. Wir wollen Naturräume besonders in
unmittelbarer Nähe zum Menschen schaffen
und erhalten. Durch Grünanlagen, Spazierwege und Spielplätze wird Natur im Alltag
erfahrbar. Wir streben eine Höchstdistanz
zwischen Siedlungsflächen und Naturräumen
an, die für alle Menschen eine gute Erreichbarkeit sicherstellt.
Wir wollen Gesundheitsschutz und prävention zukünftig stärker in der Naturschutzgesetzgebung verankern und andererseits Naturschutzmaßnahmen als naturbezogenen Gesundheitsschutz in den umweltbezogenen Gesundheitsschutz integrieren. Akzeptanz für Naturschutz ist am ehesten zu
erreichen, wenn die alltäglichen gesundheits-
Das Thema Naturschutz und Gesundheit hat
vielfältige Facetten, die wir noch stärker in
das allgemeine Bewusstsein rücken wollen
und Zusammenhänge zwischen dem Schutz
der Natur und seiner unmittelbaren gesundheitlichen Bedeutung deutlicher herausstellen. Wir wollen neben den Grundleistungen
sauberes Wasser, reine Luft und fruchtbare
Böden auch die weiteren Dienstleistungen der
Natur schützen, die für die Gesundheit bedeutsam sind, etwa das große Potenzial an
medizinisch wirksamen Rohstoffen. Hier setzen wir uns für die Erhaltung der Lebensräume der Heilpflanzen ein und für einen fairen
Speziell im Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit, APUG, s. www.apug.de.
173 Der Begriff der Therapeutischen Landschaften
(„Therapeutic Landscapes“) wurde zu Beginn der
1990er Jahre durch den Medizingeographen Wilbert
Gesler geprägt. Dem Konzept liegt die Auffassung zugrunde, dass Landschaften eine Bedeutung für die
menschliche Gesundheit und das Wohlbefinden haben.
174 MAB = Man and the Biosphere Programme, ist das
UNESCO-Programm zur Entwicklung von Biosphärenreservaten.
172
Felicia Keesing et al. (2010): Impacts of biodiversity
on the emergence and transmission of infectious diseases. Nature 468, S. 647-652.
171
73
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
förderlichen Aspekte einer intakten Natur und
die Bedeutung des Naturschutzes in diesem
Kontext verständlich und direkt vermittelt
und somit als Motivationsimpuls für den
Schutz der Biodiversität stärker genutzt werden.
ches Engagement. Viele Aufgabenbereiche in
unserer Gesellschaft könnten ohne das ehrenamtliche Engagement der Menschen aller
Altersgruppen nicht bewältigt werden – das
betrifft alle Bereiche des gesellschaftlichen
Lebens – von der Kinder- und Jugendarbeit,
über Kultur und Sport bis hin zum Natur- und
Artenschutz. Die Engagementpolitik der
schwarz-gelben Bundesregierung engt sich
auf die Einführung eines zentralistisch organisierten Bundesfreiwilligendienstes ein. Sie
lässt die Unterstützung und Anerkennung der
langjährigen Erfahrung zivilgesellschaftlicher
Organisationen und Netzwerke vermissen und
verzichtet damit auf den unschätzbar wichtigen Beitrag der Menschen in unserem Land
für das Gelingen vieler Projekte. Das Engagement gesellschaftlicher Gruppen hängt entscheidend von der Transparenz und den Partizipationsmöglichkeiten in Planungs- und
Entscheidungsprozessen ab (siehe Kapitel
5.9.). Sie dürfen nicht zu Lückenbüßern für
(fehlende) staatliche Aufgabenwahrnehmung
werden.175
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge
Bu nd un d Lä nd e r in Koo p er a t io n m it
de r P ha rm a - un d G e s und h eit sb ra nch e
Förderung des Schutzes von Heilpflanzen und des fairen Handels mit ihnen.
Förderung des Wissensaustauschs zwischen dem Naturschutz und dem
Gesundheitssektor und eine bessere
Verknüpfung
des
naturbezogenen
Gesundheitsschutzes mit umweltbezogenen Gesundheitsschutz und Naturschutzrecht.
Bu nd, Lä nd e r u nd Ko m m u n e n
Ausbau des Konzepts der therapeutischen Landschaften in der nachhaltigen Regionalentwicklung gemeinsam
mit dem Ausbau von Erholungsräumen
im siedlungsnahen Bereich.
Tausende Menschen engagieren sich in unserem Land aktiv für den Natur- und Artenschutz. Sie betreuen unterschiedlichste Einzelmaßnahmen und tragen mit ihrem Fachwissen nicht zuletzt grundlegend zur Erhebung von notwendigen Daten bei. Das Bundesnaturschutzgesetz verpflichtet jeden „nach
seinen Möglichkeiten zur Verwirklichung der
Ziele des Naturschutzes und der Landschaftpflege“ beizutragen.176 Die Verwirklichung der
Naturschutzziele ist also nicht nur eine Sache
von Behörden und Naturschutzverbänden,
sondern geht jeden Einzelnen an. Als Konsument und gesellschaftlicher Akteur besitzt
jeder Mensch eine individuelle Verantwortung, zum Schutz der biologischen Vielfalt
beizutragen. Der Einzelne muss dafür aber
auch die zeitlichen und finanziellen Voraussetzungen besitzen und über den notwendigen Zugang zu Wissen und Informationen
verfügen. Biodiversitätsstrategien und die
Aktionspläne auf Landes- und Kommunal-
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Aktionsprogramm Ambrosia“ 17/3799
Antrag „Gesetzliche Grundlage für Prävention
und Gesundheitsförderung schaffen – Gesamtkonzept für nationale Strategie vorlegen“
BT-Drucksache 17/5529
Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache
17/2005
5.14. BIODIVERSITÄT UND
ZIVILGESELLSCHAFT
Pro b le m
Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft stützt
sich zu einem großen Teil auf bürgerschaftli-
Siehe „Genshagener Erklärung“, Bündnis für Gemeinnützigkeit, 4. Februar 2010.
176 (BNatSchG § 2 Abs. 1)
175
74
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
ebene müssen dies besonders berücksichtigen. Die Naturbewusstseinsstudie 177 des Bundesamtes für Naturschutz hat großes Interesse
und auch Sensibilität im Umgang mit der Natur und Verständnis für Schutzmaßnahmen
bei vielen Menschen nachgewiesen. Sie macht
aber auch deutlich, dass umfangreiche Aufklärungs- und Kommunikationsstrategien
notwendig sind, bevor daraus ein von einer
breiten Mehrheit getragener aktiver Naturschutz hervorgeht.
wichtigsten in Deutschland vertretenen Religionen und der Umweltbewegung angestoßen
haben.179 (siehe Kapitel 2.)
Die Gewerkschaften haben als Arbeitnehmervertretung ein besonderes Interesse an sicheren und sinnvollen Arbeitsplätzen. Die Förderung arbeitsintensiver und naturverträglicher
Wirtschaftsweise sollte daher eines ihrer Ziele
sein, bei dem große Synergien mit dem Schutz
der biologischen Vielfalt bestehen.180 Jenseits
der rein ökonomischen Betrachtung ist die
biologische Vielfalt für das Wohlbefinden der
Menschen ein wichtiger Faktor. Das Bild, das
die Gewerkschaften von einem guten und
erstrebenswerten Leben vermitteln, greift
diese Dimension bislang allerdings kaum auf.
Die Naturschutzverbände erfüllen vielfältige
Aufgaben im praktischen Natur- und Artenschutz und in der Öffentlichkeitsarbeit. Im
Bereich des Monitorings ist die ehrenamtliche
Arbeit von Fachleuten zunehmend unverzichtbar. Die hier tätigen Spezialisten und
Amateure sind das Fundament im Bereich der
Erfassung und des Monitorings der biologischen Vielfalt. Durch fehlende Kapazitäten
und z. T. auch fehlende Fachkenntnisse in
den Naturschutzverwaltungen gehen zunehmend professionelleren Aufgaben auf Nichtregierungsorganisationen über, die rein ehrenamtlich nicht mehr zu erfüllen sind, selbst
wenn im Vergleich zu anderen Politikfeldern
das freiwillige Engagement im Natur- und
Artenschutz stark ausgeprägt ist. Das stellt
eine verstärkte Mitwirkung der Verbände vor
große Probleme.178
Migrantinnen und Migranten sind in Naturund Umweltschutzverbänden noch immer
deutlich unterrepräsentiert. Umweltschutzorganisationen aus der Mitte der MigrantenGemeinschaften sind die wichtigsten Partner
für mehr Engagement. Hier ist eine zielgruppenspezifische Kommunikation möglich, die
sich an Sprache, sozialem Kontext, der Zielgruppen orientiert. Gute Beispiele dazu sind
das Türkisch-Deutsche Umweltzentrum vom
TDZ e. V.181 und Yesil Cember vom BUND.182 Ein
sehr interessantes Umweltprojekt hat auch die
Alevitische Gemeinde Deutschland e. V. mit
„ÖkoCan-MigrantInnen engagieren sich für
ihre Umwelt“183 entwickelt.
Die gemeinsame Bearbeitung des Themas
Biodiversität kann unterschiedliche gesellschaftliche Akteure zusammenbringen. So
sieht die CBD in ihren Vorschlägen für eine
Dekade der biologischen Vielfalt explizit einen
ökumenischen Dialog und interkonfessionelle
Kooperation vor. Es ist verdienstvoll, dass das
Umweltzentrum Schloss Wiesenfelden, der
Deutsche Naturschutzring (DNR) und die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) im Rahmen eines Werkstattgesprächs im Jahre 2010 einen Dialog der
Auch Menschen mit Behinderungen engagieren sich vielfältig im Natur- und Artenschutz.
In aller Regel nehmen sie dabei gleichberechtigt an allen Aktivitäten der Verbände teil.
Wenn Unterstützung erforderlich ist, erfolgt
diese oft im Rahmen des selbstverständlichen
Gebens und Nehmens unter Menschen, die an
einer gemeinsamen Sache arbeiten. Gelegentlich ist zusätzliche Assistenz erforderlich.
Gemeinsames Engagement kann auch gezielt
„Umweltbewusstsein in Deutschland 2010“, Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage,
Bundesumweltministerium.
178 Siehe auch Berichte zum DRL-Workshop „Perspektiven
für die ehrenamtliche wissenschaftliche Forschung auf
dem Gebiet der Biodiversität“ 12.01.2011,
http://www.biodiversity.de/images/stories/Downloads/
drl-2010-zus.pdf
„Nachhaltigkeit und Klimaschutz – Beiträge zu einem
Gespräch zwischen den Religionen“, hrsg. von Hans
Diefenbacher, Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Heidelberg 2011
180 Siehe Kapitel 5.10.2
181 Siehe www.tdz-berlin.de
182 Siehe www.yesilcember.de
183 Siehe http://alevi.com/de/projekte/okocan/
177
179
75
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
als Katalysator für die Inklusion behinderter
Menschen dienen, wie die Kooperation zwischen Bundesvereinigung Lebenshilfe für
Menschen mit geistiger Behinderung und
EUROPARC Deutschland zeigt, aus der sich
teilweise langfristige Partnerschaften mit
mehrmaligen Freiwilligeneinsätzen und anderen gemeinsamen Aktivitäten entwickelten.184
eine Querschnittsaufgabe ist, die nur unter
Beteiligung aller zu bewältigen ist.
Naturschutzverbände wollen wir stärken und
mit ihrem Sachverstand stärker in politische
Entscheidungsprozesse einbeziehen Sie müssen ihrer wachsenden Bedeutung entsprechend vom Staat gefördert und unterstützt
werden. Auch Tourismusverbände, Sportvereine, Sozialverbände, Kirchen und Religionsgemeinschaften sollen ihren Beitrag zum Schutz
der biologischen Vielfalt leisten.
Der Naturschutz bietet auch viele Betätigungsmöglichkeiten für Jugendliche. Hier
können Fähigkeiten wie selbständiges Arbeiten, Teamwork oder Durchhaltevermögen
entwickelt werden. Laut Shell-Jugendstudie
2010185 sind Jugendlich über den Klimawandel stark beunruhigt; 76 Prozent halten ihn
für ein großes oder sogar sehr großes Problem. Es darf angenommen werden, dass sich
annähernd gleiche Werte in Bezug auf den
Verlust an biologischer Vielfalt ergeben würden. Hieran können Vereine und Verbände in
ihrer Nachwuchsarbeit anknüpfen, denn ein
großer Teil der Jugendlichen zieht inzwischen
auch persönliche Konsequenzen und achtet
auf ein umweltbewusstes Verhalten. Besonders klimakritische junge Leute engagieren
sich für den Umwelt- und Naturschutz. Freiwilliges Engagement ist für Jugendliche aber
auch deshalb attraktiv, weil es die Möglichkeit
bietet, gemeinsam mit Gleichaltrigen praktische Erfahrungen durch informelles Lernen zu
erwerben. Gerade bei 14- bis 24-Jährigen
besteht ein großes Potenzial; es kann angesprochen werden durch Angebote, die Lust,
Freude, Motivation und Sinnhaftigkeit versprechen.186 Viele Großschutzgebiete bieten
bereits vielfältige Angebote insbesondere für
Kinder und Jugendliche an.
