BIODIVERSITÄT 2020 DAS GRÜNE HANDLUNGSKONZEPT ZUM SCHUTZ DER BIOLOGISCHEN VIELFALT Wirklicher Fortschritt ist nicht Fortgeschrittensein, sondern Fortschreiten. Wirklicher Fortschritt ist, was Fortschreiten ermöglicht oder erzwingt. Und zwar in breiter Front die angeschlossenen Kategorien mitbewegend. Wirklicher Fortschritt hat als Ursache die Unhaltbarkeit eines wirklichen Zustandes und als Folge seine Veränderung. Bertolt Brecht IMPRESSUM Herausgeberin Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin www.gruene-bundestag.de Verantwortlich Undine Kurth MdB Sprecherin für Naturschutzpolitik Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin E-Mail: [email protected] Redaktion Dr. Torsten Ehrke, Nicolai Schaaf, Arnd Grewer, Stephan Bischoff Bezug Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Info-Dienst Platz der Republik 1 11011 Berlin Fax: 030 / 227 56566 E-Mail: [email protected] Redaktionsschluss Mai 2012 INHALT | BIODIVERSITÄT 2020 1. Wo stehen wir beim Schutz der biologischen Vielfalt? ............................ 1 1.1. Internationaler Stand ................................................................. 1 1.2. Stand in der Europäischen Union .................................................. 2 1.3. Stand in Deutschland ................................................................. 3 2. Biodiversitätsschutz aus ethischer Verantwortung ................................. 5 3. Kulturelle Dimensionen der biologischen Vielfalt .................................. 8 4. Biodiversitätsschutz – der Rechtsrahmen ...........................................10 4.1. Internationaler Rechtsrahmen ....................................................10 4.2. Europarechtlicher Rahmen .........................................................11 4.3. Deutscher Rechtsrahmen ...........................................................12 5. Querschnittsaufgabe Biodiversitätsschutz ..........................................13 5.1. Die nationale Biodiversitätsstrategie ............................................13 5.2. Die Messung der biologischen Vielfalt ..........................................15 5.3. Biodiversitätsschutz als Rechtsnorm und Vollzugsproblem.................16 5.3.1. Biodiversitätsschutz als Rechtsnorm .............................................16 5.3.2. Biodiversitätsschutz und Föderalismus..........................................18 5.3.3. Vollzugsdefizite des Biodiversitätsschutzes ....................................20 5.4. Schutz von Arten, Biotopen und Lebensräumen ..............................21 5.4.1. Schutzgebiete ..........................................................................21 5.4.2. Artenschutz.............................................................................23 5.4.3. Biotopschutz und Biotopverbund ................................................27 5.4.4. Gewässer- und Auenschutz ........................................................29 5.4.5. Schutz der Biodiversität in Ost- und Nordsee ................................. 32 5.4.6. Waldschutz............................................................................. 34 5.4.7. Bodenschutz........................................................................... 37 5.5. Klimawandel, Energiewende und Biodiversitätsschutz ..................... 39 5.6. Landwirtschaft und Biodiversität ................................................ 42 5.7. Biodiversität in der Stadt........................................................... 45 5.8. Verkehrsinfrastruktur und Biodiversität ........................................ 47 5.9. Bürgerbeteiligung und Biodiversität ............................................ 49 5.10. Sport und Biodiversität ............................................................. 51 5.11. Biodiversität in Wirtschaft und Arbeit........................................... 54 5.11.1. Unternehmenspolitik und Biodiversitätsschutz ............................ 54 5.11.2. Arbeitsmarkteffekte des Biodiversitätsschutzes............................ 57 5.11.3. Tourismus – eine spezielle Herausforderung ............................... 60 5.11.4. Rohstoffe und Biodiversität .................................................... 62 5.12. Biodiversität in Bildung, Wissenschaft und Forschung ..................... 65 5.13. Biologische Vielfalt als Gesundheitsfaktor ..................................... 71 5.14. Biodiversität und Zivilgesellschaft ............................................... 74 5.15. Finanzierung des Biodiversitätsschutzes ....................................... 77 6. Internationaler Biodiversitätsschutz ................................................. 81 6.1. Europäischer Biodiversitätsschutz................................................ 81 6.2. Biodiversitätsschutz im Rahmen der Vereinten Nationen .................. 85 6.3. Biodiversitätsschutz in der Entwicklungszusammenarbeit................. 91 6.4. Welthandel und Biodiversität ..................................................... 95 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 die jeden Tag aussterben.3 Für 2005 stellte das Millennium Ecosystem Assessment der Vereinten Nationen fest, dass 60 Prozent der weltweiten Ökosystemdienstleistungen eingeschränkt sind beziehungsweise nicht nachhaltig genutzt werden.4 1. WO STEHEN WIR BEIM SCHUTZ DER BIOLOGISCHEN VIELFALT? Der Begriff Biodiversität1 beschreibt die gesamte Vielfalt des Lebens. Er umfasst drei Ebenen zwischen denen eine enge Wechselwirkung besteht: Zum einen die Artenvielfalt, die durch die Erfassung der Arten von ausgewählten Organismengruppen wie Vögeln oder Pflanzen auf einer bestimmten Fläche beschrieben wird. Zum anderen die Vielfalt innerhalb der Arten, die genetische Vielfalt. Hierzu gehört zum Beispiel die Vielfalt von Sorten und Rassen bei Nutztieren und Nutzpflanzen. Genetische Vielfalt ermöglicht es den Arten, sich an Veränderungen der Umwelt anzupassen und Krankheit und Schadtieren 2 besser zu widerstehen. Schließlich umfasst die Biodiversität auch die Vielfalt der regionalen Lebensräume und Ökosysteme. Je größer die Vielfalt ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Arten Umweltveränderungen überleben und das Funktionieren von Ökosystemen sichern. Dennoch gilt nicht automatisch: Je mehr Arten auf einer Fläche desto stabiler und wertvoller ist diese. Vielmehr sind es oft „artenarme Lebensräume“, die selten und wertvoll für die Gesamtheit der Vielfalt sind. Die letzte weltweite Erhebung zur Lage der biologischen Vielfalt hat der 3. Globale Ausblick des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) 2010 vorgelegt. Diese Studie belegt, dass das 2002 vereinbarte Ziel der Staatengemeinschaft, bis 2010 eine signifikante Reduzierung der Verluste an biologischer Vielfalt zu erzielen, nicht annähernd erreicht wurde. Die Hauptursachen des Biodiversitätsverlustes wirkten konstant weiter, in einigen Fällen verstärkten sie sich sogar. Damit stehen auch die in den Millenniums-Entwicklungszielen umrissenen Ziele auf dem Spiel: Ernährungssicherheit, Armutsbekämpfung und ein besserer Gesundheitszustand der Weltbevölkerung. „Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass bei den drei wesentlichen Komponenten der biologischen Vielfalt – den Genen, Arten und Ökosystemen – weiterhin ein Rückgang zu verzeichnen ist.“5 Bei den natürlichen Lebensräumen nimmt die Ausdehnung und Integrität weltweit ab. Süßwasserfeuchtgebiete, Eismeere, Salzwiesen, Muschelbänke, Seegraswiesen und Korallenriffe weisen ernsthafte Zustandsverschlechterungen auf. Wälder und Flüsse sind weitgehend fragmentiert. Jährlich gehen weltweit rund 13 Millionen Hektar Wald verloren – das entspricht ungefähr der Fläche Griechenlands oder rund 25 Hektar pro Minute.6 1.1. INTERNATIONALER STAND Zur Evolution gehört es, dass Arten aussterben und durch andere, besser angepasste Arten „ersetzt“ werden. Aber: Momentan erleben wir weltweit ein Artensterben in beispiellosem Tempo. Die Aussterberaten sind heute einhundert bis eintausend Mal höher als dies unter natürlichen Bedingungen der Fall wäre, Schätzungen gehen von bis zu 130 Arten aus Weltweit sind die Amphibien die am stärksten vom Aussterben bedrohte Artengruppe, bei den Korallenarten verschlechtert sich der Erhaltungszustand am schnellsten. Fast ein Viertel der Pflanzenarten ist vom Aussterben Biological diversity means the variability among living organisms from all sources including, inter alia, terrestrial, marine and other aquatic ecosystems and the ecological complexes of which they are part: this includes diversity within species, between species and of ecosystems. (CBD 1993) 2 Auf den Begriff „Schädlinge“ wird bewusst verzichtet, denn er bezeichnet einen Organismus in seinem Bezug auf eine Verringerung des wirtschaftlichen Erfolgs des Menschen. Kein Tier ist per se ein Schädling. 1 WWF (2007) Hintergrundinformation „Ausgestorbene Arten“ http://www.wwf.de/fileadmin/fmwwf/pdf_neu/Ausgestorbene_Arten_HG_12_06.pdf 4 Millennium Ecosystem Assessment 2005. 5 Ebd., S.7. Vgl. Mitteilung der Kommission: Lebensversicherung und Naturkapital: Eine Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr 2020. 6 Global Forest Resources Assessment, FAO 2010. 3 1 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 1.2. STAND IN DER EUROPÄISCHEN UNION bedroht. Die Zahl der Wirbeltiere ist zwischen 1970 und 2006 um fast ein Drittel zurückgegangen, mit besonders drastischem Rückgang in den Tropen und in den Binnengewässern. 7 20 Prozent der untersuchten Wirbeltierarten gelten weltweit als bedroht.8 Die genetische Vielfalt an Nutzpflanzen und Nutztieren in der Landwirtschaft nimmt weiterhin dramatisch ab. Als Ausgangspunkt für die Umsetzung der europäischen Biodiversitätsstrategie hat die EU für 2010 eine so genannte Baseline formuliert, gegenüber der die Veränderungen der biologischen Vielfalt gemessen werden sollen. Demnach befinden sich nur 17 Prozent der EU-rechtlich geschützten Lebensräume und Arten und 11 Prozent der wichtigsten EUrechtlich geschützten Ökosysteme in einem günstigen Erhaltungszustand – und dies trotz aller Maßnahmen, die seit dem Jahr 2001 getroffen wurden. Rund zwei Drittel der Lebensräume und mehr als die Hälfte der Arten, die von der FFH-Richtlinie erfasst werden, sind dagegen in einem schlechten Erhaltungszustand. Insbesondere der Zustand der Wälder und Gewässer ist schlecht, während die größten Lebensraumverluste bei Feuchtgebieten und Grünland zu verzeichnen sind. Zu den am stärksten bedrohten Artengruppen gehören Meeressäuger, Reptilien und Amphibien. Für 31 Prozent der Arten und 18 Prozent der Lebensräume reichen die Beobachtungsdaten nicht aus, um eine Aussage über den Erhaltungszustand zu treffen.11 Die Hauptbelastungen sind Veränderungen und Vernichtung des Lebensraums, Übernutzung, Überdüngung, Umweltverschmutzung, invasive gebietsfremde Arten und der Klimawandel. Maßnahmen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt erhalten nur einen Bruchteil der Gelder, die für Infrastrukturmaßnahmen oder den Ausbau der Industrie ausgegeben werden. Möglichkeiten, schon bei der Planung vermeidbare negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt auf ein Minimum zu reduzieren, werden nicht genutzt. In wenigen Bereichen gibt es Fortschritte. Weltweit werden zwar immer mehr bedrohte Arten und Lebensräume unter Schutz gestellt und im Rahmen der CBD wurde ein strategischer Plan mit 20 konkreten Zielen formuliert.9 Aber leider werden gute Ansätze zu oft durch kollidierende wirtschaftliche und politische Maßnahmen untergraben. „Um die Hauptursachen des Biodiversitätsverlustes zu bekämpfen, müssen wir dem Problem daher in alle n Bereichen, in denen Entscheidungen zu treffen sind, sowie in allen Wirtschaftssektoren eine höhere Priorität einräumen. [Es] … darf an die Erhaltung der biologischen Vielfalt nicht erst dann gedacht werden, nachdem man sich zuvor mit anderen Zielen befasst hat“.10 Nach wie vor wächst der Anteil von Siedlungen und Infrastruktur an der Fläche Europas, ihr Anteil nahm mit rund acht Prozent von 1990 bis 2006 zu. Als Resultat dieser Entwicklung gelten rund 30 Prozent der EULandfläche als hochgradig fragmentiert. Obwohl beispielsweise die Ausweisung von Natura 2000-Gebieten an Land als weitgehend abgeschlossen gilt, werden positive Trends beim Schutz der Biodiversität in Europa durch fortwährende und zunehmende Belastungen konterkariert und aufgehoben. Dazu zählen insbesondere: Landnutzungsänderungen: Natürliche Lebensräume gehen verloren zugunsten von Siedlung, Infrastruktur und Ackerland, 7 Global Biodiversity Outlook 3, CBD 2010. Red List 2011. 9 Die so genannten Aichi-Ziele des strategischen Plans: http://www.cbd.int/sp/targets/ 10 Vorwort des Generalsekretärs der Vereinten Nationen Ban Ki-Moon, in: 3. Globaler Ausblick, a.a.O. 8 IUCN 11 European Environment Agency (2010): EU 2010 Biodiversity Baseline. 2 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 der Raubbau an der biologischen Vielfalt durch intensive Landnutzung, die Einschleppung invasiver gebietsfremder Arten, Umweltverschmutzung Klimawandel. durch Natura 2000 geschützt ist, besteht auch hierzulande großer Handlungsbedarf. Während die Fläche der streng geschützten Gebiete zwar angestiegen ist (ihr Anteil lag 2008 bei 4,1 Prozent), ist der Anteil gefährdeter Biotoptypen mit 72,5 Prozent aber noch immer alarmierend hoch.13 Wie die Bundesregierung auf Anfrage hin selbst bestätigt, ist sie zudem nicht in der Lage, die Qualität der Schutzgebiete einzuschätzen. Im Meer ist die Ausweisung von Schutzgebieten trotz erster Ansätze sowohl quantitativ als auch qualitativ noch unzureichend. Hier wirken sich zudem Fischerei und invasive Arten besonders belastend aus. Unter den bedrohten Lebensräumen ist der Anteil an Meeres- und Küstenlebensräumen sowie der Gewässer besonders hoch. Durch die Ausweisung von Nationalparken an den Küsten konnten aber auch positive Wirkungen erzielt werden, so dass der Zustand einiger Lebensraumtypen stabilisiert oder sogar eine Ausweitung erreicht werden konnte. Indirekte Ursachen wie Bevölkerungszunahme, begrenztes Bewusstsein für die Biodiversität und die Tatsache, dass dem wirtschaftlichen Wert der biologischen Vielfalt bei der Entscheidungsfindung nicht Rechnung getragen wird, tragen ebenfalls in hohem Maße zum Biodiversitätsverlust bei.12 Dies spiegelt sich auch in der Debatte um die europäische Biodiversitätsstrategie wider: Mitgliedsstaaten wie auch andere Ressorts pochen darauf, dass sie den laufenden Reformprozessen im Agrarbereich und der Haushaltsplanung bis 2020 nicht vorgreift. Gleichzeitig betreffen diese Prozesse zentrale Handlungsfelder für die Erreichbarkeit der in der Strategie formulierten Ziele, insbesondere den zu erhöhenden Beitrag von Land- und Forstwirtschaft zur Erhaltung und Verbesserung der Biodiversität. Ebenso setzt auch der Streit um die gemeinsame Fischereipolitik Grenzen für den Meeresschutz. Der Ressort übergreifende Ansatz der Strategie wird so im Keim erstickt und es ist zu befürchten, dass weder direkte noch indirekte Treiber des Biodiversitätsverlustes effizient bekämpft werden können, sofern sie nicht im direkten Zuständigkeitsbereich des Umweltressorts liegen, wie das Schutzgebietssystem Natura 2000. Bei den Gewässern erreichten nach den Maßstäben der EU-Wasserrahmenrichtlinie 2009 nur 10 Prozent einen guten oder sehr guten ökologischen Zustand. Hauptursachen hierfür sind: Verbauung, Begradigung und regelmäßige Unterhaltung der Fließgewässer. Die deutschen Fluss-Auen sind insgesamt stark beeinträchtigt und in natürlicher Ausprägung nur noch als Relikte vorhanden. Besonders groß ist der Druck auch auf Lebensräume landwirtschaftlich geprägter Kulturlandschaften wie Kalkmagerrasen, blumenreiche Wiesen und Weiden oder auch Streuobstwiesen. Der Indikatorenbericht 2010 14 weist einen sinkenden Anteil unzerschnittener verkehrsarmer Räume (UZVR) an der Gesamtlandfläche aus. Neben dem direkten Verlust an Lebensräumen ergibt sich dadurch eine unmittelbare Bedrohung von Arten. Im Agrarland ist die Bestandssituation vieler Vogelarten kritisch. Insbesondere Vögel, die auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, gehen im Bestand zurück. Die Rote Liste kategorisiert 28 Prozent der untersuchten Arten als gefährdet. Zu den bedrohten Tiergruppen gehören insbesondere Kriechtiere. Bei Farn- und Blüten- 1.3. STAND IN DEUTSCHLAND Obwohl in Deutschland ein Flächenanteil von 15 Prozent der terrestrischen Landesfläche 12 vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Lebensversicherung und Naturkapital: Eine Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr 2020. BfN 2007, Hintergrundpapier zur Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen Deutschlands. 14 Indikatorenbericht zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt 2010. 13 3 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 pflanzen gelten mehr als ein Viertel aller vorkommenden Arten als gefährdet.15 Wichtigste Ursachen für diese Entwicklungen sind die intensive Landwirtschaft, die Zerschneidung und Versiegelung der Landschaft, direkte Eingriffe in Gewässerökosysteme, Stoffeinträge und in zunehmendem Ausmaß der Klimawandel. Im Siedlungsbereich wirken sich Verluste an naturnahen Flächen und dörflichen Strukturen negativ aus. An den Küsten wie im Gebirge kommen Störungen durch eine gestiegene Freizeitnutzung hinzu. Das Bundesamt für Naturschutz konstatiert bei einigen Agrar-Lebensräumen allerdings auch leichte Linderungen, was auf Agrarumweltmaßnahmen, Ökolandbau und die Ausweisung von Biosphärenreservaten zurückgeführt wird. Zum Wald trifft der Indikatorenbericht 2010 lediglich Aussagen über den Anteil zertifizierter Waldfläche. Unter Einbeziehung aller zertifizierten Flächen (größtenteils nach PEFC zertifiziert), ist der Zielerreichungsgrad hoch. Eine Aussage über die aus der Nutzung genommenen Waldflächen ist im Indikatorenbericht jedoch nicht enthalten. Erhebliche Defizite gibt es in Deutschland in Bezug auf das „gesellschaftliche Bewusstsein“. Laut Indikatorenbericht 2010 haben im Jahr 2009 lediglich 22 Prozent der Bevölkerung ein mindestens ausreichendes Bewusstsein für die biologische Vielfalt gehabt, das lag sehr weit vom Zielwert (75 %) entfernt.16 15 16 BfN: Rote Listen für Deutschland Indikatorenbericht zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt 2010. 4 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Gott ist Urheber und Schöpfer aller Dinge. Die christlichen Kirchen (Katholizismus, Protestantismus und Orthodoxie) haben zwar lange Zeit die Schöpfung als dem Menschen gegebenen Herrschaftsbereich verstanden, heute allerdings sehen sich Christen als „Statthalter Gottes“ in der Verantwortung, aktiv für den (Fort-) Bestand der Natur als Schöpfung einzutreten.21 Für das Judentum gilt das Verbot der rücksichtslosen und willkürlichen Ausbeutung und Zerstörung der Schöpfung. Die Einrichtung des Sabbatjahres – nach sechs Jahren Bebauung ruht der Boden und liegt brach – kann als der erstmalige schriftlich festgehaltene Versuch interpretiert werden, die Natur zu schonen und langfristig zu bewahren. Obwohl im Islam eine umfassende Umweltdiskussion bislang nicht stattfindet, kommt auch in der vereinzelten islamischen Ökologie-Diskussion der Erhaltung der Schöpfung eine zentrale Bedeutung zu.22 Die Schöpfung ist vollkommen, und dem Menschen wird nahegelegt, kein Unheil in dieser gottgeschaffenen Ordnung anzurichten. 2. BIODIVERSITÄTSSCHUTZ AUS ETHISCHER VERANTWORTUNG Sich durch schöne Landschaften, Wildnis und einmalige Lebensräume ergreifen und berühren zu lassen stellt einen Wert für sich dar, der weit über das hinausgeht, was wir die Erhaltung der Lebensgrundlagen nennen. Die nationale Biodiversitätsstrategie verweist zurecht darauf, dass sich die biologische Vielfalt in Deutschland einer hohen Wertschätzung als wesentlicher Bestandteil der Lebensqualität erfreut und allgemein als Voraussetzung für ein gesundes und erfülltes Leben angesehen wird.17 Unsere Haltung zur biologischen Vielfalt kann daher nicht nur durch Nützlichkeitserwägungen (Nahrung, Gesundheit, Arbeitsplätze usw.) getragen werden. 18 Die Biodiversität hat auch einen Eigenwert. Bei unseren Bemühungen, die biologische Vielfalt zu erhalten geht es auch darum, einen moralischen Standpunkt einzunehmen und Verantwortung im persönlichen Leben zu übernehmen. Im Zentrum der Ethik von Buddhismus und Hinduismus steht das individuelle Streben nach einer Geisteshaltung, die davon geprägt ist, keinem fühlenden Wesen Leid zuzufügen und ihnen mitfühlend zu begegnen. Auf der Grundlage der Entwicklung eines tief empfundenen Mitgefühls für sich selbst und für andere Wesen ist ein achtsamer Umgang mit sich selbst, anderen Menschen sowie Tieren und der Natur gefordert. Der Schutz der biologischen Vielfalt als religiöse Aufgabe Der Verlust an biologischer Vielfalt ist auch ein Verlust in kultureller und spiritueller Hinsicht. „Das mag zwar schwierig zu quantifizieren sein, ist für unser Wohlergehen trotzdem unerlässlich.“19 Man muss nicht religiös sein, um dem Satz zuzustimmen: „Die Lebensfähigkeit, Vielfalt und Schönheit der Erde zu schützen, ist eine heilige Pflicht.“20 Die sog. Weltreligionen spielen hier aber eine große, orientierende Rolle. Der Schutz der biologischen Vielfalt in indigenen Kulturen Ein erheblicher Teil der indigenen Völker lebt in Gebieten, die für den Schutz der biologischen Vielfalt von zentraler Bedeutung sind. Mit ihrem traditionellen Wissen leisten indigene Völker einen großen Beitrag zum Schutz und auch zur nachhaltigen Bewirtschaftung dieser Gebiete. Dieses Wissen ist zu achten, zu Die Bewahrung der Schöpfung ist eine alle Weltreligionen verbindende Überzeugung und damit Orientierung für Milliarden Menschen: NBS, Kapitel B5, Seite 60. Eser, Ann‐Kathrin Neureuther und Albrecht Müller: Klugheit, Glück, Gerechtigkeit. (2011) Naturschutz und Biologische Vielfalt Nr. 107. 19 Ban Ki-Moon, Vorwort zum 3. Globalen Ausblick, a.a.O. 20 Die Erd-Charta, deutsche Übersetzung vom 8. Mai 2001. 17 18 Uta Siehe: Gem. Erklärung, Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland/Deutsche Bischofskonferenz (Hrsg.) 1985: Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung, Hannover/Bonn, Selbstverlag, S.34. 22 Vgl. Marburg Journal of Religion: Volume 2, No. 1 (May 1997). 21 5 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 wahren und zu schützen. Indigene Kulturen weisen verschiedenste Moralsysteme auf, die die Gemeinschaft schützen sollen und die auf dem Wissen um die unmittelbare Abhängigkeit der Gemeinschaft von der sie umgebenden Natur und ihrer Achtung basiert. In den meist mündlich weitergegebenen Überlieferungen wird ein bestimmtes, das Überleben der Gruppe sicherndes soziales Verhaltens gerade auch gegenüber der Natur fundiert. Dies trifft beispielsweise für Bevölkerungsgruppen in Westafrika zu, die in ihren religiösen und gesellschaftlichen Regeln den Schutz besonderer Lebensräume verankert haben. Die mythischen Vorstellungen haben dabei einen starken Bezug zum jahreszeitlichen Rhythmus, auf dem ein für indigene Völker typisches zyklisches Zeitbewusstsein basiert. Nur wenige indigene Völker konnten ihre traditionellen Religionen und Mythen unbeeinflusst bewahren. In Lateinamerika allerdings gewinnen indigene Religionen und die Rechte der indigenen Bevölkerung wieder an Bedeutung. Gleichzeitig wird aber auch hier ihr Lebensraum weiter massiv eingeschränkt, ein Prozess, der nicht ohne Gewalt abläuft. Das Widererstarken indigener Gruppen und Bewegungen und die internationale Beachtung, die das Konzept des „Guten Lebens“ und der „Mutter Erde“, das auf traditionellem Wissen und dem Moralsystem andiner indigener Gemeinden aufbaut, bedeuten in diesem Zusammenhang eine Chance. Wir anerkennen auch, dass der Schutz der biologischen Vielfalt – über saubere Luft und fruchtbare Böden hinaus – dazu beiträgt, den Menschen ein Leben in Glück, Gesundheit und Geborgenheit zu ermöglichen. Hieran müssen wir in der Kommunikation unserer Biodiversitätspolitik anknüpfen. Wir wollen die Zusammenarbeit mit den in Deutschland tätigen Kirchen und Religionsgemeinschaften vertiefen und gemeinsame Schnittmengen für den Schutz der biologischen Vielfalt identifizieren. Die Rolle indigener Völker und Kulturen wollen wir im Rahmen der CBD stärken. Der Schutz der Rechte indigener Völker kann nicht länger nur als innerstaatliches, nationales Anliegen betrachtet werden. Wir treten für den Erhalt der kulturellen Identität indigener Völker ein. U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge Vermeintlich subjektiven Vorstellungen von einem glücklichen, gesunden und gelungenen Leben in der Kommunikation über biologische Vielfalt größeren Raum geben. Unterschiedlichen Interessen und Wertvorstellungen der Menschen in der gesellschaftliche Debatte über den Schutz der Biodiversität Rechnung tragen [und die Natur als Rechtssubjekt anerkennen]24. Interreligiösen Dialog zu Biodiversitäts- und Klimaschutz unterstützen. Dialog zwischen Umweltbewegung und den Kirchen und Religionsgemeinschaften im Sinne der UN-Dekade für die biologische Vielfalt fördern. Indigene sowie Kirchen und Religionsgemeinschaften stärker in die internationalen Verhandlungs-, Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse zur Biodiversität einbeziehen. U n ser e Z ie l e Für Bündnis 90/Die Grünen ist die Erhaltung der biologischen Vielfalt auch eine ethische Herausforderung. Deshalb ist es für uns wichtig herauszustellen, dass Biodiversitätsschutz nicht nur um des Menschen willen stattfindet. Es geht auch darum, Natur und Landschaft, Pflanzen und Tiere, die Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten auch um ihrer selbst willen zu schützen. [Die Natur hat einen Wert aus sich heraus und eigene Rechte, die jenseits des Bezugs auf den Menschen liegen.]23 23 Diese Formulierung wird derzeit noch in der Fraktion 24 diskutiert. Diese Formulierung wird derzeit noch in der Fraktion diskutiert. 6 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Einbeziehung der Kirchen und Religionsgemeinschaften in die Erarbeitung und Umsetzung von Biodiversitätsstrategien auf allen Ebenen, u.a. durch geeignete Beteiligung an der Bund/Länder Arbeitsgemeinschaft Naturschutz (LANA). Achtung, Wahrung und Schutz des traditionellen Wissens indigener Völker auch für den Erhalt der biologischen Vielfalt und Unterstützung aller internationalen Aktivitäten, die den Schutz der indigenen Völker zum Ziel haben. Vertretern indigener Völker die Teilnahme an Sitzungen der CBD und ihrer vorbereitenden Treffen ermöglichen. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antrag „Rechte indigener Völker stärken ILO-Konvention 169 ratifizieren“ BTDrucksache 17/5915 7 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Melodien in Musik, häufig vor der Kulisse plastisch vertonter Naturereignisse. Um den Stimmen der Natur in der Musik originären Ausdruck zu verleihen, entwickelte er sogar eigene Tonsysteme, die sogenannten „Messiaen-Modi“. Auch die künstlerische Verarbeitung der Transformation von Natur und Landschaft unter zunehmender Gefährdung durch die menschliche Naturausbeutung wird seit der Industrialisierung in zahlreichen Werken aus Kunst, Musik und Literatur manifestiert. Der amerikanische Schriftsteller T. C. Boyle (geb. 1948) thematisiert aktuell in seinem Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“ die Ausbeutung der Natur durch den Menschen und fragt, welches menschliche Eingreifen in das ökologische Geschehen verantwortbar ist. Frank Schätzing (geb. 1957) hat in „Der Schwarm“ den Anthropozentrismus unserer Naturnutzung dramatisch kritisiert, indem er mögliche Folgen drastisch ausmalte. Geistesgeschichtlich verbindet sich unsere Sicht auf die Natur mit vier großen Namen: Goethe, Brehm, Darwin und Haeckel. „Diese Großen Vier vertreten die idealistische, die anthropomorphe, die evolutionäre und die ökologische Sicht der Natur.“ 3. KULTURELLE DIMENSIONEN DER BIOLOGISCHEN VIELFALT Weltweit wird Kultur als Gesamtheit der unverwechselbaren geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Eigenschaften angesehen, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen, und die über Kunst und Literatur hinaus auch Lebensformen, Formen des Zusammenlebens, Wertesysteme, Traditionen und Überzeugungen umfasst,25 Kultur ist mehr als die Gesamtheit „menschlicher Hervorbringungen und Artikulationen“ in Abgrenzung zur nicht hervorgebrachten Natur. Über den Zusammenhang zwischen Biodiversitätsverlust und kultureller Verarmung wurde bisher kaum diskutiert. Das sollte sich ändern. Denn die Frage ist berechtigt: Sind nicht die Zerstörung der biologischen Vielfalt und der Verlust an kulturellem Reichtum jeweils ein Aspekt ein und desselben Vorgangs?26 Natur und Naturschutz in der Kunst Die Natur ist vielen Künstlerinnern und Künstlern ein lebenslanges Objekt ihrer Schaffenskraft. Sie dient Malerei, Musik, Literatur und Philosophie als Inspirationsquelle. Die größten Meisterwerke der Malerei wie von Vincent van Gogh, der Musik wie die 6. Sinfonie von Ludwig van Beethoven und ebenso der Literatur und Poesie entstanden unter Eindrücken von Landschaften, Naturschauspielen oder der Tierwelt. Einige Beispiele seien genannt: Der deutsche Maler Caspar David Friedrich (17741840) begeistert noch heute ein großes Publikum mit seinen Natur- und Landschaftsdarstellungen. Wie bei kaum einem anderen verbindet sich sein Name mit dem Genre des romantischen, friedvollen Naturbildes als Ausdruck menschlicher Stimmungen und Gefühle. Der französische Komponist Olivier Messiaen (1908-1992) beschäftigte sich intensiv mit Vogelrufen und transkribierte deren Schönheit von Natur und Landschaft Betrachtet man Lebewesen als Kunstwerk, dann sind Kunstwerke nichts mehr, was uns von der Natur trennt.27 Die Tierwelt bietet eine Fülle von Formen, die keinerlei Selektionsvorteil erkennen lassen, sondern eine zweckfreie Begleiterscheinung des Nützlichen sind, z. B. die Pracht auf den samtenen Flügeldecken von Faltern. „So gibt gerade die nutzlos erscheinende Körperform der Wesen Aufschluss über ein im Lebendigen schlummerndes Potenzial. Ihre Sichtbarkeit dient nicht einem Zweck, sondern enthüllt sich als solcher.“28 Auch Tiere scheinen Schönheit zu schätzen; so sammelt der australische Seidenlaubenvogel kräftige Blüten von schillernden Blumen, um mit ihnen eine Partnerin in sein Erdnest zu locken. Vgl. „Kultur in Deutschland“ Schlussbericht der Enquete-Kommission, BT-Drs. 16/7000, S. 47. 26 Marcel Robischon: Vom Verstummen der Welt. Wie uns der Verlust der Artenvielfalt kulturell verarmen lässt“, 2012, S. 19. 25 27 28 8 Andreas Weber: Alles fühlt. 2008, S.169ff. Ebd., S. 207. Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Um die Schönheit von Natur und Landschaft empfinden zu können, bedarf der Mensch der sozialen Sicherheit und des Wohlgefühls seiner Sinne. Nur der von Existenzängsten befreite und vor Naturkatastrophen weitgehend beschützte Mensch kann die Natur als schön und vollkommen empfinden und sie als individuellen, aber auch politischen ‚Sehnsuchtsort‘ entdecken, der dem Leben Sinn zu geben vermag. Das deutsche Naturschutzrecht schützt die Schönheit von Natur und Landschaft.29 Schöne Landschaften werden als Heimat geliebt und verehrt, können aber auch politisch missbraucht werden: In der Zeit des Verrats / Sind die Landschaften schön.30 Anhänglichkeit an bestimmte Landschaftsbilder ermöglicht hohe naturschutzpolitische Akzeptanz31, denn als Ort von Sehnsüchten, Erinnerungen und Idealen steht uns die Natur näher als jede monetäre Inwertsetzung. In einer ganzheitlichen Biodiversitätspolitik erfordern die kulturellen, ästhetischen und philosophischen Dimensionen der biologischen Vielfalt größere Beachtung als bisher. Künstlerinnen und Künstler können auf ihre Art und Weise dazu beitragen, den Verlust der Biodiversität und dessen Folgen zu rezipieren und Lösungen anzumahnen, vorausgesetzt, ihre schöpferische Arbeit entsteht unter politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Freiräume für die Ausübung von Kreativität und Kunst ermöglichen. Biologische und Sprachenvielfalt Die Vielfalt und immer neuen Begegnungen mit immer neuen Erscheinungen der Natur haben die menschliche Fantasie und Kreativität inspiriert und angeregt. In Auseinandersetzung mit der gesamten belebten Umwelt des Sprachraums, mit allen Pflanzen und Tieren, allen Vögeln des Himmels und allen Fischen des Wassers entwickelten sich Worte und Sprache. „Besonders Kulturen, die noch heute in engem Austausch und Kontakt mit der freien, wilden Natur leben, zeigen, wie differenziert die Begriffswelt einer Sprache in Abhängigkeit vom Artenreichtum ihrer Umwelt sein kann.“32 Umgekehrt; wo die Natur verarmt, verarmt auch die einheimische Sprache, sie verliert an Begriffsschärfe und die Ausdrucksmöglichkeiten verengen sich, sie wird ‚wortkarg‘. Habitate bedrohter Sprachen und bedrohter Tier- und Pflanzenarten befinden sich heute häufig in denselben geographischen Regionen. BNatSchG §1. Heiner Müller, 1958. 31 Joachim Radkau, zitiert in: Reinhard Piechocki: Landschaft Heimat Wildnis, 2010, S.237. 32 Robischon, a.a.O., S.245ff. 29 30 9 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 sentlichen Prozesse, Funktionen und Interaktionen zwischen Organismen und ihrer Umwelt umfassen. Er erkennt an, dass die Menschen mit ihrer kulturellen Vielfalt fester Bestandteil der Ökosysteme sind. Der ökosystemare Ansatz umfasst zwölf Prinzipien und fünf Handlungsleitlinien. 4. BIODIVERSITÄTSSCHUTZ – DER RECHTSRAHMEN 4.1. INTERNATIONALER RECHTSRAHMEN Des Weiteren arbeitet die CBD mit Arbeitsprogrammen und Handlungsleitlinien. Die CBD hat zunächst einen umfangreichen Katalog von Leitlinien für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt und für den gerechten Vorteilsausgleich erarbeitet. Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt, (Convention on Biological Diversity, CBD) ist eines der drei Übereinkommen, die auf dem Weltgipfel in Rio de Janeiro 1992 verhandelt wurden. Es trat 1993 in Kraft und formuliert folgende Ziele: „Erhaltung der biologischen Vielfalt, nachhaltige Nutzung von deren Bestandteilen sowie eine faire und gleichberechtigte Aufteilung der sich aus der Nutzung genetischer Ressourcen ergebenden Vorteile, darunter durch einen entsprechenden Zugang zu den genetischen Ressourcen, und durch einen geeigneten Transfer relevanter Technologien unter Berücksichtigung aller Rechte an diesen Ressourcen und an Technologien sowie durch eine sachgerechte Finanzierung.“33 Die CBD hat wenige völkerrechtlich direkt bindende Elemente. Nur die Zusatzprotokolle wie das „Cartagena-Protokoll über biologische Sicherheit“, das sich mit dem grenzüberschreitenden Handel gentechnisch veränderter Organismen befasst und das noch nicht in Kraft getretene Nagoya-Protokoll über den Zugang und gerechten Vorteilsausgleich bei der Nutzung genetischer Ressourcen, haben eine solche rechtlich bindende Wirkung. Weitere rechtsverbindliche Regelungen für alle Arten der Nutzung biologischer Vielfalt wären notwendig. Der Weltgipfel Rio+10 in Johannesburg 2002 hat das Ziel von 1992 bestätigt, es wurde durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen gebilligt. Zudem wurde es unter einem der Millenniums-Entwicklungsziele – Sicherstellung der ökologischen Nachhaltigkeit – als neues Ziel aufgenommen. Das Biodiversitätsziel 2010 stellte daher eine Verpflichtung nicht nur der Vertragsstaaten der Konvention dar, sondern aller UN-Staaten. Derzeit gibt es 193 Vertragsparteien der CBD. Alle Ziele und Beschlüsse der Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt müssen auf der nationalen Ebene umgesetzt werden. Wichtigste Instrumente sind dabei nationale Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne. Weitere internationale Abkommen sind: Das Washingtoner (CITES). Artenschutzabkommen Es regelt bzw. verbietet seit 1975 den internationalen Handel mit geschützten Arten und ist damit ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Wilderei und Schmuggel. Die Erfolge hängen allerdings von der konsequenten Umsetzung auf nationaler Ebene ab und gelten nur für die Arten, die ausdrücklich in – oft kontroversen – Verhandlungen in die entsprechenden Listen aufgenommen werden. Stark bedrohte Arten wie der BlauflossenThunfisch oder diverse Hai-Arten wurden trotz mehrfacher Anläufe noch immer nicht in diesen Schutzstatus erhoben. Elfenbeinhandel Die CBD arbeitet auf der instrumentellen Ebene mit dem Ökosystemansatz.34 Der Ökosystemansatz ist die übergreifende Strategie für das integrierte Management von Umweltmedien wie Land, Wasser und von lebenden Ressourcen. Der Ökosystemansatz stützt sich auf die Anwendung wissenschaftlicher Methoden, in deren Mittelpunkt die Ebenen biologischer Organisation stehen, die alle we- Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD), Artikel 1 34 http://www.cbd.int/ecosystem/ 33 10 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 wurde beschränkt wieder erlaubt. Beschlüsse über Handelseinschränkungen sind schwer zu erreichen. Um gegenüber Freihandelsabkommen und den Interessen der Welthandelsorganisation WTO Bestand zu haben, müssen die relevanten Umwelt- und Artenschutzabkommen auch Handelsaspekte rechtsverbindlich regeln. sermanagement und Erosionsschutz sind nur einige der relevanten Querbezüge. 4.2. EUROPARECHTLICHER RAHMEN Mit dem Schutzgebietsnetz Natura 2000, das auf der Vogelschutzrichtlinie und der FaunaFlora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) beruht, verfügt Europa über ein einzigartiges naturschutzrechtliches Instrument, das nur an naturschutzfachlichen Kriterien orientiert ist. Ihr Zweck ist der europaweite Schutz gefährdeter wild lebender heimischer Pflanzen- und Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume. Die Natura 2000-Gebietsausweisungen sind zwar fast abgeschlossen, aber die Ziele nur unzureichend erreicht, weil beispielsweise Managementpläne für die Flächen fehlen oder zahlreiche fragmentierte und kleinräumige Schutzgebiete ausgewiesen werden, die durch fehlende Verbindungsstrukturen den Netzwerk-Anspruch kaum erfüllen. Die Ramsar-Konvention Die Konvention regelt seit 1975 den internationalen Schutz von Feuchtgebieten internationaler Bedeutung, insbesondere als Lebensraum für Wasser- und Wattvögel. Die Konvention selber stellt noch keinen einklagbaren rechtlichen Rahmen dar, sie wurde aber innerhalb der EU durch Richtlinien und Verordnungen umgesetzt. Die Berner Konvention und die Bonner Konvention Von Bedeutung sind auch die Berner Konvention und die Bonner Konvention, beide von 1979. Die Berner Konvention war der erste europaweite umfassende Naturschutzansatz mit völkerrechtlich verbindlichem Vertrag zum Schutz frei lebender Tier- und Pflanzenarten. Die Bonner Konvention regelt den Schutz wandernder wildlebender Arten (Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals, CMS) und fördert dabei besonders die Zusammenarbeit der Staaten entlang der Zugwege. Wandernde Tiere sind wegen ihrer besonderen Bedürfnisse und der oftmals sehr langen Zugwege besonders gefährdet. Für den Gewässerschutz gibt es die EUWasserrahmenrichtline (WRRL) und zum Schutz der Meere die EUMeeresstrategierahmenrichtlinie (MSRL). Diese Richtlinien sind direkt bindend für die Mitgliedsstaaten, leiden aber oftmals an mangelhafter Umsetzung, wobei der Umsetzungsprozess für die MSRL gerade erst begonnen hat. Die WRRL setzt konsequent eine ganzheitliche Betrachtung der Gewässer um, bezieht also auch das Flusseinzugsgebiet in den Schutz mit ein. Die MSRL setzt auf eine sektorübergreifende Politik mit einem ökosystemaren Schutzkonzept, um in den europäischen Meeresgewässern (Ostsee, Nordostatlantik, Mittelmeer, Schwarzes Meer) bis zum Jahr 2020 einen guten Umweltzustand zu erreichen. Entsprechende Maßnahmenprogramme sind bis 2015 zu entwickeln. In Ergänzung der Konvention über die Biologische Vielfalt liegt die Stärke der älteren Naturschutzkonventionen in ihrer gewachsenen Verankerung in den Regionen sowie der Vielzahl an konkreten Projekten, die vor Ort durchgeführt werden. Die Konvention zur Bekämpfung der Ausbreitung von Wüsten (UNCCD) und die Klimarahmenkonvention (UNFCCC) stellen darüber hinaus ebenfalls Rahmenbedingungen für den Schutz der biologischen Vielfalt. Der Anpassungsbedarf an den Klimawandel, die Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme, der Waldklimaschutz, Landnutzungsänderungen, Was- Die EU hat 2011 eine neue Grundsatzstrategie zur Verbesserung der europäischen Biodiversität in den nächsten zehn Jahren beschlossen: die Europäische Biodiversitätsstrategie 2020. Die EU bestimmt über zahlreiche gemeinsame Politikfelder wie die Gemeinsame Agrarpolitik 11 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 (GAP) und die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP), die Handlungsoptionen und Anreize für oder wider der biologischen Vielfalt vorgeben. Falsche Förderanreize und ökologisch schädliche Subventionen in GAP und GFP sind ein wesentlicher Grund dafür, dass Landwirtschaft und Fischerei in Europa in den letzten Jahrzehnten wesentlich zur Gefährdung der biologischen Vielfalt beigetragen haben anstatt sie zu fördern. Die EU besitzt jenseits der FFHBerichtspflicht kein einheitliches Monitoringsystem und noch immer kein europäisches Monitoringzentrum. eingegangen. Die nationale Biodiversitätsstrategie (NBS) setzt diese Verpflichtung um und stellt den wichtigsten Bezugsrahmen für den Schutz der biologischen Vielfalt auf Bundesebene dar (siehe. Kapitel 4.1.). Die fachlich für den Schutz der Biodiversität zuständige Bundesbehörde ist das Bundesamt für Naturschutz (BfN). Da die Bundesregierung gegenüber der EU und den internationalen Konventionen berichtspflichtig ist, liegt in der föderalen Struktur für den Naturschutz ein klares Kompetenz- und Verbindlichkeitsproblem. So ist die Bundesregierung in vielen Fragen der Umsetzung von Natura 2000 oder der Umsetzung des Biotopverbundsystems schlichtweg nicht auskunfts-, geschweige denn handlungsfähig. 4.3. DEUTSCHER RECHTSRAHMEN Das Gesicht der Verwaltung gegenüber dem Bürger sind die Kommunen. Planungs- und Partizipationsprozesse werden hier gesteuert und bieten die Möglichkeit zur Intervention. Zahlreiche Kommunen haben bereits eine Deklaration „Biologische Vielfalt in Kommunen“ unterzeichnet und verpflichten sich dadurch zu Aktivitäten für mehr Grün- und Freiflächen im Siedlungsbereich, Arten- und Biotopschutz, nachhaltiger Nutzung der biologischen Vielfalt und Bewusstseinsbildung und Kooperation. Diese Aktivitäten erfordern eine intensive Kooperation zwischen Kommunen, Bund und Ländern. Behindert und verhindert wird die Umsetzung der z. T. guten gesetzlichen Ansätze zum Schutz der biologischen Vielfalt durch erhebliche Vollzugsdefizite und fehlende Kapazitäten auf allen Ebenen (siehe Kapitel 5.3.3.). Die Nationalstaaten sind zwar aus europäischer und internationaler Sicht die zentralen Akteure für den Naturschutz. Im föderal organisierten Deutschland aber liegt die Zuständigkeit für den Naturschutz in erster Linie bei den Ländern. Den rechtlichen Rahmen für den Schutz von Natur, Landschaft und biologischer Vielfalt bildet das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), das als Rahmengesetz vorwiegend unmittelbar wirkende Regeln setzt, die in den (erneuerten) Landesgesetzen durch landesspezifische Regeln ergänzt werden. Das BNatSchG und insbesondere die hier enthaltene Eingriffsregelung sind das wirksamste Instrument eines effektiven Naturschutzes, es ist immer wieder Angriffen von Schwarz-Gelb ausgesetzt. Als Vertragsstaat der CBD ist Deutschland völkerrechtliche Verpflichtungen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Biodiversität 12 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 schen Vielfalt in Deutschland und beschreibt folgerichtig, was in welchen Teilbereichen getan werden müsste. Für alle relevanten Bereiche wurden Indikatoren festgelegt, an denen der Fortschritt bei der Erreichung der Schutzziele ablesbar ist. Allerdings enthält die NBS lediglich Ziele und Visionen. Die konkrete Ausgestaltung von Maßnahmen oder Sanktionen bei Nichtberücksichtigung der definierten Ziele fehlen – zwei Tatsachen, die erheblich zur bisherigen Wirkungslosigkeit beigetragen haben. 5. QUERSCHNITTSAUFGABE BIODIVERSITÄTSSCHUTZ Der klassische schutzgebietsorientierte Naturund Artenschutz spielt für den Schutz der biologischen Vielfalt eine große und unverzichtbare Rolle. Doch gelingen kann er nur, wenn wir Anstrengungen in allen gesellschaftlichen Bereichen und in allen politischen Ressorts unternehmen. Biodiversitätsschutz ist eine Aufgabe für den Staat, den Privatsektor und alle anderen Akteure – und zwar auf allen Ebenen, von der kommunalen bis zu internationalen. Auf jeder Ebene sind sehr unterschiedliche Zuständigkeiten und Kompetenzen angesiedelt, die den jeweiligen Handlungsrahmen bestimmen. Zwar treffen wir auf allen Ebenen auf Aktionspläne und Strategien zum Biodiversitätsschutz, doch deren Durchsetzung erfolgt zumeist nachrangig zu diversen anderen Aufgaben. Der Indikatorenbericht 2010 zur NBS resümiert, dass bei fünf Indikatoren ein sehr geringer Zielerreichungsgrad von weniger als 50 Prozent und bei weiteren sechs von zwölf dargestellten Indikatoren nur ein „geringer Zielerreichungsgrad“ zwischen 50 und weniger als 80 Prozent zu verzeichnen ist. Eine statistisch signifikante Entwicklung auf die gesetzten Ziele hin sei überhaupt nur bei fünf Indikatoren zu verzeichnen: Gebietsschutz, Flächeninanspruchnahme, ökologischer Landbau, Stickstoffüberschuss der Landwirtschaft und nachhaltige Forstwirtschaft. Eine grundsätzliche Trendumkehr ist jedoch noch nicht zu sehen. Die Umsetzung der Nationalen Biodiversitätsstrategie ist also bisher gescheitert. Um die nationalen und internationalen Ziele für den Biodiversitätsschutz zu erreichen, muss dieser wirklich als Querschnittsaufgabe begriffen und entsprechend Ressort- und sektorübergreifend verankert und unterstützt werden. Dass dem Ziel Biodiversitätserhaltung noch zu wenig Bedeutung beigemessen wird, ist erkennbar an der Tatsache, dass es ländereigene Biodiversitätsstrategien bislang nur in Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt. Das ist unzureichend und wird der Verantwortung der Länder nicht gerecht. Auch bei den vorhandenen Länderstrategien fehlt zumeist der ressortübergreifende Ansatz. 