K 311 Faschismus 17 KZ-System und Vernichtung im Dienst des deutschen Imperialismus „Ein Deutschland, das an uns denkt, wird auch ein besseres Deutschland sein“ Carl von Ossietzky Mitte der Dreißiger Jahre im KZ Esterwegen: „Ob wir überleben, ist weder sicher noch die Hauptsache. Wie man aber später von uns denken wird, ist so wichtig wie, dass man an uns denken wird. Darin liegt auch unsere Zukunft. Danach müssen wir hier leben, solange wir atmen. Ein Deutschland, das an uns denkt, wird auch ein besseres Deutschland sein“. Das bessere Deutschland, die DDR, in dem das Denken an die Kämpfer gegen den Faschismus und an die Leidensgenossen von Carl von Ossietzky Aufgabe und Pflicht, ja ausdrückliche Grundlage des Staates war, ist nicht mehr. Das Denken und Gedenken ist überwiegend Aufgabe von Unten geworden. Die da Oben gedenken das Gedenken – selbst an die Opfer des Naziregimes und an den Widerstand – für Ihre Ziele nutzbar zu machen. Scharping, ehemaliger Kriegsminister, nutzte Auschwitz, um das Eingreifen deutscher Soldaten im Krieg gegen Jugoslawien zu rechtfertigen. Die historisch erkannte besondere Aggressivität des deutschen Imperialismus wird verkleidet in die besondere Verpflichtung, anderen Völkern und Nationen Menschenrechte einzubläuen. Die besondere Brutalität des damals vom Großkapital herbeigewünschten und herbeifinanzierten Naziterrors bei der Unterdrückung von Widerstand wird umgemünzt in die Legitimierung einer „wehrhaften Demokratie“, eines „starken Staates“, der alles Mögliche zur Bespitzelung und Überwachung der Bürger in Form von Gesetzen und Aufrüstung von entsprechenden Polizei- und anderen Apparaten tut – und dabei die NPD hätschelt, finanziert und durch Kader des „Verfassungsschutzes“ direkt unterstützt. Es verdichtet sich der Eindruck, dass der nächste Faschismus als „wehrhafte Demokratie“ und der nächste Krieg als „friedensstiftende Mission“ daher kommen kann. So ist das Ziehen von Lehren aus der Vergangenheit in erster Linie eine Aufgabe, die unterschiedlich nach Klassen und ihren Interessen zu leisten ist: Das Gedenken und Erinnern ist selbst Mittel im Klassenkampf und auf der Seite des Proletariats ein entscheidender Hebel, um sich als Klasse zu begreifen als Voraussetzung, selbst in das Rad der Geschichte einzugreifen im Sinn der großen Emanzipation von Ausbeutung, Unterdrückung und von Menschen selbst geschaffenen Zwängen. Wie konnte es zum Machtantritt der Hitler-Faschisten kommen Clara Zetkin gibt 1932 eine Erklärung: „Die Politik des ‚kleineren Übels’ stärkte das Machtbewusstsein der reaktionären Gewalten und sollte und soll noch das größte aller Übel erzeugen, die Massen an Passivität zu gewöhnen.“ Und so fährt sie in ihrer Rede als Alterspräsidentin zur Eröffnung des Reichstags am 30.8.1932 fort: „Diese sollen darauf verzichten, ihre volle Macht außerhalb des Parlaments einzusetzen. Damit wird auch die Bedeutung des Parlaments für den Klassenkampf des Proletariats gemindert. Wenn heute das Parlament innerhalb bestimmter Grenzen für den Kampf der Werktätigen ausgenutzt werden kann, so nur dann, wenn es seine Stütze hat an kraftvollen Aktionen der Massen außerhalb seiner Mauern.“ Und weiter: „Der Kampf der werktätigen Massen gegen die zerfleischenden Nöte der Gegenwart ist zugleich der Kampf für ihre volle Befreiung. Er ist ein Kampf gegen den versklavenden und ausbeutenden Kapitalismus und für den erlösenden, den befreienden Sozialismus. Diesem leuchtenden Ziel muss der Blick der Massen unverrückt zugewandt sein, nicht umnebelt durch Illusionen über die befreiende Demokratie und nicht zurückgeschreckt durch die brutalen Gewalten des Kapitalismus, der seine Rettung durch neues Weltvölkergemetzel und faschistische Bürgerkriegsmorde erstrebt. Das Gebot der Stunde ist die Einheitsfront aller Werktätigen, um den Faschismus zurückzuwerfen, um damit den Versklavten und Ausgebeuteten die Kraft und die Macht ihrer Organisationen zu erhalten, ja sogar ihr physisches Leben. Vor dieser zwingenden geschichtlichen Notwendigkeit müssen alle fesselnden und trennenden politischen, gewerkschaftlichen, religiösen und weltanschaulichen Einstellungen zurücktreten. Alle Bedrohten, alle Leidenden, alle Befreiungssehnsüchtigen in die Einheitsfront gegen den Faschismus und seine Beauftragten in der Regierung! Die Selbstbehauptung der Werktätigen gegen den Faschismus ist die nächste unerlässliche Voraussetzung für die Einheitsfront im Kampfe gegen Krise, imperialistische Kriege und ihre Ursache, die kapitalistische Produktionsweise.“ siehe: Verhandlungen des Reichstages, VI. Wahlperiode, 1932, Bd. 454, S. 1-3. 1923 hatte sie schon zur Entwicklung des italienischen Faschismus sinngemäß erklärt: Faschismus ist die ganze Rache für die halbe Revolution.1 Sie verweist damit auf die Verantwortung der Sozialdemokratie, sich 1918 für die Bourgeoisie als Bollwerk gegen die proletarische Revolution hergegeben zu haben, um anschließend sich selbst überflüssig zu machen und von rechts verfolgt zu werden. Friedrich Ebert (junior) und andere Funktionäre der SPD im KZ Oranienburg 1933 1 „Anders ist es beim Faschismus. Er ist keineswegs die Rache der Bourgeoisie dafür, dass das Proletariat sich kämpfend erhob. Historisch, objektiv betrachtet, kommt der Faschismus vielmehr als Strafe, weil das Proletariat nicht die Revolution, die in Russland eingeleitet worden ist, weitergeführt und weitergetrieben hat.“ 18 Faschismus Die halbe Revolution von 1918 Die Revolution war in Deutschland beim Sturz des Kaisers stehen geblieben. Die ökonomischen und sozialen Grundlagen waren erhalten geblieben. Im Schutz dieser Strukturen konnten sich die reaktionären Kräfte wieder sammeln, wurden finanziert und konnten sich stärken. Zur Jahreswende 1918/19 hatten sich bei den Arbeitermassen die revolutionären Aktivitäten vervielfacht. Für die kommunistische Partei, gerade erst, viel zu spät, konstituiert, war es aber äußerst schwierig, Gehör bei den Massen zu finden, als es galt, den Verrat der Sozialdemokratie an der Revolution zu erkennen und anzuprangern. So konnte der weiße Terrorfeldzug der Konterrevolution losschlagen. Bestialische Verbrechen wurden an den Beteiligten am Volksaufstand in Berlin im Januar 1919 verübt und die bekanntesten Führer der jungen kommunistischen Partei, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden ermordet. Die Nationalversammlung, als verfassungsgebendes Organ, das die Restauration der alten Macht verankern sollte, hatte sich in die „Idylle“ der militärisch abgeriegelten ehemaligen großherzoglichen Residenzstadt Weimar zurückgezogen. Hier hatten seinerzeit Goethe und Schiller gewirkt. So hofften die „Volksbeauftragten“, durch die Wahl des Tagungsortes der Nationalversammlung die Konstituierung der unter dem Schutz weißgardistischer Banden entstehenden Republik mit dem Nimbus der humanistischen Tradition des deutschen Volkes umgeben zu können. Monopolherren, Junker und Militär stand nicht der Sinn nach Humanismus. Die Weimarer Republik wurde bestimmt durch die Aufholjagd, die der deutsche Imperialismus begann angesichts verlorenem Weltkrieg, Reparationszahlungen an die Sieger, größer werdendem Konkurrenzdruck unter den Monopolen und einer Arbeiterklasse, die sich erfolgreich unter der Führung der KPD zu organisieren anfing. Der Kapp-Putsch 1920, als erster Versuch, die faschistische Diktatur zu errichten, scheiterte jämmerlich an der geschlossenen Front des Proletariats. Es blieb nicht der letzte Versuch. Gegen Ende der zwanziger Jahre zeichnete sich immer deutlicher ab, dass für die Herrschaft der Monopole der einzige Ausweg im Faschismus lag. Der Faschismus kommt nicht über Nacht, sondern durchläuft verschiedene Vorbereitungsetappen. Dimitroff: „Alles das verringert indessen nicht die Bedeutung der Tatsache, dass vor der Errichtung der faschistischen Diktatur die bürgerlichen Regierungen in der Regel verschiedene Etappen durchlaufen und eine Reihe reaktionärer Maßnahmen durchführen, die den Machtantritt des Faschismus vorbereiten und unmittelbar fördern. Wer in diesen Vorbereitungsetappen nicht gegen die reaktionären Maßnahmen der Bourgeoise und gegen den anwachsenden Faschismus kämpft, der ist nicht imstande, den Sieg des Faschismus zu verhindern, der fördert ihn vielmehr.