Es ist unser Anliegen, bürgerschaftliches Engagement stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Neben einer ausgeprägten
Willkommens-Kultur kann mit dem Ausbau
des Versicherungsschutzes für Ehrenamtliche
und regelmäßige Anerkennung der Freiwilligentätigkeit viel für die Motivation jedes Einzelnen getan werden. Wir setzen darauf, generationenübergreifendes Engagement zu
ermöglichen und eine spezielle Ansprache für
unterschiedliche Personengruppen zu entwickeln – Jugendliche, Senioren, Frauen und
Männer, Menschen mit Behinderung und Migrantinnen und Migranten sollen gezielt angesprochen werden. Freiwilligendienste stellen
dabei ein besonders wichtiges Verbindungsglied zwischen hauptamtlicher und ehrenamtlicher Ebene dar. Dabei muss die Selbstbestimmung der zivilgesellschaftlichen Träger
gewahrt bleiben.
Bei aller Förderung des zivilgesellschaftlichen
Engagement gilt für uns auch: Es darf nicht
zur preiswerten Erledigung staatlicher Aufgaben missbraucht werden.
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge
Bu nd un d Lä nd e r
U n ser e Z ie l e
Überarbeitung aller existierender Förderprogramme des ehrenamtlichen
Engagements in Bezug auf die Lebenswirklichkeiten der Zielgruppen (jüngere/ältere Menschen, Frauen/Männer,
Menschen
mit/ohne
Behinderung,
Menschen mit/ohne Migrationshintergrund).
Ausbau nachhaltiger Förderinstrumente, um günstige Rahmenbedingungen
Wir wollen das Engagement jedes einzelnen
Menschen, aller Gruppen und der gesamten
Gesellschaft für die biologische Vielfalt weiter
stärken – das entspricht unserer Überzeugung, dass der Schutz der biologischen Vielfalt
Siehe www.freiwillige-in-parks.de
Siehe www.shell.de
186 Vgl. „Einblick in die Jugendkultur“, Kap. 3, UBA 2011.
184
185
76
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
für bürgerschaftliches Engagement zu
stärken.
Stärkung zivilgesellschaftlicher Organisationen, insbesondere Naturschutzverbände und Bürgerstiftungen.
lose oder sehr preiswerte Nutzung beziehungsweise fehlende Sanktionen nach Schädigungen gibt es keinen betriebswirtschaftlichen Anreiz, sparsam mit Natur und Umwelt
umzugehen. So sind die 3.000 weltweit führenden Unternehmen allein für Umweltschäden in Höhe von rund zwei Billionen Euro
verantwortlich.187
In Koo p e ra t i on z w isc h en B un d, Lä nde r n, Kom m un e n, Wi rt s cha ft u nd
Zivi lg es e ll sc ha ft
Das Problem der falschen Anreize zeigt sich
ganz praktisch auch beim Flächenverbrauch.
Eine Neuansiedlung eines Betriebes oder ein
Wohnungsneubau ist unter heutigen Bedingungen auf der grünen Wiese viel billiger als
etwa die Umnutzung oder der Umbau bestehender Industrie- oder Wirtschaftsbrachen,
die im ungünstigsten Fall auch noch mit Altlasten als Hinterlassenschaft der Vornutzer
behaftet sind. In der Folge nimmt die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland
jede Sekunde um weitere neun Quadratmeter
zu.188
Neuentwicklung einer kohärenten nationalen Engagementstrategie, die in
einem nationalen Engagementgesetz
verankert wird.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antrag „Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren“ BT-Drucksache 17/6502
Antrag „Änderung Umweltrechtsbehelfsgesetz“ BT-Drucksache 17/7888
Fraktionsbeschluss „Bürgernahe und effiziente Planung im 21. Jahrhundert“ vom
01.09.2011
Aber nicht nur diese fehlende Kostenwahrheit
ist ein Problem. Auch der Staat selbst fördert
durch bestimmte Steuererleichterungen oder
sogar direkte Subventionen umwelt- und
naturschädliches Verhalten: Nach Angaben
des Umweltbundesamtes allein im Jahr 2008
mit rund 48 Milliarden Euro.189
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Planungsbeschleunigung und Bürgerbeteiligung“ BTDrucksache 17/4788
So werden etwa der Abbau und die Nutzung
der heimischen Braun- und Steinkohle mit
direkten Subventionen oder Steuererleichterungen gefördert, obwohl diese erhebliche
negative Auswirkungen auf die Umwelt und
die Biodiversität haben. Für die Gewinnung
der heimischen Braunkohle werden riesige
Flächen aufgebrochen und für immer verändert. Die durch den Kohleabbau notwendigen
Änderungen und Eingriffe in den Wasserhaushalt verwandeln ganze Landstriche. Auch unterstützt und finanziert der Staat vorrangig
den automobilen Individualverkehr, der mit
5.15. FINANZIERUNG DES
BIODIVERSITÄTSSCHUTZES
Pro b le m
Die biologische Vielfalt und intakte Ökosysteme stellen als Grundvoraussetzung für die
menschliche Existenz einen unschätzbaren
Wert dar. Dennoch hat die wirtschaftliche
Nutzung von Natur oder Umweltgütern in der
Regel keinen oder bestenfalls keinen angemessenen Preis Die durch Naturausbeutung
tatsächlich verursachten Schäden werden in
keiner Weise abgebildet. Nur selten muss der
Verursacher für etwaige Schäden oder Folgekosten für die Zerstörung der Natur und den
Verbrauch natürlicher Ressourcen selbst aufkommen, in den allermeisten Fällen zahlt die
Allgemeinheit. Durch die weitgehend kosten-
TEEB for Business, 2010,
http://www.teebweb.org/LinkClick.aspx?fileticket=ubcr
yE0OUbw%3D
188 Statistisches Bundesamt, 2011
189 Umweltbundesamt: Umweltschädliche Subventionen
in Deutschland, Aktualisierung für das Jahr 2008
http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/3780.pdf
187
77
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
seinem erheblichen Flächenverbrauch für
Straßen und seine Abgas- und Lärmemissionen ein erhebliches Problem darstellt. Ebenso
fatale Auswirkungen haben die Förderung von
Landwirtschaft und Fischerei ohne ausreichende ökologische Mindestanforderungen.
Die gezielte Förderung wie Agrarumweltmaßnahmen oder der Vertragsnaturschutz sind
dem gegenüber ökonomisch unattraktiv.
deutlich unter einem Prozent des EU-Haushaltes lebenssichernde Aufgaben erfüllen.
Der Finanzbedarf für die Umsetzung der selbst
gesteckten Biodiversitätsziele ist sehr unterschiedlich präzise formuliert. Der Bedarf für
das Netzwerk Natura 2000 wird europaweit
auf jährlich rund 6 Milliarden Euro geschätzt.
Für die Umsetzung der deutschen Biodiversitätsstrategie gibt es weder einen Kostennoch einen Finanzierungsplan. Klar ist jedoch,
dass gerade auf der Ebene der Länder und
Kommunen Kosten beim Management von
Schutzgebieten, bei Wiederherstellungsmaßnahmen und bei der Bezahlung des zusätzlichen Aufwandes bei der Landnutzung in
Schutzgebieten anfallen. Zudem bestehen bei
den personellen Kapazitäten der Behörden,
die die Maßnahmen umsetzen und begleiten
müssen, wesentliche Lücken.
Schon rund 0,1 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung würden reichen um wenigstens die weltweit etwa 100.000 wichtigsten
Schutzgebiete in gutem Zustand zu erhalten.
Damit würden ökosystemare Dienstleistungen
im Wert von 5 Billionen Dollar gesichert.190 Zu
diesen Leistungen gehören zum Beispiel die
natürliche Speicherung von klimaschädlichem
CO2, der Hochwasserschutz oder die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser. Allein der
Wert der Bestäubung von Nutzpflanzen durch
Insekten wie Honigbienen wird für Europa auf
15 Milliarden Euro beziffert (4 Milliarden Euro
allein für Deutschland).
International steht die Bundesregierung in
der Pflicht, umfassenden Zusagen gerecht zu
werden und zur Mobilisierung erheblicher
zusätzlicher Mittel beizutragen (siehe Kapitel
6.2.). Artikel 20 der CBD verpflichtet die entwickelten Länder zur Mobilisierung neuer und
zusätzlicher Ressourcen. In diesem Rahmen
hat sich die Bundesregierung verpflichtet, ab
2013 jährlich 500 Millionen Euro für den Biodiversitätsschutz bereitzustellen. Diese Gelder
werden bislang jedoch vor allem im Rahmen
der internationalen Klimaschutzinitiative mit
dem Waldklimaschutz und der Förderung
ökosystembasierter Ansätze zur Anpassung an
den Klimawandel sowie mit Entwicklungszusagen verrechnet, so dass trotz der an sich
sinnvollen Ansätze keine Zusätzlichkeit gegeben ist. Zudem spricht die CBD in ihrer Strategie zur Mobilisierung finanzieller Ressourcen
von „neuen und innovativen“ Mechanismen,
deren Ausgestaltung jedoch noch in den Sternen steht. Der Strategische Plan sieht bis
2020 eine substanzielle Aufstockung der Finanzmittel vor. Bereits zur COP 11 (2012)
werden aber weitere Zusagen nötig sein, um
den zusätzlichen Finanzbedarf decken zu
können.
Investitionen in den Schutz der biologischen
Vielfalt werden dennoch nur selten getätigt,
da sich der Nutzen solcher Investitionen häufig erst nach vielen Jahren einstellt und in der
Regel nicht dem Investor allein zu Gute
kommt. Erst langsam werden weltweit Erfahrungen zur besseren Inwertsetzung von Ökosystemleistungen gesammelt. Für den direkten Schutz der Biodiversität in Form von
Schutzgebieten oder der Förderung biodiversitätsverträglicher
Wirtschaftsweisen
stehen dagegen im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Aufgaben verschwindend
geringe Beträge zur Verfügung. So soll ein mit
15 Millionen Euro pro Jahr ausgestattetes
Bundesprogramm die Umsetzung der gesamten Nationalen Biodiversitätsstrategie gewährleisten und LIFE+, das wichtigste Instrument für die Finanzierung des europäischen
Schutzgebietsnetzes Natura 2000, soll mit
TEEB for National and International Policymakers,
2009;
http://www.unep.org/Documents.Multilingual/De
fault.asp?DocumentID=602&ArticleID=6371&l=en&t=lo
ng
190
Diese Verhältnisse machen deutlich, dass im
Sinne einer ressortübergreifenden Verankerung des Biodiversitätsschutzes die absoluten
78
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Summen, die für den Schutz der Natur ausgegeben werden, nur ein kleiner Teil der Lösung
sind. Solange die öffentliche Wirtschaftsförderung ein Vielfaches dieser Summen für Maßnahmen vergibt, die Umwelt und Natur zerstören, bleibt der Naturschutz ein Kampf gegen Windmühlen.
halb der europäischen Union geprüft werden.191
Finanzielle Fördermaßnahmen und ökonomische Anreize sollen zu einem sparsameren
Umgang mit der Ressource Natur motivieren.
Ein Beispiel hierfür ist die Senkung des Flächenverbrauchs in Deutschland bis 2020 auf
höchstens 30 Hektar pro Tag und langfristig
auf null Hektar mit Hilfe einer Verbrauchsabgabe.
U n ser e Z ie l e
Die Sicherung der biologischen Vielfalt ist eine
gesellschaftliche Aufgabe, zu der private wie
öffentliche Haushalte beitragen müssen. Die
ökonomischen Anreize zum Verbrauch von
Umwelt und Natur müssen abgeschafft, die
zur Bereitstellung von Ökosystemleistungen
maximiert werden. Dafür wollen wir die von
uns begonnene ökologische Finanzreform
fortführen und weiterentwickeln. Kosten, die
durch Naturzerstörung und Umweltzerstörung
entstehen, sollen zukünftig nicht mehr der
Allgemeinheit, sondern dem Verursacher angelastet werden. Naturverbrauch muss einen
Preis bekommen. Die Studie „Naturkapital
Deutschland“ soll dafür zusätzliche Bewertungsgrundlagen schaffen (siehe Kapitel
5.11.1).
Instrumente wie das Bundesprogramm Wiedervernetzung müssen langfristig gesichert
und bedarfsgerecht aufgestockt werden. Für
andere Ziele der Biodiversitätspolitik muss der
Finanzbedarf teilweise erst noch präziser formuliert werden. Dies gilt für die nationalen,
europäischen und internationalen Strategien
gleichermaßen. Das Bundesprogramm biologische Vielfalt darf dabei nicht als alleinige
Aufgabe des Umweltministeriums betrachtet
werden. Wie im Aktionsplan zur Anpassung an
den Klimawandel, muss auch das Bundesprogramm mit Beiträgen aus den jeweils zuständigen Ressorts finanziert werden192.
Kriterien des Biodiversitätsschutzes und die
Prüfung auf Vereinbarkeit mit der nationalen
Biodiversitätsstrategie bei Entscheidungen
über Fördermittel und Subventionen werden
einen entscheidenden Beitrag dazu leisten,
Mittel für Ausgleich, Kompensation oder Wiederherstellung einzusparen.
Wir wollen alle kontraproduktiven Anreize
durch bestehende ökologisch schädliche Subventionen sofort auf den Prüfstand stellen
und mittelfristig ganz abschaffen. Dazu wollen wir in Form eines nationalen Klimaschutzhaushaltes den notwendigen Rahmen
schaffen. Um die dramatische Unterfinanzierung des Biodiversitätsschutzes national und
international zu beenden, können einige
Projekte zum Schutz der Biodiversität durch
den Abbau klima- und umweltschädlicher
Subventionen finanziert werden. Für weitere
Maßnahmen wollen wir weitere Finanzierungsquellen erschließen. Für den teilweise
sehr unterschiedlichen finanziellen Mehrbedarf für Naturschutzmaßnahmen und Naturschutzleistungen wollen wir außerdem zukünftig Ausgleichsmechanismen zwischen den
Ländern prüfen. Derartige Ansätze aus anderen Staaten wie Portugal und Brasilien werden derzeit auch wissenschaftlich untersucht.
