www.landeskirche-braunschweig.de Evangelische Perspektiven Das Magazin der Landeskirche Braunschweig 4 | 2014 Jedes Kind zählt In der Landeskirche Braunschweig entstehen zunehmend Familienzentren | Angeschlossen an die Kindertagesstätten, helfen sie Eltern bei der Erziehung und Begleitung ihrer Kinder | Damit jedes Kind in seinen Stärken und Fähigkeiten optimal gefördert wird | Ein wichtiger Schwerpunkt: interkulturelles Lernen. 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 2 Foto: Privat Foto: Agentur Hübner Editorial | Inhalt Bildung ist in unserer Gesellschaft ein wichtiger Schlüssel für Glück und Erfolg. Wir müssen komplexe Zusammenhänge durchschauen: das gilt für unsere Arbeitswelt genauso wie für das soziale Leben – und nicht zuletzt für unsere eigene, persönliche Existenz. Dabei geht es nicht nur darum, möglichst viel zu wissen, sondern darum, Kompetenzen zu erwerben, die uns zu starken Persönlichkeiten machen. Zu denken und sich das Denken nicht durch Autoritäten verbieten zu lassen, dürfte zu den wichtigsten Kompetenzen gehören. Der Protestantismus hat ein geradezu erotisches Verhältnis zur Bildung. Der urteilsfähige und mündige Mensch ist sein Leitbild – nicht nur in Glaubensfragen. Eine Folge der Reformation, die das Gewissen des Einzelnen zur entscheidenden Instanz machte. Das hat Auswirkungen bis heute. Die Landeskirche setzt mit ihren Kindertagesstätten deshalb bei der frühkindlichen Bildung einen Schwerpunkt. Außerdem fördert sie Familienzentren, die im Umfeld der Kitas entstehen. Näheres dazu lesen Sie im Titelthema. In dieser Ausgabe starten wir mit einer neuen Rubrik: Nachgefragt. Darin bitten wir Experten zu erklären, wie sie sich aus christlicher Perspektive in ihren Themenfeldern engagieren und wie sie Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft einschätzen. Nicht zuletzt wünschen wir Ihnen mit dieser Ausgabe frohe Weihnachten und ein gesegnetes neues Jahr 2015. Ihr Foto: Agentur Hübner Liebe Leserinnen und Leser, In dieser Ausgabe 4 Gute Seele am Zug 6 Jedes Kind zählt Herausgeber Pressestelle der Landeskirche Braunschweig I Redaktion Michael Strauß (mic) I Anschrift Dietrich-Bonhoeffer-Straße 1, 38300 Wolfenbüttel, Tel. 05331-802108, Fax 05331/802700, [email protected], www.landeskirche-braunschweig.de I Druck MHD Druck und Service GmbH, 29320 Hermannsburg | Titelfoto Susanne Hübner Die Reformation war eine Bildungsoffensive. Sie wollte den mündigen Menschen, sagt Dr. Hans-Georg Babke im Interview. 12Mehr Geld für kirchliche Arbeit Die Landessynode hat einen Doppelhaushalt für 2015 und 2016 verabschiedet. 14Neuausrichtung der Kirchenmusik Die Qualität in der Fläche soll trotz Stellenkürzungen erhalten bleiben. 17Nachgefragt bei Janis Berzins Impressum In der Landeskirche Braunschweig entstehen zunehmend Familienzentren. Ein Schwerpunkt: interkulturelles Lernen. 10Den Glauben denken Michael Strauß Renate Schumacher engagiert sich seit 15 Jahren ehrenamtlich in der Bahnhofsmission. Wie ist es um das Miteinander von Christen und Muslimen im Braunschweiger Land bestellt? 18Religion im Konflikt Ein neues Buch beschreibt die Anfälligkeit des Islam für den politischen Islamismus. 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 3 Foto: Hansjörg Hörseljau Die gute Nachricht Die Brockenmauer: Auf 1,5 Kilometern umfasste sie die komplette Kuppe des Harzberges. Freier Blick vom Brocken 1989 fiel die Mauer auch im Harz und sorgte für eine kirchliche Wiedervereinigung 25 Jahre Mauerfall – das Gedenken in diesem Jahr schließt auch die Erinnerung an die kirchliche Wiedervereinigung im Braunschweiger Land ein. Das Ende des OstWest-Konfliktes ermöglichte die Rückkehr der Propstei Blankenburg sowie Calvördes in die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig. Seit 1599 hatte Blankenburg zu Braunschweig gehört, seit 1945 war die Propstei eine Exklave in der sowjetischen Besatzungszone und bis 1969 in der DDR. Nach dem Bau der Mauer ließ sich dieser Status aber nicht mehr aufrechterhalten. Blankenburg wurde in die Obhut der lutherischen Landeskirche Sachsens übergeben, ab 1985 gehörte die Region zur Kirchenprovinz Sachsen, die ihren Sitz in Magdeburg hatte. Verhandlungen nach Ende der deutschen Teilung führten am 1. Januar 1992 zu einer Wiedervereinigung Blankenburgs und Calvördes mit der Landeskirche Braunschweig. 2004 erinnerte das Landeskirchliche Archiv mit einer eigenen Publikation an die wechselhafte Geschichte der Propstei Blankenburg zwischen 1945 und 1992. Damals schrieb der Historiker Hans-Jürgen Engelking: „In einer vierzigjährigen Wanderschaft der Propstei Blankenburg zwischen den Systemen und Landeskirchen gelang den Blankenburgern die Bewahrung ihrer braunschweigischen (kirchlichen) Tradition und Eigenständigkeit in der DDR, ideell und materiell stabilisiert durch die braunschweigische Landeskirche.“ Das Foto auf dieser Seite dokumentiert die Grenzöffnung im Harz. Es zeigt, wie am 3. Dezember 1989 die Brockenmauer geöffnet wurde und der Berg nach 28 Jahren erstmals wieder frei betreten werden konnte. Die Mauer hatte eine Höhe von dreieinhalb Metern und umfasste die komplette Brockenkuppe mit einer Länge von rund 1,5 Kilometern. Sie war 1978 zur Abschottung der Spionage-Anlagen errichtet worden. Das Foto ist Teil einer Ausstellung des Harzfotografen Hansjörg Hörseljau, die bis zum 30. Juni 2015 im Museum Schiefes Haus in Wernigerode zu sehen ist. | mic Foto: Agentur Hübner 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 4 Seit 15 Jahren im Dienst der Bahnhofsmission in Braunschweig: Renate Schumacher. 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 5 Porträt Gute Seele am Zug Ihre zierliche Erscheinung täuscht, Renate Schumacher ist eine starke Frau. Die Mutter zweier erwachsener Söhne blickt auf ein ereignisreiches, oft hartes Leben zurück. Früh musste sie lernen: „Bevor du was bekommst, musst du was geben.“ Die 73-Jährige hat viel in ihrem Leben gegeben – und leistet noch immer viel: Seit 15 Jahren wirkt sie ehrenamtlich in der Bahnhofsmission am Braunschweiger Hauptbahnhof mit. Einmal die Woche, immer donnerstags, schließt sie morgens um 7 Uhr die Bahnhofsmission auf, kocht Kaffee, belegt Baguettes. Dann dauert es nicht lange, bis erste Besucher kommen. Darunter auch Obdachlose und Hartz-IV-Bezieher. „Sie kommen häufig direkt von der Arge da drüben“, sagt Renate Schumacher und zeigt zum Brawo-Park. Armut begegnet ihr immer öfter in der von Diakonie und Caritas getragenen Bahnhofsmission. „Nur die Jungen kommen seltener, Punker gar nicht mehr.“ Die schrill gekleideten Vertreter einer Jugendkultur, deren Blüte in den 1980er Jahren lag, hatten noch ihre ersten Jahre in der Bahnhofsmission geprägt. „Ich habe ein Problem...