“2 Welche entscheidende Rolle dabei die Einschränkung bürgerlich-demokratischer Freiheiten und Rechte spielte, wollen wir am Beispiel der Schutzhaft aufzeigen. K 311 Schutzhaft in Deutschland vor 1933 Dieser Begriff taucht erstmals im September 1848 im „Preußischen Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit“ und im gleichnamigen Gesetz von 1850 auf. „Mit den ersten beiden Gesetzen erhielt die preußische Polizei nach der Niederschlagung der bürgerlich-demokratischen Revolution die Befugnis zu zeitlich befristeten Inhaftierungen unter dem Vorwand des Schutzes der eigenen Person ... Das Belagerungszustandsgesetz von 1851 ging noch weiter. Es ermächtigte die preußischen Militärbefehlshaber, zeitweise neben anderen Grundrechten auch das der persönlichen Freiheit ... aufzubeben. Rief der zuständige Kommandeur den Belagerungszustand aus, durften Personen unbefristet in „militärische Sicherungshaft“ eingeliefert werden, die keinerlei richterlicher Kontrolle unterlag.“3 Durfte die Polizeihaft bisher nur wenige Tage verhängt werden, so stellt die zeitlich unbefristete Militärhaft eine völlig neue Kategorie dar. Zumeist regional angewandt, zur Niederschlagung von Kämpfen revolutionärer Arbeiter und ihrer Organisationen4, wurde dieses Gesetz nach Ausbruch des 1. Weltkriegs zum Hauptinstrument, um jeglichen inneren Widerstand gegen den Aggressions- und Raubkrieg zu unterdrücken. Und bei den Januarkämpfen 1919 und den späteren Ereignissen (Generalstreiks in Berlin und Mitteldeutschland) waren es tausendfache Misshandlungen und Erschießungen von Revolutionären durch das reaktionäre Militär. Durch Proteste und Streikdrohungen musste die Weimarer Nationalversammlung mit der Verabschiedung der Reichsverfassung vom 11. August 1919 das Belagerungszustandsgesetz aufheben. Doch die juristische Möglichkeit, verfassungsmäßige Grundrechte aufzuheben, blieb unbeschränkt erhalten, was sich änderte, war der Name: Der Ausnahmezustand ersetzte den Belagerungszustand. Und die Zahl der Schutzhäftlinge nahm bei den revolutionären Kämpfen im Jahr 1923 solche Größen an, dass das Militär sie in ehemaligen Kriegsgefangenenlagern oder auf Truppenübungsplätzen einsperrte, die Rede war damals bereits von Konzentrationslagern. Ende der Weimarer Republik griff Franz von Papen erneut auf die Schutzhaft zurück, die „drakonischen Ausnahmebestimmungen“ richteten sich explizit gegen die KPD. Als den Nazis die Macht übertragen wurde, konnten sie daher auf beträchtliche Erfahrungen zurückgreifen, die vorangegangene Regierungen mit „Schutzhaft“ gesammelt hatten. Gleichwohl verwies Ernst Thälmann in seiner letzten Rede vor dem Zentralkomitee der KPD am 7. März 1933 in Ziegenhals auf die zu erwartenden „Steigerungsmöglichkeiten“ bis hin zu „Methoden des äußersten Terrors“: „Masseninternierung von Kommunisten in Konzentrationslagern, Lynchjustiz und Meuchelmorde an unseren tapferen antifaschistischen Kämpfern, insbesondere an kommunistischen Führern – das alles gehört zu den Waffen, deren sich die offene faschistische Diktatur bedienen wird.“ Die folgenden Ereignisse bestätigen diese Voraussage der KPD in der denkbar schlimmsten und leidvollsten Weise. K 311 Faschismus Schutzhaft in der ersten Phase der Machtübertragung Schutzhafterlasse 1933/34 Am 30. Januar 1933 vereidigte Hindenburg ein Koalitionskabinett aus NSDAP, Deutschnationalen und Zentrum unter Hitler und von Papen, der mit seinen Beziehungen zum Adel und in die Spitzen der Industrie für die monarchistischen Tendenzen in den herrschenden Klassen stand , sowie dem Pressezaren Hugenberg, dem ehemaligen Generaldirektor von Krupp. Monopolkapital und NS-Führung hatten allen Grund mit schärfster Gegenwehr der organisierten Arbeiterklasse zu rechnen. Hitler befürchtete auch „schwere innenpolitische Kämpfe und eventuell den Generalstreik. Sicherlich brauche die Wirtschaft Ruhe.“ Somit ging es darum, die beste Gelegenheit zu bestimmen, um mit aller Macht loszuschlagen. Schritt für Schritt wurde ein Klima der Spannung erzeugt. SS und SA stürzten sich noch brutaler auf ihre Gegner. Kundgebungen und Demonstrationen der Kommunisten wurden verboten und befohlen, mit allen Mitteln dort vorzugehen, wo die KPD zum Generalstreik aufrufe. Es folgten das Versammlungs- und Presseverbot und der zusätzliche Befehl, gegen Kommunisten, wenn nötig von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Göring begann, die Gewalt der Polizei mit der Brutalität der Nazischläger zu vereinen, setzte ca. 50.000 Mitglieder der SA, SS und des Stahlhelms als Hilfspolizisten zur Verstärkung der regulären Polizei ein, sanktionierte den Waffenbesitz von SA und SS, indem er anordnete, diesen „nationalen Organisationen Waffenscheine zu geben.“ Zur gleichen Zeit wurden die bereits während der Weimarer Republik angelegten Listen zu verhaftender Kommunisten auf den letzten Stand gebracht und mit Namen linker Intellektueller und Sozialdemokraten ergänzt. Die Monopolisten mahnten wiederholt bei Hitler seine alten Zusagen an. Am 20. Februar sprach Gustav Krupp von Bohlen und Halbach für die bei Hitler zusammengekommenen Unternehmer, dass „es höchste Zeit“ sei, „Klarheit in innenpolitischen Fragen zu schaffen“ und dass „nur in einem politisch starken, unabhängigen Staate Wirtschaft und Gewerbe zur Entwicklung und Blüte kommen könnten“.5 Die Vorbereitungen für den großen Schlag waren getroffen, die Kräfte bereitgestellt und nun kam der geeignete Anlass am 27. Februar 1933: Der Brand des Reichtags. Noch an der Brandstelle frohlockte Hitler gegenüber Papen: „Niemand wird uns nun daran hindern, die Kommunisten mit eiserner Faust zu vernichten.