Bedeutung der Flächenstilllegung für die biologische Vielfalt

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Bedeutung der Flächenstilllegung
für die biologische Vielfalt
Fakten und Vorschläge zur Schaffung von ökologischen
Vorrangflächen im Rahmen der EU-Agrarpolitik
Die Entwicklung
der Flächenstilllegung
in Deutschland
18,0 %
16,0 %
14,0 %
12,0 %
10,0 %
8,0 %
6,0 %
4,0 %
2,0 %
NaWaRo-Anbau auf stillgelegten Flächen
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
0,0 %
1990
Anteil an Ackerfläche
n Die Flächenstilllegung wurde
1988/1989 als Instrument zur Begrenzung von Überschüssen im Ackerbau
in der EU eingeführt und wurde ab
1993/94 zur Pflicht. Seitdem können
auf diesen Stilllegungsflächen auch
nachwachsende Rohstoffe angebaut
werden. Im Herbst 2007 wurde der
Prozentsatz für die Flächenstilllegung
auf 0 % gesetzt, d.h. ab sofort müssen
keine Ackerflächen mehr stillgelegt
werden. Die Entwicklung der Stilllegungsflächen in Deutschland zeigt
die Abbildung 1.
Deutschland
20,0 %
Stilllegungsflächen (ohne nachwachsende Rohstoffe)
Abb. 1: Stilllegungsflächen und Anbauflächen nachwachsender Rohstoffe in Deutschland (Quellen: Statist. Bundesamt 2007 und BLE 2007)
Bedeutung für Pflanzen und Tiere
n Selbstbegrünte oder mit standortangepassten Kulturund Wildpflanzen angesäte Stilllegungsflächen sind ideale
Lebensräume für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, insbesondere für Ackerwildkräuter, Insekten, Vögel und andere
Wildtiere. Da diese Flächen vom 1. April bis zum 30. Juni
eines Jahres nicht bewirtschaftet werden, können hier viele
Tier- und Pflanzenarten ihren Entwicklungszyklus abschließen (Pflanzen können ausblühen und aussamen, Tiere können ihren Nachwuchs aufziehen). Dadurch haben sich die
Stilllegungsflächen in vielen Ackerbauregionen Deutschlands zu wichtigen und vielerorts einzigartigen Rückzugsräumen für Tier- und Pflanzenarten in einer oftmals ausgeräumten Agrarlandschaft entwickelt. Zum Teil werden die
Stilllegungsflächen auch gezielt dazu genutzt, ökologische
Aufwertungen vorzunehmen, z.B. durch Anlage von Blühstreifen und Blühflächen (durch Jagd- und Naturschutzverbände oder mit Hilfe von Agrarumweltprogrammen).
Das Göteborg-Ziel der Europäischen Union und die biologische Vielfalt
n Die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist ein Ziel, zu dem sich zahlreiche Staaten der Welt verpflichtet haben (Konferenz von Rio 1992).
Die Europäische Union hat bei ihrem Gipfel zur EU-Nachhaltigkeitsstrategie in Göteborg im Jahr 2001 darüber hinaus beschlossen, den Verlust
an biologischer Vielfalt bis zum Jahr 2010 zu stoppen. Die Zielerreichung ist jedoch nicht abzusehen, da insbesondere in den Agrarlandschaften
weiterhin eine Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung stattfindet und damit ein Verlust der Biodiversität einhergeht.
Agrarpolitik und Health Check
der Europäischen Kommission
n Mit dem sogenannten Health Check („Gesundheitscheck“) überprüft die
EU-Kommission derzeit, ob die EU-Agrarpolitik zeit- und zielgerecht wirksam ist und welche Veränderungen gegebenenfalls vorgenommen werden
müssen. Zu diesem Health Check gehört auch die Frage, welchen Beitrag die
EU-Agrarpolitik zum Erhalt der biologischen Vielfalt und damit zum Göteborg-Ziel leistet.
