Evangelische Perspektiven - Landeskirche Braunschweig

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Evangelische
Perspektiven
Das Magazin der Landeskirche Braunschweig
4 | 2014
Jedes Kind zählt
In der Landeskirche Braunschweig entstehen zunehmend Familienzentren | Angeschlossen an
die Kindertagesstätten, helfen sie Eltern bei der Erziehung und Begleitung ihrer Kinder | Damit
jedes Kind in seinen Stärken und Fähigkeiten optimal gefördert wird | Ein wichtiger Schwerpunkt:
interkulturelles Lernen.
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Foto: Privat
Foto: Agentur Hübner
Editorial | Inhalt
Bildung ist in unserer Gesellschaft ein wichtiger Schlüssel für Glück und Erfolg. Wir müssen komplexe Zusammenhänge durchschauen: das gilt für unsere Arbeitswelt
genauso wie für das soziale Leben – und nicht zuletzt für
unsere eigene, persönliche Existenz. Dabei geht es nicht nur
darum, möglichst viel zu wissen, sondern darum, Kompetenzen zu erwerben, die uns zu starken Persönlichkeiten
machen. Zu denken und sich das Denken nicht durch Autoritäten verbieten zu lassen, dürfte zu den wichtigsten Kompetenzen gehören.
Der Protestantismus hat ein geradezu erotisches Verhältnis zur Bildung. Der urteilsfähige und mündige Mensch ist
sein Leitbild – nicht nur in Glaubensfragen. Eine Folge der
Reformation, die das Gewissen des Einzelnen zur entscheidenden Instanz machte. Das hat Auswirkungen bis heute. Die
Landeskirche setzt mit ihren Kindertagesstätten deshalb bei
der frühkindlichen Bildung einen Schwerpunkt. Außerdem
fördert sie Familienzentren, die im Umfeld der Kitas entstehen. Näheres dazu lesen Sie im Titelthema.
In dieser Ausgabe starten wir mit einer neuen Rubrik:
Nachgefragt. Darin bitten wir Experten zu erklären, wie
sie sich aus christlicher Perspektive in ihren Themenfeldern engagieren und wie sie Entwicklungen in Kirche und
Gesellschaft einschätzen. Nicht zuletzt wünschen wir Ihnen
mit dieser Ausgabe frohe Weihnachten und ein gesegnetes
neues Jahr 2015.
Ihr
Foto: Agentur Hübner
Liebe Leserinnen
und Leser,
In dieser Ausgabe
4 Gute Seele am Zug
6 Jedes Kind zählt
Herausgeber Pressestelle der Landeskirche Braunschweig I Redaktion
Michael Strauß (mic) I Anschrift Dietrich-Bonhoeffer-Straße 1, 38300 Wolfenbüttel,
Tel. 05331-802108, Fax 05331/802700, [email protected], www.landeskirche-braunschweig.de I Druck MHD Druck und Service GmbH, 29320 Hermannsburg | Titelfoto Susanne Hübner
Die Reformation war eine Bildungsoffensive. Sie wollte den
mündigen Menschen, sagt Dr. Hans-Georg Babke im Interview.
12Mehr Geld für kirchliche Arbeit
Die Landessynode hat einen Doppelhaushalt für 2015 und 2016
verabschiedet.
14Neuausrichtung der Kirchenmusik
Die Qualität in der Fläche soll trotz Stellenkürzungen erhalten
bleiben.
17Nachgefragt bei Janis Berzins
Impressum
In der Landeskirche Braunschweig entstehen zunehmend
Familienzentren. Ein Schwerpunkt: interkulturelles Lernen.
10Den Glauben denken
Michael Strauß
Renate Schumacher engagiert sich seit 15 Jahren ehrenamtlich
in der Bahnhofsmission.
Wie ist es um das Miteinander von Christen und Muslimen im
Braunschweiger Land bestellt?
18Religion im Konflikt
Ein neues Buch beschreibt die Anfälligkeit des Islam für den
politischen Islamismus.
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Foto: Hansjörg Hörseljau
Die gute Nachricht
Die Brockenmauer: Auf 1,5 Kilometern umfasste sie die komplette Kuppe des Harzberges.
Freier Blick vom Brocken
1989 fiel die Mauer auch im Harz und sorgte für eine kirchliche Wiedervereinigung
25 Jahre Mauerfall – das Gedenken in diesem Jahr
schließt auch die Erinnerung an die kirchliche Wiedervereinigung im Braunschweiger Land ein. Das Ende des OstWest-Konfliktes ermöglichte die Rückkehr der Propstei
Blankenburg sowie Calvördes in die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig. Seit 1599 hatte Blankenburg zu Braunschweig gehört, seit 1945 war die Propstei
eine Exklave in der sowjetischen Besatzungszone und bis
1969 in der DDR.
Nach dem Bau der Mauer ließ sich dieser Status aber
nicht mehr aufrechterhalten. Blankenburg wurde in die
Obhut der lutherischen Landeskirche Sachsens übergeben,
ab 1985 gehörte die Region zur Kirchenprovinz Sachsen, die
ihren Sitz in Magdeburg hatte. Verhandlungen nach Ende der
deutschen Teilung führten am 1. Januar 1992 zu einer Wiedervereinigung Blankenburgs und Calvördes mit der Landeskirche Braunschweig.
2004 erinnerte das Landeskirchliche Archiv mit einer
eigenen Publikation an die wechselhafte Geschichte der
Propstei Blankenburg zwischen 1945 und 1992. Damals
schrieb der Historiker Hans-Jürgen Engelking: „In einer
vierzigjährigen Wanderschaft der Propstei Blankenburg
zwischen den Systemen und Landeskirchen gelang den
Blankenburgern die Bewahrung ihrer braunschweigischen
(kirchlichen) Tradition und Eigenständigkeit in der DDR, ideell und materiell stabilisiert durch die braunschweigische
Landeskirche.“
Das Foto auf dieser Seite dokumentiert die Grenzöffnung
im Harz. Es zeigt, wie am 3. Dezember 1989 die Brockenmauer geöffnet wurde und der Berg nach 28 Jahren erstmals wieder frei betreten werden konnte. Die Mauer hatte
eine Höhe von dreieinhalb Metern und umfasste die komplette Brockenkuppe mit einer Länge von rund 1,5 Kilometern. Sie war 1978 zur Abschottung der Spionage-Anlagen
errichtet worden.
Das Foto ist Teil einer Ausstellung des Harzfotografen
Hansjörg Hörseljau, die bis zum 30. Juni 2015 im Museum
Schiefes Haus in Wernigerode zu sehen ist.
| mic
Foto: Agentur Hübner
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Seit 15 Jahren im Dienst der Bahnhofsmission in Braunschweig: Renate Schumacher.
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Porträt
Gute Seele am Zug
Ihre zierliche Erscheinung täuscht, Renate Schumacher ist eine starke Frau. Die Mutter zweier erwachsener
Söhne blickt auf ein ereignisreiches, oft hartes Leben zurück.
Früh musste sie lernen: „Bevor du was bekommst, musst du
was geben.“ Die 73-Jährige hat viel in ihrem Leben gegeben – und leistet noch immer viel: Seit 15 Jahren wirkt sie
ehrenamtlich in der Bahnhofsmission am Braunschweiger
Hauptbahnhof mit.
Einmal die Woche, immer donnerstags, schließt sie morgens um 7 Uhr die Bahnhofsmission auf, kocht Kaffee, belegt
Baguettes. Dann dauert es nicht lange, bis erste Besucher
kommen. Darunter auch Obdachlose und Hartz-IV-Bezieher.
„Sie kommen häufig direkt von der Arge da drüben“, sagt
Renate Schumacher und zeigt zum Brawo-Park.
Armut begegnet ihr immer öfter in der von Diakonie und
Caritas getragenen Bahnhofsmission. „Nur die Jungen kommen seltener, Punker gar nicht mehr.“ Die schrill gekleideten Vertreter einer Jugendkultur, deren Blüte in den 1980er
Jahren lag, hatten noch ihre ersten Jahre in der Bahnhofsmission geprägt. „Ich habe ein Problem...“, so fangen fast alle
Sätze derer an, die sich hilfesuchend an Renate Schumacher
wenden. Davon kann sie Geschichten erzählen.