“ Am 28. Februar verkündete Hitler die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“, nach seinem Wortlaut eine „Verordnung zum Schutze der Gesellschaft gegen die kommunistische Gefahr“. Spätestens in den ersten terroristischen Schritten der NS-Diktatur wurde klar: Es ging gegen die Arbeiterbewegung und deren Ideologie. Ausrotten und Zerschlagen des politischen Gegners und seiner Organisationen, progressive Kräfte einzuschüchtern und zu unterjochen, um so das deutsche Volk für eine nach innen und außen verbrecherische Politik gefügig zu machen. Der Terror mit außergerichtlichen Mitteln wurde in Deutschland besonders umfassend und brutal praktiziert. Zu den weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen der Hitlerregierung zählte, das in Deutschland seit der Niederschlagung der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49 in Ansätzen bekannte juristische Instrument der Schutzhaft (siehe oben) extensiv auszuweiten und so den Massenverhaftungen politischer Gegner und deren Einweisung in Konzentrationslager einen legalen Anschein zu geben. Die „Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes“ vom 4. Februar 1933 war den Bedenken gegenüber der Nazidiktatur von Seiten des bürgerlichen Lagers angepasst. Sie sah - zumindest auf dem Papier - eine zeitlich befristete Schutzhaft vor, war auf Fälle begrenzt, in denen zumindest der Verdacht einer Straftat vorlag und ließ ein Beschwerderecht an die Justiz zu. Mit der „Verordnung zum Schutze von Volk und Staat“ vom 28.02.1933, für die man den Reichtagsbrand als Anlass brauchte, wurde der bis zur Zerschlagung des Faschismus währende Ausnahmezustand ausgerufen, anders ausgedrückt, die zwölf Jahre währende deutsche Bartholomäusnacht4 juristisch eingeläutet. Gerichtet gegen Kommunisten und all diejenigen, die mit Kommunisten zusammenarbeiteten oder sie auch nur mittelbar unterstützten, war die Verordnung eine Blankovollmacht für den unbeschränkten Terror der Faschisten. Weder Festlegungen über die formellen Voraussetzungen der Schutzhaft, noch wer befugt war sie zu verhängen, noch wann, wo und wie lange sie zu vollstrecken war. Hinzu kam, dass für eine Reihe von Tatbeständen, u.a. Hochverrat und Brandstiftung, nur noch die Todesstrafe vorgesehen war. Der rapide Anstieg der Häftlingszahlen angesichts der Massenverhaftungen stellte die Naziführung vor erhebliche Probleme, die es zu kanalisieren galt. In fast allen großen Städten, Industriegebieten und Konzentrationspunkten der Arbeiterbewegung entstanden provisorische Haft- und Prügelstätten, in denen Antifaschisten unter primitivsten Bedingungen – zum Teil im Freien auf umzäunten Sportplätzen und Schulhöfen – hauptsächlich von örtlicher SA, aber auch von SS-Stürmen gefangen gehalten und oft grausamen physischen und psychischen Drangsalierungen ausgesetzt waren. Diese lokalen Folterstätten befanden sich meist in belebten Wohngebieten, in denen man die Schmerzensschreie der gequälten Opfer wahrnehmen musste. Diese vorsätzlich herbeigeführte Öffentlichkeit der Brutalität war Bestandteil der Politik, jeglichen Widerstand durch Abschreckung zu brechen. Ihre Existenz bedeutete aber zugleich auch Risiken für das NS-System. Die öffentliche Misshand- 19 Notiz im „Berliner Börsen Courier“ vom 10.3.1933 2 Georgi Dimitroff, Bericht auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale, 2. August 1935 3 Klaus Drobisch, System der NSKonzentrationslager 1933-1939, S. 16 4 Der preußische Innenminister Robert von Puttkammer forderte in seinem Antistreikerlass vom 11. April 1886 die Chefs der Zivilverwaltungen auf, „im Falle eines durch Arbeitseinstellungen veranlassten Aufruhrs sofort bei dem obersten Militärbefehlshaber die Erklärung des Belagerungszustandes ... zu beantragen.“ (Ignaz Auer, Geschichte des Sozialistengesetzes, Nürnberg 1929, S.146) 5 nach Klaus Drobisch aus „Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof“ (IMG) Bd. 35 S. 48 K 311 Faschismus 20 Die faschistische Schutzhaftpraxis war nicht nur ein millionenfacher Verstoß gegen internationale Rechtsgrundsätze, sondern fiel auf vormittelalterliche Rechtsnormen zurück. Dass niemand verhaftet werden darf, ohne die gegen ihn erhobene Beschuldigung zu erfahren und ohne Anspruch auf eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Haft zu haben, war als bindendes Rechtsprinzip einer bürgerlichdemokratischen Ordnung bereits in der Habeas-Corpus-Akte von 1679 verankert worden.6 In gleicher Weise ist als internationales Rechtsprinzip anerkannt, dass die Unantastbarkeit der Persönlichkeit und die Freiheit jedes Bürgers nur durch Gesetz eingeschränkt werden dürfen.7 Die juristischen Normen zur Ausgestaltung der Schutzhaft schrieben die staatliche Willkür nicht nur fest, sondern sie dienten zugleich dazu, den Terror zu organisieren und zu perfektionieren; andererseits waren sie darauf gerichtet, ihn hinter der Hülle der Legalität von Gesetzen zu verbergen.8 lung bewährter Funktionäre und Mitglieder der Arbeiterorganisationen demaskierte die soziale Demagogie des Faschismus. In ihrem Sadismus kannten die SA- und SS-Schergen keine Grenzen, brüsteten sich öffentlich mit ihren Untaten. Oft wurden auch Konservative aus persönlicher Rache verschleppt und misshandelt. Nicht selten wurden hier „alte Rechnungen“ aus den Kämpfen der Weimarer Republik beglichen. Die Bewohner der Umgebung waren gut informiert und schnell wurden die Verantwortlichen im In- und Ausland publik. Einen ähnlichen Platz wie die Marterstätten der SA nahmen die sogenannten Schutzhaftabteilungen in Polizei- und Gerichtsgefängnissen und Strafvollzugsanstalten ein. In ihnen blieben die politischen Häftlinge längere Zeit als in den Prügelhöhlen eingesperrt. Sie waren weit über ihr eigentliches Fassungsvermögen hinaus belegt. Das Regime ging dazu über, in leerstehenden Fabrikgebäuden, Rittergütern, ehemaligen Burgen, Klöstern, Truppenübungsplätzen und Kasernen Konzentrationslager zur längerfristigen Verwahrung politischer Gefangener einzurichten. Terrorstätten, die dem Wesen des deutschen Faschismus von Anfang an am ehesten entsprachen. Hier wurde der Terror in einem bis dahin ungekannten Maße organisiert, perfektioniert und anonymisiert. Zumeist bedeutete für den Häftling schon der erste Schritt in ein Konzentrationslager die absolute Preisgabe seiner Menschenwürde. Hatte sich das Lagertor einmal hinter ihm geschlossen, galt er als vogelfrei: Konzentrationslager dienten dem Nationalsozialismus als eines seiner wichtigsten Mittel zur Herrschaftssicherung. Sie waren Freiheitsentzugsanstalten, in die zunächst ausschließlich politische Gefangene, bald jedoch auch andere, insbesondere aus rassistischen Gründen Verfolgte administrativ und unbefristet eingeliefert wurden, um sie unter Aufhebung aller fundamentalen Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Leben, zu isolieren, zu drangsalieren, bis zum Letzten auszubeuten und sie schließlich in ständig steigendem Maße zu ermorden. Struktur, Anzahl und Opfer dieser Haftstätten unterschieden sich in den einzelnen Etappen der faschistischen Diktatur. Das System der Konzentrationslager 1933-1934: Die Etablierung des Terrorregimes März bis April 1933 6 Im Jahr 1572 waren in der Nacht vom 24. August (dem Namenstag von Sankt Bartholomäus) Tausende von Hugenotten (französische Protestanten) niedergemetzelt worden. 7 Englisches Gesetz zum Schutz der Bürger vor willkürlichen Verhaftungen. Klaus Drobisch, S.28 8 In der Weimarer Reichsverfassung v. 11.8.1919 enthalten 9 Rudolf Diels, Luzifer ante Portas. Es spricht der erste Chef der Gestapo, Stuttgart 1950, S. 257 10 ZSTA Potsdam Das KZ-System entsprang den Folgerungen, die Faschisten und Monopolkapital aus der Niederlage des ersten Weltkrieges gezogen hatten, Friedhofsruhe im Inneren zu schaffen, um unbeeinträchtigt durch Widerstreben in der Bevölkerung und den Streitkräften, die Expansions- und Aggressionspolitik erfolgreich durchführen zu können. Neben den, wie oben erwähnt, unzähligen Folterstätten und den Polizei- und Justizgefängnissen entstanden anfangs meist kleinere Konzentrationslager entweder direkt in den Gerichtsgefängnissen, in Burgen, Schlössern, Fabriken, Arbeitshäusern und Naturfreundeheimen, die aber meist nur Monate bestanden. Gestapo-Chef Diels: „Für die Entstehung der Konzentrationslager gibt es keinen Befehl und keine Weisung; sie wurden nicht gegründet, sie waren eines Tages da. Die SA-Führer errichteten ‘ihre Lager’, weil sie der Polizei ihre Gefangenen nicht anvertrauen wollten oder weil die Gefängnisse überfüllt waren.