Wegfall der Flächenstilllegung – Auswirkungen auf die biologische Vielfalt
Grauammer Emberiza calandra
1600
1400
1200
1000
800
600
400
200
0
02
20
20
03
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04
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19
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19
94
19
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19
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19
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19
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19
99
20
00
20
01
Index (1991 = 100 %)
n Für das Jahr 2008 wurde die Flächenstilllegung ausgesetzt, im Rahmen des
Health Checks soll sie komplett abgeschafft werden. Wie sehen die Folgen
dieser Entscheidung für die biologische Vielfalt aus? Dies lässt sich gut am
Bestand von Feldvögeln in der Agrarlandschaft aufzeigen. Anhand von regelmäßigen Bestandsuntersuchungen zur Vogelwelt in ganz Deutschland zeigt
sich, dass die Bestände von Feldvogelarten unmittelbar vom Flächenanteil
der Stilllegung abhängen. Seit der starken Zunahme des Anbaus nachwachsender Rohstoffe auf Stilllegungsflächen sind Populationen von Feldvogelarten wie der Grauammer erheblich zurückgegangen oder sogar zusammengebrochen (Abb. 2). Dabei stehen die Feldvogelarten nur als Indikator
für die gesamte Biodiversität der Agrarlandschaft. Die mit der Stilllegung
geschaffenen Lebensräume sind ihrerseits nur Ersatzlebensräume für die aus
der intensiv genutzten Agrarlandschaft verschwundene Vielfalt von Pflanzen- und Tierarten. Die Stilllegungsflächen tragen also vor allem in intensiv
genutzten, ackerbaulich geprägten Landschaften in maßgeblichem Umfang
zur Erhaltung der biologischen Vielfalt bei. Umgekehrt wird ein Wegfall der
Stilllegungsflächen einen weiteren Rückgang der biologischen Vielfalt auslösen und damit diametral dem Göteborg-Ziel der EU entgegenlaufen.
alte Bundesländer
neue Bundesländer außerhalb von Schutzgebieten
Brandenburger Großschutzgebiete
Abb. 2: Bestandsentwicklung der Grauammer (Emberiza calandra) in Ost- und Westdeutschland: Der steile Bestandsanstieg in Ostdeutschland 1991-1996 ist durch eine große
Zahl an Stilllegungsflächen(15-20 % des Ackerlandes) zu erklären. Nach Rückgang der Stilllegungsflächen auf 10 % der Ackerfläche sind Bestandszuwächse nur noch in Großschutzgebieten zu erkennen. Im Vergleich dazu sind die Bestände in den alten Bundesländern, wo viele ehemalige Stilllegungsflächen zwischenzeitlich mit nachwachsenden
Rohstoffen bebaut werden (z.B. Raps), wieder stark abgesunken (Quelle: Flade 2007).
Statt Flächenstilllegung: Ökologische Vorrangflächen in jedem Betrieb
n Die Flächenstilllegung ist aus Sicht einer Marktregulierung nicht mehr notwendig. Hingegen ist es enorm wichtig, ihre ökologischen Effekte
zu sichern. Diese Effekte lassen sich noch effizienter sichern, wenn es statt der bisherigen Flächenstilllegung eine Verpflichtung zur Einrichtung
von „Ökologischen Vorrangflächen“ im Umfang von 10 % in jedem Betrieb gibt. Der Anteil von 10 % ergibt sich aus einer Reihe von Studien,
die deutlich positive Effekte auf die biologische Vielfalt bei diesem Umfang nachweisen. Dabei sollte die gesamte landwirtschaftliche Fläche
einbezogen werden – also neben dem Ackerland auch das Grünland, denn auch dort gibt es große Defizite an Flächen mit positiver Wirkung
für die Biodiversität. Im Ackerland können Blühflächen und Blühstreifen, Lichtäcker und Lichtstreifen sowie selbstbegrünte Brachflächen als
ökologische Vorrangflächen dienen; im Grünland sind dies artenreiche Grünlandflächen sowie Saumflächen und -streifen zur Gliederung der
Landschaft und entlang von Gewässern, Biotopen und Waldrändern. Die Wirkung solcher Vorrangflächen wurde in mehreren Pilotprojekten
erfolgreich erprobt. Sie sind ein zentrales Instrument zur Erreichung von ökologischen Effekten bei gleichzeitig gegebener Nutzungsmöglichkeit für die Landwirtschaft.
Zielerreichung mit
ökologischen Vorrangflächen
n Mit der Einrichtung von ökologischen Vorrangflächen
können mehrere Ziele der Eu­ropäischen Union gleichzeitig
erreicht werden:
❀ Die ökonomisch nicht mehr notwendige Flächenstill­
legung kann aufgegeben werden.