5.1. DIE NATIONALE BIODIVERSITÄTSSTRATEGIE Pro b le m Die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt35 (NBS) wurde 2007 vom Bundeskabinett beschlossen, wesentlich erarbeitet wurde sie noch in der Amtszeit des grünen Umweltministers Jürgen Trittin bis 2005. Eine interministerielle Arbeitsgruppe (IMA) unter Führung des Bundesumweltministeriums (BMU) soll die Umsetzung sichern. Die Biodiversitätsstrategie bündelt die Ziele beim Schutz der biologi- 35 Seit 2011 gibt es das jährlich mit lediglich 15 Millionen Euro ausgestattete Bundesprogramm biologische Vielfalt, das wegen der Länderzuständigkeit im Naturschutz aber ausdrücklich nur beispielhafte Demonstrationsvorhaben oder Maßnahmen mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung fördert. Zudem Fördern BMBF und BMU mit einem gemeinsamen Etat die Forschung zur Umsetzung der Strategie. Die damit mögliche verbesserte Projektförderung ist zwar begrüßenswert, hat Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt. Unterrichtung durch die Bundesregierung. Bundestagsdrucksache 16/7082 vom 7. November 2007. 13 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 jedoch nichts mit dem notwendigen Zugriff auf alle relevanten Ressorts zu tun. Das Bundesprogramm braucht dringend einen ressortübergreifenden Ansatz. Biodiversitätsschutz muss als Querschnittsaufgabe begriffen, der Schutz der biologischen Vielfalt in der Politik aller Ressorts verankert und Wirtschaft und Zivilgesellschaft in die Lösung der Probleme einbezogen werden. Wir wollen zusätzliche auf die einzelnen Ressorts zugeschnittene Aktionspläne, die im jeweiligen Haus kontinuierlich bearbeitet und nicht allein durch externe Projektnehmer realisiert werden. chung notwendigen Instrumente und Mechanismen präzisiert werden. Auch auf Landesebene sollen ressortübergreifende Förderprogramme zur biologischen Vielfalt aufgelegt werden. Die länderübergreifende Koordination im Naturschutz muss gestärkt werden. Die Umweltministerkonferenz (UMK) und die Bund/Länder Arbeitsgemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung (LANA) sollen insbesondere Fragen der Rechtsvereinheitlichung, der Abstimmung der Länderstrategien, des Biotopverbundes und des Gewässer- und Hochwasserschutzes in festen Arbeitsprogrammen ausgestalten. U n ser e Z ie l e U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge Die Bundesregierung muss ein Bundesprogramm biologische Vielfalt erarbeiten, das diesen Namen verdient, ausgestattet mit eigenen Haushaltsmitteln in jedem Ressort, mit dem ressortspezifische Aktionspläne realisiert werden können. Die zentrale strategische Steuerung soll durch das Bundesumweltministerium erfolgen. Jedes Ministerium muss seinen Beitrag zum Schutz der biologischen Vielfalt leisten und nachweisen. Die zur interministeriellen Zusammenarbeit bereits aufgebauten Strukturen (z. B. interministerielle Arbeitsgruppe (IMA), gemeinsames Bundesforschungsprogramm) sollen intensiv weiter genutzt werden. Die Maßnahmen werden im Rahmen der IMA vom BMU koordiniert. Die Umsetzung der NBS wird ein Schwerpunkt der Arbeit der Nachhaltigkeits-StaatssekretärsRunde. Bu nd Analyse des konkreten und ressortspezifischen Finanzbedarfs für die Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie und Anpassung des Bundesprogramms Biologische Vielfalt an den tatsächlichen Finanzbedarf mit Beiträgen aus den jeweils zuständigen Ressorts, im ersten Schritt auf 25 Millionen Euro jährlich. Ausweitung des Bundesprogramms Biologische Vielfalt zu einem umfassenden Förderprogramm zur Stärkung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit. Die notwendigen Maßnahmen müssen ressortübergreifend durchgeführt werden, die zentrale Steuerung erfolgt im Bundesumweltministerium. Bereitstellung von Haushaltsmitteln zur Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie in jedem Ressort. Die Koordination der Umsetzung erfolgt durch das Bundesumweltministerium. Sicherstellung der Vereinbarkeit mit den Zielen der Biodiversitätsstrategie bei Gesetzen und relevanten Fördermitteln im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung. Im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung ist das Umweltministerium schon jetzt für die Bewertung von Umweltfolgen zuständig. Künftig müssen die Gesetzesfolgen für die biologische Vielfalt bereits im Gesetzgebungsverfahren und bei der Vergabe von Fördermitteln konkreter geprüft und stärker berücksichtigt werden. Wir werden dazu beitragen, dass die Länder – auf der Grundlage der nationalen Strategie – eigene und kohärente Biodiversitätsstrategien zur Umsetzung auf lokaler und regionaler Ebene beschließen. Nur so können quantifizierbare Ziele benannt und die zur Zielerrei- Bund und Länder Beschluss und Umsetzung von Biodiversitätsstrategien und Förderprogrammen in jedem Land als Teil der 14 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Umsetzung des Strategischen Plans der CBD bis 2015. Jährliche Berichterstattung der Bundesregierung über Indikatoren und Fortschritt und über Fehlentwicklungen bei der Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategie; je einmal pro Legislaturperiode in Verbindung mit einem Fortschrittsbericht über die Länderstrategien. Schließung von Lücken in der länderübergreifenden Koordination im Naturschutz durch die UMK und die LANA, insbesondere beim Gewässerschutz und Biotopverbund. Veränderung und ihre Ursachen müssen mit dem Ziel ermittelt werden, die Folgen dieser Veränderungen für Natur, Naturhaushalt und Mensch abzuschätzen, um rechtzeitig und gezielt Vorschläge für Gegenmaßnahmen erarbeiten zu können. Ein systematisches und flächendeckendes Monitoring für die biologische Vielfalt fehlt in Deutschland aber weitgehend.36 Schlimmer noch, insgesamt fehlt das Wissen über die Biodiversität. Es werden immer weniger Wissenschaftler ausgebildet, die Arten und ihre Lebensansprüche überhaupt kennen (siehe Kapitel 5.12.). Obwohl im Rahmen internationaler Verpflichtungen zahlreiche Berichtspflichten37 bestehen, neue umweltpolitische Herausforderungen diese sogar noch erweitern38 und gleichzeitig die Umsetzung bestehender Biodiversitätsstrategien defizitär ist, gibt es keine koordinierte Erfassung der dazu notwendigen Daten. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache 17/2005 U n ser Zi el Fraktionsbeschluss „Endlich handeln! Biodiversität schützen – im Jahr 2010 und darüber hinaus“ 09.09.2010 Es soll ein Nationales Monitoringzentrum geschaffen werden. In diesem Zentrum sollen Natur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler daran arbeiten, den Status und die Entwicklung der Biodiversität in Deutschland zu erfassen, zu interpretieren, die ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen zu untersuchen und Gegenstrategien zu formulieren. Das Zentrum soll auch Grundlagenforschung betreiben bzw. koordinieren. Hier geht es um die Entwicklung von differenzierten Indikatoren und Verfahren zur Erhebung von Daten im Bereich der Arten und Biotope und zur Bewertung solcher Daten sowie deren ständige Fortschreibung. Kleine Anfrage „Umsetzung des Strategischen Plans der UN-Biodiversitätskonvention, insbesondere im Meeresschutz“ BT-Drucksache 17/5578 5.2. DIE MESSUNG DER BIOLOGISCHEN VIELFALT Pro b le m Zwingende Voraussetzung dafür, die Veränderungen der biologischen Vielfalt frühzeitig zu erkennen und Gefährdungen rechtzeitig begegnen zu können, ist es, die jeweilige Bestandssituation zu erfassen und zu bewerten und deren Entwicklung systematisch zu überwachen. Dies ist gleichermaßen eine Aufgabe für Forscher und Fachbehörden. Sie gewinnt dadurch an Bedeutung, dass Veränderungen sich schleichend und oft unbemerkt vollziehen, andererseits Verluste unwiederbringlich sind. So verfügt etwa kein einziger deutscher Nationalpark über vollständige Inventare der wichtigsten Insektengruppen. (Angabe des VBiO). 37 Zu nennen sind hier unter anderem: das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD), das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000, das Afrikanisch-Eurasische-Wasservogelabkommen (AEWA), die Ramsar-Konvention, die Bonner Konvention über wandernde wild lebende Tierarten (CMS). 38 NEFO (2012): Nationales Biodiversitätsmonitoring 2020. http://www.biodiversity.de/images/stories/Downloads/ Monitoringpapier/monitoring_final_10-02-12.pdf 36 15 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Das Nationale Monitoringzentrum soll zur Harmonisierung des bundesweiten Monitorings beitragen und die nationalen Roten Listen (gefährdete Arten und Biotoptypen), Blauen Listen (erfolgreich erhaltene oder geförderte Tier- und Pflanzenarten der Roten Listen) und Schwarzen Listen (invasive Arten) mit Kommentierungen und Erläuterungen führen, Untersuchungen zu den Gefahren- und Bedrohungspotenzialen durchführen bzw. koordinieren (z. B. zu den Auswirkungen des Klimawandels oder zu anthropogen induzierten Krankheiten). Das Monitoringzentrum soll Teil eines europäischen und globalen Netzwerkes sein und entsprechende Kooperationen betreiben und auch zur Umweltbildung im Bereich der biologischen Vielfalt beitragen. Zur Vereinheitlichung der Datenerhebung und zur Kartierung ist eine intensive Zusammenarbeit mit den Landes- und Kommunalbehörden notwendig. Die Daten aus nationalen Monitoring-Programmen sollen für alle Interessierten transparent und frei zugänglich sein. Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache 17/2005 5.3. BIODIVERSITÄTSSCHUTZ ALS RECHTSNORM UND VOLLZUGSPROBLEM 5.3.1. BIODIVERSITÄTSSCHUTZ ALS RECHTSNORM Pro b le m Beim Schutz der biologischen Vielfalt handelt es sich um einen der komplexesten Regelungsbereiche. Trotzdem – oder gerade deshalb – sollte er vollzugsfreundlich ausgestaltet werden. Hierzu können unter anderem untergesetzliche Regelwerke dienlich sein, zum Beispiel zur bundeseinheitlichen Handhabung der Eingriffsregelung. Entscheidende verfassungsrechtliche Norm für den Schutz der biologischen Vielfalt in Deutschland ist Artikel 20a des Grundgesetzes mit dem Staatsziel „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere“. Dieses Ziel erlegt es dem Staat auf, die natürlichen Lebensgrundlagen für die künftigen Generationen zu schützen und eine dementsprechende Gesetzgebung, Rechtsprechung und vollziehende Gewalt zu gewährleisten. Der Schutz der biologischen Vielfalt hat damit in Deutschland Verfassungsrang und somit einen hohen Wert in den Ermessens- und Abwägungsentscheidungen zwischen Schutz und Nutzung von Natur und Landschaft. U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge Bu nd Unterstützung bei der Finanzierung und Vernetzung von Datenportalen, die den Zugang und den Austausch von relevanten Daten im Bereich des Monitorings ermöglichen. Bu nd, Lä nd e r u nd Ko m m u n e n Einrichtung eines unabhängigen Monitoringzentrums, dessen Finanzierung sich Bund und Länder teilen. Freier Zugang zu Monitoringdaten für alle Interessierten. Wichtigste gesetzliche Grundlage ist das Bundesnaturschutzgesetz. Es betont, dass Natur und Landschaft „auf Grund ihres eigenen Wertes und als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen im besiedelten und unbesiedelten Bereich“ zu schützen sind. Mit der Betonung des Eigenwertes wird die Verantwortung des Menschen gegenüber seiner natürlichen Umwelt und den in ihr lebenden Tiere und Pflanzen hervorgehoben. Dabei geht es zum einen darum, U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Entschließungsantrag zum Haushaltsgesetz 2012, Einzelplan 16. BT-Drucksache 17/7862 Kleine Anfrage „Entwicklung und Monitoring der Vogelbestände in Deutschland, der Europäischen Union und weltweit“ BT-Drucksache 17/3806 16 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 künftigen Generationen Nutzungsoptionen und damit Entwicklungschancen zu erhalten; zum anderen aber auch darum, Natur und Landschaft um ihrer selbst Willen jenseits zweckrationaler Nützlichkeit zu respektieren. Die Erhaltung der biologischen Vielfalt wird in § 1 Abs. 1 Nr. 1 explizit als Ziel des Gesetzes prominent genannt. Damit wird eine grundlegende Rechtsnorm definiert, an der sich alle fachgesetzlichen Einzelbestimmungen orientieren müssen. Dies ist zudem ein allgemeiner Grundsatz, der auch für die Länderebene unverrückbar und abweichungsfest gilt. terungen entgegenzuwirken. Ausdruck des Verschlechterungsverbotes ist das Kompensationsprinzip, d. h. beeinträchtige Funktionen des Naturhaushaltes sind in gleichartiger Weise wieder herzustellen oder neu zu gestalten. Die BNatSchG-Novelle hat das Ziel verfehlt, das Naturschutzrecht zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Nach wie vor fehlen vollzugsfähige Formulierungen für die Eingriffsregelung, für die zu allgemein formulierte gute fachliche Praxis und für den Biotopverbund. Teilweise wird sogar direkt auf notwendige Länderregelungen verwiesen (z. B. § 16 Abs. 2).39 Die wichtigsten Steuerungsinstrumente für den Natur-, Arten- und Landschaftsschutz in Deutschland sind Schutzgebiete, der gesetzliche Biotopschutz und der allgemeine wie der besondere Artenschutz, die FFH-Verträglichkeitsprüfung sowie die Eingriffsregelung. Für die Landschaft sind die raumbezogenen Planungen bzw. die Zulassungsverfahren der Infrastrukturfachplanung bedeutsam, für den Bereich der Landwirtschaft die gute fachliche Praxis. Die derzeit von Teilen der Bundesregierung und einigen Ländern angestrebte normative Gleichsetzung des bisher nachrangigen Ersatzgeldes mit der Realkompensation (Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen) ist nach unserer Auffassung verfassungswidrig und naturschutzfeindlich.40 Wir setzen uns dafür ein, den Primat der Realkompensation zu erhalten, denn die Verantwortung des Verursachers muss erhalten bleiben.41 Besondere Bedeutung hat die appellative Aufnahme der allgemeinen Verpflichtung zur Beachtung der Ziele des Naturschutzes in das Bundesnaturschutzgesetz, die im Jahr 2002 erfolgte. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass der Schutz der Natur eine Aufgabe ist, die nicht allein durch den Staat zu bewältigen ist, sondern der Mitwirkung aller gesellschaftlicher Akteure bedarf. Mit der Postulierung einer Bürgerpflicht bekräftigte der Gesetzgeber, dass Schutz von Natur und Landschaft nur gelingen kann, wenn sich jeder und jede naturschutzgerecht verhält – nicht nur Behörden und Umweltorganisationen. Die SollVerpflichtung umfasst sowohl ein Beitrags- als auch ein Vermeidungsgebot. Gegenüber dem Bundesnaturschutzgesetz, das angesichts der Länderzuständigkeit nur eingeschränkten Spielraum für die Bundesebene lässt, liegt bei diversen Fachgesetzen (z. B. im Bau-, Berg-, Jagd- oder Waldrecht) eine Bundeskompetenz vor, die zur stärkeren Verankerung von Leitplanken für den Natur- und Biodiversitätsschutz genutzt werden sollte. U n ser e Z ie l e Wir wollen Schutz von Natur, Landschaft und biologischer Vielfalt rechtlich stärken. Allen Bemühungen, unter dem Vorwand der Flexibilisierung, die Anforderungen an die Zulassung von Eingriffen in die Natur abzusenken, stellen wir uns entgegen. Insbesondere die In Überwindung eines reinen SchutzgebietsNaturschutzes wurde in Deutschland die sog. Eingriffsregelung (§ 14 BNatSchG) geschaffen, die in ihrem Grundkonzept der Abweichungsgesetzgebung der Länder entzogen ist. Sie beinhaltet zunächst für jeden Eingriff in die Natur ein Vermeidungs- und Minimierungsgebot – es geht darum, wenn immer möglich, das Bestehende zu bewahren und Verschlech- Änderungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, BT-Drucksache 16/13490 40 Vgl. hierzu auch Prof. Dr. Christoph Degenhart (Universität Leipzig): Regelungsmöglichkeiten des Bundes zur Gleichstellung von Ersatzgeld und Naturalkompensation im Rahmen der naturschutzfachlichen Eingriffsregelung – verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen. Januar 2011. 41 Ebd. S.37. 39 17 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Eingriffsregelung, die gute Fachliche Praxis und der Biotopverbund müssen auf Bundesebene verbindlich geregelt werden. Uns geht es aber nicht nur darum, eine Absenkung von Naturschutzstandards zu verhindern. Naturund Biodiversitätsschutz müssen zusätzlich zu einem starken Naturschutzrecht eine bessere rechtliche Verankerung in anderen Rechtsbereichen erhalten, denn auch dort werden Rahmenbedingungen für den Naturschutz gesetzt. Das betrifft vor allem das Bau- und Planungsrecht sowie die Bereiche Bergbau, Jagd, Land- und Forstwirtschaft (gute fachliche Praxis) und die Gewässernutzung, die demokratische Teilhabe und das bürgerschaftliche Engagement (Planungs- und Beteiligungsrecht). Der Schutz der biologischen Vielfalt muss deutlicher als bisher auch im Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) und im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) als Schutzgut benannt werden. Für den Schutz von Natur und Biodiversität muss eine direkte immissionsschutzrechtliche Grundpflicht (eine von jeder unter den Immissionsschutz fallenden Anlage einzuhaltende gesetzliche Anforderung) eingeführt werden. ten wie z. B. Biotopverbund besser genutzt werden. U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge Bu nd Erfüllung der gesetzgeberischen Kompetenz des Bundes, um grundlegende und länderübergreifende Ziele bundeseinheitlich zu regeln (z. B. Biotopverbund, Eingriffsregelung, gute fachliche Praxis). Gesetzliche Stärkung des Schutzes von Natur und Biodiversität im Imissionsschutz-, Berg- und Bau-, Jagd- und Waldrecht sowie Minimierung der Flächeninanspruchnahme. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache 17/2005 Antrag „Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren“ BT-Drucksache 17/6502 Änderungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege. BT-Drucksache 16/13490 Das Bergrecht weist umfassende Lücken beim Schutz der biologischen Vielfalt auf. Tagebaue und Rohstoffabbau im Meer müssen beispielsweise FFH-Gebiete ausgeschlossen werden. Rechtlicher Handlungsbedarf besteht auch bei der Reduzierung des Flächenverbrauchs. Eine primäre Anknüpfung für die Steuerung des Flächenverbrauchs ergibt sich zunächst aus den planungsrechtlichen Regelungen auf übergeordneter (Raumordnungsgesetz, Landesplanungsgesetze) und kommunaler Ebene (Baugesetzbuch). Ein zusätzliches Instrument kann eine Pflicht zur Minimierung der Flächeninanspruchnahme sein. 42 Prüfen wollen wir ein Handelssystem Flächenausweisungsrechten. Bei der Nutzung der Lenkungsmöglichkeiten der Regional- und Flächennutzungspläne sollen ökologische Komponen- 42 5.3.2. BIODIVERSITÄTSSCHUTZ UND FÖDERALISMUS Pro b le m Erschwert wird der Vollzug von Naturschutzrecht durch den deutschen Föderalismus. Der Bund hat bislang seine grundsätzlich vorhandene Kompetenz zur Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 Grundgesetz nicht vollumfänglich ausgenutzt. Dies führt – unabhängig von der Abweichungskompetenz der Länder – zu einer Zersplitterung des Naturschutzrechts in ein Bundes- und viele Landesgesetze. Für den Vollzug des Naturschutzes sind die Länder verantwortlich. Dazu gehören insbesondere die Ausweisung und das Management von Schutzgebieten, die Biotopver- Wege zu einer nachhaltigen Flächenpolitik. Fraktionsbeschluss 10.05.2011; BT-Drs. 17/6502: Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren. 18 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 bundplanung, die Einhaltung der Eingriffsregelung und der Einsatz weiterer Naturschutzinstrumente, namentlich der Landschaftsplanung und des Artenschutzes, der Vollzug des Naturschutzrechtes im Einzelfall und das Monitoring. oder bei der Umweltbildung. Das Bündnis dient dem Erfahrungsaustausch und soll engagierten Kommunen die Chance bieten, mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen, um Förderung für Projekte zu erhalten und mehr Einfluss auf Gesetzgebungsprozesse zu nehmen zu können. Die Aufgabenerfüllung im Naturschutz ist seit Langem in einem nicht akzeptablen Maße defizitär.43 Das kann zwar nicht allein den Funktionsschwächen des Föderalismus zugeschrieben werden, denn es spielt hier auch der unterschiedlich ausgeprägte politische Gestaltungswille eine Rolle ebenso wie der Lobby-Einfluss von Nutzergruppen. Gerade beim Biotopverbund und beim Monitoring zeigt sich aber, dass eine viel engere und umfangreichere Länder übergreifende Koordination notwendig wäre, da der Zugang zu Monitoring-Daten und deren Harmonisierung oftmals eingeschränkt sind, aber Planung und Ausgestaltung eines bundesweiten Biotopverbunds eine Länder übergreifende Koordination erfordert. Hier muss der Bund mehr Initiative und Verantwortung übernehmen (können). Bundesweite Vernetzungen zu gewährleisten und damit europäischem Recht zu entsprechen, muss Bundessache werden – vergleichbar der Linienführungsbefugnis für Fernstraßen – und nicht der Kooperation von 16 Ländern überlassen bleiben. Im städtischen Raum sind die Bedeutung der biologischen Vielfalt und ihre Bedrohung besonders sichtbar. Einerseits gefährden Flächenverbrauch und Zerschneidung, Nutzungsintensität oder invasive Arten die Vielfalt. Andererseits spielt sie für Lebensqualität und Wohlbefinden der Menschen sowohl rein ästhetisch als auch physisch wichtige Rolle und ist durch kleinteilige Strukturen bis hin zu Kleingärten geprägt (siehe Kapitel 5.7. und 5.13.). U n ser e Z ie l e Wir wollen ein übersichtliches Rechtssystem mit angemessenen Verfahrensabläufen und der Möglichkeit, unterschiedlichen Aufwand für den Schutz der biologischen Vielfalt zwischen den Ländern ausgleichen zu können (siehe Kapitel 5.9. und 5.15.). Die Föderalismusreform hat eine Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen ergeben, mit der wir auf absehbare Zeit leben müssen. Mit der eingeführten Abweichungskompetenz im Naturschutz der Länder wurde jedoch eine „Doppelzuständigkeit“ von Bund und Ländern geschaffen, auf deren Grundlage ein und derselbe Gegenstand in unterschiedlicher Weise geregelt werden kann. Rechtsvereinheitlichung und Rechtsvereinfachung wurden dadurch nicht befördert. Verantwortung für die biologische Vielfalt können auch die Kommunen übernehmen. Viele haben sich bereits dem Verein „Biologische Vielfalt in Kommunen“ angeschlossen. 44 Sie erkennen damit ihre Rolle für die Erhaltung der biologischen Vielfalt auf örtlicher Ebene an. Ziel ist es, diese Vielfalt vor Ort zu stärken und bei der Entwicklung der Kommune zu berücksichtigen. Möglichkeiten dazu bestehen im Bereich der Erhaltung und Pflege von Grün- und Freiflächen, bei speziellen Maßnahmen zum Arten- und Biotopschutz, bei der nachhaltigen Nutzung von Flächen (z. B. Land- und Waldflächen, Gewässer, Siedlungsflächen und Verkehrsverbindungen) Der Bund muss seine Gesetzgebungskompetenz ausfüllen, um Kohärenz im Natur- und Biodiversitätsschutz zwischen Bund, Ländern und EU sowie zwischen unterschiedlichen Gesetzen herzustellen (siehe Kapitel 5.3.1.). Die Kommunen wollen wir so stärken, dass sie finanziell in der Lage sind ihre Verantwortung für die biologische Vielfalt wahrzunehmen. Insbesondere für die urbane Biodiversität sind Kommunikation und Kooperation notwendig, um die Interessen der Nachverdichtung mit Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen, „Umweltverwaltung unter Reformdruck“, a.a.O. 44 http://www.kommunen-fuer-biologische-vielfalt.de 43 19 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 dem Schutz von Freiflächen, städtischem Grün und Gewässern stadtplanerisch optimal zu verbinden. terschiedliche Zuständigkeiten wie Landwirtschaft, Umwelt und Naturschutz vermengt werden. Darunter leidet insbesondere der Naturschutz. Oft fehlen auch die Mittel für Kommunikation und Umweltbildung einerseits und Weiterbildung andererseits. Zudem werden Spielräume, die die Ermächtigung zu Verwaltungsvorschriften eröffnen, nur unzureichend genutzt. U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge Bu nd un d Lä nd e r Nutzung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes, um höhere Standards und Kohärenz im Biodiversitätsschutz von der Landes- bis zur EU-Ebene sicherzustellen Prüfung eines Finanzierungsinstrumentes, das einen Ausgleich zwischen den Ländern für unterschiedlichen Aufwand im Naturschutz ermöglicht. 5.3.3. Abwägungen der Behörden in Entscheidungsprozessen werden oft zulasten der Natur getroffen. Insbesondere in Bezug auf großflächige Schutzgebiete sind Aufgabenverlagerungen auf die Landkreisebene kritisch zu beurteilen. Eine Nationalparkverwaltung ist auf der kommunalen Ebene nicht sachgerecht angesiedelt, da hier oftmals zugunsten wirtschaftlicher und finanzieller Interessen entschieden wird und dem Schutz von nationaler Bedeutung nicht das nötige Gewicht beigemessen wird.45 VOLLZUGSDEFIZITE DES BIODIVERSITÄTSSCHUTZES Pro b le m U n ser e Z ie l e Auf allen Ebenen vom Bund bis hin zur Kommune sind gravierende Vollzugsdefizite beim Schutz von Natur und Umwelt festzustellen. Missstände werden zwar häufig beklagt, eine systematische Analyse der Ursachen findet aber kaum statt. Anfragen bei der Bundesregierung zu Fragen des Naturschutzes werden allzu oft mit dem Hinweis auf die Zuständigkeit der Länder nicht beantwortet, auch wenn eine klare bundesweite Relevanz wie beim Biotopverbund, beim Monitoring oder schlicht bei der Umsetzung der nationalen, also bundesweiten Strategie vorliegt. Der Biodiversitätsschutz muss seiner Bedeutung entsprechend auf allen Behördenebenen verankert werden. Die Politik muss zugleich hinreichend Mittel frei geben, dass künftig mehr und nicht weniger Personal für den Schutz von Natur und Umwelt zur Verfügung steht. Die Umweltverwaltungen müssen in die Lage versetzt werden, komplexe Überwachungskonzepte auszugestalten und anzuwenden. Es darf keinen weiteren Aufgabenabbau in den Behörden unter dem Deckmantel von Entbürokratisierungsmaßnahmen geben. Genehmigungsverfahren dürfen nicht so schlank werden, dass es keinen ordentlichen Vollzug mehr gibt. Die Beratungstätigkeit darf nicht noch weiter eingeschränkt werden, denn eine Umweltverwaltung soll nicht nur Weisungen erteilen, sondern auch Hilfestellungen geben. Zudem müssen die Behörden auf Landes- und Kommunalebene in der Lage sein, Erfolge und Defizite im Biodiversitätsschutz systematisch zu evaluie- Die für den Vollzug des Naturschutzrechtes zuständigen Unteren und Oberen Naturschutzverwaltungen sind sowohl in personeller als auch in finanzieller Hinsicht häufig in ihrer Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt. Oft fehlen sogar die Kapazitäten, um einfachste Kontrollaufgaben wahrzunehmen oder gar um EU-Fördermittel einzuwerben. EU-Mittel können zudem nur eingeschränkt abgerufen werden, da die Länder und Kommunen die notwendige Kofinanzierung mitunter nicht aufbringen können. Dies wird verstärkt, wenn bei der Zusammenlegung von Behörden un- 45Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen „Umweltverwaltungen unter Reformdruck“, a.a.O., S.112. 20 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 ren und als unabhängige Vollzugsbehörden die eigenen Aktivitäten zu optimieren. Schutzgebiete unterschiedlicher Ausprägung. Bei der Erhaltung reproduktionsfähiger Populationen spielen der Biotopverbund und Schutzgebietsnetze eine zentrale Rolle, um den notwendigen genetischen Austausch zu ermöglichen. In den Verwaltungen muss der interdisziplinäre Ansatz ausgebaut werden, dafür müssen entsprechende Personalentwicklungspläne aufgestellt werden. Zur Stärkung des Vollzugs vor Ort ist auch ein größeres Bewusstsein für die biologische Vielfalt notwendig (siehe Kapitel 5.12. und 5.14.). Um dem Ziel eines vernetzten Schutzes gerecht zu werden, ist auf Bundesebene die Nationale Biodiversitätsstrategie verabschiedet worden. Sie sieht für die unterschiedlichen Schutzkategorien und zugelassenen Nutzungen zu erreichende Schutzziele vor. So soll der Flächenanteil der Wildnis von derzeit 0,5 Prozent auf zwei Prozent der Landesfläche anwachsen, 30 Prozent der Landesfläche sollen als Naturparke ausgewiesen werden. 46 Eine weitere Kommunalisierung von Umweltaufgaben betrachten wir mit großer Skepsis und Besorgnis, denn sie erfolgt zumeist ohne Rücksicht auf Kapazitäten der örtlichen Verwaltungen und gefährdet so die Vollzugsqualität. Gebraucht werden Zentren zur Aufgabenerfüllung, die interdisziplinäre Kompetenzen vereinen. U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge 5.4.1. Bu nd, Lä nd e r u nd Ko m m u n e n SCHUTZGEBIETE Pro b le m Sicherung der Unabhängigkeit und entsprechender personeller Ausstattung der Vollzugsbehörden im Biodiversitätsschutz, um die Wahrnehmung aller internationalen und nationalen Mindestverpflichtungen sicherzustellen. Schaffung ausreichender Kapazitäten für Evaluation, Bürgerinformation und Transparenz. Verwaltungen von Biosphärenreservaten und Nationalparken sollen auf der Ebene der Länder in den oberen Naturschutzbehörden angesiedelt werden. Die wichtigsten Schutzgebietstypen sind Nationalparke, Naturparke, Biosphärenreservate, Landschafts-, Naturschutz- sowie FaunaFlora-Habitat (FFH)- und Vogelschutzgebiete, die sich auch auf ein und der gleichen Fläche überschneiden können. Schutzgebiete sind in der Regel keine Ausschlussgebiete für menschliches Handeln und Wirtschaften. Grundsätzlich sind in den verschiedenen Zonen aller Schutzgebiete Nutzungen im Einklang mit den jeweils für das Gebiet erklärten Zielen zugelassen. Nur in Totalreservaten ist die Nutzung durch den Menschen ausgeschlossen. Zuständig für die Ausweisung und das Management aller Schutzgebiete – mit Ausnahme der Allgemeinen Wirtschaftzone (AWZ) – sind die Länder. 5.4. SCHUTZ VON ARTEN, BIOTOPEN UND LEBENSRÄUMEN Der Flächenanteil der Nationalparke vergrößerte sich seit der deutschen Einheit bundesweit durch die Gründung der Nationalparke Unteres Odertal in Brandenburg, Hainich in Thüringen, Eifel in Nordrhein-Westfalen und Biodiversitätsschutz heißt Arten, Biotope und Lebensräume zu schützen, also zu erhalten und vor Verschlechterungen oder gar Vernichtung zu bewahren. Die Artenvielfalt und die genetische Vielfalt wild lebender Pflanzenund Tierarten wird in erster Linie durch den Schutz ihrer Habitate erhalten; dazu dienen 46 http://www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/presse/ Wildnis_Hintergrundpapier_Presse_20100511_final_1.pdf 21 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Kellerwald-Edersee in Hessen. Er beträgt jetzt 0,54 Prozent der Landfläche der Bundesrepublik. Dieser Anteil sollte größer werden. Hektar große Kyritz-Ruppiner Heide gefunden wird ohne dass dies auf Kosten anderer wertvoller Gebiete geht. Gerade Schutzgebiete, in denen Nutzungen ein zentraler Bestandteil des Konzepts sind – wie zum Beispiel Naturparke und Biosphärenreservate –, brauchen stringente Managementpläne, um die Erreichung der Schutzziele laufend zu evaluieren. Leistungen, die für die Erbringung des Schutzzieles notwendig sind, müssen honoriert werden können. Das gilt für die Nutzerinnen und Nutzer, muss aber auch für die praktische Naturschutzarbeit sowie deren wissenschaftliche Begleitung gelten, die oft von Naturschutzorganisationen übernommen werden; die biologischen Stationen in Nordrhein-Westfalen sind hierfür ein gutes Beispiel. Dafür muss der Vertragsnaturschutz gestärkt werden. Leider bleibt es hier in vielen Ländern bei Lippenbekenntnissen. U n ser e Z ie l e Bündnis 90/Die Grünen wollen, dass das Schutzgebietsnetz Deutschlands – entsprechend der nationalen Biodiversitätsstrategie – weiter quantitativ und qualitativ verbessert wird. Die Unterschutzstellung der Natura 2000Gebiete muss 20 Jahre, nachdem die FFHRichtlinie beschlossen wurde, endlich abgeschlossen werden. Sehr viele dieser Gebiete haben keine Schutzgebietsverordnung; im Schutzgebietsmanagement finden wir noch immer gravierende Vollzugsdefizite. Es müssen fachlich anspruchsvolle Managementpläne entwickelt und fortgeschrieben werden und es muss ein ausreichendes Monitoring geben. Deutlichere Nutzungseinschränkungen sind dabei insbesondere in den Meeresgebieten notwendig. Schutzgebiete spielen eine wesentliche Rolle bei der Bewahrung der biologischen Vielfalt. Sie sind stressarme Rückzugsräume. Von einander isolierte Schutzgebiete allein können aber nicht die biologische Vielfalt sichern. In den Blick genommen werden müssen ganze Landschaften, Wassereinzugsgebiete und Migrationsrouten von Tieren. Deshalb besteht in Deutschland die gesetzliche Verpflichtung auf zehn Prozent der Fläche einen Biotopverbund zu realisieren (§ 20 Bundesnaturschutzgesetz). (Siehe Kapitel 5.4.3) Wir wollen auf Bundesebene das Förderprogramm Naturschutzgroßprojekte fortführen. Der Bund muss mit den Ländern daran arbeiten, die qualitative Entwicklung der Schutzgebiete voranzutreiben und zu überprüfen. Derzeit ist die Bundesregierung hierzu weder willens noch in der Lage. Wir wollen erreichen, dass in und vor allem zwischen den Ländern auf eine gute Vernetzung der Schutzgebiete hingearbeitet wird. Eine effektive Betreuung und Pflege der Gebiete im Sinne ihrer jeweiligen Schutzzwecke muss sichergestellt werden. Ökologisch wertvolle Flächen sollen als Nationales Naturerbe nachfolgenden Generationen erhalten bleiben. Das haben Bündnis 90/Die Grünen noch zu rot-grünen Zeiten angestoßen. 125.000 Hektar „gesamtstaatlich repräsentativer Naturschutzflächen des Bundes“ sollen aus der Privatisierung genommen und den Ländern oder Naturschutzorganisationen für den Naturschutz übertragen werden. Der Prozess geht aber viel zu träge voran. Die bisher benannte Kulisse von 100.000 Hektar wird nun endlich schrittweise an die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), die Länder oder von diesen benannte Naturschutzorganisationen übertragen. Aktuell wird über die 2. Tranche verhandelt. Dabei ist es wichtig, dass insbesondere eine Lösung für die 13.000 Das Nationale Naturerbe wollen wir sichern und ausbauen; das Grüne Band entlang der früheren innerdeutschen Grenze soll auf seiner ganzen Länge als Weltkultur- und naturerbe vorgeschlagen werden. Es muss als durchgängiger Biotopverbund erhalten bleiben und dort, wo es ökologisch geboten ist, muss die Verbindung zu benachbarten Schutzgebieten hergestellt werden. Ein erster Schritt ist dabei die Ausweisung als nationales Naturmonument. Die Integration in das Grüne Band Europa wollen wir vertiefen. Für Flächen 22 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 des Grünen Bandes im Besitz der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) wollen wir zügig eine Lösung finden. Um die Akzeptanz für das Grüne Band zu bewahren und zu verbessern, wollen wir die naturverträgliche touristische Nutzung entlang der früheren innerdeutschen Grenze anschließend an das Entwicklungs- und Erprobungsvorhaben „Erlebnis Grünes Band“ weiter entwickeln. turschutzorganisationen oder die Bundesforst. Ausweisung von zwei Prozent der Landesfläche Deutschlands als repräsentative Wildnisflächen bis 2020; Bereitstellung der dafür erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen durch die Länder. Aufstockung der Mittel für den Vertragsnaturschutz. Den Anteil an Wildnis wollen wir in Deutschland erhöhen, denn wir brauchen im Interesse der biologischen Vielfalt mehr große weitgehend unzerschnittene Gebiete, die frei von menschlicher Einflussnahme sind und die sich daher ungehindert entwickeln können. In Wildnisgebieten findet natürliche Entwicklung unabhängig von menschlicher Nutzung statt. Sie stellen eine wichtige Referenz zu den Kulturlandschaften dar und sind einzigartige Untersuchungsräume für wissenschaftliche Studien. Wenn Deutschland stärker Wildnis zulässt, erhöht das auch die internationale Glaubwürdigkeit Deutschlands hinsichtlich der Erhaltung von Tropenwäldern und anderer Wildnisgebiete. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache 17/2005 Fraktionsbeschluss „Erhalten was uns erhält – Den Biodiversitätsschutz im UN-Jahr der biologischen Vielfalt 2010 strategisch neu ausrichten“ vom 26.01.2010 Antrag: „Kyritz-Ruppiner Heide in ihrer Einheit erhalten – Voraussetzungen für eine chancenreiche Regionalentwicklung schaffen“ BT-Drucksache 17/1989 U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge : 5.4.2. In Ko op e ra t ion z wi s ch en B u nd un d Länd e r n Pro b le m ARTENSCHUTZ Die große Artenvielfalt an Tieren und Pflanzen ist eine wesentliche Voraussetzung für einen leistungsfähigen Naturhaushalt und damit unser aller Lebensgrundlage. Gegenstand des Artenschutzes sind natürliche Populationen der zu schützenden Arten. Bei diesen handelt es sich prinzipiell um wild lebende Tier- oder Pflanzenarten; es gibt heute aber auch Arterhaltungsprogramme für selten werdende Nutztierrassen oder alte Kulturpflanzen. Bereitstellung angemessener Haushaltsmittel in den Ländern für die deutschen Großschutzgebiete, um die Schutzgebietsarbeit personell und inhaltlich bewältigen zu können. Erlass einer Rechtsverordnung für NATURA 2000-Gebiete. Ausweisung des Grünen Bandes als nationales Naturmonument sowie Vorschlag als Weltkultur- und -naturerbe; Arrondierung der Flächen des Grünen Bandes im Rahmen eines Flächenaustausches. Erweiterung des Nationalen Naturerbes durch weitere Flächenübertragungen insbesondere von im Rahmen der Bundeswehrreform aufgegebenen Truppenübungsplätzen an Länder, Na- In Deutschland kommen mindestens 48.000 Tierarten und mehr als 24.000 Pflanzen und Pilze vor. Anhaltende starke Bestandsrückgänge im kurz- und langfristigen Trend zeigen sich u. a. bei Säugetieren und Vögeln gleichermaßen. Am stärksten gefährdet sind Amphibien, hier sind 60 Prozent der einheimischen Arten vom Aussterben bedroht. 22 Wirbeltierarten sind im 20. Jahrhundert in 23 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Deutschland ausgestorben oder verschollen. Auch wenn Artenschutzmaßnahmen für bestimmte Arten zu Bestandserholungen geführt haben (Fischotter, Wolf, Biber, Kormoran) so ist die Gesamtsituation jedoch weiter dramatisch. Artenschutzprogramme zielen auf den Schutz meist einer einzelnen gefährdeten bzw. vom Aussterben bedrohten Art ab. Blaue, Schwarze, Graue und Weiße Listen werden vom BfN geführt. Für die neu eingewanderten Arten, die vor Ort vorhandene Arten gefährden – indem sie Krankheiten übertragen, ökologische Kreisläufe und sogar das Landschaftsbild verändern oder durch einkreuzen von Genen heimische Arten verändern – müssen Vorkehrungen getroffen und Bekämpfungsmaßnahmen ergriffen werden. Beispielhaft seien hier die Maßnahmen zur Bekämpfung von Ambrosia genannt. Der wichtigste Beitrag zur Erhaltung der einheimischen Arten ist jedoch eine vernünftige Bewirtschaftungs- und Landnutzungsform. Dies betrifft insbesondere auch den Artenschutz in der Stadt, wo kleinteilige Lebensräume und massive Regulation die Lebensbedingungen prägen. Der Klimawandel stellt das Verhältnis zwischen Gebiets- und Artenschutz vor zusätzliche Herausforderungen, da bisherige Gefährdungsfaktoren für Arten sich mit Arealverschiebungen, veränderten Arteninteraktionen und Lebensraumverlust überlagern können. Um die Bestandsveränderungen bewerten zu können und entsprechende Gegenmaßnahmen begründet einleiten zu können, ist eine genaue Bestandserfassung unabdingbar. Das Bundesnaturschutzgesetz ermächtigt die Bundesregierung, auch solche Arten unter besonderen (§ 54 Abs. 1 Nr. 2) bzw. strengen (§ 54 Abs. 2 Nr. 2) Schutz zu stellen, die in ihrem Bestand gefährdet sind und für die die Bundesrepublik Deutschland in hohem Maße verantwortlich ist, wie beispielsweise die Sumpfspitzmaus.48 Das zuständige Bundesumweltministerium hat von diesen Ermächtigungsgrundlagen für die so genannten Verantwortungsarten noch nicht Gebrauch gemacht.49 Damit könnte aber der Kreis der streng geschützten Arten erweitert werden. Zugriffsverbote für diese Arten wären dann in Planungsverfahren zu berücksichtigen. Wir Grünen teilen selbstverständlich nicht die Auffassung einiger Länder, von einer Unterschutzstellung der Verantwortungsarten abzusehen, weil der Artenschutz in Deutschland bereits jetzt unter einem Vollzugsdefizit leide. Auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten werden seit 1966 gefährdete Arten erfasst, die dann besonderen Schutzbestimmungen unterliegen. Rote Listen werden sowohl international (IUCN) als auch national (BfN) und auf Länderebene (Obere Naturschutzbehörde) geführt. Die Roten Listen des Bundes werden alle zehn bis 15 Jahre neu herausgegeben. Die Liste der bedrohten Vogelarten wird von Bird Life International betreut. Der Nachteil Roter Listen ist, dass die Verluste einer Art bereits massiv sein müssen, um in diese aufgenommen zu werden. Weitergehende Gefährdungsanalysen über das Aussterberisiko hinaus fehlen, so dass eine Spiegel-Funktion für Veränderungen in der Landschaft nicht erfüllt wird. Rote Listen sind kein Frühwarnsystem, sondern sind auf eine „Alarmfunktion“ begrenzt. Seit 1998 gibt es auch die Blaue Liste der erfolgreich erhaltenen und geförderten Tierund Pflanzenarten. Die Schwarzen, Grauen und Weißen Listen enthalten gebietsfremde bzw. invasive Arten, die je nach Gefährdung für einheimische Arten und Lebensräume sowie dem Wissensstand über diese Gefährdung in diese Listen eingruppiert werden. 47 47 für die Naturschutzpraxis, in: Natur und Landschaft Heft 9/10, 2008. 48 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Antwort der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Strenger Schutz von Arten, für die Deutschland in besonderem Maße verantwortlich ist“, Anlage 1. ist“ Bundestags-Drucksache 17/1672. 49 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Strenger Schutz von Arten, für die Deutschland in besonderem Maße verantwortlich ist“, BT-Drs. 17/1672. Weiterführend vgl. Franz Essel et al.: Schwarze Listen invasiver Arte – ein Instrument zur Risikobewertung 24 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Eine solche zynische Argumentation wird der Herausforderung Artenschutz nicht gerecht.50 Gefährdungen für die Artenvielfalt entstehen insbesondere durch Habitatszerstörungen, Nachstellungen (e. c. Jagd), Klimawandel (Treibhauseffekt) und durch anthropogen induzierte Krankheiten. Hier müssen wir vor allem ansetzen, wenn wir den Verlust an Artenvielfalt nachhaltig stoppen wollen. Weltweit werden nach CITES51-Angaben insgesamt zirka 3,6 Millionen lebende geschützte Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische und Wirbellose gehandelt. Nicht erfasst wird der Handel mit ungeschützten Arten, der aber zu einer Bedrohung für diese werden kann. Deutschland ist einer der größten Absatzmärkte, insbesondere für so genannte Exoten. Wir wollen mehr Wildnis, um ursprüngliche Natur auch in Deutschland zu bewahren. Für den Ausgleich zwischen menschlichen Nutzungsinteressen und wild lebenden Arten wie zum Beispiel Wolf, Luchs, Bär und Kegelrobbe muss ein bundesweites Handlungskonzept erarbeitet und mit den Ländern umgesetzt werden. Abstimmungen sind auch mit den Anrainerstaaten erforderlich. Für Arten mit starkem Wanderungsverhalten müssen wir den Lebensraum wieder vergrößern, indem wir Lebensraum-Inseln wieder verbinden, sei es durch einen Biotopverbund, sei es durch Grünbrücken. Beispielhaft sei hier das Wildkatzenprojekt des BUND genannt. Auch die Ansiedlung von Wölfen im Bundesgebiet geht voran und wird heute von fast 80 Prozent der Bevölkerung befürwortet. Ungefähr 60 Wölfe werden derzeit in Deutschland vermutet. Wölfe gehören nicht ins Jagdrecht. Vielmehr sind Managementpläne aufzustellen und für die Schädigung von Nutztierherden müssen in Übereinstimmung mit dem EU-Recht staatliche Entschädigungen gezahlt werden. Um die Akzeptanz für Rückkehrende Wildtiere weiter zu steigern, sind aber auch begleitende Kommunikationsstrategien und Bildungsprogramme notwendig. U n ser e Z ie l e Um Umweltveränderungen frühzeitig zu erkennen und um rechtzeitig gegensteuern zu können, muss das Monitoringsystem um Indikatorarten aus unterschiedlichen Artengruppen ergänzt werden, die auf Veränderungen in der Landbewirtschaftung oder andere Einflussfaktoren sensibel reagieren. Wir wollen eine über die Erstellung der Roten Listen hinausgehende Gefährdungsanalyse und eine Bewertung des Erhaltungszustandes bestimmter Arten erreichen (siehe Kapitel 5.2). Wir wollen erreichen, dass Bestandsveränderungen zeitnah dokumentiert und analysiert werden. Der Schutz aller Arten, für die Deutschland besondere Verantwortung trägt, muss sichergestellt sein. Hier muss auch der Sachverstand der Naturschutzorganisationen intensiv eingebunden und Kooperationen müssen verbindlich gestaltet werden. Für den Artenschutz ist das Zusammenspiel aus nachhaltiger Nutzung und Gebietsschutz von zentraler Bedeutung. Daher müssen wir den direkten Gefahren aus der Nutzung wild lebender Arten und dem Handel entschiedener begegnen. Der Schutz gefährdeter Arten muss durch arten- oder lebensraumspezifische Schutzmaßnahmen verbessert werden. Konflikte durch konkurrierende Habitatsansprüche unterschiedlicher geschützter Arten wollen wir in Übereinstimmung mit dem Artenschutzrecht lösen. Der Nutzungsdruck, den zum Beispiel der nach EU-Recht geschützte Kormoran auf Fischbestände ausübt, berechtigt nicht dazu, sie massenweise abzuschießen. Jede geplante Reduktionsmaßnahme bedarf einer Verträglichkeitsprüfung. 