Die Erfahrungen mit Umlagesystemen oder
Kriterien für Direktzahlungen müssen auf Anwendbarkeit auf der Bundesebene und inner-
International muss Deutschland so schnell wie
möglich seinen finanziellen Versprechen der
COP 9 in Bonn gerecht werden. Erfahrungen
mit innovativen Finanzierungsmechanismen
für den internationalen und nationalen Biodiversitätsschutz (wie z. B. Zahlungen für
ökosystemare Dienstleistungen) müssen auf
ihre Verlässlichkeit hin überprüft und soweit
möglich in die nationale Finanzpolitik und
Z. B. Forschungsschwerpunkt „Naturschutz im Kommunalen Finanzausgleich“ am Helmholtz-Zentrum für
Umweltforschung.
http://www.ufz.de/index.php?de=1718
192 Kabinettsbeschluss "Aktionsplan Anpassung" zur
Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel
vom 31.08.2011
http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/p
df/aktionsplan_anpassung_klimawandel_bf.pdf
191
79
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
internationale Entwicklungspolitik integriert
werden. Dabei sollten auch Synergien zwischen der Finanzierung für eine nachhaltige
Entwicklung sowie Biodiversitäts- und Klimafinanzierung gestärkt werden.
Förderangabe für Bodenschätze, die
mindestens zehn Prozent des Rohstoffwertes beträt.
Reduzierung des Flächenverbrauchs
durch eine Flächenverbrauchsabgabe
oder handelbare Flächenausweisungsrechte.
U ns er e Gr ü n e n L ö s un g sv or s ch lä ge :
Ö kol og i sc h e F ina n z r ef orm
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Abbau umweltschädlicher Subventionen, die den Klimawandel und den
Verlust der Biodiversität weiter befördern, insbesondere durch eine stufenweise Umsetzung von Maßnahmen in
den folgenden Bereichen:
Abschaffung
der
bestehenden
Steuerbegünstigungen des produzierenden Gewerbes bei der Energie- und Ökosteuer (2 Mrd. € jährlich)
Kerosinbesteuerung und Ticket-Tax
(1,3 Mrd. €)
Abschaffung der Förderung verbrauchsstarker Dienstwagen (3,5
Mrd. € jährlich)
Abschaffung der Begünstigungen
der Mineralölindustrie (min. 250
Mio. €)
Besteuerung der stofflichen Nutzung von Erdöl (1,7 Mrd. € jährlich)
Erhöhung und Ausweitung der
LKW-Maut (2,0 Mrd. € jährlich)
Regelmäßige Überprüfung und inflationsbedingte Anpassungen der
Energiesteuern.
Einführung von Ausgleichsmechanismen für Naturschutzaufwendungen zwischen den Ländern.
Prüfung von Erfahrungen mit innovativen
Finanzierungsmechanismen wie die Zahlung für Ökosystemdienstleistungen für die nationale und internationale Ebene.
Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache
17/2005
Antrag „Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren“ BT-Drucksache 17/6502
Entschließungsantrag zum Haushaltsgesetz
2012 BT-Drucksachen 17/7862(neu), 17/7863
Fraktionsbeschluss „Energiekonzept 2050 –
sicher erneuerbar“ vom 10.09.2010
Antrag „Strategie für Klimaschutz im Verkehr
vorlegen“ BT-Drucksache 17/4040
Entschließungsantrag zum Haushaltsentwurf
2010 BT-Drucksache 17/1091
Nat u rv e rb ra uc h m us s k ost e np fl icht ig
w e rd e n
Fortführung und Weiterentwicklung
der ökologischen Finanzreform u.a.
durch verpflichtende Einführung einer
80
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
1
6. INTERNATIONALER
BIODIVERSITÄTSSCHUTZ
6.1. EUROPÄISCHER
BIODIVERSITÄTSSCHUTZ
Pro b le m
Die Europäische Union ist ein entscheidender Akteur beim Schutz der biologischen Vielfalt. Sie setzt
über die Landwirtschafts- und Fischereipolitik, die
Struktur- und Kohäsionsfonds, über das Netzwerk
Natura 2000 und verschiedene weitere Richtlinien
wie zur Meeresstrategie oder den Gewässerschutz
einen bedeutenden rechtlichen und finanziellen
Rahmen für die Erhaltung der Biodiversität in Europa. Auf dem EU-Gipfel 2001 in Göteborg hatte
sich die EU über das von den Vereinten Nationen
formulierte
Ziel
hinaus
zum
Stopp
des
Biodiversitätsverlustes bis 2010 verpflichtet. Dieses
Ziel wurde komplett verfehlt.1
Die 2011 neu formulierte Biodiversitätsstrategie 2
soll diesem Scheitern durch klarere Teilziele ebenso Rechnung tragen wie durch eine stärkere Integration in die unterschiedlichen Sektoren der EUPolitik. Obwohl die Biodiversitätsstrategie als Teil
einer gesamteuropäischen Nachhaltigkeitspolitik
verstanden wird, bleibt die EU aber einen konkreten Umsetzungs- und Aktionsplan genauso schuldig wie ein Konzept zur Finanzierung der notwendigen Maßnahmen. Eine erste Konkretisierung der
Ziele findet sich in den Schlussfolgerungen des
Umweltrates im Dezember 2011.3 Jenseits der Beteuerung, dass integrative und ressortübergreifende Ansätze notwendig sind, zeigt sich hier wie auf
Bundesebene, die Dominanz von Ressortegoismen.
Die Argumentation zahlreicher Mitgliedsstaaten
einschließlich der Bundesregierung wie auch eini-
EEA, Technical Report Nr. 12/2010. Quelle: Bund-/ Länderarbeitsgemeinschaft Naturschutz (LANA)
Positionspapier Anforderungen an die Finanzierung von Natura
2000 in der EU-Förderperiode 2014 – 2020, 10. November
2010.
2 COM (2011) 244 final.
3 Ratsschlussfolgerungen 18862/11 vom 19.12.2011
http://consilium.europa.eu/media/1379139/st18862.en11.p
df
1
ger Länder, die Biodiversitätsstrategie und ihre
Umsetzung dürften weder den Budgetverhandlungen noch den Reformen der Agrar- und Fischereipolitik vorgreifen, konterkariert den Ansatz, für
eben diese Prozesse Leitlinien vorzugeben. Das
muss sich schleunigst ändern, ansonsten ist das
nächste Scheitern der EU-Biodiversitätsziele vorprogrammiert. In der Budgetplanung zum Beispiel
zeigen die Entwürfe für den EU-Haushalt 20142020: Obwohl dies der Zeitraum ist, in dem die bis
2020 gesteckten europäischen Biodiversitätsziele
erfüllt werden sollen, decken sich die bereitgestellten Mittel in keiner Weise mit dem geschätzten
Bedarf (z. B. werden sechs Mrd. Euro jährlich für
die Finanzierung von Natura 2000 benötigt4, vorgeschlagen sind aber nur 3,2 Milliarden Euro für
das gesamte LIFE-Programm für den Zeitraum von
2014 bis 2020, also jährlich knapp 460 Millionen,
von denen nur ein Teil der biologischen Vielfalt
gewidmet ist). Hier macht es sich allerdings auch
negativ
bemerkbar,
dass
in
der
EUBiodiversitätsstrategie auf konkrete BudgetForderungen verzichtet wurde. Das Fehlen von
Kontrollmechanismen und ggf. von Sanktionsmöglichkeiten in Hinblick auf die Naturschutzziele der
EU ist ein weiterer Grund für die äußerst mangelhafte Zielerreichung.
Die Vogelschutz- und FFH-Richtlinien, die das
Netzwerk Natura 2000 bilden, sind wirkungsvolle
Instrumente für den Schutz von Arten und deren
Lebensräumen. Für ihre Umsetzung muss aber das
Förderprogramm LIFE+ zur Unterstützung von –
auch integrativen – Projekten im Umwelt- und
Naturschutz viel besser ausgestattet werden (siehe
Kapitel 5.15.) LIFE kann jedoch nur in der Laufzeit
begrenzte Projekte fördern. Beim Zugang zu jährlich neu verfügbaren ELER-Mitteln und anderen
Förderbudgets konkurriert der Naturschutz zudem
mit einem breiten Spektrum anderer Interessen.
Die Reservierung Teile dieser Mittel für den
Biodiversitätsschutz (Earmarking) könnte diese
Konkurrenz lindern. Die Förderungen müssen so
ausgestaltet werden, dass sie den schädlichen
Wirkungen von Landwirtschaft, Fischerei und Infrastrukturprojekten entgegenwirken. Für die Mittelvergabe in der Regionalförderung müssen auch
Naturschutzkriterien gelten.
4
81
Finanzbedarf für DE: 620 Millionen Euro pro Jahr.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
In der Europäischen Union müssen zudem endlich
umweltschädliche Subventionen abgebaut werden. Das nutzt Natur und Umwelt und setzt Mittel
zur Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie frei.
Insbesondere Mittel der Agrar- und Fischereipolitik
müssen ökologisch umgeschichtet werden. Die
Förderung von Biomasse als Energieträger muss
angesichts der damit einhergehenden direkten
und indirekten Landnutzungsänderungen noch
stärker an Naturschutzauflagen gekoppelt werden.
schränkt ist, obwohl die rechtlichen Grundlagen
hierfür vorliegen. Es gibt massive Überkapazitäten
der Fischereiflotten. 80 Prozent der europäischen
Fischbestände gelten als überfischt. Die politisch
bewilligten Fanquoten übersteigen die wissenschaftlichen Empfehlungen. Für den Rohstoffabbau im Meer müssen Schutzgebiete tabu sein. Für
Umweltschäden durch Rohstoffabbau im Meer sind
Haftungsregeln auf europäischer Ebene notwendig.
Auf den Prüfstand gestellt werden müssen auch
alle Handlungen der EU, die zum globalen Verlust
an Biodiversität beitragen: Export von subventionierten Agrarprodukten, Ansprüche an neue Anbauflächen für Energiepflanzen, Fischerei in außereuropäischen Meeresgebieten. Mit diesem Vorgehen verhindert die EU die notwendige Regionalentwicklung und Armutsbekämpfung in vielen
Teilen der Welt. Die Haushalts- und Subventionspolitik muss deshalb entsprechend den internationalen Verpflichtungen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten umgestaltet werden.
Die europäischen Wälder haben vielfältige ökologische und gesellschaftliche Funktionen; ihre Nutzung muss sich an der Erhaltung und Förderung
dieser Funktionen ausrichten. Die Wälder beheimaten die meisten Wirbeltiere des europäischen
Kontinents. Bestimmte Baumarten (z. B. Rotbuche
und Steineiche) kommen quasi nur in Europa vor.
Tausende von Insekten- und Wirbellosen-Arten
und ebenso viele Pflanzenarten sind vorwiegend
auf Waldhabitate beschränkt. Als Natura-2000Gebiete ausgewiesene Waldhabitate erstrecken
sich über 14 Millionen Hektar und nehmen nahezu
20 Prozent der gesamten Landfläche des Natura2000-Netzes ein. Von Menschenhand unberührte
Naturwälder beanspruchen mit rund neun Millionen Hektar etwa fünf Prozent der gesamten Waldfläche des europäischen Wirtschaftsraums. Lediglich ein Drittel der Waldhabitate von gemeinschaftlichem Interesse weisen einen günstigen
Erhaltungszustand auf.5 Zudem war die Anerkennung deutscher Buchenwälder als Weltnaturerbe
durch die UNESCO mit der Aufforderung verbunden,
den Aufbau eines Netzwerkes europäischer Buchenwälder zu unterstützen. Hier gibt es also noch
viel zu tun.
Von einem guten ökologischen Zustand der europäischen Meere sind wir noch weit entfernt. Die
EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie aus dem
Jahr 2008 steckt den Ordnungsrahmen ab, in dem
alle EU-Mitgliedsstaaten Maßnahmen ergreifen
müssen, um bis 2020 einen „guten Zustand der
Meeresumwelt“ in allen europäischen Meeren zu
erreichen. Angestrebt werden ein Schutzgebietsnetz sowie Monitoring- und Maßnahmenprogramme. Die Richtlinie verfolgt einen umfassenden integrativen Ansatz, um sowohl die Wasserqualität als auch die Biodiversität zu verbessern.
Dabei werden erstmals auch alle Nutzungen der
Meere analysiert. Der Umsetzungs- und Maßnahmenteil der Richtlinie ist jedoch zu schwach, es
mangelt an Instrumenten und Möglichkeiten zur
Durchsetzung der Ziele. Unter Verweis auf hohe
Kosten kann sogar gänzlich auf Maßnahmen verzichtet werden. Die Erstellung und Durchführung
eines Überwachungsprogramms soll bis 2014, die
Erstellung eines Maßnahmenprogramms bis 2015
erfolgen. Leider wird in der europäischen Biodiversitätsstrategie die Gemeinsame Fischereipolitik
explizit ausklammert. Das führt dazu, dass in den
Natura 2000-Gebieten die Fischerei kaum einge-
U n ser e Z ie l e
Wir wollen eine bessere Verankerung EUNaturschutz- und Biodiversitätspolitik in der Finanzplanung. Die Ausgaben aus dem EU-Haushalt
müssen aktiv zur Erreichung der Biodiversitätsziele
beitragen statt diese zu konterkarieren.