Zum Beispiel von der über 80-Jährigen, die zum Aufwärmen kam, eine Tasse Tee trank und den Teebeutel mitnahm, um ihn später noch einmal aufzubrühen. Oder von
dem Helmstedter, der bitterlich weinend berichtete, wie er
„Solange es geht, mache ich weiter“,
sagt sie, und steht auch Silvester
Hilfesuchenden zur Seite.
seinen Job verloren hatte und von seiner Frau aus der Wohnung geworfen worden war. „Den habe ich an eine Sozialarbeiterin vermittelt.“ Mit Erfolg: Der Mann fand zurück ins
Leben, mit neuer Arbeit und neuer Wohnung. „Strahlend kam
er mit einer Rose und einer Schachtel Pralinen als Dankeschön vorbei“, erinnert sich die 73-Jährige.
Die Härten des Lebens kennt die Ehrenamtliche aus
eigener Erfahrung: Während des Zweiten Weltkriegs in
Pommern geboren, verschlug es sie und ihre Geschwister
zunächst ins Rheinland. Ihr Vater, ein Bahnbeamter, fand sie
erst 1955 über den Suchdienst des Roten Kreuzes. Braun-
Foto: Agentur Hübner
Renate Schumacher engagiert sich seit 15 Jahren ehrenamtlich in der Bahnhofsmission. Sie ist da
für alle, die Hilfe brauchen. Davon kann sie viele Geschichten erzählen.
Renate Schumacher ist vertraut mit den Wechselfällen des Lebens.
schweig wurde für Renate Schumacher zur neuen Heimat.
Mit 17 Jahren machte sie den Führerschein, lernte Steinmetz
und wurde schließlich Schrifthauerin. „Als erste Frau - das
stand damals sogar in der Bild-Zeitung“, sagt die Rentnerin
lächelnd. Buchstaben in Grabsteine zu hauen, das war eine
auch körperlich harte Arbeit.
Ihre Ehe mit einem Versicherungsangestellten brachte
zwei Söhne hervor, verlief aber unglücklich. 1999, die Kinder
waren aus dem Haus, zog sie in eine kleinere Wohnung nach
Melverode. „Aber irgendetwas wollte ich noch machen.“ So
fand sie über eine Zeitungsannonce zur Bahnhofsmission
und unterstützt seitdem die drei Haupt- und zehn anderen
Ehrenamtlichen.
An den Bahnsteigen selbst ist Renate Schumacher nach
zwei Herzinfarkten kaum noch im Einsatz. „Das Schieben
von Rollstühlen schaffe ich nicht mehr.“ Schmunzelnd muss
sie aber an einen Einsatz während eines heftigen Wintereinbruchs denken: Schneemassen brachten damals den
Bahnverkehr zum Erliegen. Viele strandeten in der Bahnhofsmission.
Eine Kollegin begleitete eine Person zum Zug und kehrte
nicht zurück. „Obwohl wir das nicht dürfen, war sie mit in
den ICE gestiegen und nicht mehr rechtzeitig rausgekommen.“ Ans Aufhören mag Renate Schumacher nicht denken:
„Solange es geht, mache ich weiter.“ Und so wird sie auch
Silvester wieder am Bahnhof verbringen.
| Michael Siano
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Titelthema
Jedes
Kind zählt
In der Landeskirche Braunschweig entstehen zunehmend Familienzentren. Angeschlossen an die
Kindertagesstätten, helfen sie Eltern bei der Erziehung und Begleitung ihrer Kinder. Damit jedes
Kind in seinen Stärken und Fähigkeiten optimal gefördert wird. Ein wichtiger Schwerpunkt:
interkulturelles Lernen.
Die Lebenswelt von Familien hat sich in den vergangenen Jahrzehnten rasant verändert. In einer Gesellschaft, die
immer komplexer wird und sich rasant verändert, wachsen
die Anforderungen: Kinder müssen gemäß neuester pädagogischer Erkenntnisse erzogen und begleitet werden. Oftmals sind auch pflegebedürftige Angehörige zu betreuen.
Bei alledem dürfen die Eltern die Beziehung untereinander
nicht aus dem Blick verlieren.
Und dann ist da noch die materielle Basis, um die familiäre Existenz überhaupt erst sicherzustellen. Vor allem einkommensschwachen Familien fällt es schwer, auf die Fle­
x­ibilitätserwartungen der Arbeitswelt zu reagieren: Lange
Arbeitswege, wechselnde Einsatzorte, oft oder ständig wechselnde Arbeitszeiten, aber auch kurzfristige Beschäftigungsperspektiven gehören inzwischen in fast allen Branchen zum
Alltag.
Vor diesem Hintergrund sei die Familienphase geradezu
zu einer „Hochleistungsphase“ geworden, heißt es seitens
der Diakonie Niedersachsen. Sie propagiert Familienzentren,
um über die Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern
hinaus familienfördernde und –unterstützende Angebote
bereitzustellen. Konzeptionell ursprünglich von der Diakonie in Nordrhein-Westfalen entwickelt, hat sich die Idee
inzwischen auch in der Landeskirche Braunschweig etabliert.
„Die Landeskirche unterstützt dabei die Early-ExcellencePädagogik“, sagt Kerstin Pustoslemsek, die im Landeskirchenamt die Fachberatung für Kindertageseinrichtungen lei-
tet. Im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit stehe das Kind.
Dem Grundsatz der Early-Excellence-Pädagogik „Every child
matters“ (Jedes Kind zählt) entspreche es, jedes Kind in seinen Stärken und Fähigkeiten optimal zu fördern.
Dabei würden Eltern als Experten und erste Erzieher ihrer
„Aufgabe eines Familienzentrums
ist es, die Eltern in ihren persönlichen,
erzieherischen und beruflichen
Kompetenzen zu stärken.“
Kinder wahrgenommen. „Aufgabe eines Familienzentrums
ist es, die Eltern in ihren persönlichen, erzieherischen und
beruflichen Kompetenzen zu stärken – mit dem Ziel, ihre
Kinder in ihrer Entwicklung gemeinsam konstruktiv zu
begleiten“, erläutert die Pfarrerin weiter.
Im Gebiet der Landeskirche sind bereits Familienzentren insbesondere in den städtischen Bereichen von Braunschweig, Salzgitter und Goslar entstanden. Die Landeskirche
unterstützt mittels eines zweijährigen Förderprogramms die
Entwicklung weiterer Familienzentren auch in anderen Regionen der Landeskirche.
Überhaupt lässt sich der Begriff Familie heute gar
nicht mehr so leicht fassen. Dem Klassiker „Vater - Mutter -
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Foto: Agentur Hübner
Titelthema
Jedes Kind soll in seinen Stärken und Fähigkeiten optimal gefördert werden.
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Foto: Agentur Hübner
Titelthema
Im Mittelpunkt der Arbeit in den Familienzentren stehen stets die Kinder.
Fördermittel
Die Kirchenregierung hat 150.000
Euro aus dafür zurückgestellten Mitteln für die Förderung neuer Familienzentren freigegeben. Darüber
informierte Oberlandeskirchenrat
Thomas Hofer die Landessynode am
20. November in Goslar. Nach Prüfung durch die Fachberatung für Kindertagesstätten erhalten demnach
fünf von zehn Bewerbungen Fördermittel: St. Magni Braunschweig, St.
Georg Delligsen, St. Stephani Helmstedt, Steterburg Salzgitter sowie
Martin Luther und St. Johannis Wolfenbüttel.
In dem von Hochhäusern dominierten Stadtbezirk wohnen mehr als 23.000
Menschen, zu etwa 36 Prozent evangelisch und 26 Prozent katholisch. „Hier
leben Menschen vieler Nationen, und
jede Nationalität hat ihre eigene Kultur“, sagt Natalya Draeger, seit Anfang
2012 Koordinatorin des Familienzentrums in der Evangelisch-lutherischen
Kirchengemeinde Weststadt. „Daher ist
Sprache auch der Schwerpunkt unserer
Angebote“, fügt die Koordinatorin hinzu,
die selbst aus der Ukraine stammt.