52 Siehe: www.schwaebische.de/region/wir-imsueden/baden-wuerttemberg_artikel,-Bareiss-FuerEnergiewende-muss.Umweltschutz-auf-denPruefstand-_arid,5190290.html 51 CITES = Washingtoner Artenschutzabkommen. 50 52 25 Vgl. Urteil des Verwaltungsgerichtshofes BadenWürttemberg vom 16. März 2011 zum „Radolfzeller Aachried“. Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Wir stellen uns allen Bemühungen entgegen, das europäische Recht aufzuweichen und es unter die Maßgabe einer „ausgewogenen Balance“ mit den Interessen von Nutzergruppen zu stellen. Nachweisbare Nachteile durch bestimmten Beutegreifer können und sollten durch Entschädigungszahlungen ausgeglichen werden. Unterstützung der natürlichen Rückkehr ausgerotteter Wildtierarten. Abstimmung von Management- und Wiederbesiedlungsmaßnahmen mit den Nachbarstaaten sowie verbesserte Aufklärungs- und Akzeptanzstrategien inklusive Entschädigungszahlungen. Vorlage eines Bundesprogramms zum Umgang mit invasiven Arten auf der Grundlage der Grauen und Schwarzen Listen. Erarbeitung von Artenschutzvorgaben für die Pflege öffentlichen Grüns. Regulierung des Handels, der Haltung und der Zucht von Wildtieren nach den Erfordernissen des Vorsorgeprinzips. Für die Artenvielfalt urbaner Lebensräume ist ebenfalls ein breiteres Bewusstsein notwendig, um die durch kurzfristige Planung, Nachverdichtungs- und Verkehrssicherungsziele, vermeintlichen Ordnungssinn und gebietsfremde Arten in Bedrängnis geratenen Arten und ihre Lebensräume zu schützen. Konkrete Vorgaben für den Artenschutz im Baurecht und in der Planung sind hier ein genauso wichtiger Ansatz wie der Ermessensspielraum der einzelnen Akteure, um Nisthilfen, Fassaden- und Dachbegrünung o. ä. zu einem Teil des Stadtbildes zu machen (siehe Kapitel 5.7.). U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antwort auf unsere kleine Anfrage „Strenger Schutz von Arten, für die Deutschland in besonderem Maße verantwortlich ist“ BTDrucksache 17/1864 Für den Handel mit exotischen Arten muss das Vorsorgeprinzip Geltung haben, deshalb muss der Wildtierhandel besser reguliert werden. Damit begegnen wir auch der Gefahr, dass durch Handel eingeführte Arten zu einer Gefahr für die heimische Tier- und Pflanzenwelt werden (Entkommen, Aussetzen).53 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Fischwanderhilfen an Bundeswasserstraßen – Finanzierung und Umsetzung“ BT-Drucksache 17/4481 Antrag „Dem Verlust an Agrobiodiversität entgegenwirken“ BT-Drucksache 16/5413 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Gefahren für Bienen durch Pestizide“ BT-Drucksache 17/1520 U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge : In Ko op e ra t ion z wi s ch en B u nd un d Länd e r n Antwort auf unsere kleine Anfrage „Entwicklung und Monitoring der Vogelbestände in Deutschland, der Europäischen Union und weltweit“ BT-Drucksache 17/3806 Entwicklung eines Monitoring-Systems mit einem breiten Spektrum an Indikatorarten, das zugleich als wirksames Frühwarnsystem dient. Aufbau eines speziellen Schutzprogramms für die deutschen Verantwortungsarten. Konsequenter Schutz, Ausweitung und Vernetzung von Wildnisflächen. (Siehe Kapitel 5.4.3. und 5.8.) 53 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Umsetzung des ASCOBANS-Abkommens und Schutz von Kleinwalen in Deutschland“ BTDrucksache 17/5009 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Vorkommen und Schutz des Juchtenkäfers“ BTDrucksache 17/4157 Nach IUCN-Angaben werden aktuell fast 700 Reptilien- und Amphibienarten als potenziell invasiv eingestuft, zahllose Säugetiere, Vögel, Fische und Wirbellose kommen hinzu. Siehe: Aliens: The Invasive Species Bulletin, IUCN 28: 13-18, F. Kraus: Global trends in alien reptiles and amphibians. 26 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 5.4.3. BIOTOPSCHUTZ UND BIOTOPVERBUND dass alle früher extensiv genutzten Offenlandbereiche (Feucht- und Niedermoorgrünland, Magerrasen, Sandmagerrasen, Zwergstrauchheiden usw.) mittel- bis langfristig mit traditionellen Konzepten des Natur- und Kulturlandschaftsschutzes erhalten werden können. Die Gründe hierfür sind vor allem der Rückzug der Landwirtschaft aus diesen Bereichen und die begrenzte Verfügbarkeit von Finanzmitteln für den Naturschutz und die Biotoppflege. Pro b le m Der Zustand des Naturhaushaltes ist in Deutschland an dramatischen Zahlen ablesbar: Über zwei Drittel aller vorkommenden Biotoptypen sind als gefährdet eingestuft. Der Anteil der vollständig vernichteten Biotoptypen hat deutlich zugenommen. Weniger als die Hälfte aller gefährdeten Biotoptypen ist in ihrem derzeitigen Bestand stabil. Einzige positive Nachricht: Der Anteil der von vollständiger Vernichtung bedrohten Biotoptypen hat abgenommen. Die Schutzbemühungen für diese Biotoptypen scheinen also erste Erfolge zu zeigen. Die stark gefährdeten und die gefährdeten Biotoptypen haben jedoch anteilsmäßig zugenommen.54 Die Misere beim Schutz der Biotoptypen spiegelt sich auch in den Naturräumen wider. Die sechs Hauptlebensraum- und Landschaftstypen Deutschlands sind: Agrarland, Wälder, Siedlungen, Binnengewässer, die Meere einschließlich der Küsten sowie die Alpen. Deren Entwicklung wird im Rahmen der nationalen Biodiversitätsstrategie statistisch mit Hilfe ausgewählter Vogelarten als Indikatorenarten abgebildet. Der Indikatorenbericht 2010 stellt fest, dass sich Agrarland, Siedlungen sowie Meere und Küsten in den letzten zehn Jahren bis 2008 signifikant weg von den Zielen der NBS entwickelt haben, eine Trendumkehr ist nicht zu erkennen. Binnengewässer und Alpen stagnieren, allein die Wälder weisen beim Arten-Indikator einen leicht positiven Trend auf, erreichen aber auch nicht das vorgegebene Ziel.55 Besonderer Bedeutung hat auch die Bewertung der Ausgleichbarkeit von Eingriffen in den Naturhaushalt. Rund ein Viertel der gefährdeten Biotoptypen gelten als nicht oder kaum regenerierbar, 28 Prozent als schwer regenerierbar und nur 21 Prozent als in überschaubaren Zeiträumen bedingt regenerierbar. Die künftige Entwicklung der Biotoptypen hängt von vielen Faktoren ab. Zu nennen sind hier vor allem der Klimawandel und die EUAgrarpolitik mit ihren zum Teil naturschutzwidrigen Fördertatbeständen. Von großer Bedeutung für die Sicherung von Lebensräumen ist die räumliche Vernetzung von Teillebensräumen. Doch die seit 2002 in Deutschland bestehende gesetzliche Verpflichtung, zehn Prozent der Landesfläche durch einen Biotopverbund zu vernetzen, ist noch immer unerfüllt. Eine besondere Rolle kommt hier dem Grünen Band entlang der früheren innerdeutschen Grenze zu. Biotopschutz beinhaltet alle Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Lebensräume von Pflanzen- und Tiergemeinschaften. Besonders positiv auswirken würde sich eine konsequente Umsetzung der FFH- und der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Davon sind wir leider noch weit entfernt. Ebenso große Bedeutung hat die konstruktive Einbeziehung der Landnutzer in den Biotopschutz. Gerade der Schutz von Lebensräumen, die auf Grund historischer Nutzung entstanden sind wie die meisten Offenlandbereiche stößt auf besondere Schwierigkeiten. Es ist unwahrscheinlich, 54 U n ser e Z ie l e Biotoppflege findet durch unterschiedliche Akteure statt, von der öffentliche Hand, über Verbände bis hin zu Privatpersonen. Besondere Verantwortung übernehmen dabei die Landschaftspflegeverbände, aber auch im Bundesamt für Naturschutz: Rote Liste der gefährdeten Biotoptypen Deutschlands (2006). 55 27 Indikatorenbericht 2010 zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, Nov. 2010, S.11ff. Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Bereich der Stadtplanung müssen Biotopschutz und -verbund stärker berücksichtigt werden. Alle Handelnden brauchen politische, finanzielle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, um wirksamen Biotopschutz realisieren zu können. Umdenken in vielen Bereichen – von der Land- und Forstwirtschaft über die Bauwirtschaft bis hin zur Verkehrsplanung. Dafür wollen wir die politischen Leitplanken setzen. Durch einen rechtsverbindlichen „Bundesnetzplan Biotopverbund“ wollen wir in Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern den Aufbau des Biotopverbundes ebenso voranbringen wie durch den Aufbau einer entsprechenden Bund-Länder-Koordination. Die in Frage kommenden Verbindungsflächen haben häufig noch keinen Schutzstatus. Hier wollen wir in den Ländern entsprechende Förderprogramme ermöglichen, die diese Verbindungsflächen durch Aufwertungsmaßnahmen in ihrer naturschutzfachlichen Ausstattung optimieren. Ein Bundesprogramm für die Wiedervernetzung ist hierfür ein besonders wichtiges unterstützendes Instrument (siehe Kapitel 5.8.). Wir müssen Biotopschutz und -pflege verbessern. Dazu wollen wir naturschutzfreundliche Nutzungen – wie Beweidung oder Streuobstwiesen – fördern. Auch alte Haustierrassen können hier ihren Einsatz finden: Schafbeweidung auf Halbtrockenrasen, Rinderbeweidung auf Grünland. Artenreiche Grünlandbestände wollen wir erhalten, ebenso die extensive Nutzung schwierig zu bewirtschaftender Lagen (Hanglagen, besonders trockene oder besonders nasse Standorte). Die durch Biotoppflege anfallende Biomasse wird oft noch aufwändig entsorgt, sie sollte nach Möglichkeit in Biogasanlagen oder Hackschnitzelanlagen aufgenommen werden. Das würde zur Finanzierung der Biotoppflege beitragen. Städtisches Grün muss so gestaltet und gepflegt werden, dass der Biotopverbund innerhalb der Stadt und mit Anschluss an das Umland gewährleistet ist. U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge : In Ko op e rat ion z wi s ch en B u nd un d Länd e r n Stärkere Förderung von landschaftspflegenden Bewirtschaftungsformen sowohl durch Agrar- als auch Naturschutzprogramme. Einbindung der Biotoppflege in die energetische Nutzung von Biomasse. Auflage eines „Bundesnetzplans Biotopverbund“ und Aufbau einer entsprechenden Bund-LänderKoordination. Der Biotopverbund als Länder übergreifendes System von Kernflächen, die mit linienhaften Korridoren oder Trittsteinbiotopen miteinander verbunden sind, wollen wir so ausgestalten, dass funktionsfähige ökologische Wechselbeziehungen in der Landschaft bewahrt, wiederhergestellt und entwickelt werden. Dadurch stellen wir sicher, dass der genetische Austausch zwischen Populationen, Tierwanderungen sowie natürliche Ausbreitungsund Wiederbesiedlungsprozesse ermöglicht werden. Grundlage dafür ist das vom Bundesamt für Naturschutz mit den Ländern erarbeitete Fachkonzept.56 In dieses müssen aber auch die Verbundflächen der Meeresgebiete integriert werden. Zugleich muss in der Europäischen Union auch die Mitgliedsstaaten übergreifende Zusammenarbeit vertieft werden. Damit der geplante Biotopverbund tatsächlich funktionieren kann, brauchen wir ein 56 U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antrag „Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren“ BT-Drucksache 17/6502 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Beitrag der Moore zum Klima-, Hochwasser- und Grundwasserschutz“ BT-Drucksache 17/7649 Antrag „Strategie für Klimaschutz im Verkehr vorlegen“ BT-Drucksache 17/4040 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Wiedervernetzung von Naturräumen“ BT-Drucksache 17/2399 Bundesamt für Naturschutz: Länderübergreifender Biotopverbund in Deutschland (2011) 28 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 bend. Danach haben die Mitgliedsstaaten dafür Sorge zu tragen, dass ihre Oberflächengewässer bis zum Jahre 2015 einen guten biologischen, hydromorphologischen und chemischen Zustand erreicht haben, erheblich veränderte Gewässer ein gutes ökologisches Potenzial und das Grundwasser eine gute chemische und mengenmäßige Qualität aufweisen. Die WRRL lässt bei der Zielerreichung leider Fristverlängerungen bis 2027 zu, die Deutschland vielfach in Anspruch nehmen wird. Die Datenerhebung ist in Deutschland unzureichend koordiniert und muss dringend optimiert und mit anderen Vorgaben wie der FFH-Richtlinie harmonisiert werden.61 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Der besondere naturschutzfachliche Planungsauftrag in der Planungspraxis für den Neubau von Verkehrswegen des Bundes“ BT-Drucksache 17/2032 5.4.4. GEWÄSSER- UND AUENSCHUTZ Pro b le m Natürliche und naturnahe Gewässer sind von herausragender Bedeutung für die Erhaltung der biologischen Vielfalt. In Flüssen, Bächen, Seen, Übergangs- und Küstengewässern finden zahlreiche Arten ihre Lebensräume. 57 Vielfältige Bemühungen im Bereich der Gewässerreinhaltung während der letzten Jahrzehnte haben die biologische Wasserqualität insgesamt verbessert. Besonders dazu beigetragen hat der Aus- und Neubau von Kläranlagen. Jedoch haben Verbauung und Entwässerung der Auen zu gravierenden Veränderungen der Gewässermorphologie 58 sowie zu einer Veränderung der natürlichen Abflussdynamik geführt, die wiederum eine strukturelle Verarmung und den Verlust an Artenvielfalt bewirkt. Die deutschen Fließgewässer sind durchschnittlich alle zwei Kilometer durch einen Querverbau59 für Organismen und Sedimente nicht mehr durchgängig. Diese Veränderungen, gepaart mit Nährstoffeinträgen aus der Landwirtschaft, Verschmutzungen aus Industrie und Siedlungen bis hin zur Abwärmeeinleitung, sind heute die wesentlichen Belastungsfaktoren unserer Gewässer.60 Die Einzugsgebiete der Flüsse als maßgebende Größe halten sich nicht an administrative und nationalstaatliche Grenzen, sondern folgen ökosystemaren Zusammenhängen. Deshalb ist eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen den Ländern und mit den Anrainerstaaten erforderlich. Bei der Aufstellung, Überprüfung und Aktualisierung der Bewirtschaftungspläne, die nach der WRRL für jede Flussgebietseinheit 62 zu erstellen sind, muss eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung sichergestellt werden. Alarmierend ist, dass sich nach den Bewertungsmaßstäben der WRRL zeigt , dass 2009 nur zehn Prozent der Wasserkörper einen guten oder sehr guten ökologischen Zustand erreichten – 39 Prozent bei den Seen, neun Prozent bei den Fließgewässern. Die Küstenund insbesondere die Übergangsgewässer verfehlten diesen Zustand nahezu vollständig. Für den schlechten Zustand ist insbesondere ein vom Menschen verursachtes Nährstoffüberangebot mit negativen Folgen wie Algenwachstum, Sauerstoffzehrung und Biodiversitätsverlust verantwortlich.63 Problematisch ist außerdem, dass Nutzer von Wasserdienstleistungen wie die Kühlung von Kraftwerken für diese Nutzung nicht aufkommen müssen. Für den Schutz der deutschen Gewässer ist die EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) maßge- In Deutschland gibt es ca. 9.900 Wasserkörper – 9.070 in Flüssen und Bächen, 710 in Seen, 5 in Übergangsund 74 in Küstengewässern. 58 Gewässermorphologie – Ausprägung eines Fließgewässers hinsichtlich seines Gewässerbettes, seines Ufers und seines Umlandes. In Deutschland unterscheidet man 25 verschiedene Gewässertypen, deren Vorkommen sich vom Alpenvorland bis zu den Meeresküsten erstreckt. 59 Zirka 200.000 Wehre insgesamt. 60 Indikatorenbericht 2010 zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, S.27. 57 Vgl. Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen „Umweltverwaltungen unter Reformdruck“, a.a.O., S. 36. 62 Das sind: Donau, Rhein, Maas, Ems, Weser, Elbe, Eider, Oder, Schlei/Trave, Warnow/Peene. 63 BMU (Hrsg.): Die Wasserrahmenrichtlinie – Ergebnisse der Bewirtschaftungsplanung 2009 in Deutschland. 61 29 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Bis auf den Rhein, die untere Elbe und einige Kanäle steht der Ausbau unserer Flüsse und die damit verbundene Zerstörung der Biodiversität in keinem Verhältnis zu ihrem tatsächlichen Nutzen als Schifffahrtsstraßen. zur Wiedergewinnung von 35.000 Hektar naturnaher Überflutungsflächen an der Elbe Hochwasserschäden im Umfang von durchschnittlich 6 Millionen Euro pro Jahr vermieden werden können. Die wiedergewonnenen Auenflächen vermindern gleichzeitig schädliche Nährstoffbelastungen des Gewässers und ersparen hierdurch alternativ erforderliche Maßnahmen zur Erreichung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie im Umfang von noch einmal 16 Millionen Euro jährlich.“65 Trotz der immensen Bedeutung der Grundwasservorkommen für die Wasserversorgung der Menschen und ihren immensen ökosystemaren Wert, gibt es für den Grundwasserschutz bisher noch immer ausschließlich chemische und mengenmäßige Parameter. Hier ist weitere Forschung erforderlich, um zu Kriterien für die Beurteilung und den Schutz der Grundwasserökosysteme zu kommen. U n ser e Z ie l e Wir wollen den Schutz der Gewässer und Auen deutlich verbessern und überall dort, wo möglich, Auen renaturieren und frei fließenden Flüssen Vorrang gewähren. Das erfordert tiefgreifende Veränderungen wie Nutzungsänderungen, Deichrückbauten und Rücknahmen von Flussbegradigungen, die sich nicht nur auf hydrologische Maßnahmen beschränken, sondern auch auf die Wiederherstellung der auentypischen Vielfalt gerichtet sein müssen. Auen brauchen keine Regelprofile, sondern sollen sich als Wildnis-Flächen entwickeln können. Hier sind vor allem Bund und Länder als Eigentümer von Auenflächen gefragt und für die Kontrolle des konsequenten Vollzugs verantwortlich. 66 Flüsse und ihre Auen stellen häufig überregional einzigartige Biotopverbundachsen dar. Sie gehören zu den artenreichsten, aber auch zu den gefährdetsten Lebensräumen überhaupt. Auen sind zudem Überflutungsräume, die wesentlich zum Schutz vor Hochwasserschäden beitragen. Ihren Zustand dokumentiert der Auenzustandsbericht von 2009.64 Bis 2020 sollen Fließgewässer und Auen in ihrer Funktion als Lebensraum gesichert werden, so dass eine naturraumtypische Vielfalt an Organismen und Biotopen gewährleistet ist. Konkret sollen die heute noch überflutbaren Teile der Flussauen von Rhein, Elbe, Donau, Weser, Ems, Oder, Maas sowie der direkten Zuflüsse zur Nord- und Ostsee erheblich vergrößert werden. Davon sind wir weit entfernt. Gemessen am Indikatorenwert zwischen null Prozent (alle Auen sind sehr stark verändert) bis 100 Prozent (alle Auen sind nur sehr gering verändert) ergibt sich für das Jahr 2009 ein Wert von 19 Prozent. Nur zirka zehn Prozent konnten als sehr gering verändert eingestuft werden. Vor allem der Rhein (13 Prozent) weist schlechte Werte auf. Wesentliche Ursachen sind die intensive landwirtschaftliche Nutzung der Auen, eine starke Einschränkung der Überschwemmungsräume durch Bautätigkeiten sowie der weit reichende Gewässerausbau. Dabei unterstreicht selbst der Umweltwirtschaftsbericht der Bundesregierung, dass „durch die Rückverlegung von Deichen 64 Ein zentrales Handlungsfeld hierfür ist eine Novelle des Hochwasserschutzgesetzes, in dem ein allgemeines Bau- und Nutzungsverbot der Überflutungsflächen (Auen) innerhalb eines bestimmten Korridors (mit Ausnahmen für Grünlandnutzung, Häfen, Anlegestellen usw.) eingeführt werden soll, sowie im Ausbreitungsgebiet eines 10-jährigen Hochwassers Restriktionen für Pestizide und Dünger, um eine Gewässerverunreinigung auszuschließen. Wir wollen die Umwandlung aller in öffentlichem Besitz befindlichen Gewässerrandstrei- Umweltwirtschaftsbericht 2011, Daten und Fakten für Deutschland http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/4210.pdf. 66 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Kontrolle des Hochwasserschutzes durch eine Bundesbehörde. Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 064/12. 65 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Auenzustandsbericht (2009). 30 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 fen in tatsächlich ungenutzte Renaturierungsflächen erreichen. Die Renaturierung muss Teil eines umfassenden Konzeptes zur Neuordnung der Bundeswasserstraßen werden. Auen in ein neues Bundeswasserstraßenkonzept. Striktere Durchsetzung der Bewirtschaftungsauflagen bei Gewässern und ihren Auen, die Teil des europaweiten Schutzgebietssystems Natura 2000 sind. Schnellstmögliche und vollständige Umsetzung der EUWasserrahmenrichtlinie mit Unterstützung durch eine Bund-LänderArbeitsgruppe, insbesondere für die Kostendeckung bei allen Wasserdienstleistungen im Sinne des Verursacherprinzips und für den Schutz von Gewässerrandstreifen. Die Mittel- und Oberelbe, als einer der letzten frei fließenden großen Flüsse in Deutschland, soll als einzigartige Flusslandschaft erhalten und in einen möglichst naturnahen Zustand überführt werden. Insgesamt muss – auch an anderen Flüssen wie der Donau – eine ehrliche Bilanz gezogen werden: Wie viel Transport erträgt der Fluss ohne an biologischer Vielfalt zu verlieren? Dabei soll auch die Arbeit der internationalen Gewässerkommissionen an Rhein, Mosel, Donau, Elbe und Oder gestärkt werden, denn Flussökologie und Hochwasserschutz können hier nur gemeinsam mit den Nachbarländern sinnvoll vorangebracht werden. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antrag „Elberaum entwickeln - Nachhaltig, zukunftsfähig und naturverträglich“ BTDrucksache 17/4554: Die Wasserrahmenrichtlinie muss endlich konsequent umgesetzt werden. Alle Wasserdienstleistungen müssen nach dem Verursacherprinzip bezahlt werden. Dazu zählen neben der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung unter anderem die Wasserentnahme zur Kühlung von Industrieanlagen oder zur Bewässerung in der Landwirtschaft. Antrag „Auenschutzprogramm vorlegen“ BTDrucksache 17/1760 Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Privatisierung von bundeseigenen oberirdischen Gewässern BT-Drucksache 17/653 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Fischwanderhilfen an Bundeswasserstraßen – Finanzierung und Umsetzung“ BT-Drucksache 17/4481 Uns ist klar: Alle Maßnahmen im Gewässerund Auenschutz werden nur dann weit reichende Wirksamkeit entfalten, wenn die Landwirtschaft ebenso konsequent dazu beiträgt. Insbesondere Gewässerrandstreifen müssen besonders geschützt werden. Antwort auf unsere kleine Anfrage „Beitrag der Moore zum Klima-, Hochwasser- und Grundwasserschutz“ BT-Drucksache 17/7649 Antrag „Strategie für Klimaschutz im Verkehr vorlegen“ BT-Drucksache 17/4040 U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge Antwort auf unsere kleine Anfrage „Erneute Mahnung Deutschlands durch die EUKommission wegen unzureichender Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie“ BTDrucksache 17/8036 Bu nd Novelle des Hochwasserschutzgesetzes, um Vorrang für frei fließende Flüsse bzw. deren Renaturierung und den Auenschutz zu gewährleisten sowie Auflage eines nationalen Fluss- und Auenprogramms. Ökologische Integration der Bundeswasserstraßen in den Gewässerschutz; Einbeziehung der Schwerpunkte Hochwasserschutz und Renaturierung von 31 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 5.4.5. SCHUTZ DER BIODIVERSITÄT IN OST- UND NORDSEE tiert wird und das Problem deutlich höher ist als bekannt. Schon seit Jahren muss der Bestand von Schweinswalen in der zentralen Ostsee als akut bestandsgefährdend eingestuft werden. Pro b le m Deutschland hat rund 40 Prozent seiner Meeresfläche in Nord- und Ostsee als Schutzgebiet nach der Fauna-Flora-Habitat- oder Vogelschutzrichtlinie ausgewiesen. Dies ist in Europa bislang einmalig. Bis auf wenige fehlende Flächen sind damit national die schützenswerten Gebiete formal unter Schutz gestellt. Doch der tatsächliche Schutz, der daraus resultiert, ist sehr unterschiedlich und insgesamt unzureichend. So darf noch immer uneingeschränkt in den Natura 2000-Gebieten gefischt werden; Eingriffe wie Kiesabbau oder die Errichtung von Bauten müssen zwar auf die Vereinbarkeit mit dem Schutzziel überprüft werden, werden aber häufig dennoch durchgeführt. Ein Teil der Natura 2000Gebiete sind gleichzeitig Nationalparke, in denen über den Arten- und Lebensraumschutz hinaus auch umfassender Gebietsschutz das Ziel ist. Die Hürden für Eingriffe sind hier höher. Darüber hinaus sind aber auch Schutzgebiete für die Sicherung der Bestände von empfindlichen Seevogelarten, Bodentieren, Fischen, Kleinwalen und Robben von großer Bedeutung. Die Natura2000-Gebiete müssen Tabuzonen für die Offshore-Windkraft sein bzw. bleiben. Die ökologischen Belastungen aller Offshore-Anlagen müssen umfassend erfasst, geprüft und so gering wie irgend möglich gehalten werden. Das gilt ebenso für Sandund Kiesabbau, Öl- und Gasexploration und eine Reihe von fischereilichen Nutzungen wie Muschelkulturen. Entsprechend der EU-Meeresstrategierahmenrichtlinie sollen die deutschen Meeresgebiete bis 2020 einen „guten Umweltzustand“ erreichen. Dazu ist es notwendig, die bisher isoliert betrachteten Bereiche – zum Beispiel Schifffahrt, Fischerei, Offshore-Energie, Meeresschutz und Entwicklung der Küstenregionen – übergreifend in einen Nutzungs- und Schutzzusammenhang zu stellen. Zunächst muss aber der „gute Umweltzustand“ definiert werden. Noch findet aber in den Schutzgebieten umweltschädliche Fischerei – zum Beispiel mit Grundschleppnetzen oder Stellnetzen – statt. Sande und Kiese werden abgebaut. Planungen, Öl- und Gasvorkommen weiter auszubeuten oder CO2-Verpressungen vorzunehmen, sind nach wie vor nicht vom Tisch. Die Meeresökosysteme werden durch den Klimawandel besonders gestresst. Die Meere werden wärmer und nehmen die Kohlenstoffdioxid-Mengen auf. Die dadurch resultierende Versauerung der Meere entzieht Organismen mit Kalkgehäuse (Korallen, Kieselalgen) die Lebensgrundlage.67 Meeressäugetiere wie Robben, Wale, Delfine sind durch Fischerei, Verkehr, Verschmutzung und Baumaßnahmen erheblich bedroht. Dabei ließen sich die Auswirkungen mit technischen Maßnahmen in vielen Fällen deutlich lindern. So sollten beim Bau von Windenergieanlagen Lärmschutzvorkehrungen verbindlich eingesetzt und in der Fischerei der Beifang durch naturschonende Fangtechniken reduziert bzw. ausgeschlossen werden. Gerade die Beifang-Problematik, die auch Seevögel und andere Meeresorganismen betrifft, erfordert eine bessere Kontrolle und Dokumentation, um die Maßnahmen optimal anpassen zu können. Bislang ist davon auszugehen, dass nur ein Teil des Beifangs dokumen- Die fehlenden physischen Grenzen zwischen unterschiedlichen Meeresgebieten legen aber auch andere Schutzmaßnahmen als die rein flächengebundene Ausweisung von Schutzzonen nahe. So beweisen Maßnahmen zur zeitlichen Einschränkung der Fischerei bzw. Ausschlusszeiten, dass sie zur Erholung der Bestände beitragen. In Verbindung mit weniger 67 32 Umweltbundesamt (Hrsg.): Klimawandel und marine Ökosysteme: Meeresschutz ist Klimaschutz, DessauRoßlau, 2009. Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 zerstörerischen und schädigenden Fangmethoden als beispielsweise Grundschleppnetzen ließe sich bereits eine erhebliche Entlastung für die Meeresökosysteme erreichen. Beispiele finden sich neben Fischfallen und Reusen vor allem in der Gestaltung und Beschwerung der Netze.68 Die Erforschung und Entwicklung umweltverträglicher Fangmethoden wird in Deutschland leider noch vernachlässigt. 2000-Gebieten und die Möglichkeit zur Schaffung fischerei- und nutzungsfreier Zonen einschließen. Wir wollen die EU-Fischereipolitik nachhaltig ausrichten. Die festgelegten Gesamtfangmengen dürfen die wissenschaftlichen Empfehlungen nicht mehr übersteigen. Die Beifänge müssen deutlich vermindert werden. Die Fangkapazitäten müssen europaweit an nachhaltige und bestandssichernde Fangmengen angepasst werden. Wir wollen die Entwicklung und Umstellung auf schonende Fangtechniken fördern. Für besonders gefährdete Arten wie Hummer, europäische Auster oder europäischen Stör sind gezielte Aufbauprogramme notwendig. Die Europäische Fischereipolitik (GFP) konnte immer noch nicht für alle kommerziell genutzten Fischbestände in Nord- und Ostsee sicherstellen, dass sie bestandserhaltend und ökologisch nachhaltig befischt werden. Der EU-Fischereirat legt immer noch alljährlich höhere Gesamtfangmengen fest als von den Wissenschaftlern empfohlen wird. Die Folgen sind nicht nur für die Meeresumwelt fatal, sondern auch für die Fischerei, die bei höherem Fischereiaufwand geringere Fänge hat. Die Bestandserholung bei Fischarten, die in den letzten Jahren bereits schonend befischt wurden, belegt die Wirksamkeit einer nachhaltigen Fischereipolitik und die Widersinnigkeit einer Politik der Überfischung. Wir wollen die neuen Möglichkeiten und Herausforderungen der EU-MeeresstrategieRahmenrichtlinie nutzen, um durch konsequente Umsetzung von Maßnahmen in den deutschen Meeresgebieten bis 2020 einen „guten Umweltzustand“ zu erreichen. Die umweltverträgliche Nutzung von Rohstoffen, die Verringerung von Nährstoff- und Müllbelastungen sowie Mindestanforderungen an Schifffahrt und Off-Shore Windkraft sind hierfür die wichtigsten Schwerpunkte.69 Darüber hinaus sind Nord- und Ostsee vielfältigen anderen Gefährdungen ausgesetzt: Havarien von Öltankern und Gefahrgutfrachtern, diverser Müll, Überdüngung, Schadstoffeinträge, Unterwasserlärm von seismischen Untersuchungen, Baumaßnahmen, militärische Aktivitäten oder Sprengungen, Einschleppung von Fremdorganismen durch Schifffahrt oder Aquakultur. Wir wollen ein effektives Monitoring aller marinen Lebensräume und Arten und aller genutzten Meeresorganismen aufbauen. Das ist die Voraussetzung für eine Wiederherstellung von geschädigten Meereslebensräumen. Überwachung und Kartierung sind auch für die Lärmbelastung (Quellen und Höhe der Belastung) notwendig, um die Einhaltung von Grenzwerten sicherstellen zu können. U n ser e Z ie l e Für Wildfänge wollen wir eine glaubwürdige und wissenschaftlich belastbare Zertifizierung (z. B. durch das Marine Stewardship Council MSC) stärken, die es Verbraucherinnen und Verbrauchern erlaubt, zu erkennen, welche Angebote ökologisch verträglich sind. Wir wollen effektive Maßnahmen zum Schutz von Arten und Lebensräumen und zur Sicherung der natürlichen ökologischen Abläufe insbesondere in den Meeresschutzgebieten ergreifen. Dies muss auch europaweit einheitliche Regelungen zur Fischerei in Natura 68 U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge : Bernd Mieske: Alternative Fangmethoden aus der Sicht der Fischereiforschung. In: Informationen aus der Fischeriforschung, 54 (2007), S. 46–50; DOI: 10.3220/Infn54_46-50_2007; Antrag 16/1151: UNMoratorium für die Grundschleppnetzfischerei auf der Hohen See durchsetzen. 69 33 Schifffahrt verbindet. Fraktionsbeschluss vom 13.12.2011 http://www.gruenebundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/399/399246.schifffahrt .pdf Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Bu nd, Lä nd e r u nd E u r opä i sc h e Un io n Fraktionsbeschluss „Schifffahrt verbindet“ vom 13.12.2011 Nachhaltige Nutzung von Meeresorganismen, insbesondere durch umfassendes Monitoring aller genutzten Arten und die Förderung einer glaubwürdigen NachhaltigkeitsZertifizierung für Wildfänge, die Ausrichtung der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU an wissenschaftlichen Erkenntnissen, den Wiederaufbau übernutzter Bestände bestimmter Arten sowie nutzungsfreie Zonen. Anerkennung von Schutzgebieten als Sperrzonen für den Rohstoffabbau im Meer und Verankerung von Haftungsregeln für Umweltschäden durch Rohstoffabbau im Meer über eine EUVerordnung. Antrag „Rohstoffförderung im Meer - Aus der Katastrophe lernen“ BT-Drucksache 17/3662 Antrag „Chancen der EU-Fischereireform 2013 nutzen und Gemeinsame Fischereipolitik grundlegend reformieren“ BT-Drucksache 17/3209 Antrag „Ölkatastrophen vermeiden - Raubbau an Mensch und Natur ausschließen“ BTDrucksache 17/1572 Antrag „Schutz der Meere vor Vermüllung und anderen Verschmutzungen“ BT-Drucksache 17/1763 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Umsetzung des Strategischen Plans der UNBiodiversitätskonvention, insbesondere im Meeresschutz“ BT-Drucksache 17/5578 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Umsetzung des ASCOBANS-Abkommens und Schutz von Kleinwalen in Deutschland“ BTDrucksache 17/5009 Bu nd un d Lä nd e r Effiziente Rechtsverordnungen und Managementpläne für alle marinen Natura 2000-Gebiete einschließlich nutzungsfreier Zonen sowie umgehender effektiver Schutz der vom Aussterben bedrohten SchweinswalPopulationen in der zentralen Ostsee vor Beifängen in der Fischerei und Unterwasserlärm; ebenso konsequenter Schutz des Bestandes in der westlichen Ostsee und Nordsee. Verbindlicher Schutz vor Umweltbelastungen im Meer durch ein gesetzliches Verbot der Ölförderung im Watt und in der Tiefsee, konsequenten Lärmschutz, Lotsenpflicht in schwierigen Passagen (Kadettrinne), bestmöglichen Artenschutz bei allen genehmigten und geplanten Windenergieanlagen sowie verstärkte Bekämpfung des Plastikmülls im Meer. Stärkung des Meeresnaturschutzes in Behörden, Forschung und Lehre (siehe Kapitel 5.12.). Antwort auf unsere kleine Anfrage „Vorbeugung von Ölhavarien im Meer“ BT-Drucksache 17/6979 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Präsidentschaft Deutschlands im Ostseerat“ BTDrucksache 17/6408 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie“ BT-Drucksache 17/4765 5.4.6. WALDSCHUTZ Pro b le m Von der ursprünglichen Naturausstattung her ist Deutschland ein (Buchen-)Waldland: Deutschland wäre ohne menschliche Besiedlung fast vollständig bewaldet. Die vorherrschende Waldbaumart wäre die Buche. Auch heute noch ist knapp ein Drittel der Landfläche Deutschlands mit Wäldern bedeckt, wenn auch die allermeisten davon vom Menschen bewirtschaftete Forste sind. Der Buchenwaldanteil liegt jedoch bei nur 15 Prozent, während mehr als 50 Prozent Nadelwälder sind. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n 34 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Wälder erfüllen vielfältige gesellschaftliche und ökologische Funktionen. Zunehmend wächst das Verständnis dafür, dass Wälder eine eminent hohe Bedeutung für die Bewältigung der Herausforderungen des Klimaschutzes haben. Sie sind aber auch in besonderer Weise vom Klimawandel betroffen. Gesunde Wälder sind entscheidende Faktoren für die Erhaltung ökosystemarer Leistungen, die die Grundlage jeden Lebens bilden, wie z. B. die Wasserspeicherung, die Luftreinhaltung und die Erhaltung fruchtbarer Böden. Als Lieferant des nachwachsenden Rohstoffes Holz sind Wälder eine der Grundlagen für den Wohlstand der Menschen. Und nicht zuletzt sind Wälder Ziel vieler gesunder Freizeitaktivitäten und von hohem kulturellen Wert. lung, Klimaschutz und der Schutz waldtypischer Biotope drohen so mit der Holznutzung in Konflikt zu geraten. In vielen Teilen der Welt zerstört die Holzwirtschaft durch Raubbau und Übernutzung einzigartige Biotope und Urwälder. So sägt die Forstwirtschaft im wahrsten Sinne des Wortes an dem Ast, auf dem sie selber sitzt. Auch die inländischen Potenziale für Waldholz sind bereits weitgehend ausgeschöpft und auf Teilflächen bereits übernutzt. Laut Inventurstudie des Bundes wurden in den Jahren 2002 bis 2008 durchschnittlich knapp 107 Millionen Kubikmeter Holz und damit 93 Prozent des Zuwachses durch Holzeinschlag und natürlichen Abgang abgeschöpft. Diese Zahl dürfte seither noch gestiegen sein, so dass die Wälder in Deutschland ihre Senkenfunktion für Kohlenstoff weitgehend verloren haben. Wenn die Holznachfrage weiter steigt, dann wird es also früher oder später zu einem Vorratsabbau in deutschen Wäldern kommen. Dabei wäre bereits eine vollständige Ausnutzung des Zuwachses mit erheblichen Problemen verbunden. Denn es gibt nach den kriegs- und nachkriegsbedingten Kahlschlägen sowie nach der Kahlschlagforstwirtschaft und den Stürmen der letzten Jahrzehnte noch sehr viele junge Wälder, deren Holzvorrat nach Umsetzung des Kahlschlagverbots noch einige Jahrzehnte aufwachsen muss. Außerdem soll aus Gründen des Biodiversitätsschutzes ein Teil der Wälder aus der Nutzung genommen werden. Um der überragenden Bedeutung der Wälder gerecht zu werden, sieht die nationale Biodiversitätsstrategie vor, dass bis 2010 80 Prozent der Waldflächen nach hochwertigen ökologischen Standards zertifiziert und bis 2020 zehn Prozent des Privatwaldes in Programme des Vertragsnaturschutzes eingebunden sein sollen. 2009 lag der Zertifizierungsanteil bei 69 Prozent für PEFC und bei vier Prozent für das ökologisch anspruchsvollere FSC. Vertragsnaturschutz spielt im Wald nach wie vor kaum eine Rolle. Deutschland steht insbesondere bei den Buchenwäldern in der Pflicht. Alte, natürliche Buchenwälder zählen heute zu den weltweit stark bedrohten Lebensräumen. Deutschland beherbergt etwa ein Viertel des natürlichen Verbreitungsgebiets der Rotbuche. Zahlreiche Buchenwaldtypen gibt es nur hier. Deutschland muss daher die Erhaltung und die großflächige Entwicklung natürlicher und naturnaher Buchenwälder gewährleisten. Als ein Beitrag dazu wurde im Juni 2011 ein Netz von fünf Buchenwald-Schutzgebieten – die „Alten Buchenwälder Deutschlands“ – als UNESCOWelterbe anerkannt. U n ser e Z ie l e Wir wollen dem Ökosystem Wald wieder mehr Raum für natürliche Entwicklungsprozesse geben. Daher wollen wir, dass fünf Prozent der Waldfläche der natürlichen Entwicklung überlassen werden. Hier ist in erster Linie die öffentliche Hand in der Pflicht. Zehn Prozent der Waldflächen des Bundes und der Länder sollen sich als Wildnis entwickeln können. In allen Wäldern muss ein Mindestmaß an Totholz und Biotopbäumen verbleiben, um den Arten, die an verschiedene Alters- und Zerfallsstufen von Bäumen gebunden sind, Lebensräume zu sichern. Der Holzvorrat in den Wäldern soll weiter wachsen. Die Nachfrage nach Holz als nachwachsendem Rohstoff wird angesichts der Endlichkeit der fossilen Rohstoffe zukünftig weiter steigen. Sowohl bewirtschaftete als auch bisher unbewirtschaftete Wälder geraten deshalb bereits heute zunehmend unter Druck. Erho35 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Wir wollen eine rechtsverbindliche gute fachliche Praxis für die Forstwirtschaft in das Bundeswaldgesetz einführen, die u. a. Regelungen zu Kahlschlagverbot, Bodenschutz, Naturverjüngung, Biotopbaumschutz, Baumartenauswahl und Totholz verankert. Besondere Waldtypen wie Berg- oder Auwälder müssen dabei in ihrer lokalen Bedeutung und mit ihren spezifischen Anforderungen besonders berücksichtigt werden. Begleitet werden soll dies von zusätzlichen Maßnahmen, z. B. im Rahmen des Vertragsnaturschutzes. Wir wollen einen raschen Umbau naturferner und instabiler Nadelholzforste in stabilere Laubund Mischwälder. Den Einsatz gentechnisch veränderter Baumarten lehnen wir entschieden ab. Jagdzeiten, angepasst an wildbiologische Erkenntnisse und ohne bleihaltige Munition. U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge : Bu nd Novelle des Bundeswaldgesetzes zur Verankerung der guten fachlichen Praxis, orientiert an einer naturnahen und ökologisch verträglichen Waldbewirtschaftung. Ökologisierung der nationalen Waldfördermaßnahmen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) mit Anreizen zum Waldumbau und der Honorierung von Wald-Umwelt-Maßnahmen und des Schutzes der Wälder im Natura 2000Netzwerk. Stopp der Privatisierung der Bundesforsten, sofern sie nicht Naturschutzzielen dient Bis zur Umsetzung des 5 Prozent Ziels für natürliche Wälder ein befristeter Einschlagstopp (Moratorium) für alte Wälder in der Hand des Bundes in entsprechender Größenordnung Unser Ziel ist es, den knappen Rohstoff Holz so nachhaltig und naturverträglich wie möglich bereitzustellen, ihn aber auch so sparsam, intelligent und effizient wie möglich zu nutzen – insbesondere über langlebige Produkte und Kaskadennutzung. Wir wollen verhindern, dass unsere Wälder übernutzt werden und dass die biologische Vielfalt der Wälder in Gefahr gerät. Der Waldumbau weg von Altersklassenwäldern und Monokulturen hin zu Mischwäldern und naturnahen Dauerwäldern muss fortgeführt werden. Bu nd, Lä nd e r u nd Ko mmu n e n Weitestgehende Zertifizierung der Wälder des Bundes und der Länder nach FSC. Gezielter Ausbau des bestehenden Netzes an Wald-Schutzgebieten – insbesondere das an Naturwaldzellen, Naturwäldern und Nationalparks – und Umsetzung des Ziels der Nationalen Biodiversitätsstrategie einer natürlichen Waldentwicklung auf fünf Prozent aller Waldflächen und auf zehn Prozent aller staatlichen Waldflächen. Dabei muss sichergestellt werden, dass nur Flächen angerechnet werden, bei denen dauerhaft auf forstwirtschaftliche Nutzung verzichtet wird. Unterstützung privater Waldbesitzer durch Vertragsnaturschutzmaßnahmen, Waldumweltmaßnahmen und Öffentliche Waldbesitzer sollen sich nach hochwertigen ökologischen Standards zertifizieren lassen. Die Öffentlichkeit muss für die Inhalte der Zertifizierung sensibilisiert werden, damit durch einen verantwortungsvollen Einkauf die Nachfrage nach zertifiziertem Holz steigt. Einen weiteren Verkauf von Bundesforsten lehnen wir ab. Die Übertragung von Bundesforsten an Träger des Naturschutzes soll weiter möglich sein. Die Tierbestände (insbesondere Rehe und Hirsche) müssen eine flächendeckende natürliche Verjüngung des Waldes ermöglichen. Voraussetzung dafür ist der Verzicht auf Maßnahmen, die zu überhöhten Tierbeständen führen, und bei hohen Wildschäden eine ökologische und effektive Jagd mit kurzen 36 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Ausgleichszahlungen im Rahmen von Natura 2000 durch ELER und GAK. Überarbeitung der guten fachlichen Praxis für die Forstwirtschaft in den Landeswaldgesetzen. Überarbeitung des Bundesjagdgesetzes und des Jagdrechts der Länder unter naturschutz- und tierschutzpolitischen und waldbaulichen Prämissen. Einführung bzw. Überarbeitung der Holzbeschaffungs-Richtlinien von Bund, Ländern und Kommunen, um die Beschaffung von Holz und Holzprodukte auf solche zu beschränken, die nach hochwertigen ökologischen Standards zertifiziert sind. den71 ist ein Lebensraum, der über einen enormen Genpool verfügt. Ein Gramm Boden enthält Milliarden von Mikroorganismen (Bakterien, Pilze, Algen, Einzeller). Unter einem Quadratmeter Boden leben Hunderttausende bis Millionen von Bodentieren, wie Fadenwürmer, Regenwürmer, Milben, Asseln, Springschwänze und Insektenlarven. Das ergibt auf einen Hektar zirka 15 Tonnen Lebendgewicht.72 Die Rolle, die diese Organismen im Boden spielen, ist hoch komplex; vieles ist noch unerforscht.73 Klar ist jedoch, dass einem intakten Bodenleben eine Schlüsselrolle bei den natürlichen Bodenfunktionen zukommt. Bodenorganismen – vor allem Mikroorganismen – bauen abgestorbene Biomasse wieder ab, und spielen so eine bedeutende Rolle bei der Humusund Bodenbildung und der Erschließung von Stoffen für das Pflanzenwachstum. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e n t ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antwort auf unsere kleine Anfrage „Umsetzung des 5-Prozent-Ziels für Wälder mit natürlicher Entwicklungsdynamik (Naturwalderbe)“ BT-Drucksache 17/6021 Die Erfassung der Bodenbiologie erfolgt über die Ermittlung der Individuendichte bodentypischer Organismen, der Biomasse und der Artenvielfalt. Bodenbiologische Untersuchungen werden auf Bodendauerbeobachtungsflächen (BDF) durchgeführt. Das Leben im Boden ist u. a. ein Indikator dafür, ob die Landwirtschaft zur Erhaltung oder Förderung der biologischen Aktivitäten beiträgt oder nicht. Hinsichtlich der Indikatoren eines guten ökologischen Zustands und der biologischen Vielfalt von Böden besteht noch großer Forschungsbedarf. Antrag „Schaffung eines Naturwalderbes vorbereiten und Moratorium für die Privatisierung von Bundeswäldern erlassen“ BTDrucksache 17/796 Antrag „Das Bundeswaldgesetz novellieren und ökologische Mindeststandards für die Waldbewirtschaftung einführen“ BTDrucksache 17/1586 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Holzmobilisierung aus dem Kleinprivatwald“ BTDrucksache 17/7925 5.4.7. Bodendegradationen sind nicht bzw. nur in sehr langen Zeiträumen und zu sehr hohen Kosten reversibel. Bodenversiegelung bedeutet Verlust an natürlichen Lebensräumen. 74 Der Schutz des Bodens vor Schadstoffen, die über die Luft und das direkte Aufbringen auf Böden eingetragen werden, muss deutlich BODENSCHUTZ Pro b le me Böden sind kostbare und unentbehrliche Voraussetzung unserer menschlichen Existenz. Sie sind Grundlage vieler Ökosystemfunktionen und wirtschaftlicher Nutzungen.70 Bo- 70 Boden – die an der Erdoberfläche entstandene, mit Luft, Wasser und Lebewesen vermische Verwitterungsschicht aus mineralischen und organischen Substanzen. 72 „Biodiversität im Boden“ von Dr. Frank Glante, Umweltbundesamt. 73 Siehe: „Böden begreifen!“ in: Durch Umweltschutz die biologische Vielfalt erhalten, Umweltbundesamt o.J. 74 „Wege zu einer nachhaltigen Flächenpolitik“ – Fraktionsbeschluss vom 10.05.2011 71 Vgl. „Umweltschutz im Zeichen des Klimawandels“, Umweltgutachten 2008 des Sachverständigenrates für Umweltfragen, Bundestags-Drucksache 16/9990, 6. Kapitel „Bodenschutz“. 