“9 Letztere Tatsache aber erzwang die Suche nach neuen Standorten. Diese Freiheitsentzugsanstalten hatten anfangs recht unterschiedliche Bezeichnungen, die kaum Rückschlüsse auf den Charakter der Lager zuließen, wie Arbeitsdienstlager, Sammellager, Gefangenenlager, Durchgangslager etc. Schrittweise ab der zweiten Märzhälfte 1933 setzte sich der Ter- minus Konzentrationslager als einheitlicher Begriff durch, wie er bei den großen Lagern Dachau und Oranienburg verwandt wurde. Das 1. Konzentrationslager wurde am 6. März 1933 im thüringischen Nohra, westlich von Weimar errichtet. In der Jugendburg Hohnstein, im Gerichtsgefängnis von Altenberg, Dresden und Leipzig, im Arbeitshaus von Colditz, im Naturfreundheim von Königstein-Halbestadt entstanden die ersten Konzentrationslager in Sachsen. In Hessen wurde am 8. März in Osthofen bei Worms in einer stillgelegten Papierfabrik ein KZ errichtet, in Bayern am 22. März Dachau bei München. Das erste KZ in Preußen entstand am 21. März in Oranienburg. Ebenfalls im März in der Arbeitsanstalt Brauweiler bei Köln, im April in Sonnenburg bei Küstrin, am 11. April Moringen bei Göttingen. In Württemberg existierte ab 21. März das zeitweise größte Konzentrationslager auf dem 800 Meter hohen Heuberg bei Stetten am kalten Markt. Ende März wurden weibliche politische Häftlinge aus Stuttgart in die Frauenlandesstrafanstalt Gotteszell transportiert. Somit entstand dort das erste KZ für Frauen. Mit diesen Lagern war im März/April 1933 der Grundstein für ein ausgedehntes KZ-System gelegt. Trotz aller Schikanen, Willkür, Misshandlungen und Morde musste schon in dieser Zeit ein unmittelbar Beteiligter, nämlich der Heuberger Kommandant feststellen, dass der „Wille der Gefangenen nicht leicht zu brechen sei“. Bis Anfang April waren ca. 30.000 politische Häftlinge in ca. 30 KZs verbracht worden, Ende K 311 April schätzungsweise 50.000. Die Zahl der Konzentrationslager, die 1933/34 kürzere oder längere Zeit existierten, erhöhte sich bald auf das Doppelte. Mai bis Herbst 1933 Bei der Suche nach Standorten für neue Konzentrationslager traten folgende Grundgedanken hervor: Die Lager sollten als ständige Einrichtung in abgelegenen Gegenden errichtet werden, aus Baracken als Häftlingsunterkünften bestehen, über eine größere Kapazität verfügen und manuelle Zwangsarbeit der Gefangenen ermöglichen. Die eifrige Suche nach weiteren Standorten erbrachte als Ergebnis – um nur die bekannt-berüchtigtsten zu nennen – in Sachsen das KZ Sachsenburg, in Preußen Perleberg, Lichtenburg, Hammerstein, Brandenburg, Kemna bei Wuppertal-Barmen, Fulsbüttel, Columbia-Haus in Berlin-Tempelhof und die Moorlager Börgermoor, Esterwegen I und II und später Neusustrum, in Thüringen Bad Sulza. In Württemberg hatten die Nazis Ende Mai 1933 aus dem KZ Heuberg hauptsächlich KPD-Funktionäre zur „Sonderbehandlung“ ins Garnisonsarresthaus Ulm geschleppt, später vorwiegend Sozialdemokraten. Sie alle und das Gros vom KZ Heuberg wurden Ende November in das neu eingerichtete KZ Fort Oberer Kuhberg bei Ulm verbracht. Das KZ Moringen wurde im Oktober 1933 reines Frauenlager. 1934 bis 1936: Festigung und Zentralisierung der Macht Die Vielzahl der Terrorstätten und die mit ihrer Gründung verbundenen verwaltungstechnischen und nicht zuletzt ökonomischen Probleme hätten einer zentralen Lenkung bedurft, die angesichts der damaligen Struktur auf Länderebene erfolgte. Deshalb kam es insbesondere in den drei bevölkerungsreichsten Ländern Preußen, Bayern und Sachsen zu unterschiedlichen Regelungen. Nach dem 28. Februar 1933 setzte in allen Bereichen des nationalsozialistischen Staates eine wahre Flut von Bestimmungen zur Regelung der Schutzhaft ein. Staats- und NSOrgane der verschiedensten Ebenen verfassten Erlasse, Anordnungen, Verfügungen, vorläufige Richtlinien etc. Oder es widersprach eine Order der anderen, was nicht verwunderlich war, angesichts der Vielzahl zentraler und regionaler NSDAP- und Staatsorgane, die sich ebenso wie lokale Machthaber die Befugnis anmaßten, Antifaschisten einzukerkern. An diesem Kompetenz-Wirrwarr war – soweit es die Schutzhaft betrifft – der Führung im Frühjahr 1933 durchaus gelegen. Wer das Foltern und Morden zur Staatsdoktrin erhob, bedurfte juristischer Normen nicht. Da die Schutzhaft vornehmlich in die KZs verlagert werden sollte, entwickelte sich eine Vereinheitlichung der Schutzhaftpraxis in den Ländern, was schließlich zu dem ersten grundlegenden Erlass mit Geltung für das ganze Reichsgebiet vom 12. bez. 26. April 1934 führte. In der Präambel stand: „Da die Zeit für die völlige Beseitigung der Schutzhaft noch nicht reif ist, sehe ich mich zur Abstellung von Missbräuchen veranlasst, über die Verhängung und Vollstreckung von Schutzhaft folgende Anordnungen zu treffen ...“10 Dieser demagogischen Einleitung, die den Eindruck erwecken sollte, die Rechtstellung von Schutzhäftlingen werde Faschismus 21 verbessert, folgte die Zuständigkeitsregelung. In Preußen waren zur Verordnung der Schutzhaft das Geheime Staatspolizeiamt, die Oberpräsidenten, die Regierungspräsidenten, der Polizeipräsident in Berlin und die Staatspolizeistellen zuständig. In den anderen Ländern oblag das den entsprechenden, von den Landesregierungen zu bestimmenden Behörden. Diese Umschreibung verhüllte, dass es sich dabei um die Gestapo handelte. Andere Passagen erläutern, dass die Schutzhaft nicht wegen persönlicher Angelegenheiten (Beleidigungen) zu verhängen sei und Ausländer tunlichst nicht inhaftiert, sondern deren Ausweisung betrieben werden sollte. Letzteres wohl im Hinblick auf diplomatische Proteste und die bevorstehenden Olympischen Spiele. In Preußen unterstanden größere KZs unmittelbar dem Innenministerium. In Bayern wirkte der Politische Polizeikommandeur auf Dachau ein. Osthofen gehörte zur Zuständigkeit des hessischen Staatskommissars für das Polizeiwesen. In Württemberg gab das Innenministerium Anweisungen für das KZ Heuberg. Die Bewachung der Konzentrationslager hatte 1933 mehrheitlich die SA inne, zum Teil gemeinsam mit SS und Polizei. SA und SS, immer noch im Hilfspolizistenstatus, erhielten am 29. Mai eine zusätzliche staatliche Aufwertung: Sie sollten die Erstvernehmungen der Häftlinge vornehmen, sprich „verschärfte Vernehmungen“ durch rücksichtslose Schläger, die der regulären Polizei Zutreiberdienste leisteten. Nachdem sich Himmler als Führer der politischen Hilfspolizei Bayerns am 2. April das KZ Dachau unterstellt hatte, wurde am 11. April die SS als Wachmannschaft eingesetzt und der SSSturmbannführer Hilmar Wäckerle zum Lagerkommandanten ernannt. Die Ausbildung und Bewaffnung der SS-Wachzüge zur paramilitärischen Theodor Eicke, SS-Gruppenführer Theodor Eicke Als Sohn eines Bahnbeamten 1892 geboren, nach abgebrochener Realschule meldet er sich freiwillig 1909 zur kaiserlichen Armee und überlebte den ersten Weltkrieg als Zahlmeister. ‚Schnupperkurs‘ bei der Polizei, dann Polizeischule mit Kommissarprüfung 1919/20, wird aber nicht angenommen und versucht nun als Offiziersanwärter bei der Polizei in Weimar anzukommen, wird wegen republikfeindlicher Umtriebe nach 14 Tagen rausgeworfen, ebenso in Sorau. 