Diese Angebote umfassen eine
interkulturelle Eltern-Kind-Spielgruppe ebenso wie Sprachkurse für
Erwachsene. Letztere finden in Kooperation mit der Evangelischen Erwachsenenbildung Braunschweig und dem
Büro für Migrationsfragen der Stadt
Braunschweig statt. Die Teilnehmer
stammen unter anderem aus Polen,
Russland, Montenegro, Serbien, der
Türkei sowie aus der Ukraine.
„Die deutsche Sprache zu beherrschen ist für die gesellschaftliche Teilhabe entscheidend“, erklärt Natalya
Draeger. In diese Richtung zielt auch
das „Rucksackprojekt“ des Familien- Pfarrerin Kerstin Pustoslemsek.
Foto: Privat
Kind(er)“ stehen inzwischen viele Varianten zur Seite: Familien mit Alleinerziehenden, mit gleichgeschlechtlichen
Paaren oder sogenannte PatchworkFamilien. Immer zahlreicher werden auch Familien mit interkulturellem Hintergrund, wie zum Beispiel in
der von einem hohen Migrantenanteil
geprägten Braunschweiger Weststadt.
zentrums. Dabei handelt es sich um ein
kombiniertes interkulturelles Sprachförderungs- und Elternbildungsprogramm. „Spielend und von ihren Eltern
unterstützt lernen Kinder ihre Muttersprache, gleichzeitig aber auch die
deutsche Sprache.“
Zumba-, Koch- und Kinderkochkurse in der Kita Ahrplatz sind weitere
Angebote des Familienzentrums, das
aus den drei evangelischen Kitas im
Stadtteil heraus entstanden ist. Inzwischen geht ein weiteres evangelisches
Familienzentrum in der Weststadt an
den Start. „Anfang 2015 bekomme ich
eine Kollegin zur Verstärkung“, freut
sich Natalya Draeger. „Die Erfahrungen
der ersten drei Jahre sind vielversprechend: Die Resonanz ist groß, unsere
Hauptaufgabe wird die Vernetzung mit
all den anderen kulturellen und sozialen Angeboten in der Weststadt bleiben.“
Nur wenige Kilometer entfernt, aber
bereits in einer anderen Propstei, befindet sich die Evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Vechelde/Vechelade mit
ihren rund 3.000 Gemeindegliedern. Die
Menschen hier sind im Schnitt besser
situiert als die in der Braunschweiger
Weststadt. Und anders als das Evangelisch-lutherische Familienzentrum
in der Weststadt ist jenes in Vechelde
auch nicht an die Kita angedockt, sondern direkt an das Gemeindezentrum.
„Der Grund ist ganz einfach: Die
Räumlichkeiten in unserer Kita Arche
Noah sind schlicht zu klein“, erläutert
Gemeindepfarrer Hans-Peter Kinkel
das „Vechelder Modell“. Das Famili-
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Titelthema
Foto: Agentur Hübner
enzentrum der Gemeinde zählt zu den
erfolgreichsten in der Landeskirche.
2007 gab es sogar den ersten Preis
beim landeskirchlichen Wettbewerb
„Familie erwünscht“.
Etwa 50 Angebote für Groß und Klein
werden in Vechelde vorgehalten: vom
Geburtsvorbereitungskurs über ElternKind-Gruppen und Erste-Hilfe-Kurse
bis hin zum Cantibile-Chor und einer
Mediathek. Sogar einen Ausleihservice,
der vom Festzelt bis hin zu Großspielzeug interessante Dinge nicht nur für
Familienfeste anbietet, gibt es.
Diese Vielzahl von Angeboten wird
rege genutzt. „Unser Ziel war, als wir
vor zwölf Jahren angefangen haben,
die Menschen im Alltag zu erreichen,
egal ob sie der Kirche angehören oder
nicht“, erinnert sich Pfarrer Kinkel.
Andererseits bedürften diese Angebote auch Aktive, die sich ehrenamtlich engagieren. „Inzwischen umfasst Sozialpädagogin Dagmar Lührig und Pfarrer Hans-Peter Kinkel.
unser Teamerkreis etwa 60 Jugendliche, darüber hinaus sind etwa 100 weitere Personen dabei.“
Auch der Kirchenvorstand sei im
Vergleich zu anderen jünger, die Hälfte
der Kirchenvorsteher stamme aus dem
Familienzentrum. „Die Zahl von Kircheneintritten hält sich in Grenzen“,
so Kinkel weiter, „aber wir haben im
Vergleich deutlich weniger Austritte –
eben weil es diese Angebote gibt, die
von der Kirche kommen.“
Dieser Ansatz der Kirchengemeinde
Vechelde sei nicht vom Himmel gefallen, meint der Pfarrer. „Vieles lief nach
dem Prinzip Versuch und Irrtum.“ Bei
der Finanzierung sei der Kirchenvorstand damals auf volles Risiko gegangen und habe für die Idee „gebrannt“.
Heute umfasse der jährliche Etat mehr
als 100.000 Euro. Davon kämen etwa
20.000 Euro von 35 Sponsoren aus dem
Foto: Agentur Hübner
Geschaffen hat die
Kirchengemeinde mehr
als 50 Wochenstunden
Arbeit für Hauptamtliche.
Rund 50 Angebote hält das Familienzentrum Vechelde bereit – auch eine Trommelgruppe.
Vechelder Bereich. Der Rest: selbst
erwirtschaftet. Kinkel: „Wir haben in
den ganzen zwölf Jahren nicht einen
Kirchensteuergroschen erhalten.“
Geschaffen hat die Kirchengemeinde mittlerweile auch mehr als 50
Wochenstunden Arbeit für Hauptamtliche im Familienzentrum. Eine von
ihnen ist Dagmar Lührig. Die Sozialpä-
dagogin leitet das Familienzentrum und
organisiert zum Beispiel auch Familienfreizeiten am Steinhuder Meer. Dabei
können Familien in offener Atmosphäre
über Alltagsprobleme reden und sich
austauschen. „Die Warteliste ist immer
lang. Das letzte Mal waren etwa 40 Personen mit“, sagt Dagmar Lührig.
| Michael Siano
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Interview
Den Glauben denken
Die Reformation war eine Bildungsoffensive. Sie wollte den mündigen Menschen, sagt Dr. Hans-Georg
Babke vom Arbeitsbereich Religionspädagogik der Landeskirche Braunschweig im Interview.
Wie sah denn die Bildungsgeschichte im christlichen Kontext aus?
Schon die neutestamentlichen
Schriften sind Zeugnisse theologischer
Reflexion. Sie führen nicht in eine rituelle Praxis ein, sondern interpretieren
das Leben und die Lehre Jesu. Im Übergang vom altorientalischen in den hellenistischen Kulturraum hat sich das
Christentum verbunden mit der philosophischen Theologie der Stoa und des
Platonismus. Und auch Universitätsgründungen hat es schon früh gegeben.
Das Besondere des Protestantismus ist,
dass er im 15. Jahrhundert eine neue
Bildungsoffensive ausgelöst hat.
Nicht zuletzt durch den Gedanken des Priestertums aller Getauften,
oder?
Ja, gepaart mit der besonderen protestantischen Spiritualität, die im Freiheitspathos liegt. Unabhängigkeit von
Autoritäten, Gewissensfreiheit, Selbstverantwortlichkeit und die Auskunftsfähigkeit über den eigenen Glauben:
das sind Folgen der Reformation, die zu
einem besonderen Bemühen um die Bildung geführt haben. Martin Luther wollte
nicht nur Menschen, die Auskunft über
ihren Glauben geben können, sondern
plädierte für eine allgemeine Schulbildung. Um der Stadt Bestes zu erreichen,
brauche man gebildete und vernünftige
Bürger. Diese Überzeugung hat sich bis
in die Gegenwart durch gehalten. Die
evangelische Kirche setzt sich nicht nur
für den Religionsunterricht ein, sondern
ganz generell für gute Schulen.
Welche Merkmale gehören für Sie
zu einem gebildeten Protestanten?