37 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 verbessert werden.75 Jede Maßnahme zum Schutz vor Verdichtung, Erosion, Versalzung und Versauerung schützt die BodenBiodiversität.76 Für die dabei notwendige Bewertung der Lebensraumfunktion von Böden muss dringend ein Konzept erarbeitet werden, das auch Untersuchungen zur Verbreitung von Lebensgemeinschaften einschließt. Die Datenbasis hierfür muss deutlich verbessert bzw. geschaffen werden. In der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt wird die Bodenbiologie bisher noch unzureichend berücksichtigt.77 In den Handlungsfeldern werden lediglich Ziele gesetzt, zum Beispiel die Verringerung der Stoffeinträge, durch die indirekt auch die Bodenorganismen geschützt werden. Die verstreuten rechtlichen Vorschriften im Bodenschutz-, Naturschutz- und Düngerecht müssen dafür besser auf einander abgestimmt werden. Beispielsweise müssen die Grenzwerte für den Eintrag von Schadstoffen in Böden in den einzelnen Rechtsbereichen harmonisiert werden, um ein einheitliches Schutzniveau zu gewährleisten.79 Auf europäischer Ebene wird in der Thematischen Strategie für den Bodenschutz 78 der Verlust von Biodiversität als Gefahr bezeichnet; deshalb sollten entsprechende Maßnahmen eingeleitet und Projekte im künftigen EU-Forschungs-Rahmenprogramm „Horizont 2020“ gefördert werden. Ein zentraler Baustein der EU-Bodenschutzstrategie – die Verabschiedung einer Rahmenrichtlinie – kommt allerdings nicht voran, weil Deutschland diese unter der Großen Koalition und unter der jetzigen Bundesregierung grundsätzlich ablehnt und blockiert. Das muss sich ändern. Wir setzen uns dafür ein, dass die BodenDauerbeobachtung erhalten und ausgebaut wird, damit für die Biodiversität wichtige Organismengruppen wie Käfer, Spinnen und Milben erfasst werden. Dringend verbessern wollen wir die Bodenforschung, insbesondere zur Entwicklung von Indikatoren und Kriterien zur Beschreibung einen guten ökologischen Zustands und für die Auswirkungen der Landwirtschaft auf den Zustand der Böden. Eine Verbesserung der Situation der Böden ist jedoch nicht allein durch Gesetze und Verwaltungshandeln sicherzustellen. Es gilt auch, die Öffentlichkeit einzubeziehen und ein entsprechendes Bewusstsein für den Wert der Böden zu schaffen. Um Risiken für Mensch und Umwelt besser erkennen und abbauen zu können, müssen Daten zu Altlasten auf Ebene der Länder erhoben und in bundesweit kompatiblen Katastern erfasst werden.. U n ser e Z ie l e U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge Wir setzen uns für lebendige und intakte Böden ein und wollen Bodenqualität und Bodenfruchtbarkeit erhalten. Der vorsorgende Schutz der Lebensraumfunktion der Böden muss verbessert werden. Wichtige Schritte dahin wären, dass der Bodenschutz viel stärker in die Gestaltung der guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft einbezogen und verbindlicher Teil der fachübergreifenden Verträglichkeitsprüfungen (SUP, UVP) wird. Bu nd Überarbeitung des Bundesbodenschutzgesetzes und des Düngerechts unter zentraler Berücksichtigung des Biodiversitätsschutzes und Schaffung von Kohärenz mit dem Bundesnaturschutzgesetz (insbesondere der Eingriffsregelung) und den zugehörigen Prüfverfahren. Verstärkte Förderung der Forschung zur biologischen Vielfalt der Böden und deren Gefährdung sowie anwenderorientierte Weitergabe der Erkenntnisse. Umweltgutachten 2008, S.269. Vgl. Nationale Biodiversitätsstrategie C 10. 77 Vgl. Nationale Biodiversitätsstrategie B 2.5 78 EU-Kommission 2006. 75 76 79 38 Derzeit gelten z. B. für Klärschlämme höhere Grenzwerte als für Düngemittel und Bioabfälle. Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Zustimmung zur europäischen Bodenrahmenrichtlinie und deren zügige Umsetzung. tisch ausfallen als in vielen anderen Teilen der Erde: auch hierzulande sind die Auswirkungen des Klimawandels längst spürbar. Charakteristische Frühlingsereignisse, wie z. B. der Vogelzug oder die Vegetationsentwicklung verlagern sich früher in das Jahr, das Zusammenspiel von Lebensgemeinschaften, wie z. B. bei der Bestäubung oder der Nahrungsverfügbarkeit werden gestört. Neuartige, bisher regional untypische Pflanzenkrankheiten bedrohen die Erträge der Land- und Forstwirtschaft. Nach den Prognosen für die weitere Erderwärmung in Deutschland werden vor allem die Sommer im Süden heißer und im Osten noch trockener als bisher. Die Winter werden vor allem im Süden und Südwesten deutlich wärmer und sehr viel niederschlagsreicher sein.81 Auch bei Einhaltung des Ziels, den Temperaturanstieg auf maximal zwei Grad zu begrenzen, sind weitere negative Folgen für die biologische Vielfalt absehbar, insbesondere weil viele Arten und Ökosysteme durch die ohnehin vielfältigen Umweltbelastungen auf zusätzliche Veränderungen besonders empfindlich reagieren können. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antrag „Blockade beim Bodenschutz aufgeben – EU Bodenschutzrahmenrichtlinien voranbringen“ BT-Drucksache 17/3855 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Aktivitäten der Bundesregierung zum konsequenten Schutz des Bodens auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene“ BTDrucksache 17/8478 5.5. KLIMAWANDEL, ENERGIEWENDE UND BIODIVERSITÄTSSCHUTZ Pro b le m Der Klimawandel ist einer der wesentlichen Treiber des weltweiten Verlustes der biologischen Vielfalt. Seit Beginn der Industriealisierung hat sich die Erde bereits um 0,7 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau erwärmt. Gleichzeitig steigt der globale CO2 Ausstieg weiter an und erreicht von Jahr zu Jahr neue Rekordwerte. Die Geschwindigkeit des menschgemachten Klimawandels stellt eine kaum zu bewältigende Herausforderung für die Anpassungsfähigkeit der Natur dar. Liefen Temperaturänderungen in der Vergangenheit meist in sehr langen Zeiträumen ab, die der Natur die Chance auf Anpassung gaben, ändert sich derzeit die globale Temperatur rasant innerhalb von wenigen Jahrzehnten. Der Weltklimarat kommt in seinem 4. Sachstandbericht aus dem Jahr 2007 zu dem Ergebnis, dass je nach betrachtetem Szenario lokal zwischen 20 und 60 Prozent der Tier- und Pflanzenarten massiv vom Aussterben bedroht sind.80 Klimawandel und Biodiversität hängen auch in weiteren Belangen sehr eng zusammen. Wälder, Moore und Böden sind riesige Kohlenstoffspeicher. Sie fungieren als natürliche Kohlenstoffsenken, die der Atmosphäre CO2 entziehen. Werden solche Ökosysteme zerstört, tritt der gegenteilige Effekt ein: Allein die Abholzung der tropischen Wälder ist für rund ein Fünftel der vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich und damit ein massiver Treiber des Klimawandels82. Auch in Deutschland hat die Senkenkapazität der Wälder für CO 2 durch die Nutzung abgenommen (siehe Kapitel 5.4.6.). Der Schutz der Biodiversität und natürlicher Lebensräume kann aber auch einen erhebli- Umweltbundesamt, Klimaauswirkungen und Anpassung in Deutschland – Phase 1: Erstellung regionaler Klimaszenarien für Deutschland 2008, http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/3513.pdf 82 EU Kommission 2008: Maßnahmen der EU gegen den Klimawandel, http://ec.europa.eu/clima/publications/docs/asia_de.p df 81 Auch wenn die Prognosen für den Klimawandel in Deutschland insgesamt weniger drama- 80 Klimaänderung 2007, Synthesebericht, http://www.de-ipcc.de/_media/IPCCSynRepComplete_final.pdf 39 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 chen Beitrag zur Anpassung an den nicht mehr zu vermeidenden Klimawandel leisten. So sind intakte Ökosysteme nicht nur unempfindlicher und anpassungsfähiger als vorgeschädigte Ökosysteme oder vom Menschen angelegte Monokulturen. Die Renaturierung von Mooren und Flussläufen z. B. stabilisiert den Wasserhaushalt der Landschaft und kann dadurch die Auswirkung von Extremereignissen deutlich mildern – und dies meist flexibler und kostengünstiger als durch rein technische und statische Maßnahmen. Gleichzeitig bezeichnet der Umweltwirtschaftsbericht der Bundesregierung Moorschutzmaßnahmen als „kostengünstige Variante zur Minderung von Klimagasemissionen. In günstigen Fällen (Entwicklung von Erlenbruchwäldern) betragen die Vermeidungskosten nur 0–2 Euro pro Tonne CO2“.83 den, der beide Seiten gleichermaßen berücksichtigt.84 U n ser Zi el Wir wollen dem Klimawandel wirksam begegnen und die Erderwärmung auf maximal zwei Grad begrenzen. Dazu wollen wir bis 2020 den Anteil erneuerbarer Energien im Stromsektor auf deutlich über 40 Prozent steigern und unsere nationalen Treibhausgasemissionen um mindestens 40 Prozent senken (bezogen auf 1990). Es ist unser Ziel, eine Minderung der Treibhausgasemissionen von mindestens 95 Prozent bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Bereits 2030 wollen wir unseren Strom zu 100 Prozent erneuerbar produzieren. Wir wollen, dass Deutschland ein echter Vorreiter im Klimaschutz wird und mit einer erfolgreichen Klimaschutzpolitik Vorbild für andere wird. Ein weiterer wichtiger Berührungspunkt zwischen Biodiversität und Klimawandel sind Zielkonflikte zwischen notwendigen Maßnahmen im Zusammenhang mit der begonnen Energiewende auf der einen Seite und den Anforderungen des Biodiversitätsschutzes auf der anderen Seite. Jeder Eingriff des Menschen hat mehr oder weniger unmittelbare und mittelbare Auswirkungen auf die Natur, also auch jedes im Zusammenhang mit der Energiewende aufgestellte Windrad (sowohl an Land als auch auf See) oder jede installierte Biogas- oder Wasserkraftanlage. Vor allem der Nutzung der Biomasse kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Denn Biomasse wird ausschließlich von Pflanzen und Tieren gebildet und ist, in ihrer Verfügbarkeit stark begrenzt. Zugleich bestehen hier Nutzungskonkurrenzen mit der Nahrungsmittelproduktion und der Nutzung für die Substitution erdölbasierter Produkte benötigt wird. Es muss also ein verantwortungsvoller Abwägungsprozess zwischen dem notwendigen Umbau der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energiequellen und den Anliegen des Natur- und Artenschutzes stattfin- 83 Wir wollen, dass der Schutz der Biodiversität und des Klimas sowohl international als auch national viel stärker zusammengedacht werden und die jeweiligen Zielerreichungsinstrumente enger miteinander verzahnt werden. Denn Klimaschutz heißt Erhaltung der Biodiversität und das gilt auch umgekehrt (siehe auch Kapitel 6.2.). Eine Bekämpfung der direkten negativen Folgen für die biologische Vielfalt durch die Begrenzung der weiteren Erderwärmung kann nur Erfolg haben, wenn auch Klimaschutz und Energiewende selbst im Einklang mit dem Naturschutz stehen. Dafür wollen wir die notwendigen Eingriffe in die Natur und auch die indirekten Folgen – egal ob an Land, in Binnengewässern oder zu See – auf ein vertretbares Maß begrenzen.85 Die Energiegewinnung in Schutzgebieten muss sich den Schutzzielen unterordnen. Positionspapier der Bundestagsfraktion: „Stoffliche und energetische Nutzung von Biomasse“, Seite 15 ff, 2011 http://www.gruenebundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/391/391070.biomasse. pdf 85 Fahrplan Energiewende; Broschüre 17/36 der Bundestagsfraktion; Energie 2050: Sicher, erneuerbar; Reader 17/23 der Bundestagsfraktion 84 Umweltwirtschaftsbericht 2011, Daten und Fakten für Deutschland http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/4210.pdf 40 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Insbesondere bei der der Nutzung der Biomasse wollen wir Raubbau an der Natur und falschen Umgang und Intensivierung auf land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen stoppen. In diesem Zusammenhang wollen wir die globale Entwaldung bis spätestens zum Jahr 2020 stoppen. Dazu bedarf es verlässlicher und verbindlicher Regeln, angemessener Finanzierung für die Erhaltung der Tropenwälder, die zusätzlich zu den Mitteln für die wirtschaftliche Zusammenarbeit bereitgestellt werden müssen.86 Int e rn at io na l Initiative der Bundesregierung und der EU für eine bessere Verzahnung der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und der Biodiversitätskonvention (CBD) auf der Ebene der Vereinten Nationen, um Synergien besser zu nutzen und kontraproduktive Entwicklungen zu vermeiden. Strategiewechsel in der internationalen Klimapolitik der Bundesregierung und der EU, hin zu einer Klimapolitik der unterschiedlichen Geschwindigkeiten (KLUG), in der Deutschland oder die EU auch in Allianzen und bilateralen Abkommen eine ambitionierte und naturverträgliche Klimapolitik umsetzen. Unser Ziel ist es, dass der Naturhaushalt der Erde erhalten bleibt und den Ökosystemen nur so viel Biomasse entzogen wird, wie diese es auch problemlos verkraften können. Über den gesamten Produktions- und Lebenszyklus des Produkts bzw. des Energieträgers muss außerdem eine positive Klimabilanz sichergestellt sein. Das heißt, dass geschlossene Kohlenstoffkreisläufe geschaffen und Kohlenstoffsenken geschaffen werden müssen. Nat i ona l Sicherstellung der notwendigen Finanzierung insbesondere solcher internationaler Projekte, die Klimaschutz, Anpassung und Erhaltung der Biodiversität verbinden, bis 2020 und darüber hinaus durch die Zusage konkreter und verbindlicher nationaler und europäischer Finanzierungsanteile im Rahmen eines nationalen Klimaschutzhaushaltes.88 Verabschiedung eines nationalen Klimaschutzgesetzes mit einer verbindlichen Festschreibung der nationalen Klimaziele von mindestens minus 40 Prozent bis 2020 und mindestens 95 Prozent bis 2050 im Vergleich zu 1990, sowie der dafür erforderlichen Zwischenziele. Ausbau der erneuerbaren Energien unter Berücksichtigung der Belange des Naturschutzes sowie mit Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger mit dem Ziel die nationale Energieversorgung Auch die Biomasse selbst wollen wir effizient und umweltverträglich nutzen. Langfristig soll deshalb die stoffliche und energetische Nutzung von Biomasse in Nutzungskaskaden erfolgen, indem z. B. einer energetischen Nutzung eine stoffliche vorausgeht. Dies soll durch direkte Förderung oder steuerliche Anreize erfolgen. Importe von Biomasse wollen wir davon abhängig machen, dass diese anspruchsvolle Nachhaltigkeitskriterien erfüllen87. Wir wollen erreichen, dass bei Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel weltweit die Beiträge, die funktionsfähige Ökosysteme leisten können, stärker berücksichtigt werden. U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge Entschließungstrag zum Bundeshaushalt 2012: Grüner Klimaschutzhaushalt: Energiewende und Klimaschutz vorantreiben, Konsolidierungspotentiale nutzen http://dserver.bundestag.btg/btd/17/078/1707862.pdf 87 Positionspapier der Bundestagsfraktion: „Stoffliche und energetische Nutzung von Biomasse“, Seite 2, 2001 http://www.gruenebundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/391/391070.biomasse. pdf 86 88 41 Entschließungstrag zum Bundeshaushalt 2012: Grüner Klimaschutzhaushalt: Energiewende und Klimaschutz vorantreiben, Konsolidierungspotentiale nutzen http://dserver.bundestag.btg/btd/17/078/1707862.pdf . Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 bis 2040 vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen. Einführung von nationalen, europäischen und internationalen Nachhaltigkeitskriterien für alle Energieträger, Verschärfung und Ausweitung der nationalen und EUNachhaltigkeitsverordnungen Konkretisierung des Aktionsplans zur deutschen Klimaanpassungsstrategie, insbesondere zur Berücksichtigung von Beiträgen intakter Ökosysteme zur Linderung von Extremereignissen. Artenrückgangs in der Agrarlandschaft. Ferner hat der Einsatz mineralischer Dünger zu erheblicher Nährstoffanreicherung (Eutrophierung) der Agrar-Ökosysteme und angrenzender Biotope und damit zu einer Verschiebung und Verarmung des Artenspektrums geführt. Schließlich wurden die weniger Gewinn bringenden Grenzertragsstandorte aus der Nutzung genommen, was zu einer massiven Gefährdung von Flora und Fauna der mageren Standorte geführt hat. Die Folgen sind unübersehbar: 65 Prozent der heimischen Feldvögel befinden sich auf der Roten Liste89, ebenso 35 Prozente der Ackerwildkräuter. 90 Selbst „Allerweltsarten“ wie die Feldlerche sind bedroht. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Diese Fehlentwicklungen werden durch die weltweit steigende Nachfrage nach Fleisch und Bioenergien zusätzlich angeheizt. Der Druck auf landwirtschaftliche Nutzflächen und ackerfähige Böden nimmt weiter zu. Die Notwendigkeit, die Ernährung für eine wachsende Weltbevölkerung zu sichern, wird von der Agroindustrie als Argument genutzt, die Intensivierung der Landwirtschaft voranzutreiben. Die Folgen für die biologische Vielfalt sind verheerend. Der Umbruch von Grünland und die Abholzung des Regenwaldes haben Rekordhöhen erreicht, wertvolle Biotope fallen Monokulturen zum Opfer. Die unökologische Landnutzung hat zudem verheerende Auswirkungen auf Seen, Flüsse und Meere. Die Folgen für das Bodenleben sind nur deshalb bisher nicht in den Fokus gerückt, weil sie weitgehend unerforscht sind. Dabei ist die Sicherung der Welternährung und die Wahrung der Biodiversität u.a. durch ökologische Anbaumethoden und entsprechende Flächenplanung keineswegs ein Widerspruch. Der Weltagrarbericht von 2008 hat aufgezeigt, dass globale Ernährungssouveränität nur durch eine vorwiegend kleinbäuerliche, standortangepasste und ökologische Landwirtschaft zu gewährleisten ist. Dieses Modell unterstützen wir ausdrücklich. Antwort auf unsere kleine Anfrage „Beitrag der Moore zum Klima-, Hochwasser- und Grundwasserschutz“ BT-Drucksache 17/7649 Fraktionsbeschluss „Energiekonzept 2050 – sicher erneuerbar“ vom 10.09.2010 Antrag „Atomzeitalter beenden – Energiewende jetzt“ BT-Drucksache 17/5202 Antrag „EA zum CCS-Gesetzentwurf“ BTDrucksache 17/6513 Entschließungsantrag zum Europarechtsanpassungsgesetz Erneuerbare Energien, BTDrucksache 17/4897 Entschließungsantrag zur Atomgesetzänderung, BT-Drucksache 17/3485 Antrag „Ein neues Bergrecht für das 21. Jahrhundert“ BT-Drucksache 17/8133 5.6. LANDWIRTSCHAFT UND BIODIVERSITÄT Pro b le m Im letzten Jahrhundert ist die Landwirtschaft vom Träger der Biodiversität zu einer ihrer größten Bedrohungen geworden. Hierfür ist im Wesentlichen die zunehmende Intensivierung und Industrialisierung der agrarischen Landnutzung verantwortlich. Hötker, Dr. Hermann (2004): Vögel der Agrarlandschaft: Bestand, Gefährdung, Schutz 90 Meyer, Stefan et al. (2010): Schutzbemühungen für die Segetalflora in Deutschland in Treffpunkt biologische Vielfalt IX (Hrsg. BfN, Bonn) 89 Die Verwendung chemisch-synthetischer Pestizide gehört zu den stärksten Treibern des 42 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Die Veränderungen betreffen nicht nur das Landschaftsbild („Vermaisung“), sondern beeinflussen Funktionen und Leistungsfähigkeit des Ökosystems, die auch die Grundlage der Lebensmittelerzeugung bilden. So versetzt beispielsweise das Bienensterben, verursacht auch durch den hohen Pestizideinsatz, nicht nur Naturschützer in große Sorge, sondern auch Landnutzer, die auf die Bestäubungsleistung der Insekten angewiesen sind. Der ökonomische Gesamtwert der Bestäubung durch Bienen und andere Insekten wird weltweit auf 153 Milliarden Euro geschätzt, was knapp 10 Prozent des globalen landwirtschaftlichen Ertrags ausmacht.91 Für Deutschland schätzt der Umweltwirtschaftsbericht den Marktwert der von Bestäuberleistungen abhängigen landwirtschaftlichen Produkte auf 2,5 Milliarden Euro.92 Die Regulierung des Wasserhaushaltes, die Fruchtbarkeit der Böden und die Gewährleistung geschlossener Nähr-Stoff-Kreisläufe sind weitere ökosystemare Leistungen, ohne die Landbau auf Dauer nicht denkbar ist. Saatgut-Marktes in der Hand von fünf großen Unternehmen, die fortschreitende Einführung der Agro-Gentechnik und die Patentierbarkeit von Sorten beschleunigen diese Entwicklungen. Aber mit der biologischen Vielfalt geht auch die Anpassungsfähigkeit der Landwirtschaft an unvorhergesehene Krankheitsgefahren und sich verändernde Umweltbedingungen wie den Klimawandel verloren. Längst ist durch Wissenschaft und Politik anerkannt, dass die Trendwende weg von der täglichen Vernichtung der biologischen Vielfalt ohne eine grundlegende Änderung in der Landwirtschaft nicht zu schaffen ist. Diese Erkenntnis schlägt sich auch in der Nationalen Biodiversitätsstrategie nieder, die Handlungsziele und Maßnahmen auch für den Bereich Landwirtschaft benennt. Diese richtigen Ansätze werden bislang jedoch nicht umgesetzt. U n ser e Z ie l e Bündnis 90/Die Grünen treten dafür ein, dass die Landwirtschaft beim Schutz der Biodiversität vom Teil des Problems zum Teil der Lösung wird. Auch die Vielfalt der Nutzpflanzen und -tiere unterliegt einer dramatischen Reduzierung. Die Tierzucht beschränkt sich heute auf wenige Hochleistungsrassen. Während um das 19. Jahrhundert in Bayern beispielsweise noch 35 Rinderrassen gehalten wurden, sind es heute nur noch fünf.93 90 Nutztierrassen gelten in Deutschland als bedroht. Vergleichbare Entwicklungen gibt es bei den Kulturpflanzen. Der hohe Einsatz von Mineraldüngern und chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln nivelliert die Anbaubedingungen. Die Standortangepasstheit unterschiedlicher Sorten wird so vordergründig immer unwichtiger. Die Fruchtfolgen konzentrieren sich auf immer weniger Kulturarten und wenige ertragsstarke Sorten. Die Konzentration des Unser Leitbild ist der ökologische Landbau als nachweislich ressourcenschonendste Anbauform, die auch für die Erhaltung der biologischen Vielfalt vorteilhaft ist. Seine Innovationsfähigkeit in den Bereichen Pflanzenschutz, Tierhaltung, Bodenbearbeitung und Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit muss für die gesamte Landwirtschaft genutzt werden. Als ersten Schritt wollen wir das in der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie verankerte Ziel von 20 Prozent ökologischer Anbaufläche in Deutschland zügig erreichen. Dazu müssen ökologisch wirtschaftenden Betriebe für die gesellschaftlichen Leistungen, die sie erbringen, verlässlich und angemessen honoriert werden. Die Forschung im Bereich ökologischer Landbau muss massiv ausgebaut werden, um seine Potenziale noch weiter zu stärken – auch in Hinblick auf die Erhaltung der biologischen Vielfalt. Im Mittelpunkt sollen dabei die Themen Diversifizierung von Fruchtfolgen, Mischfruchtanbau, Agroforstsysteme und die Züchtungsforschung an dabei bislang vernachlässigten Pflanzen. TEEB (2010): Die Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität: Die ökonomische Bedeutung der Natur in Entscheidungsprozesse integrieren. Ansatz, Schlussfolgerungen und Empfehlungen von TEEB – eine Synthese. 92 Umweltwirtschaftsbericht 2011, Daten und Fakten für Deutschland http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/4210.pdf 93 Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH), www.g-e-h.de. 91 43 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Flächendeckend darf die Landwirtschaft nicht länger zur Zerstörung der natürlichen Ressourcen beitragen sondern muss diese nachhaltig nutzen. Fehlentwicklungen wie Stickstoffüberschüsse, Erosion oder Belastungen mit Pestizid-Rückständen und Umweltschäden als Folge von Massentierhaltungsanlagen wollen wir über eine gesetzlich verankerte, sanktionsbewehrte „gute fachliche Praxis“ und die Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Fachgesetze beheben. Unterstützung und inhaltliche Verstärkung der Vorschläge zur ökologischen Qualifizierung (Greening) der landwirtschaftlichen Direktzahlungen im Rahmen der europäischen Agrarpolitik (GAP). Entwicklung und gesetzliche Verankerung einer sanktionsbewehrten „guten fachlichen Praxis“ für die Landwirtschaft. Einsatz von 20 Prozent des nationalen Agrarforschungsbudgets für Projekte des ökologischen Landbaus, insbesondere zu den Änderung des deutschen Patentgesetzes zum Ausschluss von Patenten auf Pflanzen, Tiere und biologische Züchtungsverfahren, Initiative auf europäischer Ebene zur Verschärfung der EUBiopatentrichtlinie. Einrichtung und Ausweitung von Genbanken zur umfassenden Sicherung des Erbmaterials von Nutztierrassen und Nutpflanzensorten. Keine Forschungsförderung für die Entwicklung gentechnisch veränderter Organismen. Initiative auf EU-Ebene, damit bei der Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen auch mögliche Risiken für Biodiversität und Umwelt sowie sozioökonomische Folgen umfassend berücksichtigt werden, sowie Ausbau der Forschungsunterstützung bei diesen Fragestellungen. Rechtliche Absicherung von Anbauverboten für gentechnisch veränderte Organismen auf nationaler Ebene und von gentechnikfreien Regionen. Unterzeichnung des Weltagrarberichts (IAASTD) und verstärktes (auch finanzielles) Engagement zur Fortsetzung seiner Arbeit und zur Umsetzung seiner Erkenntnisse. Über die nachhaltige Landbewirtschaftung in der Fläche hinaus halten wir es für unabdingbar, Trittsteinbiotope und extensiv genutzte Agrar-Biotope mit ihrer besonderen Flora und Fauna zu erhalten. Das Förderinstrument der Agrarumweltmaßnahmen, mit dem besonders umwelt-, klima- und naturgerechte Anbauformen wie beispielsweise weite Fruchtfolgen oder Zwischenfruchtanbau gefördert und gezielte Erhaltungsprojekte für einzelne Arten und Biotope wie z. B. Feuchtwiesen oder Kalkmagerrasen unterstützt werden, wollen wir finanziell stärken und für die Landwirte planungssicherer gestaltet. Die Agro-Gentechnik widerspricht dem Ziel einer zukunftsfähigen, umweltgerechten Landwirtschaft, die sich an biologischer Vielfalt und an den Verbraucherwünschen orientiert. Bündnis 90/Die Grünen wollen den Anbau von Gentechnik-Pflanzen verhindern, weil die damit verbundenen Risiken nicht abschließend geklärt und einmal in die Natur ausgebrachte Organismen nicht mehr rückholbar sind. Ebenso setzen wir uns für ein Verbot von Bio-Patenten auf Pflanzen, Tiere und biologische Züchtungsverfahren ein, denn sie führen zu Monopolansprüchen weniger Konzerne auf Pflanzen und Tiere und fördern die Verarmung der Agrobiodiversität. Um Letzteres aufzuhalten, wollen wir gemäß dem Prinzip „Schutz durch Nutzung“ alte Nutzpflanzen und Tierrassen erhalten und die züchterische Weiterentwicklung bislang vernachlässigter Nutzpflanzen fördern. Bu nd un d Lä nd e r Verlässliche und angemessene Honorierung der Umstellung auf ökologischen Landbau sowie der Beibehaltung dieser Bewirtschaftungsform im Rah- U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge : Bu nd 44 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 men der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) und der Agrarförderprogramme auf Landesebene. Entwicklung und Angebot wirksamer Agrarumweltmaßnahmen für die Erhaltung der Biodiversität in der Agrarlandschaft in der GAK und Sicherstellung eines ausreichenden Budgets für deren Finanzierung. Aufnahme von Ausgleichszahlungen für eine extensive Bewirtschaftung im Rahmen von Natura 2000 in den Förderrahmen der GAK. Einrichtung von MonitoringProgrammen sowohl zur genetischen Vielfalt der Nutztierrassen als auch zur genetischen Varianz innerhalb der Nutztierrassen sowie Entwicklung eines Maßnahmenkatalogs zur Erhaltung gefährdeter Nutztierrassen. größer ist als der der umliegenden Agrarlandschaft. Es ist ein wichtiges Anliegen des Biodiversitätsschutzes, die mit der biologischen Vielfalt verbundene Lebensqualität zu sichern und zu stärken. Diese biologische Vielfalt ist ein wichtiges Merkmal lebenswerter und attraktiver urbaner Lebensräume. Wir finden hier Grünanlagen, Parks, alte Friedhöfe, Kleingartenanlagen, stillgelegte Bahnhöfe, begrünte Dächer und Fassaden, Flüsse, Teiche, Kanäle und Seen. Hier treffen wir auf Säugetiere, Vögel, Insekten, Nischen- und Höhlenbewohner und sogar auf vom Aussterben bedrohte Tiere wie den Juchtenkäfer.94 Die vielerorts praktizierte Stadtentwicklung, die auf Flächenverbrauch und Flächenwachstum setzt, Verkehrswege quer durch Ökosysteme führt und dem Druck der Innenverdichtung folgend den Grünraumschutz vernachlässigt, bedroht die biologische Vielfalt. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Das stadtplanerische Handeln von Städten Antrag „Gemeinsame europäische Agrarpolitik nach 2013 – Förderung auf nachhaltige bäuerliche Landwirtschaft ausrichten“ BTDrucksache 17/4542 wirkt sich unmittelbar auf die Artenvielfalt Antrag „Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“ auf Ökologisierung und nachhaltige ländliche Entwicklung konzentrieren“ BT-Drucksache 17/3222 Anlagen kann die Artenvielfalt leiden oder und den Erfolg von Naturschutzmaßnahmen aus. Auch bei der Nutzung und Pflege bestehender Freiflächen und öffentlichen profitieren. So sind etwa die Düngung, das übermäßige Reinhalten von Gärten und Parks, eine überzogene Biomassenentnahme und die Antrag „Anbau von gentechnisch veränderter Kartoffel Amflora verhindern“ BT-Drucksache 17/1028 Bepflanzung mit nicht-heimischen Pflanzen schädlich für die natürliche Artenvielfalt. Mit vergleichsweise Antrag „Dem Verlust an Agrobiodiversität entgegenwirken“ BT-Drucksache 16/5413 einfachen und kosten- günstigen Maßnahmen – Nistmöglichkeiten für Vögel, geeignete Lebensräume für Fledermäuse, Wildwuchs heimischer Pflanzen auf Frei- und Brachflächen – kann die biologische 5.7. BIODIVERSITÄT IN DER STADT Vielfalt im urbanen Raum dagegen gestärkt und gesichert werden. Problem Viele Menschen empfinden bestimmte Wild- Drei von vier Menschen in Deutschland leben tiere in der Stadt als Bereicherung, z. B. Turm- in Mittel- und Großstädten. Naturerleben falken oder Nachtigallen, bestimmte Wildtiere findet für viele in erster Linie in Städten statt. aber – z. B. Füchse, Wildschweine, Tauben – Städte zeichnen sich – anders als es viele vermuten – durch einen erstaunlichen und 94 zunehmenden Artenreichtum aus, der oft 45 Siehe Kleine Anfrage: Vorkommen und Schutz des Juchtenkäfers BT-Drucksache 17/3753 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 werden als lästig oder schädlich angesehen, spielen als bisher. Städtisches Grün muss so weil sie eine potenzielle Gefahr für die gestaltet und gepflegt werden, dass der Bio- menschliche Gesundheit oder die liebevoll topverbund innerhalb der Stadt und sein An- hergerichteten Wir schluss an das Umland gewährleistet wird. müssen uns deshalb fragen: Was können die Öffentliches Grün soll so gepflegt werden, Bürgerinnen und Bürger und was die Stadt- dass der Erhalt stadttypischer Artengemein- planer tun, damit die Lebensräume der Wild- schaften gefördert wird; hierzu zählen z. B. tiere in der Stadt erhalten und verbessert der stärkere Einsatz geeigneter Saatmischun- werden und es zu einem gedeihlichen Neben- gen. Der oft unbedachten Vernichtung von einander Niststätten und Wohnquartieren durch eine von Vorgärten Menschen darstellen. und Wildtieren kommt. gedankenlose Altbausanierung wollen wir in Zusammenarbeit mit den Architektenkam- Die zunehmende Lichtverschmutzung beein- mern entgegenwirken. flusst bestehende Ökosysteme in erheblichem Maße. Sie stellt ein zunehmendes Problem Der rechtliche Schutz vor Lichtverschmutzung insbesondere für Insekten, Vögel und Fleder- ist in Deutschland bisher unzulänglich. So mäuse dar. Ungezielt streuendes Licht schadet besteht für Lichtemission kein Regelwerk in der Natur. Vögel können in ihrem Zugverhalten Form einer technischen Anleitung (TA) Licht. gestört werden. Fledermäuse sind vor allem Wir wollen, dass alle Möglichkeiten ausge- gefährdet, wenn ihre Sommerquartiere ausge- schöpft werden, die schädliche Einwirkung leuchtet werden. Nachtaktive Insekten von – Beleuchtungsanlagen auf Tiere und darunter viele Schmetterlingsarten – werden Pflanzen zu minimieren und dass auch gene- durch Lichtquellen wie Straßenbeleuchtung rell einer Aufhellung des Nachthimmels ent- und hell angestrahlte Häuserwände oder gegengewirkt wird. LED-Technik und Abschat- Werbeflächen massenhaft angelockt, werden tungen bieten hierbei energieeffiziente Lö- zur leichten Beute anderer Tiere oder sterben sungsansätze. durch Kollision oder Erschöpfung. Sie fehlen Unsere Grünen Lösungsvorschläge als Bestäuber von Blütenpflanzen und als Frühzeitige Berücksichtigung der Belange des Artenschutzes in der Bauleitplanung, denn nachträglich wird dies aufwändig und teuer; wir wollen Modelle transparenter Teilhabe entwickeln. Um eine stärkere Abwägung zwischen Innenverdichtung und Freiflächen zu erreichen, können informelle Planungen der Kommunen im Vorfeld der Bauleitplanung einen wertvollen Beitrag leisten Verbesserung des wildbiologischen Wissens über Wildtiere in der Stadt, entsprechende Forschung- und Bildungsarbeit wollen wir fördern. Entwicklung und Umsetzung städtischer Managementpläne für bestimmte Wildtierarten (Füchse, Wildschweine, Tauben usw.) in Zusammenarbeit mit dem Natur- und Tierschutz. Glieder in der Nahrungskette. Unsere Ziele Bündnis 90/Die Grünen wollen Städte als lebenswerten Raum erhalten und entwickeln. Dazu zählt auch, diese als Rückzugs- und Lebensraum von Pflanzen und Tieren zu gestalten. Verdichtung und Freiflächenschutz im Innenbereich müssen gegeneinander abgewogen werden. Vor der Inanspruchnahme sollen Flächen auf ihre Bedeutung für die biologische Vielfalt geprüft werden. Innerstädtische Grünräume wollen wir erhalten. Wo es möglich ist, wollen wir den Wildwuchs auf Brachen fördern und schützen.95 In der Stadtplanung müssen Fragen der Erhaltung der biologischen Vielfalt eine größere Rolle 95 Vgl. Beispielhaft zeigt sich dieser neue Ansatz in der Grünraumgestaltung der IBA Emscher Park. 46 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Einführung eines finanziellen Instruments ähnlich einer Flächenverbrauchsabgabe oder handelbare Flächenausweisungsrechte. Einführung umfassender Brachflächenkataster im Sinne eines Flächenmonitorings, damit die Gemeinden eine Informationsbasis über Alternativen zur Neuausweisung von Bauflächen im Außenbereich haben und die Gefahr von Nachverdichtung an der falschen Stelle eingedämmt wird. Erarbeitung einer Technischen Anleitung zur Verminderung künstlichen Lichts (TA Licht). Zur Verkehrsinfrastruktur zählen Straßen, Bahntrassen und Flughäfen, ausgebaute Flüsse, Kanäle und die entsprechenden Begleitbauten. Asphaltierte oder geschotterte Flächen sind als Lebensräume verloren. Die wohl schwerwiegendste Beeinträchtigung für viele Arten ist die Zerschneidungswirkung durch Verkehrstrassen, insbesondere von Autobahnen und Landstraßen. Zahlreiche Wildtier- und Pflanzenarten benötigen für die Erhaltung ihrer Populationen einen ständigen Austausch zwischen den einzelnen Lebensräumen. Den lauter werdenden Forderungen nach einem Biotopverbund steht jedoch der immer noch anhaltende Trend zum Flächenverbrauch und zur Flächenzerschneidung im Weg. Die bislang ergriffenen Maßnahmen, diese Entwicklung zu stoppen, sind unzureichend (siehe Kapitel 5.4.3.). U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Fraktionsbeschluss: Stadtentwicklungspolitische Vorschläge - Wege zu einer nachhaltigen Flächenpolitik vom 10. Mai 2011 Allein in Deutschland umfasst das Straßennetz über 230.000 Kilometer überörtliche Straßen, davon knapp 13.000 Kilometer Autobahnen – Tendenz steigend. Die Anzahl der unzerschnittenen, verkehrsarmen Räume nahm in den vergangenen Jahrzehnten entsprechend ab. Zudem ist der Verkehr immer dichter geworden, wodurch sich die Barrierewirkung einzelner Straßen zusätzlich erhöht hat. Diese Entwicklung führt zur Verinselung von Lebensräumen und damit zur Abnahme von Tier- und Pflanzenpopulationen. Je kleiner aber die Populationen werden, desto geringer ist der genetische Austausch innerhalb dieser. Das wiederum mindert die Biodiversität der entsprechenden Regionen. Darüber hinaus können durch einen verminderten Genpool Effekte des so genannten „genetischen Flaschenhalses“ auftreten. Dabei steigt wie bei der Inzucht die Gefahr, dass Gendefekte innerhalb einer Art nicht mehr ausgeglichen werden und sich krankhafte Gene ausbreiten können, die normalerweise durch die Kombination mit gesunden Genen in ihrer Ausbildung unterdrückt würden.96 Antrag „Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren“ BT-Drucksache 17/6502 AK 2-Position „Lichtverschmutzung – ein noch unterbelichtetes Umweltthema“ vom 12.05.2009 Antwort auf unsere Kleine Anfrage „Vorkommen und Schutz des Juchtenkäfers“ BTDrucksache 17/4157 5.8. VERKEHRSINFRASTRUKTUR UND BIODIVERSITÄT Pro b le m Im Bereich der Verkehrsinfrastruktur wird das Problem der widersprechenden Nutzungsinteressen besonders deutlich. Einerseits brauchen wir als Wirtschaftsstandort unabdingbar Mobilität von Menschen und Gütern, andererseits liegt der Schutz der Biodiversität, also der Schutz von Naturräumen ebenso im gesamtgesellschaftlichen Interesse. Jede Verkehrsinfrastruktur greift grundlegend in natürliche Lebensräume ein und beeinflusst so die dort lebenden Tier- und Pflanzenarten. 96 47 Betroffen von dieser Entwicklung sind vor allem Rotwild, Schwarzwild, Baummarder, Waldfledermäuse, Fischotter, Dachs, Wolf, Wildkatze und Luchs. Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Besonders problematisch für die Biodiversität sind auch der Ausbau und die Kanalisierung, die die deutschen Flüsse in einen naturfernen Zustand versetzen (siehe Kapitel 5.4.4.). Tiere. Sie ziehen enorme Infrastruktur zu ihrer Anbindung nach sich. Und sie verdrängen insbesondere die Avifauna der Region, beispielsweise durch Vergrämung, um die Sicherheit der Flugbewegungen zu gewährleisten. Ein wichtiges Instrument, der Verinselung entgegen zu wirken, sind so genannte Grünbrücken als Querungshilfen. Sie dienen auch der Verkehrssicherheit. Neben Umweltverbänden und Jagdverbänden setzt sich daher auch der ADAC für Querungshilfen ein, um Wildunfällen vorzubeugen. Jährlich rechnet man in Deutschland mit etwa 250.000 Kollisionen mit Tieren, bei denen durchschnittlich etwa 3.000 Menschen zu Schaden kommen, 20 Personen sogar tödlich, und bei denen ein Schaden von schätzungsweise 500 Millionen Euro entsteht. U n ser e Z ie l e Wir wollen einen angemessenen Ausgleich zwischen notwendiger Verkehrsinfrastruktur und Naturschutzanliegen erreichen. Wir wollen verkehrsträgerübergreifende Mobilitätsplanung statt Verkehrswegeplanung.98 Dabei gilt es, auf der Grundlage sorgfältiger Bedarfsanalysen Planungen immer so vorzunehmen, dass der Naturschutzgedanke von vornherein fester Bestandteil aller Infrastrukturplanungen im Verkehrsbereich ist. Die vom Bundesamt für Naturschutz identifizierten Lebensraumkorridore und die Planungsvorschläge von BUND99 und NABU100 müssen dafür die Basis sein. Das Konjunkturpaket II der Bundesregierung beinhaltet neben vielen ökologisch unsinnigen Maßnahmen immerhin die Möglichkeit, solche Grünbrücken zu finanzieren. Angesichts der Tatsache, dass sich die Anzahl der unzerschnittenen verkehrsarmen Räume (UZVR), die größer als 100 Quadratkilometer sind, in Sachsen in den vergangenen Jahren aufgrund des Verkehrswegebaus halbiert hat, müssen die Möglichkeiten, Grünbrücken zu bauen noch besser genutzt werden. Die Barrierewirkung von Straßen und Bahntrassen soll durch klug geplante Querungsund Vernetzungshilfen gesenkt werden. Vorhandene Wanderwege von Tieren und Pflanzen müssen berücksichtigt bzw. wiederhergestellt werden. Zusammenhängende Offenlandschaften, Bergketten, überregionale Waldkorridore und Flusstäler wollen wir auch als wertvolle Wanderwege erhalten. Im Dezember 2011 hat das Kabinett ein „Bundesprogramm Wiedervernetzung“ beschlossen, das aufgrund der vom Bundesamt für Naturschutz identifizierten Lebensraumkorridore97 93 Brennpunkte benennt, an denen lang- oder mittelfristig Querungshilfen notwendig sind. Die dafür notwendigen 180 Millionen Euro sollen je nach Verfügbarkeit aus dem Budget für den Bundesfernstraßenbau bestritten werden. Da im Haushalt für 2012 dafür noch keine Mittel eingeplant sind, scheint das Bundesprogramm nur ein Lippenbekenntnis der Bundesregierung zu sein. Das Bundesprogramm Wiedervernetzung ist ein Ausgangspunkt für die Wiedervernetzung an bestehenden Trassen. Dazu darf die Finanzierung allerdings nicht von der Mittelverfügbarkeit in bestehenden Budgets abhängig gemacht werden. Bereits im Haushalt für 2012 haben wir daher 30 Millionen Euro für Querungshilfen eingeplant. Vor allem an den Stellen, an denen die Wanderkorridore Autobahnen kreuzen, sind Grünbrücken eine Lösung. Bei Aus- und Neubau müssen gleichermaßen die Querungshilfen Teil der Planungen Flugplätze und -häfen sind unter verschiedenen Gesichtspunkten für den Naturhaushalt kritisch. Betonierte und bebaute Betriebsflächen sind quasi verloren für Pflanzen und 97 Nachhaltige Verkehrsinfrastruktur für das 21. Jahrhundert. Thesenpapier vom 13.01.2012 99http://www.bund.net/themen_und_projekte/wildkatze _netze_des_lebens/rettungsnetz_wildkatze/ gruene_korridore/wildkatzenwegeplan/ 100 NABU: Der NABU-Bundeswildwegeplan (2007) 98 Bundesamt für Naturschutz: Länderübergreifender Biotopverbund in Deutschland (2011) 48 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 sein und die gesetzlichen Regelungen unbedingt berücksichtigt werden. Entschließungsanträge zum Haushaltsgesetz 2012, BT-Drucksachen 17/7862, 17/7863 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Wiedervernetzung von Naturräumen“ BT-Drucksache 17/2399 U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge Bu nd Antwort auf unsere kleine Anfrage „Der besondere naturschutzfachliche Planungsauftrag in der Planungspraxis für den Neubau von Verkehrswegen des Bundes“ BT-Drucksache 17/2032 Stärkung der ökologischen Verbundfunktion von Wasserstraßen. Ausbaumaßnahmen gehören auf den Prüfstand. Anwendung der gleichen Prüfkriterien zur Notwendigkeit von Grünrücken beim Autobahnausbau wie beim Neubau. Aufstockung und Verstetigung von Bundesmitteln zur Verminderung der Zerschneidungswirkung vorhandener Verkehrsinfrastruktur im Rahmen des Bundesprogramms Wiedervernetzung. 5.9. BÜRGERBETEILIGUNG UND BIODIVERSITÄT Pro b le m Egal ob Energie- oder Verkehrsinfrastruktur, Massentierhaltungsanlagen oder Bergbau – sämtliche Vorhaben müssen frühzeitig und unter Bürgerbeteiligung auch mit Blick auf mögliche Beeinträchtigungen des Naturhaushaltes geprüft und geplant werden. Diese Aspekte jedoch werden immer noch zu spät in Planungsprozesse eingespeist und daher am Ende oft unzureichend berücksichtigt. Das ist ein systematischer Mangel im deutschen Planungsrecht. Bu nd un d Lä n d e r Ersatz des Bundesverkehrswegeplans durch einen verkehrsträgerübergreifenden Bundesmobilitätsplan. Darin wird der Planungsgrundsatz verankert, dass die Erhaltung von Verkehrswegen die erste Priorität ist. Bei allen Planungen müssen die Auswirkungen auf die Biodiversität geprüft und berücksichtigt werden. Auch Rückbau und Rückstufung von Straßen dürfen kein Tabu mehr sein. Wahrnehmung der Raumordnungskompetenz des Bundes und der Länder, um den Wildwuchs hochsubventionierter Regionalflugplätze zu beenden. Verzicht auf den Ausbau von Flughäfen in hochverdichteten Siedlungsräumen. Am Anfang von Planungsprozessen stehen Bedarfs- oder Raumordnungspläne, die zwar teilweise bereits naturschutzfachliche Aussagen oder Hinweise auf Konflikte beinhalten. Ihnen fehlen jedoch Konkretisierung und Detailschärfe, darüber hinaus die Verbindlichkeit. Öffentlichkeit und Naturschutzverbände werden in diesen Stadien nicht ernsthaft einbezogen. Mit den so vorbereiteten Plänen ist es nicht möglich, die Belange des Naturschutzes in das anschließende Planungsverfahren ausreichend einzubringen. Fachlich falsche Planungen werden somit verfestigt. Bei den endgültigen und verbindlichen Vorhabensgenehmigungen sind die Planungen zumeist so weit gediehen, dass Umplanungen kaum noch möglich sind. Ohnehin tragen Verfahren wie das Planfeststellungsverfahren den Charakter eines „Umsetzungsinstrumentes“, d. h. sie sollen Planungen rechtssicher machen, nicht aber grundsätzlich die Betroffenen einbinden U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antrag „Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren“ BT-Drucksache 17/6502 Antrag „Klimaschutz in der Stadt“ BTDrucksache 17/5368 Antrag „Strategie für Klimaschutz im Verkehr vorlegen“ BT-Drucksache 17/4040 Antrag „Mit grüner Elektromobilität ins postfossile Zeitalter“ BT-Drucksache 17/1164 49 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 oder gar Vorhaben auf den Prüfstand stellen. Die Prüfung von Umweltaspekten, insbesondere von naturschutzfachlichen Gesichtspunkten, bleibt für Vorhabenträger und verfahrensführende Behörden oftmals eine „Last“, die formal „abgearbeitet“ werden muss. Umweltverträglichkeitsprüfungen oder landschaftspflegerische Begleitpläne sind häufig oberflächlich, lückenhaft und teilweise falsch. Solche so genannten Verfahrensfehler können von Vorhabensträgern jedoch ohne größeren Aufwand „geheilt“ werden und stellen daher Vorhaben so gut wie nie in Frage. rechtlich und ökologisch valide Einwände in frühen Planungsphasen ignoriert wurden und die Beteiligungselemente nur als Instrument zur Verfahrensabsegnung betrachtet wurden. Dagegen ist die biologische Vielfalt ein wichtiges Merkmal lebenswerter und attraktiver Kommunen. Sie übernimmt wichtige Funktionen zum stadtklimatischen Ausgleich, zur Sicherung der natürlichen Wasser- und Stoffkreisläufe, bietet die Möglichkeit zur Naturerfahrung und Erholung der Menschen an ihrem Wohn- und Arbeitsort und prägt damit wesentlich die Lebensqualität. Das Handeln von Städten, Gemeinden und Landkreisen wiederum wirkt sich unmittelbar auf diese Funktionen und Qualitäten aus und ist für die Erhaltung und Förderung der biologischen Vielfalt vor Ort entscheidend. Alle Ebenen haben wichtige Rollen in Planungsprozessen. Eine wesentliche Funktion für ein modernes Planungsrecht kommt dem Bund zu. Das Fachplanungsverfahren ist maßgeblich in Bundesgesetzen geregelt. Zu diesen bundesgesetzlichen Regelungen gehören das Verwaltungsverfahrensgesetz, das Immissionsschutzgesetz, das Bundesberggesetz und die Fachgesetze zu Energieleitungen und Verkehrsinfrastruktur. Darüber hinaus werden Bedarfspläne, beispielsweise zum Fernstraßenausbau, im Bundestag in Gesetzesform beschlossen. Das gleiche gilt für die Verabschiedung beispielsweise der Landesbedarfspläne durch die Landtage. Die Durchführung der Planungsverfahren obliegt in der Regel den Landesbehörden. Ob Raumordnungsverfahren, Planfeststellungsverfahren, immissionsschutzrechtliches oder bergrechtliches Verfahren – zuständig sind im Allgemeinen Landesbehörden. Den Kommunen kommt die Planungskompetenz nach dem Baugesetzbuch zu. Im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung planen sie Wohn- und Gewerbegebiete sowie Straßen mit Flächennutzungsund Bebauungsplan. U n ser e Z ie l e Wir wollen, dass Bürgerinnen und Bürger sowie Nichtregierungsorganisationen die Möglichkeit haben, sich an Planungsprozessen von Anfang an zu beteiligen. Das erfordert eine transparente Gestaltung von Planungsprozessen und umfassende abrufbare Informationen über Vorhaben für alle Interessierten und Betroffenen.101 Daten müssen durch Register für Laien verständlich aufbereitet und zugänglich gemacht werden. Das Internet und andere moderne Kommunikationsmittel müssen dafür genutzt werden. Aber Transparenz allein reicht nicht. Erforderlich ist darüber hinaus, dass Planungsprozesse wirklich ergebnisoffen und Entscheidungen revidierbar sind. Nur so haben alle Interessierten die Möglichkeit, ernsthaft in Planungen einzugreifen. Wir wissen, Öffentlichkeitsbeteiligung ist nicht zum „Nulltarif“ zu haben. Aber sie schafft Akzeptanz, spart Zeit und mitunter auch Geld – Frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung führt im Ergebnis zu besseren Lösungen und kann den Missbrauch von Genehmigungsprozessen zur reinen Verzögerung von Vorhaben verhindern. Der freie Zugang zu Geodaten ist für transparente Planung und Der Naturschutz wurde in vielen Verfahren als Bremser wahrgenommen, einerseits weil insbesondere der Artenschutz oft die einzige Möglichkeit darstellte, Vorhaben doch noch zu verhindern, die teilweise aus ganz anderen Gründen auf Ablehnung stoßen, andererseits weil Beschränkungen oder Kostensteigerungen im Interesse des Naturschutzes immer noch als überflüssig angesehen werden. Gleichzeitig kann festgestellt werden, dass Bürgernahe und effiziente Planung im 21. Jahrhundert. Fraktionsbeschluss vom 01.09.2011. 