“, so fangen fast alle Sätze derer an, die sich hilfesuchend an Renate Schumacher wenden. Davon kann sie Geschichten erzählen. Zum Beispiel von der über 80-Jährigen, die zum Aufwärmen kam, eine Tasse Tee trank und den Teebeutel mitnahm, um ihn später noch einmal aufzubrühen. Oder von dem Helmstedter, der bitterlich weinend berichtete, wie er „Solange es geht, mache ich weiter“, sagt sie, und steht auch Silvester Hilfesuchenden zur Seite. seinen Job verloren hatte und von seiner Frau aus der Wohnung geworfen worden war. „Den habe ich an eine Sozialarbeiterin vermittelt.“ Mit Erfolg: Der Mann fand zurück ins Leben, mit neuer Arbeit und neuer Wohnung. „Strahlend kam er mit einer Rose und einer Schachtel Pralinen als Dankeschön vorbei“, erinnert sich die 73-Jährige. Die Härten des Lebens kennt die Ehrenamtliche aus eigener Erfahrung: Während des Zweiten Weltkriegs in Pommern geboren, verschlug es sie und ihre Geschwister zunächst ins Rheinland. Ihr Vater, ein Bahnbeamter, fand sie erst 1955 über den Suchdienst des Roten Kreuzes. Braun- Foto: Agentur Hübner Renate Schumacher engagiert sich seit 15 Jahren ehrenamtlich in der Bahnhofsmission. Sie ist da für alle, die Hilfe brauchen. Davon kann sie viele Geschichten erzählen. Renate Schumacher ist vertraut mit den Wechselfällen des Lebens. schweig wurde für Renate Schumacher zur neuen Heimat. Mit 17 Jahren machte sie den Führerschein, lernte Steinmetz und wurde schließlich Schrifthauerin. „Als erste Frau - das stand damals sogar in der Bild-Zeitung“, sagt die Rentnerin lächelnd. Buchstaben in Grabsteine zu hauen, das war eine auch körperlich harte Arbeit. Ihre Ehe mit einem Versicherungsangestellten brachte zwei Söhne hervor, verlief aber unglücklich. 1999, die Kinder waren aus dem Haus, zog sie in eine kleinere Wohnung nach Melverode. „Aber irgendetwas wollte ich noch machen.“ So fand sie über eine Zeitungsannonce zur Bahnhofsmission und unterstützt seitdem die drei Haupt- und zehn anderen Ehrenamtlichen. An den Bahnsteigen selbst ist Renate Schumacher nach zwei Herzinfarkten kaum noch im Einsatz. „Das Schieben von Rollstühlen schaffe ich nicht mehr.“ Schmunzelnd muss sie aber an einen Einsatz während eines heftigen Wintereinbruchs denken: Schneemassen brachten damals den Bahnverkehr zum Erliegen. Viele strandeten in der Bahnhofsmission. Eine Kollegin begleitete eine Person zum Zug und kehrte nicht zurück. „Obwohl wir das nicht dürfen, war sie mit in den ICE gestiegen und nicht mehr rechtzeitig rausgekommen.“ Ans Aufhören mag Renate Schumacher nicht denken: „Solange es geht, mache ich weiter.“ Und so wird sie auch Silvester wieder am Bahnhof verbringen. | Michael Siano 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 6 Titelthema Jedes Kind zählt In der Landeskirche Braunschweig entstehen zunehmend Familienzentren. Angeschlossen an die Kindertagesstätten, helfen sie Eltern bei der Erziehung und Begleitung ihrer Kinder. Damit jedes Kind in seinen Stärken und Fähigkeiten optimal gefördert wird. Ein wichtiger Schwerpunkt: interkulturelles Lernen. Die Lebenswelt von Familien hat sich in den vergangenen Jahrzehnten rasant verändert. In einer Gesellschaft, die immer komplexer wird und sich rasant verändert, wachsen die Anforderungen: Kinder müssen gemäß neuester pädagogischer Erkenntnisse erzogen und begleitet werden. Oftmals sind auch pflegebedürftige Angehörige zu betreuen. Bei alledem dürfen die Eltern die Beziehung untereinander nicht aus dem Blick verlieren. Und dann ist da noch die materielle Basis, um die familiäre Existenz überhaupt erst sicherzustellen. Vor allem einkommensschwachen Familien fällt es schwer, auf die Fle­ x­ibilitätserwartungen der Arbeitswelt zu reagieren: Lange Arbeitswege, wechselnde Einsatzorte, oft oder ständig wechselnde Arbeitszeiten, aber auch kurzfristige Beschäftigungsperspektiven gehören inzwischen in fast allen Branchen zum Alltag. Vor diesem Hintergrund sei die Familienphase geradezu zu einer „Hochleistungsphase“ geworden, heißt es seitens der Diakonie Niedersachsen. Sie propagiert Familienzentren, um über die Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern hinaus familienfördernde und –unterstützende Angebote bereitzustellen. Konzeptionell ursprünglich von der Diakonie in Nordrhein-Westfalen entwickelt, hat sich die Idee inzwischen auch in der Landeskirche Braunschweig etabliert. „Die Landeskirche unterstützt dabei die Early-ExcellencePädagogik“, sagt Kerstin Pustoslemsek, die im Landeskirchenamt die Fachberatung für Kindertageseinrichtungen lei- tet. Im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit stehe das Kind. Dem Grundsatz der Early-Excellence-Pädagogik „Every child matters“ (Jedes Kind zählt) entspreche es, jedes Kind in seinen Stärken und Fähigkeiten optimal zu fördern. Dabei würden Eltern als Experten und erste Erzieher ihrer „Aufgabe eines Familienzentrums ist es, die Eltern in ihren persönlichen, erzieherischen und beruflichen Kompetenzen zu stärken.“ Kinder wahrgenommen. „Aufgabe eines Familienzentrums ist es, die Eltern in ihren persönlichen, erzieherischen und beruflichen Kompetenzen zu stärken – mit dem Ziel, ihre Kinder in ihrer Entwicklung gemeinsam konstruktiv zu begleiten“, erläutert die Pfarrerin weiter. Im Gebiet der Landeskirche sind bereits Familienzentren insbesondere in den städtischen Bereichen von Braunschweig, Salzgitter und Goslar entstanden. Die Landeskirche unterstützt mittels eines zweijährigen Förderprogramms die Entwicklung weiterer Familienzentren auch in anderen Regionen der Landeskirche. Überhaupt lässt sich der Begriff Familie heute gar nicht mehr so leicht fassen. Dem Klassiker „Vater - Mutter - 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 7 Foto: Agentur Hübner Titelthema Jedes Kind soll in seinen Stärken und Fähigkeiten optimal gefördert werden. 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 8 Foto: Agentur Hübner Titelthema Im Mittelpunkt der Arbeit in den Familienzentren stehen stets die Kinder. Fördermittel Die Kirchenregierung hat 150.000 Euro aus dafür zurückgestellten Mitteln für die Förderung neuer Familienzentren freigegeben. Darüber informierte Oberlandeskirchenrat Thomas Hofer die Landessynode am 20. November in Goslar. Nach Prüfung durch die Fachberatung für Kindertagesstätten erhalten demnach fünf von zehn Bewerbungen Fördermittel: St. Magni Braunschweig, St. Georg Delligsen, St. Stephani Helmstedt, Steterburg Salzgitter sowie Martin Luther und St. Johannis Wolfenbüttel. In dem von Hochhäusern dominierten Stadtbezirk wohnen mehr als 23.000 Menschen, zu etwa 36 Prozent evangelisch und 26 Prozent katholisch. „Hier leben Menschen vieler Nationen, und jede Nationalität hat ihre eigene Kultur“, sagt Natalya Draeger, seit Anfang 2012 Koordinatorin des Familienzentrums in der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Weststadt. „Daher ist Sprache auch der Schwerpunkt unserer Angebote“, fügt die Koordinatorin hinzu, die selbst aus der Ukraine stammt. Diese