Vor allem geht es um eine Haltung,
die vom Freiheitsbewusstsein geprägt
ist. Der gebildete Protestant glaubt
nicht ohne weiteres der Obrigkeit,
vermeintlichen oder tatsächlichen
Autoritäten, sondern prüft deren Aussagen kritisch. Er ist kritikfähig, weltoffen und übernimmt Verantwortung
für die Gestaltung der Gesellschaft.
Außerdem weiß er, dass er sein Leben
nicht durch besondere Leistungen
rechtfertigen muss. Ein Kennzeichen
Religiöse Bildung in
der Schule gehört dazu,
schon allein um unsere
Kultur zu verstehen.
Foto: Agentur Hübner
Evangelische Perspektiven: Bildung ist für den Protestantismus
von Anbeginn ein wichtiges Anliegen
gewesen. Woran liegt das?
Dr. Hans-Georg Babke: Bildung ist
nicht nur für den Protestantismus ein
wichtiges Anliegen, sondern für die
christliche Religion insgesamt. Das hat
theologische Gründe. Es liegt vor allem
daran, dass sich Gott in der Geschichte
vermittelt. Wir haben keine unmittelbaren Gotteserfahrungen, sondern Gott
offenbart sich in dem geschichtlichen
Ereignis Jesus von Nazareth. Und da
die Geschichte mehrdeutig ist, bedarf
es der interpretativen Weltdeutung,
also auch der Lehre und Bildung.
rer Gesellschaft immer mehr ab. Wie
können wir dem entgegenwirken?
Nicht zuletzt durch die Schule. Hier
hilft der Paradigmenwechsel in der
Bildungspolitik: von der Inhaltsorientierung hin zur Kompetenzorientierung.
Das heißt, Schülerinnen und Schüler
häufen nicht mehr nur Wissen an, sondern lernen, Zusammenhänge zu verstehen und zu erklären.
Welche Rolle spielt dabei der Religionsunterricht?
Religiöse Bildung in der Schule
gehört notwendig dazu, schon allein,
um unsere Kultur zu verstehen. Viele
Die Auskunftsfähigkeit in Sachen Phänomene unserer Kultur sind religiReligion und Glauben nimmt in unse- öser Herkunft. Schülerinnen und Schü-
dessen wiederum ist der Verzicht auf
Machtgier: Ich brauche mich nicht zu
beweisen und notwendig zu machen
in dieser Welt.
4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 11
Interview
ler, die kompetent sein sollen, müssen
erklären können, was diese Kulturzeugnisse bedeuten. Und angesichts
der gewachsenen kulturellen und religiösen Vielfalt müssen sie auch verstehen, was andere im Unterschied zu
ihrer eigenen Religion glauben.
Brauchen wir dafür den konfessionellen Religionsunterricht?
Der konfessionelle Religionsunterricht ist ein gutes Modell und einzigartig in Europa. Häufig sind es vor allem
schulorganisatorische Gründe, die ihn
unter Legitimationsdruck bringen. Aber
der konfessionelle Religionsunterricht
hat eine hermeneutische Bedeutung,
das heißt, für die Erklärung und Auslegung von Religion. Ein Einheitsunterricht steht in der Gefahr, die eigene
religiöse Prägung nicht ausreichend
bewusst zu machen. Genau das brauchen wir aber. Deswegen entspricht eine
Pluralisierung der religionsbezogenen
Angebote in der Schule eher der Pluralisierung unserer Gesellschaft als ein
Inwiefern?
Der islamische Religionsunterricht
ist noch einer katechetischen KonzepWelche Erwartungen haben Sie an tion verpflichtet, also der Einübung in die
einen guten Religionsunterricht?
eigene Glaubenspraxis. Zu einem schulEr muss anknüpfen an die Lebens- theoretisch begründeten Religionsuntererfahrungen der Schülerinnen und richt gehört aber die kritische DistanzSchüler und an deren Bewusstsein. Ein nahme zu den Unterrichtsgegenständen,
guter Religionsunterricht zeichnet sich die Reflexion der Glaubenspraxis.
dadurch aus, dass die Schülerinnen und
Schüler am Ende von SchulabschnitSeit 60 Jahren engagiert sich die
ten bestimmte Kompetenzen erworben Landeskirche Braunschweig in der
haben: zum Beispiel über den eigenen Begleitung von Religionspädagogen.
Glauben Auskunft zu geben, dialogfähig Wie beurteilen Sie dieses Engagein Glaubensfragen zu sein, oder auch ment?
religiöses Wissen in lebensweltlichen
Es ist nicht selbstverständlich, dass
Zusammenhängen anwenden zu können. sich die kleine braunschweigische Landeskirche zur Begleitung von ReligionsWir leben zunehmend in einem lehrkräften ein eigenes Religionspädamultireligiösen Land. Wie beurteilen gogisches Institut leistet. Das war 1954
Sie die Einführung des islamischen eine weise Entscheidung. Die neuesten
Religionsunterrichts?
Befragungen und empirischen UnterIch finde, Artikel 7, Absatz 3 des suchungen zeigen, dass der ReligionsGrundgesetzes, der den Religionsun- unterricht eine wesentliche Bedeutung
terricht unter Mitwirkung der Religions- für die Tradierung des christlichen Glaugemeinschaften regelt, passt zu einem bens hat. Denn dadurch werden flächenmodernen Religionsverfassungsrecht, deckend Kinder und Jugendliche erreicht.
das unterschiedliche religionsbezoge- Schon deshalb wäre es fahrlässig, den
nen Angebote auch in der Schule ermög- Religionsunterricht gering zu schätzen.
licht. Deshalb begrüße ich den islamischen Religionsunterricht. Durch die
Erhält der Religionsunterricht in
Runden Tische können die islamischen der Kirche zu wenig Aufmerksamkeit?
Gemeinschaften ein gemeinsames CurBedauerlicherweise spielt er in kirriculum entwerfen und sich auf gemein- chenleitenden Äußerungen kaum eine
same Prinzipien verständigen: zum Bei- Rolle. Auch in der neuen Kirchenmitspiel die Lehrerausbildung oder den gliedschaftsuntersuchung kommt der
Unterricht in deutscher Sprache.
Religionsunterricht nicht vor. Aber wenn
man die Theologiestudierenden fragt,
Wie weit muss die Mitwirkung des warum sie sich für dieses Studium entStaates gehen?
schieden haben, sagen viele, dass es der
Die Definitionsmacht über die Inhalte Religionsunterricht war, der bei ihnen
des religionsbezogenen Unterrichts müs- die Initialzündung ausgelöst hat. Dessen die Religionsgemeinschaften selbst halb finde ich es merkwürdig, dass der
haben. Der Staat muss weltanschaulich Religionsunterricht kaum Beachtung
neutral bleiben, er darf nicht zwangs- bei kirchenleitenden Gremien findet.
weise die Inhalte für die religiöse Erziehung vorgeben. Natürlich muss diese
Was wünschen Sie sich für die
Selbstbestimmung im Rahmen unserer Zukunft?
demokratischen Grundordnung erfolgen.
Kontinuierliche, dauerhafte Kontakte
Kritisch ist zu sehen, dass das Curricu- der Kirche zu den Schulleitungen, die ja
lum für den islamischen noch nicht dem heute eigenverantwortlich arbeiten. Hier
Standard des evangelischen und katho- müsste es stärkere Initiativen auch auf
lischen Religionsunterrichts entspricht. der politischen Ebene geben.
| mic
Einheitsunterricht, der die Unterschiede
einebnet.
4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 12
Chronik
Mehr Geld für kirchliche Arbeit
Die Landeskirche Braunschweig
profitiert von der guten Beschäftigungslage auf dem Arbeitsmarkt. Da
die Kirchensteuer an die Lohn- und
Einkommensteuer gekoppelt ist, kann
die Kirche wie der Staat ein höheres
Steueraufkommen verzeichnen. Für
die Jahre 2015 und 2016 rechnet sie
mit einem Aufkommen von jeweils 74
Millionen Euro. Im laufenden Jahr 2014
liegt die Erwartung bei 72 bis 73 Millionen Euro.
Das machte Oberlandeskirchenrat
Dr. Jörg Mayer am 21. November vor
der Landessynode in Goslar deutlich.