Biodiversitätsziele müssen in andere Politikfelder
integriert werden. Begleitet werden muss dies
durch eine Stärkung der hierfür direkt wirksamen
5
82
KOM (2010) 66.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Mittel aus den EU-Fördertöpfen wie LIFE+. Umweltschädliche Subventionen wollen wir abbauen
und entweder für ein Greening der entsprechenden Sektoren einsetzen oder für gezielte Investitionen in die die biologische Vielfalt bereitstellen.
So muss der Aufwand für die Schutzgebiete und für
eine naturverträgliche Bewirtschaftung von Natura
2000-Flächen angemessen honoriert werden können. Die EU und die Mitgliedsstaaten müssen verbindlich regeln, dass Management und Finanzierung aller Natura 2000-Gebiete sichergestellt werden.
tung übernimmt. Sonst besteht die Gefahr, dass
die Mitgliedsstaaten sie nicht oder nicht ausreichend anbieten.
In der Europäischen Fischereipolitik muss gelten,
dass auch sie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt beiträgt. Für die Umsetzung der Maßnahmen
aus der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie müssen
neue und ausreichende Mittel bereitgestellt werden. Hierzu ist eine eigene Haushaltslinie im Europäischen Meeres-und Fischereifonds EMFF einzurichten. Die Festsetzung und Umsetzung von ambitionierten Zielen und Maßnahmenprogrammen in
der MSRL muss konsequent verfolgt werden. In den
Natur 2000-Gebieten muss der Fischfang sich den
Schutzzielen unterordnen. Generell müssen sich
Fangquoten streng nach den wissenschaftlichen
Empfehlungen richten. Wir setzen uns auch für EUZertifizierungsstandards für ein ökologisches und
effizientes sog. Clean Ship ein. Gebraucht werden
auch Regelungen, die sowohl das vorsätzliche als
auch fahrlässige Einleiten von Öl, ölhaltigen oder
anderen die Meeresumwelt beeinträchtigenden
Stoffen unter Strafe stellen und Bußgelder für Ordnungswidrigkeiten europaweit vereinheitlichen
und anheben.
Die Halbzeitbewertung der EU Biodiversitätsstrategie 2014 muss dazu genutzt werden, Teilziele ergebnisabhängig zu präzisieren und einen gezielten
Aktionsplan für die zweite Hälfte der Umsetzungsfrist zu formulieren.
Die Erreichung der Biodiversitätsziele wird vor allem bei der Landnutzung entschieden. Wir wollen
deshalb zum Beispiel, dass jegliche Biomasse –
egal ob sie als Lebens- oder Futtermittel, zur Energiegewinnung oder stofflichen Nutzung eingesetzt
wird – nachhaltig angebaut wird. Dazu müssen
strenge und klare Klima-, Umwelt-, Naturschutzund Sozialstandards entwickelt werden. Zentrale
Ziele müssen der Stopp von Grünlandumbruch, die
Verankerung umwelt- und naturverträglicher Anbaumethoden und die schonenden Nutzung von
Wasserressourcen sein.
Wir wollen eine starke gemeinsame EUWaldschutzpolitik. Ein Instrument für den Schutz
und die Erhaltung der europäischen Wälder ist die
Ausgestaltung der Förderung von Waldumwelt-,
Waldumbau- und Natura 2000-Maßnahmen durch
den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die
Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Das Gesamtvolumen der Fördermittel für die Waldwirtschaft sollte insgesamt erhöht werden. Wir setzen
uns für die Ausarbeitung eines Standards für gute
forstwirtschaftliche Praxis als Referenz für Fördermaßnahmen der EU ein. Deutschland und die EU
müssen zur Erweiterung des Weltnaturerbes europäischer Buchenwälder zu einem geschlossenen
Netzwerk und zur Sicherung der Buchenurwälder
in Rumänien und Bulgarien beitragen. Die EUHolzhandelsverordnung muss so ergänzt werden,
dass Holz und Holzprodukte, die in der EU in Verkehr gebracht werden, aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern stammen müssen. Das wäre
wegweisend und ein echter Fortschritt.
Die Europäische Agrarpolitik muss ihren Beitrag
zur Erreichung der EU-Biodiversitätsziele leisten.
Entsprechend wollen wir Einfluss auf die anstehende GAP-Reform nehmen. Öffentliche Gelder
müssen an die Erbringung öffentlicher Leistungen
gebunden werden. Die Einhaltung einer mindestens dreigliedrigen Fruchtfolge, der verpflichtende
Anbau von Eiweißpflanzen, ein Grünlandumbruchverbot sowie die Ausweisung ökologischer Vorrangflächen sind richtige Ansätze, um eine landwirtschaftliche Grundzahlung ökologisch zu qualifizieren. Sie müssen allerdings ambitioniert ausgestaltet werden, damit sie nicht zum Greenwashing
verkommen. Wir setzen uns außerdem dafür ein,
dass die Europäische Union bei den Agrarumweltmaßnahmen, die der Erreichung der europäischen
Zielsetzungen in den Bereichen Biodiversität und
Klimaschutz dienen, mehr finanzielle Verantwor-
83
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge :
Finanzierung von Agrarumweltmaßnahmen
im Rahmen der zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik zu 90 Prozent aus EUMitteln,
Einführung
einer
Anreizkomponente für die Landwirte, damit
diese trotz steigender Agrarpreise Agrarumweltmaßnahmen durchführen.
Stärkere Berücksichtigung indirekter Landnutzungsänderungen durch energetische
Biomassenutzung in den Nachhaltigkeitskriterien
zur
Erneuerbare
EnergienRichtlinie.
Ausbau des europäischen NaturschutzMonitorings; Einrichtung des Biodiversity
information system for Europe (BISE) als
zentrale Datenplattform.
Ausweisung von mindestens zehn Prozent
der europäischen Meeresfläche als Schutzgebiet; bis dahin soll ein Moratorium für
den Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee
gelten; Fischereiverbot in mindestens zehn
Prozent der europäischen Meeresflächen;
Einschränkung bestimmter Fischereimethoden wie Grundschleppnetze, Stellnetze,
Langleinen usw. und jährliche Festlegung
ökologisch vertretbarer Fangmengen.
Unterstützung bei der Erweiterung des
UNESCO Weltnaturerbes Europäischer Buchenwälder zu einem kohärenten Schutzgebietssystem.
Aktive Gestaltung der Verhandlungen zu
Forest Europe und Erweiterung der Holzhandelsverordnung in Sinne des Biodiversitäts- und Klimaschutzes.
Bu nd un d E u r opä isc h e U nio n
Verankerung des Biodiversitätsschutzes in
allen Ressorts; Prüfverfahren bei allen relevanten EU-Beschlüssen; Benennung von
Biodiversitätsverantwortlichen in allen Generaldirektionen, im Europäischen Rat und
bei der Kommission.
Aufstellung eines nachhaltigen Finanzierungsplans für Natura 2000, die WasserRahmenrichtlinie und die MeeresstrategieRahmenrichtlinie.
Erlass einer EU-Verordnung zur Anerkennung von Schutzgebieten als Sperrzonen für
den Rohstoffabbau im Meer und Verankerung von Haftungsregeln für Umweltschäden durch Rohstoffabbau im Meer.
Flächendeckende Anwendung des Netzwerkes Natura 2000 als EU-Förderkulisse. Förderfähig sollen auch Flächen außerhalb der
Natura 2000-Gebiete sein, die für die Kohärenz des Netzes von besonderer Bedeutung sind. Aufstockung der Finanzmittel für
Natura 2000, insbesondere der Mittel für
LIFE, über das mindestens 10 Prozent der
Kosten für Natura 2000 gedeckt werden
sollen; Prüfung von Management- und Finanzierungsplänen vor der Mittelvergabe
für Natura 2000-Gebiete.
Bindung der Mittel aus der Regionalförderung an ökologische Mindestauflagen.
Entwicklung von anspruchsvollen Nachhaltigkeitskriterien für den Anbau und den
Handel mit Biomasse und deren Verankerung in bilateralen Verträgen der EU mit
anderen Staaten und Staatengemeinschaften und langfristig auch in der WTO.
Vollständige Bindung der Direktzahlungen
der europäischen Agrarpolitik an die Erfüllung von ökologischen Mindestauflagen
(Greening); wirkungsvolle Ausgestaltung der
von der EU-Kommission vorgeschlagenen
Mindestauflagen Fruchtfolge, Grünlandumbruchverbot und Einrichtung ökologischer
Vorrangflächen sowie Earmarking von Mitteln für den Naturschutz.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antrag „Biodiversität national und international
konsequent schützen“ BT-Drucksache 17/2005
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Erneute Mahnung Deutschlands durch die EU-Kommission wegen unzureichender Umsetzung der EUWasserrahmenrichtlinie“ BT-Drucksache 17/8036
Antrag „Blockade beim Bodenschutz aufgeben –
EU Bodenschutzrahmenrichtlinien voranbringen“
BT-Drucksache 17/3855
Antrag „Gemeinsame Europäische Agrarpolitik
nach 2013 – Förderung auf nachhaltige bäuerliche
84
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Landwirtschaft ausrichten“ BT-Drucksache
17/4542
Zwanzig Jahre nach dem Rio-Gipfel und dem Beschluss der drei Konventionen über den Klimawandel, die Wüstenbekämpfung und die biologische Vielfalt, ist die Klimarahmenkonvention mit
Abstand die einflussreichste der drei Konventionen. Dies ist weder durch geringere Bedeutung der
globalen Themen Biodiversitätsverlust und Wüstenbekämpfung zu begründen noch wird es denn
inhaltlichen Zusammenhängen aller drei Themenfelder gerecht. Wenn auf dem Rio+20-Gipfel 2012
auch der institutionelle Rahmen für die Umsetzung
der weltweiten Umweltpolitik verhandelt wird,
darf dieses Ungleichgewicht zwischen den Konventionen nicht fortgeschrieben werden. Es muss
auch den anderen Konventionen das notwendige
Gewicht verschafft werden. Die Verhandlungen der
Klimarahmenkonvention setzen im Waldschutz
beispielsweise Maßstäbe, die sich vor allem auf die
Kohlenstoffbilanz konzentrieren (REDD). Es wurde
beschlossen, finanzielle Anreizstrukturen für einen
effizienten Waldschutz zu entwickeln. Soziale und
ökologische Leitplanken (REDDplus) mussten erst
zusätzlich eingefordert werden. Dabei leben weltweit rund 1,6 Milliarden Menschen direkt und
indirekt vom und im Wald. Die finanzielle
Inwertsetzung des Waldes durch REDDplus birgt
ohne entsprechende soziale und ökologische Leitplanken, sogenannte „Safeguards“, ernstzunehmende Gefahren insbesondere für indigene Bevölkerungsgruppen. Die bisherige Erfahrung mit
REDDplus zeigt, dass es bei der Ausweisung von
Schutzgebieten schon heute zu Vertreibungen der
lokalen Bevölkerung kommt und vornehmlich
unbewohntes Land an Investoren oder Naturschutzorganisationen verkauft wird. Betroffene
werden oft zu spät oder gar nicht über die Entwicklungspläne informiert und sehen sich allein
mit dem Ergebniss konfrontiert, ihre Felder, Wälder und Fischgründe nicht mehr nutzen zu dürfen.
Solche Handlungen verstoßen ausdrücklich gegen
die Deklaration für die Rechte Indigener Völker,
wonach Indigene Völker das Recht haben, angestammtes Land und dessen forstlichen Ressourcen
zu besitzen, zu nutzen und zu schützen. Sie haben
zudem das Recht auf „Free Prior Informed
Consent“ (FPIC). Indigene Gemeinden müssen frei
von Repression (free) nach vorheriger (prior) ausführlicher und angepasster Information über das
6.2. BIODIVERSITÄTSSCHUTZ IM RAHMEN
DER VEREINTEN NATIONEN
Pro b le m
Den wichtigsten Rahmen für den Schutz der Biodiversität setzen auf internationaler Ebene die Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) und das
Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP).
Die CBD hat sich während der zehnten Vertragsstaatenkonferenz (COP 10) 2010 im japanischen
Nagoya einen neuen strategischen Plan für die Zeit
bis 2020 gegeben. Im Mittelpunkt stehen dabei
Aufklärung, Abbau schädlicher Subventionen, Halbierung des Lebensraumverlustes, Nachhaltigkeit
in Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, die Ausweisung weiterer Schutzgebiete sowie die Umsetzung des Nagoya-Protokolls über Zugang und gerechten Vorteilsausgleich bei der Nutzung genetischer Ressourcen (ABS-Protokoll). Zudem sollen die
Finanzmittel für den internationalen Biodiversitätsschutz aufgestockt werden, während Entwicklungsländer aufgerufen sind, ihren Bedarf
genauer zu beziffern.
Die UN-Vollversammlung hat sich in mehreren
Schwerpunktsitzungen mit dem Thema Biodiversität befasst und im Anschluss an die COP 10 die
Dekade der Biologischen Vielfalt ausgerufen (2011
- 2020), die unter anderem die Umsetzung des
Strategischen Plans begleiten soll. Dabei sollen
auch die anderen biodiversitätsrelevanten Konventionen wie RAMSAR, CITES oder CMS (siehe Kapitel 4.1.) mit eingebunden werden und insbesondere die Verursacher des Biodiversitätsverlustes
angegangen werden. Dies muss jedoch mit konkreten Umsetzungsplänen und der Unterstützung
armer Länder bei der Erreichung der Ziele verbunden werden. Denn ohne konkrete Aktionspläne
von der globalen bis zur lokalen Ebene wird auch
der neue Strategische Plan ein Papiertiger bleiben
und das 2020-Ziel wird genauso verfehlt werden
wie das 2010-Ziel.