101 50 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 informierte Beteiligung ebenfalls von großer Bedeutung. Abschwächung von Regelungen, die die Beteiligung beschränken (materielle Präklusion) sowie Modernisierung der Klagemöglichkeiten für Naturschutzverbände (Verbandsklage), der Umweltvereine sowie der betroffenen Bürgerinnen und Bürger, insbesondere im Hinblick auf die zeitliche Präklusion und die vorzubringenden Inhalte (materielle Präklusion); Die Kommunen wollen wir weiter ermutigen, den entsprechenden Rahmen für eine engagierte Bürgerbeteiligung herzustellen. In Planungsverfahren muss die Verringerung des Flächenverbrauchs und die Abwägung zwischen Innenentwicklung und dem Schutz von städtischen Brachen mehr Raum bekommen. Zur notwendigen Transparenz muss ein verbindliches Flächenmonitoring eingeführt werden. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge Kleine Anfrage „Planungsbeschleunigung und Bürgerbeteiligung“ BT-Drucksache 17/4788 Siehe im Detail: Fraktionsbeschluss „Bürgernahe und effiziente Planung im 21. Jahrhundert“: Entschließungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben, BTDrucksache 16/3176 http://www.gruene-bundestag.de/cms/ beschluesse/dokbin/389/389419. buergerbeteiligung.pdf Änderungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben, BT-Drucksache 16/3175 Bu nd, Lä nd e r u nd Ko m m u n e n Einbeziehung der Öffentlichkeit sowie der Umwelt- und Naturschutzverbände bereits in die ersten Planungsstufen. Dies gilt insbesondere für die Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Bedarfsermittlung an Projekten und in den zu stärkenden vorbereitenden Planungsschritten wie etwa beim Raumordnungsverfahren. Implementierung informeller Expertenbeteiligung, auch in modernen Formen wie Planungszellen, Mediationsverfahren und anderen alternativen Konfliktlösungsverfahren. Stärkung direkter Demokratie durch Einführung direktdemokratischer Elemente in Planungsverfahren Schaffung finanzieller und personeller Kapazitäten in den Kommunen, um diese in die Lage zu versetzen, ihre Planungs- und Prüfaufgaben zu erfüllen. Darüber hinaus müssen aber auch die anerkannten Umwelt- und Naturschutzorganisationen für die Beteiligung an Planungsverfahren angemessen unterstützt werden. Fraktionsbeschluss „Bürgernahe und effiziente Planung im 21. Jahrhundert“ vom 01.09.2011 „Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen nach der EG Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz)“ BT-Drucksache 17/7888 5.10. SPORT UND BIODIVERSITÄT Pro b le m Sportliche Betätigung in der freien Natur gewinnt immer mehr an Bedeutung. Grund ist ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung und die Hinwendung zu Naturerlebnissen, die im städtischen Alltag kaum noch vorkommen. Dabei bilden naturnahe Lebensräume ein attraktives Ziel bzw. eine attraktive Kulisse für Natursportaktivitäten. Ob in der Luft, auf dem Meer oder an Land: Sport findet überall statt. Beachtet werden muss aber, dass der Aktionsraum für Sport gleich- 51 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 zeitig Lebensraum für Tiere, Pflanzen und andere Lebewesen ist. Natursport muss generell grüner werden. Wir wollen, dass die Sportverbände und Sportvereine noch stärker Prinzipien der Nachhaltigkeit und damit auch Ziele der Erhaltung der biologischen Vielfalt in ihre Programmatik aufnehmen. Auch kann und muss der Sport – gerade wegen seiner vielen jugendlichen Mitglieder – Vorbildfunktion übernehmen. Verschiedene Sportverbände engagieren sich bereits im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit105; wir wollen auch zu einem stärkeren Engagement für den Naturschutz ermutigen. Von der Integration weitreichender Naturschutzziele in die jeweils verbandseigene Satzung bis hin zu öffentlichkeitswirksamen Umweltbildungsprojekten bestehen Möglichkeiten, Verantwortung für die biologische Vielfalt und den Schutz der Natur zu übernehmen. Diese Möglichkeiten sollen insgesamt stärker genutzt werden. In den letzten Jahren ist in der Breite eine Tendenz hin zu "sanften" Natursportarten wie Nordic Walking, Wandern und Radfahren zu beobachten. Gleichzeitig nehmen Extremsportarten zu. Natursport ist in vielen Regionen zu einem wichtigen Sozial- und Wirtschaftsfaktor geworden, er ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und findet viele Anhänger. Die Belastungen der Natur werden dadurch nicht geringer – vor allem dort, wo einmalige Lebensräume mit seltenen Tierund Pflanzenarten betroffen sind. Für 21 Prozent der Menschen ist die sportliche Betätigung ein wichtiger Grund, in die Natur zu gehen.102 Natur und Landschaft bieten viel für Sport und Freizeit. Sportarten wie Rudern, und Kanu, Gleitschirmfliegen oder Klettern sind stark auf die Funktionsfähigkeit der Natur angewiesen. Beiträge zur Sicherung der biologischen Vielfalt sind daher auch im ureigensten Interesse des Natursports und müssen dort geleistet werden, wo die Ziele des Naturschutzes und die Interessen des Natursports aneinander stoßen. Grundsätzlich ist es unerlässlich, dass sich die Sportausübung nach den naturräumlichen Voraussetzungen richtet. Wo sie aus naturschutzfachlichen Gründen nicht möglich ist, muss sie in weniger sensible, aber trotzdem geeignete Gebiete umgelenkt werden. Differenzierte Schutz- bzw. Nutzungskonzepte helfen, Konflikte zu minimieren und die Nutzung langfristig zu sichern. Zu ihrer Entwicklung bedarf es einer engen und vertrauensvollen Kooperation zwischen den Verantwortlichen aus den Bereichen Naturschutz und Sport. Vorrang sollen dabei gemeinsame Problemlösungen haben, indem die beteiligten Gruppen gemeinsam sachgerechte und für alle Seiten akzeptable Lösungen entwickeln und umsetzen. Besondere Sensibilität ist hierbei in Schutzgebieten und um diese herum gefragt. Gemeinsame Konfliktlösungsund Managementplanungen verbessern die gegenseitige Akzeptanz. Der Naturschutz gewinnt so den Natursport als Partner bei der Umsetzung nachhaltiger Nutzungskonzepte. Die wachsende Verantwortung der Sportverbände für den Naturschutz zeigt sich auch Häufig sind die aus Naturschutzsicht wertvollen, aber auch sensiblen Ökosysteme für die Ausübung von Freizeitaktivitäten besonders attraktiv wie z. B. in den Alpen. Das kann zu erheblichen Belastungen für Flora und Fauna führen. Wie groß diese sind, hängt von der Art der Sportausübung, der Intensität der Aktivität und der Empfindlichkeit der Ökosysteme ab. Auch auf Sportplätzen gibt es Handlungsbedarf und Handlungsoptionen, die sich mit Zielen des Biodiversitätsschutzes103 und der Umweltbildung verbinden lassen. So ruft der DFB seine Mitgliedsvereine zu Umweltmaßnahmen auf, die auch den Arten- und Biotopschutz betreffen.104 U n ser e Z ie l e Beispielhaft sei das Kooperationsprojekt „Jugend für Umwelt und Sport“ (JUUS) zwischen Naturschutzjugend (NAJU) und Deutscher Sportjugend (dsj) erwähnt ( siehe: www.juus.de ). 105 Vgl. Naturbewusstseinsstudie 2009. 103Siehe hierzu etwa: http://sportplatzdschungel.de/ 104 http://umwelt.dfb.de 102 52 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 daran, dass der natur- und landschaftsverträgliche Sport in das Bundesnaturschutzgesetz aufgenommen wurde. ben, auf Kunstschnee in der freien Natur und künstlich beleuchtete Pisten muss weitgehend verzichtet werden und ökologisch besonders empfindliche Gebiete müssen für diesen Sport tabu sein. Landschafts- und naturzerstörende Bauvorhaben für Sportgroßereignisse lehnen wir ab. Wo Freiwilligkeit nicht fruchtet, muss das Ordnungsrecht greifen. Das gilt zum Beispiel für das Klettern während der Brutzeit von Wanderfalken oder Uhus. Veranstaltungen wie Motorbootrennen haben in Naturschutzgebieten nichts zu suchen. Die kommunalen Verwaltungen müssen dafür sensibilisiert werden, Naturschutzrecht konsequent zu beachten und durchzusetzen. Wir wollen für den Sport und die naturnahe Erholung siedlungsnahe Flächen sichern und ausweisen. Dabei muss es auch um die naturverträgliche Entwicklung und Aufwertung solcher siedlungsnaher Flächen gehen, um Raumnutzungskonflikte zu entschärfen. Dort, wo in Natura 2000-Gebieten relevante Nutzungen durch Sport und Erholung stattfinden, müssen in Übereinstimmung mit den Schutzzielen entsprechende Managementkonzepte für naturverträglichen Sport und Erholung erarbeitet werden.106 Die Nutzergruppen müssen weitgehend in die Erarbeitung einbezogen werden, um eine hohe Akzeptanz für mögliche Nutzungsbeschränkungen zu erreichen. Da es sich beim Natursport vielfach um Individualsportarten handelt, bei denen nur ein Teil der Aktiven in Vereinen organisiert ist, kommt der Öffentlichkeitsarbeit und Information in den jeweiligen Regionen eine besondere Rolle zu. Ein gutes Beispiel ist die Zusammenstellung der ABA-Gebiete (Aircraft relevant Bird Area), die seit 2007 in die offiziellen Luftfahrtnavigationskarten aufgenommen wurden.107 Durch diese Informationen können Piloten diese Gebiete bei der Flugplanung beachten und meiden bzw. hoch überfliegen. Dadurch reduziert sich die Flugschlaggefahr und die Störung von Rast- und Brutplätzen wird minimiert. Vergleichbares gibt es für so genannte Tauchseen, in denen der Tauchsport problemlos ausgeübt werden darf.108 Oft gelingt auch eine ehrenamtliche Zusammenarbeit beim Monitoring bestimmter Arten, insbesondere bei Neobiota.109 Diese Kooperationsformen wollen wir auf allen Ebenen fördern und stärken. U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge Bu nd, V e r ein e Lä nd e r, K omm un e n u nd Verbindliche Regelungen zur Mitwirkung der Sportverbände und -vereine bei allen sie betreffenden Naturschutzmaßnahmen. Vertragliche Vereinbarungen mit Natursport- und Naturschutzverbänden sollen dabei wo möglich Vorrang vor dem Ordnungsrecht haben. Überprüfung aller sportlichen Großveranstaltungen auf Natur- und Umweltverträglichkeit; verbindliche Umweltund Naturschutzkonzepte als Teil der Genehmigungsverfahren. Frühzeitige Einbeziehung von Umweltverbänden in die Planungen. Nach Möglichkeit, Benennung von Naturschutzbeauftragten in allen Sportvereinen, die u. a. dafür sorgen, dass Naturschutzziele – z. B. der nationalen Biodiversitätsstrategie, der Alpenkonvention und der EU-Wasserrahmenrichtlinie – konsequent beachtet werden. Für uns gilt: Soll der Natursport Zukunft haben, muss er sich der Natur anpassen und nicht umgekehrt. Das gilt in besonderem Maße für den Wintersport in den Bergen. Generell muss es naturverträgliche Skirouten ge- 106„Natura 2000, Sport und Tourismus“, Leitfaden von Universität Wien, DOSB und BfN. 107Siehe: www.aba.bfn.de. 108Siehe: www.tauchseen-portal.de. 109Vgl. „Ehrenamtliches Gewässermonitoring durch Sporttaucher in Brandenburg“, in: Sport schützt Umwelt Nr. 88, Sept. 2008. 53 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 5.11. BIODIVERSITÄT IN WIRTSCHAFT UND ARBEIT und den Kosten des Biodiversitätsverlustes aufgrund unterlassener Schutzmaßnahmen im Vergleich zu den Kosten eines wirkungsvollen Naturschutzes.“ Die Studie wurde im Rahmen der deutschen G8-Präsidentschaft 2007 initiiert und zwischen 2008 und 2010 in verschiedenen Teilbänden mit unterschiedlichen Zielgruppen veröffentlicht.112 Ein Kompetenzzentrum am Bundesamt für Naturschutz sowie eine auf Deutschland bezogene Studie „Naturkapital Deutschland“ sollen diese Ansätze auch auf die nationale Ebene übertragen.113 5.11.1. UNTERNEHMENSPOLITIK UND BIODIVERSITÄTSSCHUTZ Pro b le m Intakte Ökosysteme haben einen konkreten, nicht ersetzbaren Wert für die Wirtschaft. Sie stellen alle für unser Leben notwendigen Güter wie Wasser, saubere Luft, fruchtbare Böden zur Verfügung, die auch unabdingbare Grundlage für jede Form des Wirtschaftens sind. Außerdem ist die Natur unser wichtigster, aber nicht unerschöpflicher Rohstofflieferant. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) schätzt die Leistungen von Ökosystemen auf einen Wert von bis zu 72 Billionen Dollar jährlich, der weit über der globalen Wirtschaftsleistung von 58 Billionen Dollar (2008) liegt. Doch zwei Drittel der weltweiten Ökosysteme sind in Folge von Missmanagement, Zerstörung, Übernutzung und fehlender Investitionen in einem degradierten Zustand.110 Trotz dieser Erkenntnisse agieren viele Unternehmen noch immer –bei Produktionsprozessen wie bei der Rohstoffgewinnung – gegen die Natur und gefährden damit ihre eigenen Produktionsgrundlagen. So sind die weltweit 3.000 größten Unternehmen für Umweltschäden in Höhe von mehr als zwei Billionen US-Dollar verantwortlich.111 Wir müssen feststellen, dass die Märkte allein nicht in der Lage sind, solche Fehlentwicklungen zu verhindern. Die Sicherung der ökologischen Ressourcen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu der sich die Regulation über Märkte bislang als ungeeignet erwiesen hat. Als Teil der Gesellschaft sind auch Unternehmen den Risiken durch Biodiversitätsverluste ausgesetzt. Selbst das Weltwirtschaftsforum betrachtet Schäden durch Biodiversitätsverlust in ihrer Wahrscheinlichkeit und in ihrer Höhe zunehmend als Risiko. Dagegen würden allein Investitionen von 45 Milliarden US-Dollar jährlich in ein kohärentes Schutzgebietssystem Ökosystemleistungen in Höhe von fünf Billionen USDollar sichern, was einem Kosten-NutzenVerhältnis von 1:100 entspricht. Dies wären Investitionen in den Schutz materieller Lebensgrundlagen, die Einkommen schaffen und zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel beitragen. Die Gleichzeitigkeit von Ressourcen-, Finanz-, Klima- und Biodiversiätskrisen zeigt, dass das konsequente Ignorieren von Fehlentwicklungen den Herausforderungen nicht gerecht wird. Festzustellen ist, dass „wir nicht ehrlich sind und nicht die wahren Kosten in Rechnung stellen für Energie und Rohstoffe und die Nutzung von Wasser, Luft und Böden“. 114 Um die wirtschaftliche Betrachtung von Ökosystemleistungen zu erreichen, die sich als ein sinnvolles Instrument herausgestellt hat, um dem Verursacherprinzip näher zu kommen und eine Inwertsetzung dieser Leistungen bzw. eine Schonung der Ressourcen zu erreichen, ist die TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodiversity) veranlasst worden. Sie befasst sich mit dem „globalen wirtschaftlichen Nutzen der biologischen Vielfalt 110 111 Nur durch fundamentale Änderungen unserer Wirtschafts- und Lebensweise115 lassen sich TEEB-Synthesebericht 2010, Deutsche Fassung. http://www.bfn.de/11930.html 114 http://nachhaltigkeitsrat.de/index.php?id=6565 115 So z. B. die Conclusions des Umweltministerrats der EU vom 20.12.2010 zu „Sustainable Materials Management“. http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/10/st17/st1 7495.en10.pdf; hier: Erster Erwägungsgrund. 112 113 UNEP 2010 „Dead Planet, Living Planet“. www.teebweb.org 54 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 diese Probleme in den Griff bekommen. Wir müssen lernen, mit weniger Naturverbrauch mehr zu erreichen und Wohlstandsentwicklung vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Eine Entkopplung ist aufgrund des Reboundeffektes nicht allein mit technologischer Effizienz erreichbar, denn häufig werden Effizienzsteigerungen durch Mehrverbrauch wieder aufgebraucht. Um Wohlstand vom Ressourcenverbrauch abzukoppeln, braucht es einen Dreiklang aus technologischer Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Dies bedeutet eine Stärkung der Innovation und Investition im Bereich der Ressourcenproduktivität, die Umsetzung einer konsequenten Kreislaufwirtschaft und ein Überdenken unserer Konsummuster. merische Ansätze und Kooperationen finden sich hierfür bereits im Rahmen der Business und Biodiversity Initiative, der TEEB for Business Coalition oder im „Environmental profit and loss account“ der Firma Puma.117 U n ser e Z ie l e Der Raubbau an der Natur zu Gunsten kurzfristiger Gewinne Einzelner muss beendet werden. Um aber die Wirtschaft systematisch in eine nachhaltige, klima-, umwelt- und biodiversitätsschonende Richtung zu lenken, braucht es ambitionierte und verbindliche ökologische und soziale Leitplanken sowie stärkere Anreize zu weniger Ressourcenverbrauch über den Marktmechanismus. Wir wollen ökonomische Anreize und ordnungsrechtliche Vorgaben gleichermaßen nutzen, um die Honorierung von Leistungen der Natur und der nachhaltigen Bewirtschaftung zu verbessern. Der Abbau umweltschädlicher Subventionen zählt hierzu ebenso wie beispielsweise Erleichterungen für nachhaltige Produkte im Abfallrecht. Der Schutz der biologischen Vielfalt kann aber nur gelingen, wenn er über die Umweltressorts hinaus betrieben und zu einem festen Bestandteil auch der Wirtschafts- und Unternehmenspolitik wird. Deshalb werten wir die neue Strategie der EU zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (CSR) 116, die erstmals über einen freiwilligen Ansatz hinaus geht und verpflichtende Regeln für die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen fordert, als Schritt in die richtige Richtung. Wir setzen uns für eine gesetzliche Verpflichtung der Unternehmen ein, Informationen zur Einhaltung von sozialen und ökologischen Grundstandards bei ihrer Geschäftstätigkeit zu veröffentlichen. Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen muss dabei gewährleistet und den beschränkten Kapazitäten kleiner und mittlerer Unternehmen ausreichend Rechnung getragen werden. Die Schädigung natürlicher Ressourcen wie der biologischen Vielfalt muss sanktioniert werden. Dies darf aber nicht zu einem „Ablasshandel“ führen. Wir wollen vielmehr erreichen, dass die Einsicht Raum greift, dass für Unternehmen ein Engagement für die biologische Vielfalt und für die Erhaltung natürlicher Ressourcen nicht nur Marktchancen und mögliche Umsatzsteigerung sondern in vielen Fällen auch schlicht die Erhaltung der eigenen Wirtschaftsgrundlage bedeutet. Zusätzlich dazu sinken die Haftungsrisiken bei Umweltschäden und auch die zunehmende Nachfrage nach nachhaltig produzierten Gütern bietet ökonomische Anreize. Ein Ziel der EU-Biodiversitätsstrategie ist es daher auch, dass die Mitgliedstaaten bis 2014 nicht nur den Zustand sondern auch den Wert ihrer Ökosysteme und Ökosystemleistungen erfassen, um dies künftig in Berichterstattungen und wo sinnvoll in Berechnungen zu berücksichtigen. Erste Beispiele für unterneh- Leider gilt für die ökonomische Berücksichtigung von Biodiversität und Ökosystemleistungen: Was du nicht messen kannst, kannst du nicht lenken. Um eine tatsächliche Verankerung in der Wirtschaft zu ermöglichen, sind Eine neue EU-Strategie (2011-14) für die soziale Verantwortung der Unternehmen (CSR) Brüssel, KOM(2011): http://ec.europa.eu/enterprise/newsroom/cf/_getdocu ment.cfm?doc_id=7008 Puma: Environmental Profit and Loss Account for the year ended 31 December 2010: http://about.puma.com/wpcontent/themes/aboutPUMA_theme/financialreport/pdf/EPL080212final.pdf 116 117 55 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 insbesondere für eine ökonomische Betrachtung von Schädigungen der Natur noch große Wissenslücken zu schließen. Als wichtigste Voraussetzung für einen wirksamen Schutz der Biodiversität und eine stärkere Berücksichtigung in Unternehmen müssen daher bessere Mess- und Monitoring-Systeme und allgemein anerkannte Bewertungskriterien von Ökosystemleistungen und Naturkapital geschaffen werden. Dies gilt für die betriebswirtschaftliche Ebene genauso wie für die volkswirtschaftliche. „Die grüne Rohstoffstrategie stellt dabei den Zugang und Umgang mit Rohstoffen auf eine gerechte und nachhaltige Grundlage. Wir konzentrieren uns auf eine Innovationsstrategie basierend auf Effizienz, Recycling und Substitution, die ökologisch notwendig und ökonomisch vorteilhaft ist.“118 Dies sind gute Grundlagen für die künftige Berichterstattung von Unternehmen und öffentlicher Hand. Die Vielzahl der Ansätze muss im Sinne der Transparenz aber durch Kooperation zwischen den Initiativen verbessert werden. Die Erfahrungen, die Unternehmen im Rahmen der Initiative „Biodiversity in Good Company“ machen, wollen wir als wichtige Pilotvorhaben würdigen. Bei der Einrichtung neuer Inwertsetzungssysteme werden wir darauf achten, dass sie nicht über eine reine Marktorientierung den Zugang zu natürlichen Ressourcen kapitalabhängig machen. Vielmehr müssen Funktionen und Leistungen von Ökosystemen als Gemeingüter betrachtet werden, die über transparente und partizipative Mechanismen verwaltet werden, um gerechten Zugang zu diesen Gütern sicherzustellen. Wir wollen das Verständnis und die Aufmerksamkeit für die Werte der Natur unter Politikern, Unternehmen, Verbänden und Bürgern erhöhen. Dazu sind Unternehmenskooperationen, Pilotprojekte, Begleitforschung und ein internationaler Austausch notwendig, um mehr Erfahrungen mit unterschiedlichen Instrumenten zum Biodiversitätsschutz in der Wirtschaft zu sammeln. Vorschläge für die Berichterstattung über Einflüsse und Abhängigkeiten von Unternehmen in Verbindung mit der biologischen Vielfalt hat jüngst die Global Reporting Initiative (GRI) vorgelegt. 119 Einen Leitfaden für die betriebliche Praxis stellt das „Handbuch Biodiversitäts120 management“ dar. Ähnliche Ansätze verfolgt auch das World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) mit dem „Guide to Corporate Ecosystem Valuation“. 121 Die TEEB for Business Coalition hat sich ebenfalls zum Ziel gesetzt, Standards für die Einbindung von Ökosystemdienstleitungen in die Firmenbilanzen zu entwickeln.122 Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben über die Nachfrage am Markt ebenfalls eine wichtige Lenkungsmöglichkeit. Um diese Verantwortung wahrnehmen zu können, ist aber nicht nur ein Bewusstsein für ökologische Folgen und Folgekosten notwendig, sondern auch Transparenz und Vertrauen. Entsprechende Zertifizierungssysteme können dafür ebenso eine Basis sein wie kompetente Beratung bei der Beschaffung durch die öffentliche Hand. Die im Aufbau befindliche Kompetenzstelle für Nachhaltige Beschaffung 123 sollte daher insbesondere auch Folgen für die biologische Vielfalt berücksichtigen. Mittelund langfristig müssen aber auch alternative Bemessungsgrundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung gefunden werden, die über das BIP (Bruttoinlandsprodukt) und dessen Wachstum hinausgehen und die Bedeutung von ökosystemaren Dienstleistungen als Grundlage für Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität berücksichtigen. Die Initiative zum Wohlfahrtsindex in Schleswig-Holstein124 grüne Rohstoffstrategie – 01.09.2011 GRI 2011: An approach for reporting on ecosystem services 120 BMU 2010: Handbuch Biodiversitätsmanagement. 121 WBCSD: Guide to Corporate Ecosystem Valuation (2011) http://www.greenbiz.com/sites/default/files/WBCSD_Gu ide_CEV_April_2011.pdf 122 http://thefinancelab.org/archives/390 118 119 123 http://www.bescha.bund.de/DE/Nachhaltigkeit/node.h tml?__nnn=true 124 Grüne Wirtschaftspolitik und regionaler Wohlfahrtsindex für Schleswig-Holstein. http://www.sh.gruenefraktion.de/cms/files/dokbin/382/382773.bipgutachten.pdf 56 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 und die Arbeit der Bundestags-Enquete sollen dazu ebenso als Ausgangspunkt dienen wie die Initiative WAVES (Wealth Accounting and Valuation of Ecosystem Services) von Weltbank und UNEP.125 Produkte Erleichterungen im Abfallrecht geschaffen werden.127 Einführung eines Nachhaltigkeitsrankings für Finanzmarktprodukte und Geldanlagen, das umweltschädliche und naturverbrauchende gegenüber nachhaltigen Investitionen kenntlich macht.128 U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge : Bu nd In Koo p e rat i on z w isc h en B un d, Lä nde r n u nd Komm u n en Start einer Initiative zur Entwicklung eines Bewertungssystems für naturverträgliches Wirtschaften über die Einhaltung naturschutzrechtlicher Vorschriften hinaus, gemeinsam mit Wirtschaft und Naturschutzverbänden; bestehende freiwillige Kooperationen wie z. B. „Biodiversity in Good Company“ können hierfür als Ausgangspunkt dienen und durch eine stärkere Vernetzung mit entsprechenden internationalen Initiativen und Verbänden gestärkt werden. Ergänzung der Indikatoren zur Biodiversitäts- und Nachhaltigkeitsstrategie um einen Indikator zu nachhaltigem und biodiversitätsverträglichem Konsum.126 Unterstützung einer Weiterentwicklung und Vereinheitlichung von staatlich garantierten Nachhaltigkeitssiegeln sowie der Definition verbindlicher Nachhaltigkeitskriterien, um transparente Konsumentscheidungen zu ermöglichen. Abbau umweltschädlicher Subventionen; Entwicklung ordnungspolitischer und finanzieller Steuerungsinstrumente, die die tatsächlichen Kosten von nicht-nachhaltig produzierten Gütern einpreisen, indem z. B. die Steuerbefreiung für die stoffliche Nutzung von Erdöl abgeschafft oder für nachhaltige Erarbeitung eines nationalen Aktionsplans und Stärkung der Praxishilfen für die öffentliche Beschaffung, um die Möglichkeiten des Vergaberechts zur Beschaffung ökologisch und sozial erzeugter Produkte und Dienstleistungen sowie zur Förderung regionaler Strukturen besser und breiter nutzbar zu machen. 5.11.2. ARBEITSMARKTEFFEKTE DES BIODIVERSITÄTSSCHUTZES Pro b le m Die Argumentation konservativer Wirtschaftskreise, Umwelt- und Naturschutz verhinderten eine ökonomisch sinnvolle wirtschaftliche Entwicklung und stünden der Schaffung neuer Arbeitsplätze entgegen, ist längst widerlegt. Dieses Argument wird regelmäßig dann vorgetragen, wenn es die Akteure in den unterschiedlichen Wirtschaftbereichen versäumt haben, sich neuen Entwicklungen rechtzeitig anzupassen. Beispielhaft hierfür ist der Bereich der Energieversorgung, wo von der Atom- und Kohlelobby über Jahrzehnte behauptet wurde, dass ein Umstieg auf regene- Positionspapier der Bundestagsfraktion: Stoffliche und energetische Nutzung von Biomasse, September 2011, http://www.gruenebundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/391/391070.biomasse. pdf 128 Grüner Antrag 17/795: Finanzmärkte ökologisch, ethisch und sozial neu ausrichten http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/007/1700795 .pdf 127 125 http://web.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/TOPICS/ENVI RONMENT/0,,contentMDK:23133814~pagePK:148956~ piPK:216618~theSitePK:244381,00.html 126 Fraktionsbeschluss 25. Mai 2010: Eine neue Entscheidungsarchitektur für nachhaltigen Konsum. 57 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 rative Energiequellen für einen Industriestandort wie Deutschland nicht machbar sei. Heute wissen wir, dass gerade bei der Nutzung erneuerbarer Energien Hunderttausende von zukunftssicheren Arbeitsplätzen entstanden sind und weiter entstehen. kommen, dass zu hohe und unzureichend kontrollierte Fischerei zu einem jährlichen Verlust von 50 Milliarden US-Dollar pro Jahr gegenüber einer nachhaltigen Fischerei führen. Der so unvermeidbare Zusammenbruch großer Fischbestände wird längerfristige und gravierendere Konsequenzen haben als eine Anpassung der Fangmengen an ökologisch nachhaltige Größenordnungen. Nach TEEB Schätzungen könnte dagegen das Unterschutzstellen von 20 bis 30 Prozent der Ozeane eine Million Arbeitsplätze schaffen und Fischerträge von 70 bis 80 Milliarden USDollar pro Jahr sowie Ökosystemleistungen im Wert von 4,5 bis 6,7 Billionen US-Dollar erbringen. Nicht nur im Energiebereich erweisen sich Nachhaltigkeit und Umweltschutz als Jobmotor, denn Arbeitsplätze können nur dort Bestand haben, wo sie nicht auf Raubbau an den vorhandenen natürlichen Ressourcen fußen und damit ihre eigenen Produktionsgrundlagen vernichten. Zu welch verheerenden, natur- und arbeitsplatzzerstörenden Folgen unterlassene Umweltschutzmaßnahmen führen können, zeigen Beispiele wie die Havarie der BP-Bohrplattform „Deep Water Horizon“ im Jahr 2010. Dabei wurden nicht nur ganze Landstriche um das MississippiDelta verseucht und Zehntausende in der Region brütende Küstenvögel verendeten qualvoll; in Folge dieser Ölkatastrophe wurde im Bereich der Mississippimündung und an der Küste von Florida ein Fischfangverbot verhängt, die Fischereiwirtschaft und der Tourismus in dieser Region kamen zu Erliegen. Wir brauchen Leitplanken für die Wirtschaft, damit Arbeitsplätze sicher und zukunftsfähig werden. Die TEEB-Studie unterstreicht die Bedeutung für Arbeitsplätze im klassischen Umweltsektor. Dazu gehören insbesondere Ökotourismus und Erholung. An der Neuseeländischen Westküste hängen 15 Prozent der Arbeitsplätze von Aktivitäten im Umfeld des Naturschutzes ab. In Bolivien sichert der Tourismus in Schutzgebieten 20.000 Arbeitsplätze (und damit die Lebensgrundlage für 100.000 Menschen). Das Working for Water Programm stabilisiert durch die Wiederherstellung von Ökosystemen und die Bekämpfung invasiver Arten in Südafrika nicht nur den Wasserhaushalt. Es beschäftigt auch zahlreiche Menschen. Insbesondere in Entwicklungsländern finden sich weitere Beispiele, wie die Abstimmung zwischen Naturschutz, Landnutzung bzw. Fischerei und Tourismus das Einkommen der Bevölkerung steigern kann. Auch in der Landwirtschaft erleben wir Vergleichbares. Zugunsten der Gewinne einiger Weniger werden funktionierende Strukturen im ländlichen Raum zerstört. Bislang werden die Kosten einer billigen und umweltschädlichen Landwirtschaft, die weniger Arbeitskräfte beansprucht, über Sozialsysteme, Agrarförderung und fehlende Haftung für Umweltschäden mit falschen Anreizen gedeckt. Dass die Profite dabei oft nicht nur auf der lokalen Ebenen zu verbuchen sind, sondern auch überregionale oder globale Auswirkungen haben, unterstreicht die Bedeutung öffentlicher Vorgaben und Investitionen gegenüber der Privatwirtschaft. Die TEEB-Studie bezeichnet Investitionen in „Naturkapital“ ausdrücklich als arbeitsintensive Investitionsformen. Dennoch kommt sie mit einer weit gefassten Definition des Umweltsektors zu dem Ergebnis, dass auch in Europa jeder Auch die wiederkehrende Debatte über Fischfangquoten wird meist über Arbeitsplatzargumente geführt, um Quoten durchzusetzen, die weit über den wissenschaftlich empfohlenen liegen, die die Fischpopulationen noch ertragen können. Diese Argumentation muss konsequent als falsch und irreführend angeprangert werden, nicht obwohl sondern gerade weil in Europa rund 400.000 Arbeitsplätze an der Fischereiindustrie hängen. Weltbank und FAO sind vielmehr zu dem Ergebnis ge58 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 sechste Arbeitsplatz von natürlich Ressourcen bzw. der Umwelt abhängt.129 Potenziale für mehr Arbeitsplätze liegen gerade auch in der regionalen Wertschöpfung und im Rahmen der Energiewende, der ökologischen Lebensmittelwirtschaft und dem Tourismus in einem breiten Spektrum an Branchen. Je häufiger ein Euro innerhalb der Region die Hand wechselt, desto mehr Wertschöpfung, qualifizierte Arbeits- und Ausbildungsplätze und regionale Entwicklungsperspektiven werden geschaffen.132 Neben Anreiz- und Zertifizierungssystemen wollen wir auch dafür Sorge tragen, dass Nationalparke und Biosphärenreservate als arbeitsplatzsichernder Faktor anerkannt werden, denn sie tragen bereits heute erheblich zur regionalen Wertschöpfung bei und fördern gleichzeitig das Naturbewusstsein. Auch der Umweltwirtschaftsbericht130 des Bundesumweltministeriums für Deutschland zu einem deutlichen Ergebnis. Demnach ziehen zum Beispiel Schutzgebiete wie Nationalparke, Biosphärenreservate und Naturparke jährlich etwa 50,9 Millionen Besucher an. Allein diese generieren so einen Bruttoumsatz von rund 2,1 Milliarden Euro, was einem Einkommens- bzw. Beschäftigungsäquivalent von etwa 69.000 Personen entspricht. U n ser e Z ie l e Wir wollen erreichen, dass die Arbeitsmarktund Wirtschaftspolitik sich stärker als bislang mit den ökologischen Folgen ihrer Prioritäten auseinandersetzt. Wir brauchen Leitplanken, die ein Wirtschaften auf Kosten der Natur verhindern helfen. Die Förderung von besonderen Leistungen für den Naturschutz muss insbesondere in der Landnutzung als Mehrwert erkannt werden, der breiten gesellschaftlichen Nutzen und positive Arbeitsmarkteffekte mit sich bringt. Wir wollen verhindern, dass das Arbeitsplatz-Argument missbraucht wird, um notwendige Veränderungen in der Art und Weise, wie wir produzieren und was wir konsumieren, zu verhindern. Im Gegenteil: Die Abhängigkeit vieler Arbeitsplätze von natürlichen Ressourcen muss viel stärker berücksichtigt werden. Auch wollen wir, dass das Arbeitsplatzpotenzial, das durch den Naturschutz und den damit einhergehenden Tourismus entsteht, viel stärker als bisher berücksichtigt wird. 131 Naturund Biodiversitätsschutz müssen als hartes Wirtschafts-und Arbeitsplatzthema in den verschieden Politikfeldern etabliert werden, damit zukünftige Entscheidungen auf einer breiteren Abwägungsbasis getroffen werden. U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge : Bu nd, Lä nd e r u nd E u r opäi sc h e Un io n Ausrichtung aller arbeitsmarktrelevanten ökonomischen Unterstützungssysteme (wie z. B. die europäische Agrarund Fischereipolitik) gemäß dem Prinzip „öffentliches Geld für öffentliche Güter“, damit die Bedeutung intakter Ökosysteme für Wirtschaft und Arbeit in Wert gesetzt wird. Verbindliche ökologische Auflagen müssen die Nachhaltigkeit in den geförderten Branchen erhöhen und damit auch zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen. In Koo p e rat i on z w isc h en B un d, Lä nde r n u nd Wi rt scha ft Förderung von mehr Akzeptanz für den Mehraufwand für umweltfreundliches Wirtschaften bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Zertifizierungssysteme und Ökolabel sind hierfür ein guter Ausgangspunkt. Schutz der Biodiversität muss dabei immer ein zentrales Kriterium sein. Förderung insbesondere regionaler und ökologisch nachhaltiger Produkte TEEP for National and International Policy Makers, Summeray 2009. TEEB for Local and Regional Policy Makers, Kap. 1 und Deutscher „Kurzleitfaden“, 2010. 130 Umweltwirtschaftsbericht 2011, Daten und Fakten für Deutschland http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/4210.pdf 131 Vgl. Kapitel 5.10.3 129 Fraktionsbeschluss „Regionale Wertschöpfung in ländlichen Räumen stärken“. 132 59 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 und Dienstleistungen im Rahmen eines Bundesprogramms Regionalvermarktung. Unterstützung der Vermarktung durch ein einheitliches und überprüfbares Kriterien- und Kontrollsystem zur Bewertung von Regionalsiegeln. gische Vielfalt. Er hat einen erheblichen Anteil am Arten- und Lebensraumverlust weltweit. Die falsche Ansiedlung touristischer Einrichtungen – an ökologisch sensiblen Küsten oder mitten in naturnahen Wäldern – trägt dazu ebenso bei wie die Ausübung von Freizeitaktivitäten in empfindlichen Bereichen oder der durch den Tourismus bedingte Eintrag von Schadstoffen in Ökosysteme. Die weltweiten Reiseverbindungen sind auch eine wichtige Ursache für das Einschleppen von invasiven gebietsfremden Arten. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antrag „Regionale Produktions-, Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen stärken“ BT-Drucksache 17/7249 U n ser e Z ie l e Wir wollen, dass die Tourismusbranche Verantwortung für die biologische Vielfalt übernimmt. Sie darf nicht darauf setzen, sich bei Problemen in bisherigen Tourismusregionen einfach anderen, (noch) unzerstörten Reisezielen zuzuwenden. 5.11.3. TOURISMUS – EINE SPEZIELLE HERAUSFORDERUNG Pro b le m Wir setzen uns für intakte Landschaften, Küsten-, Meeres- und Gebirgsökosysteme ein – das nutzt auch dem Tourismus. Wer Natur und Umwelt schadet, entzieht dem Tourismus seine Existenzgrundlagen. Da der Tourismus dazu neigt, gerade dort zu expandieren, wo Artenund Lebensraumdiversität besonders hoch und attraktiv sind, muss jedes Unternehmen frühzeitig darauf achten, sich im Einklang mit den CBD-Richtlinien über biologische Vielfalt und Tourismusentwicklung zu entwickeln.133 Diese sind zwar ein Instrument der freiwilligen Umsetzung, stellen aber ein sehr detailliertes Planungsinstrument für eine nachhaltige Tourismusentwicklung dar und sollen dazu beitragen, die weltweite Erhaltung der Biodiversität in Unternehmensziele zu integrieren. Durch einen frühzeitigen Biodiversitäts-Check in allen ihren Planungen kann viel zu einer naturverträglichen Entwicklung beigetragen werden – in Deutschland und weltweit. Reisen gehört heute für uns in Deutschland zu unserem Alltag. Wer das Geld dafür hat, kommt schnell an den Ort seiner Wünsche – seien es noch so ferne Städte, Berge, Küsten. Der Tourismus hat sich neben der Landwirtschaft zum größten Flächen- und Landschaftsverbraucher entwickelt. Um Hotelanlagen, Strandpromenaden, Golfplätzen oder Skiliften Platz zu machen, werden wertvolle Lebensräume zerstört oder schwer beeinträchtigt. Es gibt eine Vielzahl von Studien, Modellprojekten und Initiativen, die den Wert der Biodiversität für den Tourismus thematisieren. Aber leider repräsentieren die positiven Beispiele nach wie vor nur eine Minderheit und sind weit davon entfernt, zum Mainstream zu werden. Das ist fatal, denn es gibt keine Branche, in der intakte Natur und Landschaft eine so existenzielle Rolle spielen. Der Tourismus lebt zu einem großen Teil von der Attraktivität der Landschaften, der Berge, Meere und Wälder. Er muss aus ureigenem Interesse natur- und umweltverträglich werden und zum Verständnis für Biodiversität und Naturschutz beitragen. Er wirkt jedoch in seinem stärksten Segment, dem Massentourismus, neben den sozialen Folgen auch stark negativ auf Klima, Landschaftsbild und biolo- Tourismusunternehmen können sich heute einem Biodiversitäts-Check unterziehen. 134 Er führt durch die verschiedenen Funktions- CBD Guidelines on Biodiversity and Tourism Development, http://www.cbd.int/tourism/guidelines.shtml 134 Siehe www.business-and-biodiversity.de. 133 60 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 bereiche des Tourismusunternehmens – vom Management über das Firmengelände und die Liegenschaften, über Beschaffung und Lieferketten bis hin zu Produktion und Marketing. Alle Geschäftsbereiche können sich darauf durchleuchten lassen, welchen Einfluss sie auf die biologische Vielfalt haben. So erhält das Unternehmen einerseits einen Überblick über Negativauswirkungen und gleichzeitig Vorschläge, um diese zu reduzieren. Für große Unternehmen sollte ein solcher BiodiversitätsCheck verbindlich vorgeschrieben werden. Beim Umweltmanagementsystem EMAS 135 wurde Biodiversität inzwischen als ein signifikanter Umweltaspekt und PerformanceIndikator ausgewiesen, d.h. EMAS-zertifizierte Tourismus-Unternehmen müssen darüber berichten, wie sich ihre Wirkungen auf die biologische Vielfalt darstellen und welche Maßnahmen sie zum Schutz der Natur ergreifen. schutzspots des BfN im Bordprogramm der TUIfly-Flotte gezeigt. Der internationale Ökotourismus trägt ebenso wie der so genannte Sanfte Tourismus zur Sicherung von biologischer Vielfalt bei. Es können hier Einnahmen generiert werden, die direkt für die Erhaltung natürlicher Gebiete genutzt werden. Auch mit konventionellen Reisen kann ein Beitrag geleistet werden – wenn die Angebote sowohl für die Tourismuswirtschaft als auch für den Reiseort langfristig positiv und dabei ökologisch und sozial verträglich sind. Eine gezielte Vermarktung regionaler Produkte, die durch den Tourismus eine zusätzliche Nachfrage erzielen, führt zu längeren Wertschöpfungsketten. Das bedeutet: Regionale Rohstoffe werden vor Ort angebaut, verarbeitet und verkauft. Die Umsätze kommen der Region und der heimischen Wirtschaft zugute; das stärkt das Bewusstsein für die eigene Existenzgrundlage – die intakte Natur. Wir Grünen wollen daher, den nachhaltigen Tourismus durch Bundesmittel zur Leistungssteigerung im Tourismusgewerbe gezielt so fördern, dass Reiseangebote klimaneutral gestaltet werden, regionale Küche durch die Gastronomie angeboten oder auf eine regionale Bauweise in Hotelerie und Gastronomie zurückgegriffen wird. Grundsätzlich sehen wir alle Unternehmen in der Verantwortung, die Folgen ihrer Aktivitäten für die biologische Vielfalt zu Bewerten und die Möglichkeiten, negative Folgen zu vermeiden, auch zu nutzen (siehe Kapitel 5.11.1.) Die Möglichkeiten touristischer Unternehmen, Lebensräume und Artenvielfalt zu schützen, sind breit gefächert. Da Tiere und Pflanzen grüne Korridore, Rückzugsgebiete und Nahrung benötigen, ist die naturnahe Gestaltung der Destinationen ein guter Einstieg. Auch bei der Beschaffung kann man, soweit es heute bereits möglich ist, auf biodiversitätsfreundliche Label setzen, wie z. B. Fair Trade, FSC für Holz oder MSC für Produkte aus nachhaltigem Fischfang. Spezielle Weiterbildung für die Mitarbeiterschaft sensibilisiert für Fragen des Umwelt- und des Artenschutzes. So hat zum Beispiel das Bundesamt für Naturschutz gemeinsam mit der TUI AG 2009 einen Souvenir-Ratgeber unter Berücksichtigung von Artenschutzaspekten veröffentlicht. Er wird in über 20 Urlaubsgebieten verteilt, in denen illegaler Souvenirhandel mit geschützten Arten häufig vorkommt. Zudem werden seit November 2009 kurze Arten- Die Tourismuswirtschaft trägt durch einen hohen Energieverbrauch zur Klimaerwärmung und damit dem Verlust der Biodiversität in erheblichem Maße bei. Der Anteil am Ausstoß von Treibhausgasen liegt bei 12,5 Prozent. Bei Kurzreisen zu Nahzielen nimmt dabei die Unterkunft einen erheblichen Anteil ein. Das deutsche Gastgewerbe befindet sich aber seit geraumer Zeit in einem gesättigten Markt. Das schlägt sich auch in einem erheblichen Investitionsstau nieder. Deshalb wollen wir Hotelerie und Gastronomie mit gezielten Maßnahmen für Energieeffizienz und Energieautarkie mit Erneuerbaren Energien begeistern. Das spart Emissionen, löst den Investitionsstau und dient dann auch der Erhaltung der Biodiversität. Eco- Management and Audit Scheme, auch bekannt als EU-Öko-Audit oder Öko-Audit. 135 61 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Der Umfang touristischer Angebote in Großschutzgebieten, also Nationalparken, Biosphärenreservaten und Naturparken, ist bereits beachtlich und liefert einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Schutz der Natur. Es handelt sich um eine gute Alternative zu flächen- und infrastrukturintensiven Freizeitnutzungen, die noch verbessert werden kann und muss. Die Anbindung an den Verkehr muss aber besser werden, wie das vorbildlich bei dem gemeinsamen Projekt Fahrtziel Natur von der DB AG, dem VCD und dem NABU und BUND geschieht. Dennoch sind auch bei An- und Abreise viele Möglichkeiten umweltfreundlicher noch nicht ausgeschöpft. Für das notwendige Verständnis für den Naturschutz muss Begeisterung für die Natur geweckt werden. Großschutzgebiete haben dazu grundsätzlich bessere Möglichkeiten. Aber auch für Natura 2000 Gebiete sollten vergleichbare Bildungsangebote wie die NaturaTrails genutzt und ausgebaut werden (siehe Kapitel 5.12.). verbraucherfreundlich und emissionsarm gestaltet. Möglichkeiten der Kompensation von CO2-Emissionen von Reisen sollen gefördert werden. Beratung der Tourismusbranche beim Biodiversitätsmanagement und Unterstützung bei der Einführung eines Biodiversitätschecks. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Fraktionsbeschluss „Tourismus für die Region“ vom 24.01.2012 Flyer „Green New Deal auf dem Lande“ Fraktionsdrucksache 17/44 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Wiederaufbauhilfe der Bundesregierung für die vom Tsunami 2004 betroffenen Tourismusregionen in Südostasien“ BT-Drucksache 17/488 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Freizeitparks und Freizeitunternehmen in Deutschland“ BT-Drucksache 17/1275 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Freizeitparks und Bundesgartenschauen in Deutschland“ BT-Drucksache 17/5029 Tourismus und Schutz der Biodiversität können Hand in Hand gehen. Damit das von der Ausnahme zur Regel wird, muss die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Antwort auf unsere kleine Anfrage „Rahmenbedingungen für die Tourismuswirtschaft“ BTDrucksache 17/5104 U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge : Antwort auf unsere kleine Anfrage „Deutschgriechische Zusammenarbeit“ BT-Drucksache 17/7537 Bu nd Gezielte Förderung des nachhaltigen Tourismus durch Bundesmittel zur Leistungssteigerung im Tourismusgewerbe. Dazu gehört auch die Verbesserung der Kundeninformationen über die ökologische, soziale und ökonomische Qualität des Reiseangebots. Antwort auf unsere kleine Anfrage „Nachhaltige Bewirtschaftung des Edersees“ BTDrucksache 17/7535 5.11.4. ROHSTOFFE UND BIODIVERSITÄT In Koo p e ra t i on z w isc h en B un d, Lä nde r n u nd To u ri sm u s wi rt scha ft Positionierung von Großschutzgebiete als Modellregionen für naturverträglichen Tourismus. Hierfür werden Regionalmanager eingesetzt, die aus bestehenden (EU-)Förderprogrammen zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur finanziert werden. Intermodales Mobilitätskonzept, dass die (An- und Ab-)Reisemöglichkeiten Pro b le m Wachsende Weltbevölkerung und Wirtschaftswachstum erzeugen einen enormen Rohstoffhunger. Die Nutzung von Rohstoffen wie wir sie heute betreiben, verursacht über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg – von der Gewinnung, über die Verarbeitung und Nut- 62 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 zung bis hin zur Entsorgung – enorme Belastungen für Mensch, Natur und Umwelt. giftige Chemikalien wie Arsen oder ZyanidVerbindungen enthalten. Der Rohstoffabbau kann ganze Landschaften zerstören. Bisher relativ unberührte aber rohstoffreiche Gebiete wie die arktische Tundra, die fast unerforschte Tiefsee oder hochbiodiverse Regenwaldgebiete werden durch die gestiegenen Rohstoffpreise und die weiterentwickelte Förder- und Abbautechniken wirtschaftlich immer attraktiver. Je unzugänglicher die Lagerstätten sind, desto höher das Risiko von nicht mehr beherrschbaren Unfällen beim Rohstoffabbau. Die wiederum haben dramatische Folgen für die Natur und Umwelt, wie das Beispiel der Ölkatastrophe 2010 im Golf von Mexiko zeigt. Zudem machen gestiegene Preise im Energiebereich auch Förderungen rentabel, die mit einem immensem Land- und Naturverbrauch einhergehen, wie zum Beispiel die Gewinnung von Öl aus Teersanden in Kanada. Ganze Gebiete werden dafür abgebaggert, mit unwiederbringlichen Verlusten an Lebensräumen und Biodiversität. In Deutschland wurden im Jahre 2008 1,2 Milliarden Tonnen nicht-erneuerbare Rohstoffe bei der Produktion und für den privaten Konsum verbraucht. Pro Kopf sind dies etwa 15 Tonnen. Den überwiegenden Anteil der Rohstoffe verwendet in Deutschland das produzierende Gewerbe (89,2 Prozent), darunter vor allem die Bereiche Glas, Keramik, Steine, Erden sowie Bauarbeiten und Stromerzeugung.136 Laut Statistischem Bundesamt ist es zwar gelungen, dass im materialintensiven Wirtschaftsbereich Glas, Keramik, Steine, Erden sowie im Bereich des Zweiges Bauarbeiten in der Zeit von 2000 bis 2008 wesentlich weniger Rohstoffe verbraucht wurden, doch in den meisten anderen Bereichen nahm der Verbrauch zu. Die praktischen Erfahrungen aus der Effizienzberatung belegen, dass kleine und mittelständische Unternehmen im Durchschnitt etwa 20 Prozent der Rohstoffe allein durch effektivere – technische und organisatorische – Produktionsabläufe einsparen können.137 Die deutsche Materialeffizienzagentur (demea) beziffert das Einsparpotenzial durch den effizienteren Einsatz von Materialien und effizientere Prozesse auf 100 Milliarden Euro. Diesen Schatz gilt es zu heben – auch für den besseren Schutz der Biodiversität. Doch nicht nur die nicht nachhaltige Gewinnung energetischer Rohstoffe ist eine Gefahr für die Biodiversität. Auch der Abbau mineralischer und metallischer Rohstoffe ist häufig mit massiven Eingriffen in die Naturräume und damit einhergehend mit Verlust an biologischer Vielfalt verbunden. Weltweit werden heute jährlich annähernd 60 Milliarden Tonnen an abiotischen nicht-energetischen Rohstoffen verbraucht. Dies sind 50 Prozent mehr als noch vor 30 Jahren – Tendenz weiter steigend. Gleichzeitig nimmt der Metallgehalt von Erzen in den herkömmlichen Lagerstätten ab. Um dies auszugleichen, werden neue Lagerstätten in ökologisch sensiblen Gebieten erschlossen, beispielsweise Erze im Regenwald oder Seltene Erden auf Grönland. Immer mehr Böden müssen weltweit bewegt werden, um die gleiche Menge an Erzen zu fördern. Die notwendige Infrastruktur (Straßen, Pipelines etc.) belastet die Umwelt zusätzlich. Problematisch ist auch die Entsorgung von Bergbauund Industrieabfällen, besonders wenn sie Schwermetalle wie Blei und Cadmium oder Plastikmüll ist ein wachsendes Problem in den Meeren, das von der Verletzungs- und Erstickungsgefahr über das Verhungern von Tieren, deren Magen mit unverdaulichen Plastikteilen gefüllt ist, bis zur Auswaschung giftiger Substanzen auf diversen Eben des marinen Ökosystems katastrophale Folgen hat. U n ser e Z i e l e Rohstoffe einsparen: Wir wollen die Rohstoffeffizienz deutlich steigern, denn sie bringt eine Dreifachdividende: Sie senkt die Abhängigkeit von Rohstoffen, schont damit Umwelt, Biodiversität und Klima und stärkt die Wett- Umweltwirtschaftsbericht 2011. Fraktionsbeschluss „Grüne Rohstoffstrategie“ vom 1.9.2011. 136 137 63 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 bewerbsfähigkeit unserer Industrie. Gleichzeitig müssen die Lebensdauer und die Nutzungszeiten der Produkte verlängert werden. Es geht auf Kosten von Natur, Umwelt und Verbrauchern, dass insbesondere moderne ITProdukte kurz nach Ende der Garantiezeit ausfallen und Akkus sowie Ersatzteile nicht oder nur zu unverhältnismäßigen Kosten ausgetauscht werden können. Auch neue Nutzungskonzepte, die der Philosophie "Nutzen statt Besitzen" folgen, helfen den Ressourcenverbrauch deutlich zu senken und können die mit Effizienzsteigerungen einhergehenden Rebound- oder Bumerang-Effekte mindern. insbesondere für die Landwirtschaftspolitik (siehe Kapitel 5.6.). Rohstoffe naturverträglich fördern: Die Gewinnung mineralischer Rohstoffe muss in Übereinstimmung mit dem Natur- und Landschaftsschutz erfolgen. Wertvolle Naturschutzgebiete wie Fauna-Flora-Habitat- und Vogelschutzgebiete (Natura 2000) sind in ihrer ökologischen Qualität zu erhalten und vor erheblichen Beeinträchtigungen zu schützen. Eine Aufweichung des deutschen und europäischen Naturschutzrechts zugunsten von Eingriffen für Rohstoffgewinnung werden wir nicht zulassen. Auch international setzen wir uns für substanzielle ökologische Standards bei der Rohstoffförderung ein. Rohstoffe wiederverwenden und substituieren: Auch die Rückgewinnung und Wiederverwendung der im Abfall enthaltenen Ressourcen birgt ein riesiges Potenzial. So enthält eine Tonne Handyschrott dreißig Mal mehr Gold als eine Tonne Golderz. Wir wollen die Recyclingquoten und vor allem die Qualität des Recyclings deutlich anheben. Die „neuen Ziele“ der Bundesregierung im gerade beschlossenen Abfallgesetz sind dagegen nur eine Festschreibung des schon Erreichten. Pfand auf Endgeräte wie Mobiltelefone und haushaltsnahe Sammlungen können hier ein Lösungsansatz sein. Wir wollen hohe Standards bei der Förderung von Rohstoffen – weltweit. Im eigenen Land wollen wir dafür das Bergrecht umfassend reformieren. Die Zahlung einer Förderabgabe muss der Regel- und nicht der Ausnahmefall in Deutschland sein. Die Höhe der Abgabe sollte mindestens zehn Prozent des Rohstoffwertes betragen und von den Ländern festgesetzt werden. Diese Einnahmen sollen insbesondere für die Behebung der unvermeidbaren Schäden des Abbaus und für die Entwicklung von Substitutionsmaßnahmen verwendet werden. Auch wollen wir die völlig unzureichende Bürgerbeteiligung und Transparenz bei den Genehmigungsverfahren nach Bergrecht stark verbessern (siehe auch Kapitel 5.9.). Außerdem wollen wir verstärkt problematische (knappe oder besonders umweltbelastende) Rohstoffe durch andere mineralische oder biotische Rohstoffe ersetzen. Dabei ist es wichtig, auch den „ökologischen Rucksack“ der Rohstoffe zu beachten. Für die Weiterentwicklung dieses Themenfelds und für die Orientierung auf seine Praxisanwendung müssen zusätzliche Anreize in der Forschung gesetzt werden. Vor der Genehmigung von Tiefseebergbau müssen umfangreiche Forschung und Umweltverträglichkeitsprüfungen stattfinden. Wir sind gegen Tiefseebohrungen nach Öl und für ein gesetzliches Verbot der Ölförderung im Watt. Langfristig wollen wir die Eingriffe in die Natur zur Gewinnung fossiler und mineralischer Rohstoffe auf ein Minimum reduzieren, indem wir unseren Rohstoffbedarf durch Recycling in geschlossenen Kreisläufen senken und durch biotische Rohstoffe decken. Die Gewinnung dieser biotischen Rohstoffe ebenso wie die Erzeugung der Nahrungsmittel muss nachhaltig und mit Gewinn für die Biodiversität erfolgen – hier liegt die große Herausforderung Zum Schutz der Arktis, der Tiefsee, der Regenwälder und anderer empfindlicher Ökosysteme weltweit müssen die gleichen Maßstäbe auch für Importe und Aktivitäten deutscher Unternehmen weltweit gelten. Die von der Bundesregierung völlig vernachlässigte Fortentwicklung der Zertifizierungsdebatte, die für erneuerbare Energierohstoffe 64 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 bereits zu europäischem Recht geführt und für mineralische Rohstoffe durch den DoddFrank-Act des US Kongresses einen gewaltigen Chance bekommen hat, sehen wir als zentrales Anliegen.138 Auch die in den USA (DoddFrank) und von der EU-Kommission vorgelegten Initiativen für mehr Transparenz im Rohstoffsektor sind für uns ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. bohrungen nach Öl und Verbot der Ölförderung im Watt. Verpflichtende ökologische Kriterien für Rohstoffunternehmen weltweit. Unterstützung rohstoffreicher Länder durch Capacity Development und Technologietransfer, um den Rohstoffabbau so naturschonend wie möglich zu gestalten. Unterstützung der Schutzanstrengungen in Entwicklungsländern Einen internationalen Vertrag zum besonderen Schutz der Arktis. Plastikmüll vermeiden: Abgaben auf Plastiktüten sowie vereinzelt auch Verbote werden in zahlreichen Ländern bereits als wirksame Instrumente zur Verringerung des Plastikmülls genutzt. Wir Grüne haben bereits beschlossen, auch in Deutschland eine Abgabe von 22 Cent auf Plastiktüten einzuführen.139 Verbindlich vorgeschriebenes Recycling und Abgaben in allen Anwendungsbereichen von Kunststoffen müssen genutzt werden, um das StoffstromManagement zu verbessern. Zudem muss der Einsatz von Kunststoffen massiv reduziert werden. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Fraktionsbeschluss „Grüne Rohstoffstrategie“ vom 01.09.2011 Antrag „Sammlung und Recycling von Elektronikschrott verbessern“ BT-Drucksache 17/8899 Änderungsantrag zum Koalitionsentwurf „Deutsches Ressourceneffizienzprogramm – Ein Baustein für nachhaltiges Wirtschaften“ BT-Drucksache 17(16)504 U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge Bu nd Antrag „Transparenz im Rohstoffsektor – EUVorschläge umfassend umsetzen“ BTDrucksache 17/8354 Reform des Bundesberggesetzes mit u. a. einheitlicher Förderabgabe von zehn Prozent, die zur Behebung der Abbauschäden eingesetzt wird. Unterstützung der Yasuní-ITT-Initiative in Ecuador und ähnlicher zukunftsweisender Projekte, die Biodiversität durch einen Verzicht auf Rohstoffabbau effektiv schützen. Entschließungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts-und Abfallrechts BT-Drucksache 17(9)664 5.12. BIODIVERSITÄT IN BILDUNG, WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG In int e r nat i ona l e r Z u s a m m ena r b eit Weitentwicklung des Tiefseebergbaukodex inklusive einer international verbindlichen und vor dem Seegerichtshof einklagbaren Umweltverträglichkeitsprüfung; Erforschung und Monitoring der Ökosysteme als Teil des Tiefseebergbaus. Verzicht auf Tiefsee- Bildung Pro b le m Um die biologische Vielfalt dauerhaft zu erhalten, bedarf es einer breiten Zustimmung und Mitwirkung in der Gesellschaft. Alle Menschen140 sollten um die Bedeutung der biologischen Vielfalt als Lebensgrundlage heutiger Fraktionsbeschluss „Grüne Rohstoffstrategie“ vom 1.9.2011. 139 Entschließungsantrag zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts-und Abfallrechts BT-Drucksache 17(9)664. 138 Vgl. Indikatorenbericht 2010, 2.5 Gesellschaftliches Bewusstsein. 140 65 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 und künftiger Generationen wissen. Das ist eine große Bildungsaufgabe. In der Nationalen Biodiversitätsstrategie heißt es zu Recht: „Aktivitäten zur Erhaltung der biologischen Vielfalt benötigen gesellschaftliche Unterstützung. Dazu bedarf es handlungsorientierten Lernens sowohl im Bildungsbereich als auch in allen anderen Bereichen des Lebens.“141 denen die Ziele und Initiativen einer „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ verstetigt werden. Die jüngst eröffnete UN-Dekade der biologischen Vielfalt hat sich ebenfalls Bildungsziele gesetzt. Die Programme im Rahmen beider Dekaden sollten im Bereich der Biologischen Vielfalt optimal auf einander abgestimmt werden. Bildungsarbeit im Naturschutz ist fast so alt wie der Naturschutz selbst und war von Beginn an konstitutiver Teil der Naturschutzbewegung.142 Unter anderem dadurch spielen Naturschutzorganisationen, Verwaltungen der Großschutzgebiete und Vogelschutzwarten, naturkundliche Museen sowie in begrenztem Umfang auch die Zoologischen und Botanischen Gärten eine viel größere Rolle bei der Bildung für den Naturschutz als die klassischen Bildungsinstitutionen. Auch Freiwilligendienste wie das Freiwillige Ökologische Jahr haben in der Bildungsarbeit wichtige Funktionen übernommen. U n ser e Z ie l e Die Bedeutung der biologischen Vielfalt soll als ein wichtiges Bildungsthema in stärkerem Maße als bisher verankert werden. In den verschiedensten Bildungseinrichtungen sollen entsprechende Angebote zielgruppengerecht und orientiert an der Lebenswirklichkeit von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ausgebaut werden. Für konfliktträchtige Themen wie die Wiederansiedlung von Beutegreifern wie dem Wolf sind gezielte Aufklärungsstrategien notwendig, um Sorgen und Ängsten der Bevölkerung zu begegnen. In den Schulen sollten Umwelt- und Naturschutzthemen im Rahmen des fachübergreifenden Unterrichts oder auch durch schulische sowie außerschulische Initiativen neben dem Unterricht thematisiert werden. Viele längst verbreitete Wege wie Waldschulen, Naturschutzzentren an den Schulen (Grünes Klassenzimmer), Schulbiotope, Schulgärten und Schulbauernhöfe sind sehr geeignet, Kindern und Jugendlichen frühzeitig Zugang zur Natur zu ermöglichen und Erfahrungsräume zu bieten.. Die Vermittlung des Wertes der biologischen Vielfalt muss die gesamte Breite moderner Kommunikationswege nutzen. Ein Beispiel dafür sind die internetgestützten Projekte „Biodiversity around my School“, mit denen sich Deutschland an der Umsetzung der „Globalen Bildungsinitiative der CBD CEPA“ 144 beteiligt hat. Auch vielfältige außerschulische Umweltbildungs- und Naturerfahrungsangebote sollten diese schulischen Möglichkeiten ergänzen.145 So verfolgen die als Mit der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE 2005-2014) hat die Weltgemeinschaft sich das Ziel gesetzt, die Bildungsaktivitäten stärker auf die Erfordernisse der nachhaltigen Entwicklung auszurichten. Internationale Lead-Agency ist dabei die UNESCO. In Deutschland wird die UN-Dekade von einem von der Deutschen UNESCOKommission einberufenen Nationalkomitee koordiniert. Im Frühjahr 2009 fand die Halbzeitkonferenz der UN-Dekade in Bonn statt. Vertreter und Vertreterinnen aus 150 Staaten appellierten in der am 2.April 2009 verabschiedeten „Bonner Erklärung“ eindringlich, die Bildungssysteme weltweit neu auszurichten. Und dennoch haben in Deutschland nur 22 Prozent der Bevölkerung ein mindestens ausreichendes Bewusstsein für die biologische Vielfalt, also weniger als ein Drittel der Zielmarke von 75 Prozent.143 Es ist daher dringend notwendig, nach Ablauf der Dekade Folgeaktivitäten anschließen zu lassen, mit NBS 2007: 61. „Bildung und Naturschutz – alte und neue Herausforderungen“, Natur und Landschaft , März 2009. 143 Indikatorenbericht zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt 2010. CEPA = Communication, Education, Public Awareness. „BNE und biologische Vielfalt im schulischen und außerschulischen Kontext – curriculare Vorgaben und Verständnis“, Jorge Groß, Armin Lude, Susanne Menzel, in: Natur und Landschaft, März 2009. 141 144 142 145 66 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Dekadeprojekt im Rahmen der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausgezeichneten NaturaTrails der NaturFreunde 146 das Ziel, in Natura 2000-Gebieten durch Aufklärung und Information Begeisterung für die Natur und Verständnis für den Naturschutz zu wecken. Zur Umweltbildung im Bereich biologische Vielfalt soll auch ein nationales Monitoringzentrum beitragen (siehe Kapitel 5.2.). nen. Die Wissenschaft leistet sowohl im Bereich der Forschung als auch in der Lehre einen erheblichen Beitrag dazu, notwendiges Wissen zu erlangen und weiterzuverbreiten. Die Biodiversitätsforschung hat in den letzten zwanzig Jahren trotz stagnierender finanzieller Unterstützung große Fortschritte bei Erkenntnisgewinn und interdisziplinärer Vernetzung gemacht, weist aber immer noch eklatante Defizite auf147. Millionen von Arten sind noch unentdeckt, viele von ihnen rottet der Mensch aus, bevor er sie überhaupt kennengelernt hat. Große Ökosysteme wie die Tiefsee, der Boden oder das Grundwasser sind noch weitgehend unerforscht. Das Verständnis der funktionalen Zusammenhänge innerhalb von Ökosystemen und die Wirkung menschlicher Aktivitäten darauf ist für viele Systeme noch lückenhaft. Unsere grünen Lösungsvorschläge: In Kooperation von Bund und Ländern Verbindliche Einführung der Themenfelder Ökologie, Umwelt und Naturschutz in die Lehrpläne aller Klassenstufen und Schulformen. Berücksichtigung der Themenfelder Ökologie, Umwelt und Naturschutz in den Aus-, Fort- und Weiterbildungscurricula der pädagogischen Berufe. Überarbeitung aller Förderrichtlinien und Aktionspläne von Bund und Ländern, damit sie den speziellen Bedingungen und Möglichkeiten von außerschulischen Bildungsträgern, die sich mit Umweltbildung befassen, entsprechen. Erarbeitung zielgruppenspezifischer Bildungsangebote zur biologischen Vielfalt mit allen geeigneten Bildungseinrichtungen. Verbesserung der Kooperation von schulischen und außerschulischen Bildungsträgern im Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Es macht „Sinn, von der Natur zu lernen, einer Firma, die in vier Milliarden Jahren nicht Pleite gemacht hat“ (Frederic Vester).148 Heute versuchen immer mehr Forschende den Schöpfergeist der Natur in interdisziplinären Teams zwischen Naturwissenschaft und Technik nachzuvollziehen149 und neue effizientere Problemlösungen zu finden (Bionik) 150. Auch die Nutzung genetischer Ressourcen z.B. für die Pharmazie ist ein Forschungsbereich, der vollständig vom Vorhandensein biologischer Vielfalt und Information abhängt. Ebenso zeigt die Forschung immer deutlicher die Rolle von Ökosystem und ihren Dienstleistungen für das menschliche Wohlbefinden auf – neben technischen Lösungen und der Erfüllung von Grundbedürfnissen wie Nahrung und Gesundheit sind dies auch zunehmend die regulierenden und kulturellen Leistungen der Natur, wie etwa der Hochwasserschutz oder die Nah- Wissenschaft und Forschung Problem Es ist unstrittig, dass es fundierten Wissens bedarf, um im Bereich der biologischen Vielfalt Zusammenhänge begreifen, Entwicklungen abschätzen sowie bewerten zu können und um verantwortlich entscheiden zu kön- 146 EPBRS: European Biodiversity Research Strategy 20102020 http://www.epbrs.org/PDF/EPBRS_StrategyBDResearch_ May2010.pdf 148 „Warum Naturschutz? Fünf Gründe, die Viele überraschen dürften“, BfN 2005. 149 Vgl. Prof. Dr. Berndt Heydemann: Vielfalt im Leben. Ausblicke in die Zukunft. Menschen lernen vom Ingenieurbüro Natur, Nieklitz 2002; 150 Andreas Weber: Bionik für Fortgeschrittene, in: „Perspektive Zukunft. natur.technik.leben“ hrsg. von der Umweltstiftung des WWF 2011. 147 http://www.natura-trails.naturfreunde.de/ 67 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 erholung. Die Studie über die Ökonomie von Ökosystemdienstleistungen und Biodiversität (TEEB151) war hierfür ein wichtiger Meilenstein, der im Rahmen des Vorhabens „Naturkapital Deutschland“ auf nationaler Ebene weiterentwickelt werden soll. Um unabhängig arbeiten und forschen zu können, benötigt Wissenschaft und Forschung im Bereich der Biodiversität eine breite gesellschaftliche Unterstützung und Anerkennung. Dies ist nicht in allen Disziplinen der Fall: Leider gehört z. B. die Taxonomie zu den vernachlässigten Wissensgebieten, die als vermeintlich nachrangig nicht ausreichend gewürdigt werden. Insbesondere vor Ort nimmt die Anzahl der versierten und aktiven Fachleute mit vertieftem Expertenwissen ab. Es fehlen zunehmend jene, die über die biologische Vielfalt konkret Auskunft geben können, diese erfassen und dokumentieren und die ihre Kompetenz weitergeben könnten (siehe Kapitel 5.2). Nationale wie internationale Anforderungen der Biodiversitätspolitik haben die Biodiversitätsforschung wieder etwas gestärkt, viele Strukturen befinden sich derzeit jedoch noch im Aufbau. An den Hochschulen und Universitäten sind freilandökologischer und naturschutzorientierter Lehrstühle und Studiengänge unterrepräsentiert. Gleichzeitig zeigt sich in der Förderpolitik, dass die Biodiversität noch nicht überall als wichtiges Forschungsthema verankert ist. So enthält der Entwurf für das künftige EU-Forschungsrahmenprogramm „Horizont 2020“154 keinen eigenen Schwerpunkt zur Biodiversitätsforschung, sondern marginalisiert Biologische Vielfalt als Teilaspekt der Bereiche Ernährungssicherheit und Ressourcen. Die mit der biologischen Vielfalt verbundenen Forschungsfragen sind äußerst vielfältig. 152 Genauso vielfältig ist auch das notwendige Handlungswissen, um politische Entscheidungen wissensbasiert treffen zu können – zu Problemlösungen im Bereich der biologischen Vielfalt, aber auch zu den Implikationen anderer Politiken auf die Biodiversität.153 Denn mit jeder aussterbenden Tier- und Pflanzenart gehen raffinierte technische Lösungen und andere Werte für den Menschen für immer verloren. Die forschungspolitischen Rahmenbedingungen werden durch Plattformen bei wie EPBRS (European Platform für Biodiversity Research Strategy), GTI (Global Taxonomy Initiative) oder GSPC (Global Strategy for Plant Conservation) entscheidend mitgeprägt. Auf nationaler Ebene befassen sich nicht nur die Forschungsverbünde wie die Helmholtz- und die Leibniz-Gemeinschaft mit Fragen der biologischen Vielfalt. Netzwerke wie das Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung (NEFO) und DIVERSITAS-Deutschland spielen für die Vernetzung und Kommunikation in der Biodiversitätsforschung herausragende Rollen. Auch seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Ressortforschung im Umweltforschungsplan wird eine Vielzahl an Vorhaben im Bereich der Biodiversitätsforschung gefördert, ein DFG-Forschungszentrum in Leipzig ist in Planung. Diese Vielfalt an Akteuren macht die Forschungs- und Förderkulisse allerdings auch unübersichtlich und für die Öffentlichkeit schwer zugänglich. Ein spezielles Problem im Bereich der Biodiversitätsforschung stellen die Sammlungen dar. Der Verlust von Sammlungen ist gleichzusetzen mit dem Verlust von Wissen, da jeweils große Teile der Sammlungen unwiederbringbar sind. Es kommt darauf an, das vorhandene Wissen zu bewahren und zu erweitern. Projekte wie das German Barcode of Life Projekt (GBOL), das Sammlungen mit genetischen Informationen verknüpft, sind ein wichtiger Ansatz hierzu. Deutschland hat sich international zur Erhaltung seiner naturwissenschaftlichen und kulturhistorischen www.teebweb.org Vgl. „Konzept – Themenschwerpunkte für den Bereich Wissenschaft und Forschung zur Unterlegung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt und des Bundesprogramms Biologische Vielfalt“, BfN/UBA, Bonn/Dessau, Juni 2011. Siehe auch: EPBRS: European Biodiversity Research Strategy 2010-2020 153 Vgl. „Vilmer Handlungsempfehlungen zur Förderung einer umsetzungsorientierten Biodiversitätsforschung in Deutschland“, 30.9.-2.10.2007, Insel Vilm. 151 152 Europäische Kommission (2011): Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ (2014-2020), KOM(2011)809 154 68 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Sammlungen verpflichtet. Forschungssammlungen und -museen realisieren ihre Arbeit im Spannungsfeld von Forschung, Ausbildung, Sammlungsbetreuung und wissenschaftlicher Serviceleistungen.155 Sie sind unverzichtbare Institutionen im Gefüge der globalen Forschungsinfrastruktur – gerade auch einmalige Spezialsammlungen (z. B. hochspezialisierte mikrobiologische Sammlungen) und Spezialbibliotheken (z. B. für Paläontologie). Sie tragen darüber hinaus zur Ausbildung von Spezialisten bei und vermitteln naturwissenschaftliches Wissen an die Öffentlichkeit, Interessenverbände, Schülerinnen, Schüler und Studierende. Sie sind wichtige Partner für den Naturschutz, die Raum- und Landschaftsplanung sowie staatliche Behörden. Doch die personelle Besetzung der Forschungsmuseen gestaltet sich zunehmend dramatisch; für viele Arbeitsgebiete und Organismengruppen gibt es bereits keine Spezialisten mehr. Es bedarf dringend geeigneter Förderprogramme, insbesondere im Bereich Taxonomie. 156 Eine Studie zur Biodiversitätslehre in Deutschland identifiziert darüber hinaus Lücken insbesondere in den Bereichen Methodik und Modellierung, Anwendungsorientierung in Richtung Naturschutz und Landwirtschaft sowie interdisziplinäre Ausrichtung in soziologische und ökonomische Bereiche.157 Die Vernetzung mit anderen angewandten Forschungsgebieten wie dem Bodenschutz, dem Meeresnaturschutz bis hin zur Klimafolgenforschung sollte ebenso verstärkt werden wie die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen natur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen sowie mit Rechts- und Wirtschaftswissenschaften und Praktikern. Hier hat Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern deutlichen Nachholbedarf.158 Im April 2012 hat die UNO den so genannten Biodiversitätsrat IPBES159 gegründet, dessen Sekretariat in Bonn angesiedelt werden soll. Die Einrichtung wird die globale Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik werden und soll unter anderem nationale und internationale Programme, Organisationen und Mechanismen umfassen. IPBES hat ferner das Ziel, den Bedarf an Forschung zur Biodiversität besser zu identifizieren und deren Durchführung anzustoßen. Es ist zu hoffen, dass davon starke Impulse für Wissenschaft und Forschung im Bereich der Biodiversität ausgehen werden. Die Balance zwischen wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit und politischer Relevanz, die Eingliederung in das UN-System sowie die genaue Ausgestaltung der Arbeitsgruppen und -strukturen sind bislang jedoch noch weitgehend ungeklärt. Unsere Ziele Die deutsche Forschung zur Biodiversität leistet trotz struktureller und finanzieller Herausforderungen der letzten Jahrzehnte weiterhin wertvolle Beiträge von internationaler Bedeutung. Diese Rolle muss gezielt gestärkt und eine weiterführende trans- und interdisziplinäre Forschung entwickelt werden, die ausgehend von der Grundlagenforschung auch problembezogene Lösungen erarbeitet. Wir wollen Wissenschaft und Forschung stärker in den Umsetzungsprozess der nationalen Biodiversitätsstrategie einbeziehen. Die Biodiversitätsforschung muss gestärkt werden – sowohl in der Grundlagen- als auch in der problemorientierten Forschung, auch um die Basis für politische und gesellschaftliche Lösungsansätze bereitstellen zu können. Vor allem inter- und transdisziplinäre Forschungsansätze wollen wir fördern, da nur so dem Querschnittscharakter der Biodiversitätsproblematik Rechnung getragen wird. 160 Die nationalen Forschungsprogramme und -initiativen sollen mit internationalen Forschungsstrategien (z. B. im Rahmen von „Schatzkammern des Lebens und der Erde“, Kleine Senckenberg-Reihe 47, Stuttgart 2005. 156 Vgl. hierzu auch: www.taxonomie-initiative.de 157 NeFo (2011): Überblicksstudie zur Biodiversitätslehre in Deutschland. (http://www.biodiversity.de/images/stories/Downloads/ schiffer_2010_lehre.pdf) 158 Vgl. „Vilmer Handlungsempfehlungen zur Förderung einer umsetzungsorientierten Biodiversitätsforschung in Deutschland“, 30.9.-2.10.2007, Insel Vilm. 155 Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services; siehe: www.ipbes.net 160 Siehe: www.biodiversity.de 159 69 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 DIVERSITAS161) und Forschungsnetzwerken (z.B. GEO-Bon162) abgestimmt werden und über den Projektcharakter vieler Vorhaben hinaus für Qualitätskontrolle, Kontinuität, Transparenz und Kommunikation sorgen. Um dies zu unterstützen, muss auch die nationale und europäische Vernetzung der deutschen Biodiversitätsforschung weiter entwickelt werden.163 Für die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis ist das Monitoring eine wichtige Schnittstelle, für die ein nationales Monitoring-Zentrum zuständig sein soll (siehe Kapitel 5.2.). digitalen Medien und neuen Forschungsmethoden produktiv eingesetzt werden. Bei der Bewältigung der Biodiversitätskrise müssen die Ergebnisse der Biodiversitätsforschung auf allen Ebenen berücksichtigt werden, von der lokalen bis zu globalen; einen entsprechenden Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse wollen wir ebenso unterstützen wie den Auf- und Ausbau strategischer Partnerschaften. Dazu muss auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Ursachen des Biodiversitätsverlustes sowie den politischen Lösungsansätzen wie die CBD und die nationale Biodiversitätsstrategie gestärkt und gezielt gefördert werden.164 Andererseits müssen die Ergebnisse der Biodiversitätsforschung stärker in die Öffentlichkeit transferiert werden; hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung der Biodiversität ist dies mit den TEEB-Studien bereits teilweise gelungen (siehe Kapitel 5.11). Deutschland muss hierfür den IPBES-Prozess aktiv unterstützen und eine aktive Einbindung deutscher Expertinnen und Experten sicherstellen. In den Hochschulen muss die wissenschaftliche Ausbildung von Biologen, Taxonomen, Biogeografen und Umweltbildungsfachleuten wieder einen größeren Stellenwert erhalten. Gesamtstaatliche Förderinstrumente können Anreize schaffen, mit denen eine gewisse überregionale Steuerung möglich ist. Eine nationale Schwerpunktbildung der vorhandenen Fachkompetenzen und Sammlungsressourcen muss begonnen werden; sie soll ermöglichen, auf aktuelle Entwicklungen forschungspolitisch schnell zu reagieren. Ebenso wollen wir entsprechende Forschungsprojekte besser europäisch vernetzen und international anbinden. Für das kommende EUForschungsrahmenprogramm „Horizont 2020“ ist der Ausbau von verbesserten Förderansätzen für den Bereich der Taxonomie und der angewandten Biodiversitätsforschung notwendig. Der Zugang zu biologischen Forschungsobjekten soll – unter Berücksichtigung lokaler und indigener Interessen im Sinne des ABS-Protokolls (siehe Kapitel 6.4.) – so frei wie möglich gestaltet werden, ebenso wie zu den Daten aus Monitoring und Biodiversitätsforschung. Die Lücken im Wissen und in der Vernetzung zwischen Wissenschaft und Praxis müssen insbesondere im Bereich Boden- und Meeresschutz geschlossen werden. Unsere grünen Lösungsvorschläge In Kooperation von Bund und Ländern Auflage eines wissenschaftlichen Bundesprogramms zur Biodiversität. Dieses beinhaltet insbesondere: Verankerung des Themas Biodiversität in allen in Frage kommenden universitären Studiengängen (z. B. BWL, Pädagogik, Landwirtschaft). Sicherung und Stärkung der Lehre für Naturschutz, Ökologie, Biogeografie und Taxonomie. Förderung von Infrastrukturen, Netzwerken, Koordinierungsstrukturen, (inter- und transdisziplinären) Forschungsprojekten, Forschungsverbün- Wir wollen die Rahmenbedingungen der naturwissenschaftlichen Sammlungen verbessern. Sie müssen auch im weltweiten Wettbewerb und in der internationalen Zusammenarbeit bestehen können. Dabei sollen die Siehe: www.diversitas-international.org Siehe: http://www.earthobservations.org/geobon.shtml 163 Siehe: http://www.biodiversityknowledge.eu/ 161 162 Vgl. 2. Dialogforum zur biologischen Vielfalt. Wissenschaft und Forschung, 21.10.2008. 164 70 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 5.13. BIOLOGISCHE VIELFALT ALS GESUNDHEITSFAKTOR den und strategischen Partnerschaften zwischen universitären und außeruniversitären Einrichtungen. Langfristige Förderung von Datenbanken, mit dem Ziel, Daten aus der Biodiversitätsforschung zu erschließen, zu vernetzen und verfügbar zu machen. Stärkung der angewandten Biodiversitätsforschung zur Überprüfung von Naturschutzmaßnahmen und zur entsprechenden Politikberatung. Auflage eines Förderprogramms für wissenschaftliche Sammlungen analog zur Förderung von Sammlungen im Bereich der Kultur, u.a. für die Rettung und dauerhafte Erhaltung akut bedrohter Sammlungen, zur Modernisierung der Sammlungsinfrastruktur einschließlich Digitalisierung und zur Stärkung der arbeitsteiligen Zusammenarbeit zwischen den Sammlungen. Einrichtung einer nationalen IPBESKontaktstelle zur Beobachtung des IPBES-Prozesses, zur Organisation des Informationsflusses und zur Einbindung von Wissenschaftlern in die Prozesse. Stärkung der Biodiversitätsforschung und der Taxonomie auf europäischer Ebene im Rahmen der kommenden Forschungsrahmenprogramme. Förderung und Unterstützung der interdisziplinären Biodiversitätsforschung auch durch die Länder; verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und bessere Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses in allen Bereichen der Biodiversitätsforschung. Pro b le m Naturschutz und Gesundheit Eine intakte Natur mit einem leistungsfähigen Naturhaushalt ist für unsere Gesundheit unverzichtbar – und das in mehrfacher Hinsicht: Intakte Natur ist die Grundlage für Ernährung und Trinkwasserversorgung, liefert saubere Atemluft und stellt vielerlei Grundstoffe für Arzneimittel zur Verfügung. Auch emotional verbinden 95 Prozent der Bevölkerung Natur mit Gesundheit und Erholung.165 Im Zusammenhang mit Konzepten zur Gesundheitsvorsorge und -förderung gewinnt der Natur- und Landschaftsschutz zunehmend an Beachtung. Umgekehrt ist es Ziel des modernen Naturschutzes, Natur und Landschaft zwar einerseits um ihrer selbst willen, aber auch als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen zu schützen. Er stellt Erholungsräume für Bewegung, natur- und landschaftsverträglichen Sport sowie Ruhe und Entspannung zur Verfügung. Um nicht nur im Urlaub, sondern auch im Alltag die gesundheitsfördernden Wirkungen von Natur und Landschaft erfahren zu können, sind siedlungsnahe Erholungsräume von besonderer Bedeutung. Damit leistet der Naturschutz angesichts der zunehmenden Probleme von Stress, Übergewicht und Bewegungsmangel in unserer Gesellschaft einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsförderung und -prävention. Es bestehen komplexe Zusammenhänge zwischen Natur und Gesundheit. Der Erholungswert von Natur und Landschaft im Hinblick auf die Förderung des psychischen Wohlbefindens ist seit Langem bekannt. Die direkt erlebte Natur hat eine stabilisierende, entspannende und beruhigende Wirkung und somit einen therapeutischen Nutzen. Dies gilt ebenso für die Förderung der Kindergesundheit über Naturerlebnisse. Grundsätzlich gilt es, das Erholungsbedürfnis des Menschen mit Unsere bisherigen parlamentarischen Initiativen und Positionen Entschließungsantrag zum Haushaltsgesetz 2012, EP 16, BT-Drucksache 17/7862 165 71 aktuelle Naturbewusstseinsstudie des BfN. Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 dem Schutzbedürfnis der Natur in Einklang zu bringen. „FairWild“168, das Produkte auszeichnet, die sowohl die Kriterien einer nachhaltigen Wildsammlung als auch eines fairen Handels erfüllen. Naturschutz und Heil- und Arzneimittel Pflanzliche und tierische Naturstoffe sowie andere Stoffe aus der Natur (z. B. Moor, Lehm, Schlamm, Meersalz) sind schon seit Jahrtausenden eine Grundlage für viele Arznei- und Heilmittel sowie Heilverfahren und Kuranwendungen. Die Natur beherbergt aber noch ein großes Potenzial an medizinisch wirksamen Rohstoffen, das erst in Ansätzen bekannt ist. Etwa 50.000 Pflanzenarten werden weltweit zu medizinischen Zwecken genutzt, 50 Prozent aller zugelassenen Medikamente sind pflanzlichen Ursprungs. Besonders groß ist das Reservoir solcher Pflanzen in tropischen Regenwäldern. So wurden bisher zum Beispiel in 1.400 Tropenpflanzen potenzielle Wirkstoffe gegen Krebserkrankungen entdeckt. Das weltweite Marktvolumen für Pharmazeutika aus genetischen Ressourcen wird auf 75-150 Milliarden US-Dollar geschätzt (für 1999).166 Naturschutz, Klimawandel und Gesundheit Die Sicherung und Entwicklung von intakten Ökosystemen ist auch von großer Bedeutung im Hinblick auf den Klimawandel und seine Folgen für die menschliche Gesundheit. Wegen des Klimawandels werden extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Stürme, starke Niederschläge und Überschwemmungen weiter zunehmen. Diese können bei den Menschen zu ernsthaften Bedrohungen für Gesundheit und Leben führen. Intakte Naturräume können helfen, diese Auswirkungen einzudämmen. Durch die Klimaerwärmung erhöht sich auch das Risiko für unterschiedliche Krankheiten – Erreger und Überträger von Krankheiten breiten sich in neue Gebiete aus. So ist zu erwarten, dass sich das Verbreitungsgebiet tropischer Krankheiten nach Europa verschiebt. Durch den Anstieg der Durchschnittstemperaturen werden die Voraussetzungen für Malaria und tropische Fieber hier zunehmend günstiger. Eine genauere Überwachung der möglichen Überträger wäre dringend erforderlich. Bereits Gegenwart ist die Zunahme von Allergien. Zum einen dehnt sich bei pollenbedingten Allergien die Blütezeit heimischer Pflanzen aus und es gibt im Jahresverlauf fast keine pollenfreie Zeit mehr. Zum anderen wird das Allergierisiko durch bestimmte Arten, die sich infolge des Klimawandels stark ausbreiten, erhöht. Ein Beispiel hierfür ist Ambrosia (Beifußblättriges Traubenkraut)169, das zu den sogenannten invasiven Arten zählt. Das Bundesamt für Naturschutz betreibt in Kooperation mit der AG Umwelt und Gesundheit der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld ein Online-Informationssystem zu Naturschutz und Gesundheit.170 Der größte Teil des Bedarfs wird aus Wildsammlungen und nicht aus Anbau oder Kultur gedeckt. Etwa 15.000 Heilpflanzenarten sind jedoch bereits gefährdet. Deutschland trägt als weltweit viertgrößter Importeur von Heilpflanzen und Exporteur von Arzneimitteln eine besondere Verantwortung. Der unregulierte internationale Handel zählt neben dem Lebensraumverlust zu den größten Bedrohungen der Artenvielfalt. Deshalb müssen die Lebensräume von Pflanzen und Tiere, die Grundlage für Heil- und Arzneimittel sind oder künftig werden könnten, erhalten werden. Ihre Nutzung zu medizinischen Zwecken muss nachhaltig erfolgen. Seit 2006 existieren „Internationale Standards für die nachhaltige Wildsammlung von Heil- und Aromapflanzen“.167 Daraus entstand das Label Umweltwirtschaftsbericht 2011, Daten und Fakten für Deutschland http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/4210.pdf 167 ISSC-MAP – International Standard for Sustainable Wild Collection of Medical and Aromatic Plants. Vgl. „Der Internationale Standard für nachhaltige Wildsammlung von Heil- und Aromapflanzen“ WWFHintergrundinformation, Februar 2007. 166 http://www.fairwild.org/ Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Aktionsplan Ambrosia“, Bundestags-Drs. 17/3799. 170 Das „NatGesIS“, s. www.natgesis.bfn.de. 168 169 72 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Naturschutz als Infektionsschutz Handel mit ihnen. Hierfür muss das Abkommen gegen Biopiraterie zügig umgesetzt und die notwendige Unterstützung der Entwicklungsländer sichergestellt werden (siehe Kapitel 6.3. und 6.4.). Der Artenreichtum bildet einen wichtigen Schutz gegen Infektionskrankheiten. Eine reichhaltige Pflanzen- und Tierwelt wirkt wie ein Puffer zwischen Mensch und Krankheitserregern. Viele Arten stecken sich nur untereinander an oder geraten nur selten mit Menschen in Kontakt. Doch diese Barriere wird immer dünner. Der Artenschwund reduziert nicht etwa die Zahl der Krankheitserreger sondern sorgt für höhere Infektions- und Übertragungsraten der Wirte.171 Klimaschutz dämmt die gesundheitlichen Risiken des Klimawandels ein. Intakte Lebensräume sind hierfür von großer Bedeutung, deshalb wollen wir Klima- und Biodiversitätsschutz noch enger verknüpfen (siehe Kapitel 5.5.). Der umweltbezogene Gesundheitsschutz172 muss aber auch den Naturschutz als potenzielles Handlungsfeld begreifen. Das Konzept der therapeutischen Landschaften173 (Gesundheitslandschaften, Gesundheitsregionen) soll im Rahmen einer nachhaltigen Regionalentwicklung in Kombination mit dem MAB-Programm174 und über die Umsetzung in Großschutzgebieten weiterentwickelt werden. Es beinhaltet umweltund raumbezogene, individuelle und soziokulturelle Faktoren. Als idealtypisch gelten Landschaften mit überdurchschnittlicher Dichte an spezifischen Gesundheitseinrichtungen zur Prävention und Rehabilitation, vielfältigen Naturerlebnis- und Gesundheitsangeboten (Heilbäder, Mineralbrunnen, Kurund Erholungsorte) und an Barrierefreiheit. Dieser Ansatz ermöglicht auch umfassende Synergien mit sanften Tourismuskonzepten (siehe Kapitel 5.11.3.). U n ser e Z ie l e Wir setzen uns auch deshalb für eine konsequente und am Vorsorgeprinzip ausgerichtete Naturschutzpolitik ein, weil sie die Gesundheit für alle schützt und zu mehr Lebensqualität verhilft. Zudem hat die Bewegung in der Natur vielfältige positive Gesundheitseffekte. Deshalb muss sie gerade auch denjenigen ermöglicht werden, die nicht in unmittelbarer Nähe von bekannten Naturerholungsräumen leben. Wir wollen Naturräume besonders in unmittelbarer Nähe zum Menschen schaffen und erhalten. Durch Grünanlagen, Spazierwege und Spielplätze wird Natur im Alltag erfahrbar. Wir streben eine Höchstdistanz zwischen Siedlungsflächen und Naturräumen an, die für alle Menschen eine gute Erreichbarkeit sicherstellt. Wir wollen Gesundheitsschutz und prävention zukünftig stärker in der Naturschutzgesetzgebung verankern und andererseits Naturschutzmaßnahmen als naturbezogenen Gesundheitsschutz in den umweltbezogenen Gesundheitsschutz integrieren. Akzeptanz für Naturschutz ist am ehesten zu erreichen, wenn die alltäglichen gesundheits- Das Thema Naturschutz und Gesundheit hat vielfältige Facetten, die wir noch stärker in das allgemeine Bewusstsein rücken wollen und Zusammenhänge zwischen dem Schutz der Natur und seiner unmittelbaren gesundheitlichen Bedeutung deutlicher herausstellen. Wir wollen neben den Grundleistungen sauberes Wasser, reine Luft und fruchtbare Böden auch die weiteren Dienstleistungen der Natur schützen, die für die Gesundheit bedeutsam sind, etwa das große Potenzial an medizinisch wirksamen Rohstoffen. Hier setzen wir uns für die Erhaltung der Lebensräume der Heilpflanzen ein und für einen fairen Speziell im Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit, APUG, s. www.apug.de. 173 Der Begriff der Therapeutischen Landschaften („Therapeutic Landscapes“) wurde zu Beginn der 1990er Jahre durch den Medizingeographen Wilbert Gesler geprägt. Dem Konzept liegt die Auffassung zugrunde, dass Landschaften eine Bedeutung für die menschliche Gesundheit und das Wohlbefinden haben. 174 MAB = Man and the Biosphere Programme, ist das UNESCO-Programm zur Entwicklung von Biosphärenreservaten. 172 Felicia Keesing et al. (2010): Impacts of biodiversity on the emergence and transmission of infectious diseases. Nature 468, S. 647-652. 171 73 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 förderlichen Aspekte einer intakten Natur und die Bedeutung des Naturschutzes in diesem Kontext verständlich und direkt vermittelt und somit als Motivationsimpuls für den Schutz der Biodiversität stärker genutzt werden. ches Engagement. Viele Aufgabenbereiche in unserer Gesellschaft könnten ohne das ehrenamtliche Engagement der Menschen aller Altersgruppen nicht bewältigt werden – das betrifft alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens – von der Kinder- und Jugendarbeit, über Kultur und Sport bis hin zum Natur- und Artenschutz. Die Engagementpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung engt sich auf die Einführung eines zentralistisch organisierten Bundesfreiwilligendienstes ein. Sie lässt die Unterstützung und Anerkennung der langjährigen Erfahrung zivilgesellschaftlicher Organisationen und Netzwerke vermissen und verzichtet damit auf den unschätzbar wichtigen Beitrag der Menschen in unserem Land für das Gelingen vieler Projekte. Das Engagement gesellschaftlicher Gruppen hängt entscheidend von der Transparenz und den Partizipationsmöglichkeiten in Planungs- und Entscheidungsprozessen ab (siehe Kapitel 5.9.). Sie dürfen nicht zu Lückenbüßern für (fehlende) staatliche Aufgabenwahrnehmung werden.175 U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge Bu nd un d Lä nd e r in Koo p er a t io n m it de r P ha rm a - un d G e s und h eit sb ra nch e Förderung des Schutzes von Heilpflanzen und des fairen Handels mit ihnen. Förderung des Wissensaustauschs zwischen dem Naturschutz und dem Gesundheitssektor und eine bessere Verknüpfung des naturbezogenen Gesundheitsschutzes mit umweltbezogenen Gesundheitsschutz und Naturschutzrecht. Bu nd, Lä nd e r u nd Ko m m u n e n Ausbau des Konzepts der therapeutischen Landschaften in der nachhaltigen Regionalentwicklung gemeinsam mit dem Ausbau von Erholungsräumen im siedlungsnahen Bereich. Tausende Menschen engagieren sich in unserem Land aktiv für den Natur- und Artenschutz. Sie betreuen unterschiedlichste Einzelmaßnahmen und tragen mit ihrem Fachwissen nicht zuletzt grundlegend zur Erhebung von notwendigen Daten bei. Das Bundesnaturschutzgesetz verpflichtet jeden „nach seinen Möglichkeiten zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftpflege“ beizutragen.176 Die Verwirklichung der Naturschutzziele ist also nicht nur eine Sache von Behörden und Naturschutzverbänden, sondern geht jeden Einzelnen an. Als Konsument und gesellschaftlicher Akteur besitzt jeder Mensch eine individuelle Verantwortung, zum Schutz der biologischen Vielfalt beizutragen. Der Einzelne muss dafür aber auch die zeitlichen und finanziellen Voraussetzungen besitzen und über den notwendigen Zugang zu Wissen und Informationen verfügen. Biodiversitätsstrategien und die Aktionspläne auf Landes- und Kommunal- U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antwort auf unsere kleine Anfrage „Aktionsprogramm Ambrosia“ 17/3799 Antrag „Gesetzliche Grundlage für Prävention und Gesundheitsförderung schaffen – Gesamtkonzept für nationale Strategie vorlegen“ BT-Drucksache 17/5529 Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache 17/2005 5.14. BIODIVERSITÄT UND ZIVILGESELLSCHAFT Pro b le m Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft stützt sich zu einem großen Teil auf bürgerschaftli- Siehe „Genshagener Erklärung“, Bündnis für Gemeinnützigkeit, 4. Februar 2010. 