Das Kirchenparlament verabschiedete einen Doppelhaushalt, der sich in
2015 auf rund 110 Millionen und in 2016
auf rund 94 Millionen Euro beläuft. Die
Steigerung in 2015 liege an einer Rücklagenentnahme zugunsten der Pensionskasse für Pfarrer und Kirchenbeamte, erläuterte Mayer.
Von der positiven Steuerentwicklung profitieren vor allem die knapp
400 Kirchengemeinden der Landeskirche. Sie dürfen mit einer Erhöhung der
Zuweisungen um mehr als eine Million
Euro in 2015 rechnen. Weitere Mittel in
Höhe von rund 600.000 Euro sind für
Foto: Agentur Hübner
Braunschweigische Landessynode verabschiedet Haushalt für 2015 und 2016
Dr. Jörg Mayer.
neue Projekte vorgesehen: zum Beispiel einen Gemeindekongress in 2015,
die Durchführung des Gospelkirchentages in Braunschweig 2016, die Vorbereitung einer Reformationsausstellung im Jahr 2017, die Förderung von
Profilgemeinden oder die Stärkung der
diakonischen Arbeit.
Außerdem müssen gestiegene Personalkosten und außerplanmäßige
Baumaßnahmen bewältigt werden. Die
Dächer des Braunschweiger Doms und
der Katharinenkirche in Braunschweig
werden für rund zwei Millionen Euro
saniert. Und ein neues Energiesparprogramm für kirchliche Gebäude schlägt
mit rund einer Million Euro zu Buche.
Nicht zuletzt soll die Personalkostenrücklage erstmals wieder verstärkt
werden.
Gleichzeitig dämpfte Mayer die Hoffnung auf eine nachhaltige Verbesserung
der kirchlichen Einnahmen. Die guten
Steuereinnahmen seien ein konjunkturelles Phänomen, die Kirche habe aber
ein strukturelles Problem. Sie verliere
stetig Mitglieder und die verbleibenden
seien zunehmend älter und nur noch
etwa zu einem Drittel Kirchensteuerzahler. Deswegen müsse die Kirche vor
allem ihre Personalausgaben und Baulasten in den Griff bekommen.
In der Landeskirche Braunschweig
sind knapp 4000 Menschen beruflich
beschäftigt. Außerdem müsse sie derzeit mehr als 1400 Gebäude unterhalten. Mit einem besonderen Programm
der Baupflegestiftung sollen Gemeinden instand gesetzt werden, ihre Sakralgebäude so umzubauen, dass sie für
möglichst viele Gemeindezwecke dienen
können. Auf diese Weise werde es möglich, sich von herkömmlichen Pfarr- und
Gemeindehäusern zu trennen, so Mayer.
Die Landeskirche Braunschweig
unterstützt die Flüchtlingshilfe der Diakoniestiftung im Braunschweiger Land mit
zusätzlichen 100.000 Euro. Im Jahr 2015
sollen weitere 80.000, in 2016 weitere
20.000 Euro bereitgestellt werden. Einen
entsprechenden Beschluss hat die Landessynode im Rahmen ihrer Haushaltsberatungen am 21. November in Goslar
gefasst. Dafür geworben hatte ein Antrag
des Ausschusses für Ökumene, Mission Jörg Röhmann.
Foto: Agentur Hübner
100.000 Euro für Flüchtlingshilfe
und Diakonie, den der Synodale Jörg Röhmann, Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen,
Familie, Gesundheit und Integration, der
Landessynode vorstellte. Angesichts der
aktuellen Flüchtlingswelle sei das diakonische Engagement der Kirche besonders
gefragt: „Wir müssen jetzt helfen, weil
jetzt die Not besonders groß ist.“ Röhmann ist Vorsitzender des Ausschusses
für Ökumene, Mission und Diakonie.
4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 13
Chronik
Breiter Beteiligungsprozess
Foto: Agentur Hübner
Dr. Peter Abramowski.
Dr. Wolfgang Hemminger.
Vier Schwerpunktthemen will die
braunschweigische Landessynode im
Laufe ihrer Amtszeit bis 2019 bearbeiten.
Das kündigte Synodenpräsident Dr. Peter
Abramowski vor dem Kirchenparlament
am 22. November in Goslar an. Dabei soll
es einerseits um die Frage gehen, wie
die geplanten Gestaltungsräume zur
Neuverteilung der Gemeindepfarrstellen inhaltlich bestimmt werden können.
Andererseits will die Synode den
Gebäudebestand der Landeskirche
näher in den Blick nehmen. Außerdem soll darüber beraten werden, wie
die Kirche attraktiver für Kinder und
Jugendliche werden kann. Und auch
die Neuausrichtung der Diakonie im
Braunschweiger Land werde laut Abramowski im Fokus stehen. Dr. Wolfgang
Hemminger (Braunschweig) begrüßte
Foto: Agentur Hübner
die stärkere Themenorientierung der
Synodenarbeit. Er sprach sich erneut
für die Entwicklung einer Gesamtstrategie für die Landeskirche aus. Dabei
müssten Strukturveränderungen und
inhaltliche Ziele miteinander verknüpft
werden. Eine Strategie sollte bei den
positiven Erfahrungen der Kirchenmitglieder ansetzen.
Vor allem die Frage von Gestaltungsräumen bestimmt die Diskussion innerhalb der Landeskirche. Das
zeigt unter anderem ein Antrag der Michael Wagner.
Propsteisynode Salzgitter-Lebenstedt,
den die Landessynode bei ihrer jüngsten Tagung beraten hat. Darin wird die
Synode gebeten, Strukturveränderungen in der Kirche auch unter theologischen Gesichtspunkten zu bedenken.
Durch die geplanten Gestaltungsräume sei die Zuständigkeit der Kirchenvorstände in Gefahr, sagte Pfarrer
Michael Wagner. Außerdem werde die
Anbindung der Pfarrer an die Gemeinden gemindert. Sie würden „Raumpfleger neuen Typs“.
Kathrin Klooth.
Foto: Agentur Hübner
Foto: Agentur Hübner
Synoden diskutieren über die Grundlagen der neuen Gemeindepfarrstellenplanung
Die künftige Planung der
Gemeindepfarrstellen
ist auch Thema in allen
Propsteisynoden.
Darüber hinaus stellt die Propsteisynode Salzgitter-Lebenstedt die
Rechtmäßigkeit der Gestaltungsräume
in Frage. Es werde eine neue Verwaltungsebene geschaffen, die bisher
weder in der Verfassung der Landeskirche, noch in der Kirchengemeindeordnung oder dem Pfarrerdienstrecht
vorgesehen sei, so die Kritik.
Kathrin Klooth (Wolfenbüttel),
Vorsitzende des Rechtsausschusses, informierte die Synode, dass der
Rechtsausschuss der Vereinigten Evan-
gelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) um eine entsprechende
Prüfung gebeten worden sei.
Pfarrer Harald Welge (BraunschweigTimmerlah) sagte, die Anfragen an die
geplanten Strukturveränderungen könnten im laufenden Beteiligungsverfahren
innerhalb der Landeskirche berücksichtigt werden. Im Mai 2015 will die Landessynode ein entsprechendes Gesetz
abschließend beraten.
Die künftige Planung der Gemeindepfarrstellen ist in diesen Monaten
auch Thema in den Propsteisynoden.
Dafür hat die Rechtsabteilung im Landeskirchenamt verschiedene Materialien erarbeitet, die unter anderem auf
der Startseite der landeskirchlichen
Internetpräsenz (www.landeskirchebraunschweig.de) verfügbar sind.
4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 14
Chronik
Neuausrichtung der Kirchenmusik
Die Qualität in der Fläche soll trotz Stellenkürzungen erhalten bleiben
Foto: Agentur Hübner
che Kirchenmusiker von derzeit 28 auf
22,75. Von Kürzungen besonders betroffen sind die Propsteien Braunschweig,
Bad Harzburg, Helmstedt, SalzgitterLebenstedt und Wolfenbüttel.
Oberlandeskirchenrat Thomas Hofer
unterstrich vor der Synode die Bedeutung
der Kirchenmusik. Nötig seien Kantoren,
die den Gottesdienst lieben und Pfarrer,
die den engen Dialog mit den Kirchenmusikern pflegen. Außerdem sei es Aufgabe der hauptberuflichen Kirchenmusiker, die Mitwirkung der Laien zu fördern.