Angebote umfassen eine interkulturelle Eltern-Kind-Spielgruppe ebenso wie Sprachkurse für Erwachsene. Letztere finden in Kooperation mit der Evangelischen Erwachsenenbildung Braunschweig und dem Büro für Migrationsfragen der Stadt Braunschweig statt. Die Teilnehmer stammen unter anderem aus Polen, Russland, Montenegro, Serbien, der Türkei sowie aus der Ukraine. „Die deutsche Sprache zu beherrschen ist für die gesellschaftliche Teilhabe entscheidend“, erklärt Natalya Draeger. In diese Richtung zielt auch das „Rucksackprojekt“ des Familien- Pfarrerin Kerstin Pustoslemsek. Foto: Privat Kind(er)“ stehen inzwischen viele Varianten zur Seite: Familien mit Alleinerziehenden, mit gleichgeschlechtlichen Paaren oder sogenannte PatchworkFamilien. Immer zahlreicher werden auch Familien mit interkulturellem Hintergrund, wie zum Beispiel in der von einem hohen Migrantenanteil geprägten Braunschweiger Weststadt. zentrums. Dabei handelt es sich um ein kombiniertes interkulturelles Sprachförderungs- und Elternbildungsprogramm. „Spielend und von ihren Eltern unterstützt lernen Kinder ihre Muttersprache, gleichzeitig aber auch die deutsche Sprache.“ Zumba-, Koch- und Kinderkochkurse in der Kita Ahrplatz sind weitere Angebote des Familienzentrums, das aus den drei evangelischen Kitas im Stadtteil heraus entstanden ist. Inzwischen geht ein weiteres evangelisches Familienzentrum in der Weststadt an den Start. „Anfang 2015 bekomme ich eine Kollegin zur Verstärkung“, freut sich Natalya Draeger. „Die Erfahrungen der ersten drei Jahre sind vielversprechend: Die Resonanz ist groß, unsere Hauptaufgabe wird die Vernetzung mit all den anderen kulturellen und sozialen Angeboten in der Weststadt bleiben.“ Nur wenige Kilometer entfernt, aber bereits in einer anderen Propstei, befindet sich die Evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Vechelde/Vechelade mit ihren rund 3.000 Gemeindegliedern. Die Menschen hier sind im Schnitt besser situiert als die in der Braunschweiger Weststadt. Und anders als das Evangelisch-lutherische Familienzentrum in der Weststadt ist jenes in Vechelde auch nicht an die Kita angedockt, sondern direkt an das Gemeindezentrum. „Der Grund ist ganz einfach: Die Räumlichkeiten in unserer Kita Arche Noah sind schlicht zu klein“, erläutert Gemeindepfarrer Hans-Peter Kinkel das „Vechelder Modell“. Das Famili- 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 9 Titelthema Foto: Agentur Hübner enzentrum der Gemeinde zählt zu den erfolgreichsten in der Landeskirche. 2007 gab es sogar den ersten Preis beim landeskirchlichen Wettbewerb „Familie erwünscht“. Etwa 50 Angebote für Groß und Klein werden in Vechelde vorgehalten: vom Geburtsvorbereitungskurs über ElternKind-Gruppen und Erste-Hilfe-Kurse bis hin zum Cantibile-Chor und einer Mediathek. Sogar einen Ausleihservice, der vom Festzelt bis hin zu Großspielzeug interessante Dinge nicht nur für Familienfeste anbietet, gibt es. Diese Vielzahl von Angeboten wird rege genutzt. „Unser Ziel war, als wir vor zwölf Jahren angefangen haben, die Menschen im Alltag zu erreichen, egal ob sie der Kirche angehören oder nicht“, erinnert sich Pfarrer Kinkel. Andererseits bedürften diese Angebote auch Aktive, die sich ehrenamtlich engagieren. „Inzwischen umfasst Sozialpädagogin Dagmar Lührig und Pfarrer Hans-Peter Kinkel. unser Teamerkreis etwa 60 Jugendliche, darüber hinaus sind etwa 100 weitere Personen dabei.“ Auch der Kirchenvorstand sei im Vergleich zu anderen jünger, die Hälfte der Kirchenvorsteher stamme aus dem Familienzentrum. „Die Zahl von Kircheneintritten hält sich in Grenzen“, so Kinkel weiter, „aber wir haben im Vergleich deutlich weniger Austritte – eben weil es diese Angebote gibt, die von der Kirche kommen.“ Dieser Ansatz der Kirchengemeinde Vechelde sei nicht vom Himmel gefallen, meint der Pfarrer. „Vieles lief nach dem Prinzip Versuch und Irrtum.“ Bei der Finanzierung sei der Kirchenvorstand damals auf volles Risiko gegangen und habe für die Idee „gebrannt“. Heute umfasse der jährliche Etat mehr als 100.000 Euro. Davon kämen etwa 20.000 Euro von 35 Sponsoren aus dem Foto: Agentur Hübner Geschaffen hat die Kirchengemeinde mehr als 50 Wochenstunden Arbeit für Hauptamtliche. Rund 50 Angebote hält das Familienzentrum Vechelde bereit – auch eine Trommelgruppe. Vechelder Bereich. Der Rest: selbst erwirtschaftet. Kinkel: „Wir haben in den ganzen zwölf Jahren nicht einen Kirchensteuergroschen erhalten.“ Geschaffen hat die Kirchengemeinde mittlerweile auch mehr als 50 Wochenstunden Arbeit für Hauptamtliche im Familienzentrum. Eine von ihnen ist Dagmar Lührig. Die Sozialpä- dagogin leitet das Familienzentrum und organisiert zum Beispiel auch Familienfreizeiten am Steinhuder Meer. Dabei können Familien in offener Atmosphäre über Alltagsprobleme reden und sich austauschen. „Die Warteliste ist immer lang. Das letzte Mal waren etwa 40 Personen mit“, sagt Dagmar Lührig. | Michael Siano 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 10 Interview Den Glauben denken Die Reformation war eine Bildungsoffensive. Sie wollte den mündigen Menschen, sagt Dr. Hans-Georg Babke vom Arbeitsbereich Religionspädagogik der Landeskirche Braunschweig im Interview. Wie sah denn die Bildungsgeschichte im christlichen Kontext aus? Schon die neutestamentlichen Schriften sind Zeugnisse theologischer Reflexion. Sie führen nicht in eine rituelle Praxis ein, sondern interpretieren das Leben und die Lehre Jesu. Im Übergang vom altorientalischen in den hellenistischen Kulturraum hat sich das Christentum verbunden mit der philosophischen Theologie der Stoa und des Platonismus. Und auch Universitätsgründungen hat es schon früh gegeben. Das Besondere des Protestantismus ist, dass er im 15. Jahrhundert eine neue Bildungsoffensive ausgelöst hat. Nicht zuletzt durch den Gedanken des Priestertums aller Getauften, oder? Ja, gepaart mit der besonderen protestantischen Spiritualität, die im Freiheitspathos liegt. Unabhängigkeit von Autoritäten, Gewissensfreiheit, Selbstverantwortlichkeit und die Auskunftsfähigkeit über den eigenen Glauben: das sind Folgen der Reformation, die zu einem besonderen Bemühen um die Bildung geführt haben. Martin Luther wollte nicht nur Menschen, die Auskunft über ihren Glauben geben können, sondern plädierte für eine allgemeine Schulbildung. Um der Stadt Bestes zu erreichen, brauche man gebildete und vernünftige Bürger. Diese Überzeugung hat sich bis in die Gegenwart durch gehalten. Die evangelische Kirche setzt sich nicht nur für den Religionsunterricht ein, sondern ganz generell für gute Schulen. Welche Merkmale gehören für Sie zu einem gebildeten Protestanten? Vor allem geht es um eine Haltung, die vom Freiheitsbewusstsein geprägt ist. Der gebildete Protestant glaubt nicht ohne weiteres der Obrigkeit, vermeintlichen oder tatsächlichen Autoritäten, sondern prüft deren Aussagen