85
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Vorhaben informiert werden (informed) und dem
Vorhaben zustimmen oder es ablehnen dürfen
(consent).
weltflucht umzugehen ist.7 Genau wie bei Armut
und Hunger oder beim Klimawandel, sind oftmals
Frauen und Kinder in besonderer Weise den Folgen des Biodiversitätsverlustes ausgesetzt. Als wesentliche Verursacher der globalen Umweltveränderungen kommt den Industrieländern hier eine
besondere Verantwortung zu.
Dabei setzt die CBD den großen Rahmen. Die kleineren
biodiversitätsbezogenen
Konventionen
müssen jedoch ebenfalls gestärkt, unterstützt und
weiter entwickelt werden. Sie sind oftmals in den
Regionen gut verankert, leisten durch Projekte vor
Ort sehr wichtige Arbeit. Zudem sind sie weniger
stark Objekt geopolitischer Auseinandersetzung
wie beispielsweise die UNFCCC. In etlichen afrikanischen Staaten bietet z. B. die Listung als
Ramsar-Gebiet den einzigen Schutz für wertvolle
Feuchtgebiete. Auch die konkrete Notwendigkeit
zum Schutz der besonders verwundbaren wandernden Tierarten kann besser in der regionalen
Zusammenarbeit der Länder entlang der Zugwege
unter der Konvention zu den wandernden Arten
erfüllt werden.
Internationaler Meeresschutz
Die Zerstörung der marinen Ökosysteme schreitet
schneller voran als jemals zuvor. Die andauernde
Überfischung,
zunehmende
Verschmutzung,
Vermüllung und Verlärmung sowie Nutzungsinteressen an Ressourcen der Tiefsee und der Polarmeere tragen wesentlich zur dramatischen Situation bei. Bei den Korallenriffen beispielsweise sind
nach Angaben des World Resources Institute drei
Viertel durch Überfischung, Verschmutzung und
Klimawandel gefährdet. Die Schätzungen gehen
davon aus, dass bis zur Mitte des Jahrhunderts
nahezu alle Korallenriffe weltweit als bedroht gelten müssen.8 Andere Untersuchungen kommen zu
dem Ergebnis, dass Korallenriffe noch vor Ende
dieses Jahrhunderts von der Erde verschwunden
sein werden.9
Eine wichtige, institutionell zu verankernde Aufgabe für den weltweiten Biodiversitätsschutz und
auch für das notwendige öffentliche Verständnis
ist die Bündelung von Informationen, Forschungsergebnissen und die Bereitstellung konkreter politischer Beratung. Der dem Welt-Klimarat IPCC vergleichbare
Biodiversitäts-Rat
IPBES
(Intergovernmental
Science-Policy
Platform
on
Biodiversity and Ecosystem Services) muss daher
schnellstmöglich arbeitsfähig und in das UNSystem integriert werden.
Tote Zonen in allen Weltmeeren vom Golf von Mexico bis in die Ostsee haben ein Ausmaß von rund
250.000 Quadratkilometern angenommen.10 Insbesondere die Überdüngung durch Stickstoffeinträge vom Land aber auch aus der Schifffahrt führt
zu einer Sauerstoffzehrung, die die Lebewesen des
Meeresbodens und der betroffenen Wasserschichten absterben lassen.
Für den Umgang mit entwicklungspolitischen Herausforderungen wie Armut und Migration, die
auch mit dem Biodiversitätsverlust zu tun haben,
sind konsistente internationale Rahmenbedingungen notwendig. Durch die Zerstörung von Ökosystemen und den Verlust an fruchtbarem Land werden zusätzliche Migrationsströme („Umweltflucht“)
ausgelöst. Gründe hierfür sind Dürre und Wüstenbildung, der Anstieg des Meeresspiegels u.v.m.
Umweltbedingte Migrationsbewegungen werden
mit zunehmender Häufigkeit und Intensität vorhergesagt.6 Das Völkerrecht hält derzeit keine Antwort bereit, wie mit grenzüberschreitender Um-
6
Die Schifffahrt trägt auch zur Verschleppung von
Arten in neue Gebiete bei. Invasive Arten haben
bereits in vielen Küstenregionen zu erheblichen
Schäden geführt. Die UNEP kommt zu dem Ergebnis11, dass in allen Meeresregionen Veränderungen
„Weder die Genfer Flüchtlingskonvention noch die Europäische Menschenrechtskonvention oder andere völkerrechtliche Regime enthalten Regelungen, die eine adäquate Antwort auf Umweltflucht bieten.“ (ebd.)
8 World Resources Institute (2011): Reefs at Risk Revisited.
9 Peter Sale (2011): Our dying Planet.
10 Robert Diaz & Rutger Rosenberg (2008): Spreading Dead
Zones and Consequences for Marine Ecosystems. Science
321(5891), S. 926 ff.
11 UNEP Regional Seas Programme (2010): Marine Biodiversity
Assessment & Outlook Series; Global Synthesis.
7
Vgl. Dr. Marcus Schroeder„Rechtliche Grauzone“, in: Umwelt
1|2011.
86
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
in der biologischen Vielfalt zu beobachten sind
und bezeichnet dies als Symptom für das Versagen
beim Management mariner Ökosysteme.
gen hat. Der Bereich Müll ist rechtlich noch weitgehend ungeregelt. Die Bekämpfung von Müll von
der Quelle über alle Eintragswege, Vermeidung
und Entfernung sollte umfassend analysiert und
die Regelung in Angriff genommen werden. Müllvermeidung und Recycling müssen zur Reduktion
dieser Belastungen das oberste Gebot sein (siehe
Kapitel 5.11.4.).
Zahlreiche internationale Abkommen haben das
Ziel, die Meeresumwelt und ihre biologische Vielfalt zu sichern. In der Fischerei, dem Klimaschutz,
in der Gestaltung der Energiewende, in der Ressourcenpolitik und in der Landwirtschaft liegen die
wichtigsten Herausforderungen für den besseren
Schutz der biologischen Vielfalt im Meer. Überfischung ist ein globales Problem. Zur Umsetzung
der CBD-Ziele sollen bis 2020 Fischerei und Aquakultur nachhaltig und der anthropogene Stress auf
Korallenriffe und andere Ökosysteme, die durch
Klimawandel und Versauerung bedroht sind, minimiert werden.
Insbesondere die Ökosysteme der Tiefsee leiden
unter Überfischung. Sie haben kaum Möglichkeiten, sich an die zunehmende Belastung durch den
Menschen anzupassen, da die meisten Organismen
sehr langsam wachsen und langlebig sind. Der
Internationale Rat zur Meeresforschung (ICES)
kommt zu dem Ergebnis, dass im Nordost-Atlantik
alle (!) der kommerziell genutzten bodennahen
Tiefseearten jenseits der Grenzen der Belastbarkeit
befischt werden.12 Da diese Regionen oft jenseits
nationaler Gesetzgebung liegen, tragen hier die
Vereinten Nationen eine besondere Verantwortung. Doch trotz jahrelanger Bemühungen und
zahlreicher Resolutionen sind keine Erfolge zu
verzeichnen. Da diese Naturzerstörung trotz relativ
geringer Erträge weltweit mit mehr als 150 Millionen US-Dollar pro Jahr subventioniert wird13, gibt
es hier eine direkte und erfolgversprechende
Handlungsmöglichkeiten für die nationalen Regierungen. Den größten Anteil an der weltweiten
Flotte für Tiefseefischerei hat übrigens die EU, insbesondere Spanien.
Weltweit muss der Schutz der Biodiversität flächendeckend bei der Nutzung aller Meere stärker
beachtet werden. Daneben spielen große Schutzgebiete eine wichtige Rolle. Im Strategischen Plan
der CBD ist daher das Ziel formuliert, bis 2020
weltweit zehn Prozent der Küsten- und Meeresgebiete unter Schutz zu stellen. Dieses Ziel war ursprünglich schon für 2012 vorgesehen, doch bislang wurden nur knapp 1,2 Prozent erreicht. In
den EU-Meeren sind rund 130.000 Quadratkilometer Teil des Schutzgebietsnetzes Natura 2000,
deren Erfolg nun vom konsequenten Management
abhängt. Zur Ausweisung internationaler Schutzgebiete auf Hoher See wurden im Rahmen der CBD
zunächst wissenschaftliche Kriterien verabschiedet, auf deren Basis derzeit eine Übersicht ökologisch bedeutsamer Gebiete erstellt wird, die hierfür in Frage kommen. Im regionalen Schutzabkommen für den Nordost-Atlantik (OSPAR) wurden
bereits Schutzgebiete ausgewiesen: sechs Schutzgebiete mit insgesamt 290.000 Quadratkilometern
und ein weiteres Gebiet in Planung mit 160.000
Quadratkilometern in isländischen Gewässern. Von
einem kohärenten Schutzgebietsnetz ist die Hohe
See damit aber noch weit entfernt.
Die Tiefsee ist zudem Lagerstätte für zahlreiche
Bodenschätze wie Nickel, Kupfer, Gold und seltene
Erden in großen Mengen, meist eingebettet in
Manganknollen und mineralische Krusten sowie
für fossile Rohstoffe wie Erdöl und Erdgas. Nachdem die frühen Versuche kommerziellen Abbaus
noch erfolglos waren, zeichnet sich seit einigen
Jahren ein neuer Wettlauf um die Ressourcen der
Tiefsee ab. Auch die Bundesregierung ließ es sich
nicht nehmen, mitten im Pazifik eine Fläche von
75.000 Quadratkilometern zu sichern, auf der
Rohstoffe im Wert von schätzungsweise mehr als
500 Milliarden US-Dollar lagern. Noch gibt es
Müll ist ein wachsendes Problem in den Meeren,
das von der Verletzungs- und Erstickungsgefahr
über das Verhungern von Tieren, deren Magen mit
unverdaulichen Plastikteilen gefüllt ist, bis zur
Auswaschung giftiger Substanzen auf diversen
Eben des marinen Ökosystems katastrophale Fol-
12
13
87
ICES Advice 2010 (Buch 11, Kap.2)
Ussif Rashid Sumaila et al. (2010): Subsidies to high seas
bottom trawl fleets and the sustainability of deep-sea
demersal fish stocks. Marine Policy 34(3) S. 495 ff.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
weltweit kaum kommerziellen Abbau dieser Rohstoffe. Angesichts steigender Preise und technischer Fortschritte erscheint die Wirtschaftlichkeit
jedoch bereits absehbar. Es ist zu befürchten, dass
der Abbau der am Meeresboden liegenden Manganknollen und anderer rohstoffhaltiger Materialien dann aber nur mit massiven Eingriffen in die
Tiefseeökosysteme zu bewerkstelligen ist, zum
Beispiel indem die Sedimentoberfläche regelrecht
abrasiert wird. Dies tötet nicht nur die Bodenorganismen, es führt auch zu einer Sedimentaufwirbelung, die sich erst nach langer Zeit wieder absetzen kann. Die internationale Behörde für den
Meeresboden (International Seabed Authority, ISA),
die den Zugang zu diesen Ressourcen jenseits der
nationalen Gesetzgebung regulieren und kontrollieren soll, muss dafür sorgen, dass die Rohstoffansprüche nicht blind und auf Kosten der fragilen
Ökosysteme bedient werden. Eine Erfassung der im
Gebiet vorkommenden Lebewesen und eine Umweltverträglichkeitsprüfung müssen verbindliche
Vorbedingungen für Rohstofferkundung und abbau werden. Um grundsätzlich den Bedarf an
Bodenschätzen zu reduzieren, sind Ressourcenund Energieeffizienz sowie die Umstellung auf
erneuerbare Energien essenzielle Voraussetzungen.
Weltweit ist der Wald durch den Menschen massiv
bedroht. Die Umwandlung zu Ackerflächen und die
Übernutzung der Ressource Holz führen dazu, dass
jährlich immer noch 13 Millionen Hektar Waldfläche verloren gehen. Außerdem werden viele Waldflächen durch die Umwandlung von natürlichen
und naturnahen Wäldern in Baumplantagen und
Altersklassenwälder in ihren ökologischen Funktionen stark abgewertet. Die Vereinten Nationen
hatten 2011 zum Jahr der Wälder erklärt, um auf
die besondere Bedeutung der Wälder und einer
nachhaltigen Waldbewirtschaftung hinzuweisen.
Der internationale Handel mit Holz als stofflichem
und energetischem Rohstoff muss verbindlichen
Nachhaltigkeitskriterien unterworfen werden. 15
Internationaler Gewässerschutz:
Innerhalb der CBD wird auch die Rolle des Gewässerschutzes für den Schutz der Biodiversität diskutiert. Die Trinkwasserversorgung ist eine der Ökosystemdienstleistungen, die unmittelbar mit einem der UN-Entwicklungsziele verknüpft ist und
sollte daher besondere Aufmerksamkeit bekommen. Doch Binnengewässer sind von den Auswirkungen des Klimawandels, von Verschmutzung
und Flächenverbrauch bedroht. Zahlreiche Gremien wie das Weltwasser Forum oder die Welt Wasserwoche befassen sich mit diesen Themen und
diskutieren Instrumente wie Wasserfonds, Initiativen und Partnerschaften wie die Great Rivers
Partnership. Auch hier muss Deutschland national
wie international seinen Beitrag leisten.