176 (BNatSchG § 2 Abs. 1) 175 74 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 ebene müssen dies besonders berücksichtigen. Die Naturbewusstseinsstudie 177 des Bundesamtes für Naturschutz hat großes Interesse und auch Sensibilität im Umgang mit der Natur und Verständnis für Schutzmaßnahmen bei vielen Menschen nachgewiesen. Sie macht aber auch deutlich, dass umfangreiche Aufklärungs- und Kommunikationsstrategien notwendig sind, bevor daraus ein von einer breiten Mehrheit getragener aktiver Naturschutz hervorgeht. wichtigsten in Deutschland vertretenen Religionen und der Umweltbewegung angestoßen haben.179 (siehe Kapitel 2.) Die Gewerkschaften haben als Arbeitnehmervertretung ein besonderes Interesse an sicheren und sinnvollen Arbeitsplätzen. Die Förderung arbeitsintensiver und naturverträglicher Wirtschaftsweise sollte daher eines ihrer Ziele sein, bei dem große Synergien mit dem Schutz der biologischen Vielfalt bestehen.180 Jenseits der rein ökonomischen Betrachtung ist die biologische Vielfalt für das Wohlbefinden der Menschen ein wichtiger Faktor. Das Bild, das die Gewerkschaften von einem guten und erstrebenswerten Leben vermitteln, greift diese Dimension bislang allerdings kaum auf. Die Naturschutzverbände erfüllen vielfältige Aufgaben im praktischen Natur- und Artenschutz und in der Öffentlichkeitsarbeit. Im Bereich des Monitorings ist die ehrenamtliche Arbeit von Fachleuten zunehmend unverzichtbar. Die hier tätigen Spezialisten und Amateure sind das Fundament im Bereich der Erfassung und des Monitorings der biologischen Vielfalt. Durch fehlende Kapazitäten und z. T. auch fehlende Fachkenntnisse in den Naturschutzverwaltungen gehen zunehmend professionelleren Aufgaben auf Nichtregierungsorganisationen über, die rein ehrenamtlich nicht mehr zu erfüllen sind, selbst wenn im Vergleich zu anderen Politikfeldern das freiwillige Engagement im Natur- und Artenschutz stark ausgeprägt ist. Das stellt eine verstärkte Mitwirkung der Verbände vor große Probleme.178 Migrantinnen und Migranten sind in Naturund Umweltschutzverbänden noch immer deutlich unterrepräsentiert. Umweltschutzorganisationen aus der Mitte der MigrantenGemeinschaften sind die wichtigsten Partner für mehr Engagement. Hier ist eine zielgruppenspezifische Kommunikation möglich, die sich an Sprache, sozialem Kontext, der Zielgruppen orientiert. Gute Beispiele dazu sind das Türkisch-Deutsche Umweltzentrum vom TDZ e. V.181 und Yesil Cember vom BUND.182 Ein sehr interessantes Umweltprojekt hat auch die Alevitische Gemeinde Deutschland e. V. mit „ÖkoCan-MigrantInnen engagieren sich für ihre Umwelt“183 entwickelt. Die gemeinsame Bearbeitung des Themas Biodiversität kann unterschiedliche gesellschaftliche Akteure zusammenbringen. So sieht die CBD in ihren Vorschlägen für eine Dekade der biologischen Vielfalt explizit einen ökumenischen Dialog und interkonfessionelle Kooperation vor. Es ist verdienstvoll, dass das Umweltzentrum Schloss Wiesenfelden, der Deutsche Naturschutzring (DNR) und die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) im Rahmen eines Werkstattgesprächs im Jahre 2010 einen Dialog der Auch Menschen mit Behinderungen engagieren sich vielfältig im Natur- und Artenschutz. In aller Regel nehmen sie dabei gleichberechtigt an allen Aktivitäten der Verbände teil. Wenn Unterstützung erforderlich ist, erfolgt diese oft im Rahmen des selbstverständlichen Gebens und Nehmens unter Menschen, die an einer gemeinsamen Sache arbeiten. Gelegentlich ist zusätzliche Assistenz erforderlich. Gemeinsames Engagement kann auch gezielt „Umweltbewusstsein in Deutschland 2010“, Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, Bundesumweltministerium. 178 Siehe auch Berichte zum DRL-Workshop „Perspektiven für die ehrenamtliche wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Biodiversität“ 12.01.2011, http://www.biodiversity.de/images/stories/Downloads/ drl-2010-zus.pdf „Nachhaltigkeit und Klimaschutz – Beiträge zu einem Gespräch zwischen den Religionen“, hrsg. von Hans Diefenbacher, Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Heidelberg 2011 180 Siehe Kapitel 5.10.2 181 Siehe www.tdz-berlin.de 182 Siehe www.yesilcember.de 183 Siehe http://alevi.com/de/projekte/okocan/ 177 179 75 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 als Katalysator für die Inklusion behinderter Menschen dienen, wie die Kooperation zwischen Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung und EUROPARC Deutschland zeigt, aus der sich teilweise langfristige Partnerschaften mit mehrmaligen Freiwilligeneinsätzen und anderen gemeinsamen Aktivitäten entwickelten.184 eine Querschnittsaufgabe ist, die nur unter Beteiligung aller zu bewältigen ist. Naturschutzverbände wollen wir stärken und mit ihrem Sachverstand stärker in politische Entscheidungsprozesse einbeziehen Sie müssen ihrer wachsenden Bedeutung entsprechend vom Staat gefördert und unterstützt werden. Auch Tourismusverbände, Sportvereine, Sozialverbände, Kirchen und Religionsgemeinschaften sollen ihren Beitrag zum Schutz der biologischen Vielfalt leisten. Der Naturschutz bietet auch viele Betätigungsmöglichkeiten für Jugendliche. Hier können Fähigkeiten wie selbständiges Arbeiten, Teamwork oder Durchhaltevermögen entwickelt werden. Laut Shell-Jugendstudie 2010185 sind Jugendlich über den Klimawandel stark beunruhigt; 76 Prozent halten ihn für ein großes oder sogar sehr großes Problem. Es darf angenommen werden, dass sich annähernd gleiche Werte in Bezug auf den Verlust an biologischer Vielfalt ergeben würden. Hieran können Vereine und Verbände in ihrer Nachwuchsarbeit anknüpfen, denn ein großer Teil der Jugendlichen zieht inzwischen auch persönliche Konsequenzen und achtet auf ein umweltbewusstes Verhalten. Besonders klimakritische junge Leute engagieren sich für den Umwelt- und Naturschutz. Freiwilliges Engagement ist für Jugendliche aber auch deshalb attraktiv, weil es die Möglichkeit bietet, gemeinsam mit Gleichaltrigen praktische Erfahrungen durch informelles Lernen zu erwerben. Gerade bei 14- bis 24-Jährigen besteht ein großes Potenzial; es kann angesprochen werden durch Angebote, die Lust, Freude, Motivation und Sinnhaftigkeit versprechen.186 Viele Großschutzgebiete bieten bereits vielfältige Angebote insbesondere für Kinder und Jugendliche an. Es ist unser Anliegen, bürgerschaftliches Engagement stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Neben einer ausgeprägten Willkommens-Kultur kann mit dem Ausbau des Versicherungsschutzes für Ehrenamtliche und regelmäßige Anerkennung der Freiwilligentätigkeit viel für die Motivation jedes Einzelnen getan werden. Wir setzen darauf, generationenübergreifendes Engagement zu ermöglichen und eine spezielle Ansprache für unterschiedliche Personengruppen zu entwickeln – Jugendliche, Senioren, Frauen und Männer, Menschen mit Behinderung und Migrantinnen und Migranten sollen gezielt angesprochen werden. Freiwilligendienste stellen dabei ein besonders wichtiges Verbindungsglied zwischen hauptamtlicher und ehrenamtlicher Ebene dar. Dabei muss die Selbstbestimmung der zivilgesellschaftlichen Träger gewahrt bleiben. Bei aller Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagement gilt für uns auch: Es darf nicht zur preiswerten Erledigung staatlicher Aufgaben missbraucht werden. U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv ors ch lä ge Bu nd un d Lä nd e r U n ser e Z ie l e Überarbeitung aller existierender Förderprogramme des ehrenamtlichen Engagements in Bezug auf die Lebenswirklichkeiten der Zielgruppen (jüngere/ältere Menschen, Frauen/Männer, Menschen mit/ohne Behinderung, Menschen mit/ohne Migrationshintergrund). Ausbau nachhaltiger Förderinstrumente, um günstige Rahmenbedingungen Wir wollen das Engagement jedes einzelnen Menschen, aller Gruppen und der gesamten Gesellschaft für die biologische Vielfalt weiter stärken – das entspricht unserer Überzeugung, dass der Schutz der biologischen Vielfalt Siehe www.freiwillige-in-parks.de Siehe www.shell.de 186 Vgl. „Einblick in die Jugendkultur“, Kap. 3, UBA 2011. 184 185 76 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 für bürgerschaftliches Engagement zu stärken. Stärkung zivilgesellschaftlicher Organisationen, insbesondere Naturschutzverbände und Bürgerstiftungen. lose oder sehr preiswerte Nutzung beziehungsweise fehlende Sanktionen nach Schädigungen gibt es keinen betriebswirtschaftlichen Anreiz, sparsam mit Natur und Umwelt umzugehen. So sind die 3.000 weltweit führenden Unternehmen allein für Umweltschäden in Höhe von rund zwei Billionen Euro verantwortlich.187 In Koo p e ra t i on z w isc h en B un d, Lä nde r n, Kom m un e n, Wi rt s cha ft u nd Zivi lg es e ll sc ha ft Das Problem der falschen Anreize zeigt sich ganz praktisch auch beim Flächenverbrauch. Eine Neuansiedlung eines Betriebes oder ein Wohnungsneubau ist unter heutigen Bedingungen auf der grünen Wiese viel billiger als etwa die Umnutzung oder der Umbau bestehender Industrie- oder Wirtschaftsbrachen, die im ungünstigsten Fall auch noch mit Altlasten als Hinterlassenschaft der Vornutzer behaftet sind. In der Folge nimmt die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland jede Sekunde um weitere neun Quadratmeter zu.188 Neuentwicklung einer kohärenten nationalen Engagementstrategie, die in einem nationalen Engagementgesetz verankert wird. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antrag „Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren“ BT-Drucksache 17/6502 Antrag „Änderung Umweltrechtsbehelfsgesetz“ BT-Drucksache 17/7888 Fraktionsbeschluss „Bürgernahe und effiziente Planung im 21. Jahrhundert“ vom 01.09.2011 Aber nicht nur diese fehlende Kostenwahrheit ist ein Problem. Auch der Staat selbst fördert durch bestimmte Steuererleichterungen oder sogar direkte Subventionen umwelt- und naturschädliches Verhalten: Nach Angaben des Umweltbundesamtes allein im Jahr 2008 mit rund 48 Milliarden Euro.189 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Planungsbeschleunigung und Bürgerbeteiligung“ BTDrucksache 17/4788 So werden etwa der Abbau und die Nutzung der heimischen Braun- und Steinkohle mit direkten Subventionen oder Steuererleichterungen gefördert, obwohl diese erhebliche negative Auswirkungen auf die Umwelt und die Biodiversität haben. Für die Gewinnung der heimischen Braunkohle werden riesige Flächen aufgebrochen und für immer verändert. Die durch den Kohleabbau notwendigen Änderungen und Eingriffe in den Wasserhaushalt verwandeln ganze Landstriche. Auch unterstützt und finanziert der Staat vorrangig den automobilen Individualverkehr, der mit 5.15. FINANZIERUNG DES BIODIVERSITÄTSSCHUTZES Pro b le m Die biologische Vielfalt und intakte Ökosysteme stellen als Grundvoraussetzung für die menschliche Existenz einen unschätzbaren Wert dar. Dennoch hat die wirtschaftliche Nutzung von Natur oder Umweltgütern in der Regel keinen oder bestenfalls keinen angemessenen Preis Die durch Naturausbeutung tatsächlich verursachten Schäden werden in keiner Weise abgebildet. Nur selten muss der Verursacher für etwaige Schäden oder Folgekosten für die Zerstörung der Natur und den Verbrauch natürlicher Ressourcen selbst aufkommen, in den allermeisten Fällen zahlt die Allgemeinheit. Durch die weitgehend kosten- TEEB for Business, 2010, http://www.teebweb.org/LinkClick.aspx?fileticket=ubcr yE0OUbw%3D 188 Statistisches Bundesamt, 2011 189 Umweltbundesamt: Umweltschädliche Subventionen in Deutschland, Aktualisierung für das Jahr 2008 http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdfl/3780.pdf 187 77 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 seinem erheblichen Flächenverbrauch für Straßen und seine Abgas- und Lärmemissionen ein erhebliches Problem darstellt. Ebenso fatale Auswirkungen haben die Förderung von Landwirtschaft und Fischerei ohne ausreichende ökologische Mindestanforderungen. Die gezielte Förderung wie Agrarumweltmaßnahmen oder der Vertragsnaturschutz sind dem gegenüber ökonomisch unattraktiv. deutlich unter einem Prozent des EU-Haushaltes lebenssichernde Aufgaben erfüllen. Der Finanzbedarf für die Umsetzung der selbst gesteckten Biodiversitätsziele ist sehr unterschiedlich präzise formuliert. Der Bedarf für das Netzwerk Natura 2000 wird europaweit auf jährlich rund 6 Milliarden Euro geschätzt. Für die Umsetzung der deutschen Biodiversitätsstrategie gibt es weder einen Kostennoch einen Finanzierungsplan. Klar ist jedoch, dass gerade auf der Ebene der Länder und Kommunen Kosten beim Management von Schutzgebieten, bei Wiederherstellungsmaßnahmen und bei der Bezahlung des zusätzlichen Aufwandes bei der Landnutzung in Schutzgebieten anfallen. Zudem bestehen bei den personellen Kapazitäten der Behörden, die die Maßnahmen umsetzen und begleiten müssen, wesentliche Lücken. Schon rund 0,1 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung würden reichen um wenigstens die weltweit etwa 100.000 wichtigsten Schutzgebiete in gutem Zustand zu erhalten. Damit würden ökosystemare Dienstleistungen im Wert von 5 Billionen Dollar gesichert.190 Zu diesen Leistungen gehören zum Beispiel die natürliche Speicherung von klimaschädlichem CO2, der Hochwasserschutz oder die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser. Allein der Wert der Bestäubung von Nutzpflanzen durch Insekten wie Honigbienen wird für Europa auf 15 Milliarden Euro beziffert (4 Milliarden Euro allein für Deutschland). International steht die Bundesregierung in der Pflicht, umfassenden Zusagen gerecht zu werden und zur Mobilisierung erheblicher zusätzlicher Mittel beizutragen (siehe Kapitel 6.2.). Artikel 20 der CBD verpflichtet die entwickelten Länder zur Mobilisierung neuer und zusätzlicher Ressourcen. In diesem Rahmen hat sich die Bundesregierung verpflichtet, ab 2013 jährlich 500 Millionen Euro für den Biodiversitätsschutz bereitzustellen. Diese Gelder werden bislang jedoch vor allem im Rahmen der internationalen Klimaschutzinitiative mit dem Waldklimaschutz und der Förderung ökosystembasierter Ansätze zur Anpassung an den Klimawandel sowie mit Entwicklungszusagen verrechnet, so dass trotz der an sich sinnvollen Ansätze keine Zusätzlichkeit gegeben ist. Zudem spricht die CBD in ihrer Strategie zur Mobilisierung finanzieller Ressourcen von „neuen und innovativen“ Mechanismen, deren Ausgestaltung jedoch noch in den Sternen steht. Der Strategische Plan sieht bis 2020 eine substanzielle Aufstockung der Finanzmittel vor. Bereits zur COP 11 (2012) werden aber weitere Zusagen nötig sein, um den zusätzlichen Finanzbedarf decken zu können. Investitionen in den Schutz der biologischen Vielfalt werden dennoch nur selten getätigt, da sich der Nutzen solcher Investitionen häufig erst nach vielen Jahren einstellt und in der Regel nicht dem Investor allein zu Gute kommt. Erst langsam werden weltweit Erfahrungen zur besseren Inwertsetzung von Ökosystemleistungen gesammelt. Für den direkten Schutz der Biodiversität in Form von Schutzgebieten oder der Förderung biodiversitätsverträglicher Wirtschaftsweisen stehen dagegen im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Aufgaben verschwindend geringe Beträge zur Verfügung. So soll ein mit 15 Millionen Euro pro Jahr ausgestattetes Bundesprogramm die Umsetzung der gesamten Nationalen Biodiversitätsstrategie gewährleisten und LIFE+, das wichtigste Instrument für die Finanzierung des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000, soll mit TEEB for National and International Policymakers, 2009; http://www.unep.org/Documents.Multilingual/De fault.asp?DocumentID=602&ArticleID=6371&l=en&t=lo ng 190 Diese Verhältnisse machen deutlich, dass im Sinne einer ressortübergreifenden Verankerung des Biodiversitätsschutzes die absoluten 78 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Summen, die für den Schutz der Natur ausgegeben werden, nur ein kleiner Teil der Lösung sind. Solange die öffentliche Wirtschaftsförderung ein Vielfaches dieser Summen für Maßnahmen vergibt, die Umwelt und Natur zerstören, bleibt der Naturschutz ein Kampf gegen Windmühlen. halb der europäischen Union geprüft werden.191 Finanzielle Fördermaßnahmen und ökonomische Anreize sollen zu einem sparsameren Umgang mit der Ressource Natur motivieren. Ein Beispiel hierfür ist die Senkung des Flächenverbrauchs in Deutschland bis 2020 auf höchstens 30 Hektar pro Tag und langfristig auf null Hektar mit Hilfe einer Verbrauchsabgabe. U n ser e Z ie l e Die Sicherung der biologischen Vielfalt ist eine gesellschaftliche Aufgabe, zu der private wie öffentliche Haushalte beitragen müssen. Die ökonomischen Anreize zum Verbrauch von Umwelt und Natur müssen abgeschafft, die zur Bereitstellung von Ökosystemleistungen maximiert werden. Dafür wollen wir die von uns begonnene ökologische Finanzreform fortführen und weiterentwickeln. Kosten, die durch Naturzerstörung und Umweltzerstörung entstehen, sollen zukünftig nicht mehr der Allgemeinheit, sondern dem Verursacher angelastet werden. Naturverbrauch muss einen Preis bekommen. Die Studie „Naturkapital Deutschland“ soll dafür zusätzliche Bewertungsgrundlagen schaffen (siehe Kapitel 5.11.1). Instrumente wie das Bundesprogramm Wiedervernetzung müssen langfristig gesichert und bedarfsgerecht aufgestockt werden. Für andere Ziele der Biodiversitätspolitik muss der Finanzbedarf teilweise erst noch präziser formuliert werden. Dies gilt für die nationalen, europäischen und internationalen Strategien gleichermaßen. Das Bundesprogramm biologische Vielfalt darf dabei nicht als alleinige Aufgabe des Umweltministeriums betrachtet werden. Wie im Aktionsplan zur Anpassung an den Klimawandel, muss auch das Bundesprogramm mit Beiträgen aus den jeweils zuständigen Ressorts finanziert werden192. Kriterien des Biodiversitätsschutzes und die Prüfung auf Vereinbarkeit mit der nationalen Biodiversitätsstrategie bei Entscheidungen über Fördermittel und Subventionen werden einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, Mittel für Ausgleich, Kompensation oder Wiederherstellung einzusparen. Wir wollen alle kontraproduktiven Anreize durch bestehende ökologisch schädliche Subventionen sofort auf den Prüfstand stellen und mittelfristig ganz abschaffen. Dazu wollen wir in Form eines nationalen Klimaschutzhaushaltes den notwendigen Rahmen schaffen. Um die dramatische Unterfinanzierung des Biodiversitätsschutzes national und international zu beenden, können einige Projekte zum Schutz der Biodiversität durch den Abbau klima- und umweltschädlicher Subventionen finanziert werden. Für weitere Maßnahmen wollen wir weitere Finanzierungsquellen erschließen. Für den teilweise sehr unterschiedlichen finanziellen Mehrbedarf für Naturschutzmaßnahmen und Naturschutzleistungen wollen wir außerdem zukünftig Ausgleichsmechanismen zwischen den Ländern prüfen. Derartige Ansätze aus anderen Staaten wie Portugal und Brasilien werden derzeit auch wissenschaftlich untersucht. Die Erfahrungen mit Umlagesystemen oder Kriterien für Direktzahlungen müssen auf Anwendbarkeit auf der Bundesebene und inner- International muss Deutschland so schnell wie möglich seinen finanziellen Versprechen der COP 9 in Bonn gerecht werden. Erfahrungen mit innovativen Finanzierungsmechanismen für den internationalen und nationalen Biodiversitätsschutz (wie z. B. Zahlungen für ökosystemare Dienstleistungen) müssen auf ihre Verlässlichkeit hin überprüft und soweit möglich in die nationale Finanzpolitik und Z. B. Forschungsschwerpunkt „Naturschutz im Kommunalen Finanzausgleich“ am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. http://www.ufz.de/index.php?de=1718 192 Kabinettsbeschluss "Aktionsplan Anpassung" zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel vom 31.08.2011 http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/p df/aktionsplan_anpassung_klimawandel_bf.pdf 191 79 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 internationale Entwicklungspolitik integriert werden. Dabei sollten auch Synergien zwischen der Finanzierung für eine nachhaltige Entwicklung sowie Biodiversitäts- und Klimafinanzierung gestärkt werden. Förderangabe für Bodenschätze, die mindestens zehn Prozent des Rohstoffwertes beträt. Reduzierung des Flächenverbrauchs durch eine Flächenverbrauchsabgabe oder handelbare Flächenausweisungsrechte. U ns er e Gr ü n e n L ö s un g sv or s ch lä ge : Ö kol og i sc h e F ina n z r ef orm U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Abbau umweltschädlicher Subventionen, die den Klimawandel und den Verlust der Biodiversität weiter befördern, insbesondere durch eine stufenweise Umsetzung von Maßnahmen in den folgenden Bereichen: Abschaffung der bestehenden Steuerbegünstigungen des produzierenden Gewerbes bei der Energie- und Ökosteuer (2 Mrd. € jährlich) Kerosinbesteuerung und Ticket-Tax (1,3 Mrd. €) Abschaffung der Förderung verbrauchsstarker Dienstwagen (3,5 Mrd. € jährlich) Abschaffung der Begünstigungen der Mineralölindustrie (min. 250 Mio. €) Besteuerung der stofflichen Nutzung von Erdöl (1,7 Mrd. € jährlich) Erhöhung und Ausweitung der LKW-Maut (2,0 Mrd. € jährlich) Regelmäßige Überprüfung und inflationsbedingte Anpassungen der Energiesteuern. Einführung von Ausgleichsmechanismen für Naturschutzaufwendungen zwischen den Ländern. Prüfung von Erfahrungen mit innovativen Finanzierungsmechanismen wie die Zahlung für Ökosystemdienstleistungen für die nationale und internationale Ebene. Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache 17/2005 Antrag „Flächenverbrauch wirkungsvoll reduzieren“ BT-Drucksache 17/6502 Entschließungsantrag zum Haushaltsgesetz 2012 BT-Drucksachen 17/7862(neu), 17/7863 Fraktionsbeschluss „Energiekonzept 2050 – sicher erneuerbar“ vom 10.09.2010 Antrag „Strategie für Klimaschutz im Verkehr vorlegen“ BT-Drucksache 17/4040 Entschließungsantrag zum Haushaltsentwurf 2010 BT-Drucksache 17/1091 Nat u rv e rb ra uc h m us s k ost e np fl icht ig w e rd e n Fortführung und Weiterentwicklung der ökologischen Finanzreform u.a. durch verpflichtende Einführung einer 80 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 1 6. INTERNATIONALER BIODIVERSITÄTSSCHUTZ 6.1. EUROPÄISCHER BIODIVERSITÄTSSCHUTZ Pro b le m Die Europäische Union ist ein entscheidender Akteur beim Schutz der biologischen Vielfalt. Sie setzt über die Landwirtschafts- und Fischereipolitik, die Struktur- und Kohäsionsfonds, über das Netzwerk Natura 2000 und verschiedene weitere Richtlinien wie zur Meeresstrategie oder den Gewässerschutz einen bedeutenden rechtlichen und finanziellen Rahmen für die Erhaltung der Biodiversität in Europa. Auf dem EU-Gipfel 2001 in Göteborg hatte sich die EU über das von den Vereinten Nationen formulierte Ziel hinaus zum Stopp des Biodiversitätsverlustes bis 2010 verpflichtet. Dieses Ziel wurde komplett verfehlt.1 Die 2011 neu formulierte Biodiversitätsstrategie 2 soll diesem Scheitern durch klarere Teilziele ebenso Rechnung tragen wie durch eine stärkere Integration in die unterschiedlichen Sektoren der EUPolitik. Obwohl die Biodiversitätsstrategie als Teil einer gesamteuropäischen Nachhaltigkeitspolitik verstanden wird, bleibt die EU aber einen konkreten Umsetzungs- und Aktionsplan genauso schuldig wie ein Konzept zur Finanzierung der notwendigen Maßnahmen. Eine erste Konkretisierung der Ziele findet sich in den Schlussfolgerungen des Umweltrates im Dezember 2011.3 Jenseits der Beteuerung, dass integrative und ressortübergreifende Ansätze notwendig sind, zeigt sich hier wie auf Bundesebene, die Dominanz von Ressortegoismen. Die Argumentation zahlreicher Mitgliedsstaaten einschließlich der Bundesregierung wie auch eini- EEA, Technical Report Nr. 12/2010. Quelle: Bund-/ Länderarbeitsgemeinschaft Naturschutz (LANA) Positionspapier Anforderungen an die Finanzierung von Natura 2000 in der EU-Förderperiode 2014 – 2020, 10. November 2010. 2 COM (2011) 244 final. 3 Ratsschlussfolgerungen 18862/11 vom 19.12.2011 http://consilium.europa.eu/media/1379139/st18862.en11.p df 1 ger Länder, die Biodiversitätsstrategie und ihre Umsetzung dürften weder den Budgetverhandlungen noch den Reformen der Agrar- und Fischereipolitik vorgreifen, konterkariert den Ansatz, für eben diese Prozesse Leitlinien vorzugeben. Das muss sich schleunigst ändern, ansonsten ist das nächste Scheitern der EU-Biodiversitätsziele vorprogrammiert. In der Budgetplanung zum Beispiel zeigen die Entwürfe für den EU-Haushalt 20142020: Obwohl dies der Zeitraum ist, in dem die bis 2020 gesteckten europäischen Biodiversitätsziele erfüllt werden sollen, decken sich die bereitgestellten Mittel in keiner Weise mit dem geschätzten Bedarf (z. B. werden sechs Mrd. Euro jährlich für die Finanzierung von Natura 2000 benötigt4, vorgeschlagen sind aber nur 3,2 Milliarden Euro für das gesamte LIFE-Programm für den Zeitraum von 2014 bis 2020, also jährlich knapp 460 Millionen, von denen nur ein Teil der biologischen Vielfalt gewidmet ist). Hier macht es sich allerdings auch negativ bemerkbar, dass in der EUBiodiversitätsstrategie auf konkrete BudgetForderungen verzichtet wurde. Das Fehlen von Kontrollmechanismen und ggf. von Sanktionsmöglichkeiten in Hinblick auf die Naturschutzziele der EU ist ein weiterer Grund für die äußerst mangelhafte Zielerreichung. Die Vogelschutz- und FFH-Richtlinien, die das Netzwerk Natura 2000 bilden, sind wirkungsvolle Instrumente für den Schutz von Arten und deren Lebensräumen. Für ihre Umsetzung muss aber das Förderprogramm LIFE+ zur Unterstützung von – auch integrativen – Projekten im Umwelt- und Naturschutz viel besser ausgestattet werden (siehe Kapitel 5.15.) LIFE kann jedoch nur in der Laufzeit begrenzte Projekte fördern. Beim Zugang zu jährlich neu verfügbaren ELER-Mitteln und anderen Förderbudgets konkurriert der Naturschutz zudem mit einem breiten Spektrum anderer Interessen. Die Reservierung Teile dieser Mittel für den Biodiversitätsschutz (Earmarking) könnte diese Konkurrenz lindern. Die Förderungen müssen so ausgestaltet werden, dass sie den schädlichen Wirkungen von Landwirtschaft, Fischerei und Infrastrukturprojekten entgegenwirken. Für die Mittelvergabe in der Regionalförderung müssen auch Naturschutzkriterien gelten. 4 81 Finanzbedarf für DE: 620 Millionen Euro pro Jahr. Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 In der Europäischen Union müssen zudem endlich umweltschädliche Subventionen abgebaut werden. Das nutzt Natur und Umwelt und setzt Mittel zur Umsetzung der EU-Biodiversitätsstrategie frei. Insbesondere Mittel der Agrar- und Fischereipolitik müssen ökologisch umgeschichtet werden. Die Förderung von Biomasse als Energieträger muss angesichts der damit einhergehenden direkten und indirekten Landnutzungsänderungen noch stärker an Naturschutzauflagen gekoppelt werden. schränkt ist, obwohl die rechtlichen Grundlagen hierfür vorliegen. Es gibt massive Überkapazitäten der Fischereiflotten. 80 Prozent der europäischen Fischbestände gelten als überfischt. Die politisch bewilligten Fanquoten übersteigen die wissenschaftlichen Empfehlungen. Für den Rohstoffabbau im Meer müssen Schutzgebiete tabu sein. Für Umweltschäden durch Rohstoffabbau im Meer sind Haftungsregeln auf europäischer Ebene notwendig. Auf den Prüfstand gestellt werden müssen auch alle Handlungen der EU, die zum globalen Verlust an Biodiversität beitragen: Export von subventionierten Agrarprodukten, Ansprüche an neue Anbauflächen für Energiepflanzen, Fischerei in außereuropäischen Meeresgebieten. Mit diesem Vorgehen verhindert die EU die notwendige Regionalentwicklung und Armutsbekämpfung in vielen Teilen der Welt. Die Haushalts- und Subventionspolitik muss deshalb entsprechend den internationalen Verpflichtungen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten umgestaltet werden. Die europäischen Wälder haben vielfältige ökologische und gesellschaftliche Funktionen; ihre Nutzung muss sich an der Erhaltung und Förderung dieser Funktionen ausrichten. Die Wälder beheimaten die meisten Wirbeltiere des europäischen Kontinents. Bestimmte Baumarten (z. B. Rotbuche und Steineiche) kommen quasi nur in Europa vor. Tausende von Insekten- und Wirbellosen-Arten und ebenso viele Pflanzenarten sind vorwiegend auf Waldhabitate beschränkt. Als Natura-2000Gebiete ausgewiesene Waldhabitate erstrecken sich über 14 Millionen Hektar und nehmen nahezu 20 Prozent der gesamten Landfläche des Natura2000-Netzes ein. Von Menschenhand unberührte Naturwälder beanspruchen mit rund neun Millionen Hektar etwa fünf Prozent der gesamten Waldfläche des europäischen Wirtschaftsraums. Lediglich ein Drittel der Waldhabitate von gemeinschaftlichem Interesse weisen einen günstigen Erhaltungszustand auf.5 Zudem war die Anerkennung deutscher Buchenwälder als Weltnaturerbe durch die UNESCO mit der Aufforderung verbunden, den Aufbau eines Netzwerkes europäischer Buchenwälder zu unterstützen. Hier gibt es also noch viel zu tun. Von einem guten ökologischen Zustand der europäischen Meere sind wir noch weit entfernt. Die EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie aus dem Jahr 2008 steckt den Ordnungsrahmen ab, in dem alle EU-Mitgliedsstaaten Maßnahmen ergreifen müssen, um bis 2020 einen „guten Zustand der Meeresumwelt“ in allen europäischen Meeren zu erreichen. Angestrebt werden ein Schutzgebietsnetz sowie Monitoring- und Maßnahmenprogramme. Die Richtlinie verfolgt einen umfassenden integrativen Ansatz, um sowohl die Wasserqualität als auch die Biodiversität zu verbessern. Dabei werden erstmals auch alle Nutzungen der Meere analysiert. Der Umsetzungs- und Maßnahmenteil der Richtlinie ist jedoch zu schwach, es mangelt an Instrumenten und Möglichkeiten zur Durchsetzung der Ziele. Unter Verweis auf hohe Kosten kann sogar gänzlich auf Maßnahmen verzichtet werden. Die Erstellung und Durchführung eines Überwachungsprogramms soll bis 2014, die Erstellung eines Maßnahmenprogramms bis 2015 erfolgen. Leider wird in der europäischen Biodiversitätsstrategie die Gemeinsame Fischereipolitik explizit ausklammert. Das führt dazu, dass in den Natura 2000-Gebieten die Fischerei kaum einge- U n ser e Z ie l e Wir wollen eine bessere Verankerung EUNaturschutz- und Biodiversitätspolitik in der Finanzplanung. Die Ausgaben aus dem EU-Haushalt müssen aktiv zur Erreichung der Biodiversitätsziele beitragen statt diese zu konterkarieren. Biodiversitätsziele müssen in andere Politikfelder integriert werden. Begleitet werden muss dies durch eine Stärkung der hierfür direkt wirksamen 5 82 KOM (2010) 66. Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Mittel aus den EU-Fördertöpfen wie LIFE+. Umweltschädliche Subventionen wollen wir abbauen und entweder für ein Greening der entsprechenden Sektoren einsetzen oder für gezielte Investitionen in die die biologische Vielfalt bereitstellen. So muss der Aufwand für die Schutzgebiete und für eine naturverträgliche Bewirtschaftung von Natura 2000-Flächen angemessen honoriert werden können. Die EU und die Mitgliedsstaaten müssen verbindlich regeln, dass Management und Finanzierung aller Natura 2000-Gebiete sichergestellt werden. tung übernimmt. Sonst besteht die Gefahr, dass die Mitgliedsstaaten sie nicht oder nicht ausreichend anbieten. In der Europäischen Fischereipolitik muss gelten, dass auch sie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt beiträgt. Für die Umsetzung der Maßnahmen aus der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie müssen neue und ausreichende Mittel bereitgestellt werden. Hierzu ist eine eigene Haushaltslinie im Europäischen Meeres-und Fischereifonds EMFF einzurichten. Die Festsetzung und Umsetzung von ambitionierten Zielen und Maßnahmenprogrammen in der MSRL muss konsequent verfolgt werden. In den Natur 2000-Gebieten muss der Fischfang sich den Schutzzielen unterordnen. Generell müssen sich Fangquoten streng nach den wissenschaftlichen Empfehlungen richten. Wir setzen uns auch für EUZertifizierungsstandards für ein ökologisches und effizientes sog. Clean Ship ein. Gebraucht werden auch Regelungen, die sowohl das vorsätzliche als auch fahrlässige Einleiten von Öl, ölhaltigen oder anderen die Meeresumwelt beeinträchtigenden Stoffen unter Strafe stellen und Bußgelder für Ordnungswidrigkeiten europaweit vereinheitlichen und anheben. Die Halbzeitbewertung der EU Biodiversitätsstrategie 2014 muss dazu genutzt werden, Teilziele ergebnisabhängig zu präzisieren und einen gezielten Aktionsplan für die zweite Hälfte der Umsetzungsfrist zu formulieren. Die Erreichung der Biodiversitätsziele wird vor allem bei der Landnutzung entschieden. Wir wollen deshalb zum Beispiel, dass jegliche Biomasse – egal ob sie als Lebens- oder Futtermittel, zur Energiegewinnung oder stofflichen Nutzung eingesetzt wird – nachhaltig angebaut wird. Dazu müssen strenge und klare Klima-, Umwelt-, Naturschutzund Sozialstandards entwickelt werden. Zentrale Ziele müssen der Stopp von Grünlandumbruch, die Verankerung umwelt- und naturverträglicher Anbaumethoden und die schonenden Nutzung von Wasserressourcen sein. Wir wollen eine starke gemeinsame EUWaldschutzpolitik. Ein Instrument für den Schutz und die Erhaltung der europäischen Wälder ist die Ausgestaltung der Förderung von Waldumwelt-, Waldumbau- und Natura 2000-Maßnahmen durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER). Das Gesamtvolumen der Fördermittel für die Waldwirtschaft sollte insgesamt erhöht werden. Wir setzen uns für die Ausarbeitung eines Standards für gute forstwirtschaftliche Praxis als Referenz für Fördermaßnahmen der EU ein. Deutschland und die EU müssen zur Erweiterung des Weltnaturerbes europäischer Buchenwälder zu einem geschlossenen Netzwerk und zur Sicherung der Buchenurwälder in Rumänien und Bulgarien beitragen. Die EUHolzhandelsverordnung muss so ergänzt werden, dass Holz und Holzprodukte, die in der EU in Verkehr gebracht werden, aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern stammen müssen. Das wäre wegweisend und ein echter Fortschritt. Die Europäische Agrarpolitik muss ihren Beitrag zur Erreichung der EU-Biodiversitätsziele leisten. Entsprechend wollen wir Einfluss auf die anstehende GAP-Reform nehmen. Öffentliche Gelder müssen an die Erbringung öffentlicher Leistungen gebunden werden. Die Einhaltung einer mindestens dreigliedrigen Fruchtfolge, der verpflichtende Anbau von Eiweißpflanzen, ein Grünlandumbruchverbot sowie die Ausweisung ökologischer Vorrangflächen sind richtige Ansätze, um eine landwirtschaftliche Grundzahlung ökologisch zu qualifizieren. Sie müssen allerdings ambitioniert ausgestaltet werden, damit sie nicht zum Greenwashing verkommen. Wir setzen uns außerdem dafür ein, dass die Europäische Union bei den Agrarumweltmaßnahmen, die der Erreichung der europäischen Zielsetzungen in den Bereichen Biodiversität und Klimaschutz dienen, mehr finanzielle Verantwor- 83 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge : Finanzierung von Agrarumweltmaßnahmen im Rahmen der zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik zu 90 Prozent aus EUMitteln, Einführung einer Anreizkomponente für die Landwirte, damit diese trotz steigender Agrarpreise Agrarumweltmaßnahmen durchführen. Stärkere Berücksichtigung indirekter Landnutzungsänderungen durch energetische Biomassenutzung in den Nachhaltigkeitskriterien zur Erneuerbare EnergienRichtlinie. Ausbau des europäischen NaturschutzMonitorings; Einrichtung des Biodiversity information system for Europe (BISE) als zentrale Datenplattform. Ausweisung von mindestens zehn Prozent der europäischen Meeresfläche als Schutzgebiet; bis dahin soll ein Moratorium für den Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee gelten; Fischereiverbot in mindestens zehn Prozent der europäischen Meeresflächen; Einschränkung bestimmter Fischereimethoden wie Grundschleppnetze, Stellnetze, Langleinen usw. und jährliche Festlegung ökologisch vertretbarer Fangmengen. Unterstützung bei der Erweiterung des UNESCO Weltnaturerbes Europäischer Buchenwälder zu einem kohärenten Schutzgebietssystem. Aktive Gestaltung der Verhandlungen zu Forest Europe und Erweiterung der Holzhandelsverordnung in Sinne des Biodiversitäts- und Klimaschutzes. Bu nd un d E u r opä isc h e U nio n Verankerung des Biodiversitätsschutzes in allen Ressorts; Prüfverfahren bei allen relevanten EU-Beschlüssen; Benennung von Biodiversitätsverantwortlichen in allen Generaldirektionen, im Europäischen Rat und bei der Kommission. Aufstellung eines nachhaltigen Finanzierungsplans für Natura 2000, die WasserRahmenrichtlinie und die MeeresstrategieRahmenrichtlinie. Erlass einer EU-Verordnung zur Anerkennung von Schutzgebieten als Sperrzonen für den Rohstoffabbau im Meer und Verankerung von Haftungsregeln für Umweltschäden durch Rohstoffabbau im Meer. Flächendeckende Anwendung des Netzwerkes Natura 2000 als EU-Förderkulisse. Förderfähig sollen auch Flächen außerhalb der Natura 2000-Gebiete sein, die für die Kohärenz des Netzes von besonderer Bedeutung sind. Aufstockung der Finanzmittel für Natura 2000, insbesondere der Mittel für LIFE, über das mindestens 10 Prozent der Kosten für Natura 2000 gedeckt werden sollen; Prüfung von Management- und Finanzierungsplänen vor der Mittelvergabe für Natura 2000-Gebiete. Bindung der Mittel aus der Regionalförderung an ökologische Mindestauflagen. Entwicklung von anspruchsvollen Nachhaltigkeitskriterien für den Anbau und den Handel mit Biomasse und deren Verankerung in bilateralen Verträgen der EU mit anderen Staaten und Staatengemeinschaften und langfristig auch in der WTO. Vollständige Bindung der Direktzahlungen der europäischen Agrarpolitik an die Erfüllung von ökologischen Mindestauflagen (Greening); wirkungsvolle Ausgestaltung der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Mindestauflagen Fruchtfolge, Grünlandumbruchverbot und Einrichtung ökologischer Vorrangflächen sowie Earmarking von Mitteln für den Naturschutz. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache 17/2005 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Erneute Mahnung Deutschlands durch die EU-Kommission wegen unzureichender Umsetzung der EUWasserrahmenrichtlinie“ BT-Drucksache 17/8036 Antrag „Blockade beim Bodenschutz aufgeben – EU Bodenschutzrahmenrichtlinien voranbringen“ BT-Drucksache 17/3855 Antrag „Gemeinsame Europäische Agrarpolitik nach 2013 – Förderung auf nachhaltige bäuerliche 84 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Landwirtschaft ausrichten“ BT-Drucksache 17/4542 Zwanzig Jahre nach dem Rio-Gipfel und dem Beschluss der drei Konventionen über den Klimawandel, die Wüstenbekämpfung und die biologische Vielfalt, ist die Klimarahmenkonvention mit Abstand die einflussreichste der drei Konventionen. Dies ist weder durch geringere Bedeutung der globalen Themen Biodiversitätsverlust und Wüstenbekämpfung zu begründen noch wird es denn inhaltlichen Zusammenhängen aller drei Themenfelder gerecht. Wenn auf dem Rio+20-Gipfel 2012 auch der institutionelle Rahmen für die Umsetzung der weltweiten Umweltpolitik verhandelt wird, darf dieses Ungleichgewicht zwischen den Konventionen nicht fortgeschrieben werden. Es muss auch den anderen Konventionen das notwendige Gewicht verschafft werden. Die Verhandlungen der Klimarahmenkonvention setzen im Waldschutz beispielsweise Maßstäbe, die sich vor allem auf die Kohlenstoffbilanz konzentrieren (REDD). Es wurde beschlossen, finanzielle Anreizstrukturen für einen effizienten Waldschutz zu entwickeln. Soziale und ökologische Leitplanken (REDDplus) mussten erst zusätzlich eingefordert werden. Dabei leben weltweit rund 1,6 Milliarden Menschen direkt und indirekt vom und im Wald. Die finanzielle Inwertsetzung des Waldes durch REDDplus birgt ohne entsprechende soziale und ökologische Leitplanken, sogenannte „Safeguards“, ernstzunehmende Gefahren insbesondere für indigene Bevölkerungsgruppen. Die bisherige Erfahrung mit REDDplus zeigt, dass es bei der Ausweisung von Schutzgebieten schon heute zu Vertreibungen der lokalen Bevölkerung kommt und vornehmlich unbewohntes Land an Investoren oder Naturschutzorganisationen verkauft wird. Betroffene werden oft zu spät oder gar nicht über die Entwicklungspläne informiert und sehen sich allein mit dem Ergebniss konfrontiert, ihre Felder, Wälder und Fischgründe nicht mehr nutzen zu dürfen. Solche Handlungen verstoßen ausdrücklich gegen die Deklaration für die Rechte Indigener Völker, wonach Indigene Völker das Recht haben, angestammtes Land und dessen forstlichen Ressourcen zu besitzen, zu nutzen und zu schützen. Sie haben zudem das Recht auf „Free Prior Informed Consent“ (FPIC). Indigene Gemeinden müssen frei von Repression (free) nach vorheriger (prior) ausführlicher und angepasster Information über das 6.2. BIODIVERSITÄTSSCHUTZ IM RAHMEN DER VEREINTEN NATIONEN Pro b le m Den wichtigsten Rahmen für den Schutz der Biodiversität setzen auf internationaler Ebene die Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP). Die CBD hat sich während der zehnten Vertragsstaatenkonferenz (COP 10) 2010 im japanischen Nagoya einen neuen strategischen Plan für die Zeit bis 2020 gegeben. Im Mittelpunkt stehen dabei Aufklärung, Abbau schädlicher Subventionen, Halbierung des Lebensraumverlustes, Nachhaltigkeit in Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, die Ausweisung weiterer Schutzgebiete sowie die Umsetzung des Nagoya-Protokolls über Zugang und gerechten Vorteilsausgleich bei der Nutzung genetischer Ressourcen (ABS-Protokoll). Zudem sollen die Finanzmittel für den internationalen Biodiversitätsschutz aufgestockt werden, während Entwicklungsländer aufgerufen sind, ihren Bedarf genauer zu beziffern. Die UN-Vollversammlung hat sich in mehreren Schwerpunktsitzungen mit dem Thema Biodiversität befasst und im Anschluss an die COP 10 die Dekade der Biologischen Vielfalt ausgerufen (2011 - 2020), die unter anderem die Umsetzung des Strategischen Plans begleiten soll. Dabei sollen auch die anderen biodiversitätsrelevanten Konventionen wie RAMSAR, CITES oder CMS (siehe Kapitel 4.1.) mit eingebunden werden und insbesondere die Verursacher des Biodiversitätsverlustes angegangen werden. Dies muss jedoch mit konkreten Umsetzungsplänen und der Unterstützung armer Länder bei der Erreichung der Ziele verbunden werden. Denn ohne konkrete Aktionspläne von der globalen bis zur lokalen Ebene wird auch der neue Strategische Plan ein Papiertiger bleiben und das 2020-Ziel wird genauso verfehlt werden wie das 2010-Ziel. 85 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Vorhaben informiert werden (informed) und dem Vorhaben zustimmen oder es ablehnen dürfen (consent). weltflucht umzugehen ist.7 Genau wie bei Armut und Hunger oder beim Klimawandel, sind oftmals Frauen und Kinder in besonderer Weise den Folgen des Biodiversitätsverlustes ausgesetzt. Als wesentliche Verursacher der globalen Umweltveränderungen kommt den Industrieländern hier eine besondere Verantwortung zu. Dabei setzt die CBD den großen Rahmen. Die kleineren biodiversitätsbezogenen Konventionen müssen jedoch ebenfalls gestärkt, unterstützt und weiter entwickelt werden. Sie sind oftmals in den Regionen gut verankert, leisten durch Projekte vor Ort sehr wichtige Arbeit. Zudem sind sie weniger stark Objekt geopolitischer Auseinandersetzung wie beispielsweise die UNFCCC. In etlichen afrikanischen Staaten bietet z. B. die Listung als Ramsar-Gebiet den einzigen Schutz für wertvolle Feuchtgebiete. Auch die konkrete Notwendigkeit zum Schutz der besonders verwundbaren wandernden Tierarten kann besser in der regionalen Zusammenarbeit der Länder entlang der Zugwege unter der Konvention zu den wandernden Arten erfüllt werden. Internationaler Meeresschutz Die Zerstörung der marinen Ökosysteme schreitet schneller voran als jemals zuvor. Die andauernde Überfischung, zunehmende Verschmutzung, Vermüllung und Verlärmung sowie Nutzungsinteressen an Ressourcen der Tiefsee und der Polarmeere tragen wesentlich zur dramatischen Situation bei. Bei den Korallenriffen beispielsweise sind nach Angaben des World Resources Institute drei Viertel durch Überfischung, Verschmutzung und Klimawandel gefährdet. Die Schätzungen gehen davon aus, dass bis zur Mitte des Jahrhunderts nahezu alle Korallenriffe weltweit als bedroht gelten müssen.8 Andere Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass Korallenriffe noch vor Ende dieses Jahrhunderts von der Erde verschwunden sein werden.9 Eine wichtige, institutionell zu verankernde Aufgabe für den weltweiten Biodiversitätsschutz und auch für das notwendige öffentliche Verständnis ist die Bündelung von Informationen, Forschungsergebnissen und die Bereitstellung konkreter politischer Beratung. Der dem Welt-Klimarat IPCC vergleichbare Biodiversitäts-Rat IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) muss daher schnellstmöglich arbeitsfähig und in das UNSystem integriert werden. Tote Zonen in allen Weltmeeren vom Golf von Mexico bis in die Ostsee haben ein Ausmaß von rund 250.000 Quadratkilometern angenommen.10 Insbesondere die Überdüngung durch Stickstoffeinträge vom Land aber auch aus der Schifffahrt führt zu einer Sauerstoffzehrung, die die Lebewesen des Meeresbodens und der betroffenen Wasserschichten absterben lassen. Für den Umgang mit entwicklungspolitischen Herausforderungen wie Armut und Migration, die auch mit dem Biodiversitätsverlust zu tun haben, sind konsistente internationale Rahmenbedingungen notwendig. Durch die Zerstörung von Ökosystemen und den Verlust an fruchtbarem Land werden zusätzliche Migrationsströme („Umweltflucht“) ausgelöst. Gründe hierfür sind Dürre und Wüstenbildung, der Anstieg des Meeresspiegels u.v.m. Umweltbedingte Migrationsbewegungen werden mit zunehmender Häufigkeit und Intensität vorhergesagt.6 Das Völkerrecht hält derzeit keine Antwort bereit, wie mit grenzüberschreitender Um- 6 Die Schifffahrt trägt auch zur Verschleppung von Arten in neue Gebiete bei. Invasive Arten haben bereits in vielen Küstenregionen zu erheblichen Schäden geführt. Die UNEP kommt zu dem Ergebnis11, dass in allen Meeresregionen Veränderungen „Weder die Genfer Flüchtlingskonvention noch die Europäische Menschenrechtskonvention oder andere völkerrechtliche Regime enthalten Regelungen, die eine adäquate Antwort auf Umweltflucht bieten.