1921 nahm ihn Ludwigshafen als Polizeihilfsbeamten. 1923 wechselt er zur Badischen Anilin- und Sodafabrik, die bald darauf zu den IG-Farben-Werken wird, wo er von 1925 bis 1932 im Werkschutz und in der Spionageabwehr wirkt. 1928 NSDAP und SA-Mitgliedschaft, 1933 SS. Führt den SS-Sturm in Ludwigshafen, stellt 80 Bomben her mit Sprengstoff aus dem IG-Farben-Werk, kommandiert 1931 die SS-Standarte in der Pfalz, bis er wegen der Bomben 1932 verhaftet wird. Der Verurteilung zu zwei Jahren Zuchthaus entgeht er durch Vortäuschen einer Krankheit. Führt wieder eine SS-Standarte in politische Kämpfe und flieht schließlich mit Hilfe der SS in München nach Italien, um weiterer Verhaftung zu entgehen, wird kurz davor zum SS-Oberführer befördert. Als Leiter des SS-Lagers Malcasine, beteiligt er sich im Oktober 1932 mit anderen SS-Leuten an der Demonstration in Bozen anlässlich des 10. Jahrestages des „Marschs auf Rom“. Im März 1933 kehrt Eicke in die Pfalz zurück und will mit seinen Gefolgsleuten mit Gewalt die Gauleitung übernehmen. Er wird festgesetzt und zur Untersuchung in die psychiatrische Klinik in Würzburg eingeliefert. Kommt wieder frei nach Eingaben an Himmler und der Beteuerung des Privatdozenten an der Klinik, Werner Heyde, Eicke sei nicht geisteskrank. Wird im Juni 1933 vom SS-Reichsführer zum Kommandanten des KZ Dachau ernannt. 22 K 311 Faschismus Truppe erfolgte durch Polizisten. Wäckerle, unter dessen Kommando unzählige Häftlingsmorde passierten, wurde am 26. Juni 1933 durch den SSOberführer Theodor Eicke ersetzt. Er führte in jeder Hinsicht den Ausbau des Lagers fort. Sein Verbots- und Strafenkatalog für die Häftlinge und seine Dienstanweisungen für die SS-Wachen blieben unübertroffen: Sie erklärten die Häftlinge für vogelfrei, die aus nichtigen Anlässen blindlings und willkürlich erschossen werden durften. Damit kam Dachau eine Doppelfunktion zu: Es spielte eine Vorreiterrolle beim Erproben der das KZRegime bestimmenden SS-Anordnung und es gewann dadurch andererseits immer stärker die Vorbildposition für alle anderen Haftstätten. Am 31. Mai bestimmte Heydrich, dass nun das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapo) entscheide, ob über Festgenommene Schutzhaft verhängt werde. Zum anderen beauftragte Himmler den Dachauer Kommandanten Eicke, im Mai 1934 „mit der Umorganisation der übrigen Konzentrationslager“. In seiner Eigenschaft als Inspekteur der KZs reorganisierte Eicke zunächst die Lichtenburg, die unter SSLeitung stand, und ernannte sich selbst zum Kommandanten. Himmler entzog dem Regierungspräsidenten die Aufsicht über Lichtenburg und unterstellte sie seiner eigenen. Gleichzeitig baute Eicke die Dachauer Wachtruppe zahlenmäßig um das Dreifache auf rund 870 Mann aus und unterzog sie einem intensiven politischen und militärischen Drill. Anfang Juni begann er mit seiner Dachauer Truppe Planspiele für einen schnellen Zugriff und eilige Vorstöße zu üben. Bei der sogenannten Röhm-Affäre gehörte das KZ Dachau zu den Mordstätten, in denen die SA-Führer und bürgerliche Hitler-Gegner umgebracht wurden. Zunächst erschoss Eicke selbst den SA-Chef Ernst Röhm und ließ sich dann vier weitere SA-Leute übergeben. Sogar seine bürgerlichreaktionären Opponenten wie von Kahr und von Schleicher wurden von ihm liquidiert. Die Rivalitäten innerhalb der faschistischen Abteilungen sind nur vordergründige Erklärungen, die verdecken, dass die wirklichen Auseinandersetzungen zwischen Reichswehr und Monopolkapital liefen.11 Im Ergebnis ist festzustellen: Festigung des Naziregimes durch weitere Zentralisierung, Systematisierung und Perfektionierung seines Terrors, besonders in Bezug auf die Konzentrationslager. Die Inspektion der Konzentrationslager (IKL) war Himmler unmittelbar unterstellt. Die zum KZWachdienst eingeteilten SS-Einheiten blieben dem Chef des SS-Amtes beim Reichsführer SS zugeordnet. Die IKL gehörte bald unmittelbar zur GestapoZentrale. Damit zeichnete sich hier – wie bei der Politischen Polizei – die beginnende Verschmelzung zwischen Stellen der SS als Glieder der NSDAP und staatlichen Behörden ab. Eicke übernahm weitere KZs, wie Hohnstein, das, um die SA-Wachmannschaften zu entwaffnen, vom SS-Sonderkommando besetzt und dann aufgelöst wurde. Lager I von Esterwegen ebenso wie Oranienburg wurden besetzt und dann aufgelöst, ebenso Osthofen und Roßlau. Der Drill, den Eicke in der „Dachauer Schule“ ausübte, brachte unzählige Schlächterkreaturen hervor, die später als berüchtigte Kommandanten in anderen KZs wieder zu finden sind: Karl Fritzsch in Auschwitz und Flossenbürg, Franz Xaver Trenkle in Bergen-Belsen, Martin Weiß in Neuengamme, Dachau und Majdanek etc. 1936 bis 1939: Kurs auf Krieg und Vierjahresplan Hitler formulierte in einer umfangreichen Denkschrift die Aufgaben des Vierjahresplans mit dem Ziel: „Das Ausmaß und das Tempo der militärischen Entwicklung unserer Kräfte können nicht groß und schnell genug sein gewählt werden! ... Man hat nun Zeit genug gehabt, in 4 Jahren festzustellen, was wir nicht können. Es ist jetzt notwendig auszuführen, das was wir können. Ich stelle damit folgende Aufgabe: I. Die deutsche Armee muss in 4 Jahren einsatzfähig sein. II. Die deutsche Wirtschaft muss in vier Jahren kriegsfähig sein.“ „Seit dem offenen Aufbau der faschistischen Luftwaffe, dem Wehrpflichtgesetz vom 16. März und dem deutsch-britischen Flottenabkommen vom 18. Juni 1935 beschleunigte der deutsche Imperialismus seine Kriegsvorbereitungen in hohem Grade. Die Bestimmungen des Versailler Vertrags, früher soweit wie möglich umgangen, wurden nun offen durchbrochen. Der hochschnellenden Zahl der Rekrutierten entsprechend, wuchs die Beanspruchung der Wirtschaft für Bewaffnung, Ausrüstung und Unterhalt der Militärmaschine. Besonders in schweren Waffen, in Kriegsgerät und militärischen Bauten, die bisher nur schwer vor den internationalen Überwachungsorganen zu verbergen waren, blühte jetzt die Konjunktur. In Schlachtschiffen und Unterseebooten, Flugzeugen und Flugplätzen, Panzern und schwerer Artillerie meldete das Militär größten Nachholbedarf an.“12 Vom selben Tag wie das Wehrpflichtgesetz ist der Befehl, eine SS-Verfügungstruppe aufzustellen, eine ideologisch und militärisch gedrillte Formation, die sich im Inneren wie nach außen einsetzen ließ. Angehörige der SS-Leibstandarte gehörten dieser Truppe an. Am 12. März 1938 marschierten Wehrmachtsverbände und ein Teil der SS-Leibstandarte in Österreich ein, gefolgt von Gestapo und SD-Leuten. An der Besetzung der tschechischen Grenzgebiete ab 1. Oktober nahmen neben Wehrmachtseinheiten die drei Standarten der SS-Verfügungstruppe und zwei der SS-Totenkopfverbände „Oberbayern“ teil, ebenso bei der Annexion der ganzen Tschechoslowakei am 15. März 1939. Mit dem Übergang zur forcierten Kriegsvorbereitung und den ersten militärischen Abenteuern wurden Polizei, SS, Gestapo und SD noch straffer ausgerichtet. Im Herbst 1936 war die Entwicklung zu einer einheitlich geführten und organisierten Polizei abgeschlossen, wobei die Sicherheitspolizei nach wie vor mit dem Sicherheitsdienst der SS kooperierte. SS-Totenkopfverbände Ab 29. März 1936 hießen die SS-Wachverbände auf Anordnung Himmlers hin SS-Totenkopfverbände. Entsprechend ihren Einsatzorten fasste sie Eicke ein Jahr später zu drei Standarten zusammen: 1 Oberbayern, 2 