Die Landessynode verabschiedete ein neues Kirchenmusikgesetz.
Dabei müssten sie die unterschiedlichen
Die Landeskirche Braunschweig Jahr 2020 erhalten bleiben. Eine wich- musikalischen Kulturen in Kirche und
hat eine inhaltliche Neubestimmung tige organisatorische Neuerung ist die Gesellschaft im Blick behalten. Vor allem
ihrer Kirchenmusik vorgenommen. Übernahme aller Musiker in die lan- popmusikalische Ansätze müssten stärNach einem vierjährigen Beteiligungs- deskirchliche Anstellungsträgerschaft. ker zum Tragen kommen.
prozess verabschiedete die Landessy- Eine Neuberechnung geht von 16.500
Die Einrichtung einer neuen Stelle
node am 21. November in Goslar ein Gemeindegliedern für eine Stelle aus, für Popularmusik, wie sie Pfarrer
neues Gesetz zum kirchenmusikali- allerdings wird jede der 13 Propsteien Harald Welge (Braunschweig-Timmerschen Dienst. Damit soll die Qualität mindestens eine Kirchenmusikerstelle lah) vor der Synode forderte, ließ sich
in der Fläche trotz einer Kürzung von behalten. In der Folge reduziert sich in das vorliegende Konzept allerdings
fünf Kirchenmusikerstellen bis zum die Zahl der Stellen für hauptberufli- nicht mehr integrieren.
Propst-Kandidat für Bad Harzburg
Die Kirchenregierung nimmt Pfarrer Jens Höfel aus Einbeck in Aussicht
schweig) mit einer halben Stelle auch
Gemeindepfarrer und werden für die
Dauer von zwölf Jahren gewählt.
Jens Höfel ist seit 1998 Pfarrer in
Greene. Davor war er Vikar in der Kirchengemeinde St. Johannis in Braunschweig. Sein Theologiestudium
absolvierte er in Bielefeld-Bethel und
Marburg. Neben seinem Pfarramt ist
Höfel Mitglied der braunschweigischen
Landessynode und dort unter anderem
hen. Danach wird die Kirchenregierung Vorsitzender des Rechnungsprüfungsdie Propsteisynode auffordern, inner- ausschusses. Außerdem ist er Mithalb von zwei Monaten eine Wahl durch- glied im Propsteivorstand sowie der
zuführen. Pröpstinnen und Pröpste sind Propsteisynode. Er ist verheiratet und
in der Landeskirche (bis auf Braun- Vater von zwei Kindern.
Foto: Privat
Die Kirchenregierung hat Jens
Höfel (48) aus Einbeck als Kandidaten
für das Propstamt in Bad Harzburg in
Aussicht genommen. Er ist Pfarrer in der
Kirchengemeinde St. Martin in Greene
und stellvertretender Propst der Propstei Bad Gandersheim. Er soll die Nachfolge von Katharina Meyer antreten, die
Ende 2013 das Amt aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hatte. Ein
endgültiger Wahlvorschlag wird im
Benehmen mit dem Propsteivorstand
und dem Kirchenvorstand der verbundenen Kirchengemeinde aufgestellt.
Dafür ist in der Propsteiordnung
eine Frist von sechs Wochen vorgese-
4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 15
Chronik
Gemeindekongress in Braunschweig
Die Landeskirche Braunschweig
plant für Oktober 2015 einen Gemeindekongress. Unter dem Motto „Wo zwei
oder drei ... - Gemeinde stark erleben“
soll die Veranstaltung am 10. Oktober in
Braunschweig den rund 390 Kirchengemeinden im südöstlichen Niedersachsen
neue Impulse für ihre Arbeit geben, sagte
Oberlandeskirchenrat Thomas Hofer am
20. November bei der Herbsttagung der
Landessynode in Goslar: „Es geht um
nüchterne Situationsanalyse, aber vor
allem um fantasievolle Perspektivarbeit.“
Zudem sei für 2017 anlässlich des
500-jährigen Reformationsgedenkens
eine gemeinsame Ausstellung mit dem
Braunschweigischen Landesmuseum
geplant, sagte Hofer. An dem europäischen Stationenweg der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD), der im
Foto: Agentur Hübner
Oberlandeskirchenrat Hofer stellte der Landessynode neue Projekte vor
Thomas Hofer.
selben Jahr an historische Orte der
Reformation führen wird, wollen sich
die Paramentenwerkstatt in Helmstedt und die Marktkirchen-Bibliothek
in Goslar beteiligen. Die Bibliothek
beherbergt unter anderem das älteste
erhaltene protestantische Gemeindegesangbuch aus dem Jahr 1524.
Außerdem sagte Hofer, die Landeskirche wolle sich verstärkt um den
Diakonen-Nachwuchs bemühen. Kürzungsvorgaben hätten in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Landeskirche für junge Diakone kaum noch
als möglicher Arbeitgeber im Blick sei:
„Der Altersdurchschnitt steigt.“ Diakone
arbeiten zum größten Teil in der Kinderund Jugendarbeit.
Derzeit sind 55 Diakone in 49 Vollzeitstellen bei der evangelischen Landeskirche beschäftigt. Sie seien im Durchschnitt
48 Jahre alt, sagte Landeskirchenrat Jörg
Willenbockel. In den kommenden Jahren gehe es darum, wie jüngere Kräfte
gewonnen werden könnten. Seit 2010
waren acht Stellen gekürzt worden. | epd
Kritik am Reformationsjubiläum
Altbischof Gerhard Müller sieht „protestantische Attitüde, die überholt ist“
Der frühere Braunschweiger Landesbischof Gerhard Müller hat scharfe
Kritik an den Vorbereitungen zum Reformationsjubiläum 2017 geäußert. Diese
seien geprägt von einer „protestantischen
Attitüde, die überholt ist“, sagte er am 8.
November in Dresden vor der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Er
warnte zudem vor der Verwendung des
Begriffs „Reformationsjubiläum“, da
dieser viele Menschen in der Ökumene
verschrec­ke. Die katholische Kirche
spricht von „Reformationsgedenken“.
Der ehemalige Leitende Bischof der
VELKD griff zudem das im Mai veröffentlichte Papier „Rechtfertigung und
Freiheit“ der Evangelischen Kirche in
Deutschland (EKD) an. Das Dokument
sei „typisch deutsch und typisch protes-
tantisch“. Darin würden wichtige Ergebnisse der internationalen Ökumene nicht
zur Kenntnis genommen. Das Papier sei
„verfehlt“. In einer Welt, die weitgehend
unchristlich geworden sei, müssten die
Konfessionen aufeinander zugehen.
In „Rechtfertigung und Freiheit“
beschreibt die EKD die theologischen
Voraussetzungen und Folgen der Reformation, vor allem die Rechtfertigungslehre von Martin Luther (1483-1546).
Müller warf der evangelischen Kirche
mit Blick auf das Papier vor: „Wir fühlen
uns wohl in der Suppe, die wir gebraut
haben.“ Der heute 85-jährige Theologe
war von 1982 bis 1993 Landesbischof der
Evangelisch-lutherischen Landeskirche
in Braunschweig und von 1990 bis 1993
Leitender VELKD-Bischof.
| epd
4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 16
Chronik | Forum
25 Jahre Mauerfall
In seinem ersten Videoblog für die
Evangelische Kirche im NDR hat Landesbischof Meyns an den Mauerfall vor
25 Jahren erinnert. Was heute selbstverständlich ist, wie eine Fahrt nach
Dresden oder die EU-Erweiterung, sei
eigentlich ein Wunder. Noch heute lösen
die Bilder vom damaligen 9. November,
wie „Menschen auf die Mauer klettern
oder Trabbis an den Grenzübergängen
stehen“ bei ihm Gänsehaut aus.
Die evangelische Kirche habe bei
der Wiedervereinigung eine wichtige
Rolle gespielt: „Ohne sie wäre die friedliche Revolution in Deutschland nicht
möglich gewesen“, sagt der Bischof.
Jetzt gehe es um den Wert der Freiheit.