“ (ebd.) 8 World Resources Institute (2011): Reefs at Risk Revisited. 9 Peter Sale (2011): Our dying Planet. 10 Robert Diaz & Rutger Rosenberg (2008): Spreading Dead Zones and Consequences for Marine Ecosystems. Science 321(5891), S. 926 ff. 11 UNEP Regional Seas Programme (2010): Marine Biodiversity Assessment & Outlook Series; Global Synthesis. 7 Vgl. Dr. Marcus Schroeder„Rechtliche Grauzone“, in: Umwelt 1|2011. 86 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 in der biologischen Vielfalt zu beobachten sind und bezeichnet dies als Symptom für das Versagen beim Management mariner Ökosysteme. gen hat. Der Bereich Müll ist rechtlich noch weitgehend ungeregelt. Die Bekämpfung von Müll von der Quelle über alle Eintragswege, Vermeidung und Entfernung sollte umfassend analysiert und die Regelung in Angriff genommen werden. Müllvermeidung und Recycling müssen zur Reduktion dieser Belastungen das oberste Gebot sein (siehe Kapitel 5.11.4.). Zahlreiche internationale Abkommen haben das Ziel, die Meeresumwelt und ihre biologische Vielfalt zu sichern. In der Fischerei, dem Klimaschutz, in der Gestaltung der Energiewende, in der Ressourcenpolitik und in der Landwirtschaft liegen die wichtigsten Herausforderungen für den besseren Schutz der biologischen Vielfalt im Meer. Überfischung ist ein globales Problem. Zur Umsetzung der CBD-Ziele sollen bis 2020 Fischerei und Aquakultur nachhaltig und der anthropogene Stress auf Korallenriffe und andere Ökosysteme, die durch Klimawandel und Versauerung bedroht sind, minimiert werden. Insbesondere die Ökosysteme der Tiefsee leiden unter Überfischung. Sie haben kaum Möglichkeiten, sich an die zunehmende Belastung durch den Menschen anzupassen, da die meisten Organismen sehr langsam wachsen und langlebig sind. Der Internationale Rat zur Meeresforschung (ICES) kommt zu dem Ergebnis, dass im Nordost-Atlantik alle (!) der kommerziell genutzten bodennahen Tiefseearten jenseits der Grenzen der Belastbarkeit befischt werden.12 Da diese Regionen oft jenseits nationaler Gesetzgebung liegen, tragen hier die Vereinten Nationen eine besondere Verantwortung. Doch trotz jahrelanger Bemühungen und zahlreicher Resolutionen sind keine Erfolge zu verzeichnen. Da diese Naturzerstörung trotz relativ geringer Erträge weltweit mit mehr als 150 Millionen US-Dollar pro Jahr subventioniert wird13, gibt es hier eine direkte und erfolgversprechende Handlungsmöglichkeiten für die nationalen Regierungen. Den größten Anteil an der weltweiten Flotte für Tiefseefischerei hat übrigens die EU, insbesondere Spanien. Weltweit muss der Schutz der Biodiversität flächendeckend bei der Nutzung aller Meere stärker beachtet werden. Daneben spielen große Schutzgebiete eine wichtige Rolle. Im Strategischen Plan der CBD ist daher das Ziel formuliert, bis 2020 weltweit zehn Prozent der Küsten- und Meeresgebiete unter Schutz zu stellen. Dieses Ziel war ursprünglich schon für 2012 vorgesehen, doch bislang wurden nur knapp 1,2 Prozent erreicht. In den EU-Meeren sind rund 130.000 Quadratkilometer Teil des Schutzgebietsnetzes Natura 2000, deren Erfolg nun vom konsequenten Management abhängt. Zur Ausweisung internationaler Schutzgebiete auf Hoher See wurden im Rahmen der CBD zunächst wissenschaftliche Kriterien verabschiedet, auf deren Basis derzeit eine Übersicht ökologisch bedeutsamer Gebiete erstellt wird, die hierfür in Frage kommen. Im regionalen Schutzabkommen für den Nordost-Atlantik (OSPAR) wurden bereits Schutzgebiete ausgewiesen: sechs Schutzgebiete mit insgesamt 290.000 Quadratkilometern und ein weiteres Gebiet in Planung mit 160.000 Quadratkilometern in isländischen Gewässern. Von einem kohärenten Schutzgebietsnetz ist die Hohe See damit aber noch weit entfernt. Die Tiefsee ist zudem Lagerstätte für zahlreiche Bodenschätze wie Nickel, Kupfer, Gold und seltene Erden in großen Mengen, meist eingebettet in Manganknollen und mineralische Krusten sowie für fossile Rohstoffe wie Erdöl und Erdgas. Nachdem die frühen Versuche kommerziellen Abbaus noch erfolglos waren, zeichnet sich seit einigen Jahren ein neuer Wettlauf um die Ressourcen der Tiefsee ab. Auch die Bundesregierung ließ es sich nicht nehmen, mitten im Pazifik eine Fläche von 75.000 Quadratkilometern zu sichern, auf der Rohstoffe im Wert von schätzungsweise mehr als 500 Milliarden US-Dollar lagern. Noch gibt es Müll ist ein wachsendes Problem in den Meeren, das von der Verletzungs- und Erstickungsgefahr über das Verhungern von Tieren, deren Magen mit unverdaulichen Plastikteilen gefüllt ist, bis zur Auswaschung giftiger Substanzen auf diversen Eben des marinen Ökosystems katastrophale Fol- 12 13 87 ICES Advice 2010 (Buch 11, Kap.2) Ussif Rashid Sumaila et al. (2010): Subsidies to high seas bottom trawl fleets and the sustainability of deep-sea demersal fish stocks. Marine Policy 34(3) S. 495 ff. Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 weltweit kaum kommerziellen Abbau dieser Rohstoffe. Angesichts steigender Preise und technischer Fortschritte erscheint die Wirtschaftlichkeit jedoch bereits absehbar. Es ist zu befürchten, dass der Abbau der am Meeresboden liegenden Manganknollen und anderer rohstoffhaltiger Materialien dann aber nur mit massiven Eingriffen in die Tiefseeökosysteme zu bewerkstelligen ist, zum Beispiel indem die Sedimentoberfläche regelrecht abrasiert wird. Dies tötet nicht nur die Bodenorganismen, es führt auch zu einer Sedimentaufwirbelung, die sich erst nach langer Zeit wieder absetzen kann. Die internationale Behörde für den Meeresboden (International Seabed Authority, ISA), die den Zugang zu diesen Ressourcen jenseits der nationalen Gesetzgebung regulieren und kontrollieren soll, muss dafür sorgen, dass die Rohstoffansprüche nicht blind und auf Kosten der fragilen Ökosysteme bedient werden. Eine Erfassung der im Gebiet vorkommenden Lebewesen und eine Umweltverträglichkeitsprüfung müssen verbindliche Vorbedingungen für Rohstofferkundung und abbau werden. Um grundsätzlich den Bedarf an Bodenschätzen zu reduzieren, sind Ressourcenund Energieeffizienz sowie die Umstellung auf erneuerbare Energien essenzielle Voraussetzungen. Weltweit ist der Wald durch den Menschen massiv bedroht. Die Umwandlung zu Ackerflächen und die Übernutzung der Ressource Holz führen dazu, dass jährlich immer noch 13 Millionen Hektar Waldfläche verloren gehen. Außerdem werden viele Waldflächen durch die Umwandlung von natürlichen und naturnahen Wäldern in Baumplantagen und Altersklassenwälder in ihren ökologischen Funktionen stark abgewertet. Die Vereinten Nationen hatten 2011 zum Jahr der Wälder erklärt, um auf die besondere Bedeutung der Wälder und einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung hinzuweisen. Der internationale Handel mit Holz als stofflichem und energetischem Rohstoff muss verbindlichen Nachhaltigkeitskriterien unterworfen werden. 15 Internationaler Gewässerschutz: Innerhalb der CBD wird auch die Rolle des Gewässerschutzes für den Schutz der Biodiversität diskutiert. Die Trinkwasserversorgung ist eine der Ökosystemdienstleistungen, die unmittelbar mit einem der UN-Entwicklungsziele verknüpft ist und sollte daher besondere Aufmerksamkeit bekommen. Doch Binnengewässer sind von den Auswirkungen des Klimawandels, von Verschmutzung und Flächenverbrauch bedroht. Zahlreiche Gremien wie das Weltwasser Forum oder die Welt Wasserwoche befassen sich mit diesen Themen und diskutieren Instrumente wie Wasserfonds, Initiativen und Partnerschaften wie die Great Rivers Partnership. Auch hier muss Deutschland national wie international seinen Beitrag leisten. Internationaler Waldschutz Die Bedeutung des Waldschutzes und der nachhaltigen Waldbewirtschaftung wird seit der „Waldgrundsatzerklärung von Rio“14 (Konferenz der Vereinten Nationen von 1992 über Umwelt und Entwicklung) weltweit anerkannt. Auch in der UNKlimarahmenkonvention UNFCCC wurde die Bedeutung der Wälder für die globale TreibhausgasBilanz anerkannt, und das Übereinkommen über die biologische Vielfalt CBD trägt der biologischen Vielfalt der Wälder mit einem erweiterten Arbeitsprogramm Rechnung. Die UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung UNCCD verdeutlicht ebenfalls den wichtigen Beitrag der Wälder zur Verwirklichung der Konventionsziele. 14 Finanzierung des internationalen Biodiversitätsschutzes: Deutschland steht mit der Zusage von 500 Millionen Euro jährlich ab 2013 und dem noch zu beziffernden zusätzlichen Bedarf für die Umsetzung des Strategischen Plans bis 2020 in der Pflicht (siehe auch Kapitel 5.15.). Über die internationale Klimaschutzinitiative finanziert die Bundesregierung zahlreiche Vorhaben, die auch für den Biodiversitätsschutz von großer Bedeutung sind. Non-legally binding authoritative Statement of Principles for a Global Consensus on the Management, Conservation and Sustainable Development of all Types of Forests (Rio de Janeiro, 1992) http://www.un.org/documents/ga/conf151/aconf151263annex3.htm 15 88 Positionspapier der Bundestagsfraktion: „Stoffliche und energetische Nutzung von Biomasse“, 2011 http://www.gruenebundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/391/391070.biomasse.pdf. Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Die automatische Anrechnung auf unterschiedliche internationale Zusagen beim Klimaschutz, der Entwicklungszusammenarbeit und der Biodiversität verfälscht jedoch den Eindruck, den die Bundesregierung durch einzelne Zusagen in unterschiedlichen Verhandlungen erweckt. Synergien zwischen den unterschiedlichen Aufgaben müssen genutzt werden. Ein Euro kann nur einmal ausgegeben werden und das Verhältnis zwischen immer neuen Zusagen und den darauf folgenden Ausgaben muss transparent nachvollziehbar sein. rechtliche Einbindung unter dem Dach der Vereinten Nationen dringend geklärt werden. Über den rechtlichen Status von Menschen, die wegen Klimaveränderungen, Landdegradation oder Biodiversitätsverlust ihre Heimat verlassen müssen, muss endlich Klarheit hergestellt werden. Sowohl bei den strukturellen Rahmenbedingungen als auch bei den Maßnahmen müssen die Interessen der Frauen und Kinder besonders berücksichtigt werden. Die Kampagne „Kinder haften für ihre Eltern“ von Terre des Hommes zu ökologischen Kinderrechten ist hierfür eine beispielgebende Initiative. U n ser e Z ie l e Die dringendsten internationalen Aufgaben bei der Umsetzung des Strategischen Plans der CBD sind für uns die Finanzierungshilfen für Entwicklungsländer, der Abbau umweltschädlicher Subventionen und die Ratifizierung des ABS-Protokolls. Die Ratifizierung durch die EU hätte eine große – auch symbolische – Bedeutung. Der Schutz der Natur um ihrer selbst willen 16 erfordert, dass der Natur auch eigene globale Rechte zugesprochen werden. Der internationale Meeresschutz muss erheblich intensiviert werden. Neben der Ausweisung und nachhaltigen Finanzierung von Schutzgebieten müssen auch in der Fischerei neue Wege beschritten werden, um insbesondere der Überfischung Herr zu werden. Auf Ebene der Vereinten Nationen müssen effiziente Übereinkommen erarbeitet werden, die u.a. wirksame Regelungen zur Bekämpfung der illegalen Fischerei vorsehen. Wir brauchen eine effektive Strategie zur drastischen Verringerung des Plastikmülls in unserem Land, in der Europäischen Union und weltweit. Dem Abbau von Bodenschätzen in der Tiefsee stehen wir ablehnend gegenüber. Internationale Haftungsregeln bei Schäden durch Tiefseebergbau müssen dem Verursacherprinzip folgen und durch einen Haftungsfonds ergänzt werden. Im OSPARGebiet darf kein Tiefseebergbau stattfinden. Der Abbau von Subventionen, die Umweltschäden in unterschiedlichsten Teilen der Welt nach sich ziehen, muss national wie europaweit dringend vorangetrieben werden (siehe Kapitel 5.15.). Aber auch bei technischen Standards und Zertifikaten (ISO-Normen u. ä.) müssen die Auswirkungen technischer Verfahren oder anderer Wirtschaftsvorgänge auf die Biodiversität erfasst und geprüft werden. Wenn ein Konzept wie das der Ökosystemdienstleistungen wirklich verankert werden soll, sind langfristig internationale Standards dafür anzustreben. Regionalmärkte können Vorreiter dafür sein. Voraussetzung für Chancengleichheit und Akzeptanz bei Unternehmen wäre aber ein größerer Maßstab. Der internationale Waldschutz muss der überragenden Bedeutung der Wälder für Klima und Biodiversität Rechnung tragen. Wir brauchen internationale Instrumente für die Sicherung der großen biodiversitätsreichen Wälder. Die Übernutzung der Wälder muss beendet werden, dafür werden wir die nachhaltige Waldbewirtschaftung fördern und unterstützen. Dazu muss insbesondere die FLEGTVerordnung der EU konsequent zu einem rechtskräftigen Instrument ausgebaut und die Zertifizierung von Holzimporten gefördert werden. Eine der wichtigsten Aufgaben für den Rio+20Gipfel wird die Aufwertung des UN-Umweltprogramms UNEP zu einer eigenständigen UNOrganisation sein, damit diese gleichberechtigt neben internationalen Organisationen wie der Welternährungsorganisation (FAO), der Weltarbeitsorganisation (ILO) oder der Weltgesundheitsorganisation (WHO) agieren kann. Der Gipfel muss auch dafür sorgen, dass die Rio-Konventionen besser miteinander kooperieren und sich ergänzen. Die Ausgestaltung und Einrichtung von IPBES muss parallel dazu zügig vorangebracht und die 16 89 Vgl. Bundesnaturschutzgesetz §1 Abs. 1 Satz 1. Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Gleichrangig zum Schutz der Wälder als Kohlenstoffspeicher muss REDDplus den Schutz der Ökosystemfunktionen beinhalten und spezielle Biodiversitätsziele in den nationalen REDDplusStrategien verankern. REDDplus muss dem Schutz von natürlichen und naturnahen Wäldern Priorität vor anderen Maßnahmen einräumen und die Umwandlung von natürlichen und naturnahen Wäldern in bspw. Plantagen ausschließen. REDDplus darf nicht dazu führen, dass Menschen von ihrem Land vertrieben werden oder die nachhaltige Nutzung von Waldgebieten durch die örtliche Bevölkerung unverhältnismäßig eingeschränkt wird. REDDplus muss (Menschen-)Rechte voll garantieren, zur Verbesserung der Rechtssituation der lokalen Bevölkerung beitragen und die Existenzgrundlagen der waldabhängigen Menschen sichern, erhalten und verbessern. Nationale REDDpluss-Strategien müssen die traditionellen Land- und Nutzungsrechte lokaler Gemeinschaften und indigener Völker anerkennen und schützen. Sicherung der Finanzierung und organisatorischen Unterstützung von IPBES. Aussetzung der Exploration nach Bodenschätzen in den zugewiesenen Pazifikgebieten und Unterstützung der ISA bei der Ausweisung von Schutzgebieten und Umweltverträglichkeitsregeln. Ratifizierung der ILO-Konvention 169, zum Schutz der Rechte indigener Völker durch die Bundesregierung. Ratifizierung und rechtsverbindliche, sanktionsbewehrte Umsetzung des ABSProtokolls. E ur opä is ch e U nio n Abschluss des europäischen Folgenabschätzungsverfahrens zum ABS-Protokoll als Voraussetzung für eine zügige Ratifizierung. Ausweitung und Verabschiedung von Managementplänen für die marinen Natura 2000-Gebiete als Teil des globalen Netzes von Meeresschutzgebieten. Die Einhaltung von Schutzbestimmungen (safeguards) für Biodiversität bei REDDplusStrategien und -Vorhaben muss systematisch überwacht und darüber berichtet werden. Die Informationen müssen auf internationaler Ebene vergleichbar dargestellt werden. V e r eint e Nat io n en Aufwertung von UNEP zu einer eigenständigen UN-Organisation im Rahmen des RioGipfels Einrichtung einer permanenten Koordinierungsstelle bei UNEP zur besseren Koordination zwischen den biodiversitätsrelevanten Konventionen und zur Abstimmung mit anderen Prozessen wie dem Klimaschutz. Vorschlag zur Entwicklung einer ISO-Norm für das Biodiversitätsmanagement in der International Standard Organization (ISO) durch das Deutsche Institut für Normung (DIN). Schaffung eines klaren rechtlichen Status für IPBES unter dem Dach der Vereinten Nationen. Ausweisung eines Netzes an Hochseeschutzgebieten einschließlich der Tiefsee, verbunden mit einem Moratorium der International Seabed Authority (ISA) auf den Abbau von Bodenschätzen der Tiefsee mindestens bis zur Einrichtung dieser Schutzgebiete, der Verabschiedung von Haftungs- U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge : Bu nd Unterstützung von Projekten und Programmen zur Umsetzung des Strategischen Plans der CBD. Die Finanzierung darf nur im Rahmen gemeinsamer Biodiversitäts-, Klimaund Entwicklungsvorhaben auf die Verpflichtungen im Klima- und Entwicklungsbereich in Form zusätzlicher und neuer Mittel angerechnet werden. Dauerhafte haushaltsmäßige Absicherung der von Deutschland auf der CBD COP 9 in Bonn 2008 zugesagten Mittel für den internationalen Biodiversitäts- und Waldschutz. Aufstockung der Mittel für den internationalen Biodiversitätsschutz im Sinne der Strategie zur Mobilisierung finanzieller Ressourcen der CBD. 90 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 regeln und der Einrichtung eines Haftungsfonds. Globale Initiative gegen die Vermüllung der Natur durch Kunststoffe, verbunden mit der Finanzierung von Reinigungsaktionen. Einrichtung eines globalen REDDplusMechanismus, der gleichermaßen Kohlenstoffsenken- und Speicher, die Wahrung der Rechte indigener Völker und die biologische Vielfalt schützt. Stärkere Berücksichtigung von Querschnittsfragen wie Gewässer- und Trinkwasserschutz in den Verhandlungen der CBD. Völkerrechtlich bindende Zusatzprotokolle zur CBD für alle Formen der Nutzung der Biodiversität. Stärkung des Rechtes auf freie, frühzeitige und informierte Zustimmung (free, prior and informed consent, FPIC) indigener Völker zu allen Vorhaben und Konzepten, die sie betreffen. Länder in ihren Bemühungen zu unterstützen. Die Umsetzung der Biodiversitätskonvention ist dadurch zu einer wichtigen Aufgabe für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit geworden.17 Der Schutz der biologischen Vielfalt ist auch ein Entwicklungsproblem. Menschen in Entwicklungsländern sind oft viel direkter von Ökosystemen abhängig als in den Industrieländern. Dabei ist es auch von besonderer Bedeutung, negative Folgen der deutschen und europäischen Handels- und Wirtschafts- Agrar- und Fischereipolitik wie Landraub, Überfischung und sonstige Zerstörungen von Ökosystemen auszuschließen und die Partnerländer bei der nachhaltigen Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen zu unterstützen. Den Zusammenhang zwischen Armutsbekämpfung, Biodiversität, ihrem Schutz und ihrer nachhaltigen Nutzung haben die Vertragsstaaten der CBD im Rahmen der 10. Vertragsstaatenkonferenz 2010 erstmals förmlich anerkannt.18 Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen sind entwicklungsförderlich, egal ob sie monetär in Wert gesetzt werden oder nicht. Erosionshemmende Bodenbearbeitung, Schutz von Wassereinzugsgebieten etc. kommen der Biodiversität und der Sicherung der Lebensgrundlagen der Bevölkerung zugute. Traditionelle Formen der Wald- und Landnutzung haben in der Regel über lange Zeiträume hinweg bewiesen, dass sie lokal angepasst und nachhaltig die ökologischen Ressourcen schonen. Intakte Ökosysteme können darüber hinaus aber auch Grundlage für neue Einkommensmöglichkeiten sein, zum Beispiel durch Ökotourismus oder den Verkauf zertifizierter Produkte. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache 17/2005 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Umsetzung des Strategischen Plans der UNBiodiversitätskonvention, insbesondere im Meeresschutz“ BT-Drucksache 17/5578 Antwort auf unsere kleine Anfrage „Auswirkungen des Tiefseebergbaus auf die maritime Umwelt und Biodiversität“ BT-Drucksache 17/8753 Transparente und partizipative Planung ist ein wichtiges Instrument, um traditionelles Wissen, Nutzungsansprüche, z.B. von indigenen Völkern, und ökologische Anforderungen bis hin zur Einrichtung von Schutzgebieten mit breiter Unterstützung zu verankern. Nachhaltige Entwicklung in 6.3. BIODIVERSITÄTSSCHUTZ IN DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT Pro b le m Biodiversität und Entwicklung Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2008): Biologische Vielfalt. BMZ Konzepte 164. http://www.bmz.de/de/publikationen/reihen/strategiepapier e/konzept164.pdf 18 CBD (2010): Integration of biodiversity into poverty eradication and development. Decision X/6. http://www.cbd.int/decision/cop/?id=12272 17 Mit der Unterzeichnung des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt CBD hat sich Deutschland verpflichtet, die Biodiversität nicht nur im eigenen Land zu schützen, sondern auch andere 91 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 diesem Sinne braucht den Dialog zwischen lokaler Bevölkerung, Privatwirtschaft und Regierungen. tät und Effizienz solcher Vorhaben deutlich steigert.20 Entwicklungsvorhaben Andere Rechte wie das Menschenrecht auf Nahrung und das Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung werden insbesondere durch die Plünderung ökologischer Ressourcen durch Industrieländer torpediert. Insbesondere großskalige, teilweise spekulative Direktinvestitionen bergen das Risiko der Intensivierung der Landnutzung, des Verlustes an Nutzungsmöglichkeiten der lokalen Bevölkerung und können zum Biodiversitätsverlust beitragen. Beispiele sind das „Land Grabbing“ für Futter- und Energiepflanzen und das „Sea Grabbing“, durch die EU-Fischerei in außereuropäischen Gebieten. Dies schadet der Biodiversität und erhöht gleichzeitig die Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten.21 Die möglichen Folgen von Entwicklungsvorhaben für die biologische Vielfalt müssen räumlich wie auch zeitlich über die Grenzen des eigentlichen Projekts hinweg berücksichtigt werden. In vielen Entwicklungsländern sind Fauna und Flora heute bereits stark bedroht. Wichtige Kriterien bei der Projektförderung müssen die Einschätzung der ökologischen Tragfähigkeit und ein Konsens auf Gemeindeebene zu Schutzzielen, Zielgruppen, Förderansätzen und zu möglichen Gegenleistungen werden Naturschutz und Armutsbekämpfung müssen zusammengehörend gesehen werden. Allerdings sind auch integrierte Naturschutz- und Armutsbekämpfungs-Projekte nicht frei von Problemen wie einer überhöhten Erwartungshaltung, Verteilungskonflikten, Konfrontation mit Schutzgebietsanrainern, Sabotageakten enttäuschter Anwohner, unerwünschter Verteilungs-, Mitnahme- oder Zuwanderungseffekte sowie (Macht-)Missbrauch. Dies gilt es im Vorfeld zu berücksichtigen. Grundsätzlich muss dabei gelten, dass mögliche Gewinne aus dem Naturschutz in erster Linie der armen Bevölkerung zu Gute kommen müssen und für diese negative Naturschutzauswirkungen adäquat kompensiert werden. Schutzgebiete Da sich in Entwicklungsländern viele Zentren der Biodiversität befinden, die gleichermaßen artenreich und gefährdet sind (so genannte Hotspots), muss ein Schwerpunkt des Schutzes der biologischen Vielfalt im Gebietsschutz liegen. Schutzgebiete sind dann am nachhaltigsten, wenn ihr Schutzkonzept an die Werte, Interessen und Praktiken der lokalen Bevölkerung anknüpft und diese berücksichtigt. Die soziale Akzeptanz von Schutzgebieten gilt als Schlüsselfaktor für ihren nachhaltigen Schutz und ihr Management. Die Bevölkerung muss in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden, um ihre Interessen von Anfang an in die Planung einzubringen. Die Wahrung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte ist von der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und ökosystemarer Leistungen abhängig. So zeigt beispielsweise die ecuadorianische Hauptstadt Quito, dass die Wahrung des Rechts auf Trinkwasser, den Schutz großer Wassereinzugsgebiete oberhalb der Stadt voraussetzt – eine unmittelbare Anwendung des Konzeptes der Ökosystemdienstleistungen19. Frauen, Kinder und die ärmsten Teile der Bevölkerung sind gegenüber Umweltveränderungen besonders verwundbar. Gleichzeitig zeigen Erfahrungen, dass ihre Einbindung in die Entwicklung von nachhaltigen Nutzungs- und Schutzkonzepten die Effektivi- Für Indigene Völker gilt, dass sie ein Recht auf Selbstbestimmung und damit auf freie, vorherige und informierte Zustimmung haben (im Sinne des Beschlusses des „Free prior and informed consent“). Zudem sollten unabhängige Umsetzungs- und Beschwerdemechanismen auf nationaler und internationaler Ebene erarbeitet werden, die aktiv über die Beschwerdemöglichkeiten 20 21 19 TEEB (2010): Kurzleitfaden für lokale und regionale Entscheidungsträger 92 CBD (2010): Gender and Biodiversity www.cbd.int/gender Olivier De Schutter, Special Rapporteur on the right to food (2010) “Agroecology and the Right to Food”, Bericht [A/HRC/16/49] an den UN-Rat für Menschenrechte, vorgestellt am 8. März 2011 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 informieren und Betroffene bei Beschwerden unterstützen. Um die Vielfalt insbesondere tropischer Ökosysteme bewahren zu können, müssen die Wechselwirkungen zwischen Menschen, Pflanzen und Tieren beachtet werden. Entsprechendes Wissen fehlt oder wird nicht immer ausreichend bei der Planung und Steuerung von Vorhaben in der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt (Agrobiodiversität und Land Grabbing: siehe oben). Wir brauchen mehr Fortbildung von wissenschaftlichem Nachwuchs in Deutschland und den Partnerländern zur Verbreitung und Weiterentwicklung ökologischer Landnutzungsformen, zum Aufbau von öffentlichen Gen- und Saatgutbanken sowie zur Erfassung und zum Monitoring des Umweltzustands.22 Dabei sollten insbesondere bestehende Ansätze von genossenschaftlichen Saatgutbanken von Kleinbauern unterstützt werden. Frühzeitig müssen alle Partner bei der Planung dieser projektbegleitenden Forschung und Studien und der anschließenden Umsetzung der Ergebnisse eingebunden werden. Treuhandfonds für bedeutsame Naturschutzgebiete stellen ein wichtiges Instrument dar, mit dem der Schutz und das Management der biologischen Vielfalt langfristig erhalten werden kann, da diese Fonds die Möglichkeit schaffen, eine dauerhafte Finanzierung zu sichern. Der Lebensraum der indigenen Bevölkerung bleibt erhalten und sie partizipiert an der Verwaltung und am Management der Schutzgebiete sowie an alternativen Einkommensmöglichkeiten z. B. im Ökotourismus. Das ecuadorianische Yasuní-ITT-Projekt gilt hier beispielhaft als eine wegweisende Initiative. Die ecuadorianische Regierung hat sich bereit erklärt, auf Ölförderung in einem Teil des hochbiodiversen Yasuní-Nationalparks zu verzichten, wenn die internationale Gemeinschaft die Hälfte der Einnahmen, die Ecuador durch Ölförderung erhalten würde, kompensiert. Doch Entwicklungsminister Niebel ist nicht bereit, in den eigens eingerichteten Treuhandfonds einzuzahlen und setzt auf bilaterale Projekte statt auf internationale Lösungen. Finanzierung Deutschland, die Europäische Union und andere Industrieländer stehen gegenüber den Entwicklungsländern vielfach in der Pflicht. Zusagen zur Entwicklungsfinanzierung sowie zum Klima- und Biodiversitätsschutz bringen nicht nur fiskalische Herausforderungen mit sich. Verknüpft ist damit vor allem auch die Frage, welche Art von Entwicklung damit unterstützt werden soll. Die derzeitige Tendenz, auch die Entwicklungspolitik zu einer Außenwirtschaftspolitik umzuformen und insbesondere auf großflächige, agrarindustrielle Projekte und die Verbreitung von gentechnisch verändertem Saatgut zu setzen ist auch für den Erhalt der Biodiversität hochproblematisch. Die Finanzierung internationaler Projekte oder die Bewilligung von (Hermes-) Bürgschaften darf nicht ohne die Beachtung von Menschenrechten sowie Umweltund Sozialstandards erfolgen. Agrobiodiversität Kleinbäuerliche Produzenten und Viehhalter aus Lateinamerika, Afrika und Asien sind auf die Vielfalt der genetischen Ressourcen in der Landwirtschaft angewiesen. Lokale Sorten und Rassen sind häufig besonders gut an die klimatischen Bedingungen der Tropen und an marginale Standorte, wie zum Beispiel Trocken- oder Hochlandgebiete, angepasst. Die traditionellen genetischen Ressourcen lassen sich mit minimalem Ressourceninput nutzen, besitzen sehr gute Qualitätsmerkmale und haben darüber hinaus häufig auch einen hohen kulturellen Stellenwert für die ländliche Bevölkerung. Trotz dieser Vorteile nimmt in den Entwicklungsländern die in der Landwirtschaft genutzte biologische Vielfalt rapide ab. Mehr als 2.000 Nutztierrassen sind vom Aussterben bedroht. Die Förderung von Saatgutbanken und vergleichbaren Instrumenten ist eine wichtige Abhilfe. Ohne die gezielte Unterstützung traditioneller Landnutzungsformen wird dieses Potenzial aber ungenutzt bleiben. Indigene Gruppen und traditionelles Wissen Weltweit sind ca. 300 Mio. Menschen direkt vom Wald abhängig um ihr Überleben zu sichern. Etwa Forschung 22 93 Z. B. Consultative Group on international Agricultural Research (CGIAR, www.cgiar.org) Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 50 bis 60 Millionen von ihnen gehören zu indigenen Völkern, die unmittelbar im, vom und mit dem Wald leben. Entwicklungszusammenarbeit muss darauf gerichtet sein, lokale indigene Gruppen besser einzubinden. Regionalmarken und Biodiversitätsprodukte schaffen hier ein Bewusstsein für die immensen Werte und fördern die Emanzipation von nachhaltigen Weltmarktstrukturen.23 Mit geschützten geographischen Herkunftsbezeichnungen (Geographical Indications) für Naturprodukte kann die Lokalbevölkerung von der nachhaltigen Nutzung der Ressourcen und ihrem traditionellen Wissen profitieren. Da biologische Vielfalt und Ökosystemdienstleistungen zur ökonomisch und kulturell nachhaltigen Entwicklung beitragen müssen Förderprogramme natur- und klimafreundliche Landnutzung, Agrobiodiversität, Partizipation, kulturelle Integrität und den Naturschutz unterstützen. Primäres Ziel ist dabei für uns die lokale Nahrungsmittel- und Energieversorgung. Schon kleine fiskalische Anreize können hier notwendige Veränderungen anregen.24 Für die faire Gestaltung dieser Prozesse, ist die zügige Ratifizierung und sanktionsbewehrte Umsetzung des ABS-Protokolls25 der CBD wichtig. Entsprechend der ILO-Konvention 169 über die Rechte indigener Völker ist das Prinzip der vorherigen und informierten Zustimmung bei der Nutzung natürlicher Ressourcen und bei Eingriffen in die Natur für Infrastrukturvorhaben konsequent anzuwenden. Der steigende Druck auf begrenzte Ressourcen, die u.a. gewaltsame Vertreibung zur Folge haben, darf durch internationale Maßnahmen des Klima- und des Schutzes der Biodiversität nicht konterkariert werden. Es gilt, soziale Schutzbestimmungen zu garantieren und die indigene Bevölkerung umfassend an der Entwicklung der Projekte und Programme zu beteiligen, so dass diese angemessen informiert wird und ausreichend Zeit hat, sich eine eigene Meinung zu bilden und mitzuentscheiden. Für Indigene Völker gilt, dass sie ein Recht auf Selbstbestimmung und damit auf freie, vorherige und informierte Zustimmung haben. Entwicklungsstrategien der Bundesregierung, der EU und internationaler Institutionen sollen es lokalen Gemeinschaften ermöglichen, direkt von intakten Ökosystemen in ihrer Umgebung zu profitieren, denn die Zerstörung natürlicher Ressourcen geht Hand in Hand mit der wachsenden Abhängigkeit von industriell produzierten Nahrungsmittelimporten und der Vertreibung der Bevölkerung aus angestammten Gebieten. Ein größerer Teil der Wertschöpfung aus der Nutzung ökologischer Ressourcen muss daher in Entwicklungsländern verbleiben. Auch der Erfahrungsaustausch und Umweltbildung sind hierfür wichtige Voraussetzungen. Gleichzeitig sollte die Bedeutung von traditionellen Waldnutzungssystemen für den Schutz der Wälder stärker berücksichtigt werden. U n ser e Z ie l e Wir wollen die Entwicklungszusammenarbeit so gestalten, dass sie die ökologischen Grenzen und die Menschenrechte wahrt und für die gerechte Verteilung von Lasten und Nutzen sorgt. Entwicklungsprojekte brauchen neben der Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren einen langfristigen Finanzierungsmechanismus über das Projektende hinaus. Schutzgebietsprojekte müssen auch nach Rückzug des Gebers langfristig selbsttragend sein um nachhaltig zu wirken. Hierfür sind stabile institutionelle Rahmenbedingungen notwendig, das heißt internationale Konventionen und Finanzierungsmechanismen müssen gestärkt und besser auf einander abgestimmt werden (siehe Kapitel 5.15. und 6.2.). Finanzielle Zusagen müssen verbindlich sein und eingehalten werden. Die deutsche und europäische Außenwirtschafts-, Agrar- und Energiepolitik muss diese Entwicklungsziele teilen, statt sie zu torpedieren. Hier liegt eine Verantwortung der Bundesregierung für mehr Kohärenz zwischen den relevanten Aktivitäten (Internationaler Klima- und Biodiversitätsschutz, Entwicklungszusammenarbeit, Handelspolitik, 26 Investitionen etc.). Über die Förderung lokaler UNEP Policy Brief 2-2010: The Role of ecosystems in developing a sustainable green economy. 25 ABS = Access and Benefit Sharing. 26 DIE (2011) Ansätze zur Verbesserung der Kohärenz zwischen Entwicklungspolitik und anderen Politiken. Europäisches 24 23 z. B. UNDP: „Latin America and The Caribbean: A Biodiversity Superpower“ 94 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Märkte wollen wir auch internationale Mechanismen zur Inwertsetzung von Ökosystemdienstleistungen weiterentwickeln. Wenn Förderinstrumente wie der Waldklimaschutz einzelne Ökosystemdienstleistungen nutzen, wollen wir auch den Schutz anderer Leistungen und sozialer Ansprüche sicherstellen. Vertiefung der bilateralen Zusammenarbeit mit Partnerregionen und Partnerstädten auch im Bereich der biologischen Vielfalt. E ur opä is ch e U nio n Überarbeitung der Handels- und Exportstrategien der EU mit dem Ziel, lokale Märkte zu stützen, Land Grabbing zu vermeiden und den Import von Naturprodukten aus Entwicklungsländern auf seine ökologischen und entwicklungspolitischen Implikationen zu prüfen (Zertifizierung). Die Entwicklungsländer müssen bei der Forschung und beim Monitoring unterstützt werden. Es müssen Bewertungssysteme und geeignete Indikatoren eingeführt werden. Die Ausweisung von Schutzgebieten muss ein konsequentes Management unter Einbezug der Lokalbevölkerung nach sich ziehen. V e r eint e Nat io n en U ns er e gr ün e n Lö s u ng sv or s ch lä ge : Aufbau eines Monitoringprogramms für relevante Arten in Entwicklungsländern unter dem Dach von IPBES. Förderung von Pilotvorhaben zur Erhaltung und zum Transfer traditionellen Wissens und zur Förderung lokaler Saatgutbanken. Bu nd Ratifizierung der ILO-Konvention 169 durch die Bundesregierung. Ratifizierung des ABS-Protokolls und Abschluss des entsprechenden EU-Folgenabschätzungsverfahrens. Bessere Berücksichtigung der Bedeutung intakter Ökosysteme für nachhaltige Entwicklung in der Entwicklungspolitik. Nachhaltige traditionelle Nutzungsformen von Wäldern, z.B. durch indigene Bevölkerungsgruppen, stärker berücksichtigen Naturschutz und integriertes Schutzgebietsmanagement stärker fördern und mit nachhaltigen Nutzungskonzepten für die lokale Bevölkerung verzahnen Fortentwicklung von alternativen Finanzierungskonzepten wie Entgelte für Nutzungsverzichtserklärungen und Treuhandfonds zur nachhaltigen Finanzierung und Sicherung von Schutzgebieten und zur Umsetzung des Strategischen Plans der CBD. Koppelung der Vergabe von Bürgschaften durch die Bundesregierung für Investitionen im Ausland an strenge und verbindliche Umwelt- und Sozialstandards. U ns er e bi sh er ig e n p ar lam e nt ar is ch e n In it iat iv e n u nd P o sit i o ne n Antrag „Biodiversität national und international konsequent schützen“ BT-Drucksache 17/2005 Entschließungsantrag zum Haushaltsgesetz 2012, BT-Drucksache 17/7863 Antrag „Rechte indigener Völker stärken - ILOKonvention 169 ratifizieren“ BT-Drucksache 17/5915 6.4. WELTHANDEL UND BIODIVERSITÄT Pro b le m Internationaler Handel beruht zu einem großen Teil auf Rohstoffen oder Produkten, die auf der Nutzung der biologischen Vielfalt basieren. Der wirtschaftliche Wert von Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen gewinnt vor dem Hintergrund eines wachsenden Bewusstseins über die Auswirkungen des Verlustes an natürlichen Ressourcen zunehmend an Bedeutung. Der Schutz und eine nachhaltige sowie faire Nutzung genetischer Ressourcen spielen eine entscheidende Rolle bei der Erhaltung der Lebensgrundlagen auf unserem Planeten. Parlament (2011) „An Assessment of the Balance of EU Development Objectives with other Policies and Priorities” 95 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 Im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO ist kein Abschluss der Doha-Entwicklungsagenda abzusehen. Gleichzeitig unterlaufen die bisherigen Regeln des internationalen Handelsregimes die Belange der CBD. Das WTO-Gebot, nach Beschaffenheit und Verwendungszweck gleichartige Produkte gleich zu behandeln, führt dazu, dass es beispielsweise schwierig bis unmöglich ist, zwischen Tropenholz aus illegalem Einschlag und zertifiziertem Holz aus einer Plantage zu unterscheiden. Im Verhandlungsmandat der Doha-Runde sind allerdings auch keine Elemente enthalten, diese Grundregeln zu verändern. Unsere Ziele Welthandel, Welternährung und Biodiversitätsschutz haben viele Synergien und dürfen nicht länger gegeneinander ausgespielt werden. Im Sinne einer kohärenten Politik für nachhaltige Entwicklung müssen auch internationale Handelsregeln zum Schutz der Biodiversität beitragen. Die EU als weltgrößter Handelsakteur und Deutschland als größte europäische Volkswirtschaft tragen eine besondere Verantwortung für die Waren und Ressourcen, die im- und exportiert werden, und müssen international eine Vorreiterrolle für den Biodiversitätsschutz einnehmen. Die Vermeidung negativer Auswirkungen bilateraler EUFischereiabkommen auf die Meeresökosysteme und die Lebensgrundlagen der Menschen, die Zertifizierung von sowie ein qualitativer Marktzugang für Holzimporte, der umweltverträgliche Abbau von Rohstoffen, die Unterstützung einer ökologisch angepassten bäuerlichen Landwirtschaft, die Gewährleistung der Wiederverwendung von Saatgut sowie eine erfolgreiche Kontrolle des CITESArtenschutzabkommens sind wichtige Ansatzpunkte, die wir weiter ausbauen wollen. Umwelt-, Klima- und Biodiversitätseffekte der Handelsliberalisierung müssen künftig eine stärkere Beachtung finden. Ein für die biologische Vielfalt bedeutsamer Streitpunkt der Doha-Verhandlungsrunde ist die verpflichtende Angabe über die Herkunft genetischer Ressourcen vor einer Patentierung (für die das TRIPS-Übereinkommen27 gilt), die das ABSProtokoll der CBD28 verpflichtend vorsieht. Das Verhältnis zwischen dem TRIPS-Abkommen und der CBD ist weiter ungeklärt. Eine große Zahl von Entwicklungsländern fordert, die Erfüllung eines gerechten Vorteilsausgleiches als Voraussetzung für jeden Patentschutz festzulegen. Das Herkunftsland, die Quelle der genetischen Ressourcen und des traditionellen Wissens, auf denen ein Patent beruht, sollen verpflichtend offengelegt werden, um Biopiraterie vorzubeugen. Zudem ist die freiwillige, vorherige und informierte Zustimmung der berechtigten Ressourcen- und Wissensinhaber nachzuweisen („free, prior and informed consent“). Eine Beteiligung (benefit sharing) dieser Inhaber an den Vorteilen, die aus der Nutzung entstehen (einschließlich eines Kommerzialisierungsgewinns), ist durch Vorlage einer Vereinbarung vor Patentvergabe zu garantieren. Während die EU das Grundanliegen teilt, aber ein Patent auch dann vergeben will, wenn der gerechte Vorteilsausgleich noch nicht vollständig nachgewiesen werden kann, lehnen andere WTO-Mitglieder wie die USA das Anliegen generell ab. Wir setzen uns dafür ein, im Rahmen der WTO ein multilaterales Handelssystem zu entwerfen, das die Belange des Biodiversitätsschutzes und das Vorsorgeprinzip berücksichtigt und positive Anreize hierfür setzt. Handelsregeln dürfen der notwendigen ökologischen und sozialen Regulierung der Märkte nicht im Wege stehen. Widersprüche zwischen WTO-Regeln und internationalen Abkommen zum Schutz der Biodiversität müssen zugunsten letzterer aufgelöst werden. Dazu ist aber auch eine rechtsverbindliche Ausgestaltung und Umsetzung dieser Abkommen notwendig. Die Unterstützung durch ein aufgewertetes UN-Umweltprogramms (UNEP) ist hierfür eine wichtige Voraussetzung. Die rechtsverbindliche Umsetzung der Biodiversitätsziele auf europäischer und nationaler Ebene ist einer der Schlüsselfaktoren, damit diese gegenüber Handelsinteressen wirksam werden können. Der EU-Aktionsplan zur biologischen Vielfalt verlangt eine signifikante Verminderung TRIPS – Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum. 28 ABS – Access and benefit sharing = CBD-Protokoll über den Zugang zu genetischen Ressourcen und den gerechten Vorteilsausgleich. 27 96 Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion І Biodiversität 2020 negativer Auswirkungen globaler Handelsströme auf die Biodiversität. Dies soll durch eine Anerkennung der Biodiversität als nicht handelsbezogenes Anliegen (non-trade concern) bei Handelsgeschäften besser berücksichtigt werden. Auch die 2011 beschlossene Biodiversitätsstrategie der EU fordert von der Kommission, Biodiversitätsbelange systematisch in Handelsvereinbarungen und in Dialoge mit Drittländern einzubeziehen, die Folgen von Handelsliberalisierungen und von Investitionen für die biologische Vielfalt zu berücksichtigen und in künftigen Abkommen auch Vorschriften zum Biodiversitätsschutz zu verankern. scher Ressourcen, die den Zielen und Regeln des Protokolls nicht entspricht, in der EU gesetzlich sanktioniert wird. Überarbeitung der Handels- und Exportstrategie der EU mit dem Ziel, lokale Märkte zu stützen, Land Grabbing zu vermeiden und den Import von Naturprodukten aus Entwicklungsländern auf seine ökologischen, entwicklungspolitischen und menschenrechtlichen Implikationen zu prüfen (Qualifizierter Marktzugang). International Berücksichtigung der Biodiversität bei der WTO als nicht handelsbezogenes Anliegen. Einsatz von Instrumenten zur Folgenabschätzung durch die WTO, die ökologische, soziale und menschenrechtliche Auswirkungen ihres Handels und der verhandelten Liberalisierungsschritte bewerten und dem Vorsorgeprinzip entsprechend präventiv berücksichtigen. Formulierung verbindlicher Handelskriterien innerhalb der relevanten Umweltabkommen, um Konflikte zwischen Umweltabkommen wie der CBD und der WTO nicht allein dem WTOStreitschlichtungsmechanismus zu überlassen; durch die Aufwertung von UNEP muss ein Gegengewicht zur WTO im Umweltbereich etabliert werden. Prüfung der Auswirkungen von WTOEntscheidungen auf die Biodiversität durch den Weltbiodiversitätsrat IPBES. Dieser soll UN-Status erhalten; seine Entscheidungen müssen auch Handelsbeschränkungen herbeiführen können. Einsatz der Bundesregierung und der EU im Rahmen der WTO-Verhandlungen, um zu verhindern, dass das „Cartagena-Protokoll über biologische Sicherheit“ und das ABSProtokoll durch multilaterale Handelsabkommen konterkariert werden. Wir wollen, dass die Haupteinflussfaktoren der Handelsbeziehungen der EU auf die Biodiversität von Drittstaaten systematisch erfasst werden und dass Anpassungsmaßnahmen zur Reduktion dieser Effekte umgesetzt werden. Für den Erfolg des ABSProtokolls ist von entscheidender Bedeutung, dass Patentrechte und Fragen geistigen Eigentums eindeutig geregelt und vor der Patentierung gerechte Ausgleichsmechanismen festgeschrieben werden. Im Rahmen der europäischen Patentgesetzgebung sollten die im ABS-Protokoll geforderten Checkpoints zügig eingerichtet werden. Für die Opfer von Biopiraterie müssen Verwaltungs- und Gerichtswege geschaffen werden. Unsere grünen Lösungsvorschläge Bund Ratifizierung der ILO-Konvention 169, zum Schutz der Rechte indigener Völker durch die Bundesregierung. Ratifizierung und rechtsverbindliche, sanktionsbewehrte Umsetzung des ABSProtokolls. Europäische Union Zügiger Abschluss des europäischen Folgenabschätzungsverfahrens zum ABS-Protokoll als Voraussetzung einer Ratifizierung und Umsetzung, so dass eine Nutzung geneti- 97