Brandenburg, 3 Thüringen. Der Erlass Hitlers vom 17. August 1938 legte fest, die Totenkopfverbände seien eine „stehende Truppe“, einmal „zur Lösung von Sonderaufgaben polizeilicher Natur“, zum anderen als Ergänzung der SSVerfügungstruppe, die im Mobilmachungsfall einerseits dem Kriegsheer unterstehen werde, anderer- K 311 seits im Inneren Verwendung finden könne. Von Rudolf Heß kam im November die Anweisung, SALeute für die Totenkopf-Verbände zu werben. In seiner Rede am 8. November 1938 vor Angehörigen der SS-Standarte „Deutschland“ in München endete Himmler mit Folgendem: ... „das Regime werde ... in den nächsten 10 Jahren sicherlich unerhörten Auseinandersetzungen entgegen gehen“; ein „weltanschaulicher Kampf“ entbrenne mit dem „gesamten Juden-, Freimaurer-, Marxisten- und Kirchentum der Welt“, in dem „sie vernichtet werden“. Für dieses Mordziel warben und erzogen die Totenkopfverbände junge Leute der Jahrgänge 1914 bis 1921. Zu den sie prägenden Führern gehörten Karl Koch, später Kommandant des KZs Buchenwald oder Rudolf Höß (Auschwitz), Wilhelm Schubert (Sachsenhausen), Gustav Sorge (Sachsenhausen), Martin Sommer (Buchenwald, Genickschussanlage). Werner Heyde (Würzburger Oberarzt), der Eicke aus der Psychiatrie geholt hatte und nun 1936 beauftragt wurde, als SS-Hauptsturmführer im SS-Totenkopfverband, die psychiatrischneurologische und erbbiologische Überwachung der Konzentrationslager zu übernehmen, da es angesichts der psychischen und körperlichen Minderwertigkeit des weitaus größten Teils der Lagerinsassen besonders dringlich sei. Er war dann Hauptverantwortlicher der Euthanasiemorde. Sadismus, Brutalität, Korruption, Dummheit, innere Leere sind charakteristische Wesensmerkmale von Angehörigen der Totenkopfverbände, die darauf dressiert an wehrlosen Gefangenen Rücksichtslosigkeit, Brutalität und Verbrechen zu erlernen als Vorbereitung für den Einsatz als Aggressoren und Völkermörder, eine der verbrecherischsten Organisationen der Menschheit. Gründung von SS-Betrieben Die KZ-Häftlinge setzte die SS in zunehmendem Maße als Arbeitssklaven ein; denn Himmler und der KZ-Inspekteur hatten „entdeckt“, durch die Häftlingsarbeit könne die SS große wirtschaftliche Vorteile erhalten, und schließlich könne das die ökonomische Basis für das SS-Imperium auch als Wirtschaftsmacht sein. Albert Speer gab unmittelbar den Anstoß, da er für seine monumentalen Nazibauten riesige Mengen an Natursteinen und Ziegeln besorgen musste. Oswald Pohl, SS-Verwaltungschef, gründete im April 1938 die Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH (DEST) in der Nähe von Weimar, ihr folgten bald weitere Niederlassungen in Sachsenhausen, Flossenbürg und Mauthausen. Es folgten dann die Gründung der deutschen Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung GmbH(DAW) und kurz darauf die deutschen Ausrüstungswerke, wiederum von Pohl und Teilhabern aus der SS. Das neue Unternehmen sollte die Werkstätten in den KZs zusammenfassen. Im Juni 1940 folgte die Gründung der Gesellschaft für Textil- und Lederverwertung mbH (Texled)13 Neue Lager Die SS stellte sich auf den Krieg ein, indem sie 1938/39 durch Häftlingskommandos weitere Konzentrationslager bauen ließ: Mauthausen in Osterreich (inzwischen „heim ins Reich“ gebracht), Flossenbürg in Nordostbayern (nahe der Grenze zum Faschismus 23 okkupierten „Protektorat Böhmen und Mähren“) und das Frauen-Konzentrationsleger Ravensbrück nördlich Berlins in der Uckermark. Sie waren extra groß angelegt für möglichst viele Häftlinge. 1936 Sachsenhausen 1937 Buchenwald 1938 Flossenbürg 1938 Mauthausen 1939 Ravensbrück Die neuen Barackenlager sollten für die verschärften sicherheitspolizeilichen Maßnahmen im Kriegsfall bereitstehen, eine ausbaufähige Aufnahmekapazität besitzen und mit dem Arbeitseinsatz in SS-Betrieben einen Beitrag zum Vierjahresplan leisten. Nicht Zucht- und Arbeitshäuser, Wehrschlösser oder Klosteranlagen bestimmten nun den Standort der Lager, sondern Produktionsstätten der Baustoffgewinnung, Granitsteinbrüche und Ziegelwerke. Die geographische Ausrichtung zur Abdeckung aller Landesteile entsprach auch den jeweiligen Etappen der Kriegsführung: Dachau und besonders Mauthausen für die „Heimholung“ Österreichs, Flossenbürg der Annexion der Tschechischen Republik, Gefangene der Gestapostellen in Ostpreußen sollten in Sachsenhausen eingeliefert werden, die südlich der Linie Breslau - Erfurt - Frankfurt a.M. in Buchenwald. Beide Konzentrationslager waren nach den Mobilmachungsplänen im Zuge der forcierten Kriegsvorbereitungen ausdrücklich mit Blick auf den Krieg geplant und errichtet worden. Den Einmarsch in Österreich und in der Tschechoslowakei begleiteten sofortige Festnahmen in diesen Ländern. Kollaborateure, Faschistenbanden und SD hatten bereits vorgesorgt. Doch nicht nur in den annektierten Ländern befürchteten die Nazis Widerstandsaktionen, sondern auch im „Reich“ selbst. Für Verhaftungen „in Spannungszeiten und bei Kriegsauslösung“ hatte die Gestapo die sogenannten A-Kartei angelegt, von Heydrich schon Ende 1935 befohlen. Je nach Gefährlichkeit wurden die in die Kartei aufgenommenen Personen in verschiedene Gruppen eingeteilt. Auffüllen der Lager Im Januar 1938 ordnete Himmler durch einen Runderlass an, in einem „einmaligen, umfassenden und überraschenden Zugriff“ sogenannte Arbeitsscheue zur „Vorbeugehaft“ in Konzentrationslager zu bringen. Diese Aktion wurde im Mai/Juni 1938 durchgeführt und hatte als Hintergrund den Sonderauftrag durch Hermann Göring als „Reichsbeauftragter für den Vierjahresplan“, erteilt an Himmler, mit KZ-Häftlingen „die 200.000 in der Landwirtschaft fehlenden Arbeitskräfte abzudecken.“ Der Terror wurde schrittweise auf weitere Gruppen ausgedehnt. Zur Kategorie des politischen Gegners kam die des „Volksschädlings“. Die massenhafte Einlieferung von „Kriminellen“ (das heißt Personen mit Vorstrafen bzw. kriminell Verdächtig) und „Asozialen“ (das heißt Armen, die das Bild vom „sauberen und fleißigen Deutschland“ beeinträchtigen würden) in die Konzentrationslager verfolgte auch noch andere Ziele. Die bis dahin überwiegenden politischen Häftlinge sollten moralisch erniedrigt und mit „Kriminellen“ und „Asozialen“ gleichgesetzt werden. Unter den neuen Mithäftlingen waren auch Juden, die als „Kriminelle“ oder „Asoziale“ deklariert wurden. So erklärte Himmler in diesem Zusammenhang zynisch auf einem Lehrgang für Wehrmachtsoffiziere: „Darüber hinaus wäre es für jeden einzelnen unerhört instruktiv, so 11 siehe KAZ 310, Kurt Gossweiler, „Der Röhm-Putsch, der keiner war“ S. 26 12 Dietrich Eichholz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft, Bd. 1 S. 14 13 vgl. Ulrich Herbert, die Konzentrationslager Bd. 2 S. 730 f. 24 K 311 Faschismus ein Konzentrationslager einmal anzusehen. Wenn Sie das gesehen haben, sind Sie davon überzeugt: Von denen sitzt keiner zu Unrecht, es ist ein Abhub von Verbrechertum, von Missratenen ... Das sind Leute mit Wasserköpfen, Schielende, Verwachsenen, Halbjuden, eine Unmenge rassisch minderwertigen Zeugs ... So etwas an Typen werden Sie gar nicht für möglich halten. Unendlich viele Vorbestrafte sind darunter, gerade bei den politischen Verbrechern.