„Aus christlicher Sicht bemisst sich der
Wert der Freiheit daran, inwieweit sie Landesbischof Dr. Christoph Meyns.
Foto: Klaus G. Kohn
Landesbischof Dr. Christoph Meyns im NDR-Videoblog: Freiheit braucht Liebe
Platz für die schwächsten Mitglieder
der Gesellschaft hat.“
„Einigkeit und Recht und Freiheit
sind wichtig“, sagt Meyns. Aber ohne
Liebe sei ein Leben in Freiheit wertlos.
Der Bischof appelliert an einen entscheidenden christlichen Grundsatz:
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“
Daran müsse sich die Kirche auch in
Zukunft messen lassen.
Im Wechsel mit dem hannoverschen
Landesbischof Ralf Meister, Landesbischof Gerhard Ulrich aus Schwerin,
Landesbischof Christoph Meyns aus
Braunschweig und dem Oldenburger
Landesbischof Jan Janssen produziert
die Evangelische Kirche im NDR das
Videoformat mit dem Titel „Ansichtssache“ (www.ndr.de/kirche).
Kleiner Grenzverkehr
Zum Titelthema über das kirchliche Leben in Blankenburg im Ostharz (EP 3/2014)
schreibt Mathilde Wormslev aus Braunschweig:
Foto: Agentur Hübner
Die Missionarischen Dienste unter
Pfarrer Herbert Meyer hielten Kontakt
zum Besuchsdienst im Regenstein. Die
kirchlichen Mitarbeiter erhielten ein
Westkonto über die Bruderhilfe. Ich
habe selbst eines verwaltet vom ehemaligen Hausmeister der Katharinengemeinde.
Als die Schlosskirche von der Welfenfamilie durch Ernst August renoviert
wurde, waren wir von der Männerarbeit
eingeladen. Es gab also einen regen
Austausch. Und es freut mich, dass Sie
das Ehepaar Lundbeck erwähnen, die
„Als ehemalige Mitarbeiterin von vörde) aufrecht zu erhalten. Wir haben sicher hart gearbeitet haben, um den
1978 bis 1998 in der Männerarbeit gemeinsame Reisen nach Polen und Menschen dort unseren Glauben wieder
möchte ich Folgendes ergänzen. Wir Tschechien veranstaltet. Die Advents- näher zu bringen. Dabei denke ich auch
haben den kleinen Grenzverkehr viel- treffen in Berlin-Weißensee in der Ste- an die vielen Pfarrerinnen, Pfarrer und
fältig benutzt, um den Kontakt zur phanusstiftung waren für alle Seiten ein Ehrenamtlichen, die trotz der WiderPropstei Blankenburg (inklusive Cal- Gewinn.
stände der Kirche treu geblieben sind.“
4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 17
Nachgefragt
Wie ist es um das
Miteinander von Christen
und Muslimen im
Braunschweiger Land
bestellt?
Nachgefragt bei:
Foto: Privat
Pfarrer Janis Berzins, Islambeauftragter der Landeskirche
Braunschweig
Seit einiger Zeit melden die Medien erschreckende Nachrichten: Die Organisation IS – „Islamischer Staat“ – setzt sich als Terrortruppe ins Bild, die Angst
und Schrecken verbreitet. Ist das der Islam? Der „eigentliche“ Islam womöglich?
Viele Musliminnen und Muslime, die bei uns im Braunschweiger Land leben,
haben es momentan nicht leicht. Sie werden häufig als Anhänger einer inhumanen und grausamen Religion angesehen, die bei nächster Gelegenheit auch in
Deutschland ein Kalifat errichten will. Das ist ungerecht. Das Spektrum der bei
uns lebenden Muslime ist breit.
Es gibt Muslime, die ihre Religion verstehen als Grundlage für ein gutes
Miteinander, geprägt von Barmherzigkeit. Und die fragen, wie die Aussagen
des Koran und des Propheten Mohammed in der Welt von heute angemessen
zu verstehen und zu leben sind. Es gibt auch die Muslime, denen ihr Glaube
eine bewährte Tradition ist, überliefertes Glaubensgut, das es zu bewahren
und zu beachten gilt, weil es Sicherheit bietet in einer sich immer schneller
wandelnden Welt.
Für viele ist die Glaubenspraxis auch Teil ihrer kulturellen Identität, Stück
einer zurückgelassenen Heimat, sei es in der Türkei, in Bosnien, Syrien, dem
Maghreb oder sonst wo in der muslimischen Welt. Es gibt Muslime, die interessiert sind an der Begegnung mit anderen Religionen. Gemeinsame Besuche in
Kirchen, Moscheen und Synagogen machen deutlich: Es ist gut, sich kennen zu
lernen und voneinander zu wissen.
Und wir brauchen in Zukunft mehr solcher Begegnungen. Die große Mehrheit der Muslime in den Moscheegemeinden im Braunschweiger Land ist sich
zusammen mit einer Vielzahl islamischer Gelehrter einig: Die Positionen und
Handlungen des „Islamischen Staates“ verdienen nicht die Bezeichnung „islamisch“, sondern allenfalls „terroristisch“.
Und trotzdem: Es gibt auch bei uns Menschen, die mit dem „Islamischen Staat“
sympathisieren. Deren Weltbild geprägt ist von einer starren Einteilung in gut und
böse, schwarz und weiß. Die eine göttliche Belohnung im Jenseits erwarten für
ein Töten im Namen Gottes. Es ist erschreckend, dass Menschen so empfinden.
Ihnen muss widersprochen werden und ihrem Handeln Einhalt geboten werden.
Aber für ein solches Denken sollten wir nicht die Gemeinschaft der Musliminnen und Muslime in ihrer Gesamtheit verantwortlich machen.
4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 18
Rezension
Religion im Konflikt
Ein neues Buch beschreibt die Anfälligkeit des Islam für den politischen Islamismus. Der aber ist mit
Demokratie nicht vereinbar.
Der Islam gehört zu Deutschland, nehmen wir die rund vier Millionen Muslime als Maßstab, die heute
in Deutschland leben. Das entspricht
einem Anteil von etwa vier Prozent an
der Gesamtbevölkerung. Rund 1,5 Millionen von ihnen sind deutsche Staatsbürger. So ganz genau weiß das keiner, denn die islamischen Gemeinden
sind nicht wie die Kirchengemeinden
Körperschaften öffentlichen Rechts.
Genaue amtliche Statistiken sind ManHamed Abdelgelware.
Samad
Noch viel geringer als das statistiDer islamische
sche Wissen dürfte aber das theologische
Faschismus.
Wissen über den Islam in der deutschen
Eine Analyse.
Bevölkerung sein. Häufig beschränkt es
Droemer Verlag,
sich auf Aussagen, die angesichts aktuMünchen 2014,
eller Konflikte über den Islam gemacht
224 Seiten,
werden: dass er wie der christliche
18,00 Euro.
Glaube eine Religion des Friedens sei
und Gewalt ablehne und so weiter. Was
wir gerne hören, weil das unserem demokratischen und liberalen Blick auf die Gesellschaft entspricht.
Wenn der Islam aber zu Deutschland gehört, müssen
wir versuchen, ihn besser zu verstehen. Erst recht, seit der
„Islamische Staat“ ein menschenverachtendes Terrorregime
errichtet, das auch deutsche Muslime in den Dschihad ruft.
Haben wir es hier mit einer ideologisch fehlgeleiteten Form
des Islam zu tun? Und wenn ja, warum können sich die Gotteskrieger auf den Koran berufen?
Einer, der uns helfen will, den Islam besser zu verstehen, ist
Hamed Abdel-Samad. Der gebürtige Ägypter und Mitglied der
Deutschen Islam Konferenz hat ein neues Buch geschrieben:
Der islamische Faschismus. Darin kombiniert er persönliche
Begegnungen und Erfahrungen mit religionskundlichen Erläuterungen. Am Ende gleicht das Buch einer Abrechnung: nicht
nur mit dem politischen Islamismus, sondern mit dem Islam
insgesamt. Was dem Autor in seiner eigenen Religion fehlt, ist
die Bereitschaft, anschlussfähig an die moderne Welt zu werden, an demokratische und freiheitliche Prinzipien.