kritisch. Er ist kritikfähig, weltoffen und übernimmt Verantwortung für die Gestaltung der Gesellschaft. Außerdem weiß er, dass er sein Leben nicht durch besondere Leistungen rechtfertigen muss. Ein Kennzeichen Religiöse Bildung in der Schule gehört dazu, schon allein um unsere Kultur zu verstehen. Foto: Agentur Hübner Evangelische Perspektiven: Bildung ist für den Protestantismus von Anbeginn ein wichtiges Anliegen gewesen. Woran liegt das? Dr. Hans-Georg Babke: Bildung ist nicht nur für den Protestantismus ein wichtiges Anliegen, sondern für die christliche Religion insgesamt. Das hat theologische Gründe. Es liegt vor allem daran, dass sich Gott in der Geschichte vermittelt. Wir haben keine unmittelbaren Gotteserfahrungen, sondern Gott offenbart sich in dem geschichtlichen Ereignis Jesus von Nazareth. Und da die Geschichte mehrdeutig ist, bedarf es der interpretativen Weltdeutung, also auch der Lehre und Bildung. rer Gesellschaft immer mehr ab. Wie können wir dem entgegenwirken? Nicht zuletzt durch die Schule. Hier hilft der Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik: von der Inhaltsorientierung hin zur Kompetenzorientierung. Das heißt, Schülerinnen und Schüler häufen nicht mehr nur Wissen an, sondern lernen, Zusammenhänge zu verstehen und zu erklären. Welche Rolle spielt dabei der Religionsunterricht? Religiöse Bildung in der Schule gehört notwendig dazu, schon allein, um unsere Kultur zu verstehen. Viele Die Auskunftsfähigkeit in Sachen Phänomene unserer Kultur sind religiReligion und Glauben nimmt in unse- öser Herkunft. Schülerinnen und Schü- dessen wiederum ist der Verzicht auf Machtgier: Ich brauche mich nicht zu beweisen und notwendig zu machen in dieser Welt. 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 11 Interview ler, die kompetent sein sollen, müssen erklären können, was diese Kulturzeugnisse bedeuten. Und angesichts der gewachsenen kulturellen und religiösen Vielfalt müssen sie auch verstehen, was andere im Unterschied zu ihrer eigenen Religion glauben. Brauchen wir dafür den konfessionellen Religionsunterricht? Der konfessionelle Religionsunterricht ist ein gutes Modell und einzigartig in Europa. Häufig sind es vor allem schulorganisatorische Gründe, die ihn unter Legitimationsdruck bringen. Aber der konfessionelle Religionsunterricht hat eine hermeneutische Bedeutung, das heißt, für die Erklärung und Auslegung von Religion. Ein Einheitsunterricht steht in der Gefahr, die eigene religiöse Prägung nicht ausreichend bewusst zu machen. Genau das brauchen wir aber. Deswegen entspricht eine Pluralisierung der religionsbezogenen Angebote in der Schule eher der Pluralisierung unserer Gesellschaft als ein Inwiefern? Der islamische Religionsunterricht ist noch einer katechetischen KonzepWelche Erwartungen haben Sie an tion verpflichtet, also der Einübung in die einen guten Religionsunterricht? eigene Glaubenspraxis. Zu einem schulEr muss anknüpfen an die Lebens- theoretisch begründeten Religionsuntererfahrungen der Schülerinnen und richt gehört aber die kritische DistanzSchüler und an deren Bewusstsein. Ein nahme zu den Unterrichtsgegenständen, guter Religionsunterricht zeichnet sich die Reflexion der Glaubenspraxis. dadurch aus, dass die Schülerinnen und Schüler am Ende von SchulabschnitSeit 60 Jahren engagiert sich die ten bestimmte Kompetenzen erworben Landeskirche Braunschweig in der haben: zum Beispiel über den eigenen Begleitung von Religionspädagogen. Glauben Auskunft zu geben, dialogfähig Wie beurteilen Sie dieses Engagein Glaubensfragen zu sein, oder auch ment? religiöses Wissen in lebensweltlichen Es ist nicht selbstverständlich, dass Zusammenhängen anwenden zu können. sich die kleine braunschweigische Landeskirche zur Begleitung von ReligionsWir leben zunehmend in einem lehrkräften ein eigenes Religionspädamultireligiösen Land. Wie beurteilen gogisches Institut leistet. Das war 1954 Sie die Einführung des islamischen eine weise Entscheidung. Die neuesten Religionsunterrichts? Befragungen und empirischen UnterIch finde, Artikel 7, Absatz 3 des suchungen zeigen, dass der ReligionsGrundgesetzes, der den Religionsun- unterricht eine wesentliche Bedeutung terricht unter Mitwirkung der Religions- für die Tradierung des christlichen Glaugemeinschaften regelt, passt zu einem bens hat. Denn dadurch werden flächenmodernen Religionsverfassungsrecht, deckend Kinder und Jugendliche erreicht. das unterschiedliche religionsbezoge- Schon deshalb wäre es fahrlässig, den nen Angebote auch in der Schule ermög- Religionsunterricht gering zu schätzen. licht. Deshalb begrüße ich den islamischen Religionsunterricht. Durch die Erhält der Religionsunterricht in Runden Tische können die islamischen der Kirche zu wenig Aufmerksamkeit? Gemeinschaften ein gemeinsames CurBedauerlicherweise spielt er in kirriculum entwerfen und sich auf gemein- chenleitenden Äußerungen kaum eine same Prinzipien verständigen: zum Bei- Rolle. Auch in der neuen Kirchenmitspiel die Lehrerausbildung oder den gliedschaftsuntersuchung kommt der Unterricht in deutscher Sprache. Religionsunterricht nicht vor. Aber wenn man die Theologiestudierenden fragt, Wie weit muss die Mitwirkung des warum sie sich für dieses Studium entStaates gehen? schieden haben, sagen viele, dass es der Die Definitionsmacht über die Inhalte Religionsunterricht war, der bei ihnen des religionsbezogenen Unterrichts müs- die Initialzündung ausgelöst hat. Dessen die Religionsgemeinschaften selbst halb finde ich es merkwürdig, dass der haben. Der Staat muss weltanschaulich Religionsunterricht kaum Beachtung neutral bleiben, er darf nicht zwangs- bei kirchenleitenden Gremien findet. weise die Inhalte für die religiöse Erziehung vorgeben. Natürlich muss diese Was wünschen Sie sich für die Selbstbestimmung im Rahmen unserer Zukunft? demokratischen Grundordnung erfolgen. Kontinuierliche, dauerhafte Kontakte Kritisch ist zu sehen, dass das Curricu- der Kirche zu den Schulleitungen, die ja lum für den islamischen noch nicht dem heute eigenverantwortlich arbeiten. Hier Standard des evangelischen und katho- müsste es stärkere Initiativen auch auf lischen Religionsunterrichts entspricht. der politischen Ebene geben. | mic Einheitsunterricht, der die Unterschiede einebnet. 