“ Außerdem spekulierte die SS, auf diesem Weg Spitzel, Denunzianten und Handlanger für ihre Zwecke innerhalb der KZs gewinnen zu können. In Schutzhaft genommen wurden Bibelforscher und Hörer des Moskauer Rundfunks, Emigranten und Fremdenlegionäre. Beim ersten Einmarsch in den österreichischen Staat warfen die Nazis ‚ausländische‘ Staatsbürger in Konzentrationslager. Im annektierten Wien befanden sich beim ersten Transport Minister, Bürgermeister und Polizisten etc. Andere Ausländer traf die Ausweisungshaft in Konzentrationslager, wie Staatenlose oder sowjetische Staatsbürger jüdischer Herkunft. KZ-Haft verordnet wurde bei sogenannten Rasseschändern oder vorbestraften Juden, unabhängig von der Geringfügigkeit der Vorstrafen. Eine nach ihrem Umfang seit 1933 nicht wieder inszenierte Verhaftungswelle löste das Regime beim Novemberpogrom, der Reichspogromnacht 1938 aus. Im Blitztelegramm von Heydrich hieß es: Es seien „so viele Juden – insbesondere Wohlhabende – festzunehmen, als in den vorhandenen Hafträumen untergebracht werden können.“ Sie wurden wieder entlassen, wenn sie auswandern wollten und dafür entsprechend Geld zurück ließen. Bis es dazu kam, waren aber jede Menge an Schikanen zu ertragen, wie Ausreisesperre etc. Häftlinge haben berichtet, dass Tage vor der Reichspogromnacht bereits Platz in den KZs geschaffen wurde, um die zu erwartenden Juden aufnehmen zu können. Ab 1939: Kriegszustand oder A-Fall Das Endziel hatte Hitler schon am 10. Februar 1939 umrissen: Die eine Woche folgende Besetzung der Tschechoslowakei voraussetzend, nannte Hitler als nächstes Opfer den östlichen Nachbarn Polen und die Balkanstaaten. Dies sei bis 1940 zu erreichen, dann müsste Frankreich von der europäischen Landkarte verschwinden und Großbritannien beherrscht werden. Zur weiteren Verwirklichung der deutschen Pläne bleibe der Krieg gegen die SU die letzte und entscheidende Aufgabe der deutschen Politik. Gedanken machten sich die Nazis über die fehlenden Arbeitskräfte in der Industrie, angesichts 9 Millionen Wehrmachtsangehöriger. Die KZs seien im Krieg stärker zu belegen. Fieberhaft wurden Haftgründe gesucht, um die KZs aufzufüllen. Auch wurde von der Errichtung von neuen Lagern gesprochen. Zuerst kam man auf die Übergabe von Justizhäftlingen zurück. Hitler ordnete an, „sämtliche entbehrlichen Sicherungsverwahrten dem Reichsführer der SS zur Verfügung zu stellen“. Polnische Häftlinge, Tschechen, die in Deutschland arbeiteten, kriminell Vorbestrafte und deswegen Wehruntüchtige, sowie alle Nichtsesshaften wurden erfasst und sollten im Mobilmachungsfall in KZs geschleppt werden. Doch nicht nur die Überlegungen, aus den KZs zusätzliche Arbeitskräfte für die Kriegswirtschaft zu bekommen, spielten eine Rolle. Es ging auch darum, Vorsorge für den Alarm-Fall zu treffen. Sämtliche potentielle Gegner mussten „verwahrt“ werden, sollte die Blitzkrieg-Strategie aufgehen. Die Stabilisierung der faschistischen Diktatur war und blieb relativ. So intensivierten sich die Vorbereitungen zu Verhaftungen entsprechend der AKartei im August 1939. Plötzlich berücksichtigt für die A-Kartei wurden auch die Angehörigen der Internationalen Brigaden. Alle Verhaftungen erfolgten dann am 30. und 31. August. Die „Pariser Tageszeitung“ sprach richtigerweise von 60.000 Häftlingen, die zu dieser Zeit in den Konzentrationslagern aufgenommen werden konnten. Zwangsarbeit 1939 bis 1945 „Es besteht ein tiefreichender ursächlicher Zusammenhang zwischen dem allgemeinen Drang des Imperialismus nach billigen Arbeitskräften – ihm ebenso immanent wie der nach Rohstoffen, Absatzmärkten und Kapitalanlagesphären – und der diesbezüglichen Politik und Praxis des deutschen Imperialismus und Faschismus. Die profitable Ausbeutung der Arbeitskräfte fremder Länder, ja Kontinente gehörte zu den hauptsächlichen Kriegszielen des deutschen Monopolkapitals ... Die Formen und Methoden der ,Beschaffung’, Ausbeutung und Diskriminierung ausländischer Zwangsarbeiter von 1939 bis 1945 in Deutschland waren verknüpft mit der Existenz der faschistischen Herrschaft, faschistischer Methoden, des faschistischen Terrorapparats ... Es war ferner der Krieg, der die Anwendung dieser Methoden überhaupt möglich machte...“14 Der Zugriff auf andere Volker, die vollständige Militarisierung der Gesellschaft, das Kriegsrecht und das Missverhältnis zwischen den Kriegszielen und dem Wirtschaftspotential. Schon Anfang 1939, viele Wochen vor dem Einmarsch der faschistischen Wehrmacht in Prag gab es Planungen für den Einsatz von Kriegsgefangenen in der Deutschen Rüstungswirtschaft. Im Mai forderten die Ruhrkonzerne 22000 zusätzliche Arbeitskräfte für den Bergbau an. Tschechoslowakische Arbeiter - keine Kriegsgefangenen, sondern zivile Arbeitskräfte - waren die ersten Opfer der planmäßigen Verschleppung ins Reich zur Arbeit in der deutschen Rüstungswirtschaft. Auf der letzten Sitzung des Reichsverteidigungsrates vor dem Krieg gab Göring den offiziellen Auftrag, die Beschäftigung der Kriegsgefangenen, der KZ-Häftlinge sowie der Insassen von Gefängnissen und Zuchthäusern in der deutschen Kriegswirtschaft vorzubereiten. Die von der deutschen Wehrmacht eroberten und besetzten Länder in West-, Nord-, Südost- und Osteuropa wurden zu einer fast unerschöpflichen Quelle männlicher und auch weiblicher Zwangsarbeiter. Nach Berechnungen des internationalen Militärtribunals gegen die nazistischen Kriegsverbrecher waren von 1939 bis 1945 insgesamt rund 12 Millionen ausländische „Zivilarbeitskräfte“ nach Deutschland verschleppt und mit ihnen etwa ein Drittel aller Arbeitsplätze besetzt. Die Zwangsarbeit der KZ-Häftlinge hatte viele Formen. Anfangs bezog sich ihr Arbeitseinsatz auf die Errichtung der Konzentrationslager mit der K 311 gesamten Infrastruktur, einschließlich der Anlagen für die SS-Wachabteilungen und die Offiziersfamilien. Ferner schuf die SS eine ganze Reihe eigener Betriebe (wie oben erwähnt), die entweder direkt in den Konzentrationslagern Werkstätten hatten oder in deren Nachbarschaft. Schwerste Arbeit für die Häftlinge mit einfachen Werkzeugen und bei mangelhaften oder fehlenden Sicherheitseinrichtungen war Bestandteil der Terrorpraxis der SS. Die Häftlinge sollten moralisch zerbrochen, zur Verzweiflung getrieben werden, um jede Art eines möglichen Widerstandes zu verhindern. Das Motto „Arbeit macht frei“ am Eingangstor vieler KZs ergänzte die SS durch eine sogenannte Umerziehung durch Arbeit. Die SS besaß ein „Wirtschafts-Verwaltungshauptamt“ (W-VHA), das zwar offiziell erst seit dem 1. Februar 1942 bestand, jedoch nur konzentriert und massiert fortsetzte, was bereits seit 1933 praktiziert wurde. 