Internationaler Waldschutz
Die Bedeutung des Waldschutzes und der nachhaltigen Waldbewirtschaftung wird seit der „Waldgrundsatzerklärung von Rio“14 (Konferenz der Vereinten Nationen von 1992 über Umwelt und Entwicklung) weltweit anerkannt. Auch in der UNKlimarahmenkonvention UNFCCC wurde die Bedeutung der Wälder für die globale TreibhausgasBilanz anerkannt, und das Übereinkommen über
die biologische Vielfalt CBD trägt der biologischen
Vielfalt der Wälder mit einem erweiterten Arbeitsprogramm Rechnung. Die UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung UNCCD verdeutlicht
ebenfalls den wichtigen Beitrag der Wälder zur
Verwirklichung der Konventionsziele.
14
Finanzierung des internationalen
Biodiversitätsschutzes:
Deutschland steht mit der Zusage von 500 Millionen Euro jährlich ab 2013 und dem noch zu beziffernden zusätzlichen Bedarf für die Umsetzung des
Strategischen Plans bis 2020 in der Pflicht (siehe
auch Kapitel 5.15.). Über die internationale Klimaschutzinitiative finanziert die Bundesregierung
zahlreiche Vorhaben, die auch für den
Biodiversitätsschutz von großer Bedeutung sind.
Non-legally binding authoritative Statement of Principles for
a Global Consensus on the Management, Conservation and
Sustainable Development of all Types of Forests (Rio de
Janeiro, 1992)
http://www.un.org/documents/ga/conf151/aconf151263annex3.htm
15
88
Positionspapier der Bundestagsfraktion: „Stoffliche und
energetische Nutzung von Biomasse“, 2011
http://www.gruenebundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/391/391070.biomasse.pdf.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Die automatische Anrechnung auf unterschiedliche
internationale Zusagen beim Klimaschutz, der
Entwicklungszusammenarbeit und der Biodiversität verfälscht jedoch den Eindruck, den die Bundesregierung durch einzelne Zusagen in unterschiedlichen Verhandlungen erweckt. Synergien
zwischen den unterschiedlichen Aufgaben müssen
genutzt werden. Ein Euro kann nur einmal ausgegeben werden und das Verhältnis zwischen immer
neuen Zusagen und den darauf folgenden Ausgaben muss transparent nachvollziehbar sein.
rechtliche Einbindung unter dem Dach der Vereinten Nationen dringend geklärt werden.
Über den rechtlichen Status von Menschen, die
wegen Klimaveränderungen, Landdegradation
oder Biodiversitätsverlust ihre Heimat verlassen
müssen, muss endlich Klarheit hergestellt werden.
Sowohl bei den strukturellen Rahmenbedingungen
als auch bei den Maßnahmen müssen die Interessen der Frauen und Kinder besonders berücksichtigt werden. Die Kampagne „Kinder haften für ihre
Eltern“ von Terre des Hommes zu ökologischen
Kinderrechten ist hierfür eine beispielgebende
Initiative.
U n ser e Z ie l e
Die dringendsten internationalen Aufgaben bei der
Umsetzung des Strategischen Plans der CBD sind
für uns die Finanzierungshilfen für Entwicklungsländer, der Abbau umweltschädlicher Subventionen und die Ratifizierung des ABS-Protokolls. Die
Ratifizierung durch die EU hätte eine große – auch
symbolische – Bedeutung.
Der Schutz der Natur um ihrer selbst willen 16 erfordert, dass der Natur auch eigene globale Rechte
zugesprochen werden. Der internationale Meeresschutz muss erheblich intensiviert werden. Neben
der Ausweisung und nachhaltigen Finanzierung
von Schutzgebieten müssen auch in der Fischerei
neue Wege beschritten werden, um insbesondere
der Überfischung Herr zu werden. Auf Ebene der
Vereinten Nationen müssen effiziente Übereinkommen erarbeitet werden, die u.a. wirksame
Regelungen zur Bekämpfung der illegalen Fischerei
vorsehen. Wir brauchen eine effektive Strategie zur
drastischen Verringerung des Plastikmülls in unserem Land, in der Europäischen Union und weltweit. Dem Abbau von Bodenschätzen in der Tiefsee
stehen wir ablehnend gegenüber. Internationale
Haftungsregeln bei Schäden durch Tiefseebergbau
müssen dem Verursacherprinzip folgen und durch
einen Haftungsfonds ergänzt werden. Im OSPARGebiet darf kein Tiefseebergbau stattfinden.
Der Abbau von Subventionen, die Umweltschäden
in unterschiedlichsten Teilen der Welt nach sich
ziehen, muss national wie europaweit dringend
vorangetrieben werden (siehe Kapitel 5.15.). Aber
auch bei technischen Standards und Zertifikaten
(ISO-Normen u. ä.) müssen die Auswirkungen
technischer Verfahren oder anderer Wirtschaftsvorgänge auf die Biodiversität erfasst und geprüft
werden. Wenn ein Konzept wie das der Ökosystemdienstleistungen wirklich verankert werden
soll, sind langfristig internationale Standards dafür
anzustreben. Regionalmärkte können Vorreiter
dafür sein. Voraussetzung für Chancengleichheit
und Akzeptanz bei Unternehmen wäre aber ein
größerer Maßstab.
Der internationale Waldschutz muss der überragenden Bedeutung der Wälder für Klima und Biodiversität Rechnung tragen. Wir brauchen internationale Instrumente für die Sicherung der großen
biodiversitätsreichen Wälder. Die Übernutzung der
Wälder muss beendet werden, dafür werden wir
die nachhaltige Waldbewirtschaftung fördern und
unterstützen. Dazu muss insbesondere die FLEGTVerordnung der EU konsequent zu einem rechtskräftigen Instrument ausgebaut und die Zertifizierung von Holzimporten gefördert werden.
Eine der wichtigsten Aufgaben für den Rio+20Gipfel wird die Aufwertung des UN-Umweltprogramms UNEP zu einer eigenständigen UNOrganisation sein, damit diese gleichberechtigt
neben internationalen Organisationen wie der
Welternährungsorganisation (FAO), der Weltarbeitsorganisation (ILO) oder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) agieren kann. Der Gipfel muss
auch dafür sorgen, dass die Rio-Konventionen
besser miteinander kooperieren und sich ergänzen. Die Ausgestaltung und Einrichtung von IPBES
muss parallel dazu zügig vorangebracht und die
16
89
Vgl. Bundesnaturschutzgesetz §1 Abs. 1 Satz 1.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
Gleichrangig zum Schutz der Wälder als Kohlenstoffspeicher muss REDDplus den Schutz der Ökosystemfunktionen beinhalten und spezielle
Biodiversitätsziele in den nationalen REDDplusStrategien verankern. REDDplus muss dem Schutz
von natürlichen und naturnahen Wäldern Priorität
vor anderen Maßnahmen einräumen und die Umwandlung von natürlichen und naturnahen Wäldern in bspw. Plantagen ausschließen. REDDplus
darf nicht dazu führen, dass Menschen von ihrem
Land vertrieben werden oder die nachhaltige Nutzung von Waldgebieten durch die örtliche Bevölkerung unverhältnismäßig eingeschränkt wird.
REDDplus muss (Menschen-)Rechte voll garantieren, zur Verbesserung der Rechtssituation der lokalen Bevölkerung beitragen und die Existenzgrundlagen der waldabhängigen Menschen sichern, erhalten und verbessern. Nationale
REDDpluss-Strategien müssen die traditionellen
Land- und Nutzungsrechte lokaler Gemeinschaften
und indigener Völker anerkennen und schützen.
Sicherung der Finanzierung und organisatorischen Unterstützung von IPBES.
Aussetzung der Exploration nach Bodenschätzen in den zugewiesenen Pazifikgebieten und Unterstützung der ISA bei der
Ausweisung von Schutzgebieten und Umweltverträglichkeitsregeln.
Ratifizierung der ILO-Konvention 169, zum
Schutz der Rechte indigener Völker durch
die Bundesregierung.
Ratifizierung und rechtsverbindliche, sanktionsbewehrte
Umsetzung
des
ABSProtokolls.
E ur opä is ch e U nio n
Abschluss des europäischen Folgenabschätzungsverfahrens zum ABS-Protokoll als Voraussetzung für eine zügige Ratifizierung.
Ausweitung und Verabschiedung von Managementplänen für die marinen Natura
2000-Gebiete als Teil des globalen Netzes
von Meeresschutzgebieten.
Die
Einhaltung
von
Schutzbestimmungen
(safeguards) für Biodiversität bei REDDplusStrategien und -Vorhaben muss systematisch
überwacht und darüber berichtet werden. Die
Informationen müssen auf internationaler Ebene
vergleichbar dargestellt werden.
V e r eint e Nat io n en
Aufwertung von UNEP zu einer eigenständigen UN-Organisation im Rahmen des RioGipfels
Einrichtung einer permanenten Koordinierungsstelle bei UNEP zur besseren Koordination
zwischen
den
biodiversitätsrelevanten Konventionen und
zur Abstimmung mit anderen Prozessen wie
dem Klimaschutz.
Vorschlag zur Entwicklung einer ISO-Norm
für das Biodiversitätsmanagement in der
International Standard Organization (ISO)
durch das Deutsche Institut für Normung
(DIN).
Schaffung eines klaren rechtlichen Status
für IPBES unter dem Dach der Vereinten Nationen.
Ausweisung eines Netzes an Hochseeschutzgebieten einschließlich der Tiefsee,
verbunden mit einem Moratorium der International Seabed Authority (ISA) auf den
Abbau von Bodenschätzen der Tiefsee mindestens bis zur Einrichtung dieser Schutzgebiete, der Verabschiedung von Haftungs-
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge :
Bu nd
Unterstützung von Projekten und Programmen zur Umsetzung des Strategischen Plans
der CBD. Die Finanzierung darf nur im Rahmen gemeinsamer Biodiversitäts-, Klimaund Entwicklungsvorhaben auf die Verpflichtungen im Klima- und Entwicklungsbereich in Form zusätzlicher und neuer Mittel angerechnet werden.
Dauerhafte haushaltsmäßige Absicherung
der von Deutschland auf der CBD COP 9 in
Bonn 2008 zugesagten Mittel für den internationalen Biodiversitäts- und Waldschutz.
Aufstockung der Mittel für den internationalen Biodiversitätsschutz im Sinne der
Strategie zur Mobilisierung finanzieller Ressourcen der CBD.
90
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
regeln und der Einrichtung eines Haftungsfonds.
Globale Initiative gegen die Vermüllung der
Natur durch Kunststoffe, verbunden mit der
Finanzierung von Reinigungsaktionen.
Einrichtung eines globalen REDDplusMechanismus, der gleichermaßen Kohlenstoffsenken- und Speicher, die Wahrung
der Rechte indigener Völker und die biologische Vielfalt schützt.
Stärkere
Berücksichtigung
von
Querschnittsfragen wie Gewässer- und
Trinkwasserschutz in den Verhandlungen
der CBD.
Völkerrechtlich bindende Zusatzprotokolle
zur CBD für alle Formen der Nutzung der
Biodiversität.
Stärkung des Rechtes auf freie, frühzeitige
und informierte Zustimmung (free, prior
and informed consent, FPIC) indigener Völker zu allen Vorhaben und Konzepten, die
sie betreffen.
Länder in ihren Bemühungen zu unterstützen. Die
Umsetzung der Biodiversitätskonvention ist dadurch zu einer wichtigen Aufgabe für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit geworden.17
Der Schutz der biologischen Vielfalt ist auch ein
Entwicklungsproblem. Menschen in Entwicklungsländern sind oft viel direkter von Ökosystemen
abhängig als in den Industrieländern. Dabei ist es
auch von besonderer Bedeutung, negative Folgen
der deutschen und europäischen Handels- und
Wirtschafts- Agrar- und Fischereipolitik wie Landraub, Überfischung und sonstige Zerstörungen von
Ökosystemen auszuschließen und die Partnerländer bei der nachhaltigen Nutzung ihrer natürlichen
Ressourcen zu unterstützen.