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 12 Chronik Mehr Geld für kirchliche Arbeit Die Landeskirche Braunschweig profitiert von der guten Beschäftigungslage auf dem Arbeitsmarkt. Da die Kirchensteuer an die Lohn- und Einkommensteuer gekoppelt ist, kann die Kirche wie der Staat ein höheres Steueraufkommen verzeichnen. Für die Jahre 2015 und 2016 rechnet sie mit einem Aufkommen von jeweils 74 Millionen Euro. Im laufenden Jahr 2014 liegt die Erwartung bei 72 bis 73 Millionen Euro. Das machte Oberlandeskirchenrat Dr. Jörg Mayer am 21. November vor der Landessynode in Goslar deutlich. Das Kirchenparlament verabschiedete einen Doppelhaushalt, der sich in 2015 auf rund 110 Millionen und in 2016 auf rund 94 Millionen Euro beläuft. Die Steigerung in 2015 liege an einer Rücklagenentnahme zugunsten der Pensionskasse für Pfarrer und Kirchenbeamte, erläuterte Mayer. Von der positiven Steuerentwicklung profitieren vor allem die knapp 400 Kirchengemeinden der Landeskirche. Sie dürfen mit einer Erhöhung der Zuweisungen um mehr als eine Million Euro in 2015 rechnen. Weitere Mittel in Höhe von rund 600.000 Euro sind für Foto: Agentur Hübner Braunschweigische Landessynode verabschiedet Haushalt für 2015 und 2016 Dr. Jörg Mayer. neue Projekte vorgesehen: zum Beispiel einen Gemeindekongress in 2015, die Durchführung des Gospelkirchentages in Braunschweig 2016, die Vorbereitung einer Reformationsausstellung im Jahr 2017, die Förderung von Profilgemeinden oder die Stärkung der diakonischen Arbeit. Außerdem müssen gestiegene Personalkosten und außerplanmäßige Baumaßnahmen bewältigt werden. Die Dächer des Braunschweiger Doms und der Katharinenkirche in Braunschweig werden für rund zwei Millionen Euro saniert. Und ein neues Energiesparprogramm für kirchliche Gebäude schlägt mit rund einer Million Euro zu Buche. Nicht zuletzt soll die Personalkostenrücklage erstmals wieder verstärkt werden. Gleichzeitig dämpfte Mayer die Hoffnung auf eine nachhaltige Verbesserung der kirchlichen Einnahmen. Die guten Steuereinnahmen seien ein konjunkturelles Phänomen, die Kirche habe aber ein strukturelles Problem. Sie verliere stetig Mitglieder und die verbleibenden seien zunehmend älter und nur noch etwa zu einem Drittel Kirchensteuerzahler. Deswegen müsse die Kirche vor allem ihre Personalausgaben und Baulasten in den Griff bekommen. In der Landeskirche Braunschweig sind knapp 4000 Menschen beruflich beschäftigt. Außerdem müsse sie derzeit mehr als 1400 Gebäude unterhalten. Mit einem besonderen Programm der Baupflegestiftung sollen Gemeinden instand gesetzt werden, ihre Sakralgebäude so umzubauen, dass sie für möglichst viele Gemeindezwecke dienen können. Auf diese Weise werde es möglich, sich von herkömmlichen Pfarr- und Gemeindehäusern zu trennen, so Mayer. Die Landeskirche Braunschweig unterstützt die Flüchtlingshilfe der Diakoniestiftung im Braunschweiger Land mit zusätzlichen 100.000 Euro. Im Jahr 2015 sollen weitere 80.000, in 2016 weitere 20.000 Euro bereitgestellt werden. Einen entsprechenden Beschluss hat die Landessynode im Rahmen ihrer Haushaltsberatungen am 21. November in Goslar gefasst. Dafür geworben hatte ein Antrag des Ausschusses für Ökumene, Mission Jörg Röhmann. Foto: Agentur Hübner 100.000 Euro für Flüchtlingshilfe und Diakonie, den der Synodale Jörg Röhmann, Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration, der Landessynode vorstellte. Angesichts der aktuellen Flüchtlingswelle sei das diakonische Engagement der Kirche besonders gefragt: „Wir müssen jetzt helfen, weil jetzt die Not besonders groß ist.“ Röhmann ist Vorsitzender des Ausschusses für Ökumene, Mission und Diakonie. 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 13 Chronik Breiter Beteiligungsprozess Foto: Agentur Hübner Dr. Peter Abramowski. Dr. Wolfgang Hemminger. Vier Schwerpunktthemen will die braunschweigische Landessynode im Laufe ihrer Amtszeit bis 2019 bearbeiten. Das kündigte Synodenpräsident Dr. Peter Abramowski vor dem Kirchenparlament am 22. November in Goslar an. Dabei soll es einerseits um die Frage gehen, wie die geplanten Gestaltungsräume zur Neuverteilung der Gemeindepfarrstellen inhaltlich bestimmt werden können. Andererseits will die Synode den Gebäudebestand der Landeskirche näher in den Blick nehmen. Außerdem soll darüber beraten werden, wie die Kirche attraktiver für Kinder und Jugendliche werden kann. Und auch die Neuausrichtung der Diakonie im Braunschweiger Land werde laut Abramowski im Fokus stehen. Dr. Wolfgang Hemminger (Braunschweig) begrüßte Foto: Agentur Hübner die stärkere Themenorientierung der Synodenarbeit. Er sprach sich erneut für die Entwicklung einer Gesamtstrategie für die Landeskirche aus. Dabei müssten Strukturveränderungen und inhaltliche Ziele miteinander verknüpft werden. Eine Strategie sollte bei den positiven Erfahrungen der Kirchenmitglieder ansetzen. Vor allem die Frage von Gestaltungsräumen bestimmt die Diskussion innerhalb der Landeskirche. Das zeigt unter anderem ein Antrag der Michael Wagner. Propsteisynode Salzgitter-Lebenstedt, den die Landessynode bei ihrer jüngsten Tagung beraten hat. Darin wird die Synode gebeten, Strukturveränderungen in der Kirche auch unter theologischen Gesichtspunkten zu bedenken. Durch die geplanten Gestaltungsräume sei die Zuständigkeit der Kirchenvorstände in Gefahr, sagte Pfarrer Michael Wagner. Außerdem werde die Anbindung der Pfarrer an die Gemeinden gemindert. Sie würden „Raumpfleger neuen Typs“. Kathrin Klooth. Foto: Agentur Hübner Foto: Agentur Hübner Synoden diskutieren über die Grundlagen der neuen Gemeindepfarrstellenplanung Die künftige Planung der Gemeindepfarrstellen ist auch Thema in allen Propsteisynoden. Darüber hinaus stellt die Propsteisynode Salzgitter-Lebenstedt die Rechtmäßigkeit der Gestaltungsräume in Frage. Es werde eine neue Verwaltungsebene geschaffen, die bisher weder in der Verfassung der Landeskirche, noch in der Kirchengemeindeordnung oder dem Pfarrerdienstrecht vorgesehen sei, so die Kritik. Kathrin Klooth (Wolfenbüttel), Vorsitzende des Rechtsausschusses, informierte die Synode, dass der Rechtsausschuss der Vereinigten Evan- gelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) um eine entsprechende Prüfung gebeten worden sei. Pfarrer Harald Welge (BraunschweigTimmerlah) sagte, die Anfragen an die geplanten Strukturveränderungen könnten im laufenden Beteiligungsverfahren innerhalb der Landeskirche berücksichtigt werden. Im Mai 2015 will die Landessynode ein entsprechendes Gesetz abschließend beraten. Die künftige Planung der Gemeindepfarrstellen ist in diesen Monaten auch Thema in den Propsteisynoden. Dafür hat die Rechtsabteilung im Landeskirchenamt verschiedene Materialien erarbeitet, die unter anderem auf der Startseite der landeskirchlichen Internetpräsenz (www.landeskirchebraunschweig.de) verfügbar sind. 