❀ Der erhebliche Rückgang der biologischen Vielfalt in der
Agrarlandschaft kann gebremst werden. Damit wird ein
wichtiger Beitrag zur Erreichung des Göteborg-Ziels der
EU geleistet.
❀ Ökologische Vorrangflächen sind von den Landwirten
nutzbar und die Flächenbewirtschaftung kann in den
Betriebsablauf integriert werden.
❀ Ökologische Vorrangflächen sichern und fördern die
Vielfalt und die Vernetzung der Landschaft, leisten einen
Beitrag zur kulturellen Identität der Landschaften Europas und sind insbesondere auch für die Erholungs- und
Tourismusnutzung interessant.
Fazit
n Mit einer Verpflichtung für ökologische Vorrangflächen im Umfang
von 10 % der Acker- und Grünlandflächen eines Betriebs kann der
alarmierende Artenrückgang in der Kulturlandschaft gebremst und
gleichzeitig eine naturverträgliche landwirtschaftliche Nutzung der
Flächen ermöglicht werden. Die Vorgabe ließe sich verwaltungstechnisch relativ einfach in das agrarpolitische System der Verpflichtungen
für die Direktzahlungen der ersten Säule an Landwirte integrieren.
Die Ausgestaltung und spezielle Bewirtschaftung der ökologischen
Vorrangflächen könnte durch Agrarumweltprogramme (Zahlungen
aus der zweiten Säule) zusätzlich unterstützt werden.
Flächenstilllegung und ökologische Vorrangflächen – Fakten und Vorschläge im Überblick:
❀ Die obligatorische und konjunkturelle Flächstilllegung hat als Nebeneffekt wichtige Lebens- und Rückzugsräume für Tier- und
Pflanzenarten der Agrarlandschaft geschaffen.
❀ Die Stilllegungsflächen tragen maßgeblich zum Erhalt der Populationen von bedrohten Charakterarten wie Grauammer und Feldhase
bei, wenn sie ökologisch hochwertig ausgestaltet und in ausreichendem Umfang in der Agrarlandschaft vorhanden sind (10-20 %
der Flächen).
❀ Um die ökologischen Effekte der Stilllegung nachhaltig zu sichern, sollte eine betriebliche Verpflichtung zur Einrichtung von ökologisch adäquat bewirtschafteten (oder selbstbegrünten) Flächen eingeführt werden.
❀ Diese ökologischen Vorrangflächen sollten einen Umfang von 10 % der Flächen einnehmen, jeweils bezogen auf die Acker- und
Grünlandflächen eines landwirtschaftlichen Betriebs. Eine naturverträgliche Nutzung des Aufwuchses dieser Flächen ist möglich
und erwünscht. Die Flächenanteile sollten nicht handelbar sein.
❀ In qualitativer Hinsicht werden als ökologische Vorrangflächen selbstbegrünte Brachflächen, Blühflächen und Blühstreifen, Licht­
äcker und Lichtstreifen für das Ackerland vorgeschlagen. Für das Grünland wird vorgeschlagen, artenreiche Grünlandflächen und/
oder Saumflächen/-streifen (z.B. entlang von Gewässern, Waldrändern und zur Gliederung großer einheitlicher Grünlandflächen)
im Umfang von 10 % mit einer Nutzungsmöglichkeit ab 1. Juli zu erhalten bzw. neu einzurichten.
Mit ökologischen Vorrangflächen kann es gelingen, den Rückgang der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft zu bremsen und
aufzuhalten, und so einen Beitrag zum Göteborg-Ziel zu leisten.
Eine ausführliche Studie zu diesem Thema ist beim NABU sowie
unter www.NABU.de erhältlich.
Herausgeber: Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V.
Charitéstraße 3, 10117 Berlin, www.NABU.de, Januar 2008
Bearbeitung: Institut für Agrarökologie und Biodiversität
(IFAB), Böcklinstraße 27, 68163 Mannheim
Dr. Rainer Oppermann, Andrea Neumann, Silvia Huber
Gestaltung: springerf3 corporate communication, Köln
Bildnachweis: ifab, M. Jenny, M. Bunzel-Drüke,
BLE/Thomas Stephan, M. Flade, NABU/BirdLife
Gefördert vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln
des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (BMU).
Art.-Nr. 2041
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