Den Zusammenhang zwischen Armutsbekämpfung,
Biodiversität, ihrem Schutz und ihrer nachhaltigen
Nutzung haben die Vertragsstaaten der CBD im
Rahmen der 10. Vertragsstaatenkonferenz 2010
erstmals förmlich anerkannt.18 Biodiversität und
Ökosystemdienstleistungen sind entwicklungsförderlich, egal ob sie monetär in Wert gesetzt werden oder nicht. Erosionshemmende Bodenbearbeitung, Schutz von Wassereinzugsgebieten etc.
kommen der Biodiversität und der Sicherung der
Lebensgrundlagen der Bevölkerung zugute. Traditionelle Formen der Wald- und Landnutzung haben in der Regel über lange Zeiträume hinweg
bewiesen, dass sie lokal angepasst und nachhaltig
die ökologischen Ressourcen schonen. Intakte
Ökosysteme können darüber hinaus aber auch
Grundlage für neue Einkommensmöglichkeiten
sein, zum Beispiel durch Ökotourismus oder den
Verkauf zertifizierter Produkte.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antrag „Biodiversität national und international
konsequent schützen“ BT-Drucksache 17/2005
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Umsetzung des
Strategischen Plans der UNBiodiversitätskonvention, insbesondere im Meeresschutz“ BT-Drucksache 17/5578
Antwort auf unsere kleine Anfrage „Auswirkungen
des Tiefseebergbaus auf die maritime Umwelt und
Biodiversität“ BT-Drucksache 17/8753
Transparente und partizipative Planung ist ein
wichtiges Instrument, um traditionelles Wissen,
Nutzungsansprüche, z.B. von indigenen Völkern,
und ökologische Anforderungen bis hin zur Einrichtung von Schutzgebieten mit breiter Unterstützung zu verankern. Nachhaltige Entwicklung in
6.3. BIODIVERSITÄTSSCHUTZ IN DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT
Pro b le m
Biodiversität und Entwicklung
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (2008): Biologische Vielfalt. BMZ Konzepte 164.
http://www.bmz.de/de/publikationen/reihen/strategiepapier
e/konzept164.pdf
18 CBD (2010): Integration of biodiversity into poverty eradication and development. Decision X/6.
http://www.cbd.int/decision/cop/?id=12272
17
Mit der Unterzeichnung des UN-Übereinkommens
über die biologische Vielfalt CBD hat sich Deutschland verpflichtet, die Biodiversität nicht nur im
eigenen Land zu schützen, sondern auch andere
91
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
diesem Sinne braucht den Dialog zwischen lokaler
Bevölkerung, Privatwirtschaft und Regierungen.
tät und Effizienz solcher Vorhaben deutlich steigert.20
Entwicklungsvorhaben
Andere Rechte wie das Menschenrecht auf Nahrung und das Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung werden insbesondere durch die Plünderung ökologischer Ressourcen durch Industrieländer torpediert. Insbesondere
großskalige, teilweise spekulative Direktinvestitionen bergen das Risiko der Intensivierung der
Landnutzung, des Verlustes an Nutzungsmöglichkeiten der lokalen Bevölkerung und können zum
Biodiversitätsverlust beitragen. Beispiele sind das
„Land Grabbing“ für Futter- und Energiepflanzen
und das „Sea Grabbing“, durch die EU-Fischerei in
außereuropäischen Gebieten. Dies schadet der
Biodiversität und erhöht gleichzeitig die Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten.21
Die möglichen Folgen von Entwicklungsvorhaben
für die biologische Vielfalt müssen räumlich wie
auch zeitlich über die Grenzen des eigentlichen
Projekts hinweg berücksichtigt werden. In vielen
Entwicklungsländern sind Fauna und Flora heute
bereits stark bedroht. Wichtige Kriterien bei der
Projektförderung müssen die Einschätzung der
ökologischen Tragfähigkeit und ein Konsens auf
Gemeindeebene zu Schutzzielen, Zielgruppen,
Förderansätzen und zu möglichen Gegenleistungen
werden
Naturschutz und Armutsbekämpfung müssen zusammengehörend gesehen werden. Allerdings sind
auch integrierte Naturschutz- und Armutsbekämpfungs-Projekte nicht frei von Problemen wie
einer überhöhten Erwartungshaltung, Verteilungskonflikten, Konfrontation mit Schutzgebietsanrainern, Sabotageakten enttäuschter Anwohner, unerwünschter Verteilungs-, Mitnahme- oder Zuwanderungseffekte sowie (Macht-)Missbrauch.
Dies gilt es im Vorfeld zu berücksichtigen. Grundsätzlich muss dabei gelten, dass mögliche Gewinne
aus dem Naturschutz in erster Linie der armen
Bevölkerung zu Gute kommen müssen und für
diese negative Naturschutzauswirkungen adäquat
kompensiert werden.
Schutzgebiete
Da sich in Entwicklungsländern viele Zentren der
Biodiversität befinden, die gleichermaßen artenreich und gefährdet sind (so genannte Hotspots),
muss ein Schwerpunkt des Schutzes der biologischen Vielfalt im Gebietsschutz liegen. Schutzgebiete sind dann am nachhaltigsten, wenn ihr
Schutzkonzept an die Werte, Interessen und Praktiken der lokalen Bevölkerung anknüpft und diese
berücksichtigt. Die soziale Akzeptanz von Schutzgebieten gilt als Schlüsselfaktor für ihren nachhaltigen Schutz und ihr Management. Die Bevölkerung muss in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden, um ihre Interessen von Anfang an
in die Planung einzubringen.
Die Wahrung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte ist von der nachhaltigen
Nutzung natürlicher Ressourcen und ökosystemarer
Leistungen abhängig. So zeigt beispielsweise die
ecuadorianische Hauptstadt Quito, dass die Wahrung des Rechts auf Trinkwasser, den Schutz großer
Wassereinzugsgebiete oberhalb der Stadt voraussetzt – eine unmittelbare Anwendung des Konzeptes der Ökosystemdienstleistungen19. Frauen, Kinder und die ärmsten Teile der Bevölkerung sind
gegenüber Umweltveränderungen besonders verwundbar. Gleichzeitig zeigen Erfahrungen, dass
ihre Einbindung in die Entwicklung von nachhaltigen Nutzungs- und Schutzkonzepten die Effektivi-
Für Indigene Völker gilt, dass sie ein Recht auf
Selbstbestimmung und damit auf freie, vorherige
und informierte Zustimmung haben (im Sinne des
Beschlusses des „Free prior and informed
consent“). Zudem sollten unabhängige Umsetzungs- und Beschwerdemechanismen auf nationaler und internationaler Ebene erarbeitet werden, die aktiv über die Beschwerdemöglichkeiten
20
21
19
TEEB (2010): Kurzleitfaden für lokale und regionale Entscheidungsträger
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CBD (2010): Gender and Biodiversity www.cbd.int/gender
Olivier De Schutter, Special Rapporteur on the right to food
(2010) “Agroecology and the Right to Food”, Bericht
[A/HRC/16/49] an den UN-Rat für Menschenrechte,
vorgestellt am 8. März 2011
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020
informieren und Betroffene bei Beschwerden unterstützen.
Um die Vielfalt insbesondere tropischer Ökosysteme bewahren zu können, müssen die Wechselwirkungen zwischen Menschen, Pflanzen und Tieren
beachtet werden. Entsprechendes Wissen fehlt
oder wird nicht immer ausreichend bei der Planung und Steuerung von Vorhaben in der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt (Agrobiodiversität und Land Grabbing: siehe oben). Wir
brauchen mehr Fortbildung von wissenschaftlichem Nachwuchs in Deutschland und den Partnerländern zur Verbreitung und Weiterentwicklung
ökologischer Landnutzungsformen, zum Aufbau
von öffentlichen Gen- und Saatgutbanken sowie
zur Erfassung und zum Monitoring des Umweltzustands.22 Dabei sollten insbesondere bestehende
Ansätze von genossenschaftlichen Saatgutbanken
von Kleinbauern unterstützt werden. Frühzeitig
müssen alle Partner bei der Planung dieser projektbegleitenden Forschung und Studien und der
anschließenden Umsetzung der Ergebnisse eingebunden werden.
Treuhandfonds für bedeutsame Naturschutzgebiete stellen ein wichtiges Instrument dar, mit dem
der Schutz und das Management der biologischen
Vielfalt langfristig erhalten werden kann, da diese
Fonds die Möglichkeit schaffen, eine dauerhafte
Finanzierung zu sichern. Der Lebensraum der indigenen Bevölkerung bleibt erhalten und sie partizipiert an der Verwaltung und am Management
der Schutzgebiete sowie an alternativen Einkommensmöglichkeiten z. B. im Ökotourismus. Das
ecuadorianische Yasuní-ITT-Projekt gilt hier beispielhaft als eine wegweisende Initiative. Die ecuadorianische Regierung hat sich bereit erklärt, auf
Ölförderung in einem Teil des hochbiodiversen
Yasuní-Nationalparks zu verzichten, wenn die
internationale Gemeinschaft die Hälfte der Einnahmen, die Ecuador durch Ölförderung erhalten
würde, kompensiert. Doch Entwicklungsminister
Niebel ist nicht bereit, in den eigens eingerichteten Treuhandfonds einzuzahlen und setzt auf bilaterale Projekte statt auf internationale Lösungen.
Finanzierung
Deutschland, die Europäische Union und andere
Industrieländer stehen gegenüber den Entwicklungsländern vielfach in der Pflicht. Zusagen zur
Entwicklungsfinanzierung sowie zum Klima- und
Biodiversitätsschutz bringen nicht nur fiskalische
Herausforderungen mit sich. Verknüpft ist damit
vor allem auch die Frage, welche Art von Entwicklung damit unterstützt werden soll. Die derzeitige
Tendenz, auch die Entwicklungspolitik zu einer
Außenwirtschaftspolitik umzuformen und insbesondere auf großflächige, agrarindustrielle Projekte und die Verbreitung von gentechnisch verändertem Saatgut zu setzen ist auch für den Erhalt
der Biodiversität hochproblematisch. Die Finanzierung internationaler Projekte oder die Bewilligung
von (Hermes-) Bürgschaften darf nicht ohne die
Beachtung von Menschenrechten sowie Umweltund Sozialstandards erfolgen.
Agrobiodiversität
Kleinbäuerliche Produzenten und Viehhalter aus
Lateinamerika, Afrika und Asien sind auf die Vielfalt der genetischen Ressourcen in der Landwirtschaft angewiesen. Lokale Sorten und Rassen sind
häufig besonders gut an die klimatischen Bedingungen der Tropen und an marginale Standorte,
wie zum Beispiel Trocken- oder Hochlandgebiete,
angepasst. Die traditionellen genetischen Ressourcen lassen sich mit minimalem Ressourceninput nutzen, besitzen sehr gute Qualitätsmerkmale
und haben darüber hinaus häufig auch einen hohen kulturellen Stellenwert für die ländliche Bevölkerung. Trotz dieser Vorteile nimmt in den Entwicklungsländern die in der Landwirtschaft genutzte biologische Vielfalt rapide ab. Mehr als
2.000 Nutztierrassen sind vom Aussterben bedroht. Die Förderung von Saatgutbanken und vergleichbaren Instrumenten ist eine wichtige Abhilfe. Ohne die gezielte Unterstützung traditioneller
Landnutzungsformen wird dieses Potenzial aber
ungenutzt bleiben.
Indigene Gruppen und traditionelles Wissen
Weltweit sind ca. 300 Mio. Menschen direkt vom
Wald abhängig um ihr Überleben zu sichern. Etwa
Forschung
22
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Z. B. Consultative Group on international Agricultural Research (CGIAR, www.cgiar.org)
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50 bis 60 Millionen von ihnen gehören zu indigenen Völkern, die unmittelbar im, vom und mit
dem Wald leben. Entwicklungszusammenarbeit
muss darauf gerichtet sein, lokale indigene Gruppen besser einzubinden. Regionalmarken und
Biodiversitätsprodukte schaffen hier ein Bewusstsein für die immensen Werte und fördern die
Emanzipation von nachhaltigen Weltmarktstrukturen.23 Mit geschützten geographischen Herkunftsbezeichnungen (Geographical Indications) für Naturprodukte kann die Lokalbevölkerung von der
nachhaltigen Nutzung der Ressourcen und ihrem
traditionellen Wissen profitieren.
Da biologische Vielfalt und Ökosystemdienstleistungen zur ökonomisch und kulturell nachhaltigen
Entwicklung beitragen müssen Förderprogramme
natur- und klimafreundliche Landnutzung, Agrobiodiversität, Partizipation, kulturelle Integrität
und den Naturschutz unterstützen. Primäres Ziel ist
dabei für uns die lokale Nahrungsmittel- und
Energieversorgung. Schon kleine fiskalische Anreize können hier notwendige Veränderungen anregen.24 Für die faire Gestaltung dieser Prozesse, ist
die zügige Ratifizierung und sanktionsbewehrte
Umsetzung des ABS-Protokolls25 der CBD wichtig.
Entsprechend der ILO-Konvention 169 über die
Rechte indigener Völker ist das Prinzip der vorherigen und informierten Zustimmung bei der Nutzung
natürlicher Ressourcen und bei Eingriffen in die
Natur für Infrastrukturvorhaben konsequent anzuwenden.
Der steigende Druck auf begrenzte Ressourcen, die
u.a. gewaltsame Vertreibung zur Folge haben, darf
durch internationale Maßnahmen des Klima- und
des Schutzes der Biodiversität nicht konterkariert
werden. Es gilt, soziale Schutzbestimmungen zu
garantieren und die indigene Bevölkerung umfassend an der Entwicklung der Projekte und Programme zu beteiligen, so dass diese angemessen
informiert wird und ausreichend Zeit hat, sich eine
eigene Meinung zu bilden und mitzuentscheiden.
Für Indigene Völker gilt, dass sie ein Recht auf
Selbstbestimmung und damit auf freie, vorherige
und informierte Zustimmung haben.
Entwicklungsstrategien der Bundesregierung, der
EU und internationaler Institutionen sollen es lokalen Gemeinschaften ermöglichen, direkt von
intakten Ökosystemen in ihrer Umgebung zu profitieren, denn die Zerstörung natürlicher Ressourcen
geht Hand in Hand mit der wachsenden Abhängigkeit von industriell produzierten Nahrungsmittelimporten und der Vertreibung der Bevölkerung aus
angestammten Gebieten. Ein größerer Teil der
Wertschöpfung aus der Nutzung ökologischer Ressourcen muss daher in Entwicklungsländern verbleiben. Auch der Erfahrungsaustausch und Umweltbildung sind hierfür wichtige Voraussetzungen. Gleichzeitig sollte die Bedeutung von traditionellen Waldnutzungssystemen für den Schutz der
Wälder stärker berücksichtigt werden.