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 14 Chronik Neuausrichtung der Kirchenmusik Die Qualität in der Fläche soll trotz Stellenkürzungen erhalten bleiben Foto: Agentur Hübner che Kirchenmusiker von derzeit 28 auf 22,75. Von Kürzungen besonders betroffen sind die Propsteien Braunschweig, Bad Harzburg, Helmstedt, SalzgitterLebenstedt und Wolfenbüttel. Oberlandeskirchenrat Thomas Hofer unterstrich vor der Synode die Bedeutung der Kirchenmusik. Nötig seien Kantoren, die den Gottesdienst lieben und Pfarrer, die den engen Dialog mit den Kirchenmusikern pflegen. Außerdem sei es Aufgabe der hauptberuflichen Kirchenmusiker, die Mitwirkung der Laien zu fördern. Die Landessynode verabschiedete ein neues Kirchenmusikgesetz. Dabei müssten sie die unterschiedlichen Die Landeskirche Braunschweig Jahr 2020 erhalten bleiben. Eine wich- musikalischen Kulturen in Kirche und hat eine inhaltliche Neubestimmung tige organisatorische Neuerung ist die Gesellschaft im Blick behalten. Vor allem ihrer Kirchenmusik vorgenommen. Übernahme aller Musiker in die lan- popmusikalische Ansätze müssten stärNach einem vierjährigen Beteiligungs- deskirchliche Anstellungsträgerschaft. ker zum Tragen kommen. prozess verabschiedete die Landessy- Eine Neuberechnung geht von 16.500 Die Einrichtung einer neuen Stelle node am 21. November in Goslar ein Gemeindegliedern für eine Stelle aus, für Popularmusik, wie sie Pfarrer neues Gesetz zum kirchenmusikali- allerdings wird jede der 13 Propsteien Harald Welge (Braunschweig-Timmerschen Dienst. Damit soll die Qualität mindestens eine Kirchenmusikerstelle lah) vor der Synode forderte, ließ sich in der Fläche trotz einer Kürzung von behalten. In der Folge reduziert sich in das vorliegende Konzept allerdings fünf Kirchenmusikerstellen bis zum die Zahl der Stellen für hauptberufli- nicht mehr integrieren. Propst-Kandidat für Bad Harzburg Die Kirchenregierung nimmt Pfarrer Jens Höfel aus Einbeck in Aussicht schweig) mit einer halben Stelle auch Gemeindepfarrer und werden für die Dauer von zwölf Jahren gewählt. Jens Höfel ist seit 1998 Pfarrer in Greene. Davor war er Vikar in der Kirchengemeinde St. Johannis in Braunschweig. Sein Theologiestudium absolvierte er in Bielefeld-Bethel und Marburg. Neben seinem Pfarramt ist Höfel Mitglied der braunschweigischen Landessynode und dort unter anderem hen. Danach wird die Kirchenregierung Vorsitzender des Rechnungsprüfungsdie Propsteisynode auffordern, inner- ausschusses. Außerdem ist er Mithalb von zwei Monaten eine Wahl durch- glied im Propsteivorstand sowie der zuführen. Pröpstinnen und Pröpste sind Propsteisynode. Er ist verheiratet und in der Landeskirche (bis auf Braun- Vater von zwei Kindern. Foto: Privat Die Kirchenregierung hat Jens Höfel (48) aus Einbeck als Kandidaten für das Propstamt in Bad Harzburg in Aussicht genommen. Er ist Pfarrer in der Kirchengemeinde St. Martin in Greene und stellvertretender Propst der Propstei Bad Gandersheim. Er soll die Nachfolge von Katharina Meyer antreten, die Ende 2013 das Amt aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hatte. Ein endgültiger Wahlvorschlag wird im Benehmen mit dem Propsteivorstand und dem Kirchenvorstand der verbundenen Kirchengemeinde aufgestellt. Dafür ist in der Propsteiordnung eine Frist von sechs Wochen vorgese- 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 15 Chronik Gemeindekongress in Braunschweig Die Landeskirche Braunschweig plant für Oktober 2015 einen Gemeindekongress. Unter dem Motto „Wo zwei oder drei ... - Gemeinde stark erleben“ soll die Veranstaltung am 10. Oktober in Braunschweig den rund 390 Kirchengemeinden im südöstlichen Niedersachsen neue Impulse für ihre Arbeit geben, sagte Oberlandeskirchenrat Thomas Hofer am 20. November bei der Herbsttagung der Landessynode in Goslar: „Es geht um nüchterne Situationsanalyse, aber vor allem um fantasievolle Perspektivarbeit.“ Zudem sei für 2017 anlässlich des 500-jährigen Reformationsgedenkens eine gemeinsame Ausstellung mit dem Braunschweigischen Landesmuseum geplant, sagte Hofer. An dem europäischen Stationenweg der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der im Foto: Agentur Hübner Oberlandeskirchenrat Hofer stellte der Landessynode neue Projekte vor Thomas Hofer. selben Jahr an historische Orte der Reformation führen wird, wollen sich die Paramentenwerkstatt in Helmstedt und die Marktkirchen-Bibliothek in Goslar beteiligen. Die Bibliothek beherbergt unter anderem das älteste erhaltene protestantische Gemeindegesangbuch aus dem Jahr 1524. Außerdem sagte Hofer, die Landeskirche wolle sich verstärkt um den Diakonen-Nachwuchs bemühen. Kürzungsvorgaben hätten in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Landeskirche für junge Diakone kaum noch als möglicher Arbeitgeber im Blick sei: „Der Altersdurchschnitt steigt.“ Diakone arbeiten zum größten Teil in der Kinderund Jugendarbeit. Derzeit sind 55 Diakone in 49 Vollzeitstellen bei der evangelischen Landeskirche beschäftigt. Sie seien im Durchschnitt 48 Jahre alt, sagte Landeskirchenrat Jörg Willenbockel. In den kommenden Jahren gehe es darum, wie jüngere Kräfte gewonnen werden könnten. Seit 2010 waren acht Stellen gekürzt worden. | epd Kritik am Reformationsjubiläum Altbischof Gerhard Müller sieht „protestantische Attitüde, die überholt ist“ Der frühere Braunschweiger Landesbischof Gerhard Müller hat scharfe Kritik an den Vorbereitungen zum Reformationsjubiläum 2017 geäußert. Diese seien geprägt von einer „protestantischen Attitüde, die überholt ist“, sagte er am 8. November in Dresden vor der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Er warnte zudem vor der Verwendung des Begriffs „Reformationsjubiläum“, da dieser viele Menschen in der Ökumene verschrec­ke. Die katholische Kirche spricht von „Reformationsgedenken“. Der ehemalige Leitende Bischof der VELKD griff zudem das im Mai veröffentlichte Papier „Rechtfertigung und Freiheit“ der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an. Das Dokument sei „typisch deutsch und typisch protes- tantisch“. Darin würden wichtige Ergebnisse der internationalen Ökumene nicht zur Kenntnis genommen. Das Papier sei „verfehlt“. In einer Welt, die weitgehend unchristlich geworden sei, müssten die Konfessionen aufeinander zugehen. In „Rechtfertigung und Freiheit“ beschreibt die EKD die theologischen Voraussetzungen und Folgen der Reformation, vor allem die Rechtfertigungslehre von Martin Luther (1483-1546). Müller warf der evangelischen Kirche mit Blick auf das Papier vor: „Wir fühlen uns wohl in der Suppe, die wir gebraut haben.“ Der heute 85-jährige Theologe war von 1982 bis 1993 Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig und von 1990 bis 1993 Leitender VELKD-Bischof. | epd 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 16 Chronik | Forum 25 Jahre Mauerfall In seinem ersten Videoblog für die Evangelische Kirche im NDR hat Landesbischof Meyns an den Mauerfall vor 25 Jahren erinnert. Was heute selbstverständlich ist, wie eine Fahrt nach Dresden oder die EU-Erweiterung, sei eigentlich ein Wunder. Noch heute lösen die Bilder vom damaligen 9. November, wie „Menschen auf die Mauer klettern oder Trabbis an den Grenzübergängen stehen“ bei ihm Gänsehaut aus. Die evangelische Kirche habe bei der Wiedervereinigung eine wichtige Rolle gespielt: „Ohne sie wäre die friedliche Revolution in Deutschland nicht möglich gewesen“, sagt der Bischof. Jetzt gehe es um den Wert der Freiheit. „Aus christlicher Sicht bemisst sich der Wert der Freiheit daran, inwieweit sie Landesbischof Dr. Christoph Meyns. Foto: Klaus G. Kohn Landesbischof Dr. Christoph Meyns im NDR-Videoblog: Freiheit braucht Liebe Platz für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft hat.