Die Gründe für diesen Mangel sieht er nicht in erster Linie
bei den Islamisten von heute. Abdel-Samad diagnostiziert im
Islam faschistische Tendenzen, die er nicht nur als aktuelle
Deformation versteht, sondern als grundsätzliches Problem.
Den Islam könne man nicht verstehen, ohne seinen politi-
schen Kern zu begreifen, schreibt er. Der bewaffnete Kampf
zu seiner universalen Durchsetzung stamme vom Propheten
Mohamed selbst: „Mohamed führte Kriege zum Ausbau und
zur Festigung seiner Macht und versprach den Muslimen die
Weltherrschaft.“ Diese Kriege und das Streben nach einer
Islamisierung der Welt würden von vielen Muslimen als ein
„Auftrag Gottes“ verstanden, „der auch 1400 Jahre nach dem
Tod des Propheten erfüllt werden muss“.
Auch wenn man mit Abdel-Hamad darüber streiten kann,
ob die Bezeichnung des modernen Islamismus als Faschismus sinnvoll und zutreffend ist, bietet sein Buch zahlreiche
Einsichten, die für den Dialog mit den Vertretern des Islam
bedeutsam sind. Dabei muss es darum gehen, ob Gewaltausübung zur Praxis des Islam gehört, ob der Koran offen
für eine argumentative Auseinandersetzung ist und ob der
Islam Toleranz gegenüber anderen Religionen walten lässt.
Nur wenn ein solcher Dialog offen geführt werden kann, nur
wenn er auch Kritik zulässt und nur wenn Muslime erkennbar
Es muss völlig klar bleiben, dass in
Deutschland das Grundgesetz die Basis
unseres Staates ist und nicht die Scharia.
als Bürgerinnen und Bürger auf dem Boden unseres demokratischen Staates stehen, gehört der Islam nicht nur statistisch,
sondern auch kulturell zu Deutschland. Gute Ansätze gibt es.
Und deshalb ist es auch die Pflicht der nicht-muslimischen
Mehrheitsgesellschaft, sich gegenüber Muslimen nicht von
Ablehnung, Vorurteilen oder gar Hass leiten zu lassen.
Gleichzeitig ist es aber auch die Pflicht des demokratischen Staates und aller Demokraten, entschieden den Vorstellungen eines politischen Islamismus entgegenzutreten.
Es muss völlig klar bleiben, dass in Deutschland das Grundgesetz die Basis unseres Staates ist und nicht die Scharia.
Nur dann können die islamischen Gemeinden und Verbände
eine den Kirchen vergleichbare Form der verfassungsrechtlichen Selbstbestimmung geltend machen.
Das neue Buch Abdel-Samads nährt Zweifel, ob der Islam
in absehbarer Zeit seine Anfälligkeit für den politischen Islamismus überwinden kann. Stattdessen erscheint an seinem
Horizont das Schreckensszenario eines neuen, Jahrzehnte
dauernden Religionskrieges zwischen der islamischen Welt
und dem Westen. Da mag es nicht beruhigen, dass er am
Ende Demokratie und Aufklärung als Sieger sieht. Denn der
Weg dahin wäre von Blut getränkt.
| mic
4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 19
Kleine Kirchenkunde
Neue Kirchenregierung
Foto: Agentur Hübner
Haupt- und Ehrenamtliche wirken in der Leitung der Landeskirche Braunschweig zusammen. Eine
verantwortungsvolle Aufgabe.
Kirchenregierung mit Synodenpräsident (v.l.): Dr. Christoph Meyns, Catarina Köchy, Hans-Peter Vollbach, Christian Wolff, Dr. Peter
Abramowski, Otto Schlieckmann, Martin Fiedler, Thomas Gleicher.
Die Landeskirche Braunschweig hat eine neue Kirchenregierung. Die Landessynode wählte bei ihrer Tagung in Goslar am 20. November Propst Thomas Gleicher (57) aus Seesen und Pfarrer Martin Fiedler (49) aus Bad Harzburg als
ordinierte Mitglieder.
Bei den nichtordinierten Mitgliedern entschied sie sich
für die Hauswirtschaftsmeisterin Catarina Köchy (55) aus
Jerxheim, den Betriebswirt und ehemaligen Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Braunschweig-LüneburgStade Otto Schlieckmann (69) aus Braunschweig sowie den
Rechtsanwalt Christian Wolff (53) aus Börßum.
Synodenpräsident Dr. Peter Abramowski beglückwünschte die Gewählten und dankte den ausgeschiedenen
Mitgliedern der Kirchenregierung für ihre „intensive und
fachlich qualifizierte“ Mitwirkung.
Die Amtszeit der Kirchenregierung beträgt sechs Jahre.
Sie besteht neben den gewählten Mitgliedern zusätzlich aus
Landesbischof Dr. Christoph Meyns als Vorsitzenden sowie
dem Juristen Oberlandeskirchenrat Hans-Peter Vollbach als
nichtordiniertem Mitglied des Landeskirchenamtes.
Die Kirchenregierung leitet die Landeskirche, soweit
nicht die anderen leitenden Organe (Landessynode, Landeskirchenamt, Landesbischof) zuständig sind. Ihre Aufgaben bestehen insbesondere darin, die Oberaufsicht über alle
kirchlichen Stellen in der Landeskirche zu führen sowie notwendig werdende Veränderungen zu planen und zu betreiben. Außerdem bringt die Kirchenregierung Vorlagen für
Kirchengesetze in die Beratung der Landessynode ein. Sie
erlässt Kirchenverordnungen und beschließt über den Kollektenplan.
Darüber hinaus wirkt die Kirchenregierung bei der Besetzung der Pfarrstellen sowie der Stellen mit allgemeinkirchliAufgabe der Kirchenregierung ist es
chen Aufgaben mit. Sie ernennt die Pröpstinnen und Pröpste
unter anderem, notwendig werdende
nach deren Wahl und benennt die Mitglieder der kirchlichen
Gerichte.
Veränderungen zu planen und an der
Außerdem hat die Landessynode Oberlandeskirchenrat
Pfarrstellenbesetzung mitzuwirken.
Thomas Hofer als Vertreter von Landesbischof Dr. Christoph Meyns gewählt. Für die Generalsynode der Vereinigten
Bisher gehörten dem kirchenleitenden Organ an: Prof. Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und
Dr. Sabine Brombach (Beierstedt), Pfarrer Andreas Weiß die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
(Blankenburg), Dr. Ekkehard Schulz (Vorsfelde), Pröpstin wurden Pfarrer Harald Welge (Braunschweig) und der langUta Hirschler (Braunschweig) und Wolf-Dieter Kleinschmidt jährige Synodenpräsident Gerhard Eckels (Braunschweig)
(Bad Harzburg).
gewählt.
Kunstwerk
zur Reformation
Ein besonderes Kunstprojekt zum Thema
500 Jahre Reformation nimmt in Braunschweig Gestalt an. Am 11. Oktober wurde
im Braunschweiger Stadtteil Bienrode die
Groß-Skulptur „Solus Christus“ des Bildhauers Magnus Kleine-Tebbe enthüllt. Das
Werk aus Obernkirchner Sandstein ist mehr
als drei Meter groß und vier Tonnen schwer.
Es zeigt einen als Lebensbaum gestalteten
Christuskopf.
Das Kunstprojekt ist eine Kooperation
zwischen der Landeskirche Braunschweig,
der Karin und Joachim Prüsse Stiftung
und dem Bildhauer Magnus Kleine-Tebbe.
Schirmherr ist Landesbischof Dr. Christoph
Meyns. Bis zum Gedenkjahr der Reformation
2017 werden im Jahresrhythmus drei weitere Kunstwerke Kleine-Tebbes entstehen.
Landmarken gleich in offener Landschaft,
sollen sie an die vier zentralen Erkenntnisse der Reformation erinnern: allein
Jesus Christus, allein die Heilige Schrift,
allein durch Gnade, allein durch Glauben.
Die weiteren Skulpturen werden bei Salzgitter-Lesse, Groß-Denkte und Hornburg
aufgestellt. Die vier Standorte miteinander
verbunden, ergeben auf der Landkarte ein
Kreuz.
Foto: Privat
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