U n ser e Z ie l e
Wir wollen die Entwicklungszusammenarbeit so
gestalten, dass sie die ökologischen Grenzen und
die Menschenrechte wahrt und für die gerechte
Verteilung von Lasten und Nutzen sorgt. Entwicklungsprojekte brauchen neben der Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren einen langfristigen Finanzierungsmechanismus über das Projektende
hinaus. Schutzgebietsprojekte müssen auch nach
Rückzug des Gebers langfristig selbsttragend sein
um nachhaltig zu wirken. Hierfür sind stabile institutionelle Rahmenbedingungen notwendig, das
heißt internationale Konventionen und Finanzierungsmechanismen müssen gestärkt und besser
auf einander abgestimmt werden (siehe Kapitel
5.15. und 6.2.). Finanzielle Zusagen müssen verbindlich sein und eingehalten werden.
Die deutsche und europäische Außenwirtschafts-,
Agrar- und Energiepolitik muss diese Entwicklungsziele teilen, statt sie zu torpedieren. Hier liegt
eine Verantwortung der Bundesregierung für mehr
Kohärenz zwischen den relevanten Aktivitäten
(Internationaler Klima- und Biodiversitätsschutz,
Entwicklungszusammenarbeit,
Handelspolitik,
26
Investitionen etc.). Über die Förderung lokaler
UNEP Policy Brief 2-2010: The Role of ecosystems in developing a sustainable green economy.
25 ABS = Access and Benefit Sharing.
26 DIE (2011) Ansätze zur Verbesserung der Kohärenz zwischen
Entwicklungspolitik und anderen Politiken. Europäisches
24
23
z. B. UNDP: „Latin America and The Caribbean: A Biodiversity
Superpower“
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Märkte wollen wir auch internationale Mechanismen zur Inwertsetzung von Ökosystemdienstleistungen weiterentwickeln. Wenn Förderinstrumente
wie der Waldklimaschutz einzelne Ökosystemdienstleistungen nutzen, wollen wir auch den
Schutz anderer Leistungen und sozialer Ansprüche
sicherstellen.
Vertiefung der bilateralen Zusammenarbeit
mit Partnerregionen und Partnerstädten
auch im Bereich der biologischen Vielfalt.
E ur opä is ch e U nio n
Überarbeitung der Handels- und Exportstrategien der EU mit dem Ziel, lokale
Märkte zu stützen, Land Grabbing zu vermeiden und den Import von Naturprodukten aus Entwicklungsländern auf seine
ökologischen und entwicklungspolitischen
Implikationen zu prüfen (Zertifizierung).
Die Entwicklungsländer müssen bei der Forschung
und beim Monitoring unterstützt werden. Es müssen Bewertungssysteme und geeignete Indikatoren
eingeführt werden. Die Ausweisung von Schutzgebieten muss ein konsequentes Management unter
Einbezug der Lokalbevölkerung nach sich ziehen.
V e r eint e Nat io n en
U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge :
Aufbau eines Monitoringprogramms für relevante Arten in Entwicklungsländern unter
dem Dach von IPBES.
Förderung von Pilotvorhaben zur Erhaltung
und zum Transfer traditionellen Wissens
und zur Förderung lokaler Saatgutbanken.
Bu nd
Ratifizierung der ILO-Konvention 169 durch
die Bundesregierung.
Ratifizierung des ABS-Protokolls und Abschluss des entsprechenden EU-Folgenabschätzungsverfahrens.
Bessere Berücksichtigung der Bedeutung
intakter Ökosysteme für nachhaltige Entwicklung in der Entwicklungspolitik.
Nachhaltige traditionelle Nutzungsformen
von Wäldern, z.B. durch indigene Bevölkerungsgruppen, stärker berücksichtigen
Naturschutz und integriertes Schutzgebietsmanagement stärker fördern und mit
nachhaltigen Nutzungskonzepten für die
lokale Bevölkerung verzahnen
Fortentwicklung von alternativen Finanzierungskonzepten wie Entgelte für Nutzungsverzichtserklärungen und Treuhandfonds
zur nachhaltigen Finanzierung und Sicherung von Schutzgebieten und zur Umsetzung des Strategischen Plans der CBD.
Koppelung der Vergabe von Bürgschaften
durch die Bundesregierung für Investitionen im Ausland an strenge und verbindliche Umwelt- und Sozialstandards.
U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n
In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n
Antrag „Biodiversität national und international
konsequent schützen“ BT-Drucksache 17/2005
Entschließungsantrag zum Haushaltsgesetz 2012,
BT-Drucksache 17/7863
Antrag „Rechte indigener Völker stärken - ILOKonvention 169 ratifizieren“ BT-Drucksache
17/5915
6.4. WELTHANDEL UND BIODIVERSITÄT
Pro b le m
Internationaler Handel beruht zu einem großen
Teil auf Rohstoffen oder Produkten, die auf der
Nutzung der biologischen Vielfalt basieren. Der
wirtschaftliche Wert von Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen gewinnt vor dem Hintergrund
eines wachsenden Bewusstseins über die Auswirkungen des Verlustes an natürlichen Ressourcen
zunehmend an Bedeutung. Der Schutz und eine
nachhaltige sowie faire Nutzung genetischer Ressourcen spielen eine entscheidende Rolle bei der
Erhaltung der Lebensgrundlagen auf unserem Planeten.
Parlament (2011) „An Assessment of the Balance of EU Development Objectives with other Policies and Priorities”
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Im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO ist
kein Abschluss der Doha-Entwicklungsagenda abzusehen. Gleichzeitig unterlaufen die bisherigen
Regeln des internationalen Handelsregimes die
Belange der CBD. Das WTO-Gebot, nach Beschaffenheit und Verwendungszweck gleichartige Produkte gleich zu behandeln, führt dazu, dass es
beispielsweise schwierig bis unmöglich ist, zwischen Tropenholz aus illegalem Einschlag und zertifiziertem Holz aus einer Plantage zu unterscheiden. Im Verhandlungsmandat der Doha-Runde
sind allerdings auch keine Elemente enthalten,
diese Grundregeln zu verändern.
Unsere Ziele
Welthandel, Welternährung und Biodiversitätsschutz haben viele Synergien und dürfen nicht
länger gegeneinander ausgespielt werden. Im
Sinne einer kohärenten Politik für nachhaltige
Entwicklung müssen auch internationale Handelsregeln zum Schutz der Biodiversität beitragen. Die
EU als weltgrößter Handelsakteur und Deutschland
als größte europäische Volkswirtschaft tragen eine
besondere Verantwortung für die Waren und Ressourcen, die im- und exportiert werden, und müssen international eine Vorreiterrolle für den
Biodiversitätsschutz einnehmen. Die Vermeidung
negativer
Auswirkungen
bilateraler
EUFischereiabkommen auf die Meeresökosysteme
und die Lebensgrundlagen der Menschen, die Zertifizierung von sowie ein qualitativer Marktzugang
für Holzimporte, der umweltverträgliche Abbau
von Rohstoffen, die Unterstützung einer ökologisch
angepassten bäuerlichen Landwirtschaft, die Gewährleistung der Wiederverwendung von Saatgut
sowie eine erfolgreiche Kontrolle des CITESArtenschutzabkommens sind wichtige Ansatzpunkte, die wir weiter ausbauen wollen. Umwelt-,
Klima- und Biodiversitätseffekte der Handelsliberalisierung müssen künftig eine stärkere Beachtung finden.
Ein für die biologische Vielfalt bedeutsamer Streitpunkt der Doha-Verhandlungsrunde ist die verpflichtende Angabe über die Herkunft genetischer
Ressourcen vor einer Patentierung (für die das
TRIPS-Übereinkommen27 gilt), die das ABSProtokoll der CBD28 verpflichtend vorsieht. Das
Verhältnis zwischen dem TRIPS-Abkommen und
der CBD ist weiter ungeklärt. Eine große Zahl von
Entwicklungsländern fordert, die Erfüllung eines
gerechten Vorteilsausgleiches als Voraussetzung für
jeden Patentschutz festzulegen. Das Herkunftsland, die Quelle der genetischen Ressourcen und
des traditionellen Wissens, auf denen ein Patent
beruht, sollen verpflichtend offengelegt werden,
um Biopiraterie vorzubeugen. Zudem ist die freiwillige, vorherige und informierte Zustimmung der
berechtigten Ressourcen- und Wissensinhaber
nachzuweisen („free, prior and informed
consent“). Eine Beteiligung (benefit sharing) dieser
Inhaber an den Vorteilen, die aus der Nutzung
entstehen (einschließlich eines Kommerzialisierungsgewinns), ist durch Vorlage einer Vereinbarung vor Patentvergabe zu garantieren. Während
die EU das Grundanliegen teilt, aber ein Patent
auch dann vergeben will, wenn der gerechte Vorteilsausgleich noch nicht vollständig nachgewiesen
werden kann, lehnen andere WTO-Mitglieder wie
die USA das Anliegen generell ab.
Wir setzen uns dafür ein, im Rahmen der WTO ein
multilaterales Handelssystem zu entwerfen, das
die Belange des Biodiversitätsschutzes und das
Vorsorgeprinzip berücksichtigt und positive Anreize
hierfür setzt. Handelsregeln dürfen der notwendigen ökologischen und sozialen Regulierung der
Märkte nicht im Wege stehen. Widersprüche zwischen WTO-Regeln und internationalen Abkommen
zum Schutz der Biodiversität müssen zugunsten
letzterer aufgelöst werden. Dazu ist aber auch eine
rechtsverbindliche Ausgestaltung und Umsetzung
dieser Abkommen notwendig. Die Unterstützung
durch ein aufgewertetes UN-Umweltprogramms
(UNEP) ist hierfür eine wichtige Voraussetzung.
Die
rechtsverbindliche
Umsetzung
der
Biodiversitätsziele auf europäischer und nationaler Ebene ist einer der Schlüsselfaktoren, damit
diese gegenüber Handelsinteressen wirksam werden können. Der EU-Aktionsplan zur biologischen
Vielfalt verlangt eine signifikante Verminderung
TRIPS – Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der
Rechte an geistigem Eigentum.
28 ABS – Access and benefit sharing = CBD-Protokoll über den
Zugang zu genetischen Ressourcen und den gerechten Vorteilsausgleich.
27
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negativer Auswirkungen globaler Handelsströme
auf die Biodiversität. Dies soll durch eine Anerkennung der Biodiversität als nicht handelsbezogenes
Anliegen (non-trade concern) bei Handelsgeschäften besser berücksichtigt werden. Auch die 2011
beschlossene Biodiversitätsstrategie der EU fordert
von der Kommission, Biodiversitätsbelange systematisch in Handelsvereinbarungen und in Dialoge
mit Drittländern einzubeziehen, die Folgen von
Handelsliberalisierungen und von Investitionen für
die biologische Vielfalt zu berücksichtigen und in
künftigen Abkommen auch Vorschriften zum
Biodiversitätsschutz zu verankern.
scher Ressourcen, die den Zielen und Regeln des Protokolls nicht entspricht, in der
EU gesetzlich sanktioniert wird.
Überarbeitung der Handels- und Exportstrategie der EU mit dem Ziel, lokale Märkte
zu stützen, Land Grabbing zu vermeiden
und den Import von Naturprodukten aus
Entwicklungsländern auf seine ökologischen, entwicklungspolitischen und menschenrechtlichen Implikationen zu prüfen
(Qualifizierter Marktzugang).
International
Berücksichtigung der Biodiversität bei der
WTO als nicht handelsbezogenes Anliegen.
Einsatz von Instrumenten zur Folgenabschätzung durch die WTO, die ökologische,
soziale und menschenrechtliche Auswirkungen ihres Handels und der verhandelten Liberalisierungsschritte bewerten und
dem Vorsorgeprinzip entsprechend präventiv berücksichtigen.
Formulierung verbindlicher Handelskriterien innerhalb der relevanten Umweltabkommen, um Konflikte zwischen Umweltabkommen wie der CBD und der WTO nicht
allein
dem
WTOStreitschlichtungsmechanismus zu überlassen; durch die Aufwertung von UNEP muss
ein Gegengewicht zur WTO im Umweltbereich etabliert werden.
Prüfung der Auswirkungen von WTOEntscheidungen auf die Biodiversität durch
den Weltbiodiversitätsrat IPBES. Dieser soll
UN-Status erhalten; seine Entscheidungen
müssen auch Handelsbeschränkungen herbeiführen können.
Einsatz der Bundesregierung und der EU im
Rahmen der WTO-Verhandlungen, um zu
verhindern, dass das „Cartagena-Protokoll
über biologische Sicherheit“ und das ABSProtokoll durch multilaterale Handelsabkommen konterkariert werden.
Wir wollen, dass die Haupteinflussfaktoren der
Handelsbeziehungen der EU auf die Biodiversität
von Drittstaaten systematisch erfasst werden und
dass Anpassungsmaßnahmen zur Reduktion dieser
Effekte umgesetzt werden. Für den Erfolg des ABSProtokolls ist von entscheidender Bedeutung, dass
Patentrechte und Fragen geistigen Eigentums eindeutig geregelt und vor der Patentierung gerechte
Ausgleichsmechanismen festgeschrieben werden.
Im Rahmen der europäischen Patentgesetzgebung
sollten die im ABS-Protokoll geforderten Checkpoints zügig eingerichtet werden. Für die Opfer
von Biopiraterie müssen Verwaltungs- und Gerichtswege geschaffen werden.
Unsere grünen Lösungsvorschläge
Bund
Ratifizierung der ILO-Konvention 169, zum
Schutz der Rechte indigener Völker durch
die Bundesregierung.
Ratifizierung und rechtsverbindliche, sanktionsbewehrte
Umsetzung
des
ABSProtokolls.
Europäische Union
Zügiger Abschluss des europäischen Folgenabschätzungsverfahrens zum ABS-Protokoll
als Voraussetzung einer Ratifizierung und
Umsetzung, so dass eine Nutzung geneti-
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