“ „Einigkeit und Recht und Freiheit sind wichtig“, sagt Meyns. Aber ohne Liebe sei ein Leben in Freiheit wertlos. Der Bischof appelliert an einen entscheidenden christlichen Grundsatz: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Daran müsse sich die Kirche auch in Zukunft messen lassen. Im Wechsel mit dem hannoverschen Landesbischof Ralf Meister, Landesbischof Gerhard Ulrich aus Schwerin, Landesbischof Christoph Meyns aus Braunschweig und dem Oldenburger Landesbischof Jan Janssen produziert die Evangelische Kirche im NDR das Videoformat mit dem Titel „Ansichtssache“ (www.ndr.de/kirche). Kleiner Grenzverkehr Zum Titelthema über das kirchliche Leben in Blankenburg im Ostharz (EP 3/2014) schreibt Mathilde Wormslev aus Braunschweig: Foto: Agentur Hübner Die Missionarischen Dienste unter Pfarrer Herbert Meyer hielten Kontakt zum Besuchsdienst im Regenstein. Die kirchlichen Mitarbeiter erhielten ein Westkonto über die Bruderhilfe. Ich habe selbst eines verwaltet vom ehemaligen Hausmeister der Katharinengemeinde. Als die Schlosskirche von der Welfenfamilie durch Ernst August renoviert wurde, waren wir von der Männerarbeit eingeladen. Es gab also einen regen Austausch. Und es freut mich, dass Sie das Ehepaar Lundbeck erwähnen, die „Als ehemalige Mitarbeiterin von vörde) aufrecht zu erhalten. Wir haben sicher hart gearbeitet haben, um den 1978 bis 1998 in der Männerarbeit gemeinsame Reisen nach Polen und Menschen dort unseren Glauben wieder möchte ich Folgendes ergänzen. Wir Tschechien veranstaltet. Die Advents- näher zu bringen. Dabei denke ich auch haben den kleinen Grenzverkehr viel- treffen in Berlin-Weißensee in der Ste- an die vielen Pfarrerinnen, Pfarrer und fältig benutzt, um den Kontakt zur phanusstiftung waren für alle Seiten ein Ehrenamtlichen, die trotz der WiderPropstei Blankenburg (inklusive Cal- Gewinn. stände der Kirche treu geblieben sind.“ 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 17 Nachgefragt Wie ist es um das Miteinander von Christen und Muslimen im Braunschweiger Land bestellt? Nachgefragt bei: Foto: Privat Pfarrer Janis Berzins, Islambeauftragter der Landeskirche Braunschweig Seit einiger Zeit melden die Medien erschreckende Nachrichten: Die Organisation IS – „Islamischer Staat“ – setzt sich als Terrortruppe ins Bild, die Angst und Schrecken verbreitet. Ist das der Islam? Der „eigentliche“ Islam womöglich? Viele Musliminnen und Muslime, die bei uns im Braunschweiger Land leben, haben es momentan nicht leicht. Sie werden häufig als Anhänger einer inhumanen und grausamen Religion angesehen, die bei nächster Gelegenheit auch in Deutschland ein Kalifat errichten will. Das ist ungerecht. Das Spektrum der bei uns lebenden Muslime ist breit. Es gibt Muslime, die ihre Religion verstehen als Grundlage für ein gutes Miteinander, geprägt von Barmherzigkeit. Und die fragen, wie die Aussagen des Koran und des Propheten Mohammed in der Welt von heute angemessen zu verstehen und zu leben sind. Es gibt auch die Muslime, denen ihr Glaube eine bewährte Tradition ist, überliefertes Glaubensgut, das es zu bewahren und zu beachten gilt, weil es Sicherheit bietet in einer sich immer schneller wandelnden Welt. Für viele ist die Glaubenspraxis auch Teil ihrer kulturellen Identität, Stück einer zurückgelassenen Heimat, sei es in der Türkei, in Bosnien, Syrien, dem Maghreb oder sonst wo in der muslimischen Welt. Es gibt Muslime, die interessiert sind an der Begegnung mit anderen Religionen. Gemeinsame Besuche in Kirchen, Moscheen und Synagogen machen deutlich: Es ist gut, sich kennen zu lernen und voneinander zu wissen. Und wir brauchen in Zukunft mehr solcher Begegnungen. Die große Mehrheit der Muslime in den Moscheegemeinden im Braunschweiger Land ist sich zusammen mit einer Vielzahl islamischer Gelehrter einig: Die Positionen und Handlungen des „Islamischen Staates“ verdienen nicht die Bezeichnung „islamisch“, sondern allenfalls „terroristisch“. Und trotzdem: Es gibt auch bei uns Menschen, die mit dem „Islamischen Staat“ sympathisieren. Deren Weltbild geprägt ist von einer starren Einteilung in gut und böse, schwarz und weiß. Die eine göttliche Belohnung im Jenseits erwarten für ein Töten im Namen Gottes. Es ist erschreckend, dass Menschen so empfinden. Ihnen muss widersprochen werden und ihrem Handeln Einhalt geboten werden. Aber für ein solches Denken sollten wir nicht die Gemeinschaft der Musliminnen und Muslime in ihrer Gesamtheit verantwortlich machen. 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 18 Rezension Religion im Konflikt Ein neues Buch beschreibt die Anfälligkeit des Islam für den politischen Islamismus. Der aber ist mit Demokratie nicht vereinbar. Der Islam gehört zu Deutschland, nehmen wir die rund vier Millionen Muslime als Maßstab, die heute in Deutschland leben. Das entspricht einem Anteil von etwa vier Prozent an der Gesamtbevölkerung. Rund 1,5 Millionen von ihnen sind deutsche Staatsbürger. So ganz genau weiß das keiner, denn die islamischen Gemeinden sind nicht wie die Kirchengemeinden Körperschaften öffentlichen Rechts. Genaue amtliche Statistiken sind ManHamed Abdelgelware. Samad Noch viel geringer als das statistiDer islamische sche Wissen dürfte aber das theologische Faschismus. Wissen über den Islam in der deutschen Eine Analyse. Bevölkerung sein. Häufig beschränkt es Droemer Verlag, sich auf Aussagen, die angesichts aktuMünchen 2014, eller Konflikte über den Islam gemacht 224 Seiten, werden: dass er wie der christliche 18,00 Euro. Glaube eine Religion des Friedens sei und Gewalt ablehne und so weiter. Was wir gerne hören, weil das unserem demokratischen und liberalen Blick auf die Gesellschaft entspricht. Wenn der Islam aber zu Deutschland gehört, müssen wir versuchen, ihn besser zu verstehen. Erst recht, seit der „Islamische Staat“ ein menschenverachtendes Terrorregime errichtet, das auch deutsche Muslime in den Dschihad ruft. Haben wir es hier mit einer ideologisch fehlgeleiteten Form des Islam zu tun? Und wenn ja, warum können sich die Gotteskrieger auf den Koran berufen? Einer, der uns helfen will, den Islam besser zu verstehen, ist Hamed Abdel-Samad. Der gebürtige Ägypter und Mitglied der Deutschen Islam Konferenz hat ein neues Buch geschrieben: Der islamische Faschismus. Darin kombiniert er persönliche Begegnungen und Erfahrungen mit religionskundlichen Erläuterungen. Am Ende gleicht das Buch einer Abrechnung: nicht nur mit dem politischen Islamismus, sondern mit dem Islam insgesamt. Was dem Autor in seiner eigenen Religion fehlt, ist die Bereitschaft, anschlussfähig an die moderne Welt zu werden, an demokratische und freiheitliche Prinzipien. Die Gründe für diesen Mangel sieht er nicht in erster Linie bei den Islamisten von heute. Abdel-Samad diagnostiziert im Islam faschistische Tendenzen, die er nicht nur als aktuelle Deformation versteht, sondern als grundsätzliches Problem. Den Islam könne man nicht verstehen, ohne seinen politi- schen Kern zu begreifen, schreibt er. Der bewaffnete Kampf zu seiner universalen Durchsetzung stamme vom Propheten Mohamed selbst: „Mohamed führte Kriege zum Ausbau und zur Festigung seiner Macht und versprach den Muslimen die Weltherrschaft.“ Diese Kriege und das Streben nach einer Islamisierung der Welt würden von vielen Muslimen als ein „Auftrag Gottes“ verstanden, „der auch 1400 Jahre nach dem Tod des Propheten erfüllt werden muss“. Auch wenn man mit Abdel-Hamad darüber streiten kann, ob die Bezeichnung des modernen Islamismus als Faschismus sinnvoll und zutreffend ist, bietet sein Buch zahlreiche Einsichten, die für den Dialog mit den Vertretern des Islam bedeutsam sind. Dabei muss es darum gehen, ob Gewaltausübung zur Praxis des Islam gehört, ob der Koran offen für eine argumentative Auseinandersetzung ist und ob der Islam Toleranz gegenüber anderen Religionen walten lässt. Nur wenn ein solcher Dialog offen geführt werden kann, nur wenn er auch Kritik zulässt und nur wenn Muslime erkennbar Es muss völlig klar bleiben, dass in Deutschland das Grundgesetz die Basis unseres Staates ist und nicht die Scharia. als Bürgerinnen und Bürger auf dem Boden unseres demokratischen Staates stehen, gehört der Islam nicht nur statistisch, sondern auch kulturell zu Deutschland. Gute Ansätze gibt es. Und deshalb ist es auch die Pflicht der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft, sich gegenüber Muslimen nicht von Ablehnung, Vorurteilen oder gar Hass leiten zu lassen. Gleichzeitig ist es aber auch die Pflicht des demokratischen Staates und aller Demokraten, entschieden den Vorstellungen eines politischen Islamismus entgegenzutreten. Es muss völlig klar bleiben, dass in Deutschland das Grundgesetz die Basis unseres Staates ist und nicht die Scharia. Nur dann können die islamischen Gemeinden und Verbände eine den Kirchen vergleichbare Form der verfassungsrechtlichen Selbstbestimmung geltend machen. Das neue Buch Abdel-Samads nährt Zweifel, ob der Islam in absehbarer Zeit seine Anfälligkeit für den politischen Islamismus überwinden kann. Stattdessen erscheint an seinem Horizont das Schreckensszenario eines neuen, Jahrzehnte dauernden Religionskrieges zwischen der islamischen Welt und dem Westen. Da mag es nicht beruhigen, dass er am Ende Demokratie und Aufklärung als Sieger sieht. Denn der Weg dahin wäre von Blut getränkt. | mic 4 | 2014 Evangelische Perspektiven | 19 Kleine Kirchenkunde Neue Kirchenregierung Foto: Agentur Hübner Haupt- und Ehrenamtliche wirken in der Leitung der Landeskirche Braunschweig zusammen. Eine verantwortungsvolle Aufgabe. Kirchenregierung mit Synodenpräsident (v.l.): Dr. Christoph Meyns, Catarina Köchy, Hans-Peter Vollbach, Christian Wolff, Dr. Peter Abramowski, Otto Schlieckmann, Martin Fiedler, Thomas Gleicher. Die Landeskirche Braunschweig hat eine neue Kirchenregierung. Die Landessynode wählte bei ihrer Tagung in Goslar am 20. November Propst Thomas Gleicher (57) aus Seesen und Pfarrer Martin Fiedler (49) aus Bad Harzburg als ordinierte Mitglieder. Bei den nichtordinierten Mitgliedern entschied sie sich für die Hauswirtschaftsmeisterin Catarina Köchy (55) aus Jerxheim, den Betriebswirt und ehemaligen Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Braunschweig-LüneburgStade Otto Schlieckmann (69) aus Braunschweig sowie den Rechtsanwalt Christian Wolff (53) aus Börßum. Synodenpräsident Dr. Peter Abramowski beglückwünschte die Gewählten und dankte den ausgeschiedenen Mitgliedern der Kirchenregierung für ihre „intensive und fachlich qualifizierte“ Mitwirkung. Die Amtszeit der Kirchenregierung beträgt sechs Jahre. Sie besteht neben den gewählten Mitgliedern zusätzlich aus Landesbischof Dr. Christoph Meyns als Vorsitzenden sowie dem Juristen Oberlandeskirchenrat Hans-Peter Vollbach als nichtordiniertem Mitglied des Landeskirchenamtes. Die Kirchenregierung leitet die Landeskirche, soweit nicht die anderen leitenden Organe (Landessynode, Landeskirchenamt, Landesbischof) zuständig sind. Ihre Aufgaben bestehen insbesondere darin, die Oberaufsicht über alle kirchlichen Stellen in der Landeskirche zu führen sowie notwendig werdende Veränderungen zu planen und zu betreiben. Außerdem bringt die Kirchenregierung Vorlagen für Kirchengesetze in die Beratung der Landessynode ein. Sie erlässt Kirchenverordnungen und beschließt über den Kollektenplan. Darüber hinaus wirkt die Kirchenregierung bei der Besetzung der Pfarrstellen sowie der Stellen mit allgemeinkirchliAufgabe der Kirchenregierung ist es chen Aufgaben mit. Sie ernennt die Pröpstinnen und Pröpste unter anderem, notwendig werdende nach deren Wahl und benennt die Mitglieder der kirchlichen Gerichte. Veränderungen zu planen und an der Außerdem hat die Landessynode Oberlandeskirchenrat Pfarrstellenbesetzung mitzuwirken. Thomas Hofer als Vertreter von Landesbischof Dr. Christoph Meyns gewählt. Für die Generalsynode der Vereinigten Bisher gehörten dem kirchenleitenden Organ an: Prof. Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und Dr. Sabine Brombach (Beierstedt), Pfarrer Andreas Weiß die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) (Blankenburg), Dr. Ekkehard Schulz (Vorsfelde), Pröpstin wurden Pfarrer Harald Welge (Braunschweig) und der langUta Hirschler (Braunschweig) und Wolf-Dieter Kleinschmidt jährige Synodenpräsident Gerhard Eckels (Braunschweig) (Bad Harzburg). gewählt. Kunstwerk zur Reformation Ein besonderes Kunstprojekt zum Thema 500 Jahre Reformation nimmt in Braunschweig Gestalt an. Am 11. Oktober wurde im Braunschweiger Stadtteil Bienrode die Groß-Skulptur „Solus Christus“ des Bildhauers Magnus Kleine-Tebbe enthüllt. Das Werk aus Obernkirchner Sandstein ist mehr als drei Meter groß und vier Tonnen schwer. Es zeigt einen als Lebensbaum gestalteten Christuskopf. Das Kunstprojekt ist eine Kooperation zwischen der Landeskirche Braunschweig, der Karin und Joachim Prüsse Stiftung und dem Bildhauer Magnus Kleine-Tebbe. Schirmherr ist Landesbischof Dr. Christoph Meyns. Bis zum Gedenkjahr der Reformation 2017 werden im Jahresrhythmus drei weitere Kunstwerke Kleine-Tebbes entstehen. Landmarken gleich in offener Landschaft, sollen sie an die vier zentralen Erkenntnisse der Reformation erinnern: allein Jesus Christus, allein die Heilige Schrift, allein durch Gnade, allein durch Glauben. Die weiteren Skulpturen werden bei Salzgitter-Lesse, Groß-Denkte und Hornburg aufgestellt. Die vier Standorte miteinander verbunden, ergeben auf der Landkarte ein Kreuz. Foto: Privat