1945 umfasste dann das SS-Wirtschaftsimperium über 150 Werke und Betriebsniederlassungen, meist bestimmt zur Produktion von Waffen und Ausrüstungen für die Waffen-SS, aber auch für die Deutsche Wehrmacht. Von 1938 an wurde die SS zu einer „Dienstleistungs- Agentur“ für die Vermietung von KZ-Häftlingen als Sklavenarbeitskräfte zum Preis von einigen Reichsmark pro Tag. Der Preis, den die Industrie an die SS für die Zwangsarbeit bezahlte, war so berechnet, dass die verminderte Arbeitsleistung der Häftlinge infolge Unterernährung und Überanstrengung einkalkuliert war. Er lag allgemein bei 6 RM für Häftlinge, die als gelernte Facharbeiter galten, und bei 4 RM für ungelernte Arbeitskräfte. Die Kosten für den Unterhalt der Häftlinge, das heißt für die Aufrechterhaltung ihres Lebens, wurden so gering wie möglich gehalten: durchschnittlich 1,22 RM/Tag für Frauen und 1,34 RM/Tag für Männer. Der Chef des W- VHA, der SS-Obergruppenführer Oswald Pohl, war schon vor dieser Funktion verantwortlich für das „Arisierungs-Programm“, d.h. die Beschlagnahme jüdischen Eigentums und seine Verwandlung in Eigentum der SS-Betriebe und für die gesamte Organisation der Zwangsarbeit mit KZ-Häftlingen. Die „Arbeitsgruppe D“ des WVHA verwaltete dann die gesamten Konzentrationslager. Pohl vor dem Militärgerichtshof in Nürnberg 1946: „Die Unternehmen bewarben sich entweder direkt beim Lagerkommandanten oder beim Amt D II, ... das war abhängig von den Verbindungen oder der Situation. Der Lagerkommandant musste dann das Unternehmen besuchen und mit dem Geschäftsführer die Fragen der Bezahlung, der Verpflegung und der medizinischen Versorgung der Arbeiter besprechen. Darüber hatte er dem Amt D II zu berichten. Das Büro DII besprach dann diesen Antrag mit dem Rüstungsministerium und erhielt darüber eine Bescheinigung der Notwendigkeit der jeweiligen Zuteilung. Die soweit bearbeiteten Bewerbungen legte mir Glücks (Chef der Amtsgruppe D) einmal wöchentlich zur Durchsicht vor, und ich bestätigte sie. Erst dann erhielt der Lagerkommandant durch das Amt D II die Anweisung, die Insassen zu liefern.“15 Da die SS für den ständigen täglichen Transport der Häftlinge zu den entsprechenden Betrieben große Schwierigkeiten hatte, wurden während des Krieges viele Außenlager oder Außenkommandos von Hauptkonzentrationslagern direkt in Werks- Faschismus nähe gebaut, manchmal waren sie auch Bestandteil dieser Werke, oder die Konzerne errichteten Zweigwerke in der Nähe von Konzentrationslagern. Obwohl die Faschisten den ganzen mächtigen Überwachungsund Terrorapparat gegenüber ihren Gefangenen einsetzen konnten, rechneten sie doch mit Widerstandsaktionen, hauptsächlich bei Zwangsarbeitern aus dem Osten bei ihren Arbeitseinsätzen in der Industrie. Deshalb verordnete die SS Sicherheitsbestimmungen, die von den Unternehmen zu berücksichtigen waren: Die Arbeitsplätze der Häftlinge sollten deutlich getrennt und in möglichst großer Entfernung von den Arbeitsplätzen der deutschen Werkarbeiter sein. Dazu mussten oftmals die Produktionslinien verändert werden, und das war auch bei den Inneneinrichtungen des Werks der Fall. Die Häftlinge waren in Baracken unterzubringen, deren Gelände mit Stacheldrahtzaun umgeben war und mit Scheinwerfern beleuchtet. Die betreffenden Firmen hatten die Kosten für die Unterkunft und Verpflegung der Häftlinge sowie für die Verpflegung der SS-Wachmannschaften zu tragen, während die SS die Bewacher zu besolden und die Lebensmittel zu besorgen hatte. Es lässt sich denken, dass auch hier auf Kosten der Häftlinge Gewinn gemacht werden konnte. Bestes Anschauungsbeispiel für die Zwangsarbeit in der Industrie war der IG-Farben-Konzern mit seinem Buna-Werk in Auschwitz-Monowitz. Um abzusichern, dass diesem Werk kontinuierlich Zwangarbeiter zugeführt wurden, förderte die IGFarben mit allen Mitteln den Aufbau eines speziellen KZs „besonders für Juden und Polen“. Direktor Ambros von IG-Farben notierte dazu in einem Bericht am 12. April 1941: „... und außerdem wirkt sich unsere neue Freundschaft mit der SS sehr segensreich aus“16 Einer Kette entscheidender Niederlagen an der Ostfront, Stalingrad 1943, folgte die Ausrufung des „Totalen Kriegs“, die Mobilisierung der Wehrmacht und die Steigerung der Kriegswirtschaft, einhergehend mit Forcierung der Zwangsarbeit der KZ-Häftlinge in der Rüstungsindustrie. Himmler erließ dazu am 15. Mai 1943 eine neue Verordnung: Um höhere Leistungen aus den Häftlingen rauszuholen, hatten die Lagerkommandanten die Zahl und die Dauer der Zählappelle einzuschränken, Kantinen und sogar Bordelle für die Häftlinge einzurichten, deren Besuch als Prämie „für besondere Leistungen“ vergeben wurde. Die Frauen in diesen Bordellen waren KZ-Häftlinge aus Ravensbrück und Zwangssterilisierte. Ihre Auswahl durch die SS geschah meistenteils dadurch, dass ihnen nur die Alternative Tod oder Bordell gestellt wurde. In verschiedenen Konzentrationslagern erfolgte die Verrechnung der gestaffelten Prämien mittels „Lagergeld“. Außerdem sollten die Ar- 25 14 Dietrich Eichholz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft Bd.1 S. 94 15 Faschismus-Ghetto-Massenmord, Jüdisches Historisches Institut Warschau, Berlin 1961. 16 Heinz Kühnrich, KZ und Haftanstalten, Dokument A,II S.62 26 K 311 Faschismus beitsleistungen der Häftlinge gesteigert werden durch die zusätzliche Vergabe von Postverbindungen zu Angehörigen und von Paket-Empfangserlaubnissen. Alle diese verschiedenen Maßnahmen der SS-Lagerführungen zielten neben der Steigerung der Arbeitsleistungen auch darauf ab, zwischen den Häftlingen Unterschiede und Widersprüche aufzubauen bzw. zu verstärken. Konkurrenzdenken und -verhalten, Selbstsucht und Egoismus sollten die Solidarität und den Widerstandswillen der Häftlingsgruppen lähmen und zerstören. Ab Mitte 1943 wollten die Nazis die Kriegslage wieder zu ihren Gunsten verändern durch die Produktion von mehr und besseren Flugzeugen und Panzern sowie den sogenannten Wunderwaffen. Für die Häftlinge setzte jetzt ein wahrhaft mörderisches Arbeitstempo ein, das die SS selbst als Vernichtung durch Arbeit bezeichnete. Speziell wirkte sich das beim Bau unterirdischer Rüstungsfabriken für die Flugzeug- und Raketenproduktion (V-Waffen) aus, die nicht durch die alliierten Bombenangriffe gefährdet waren. Im Februar 1944 formierte das Rüstungsministerium den sogenannten Jägerstab, eine neue Institution der Rüstungsproduktion, in der Vertreter des Reichsluftfahrtministeriums und der Flugzeugindustrie zusammenwirkten. Innerhalb eines Monats erreichte dieser Stab in Bezug auf sein Arbeitskräftereservoir, einschließlich von Zehntausenden männlichen und weiblichen KZHäftlingen, den zweiten Platz hinter der „Organisation Todt“ (OT)17. Ein weitgefächertes Netz von unterirdischen Produktionsstätten, meist unter Ausnutzung von Naturhöhlen und Ausschachtungen in mitteldeutschen Höhenzügen, unterstand dem „Jägerstab“ mit Verantwortung der SS für die Organisierung der Arbeitskräfte. Die Verhältnisse, unter denen die KZ-Häftlinge bei diesen Projekten zu arbeiten hatten, waren so schlimm, wie sie es bis dahin nicht gekannt und erlebt hatten. Die Lebensdauer eines Häftlings „veranschlagten“ die Manager der Zwangsarbeit mit neun Monaten, jedoch haben infolge der schwersten Erd- und Gesteinsarbeiten nur wenige Häftlinge dieser Außenlager und -kommandos überhaupt so lange gelebt. Durchschnittlich nach drei Monaten waren sie zu Tode „gearbeitet“. Ellrich, Langenstein-Zwieberge. Heimkehle – die Namen solcher „Bau- und Arbeitskommandos“ sind bei den wenigen Überlebenden Stätten der Erinnerung an absoluten Schrecken und Terror. Gerichtsverfahren gegen Verantwortliche für die Zwangsarbeit endeten mit Verurteilung verschiedener Nazi- und SS-Führer. Der NaziZwangsarbeits-Chef Sauckel und der Chef des SSWirtschafts-Verwaltungs-Hauptamtes Oswald Pohl wurden hingerichtet. Rüstungsminister Albert Speer erhielt 20 Jahre Gefängnis und Heinrich Himmler verübte Selbstmord. Bei den angeklagten Industriellen lagen sehr viele Beweisdokumente vor, dass sie in wachsendem Maße die KZs als einen „Börsenmarkt“, als neue Quelle für Arbeitskräfte ausgenutzt hatten. Doch nur wenige Industrielle wurden verurteilt, und diese wenigen erhielten 1951 durch den USA Hochkommissar John J. McCloy eine Herabsetzung bzw. Umwandlung der Strafe, so dass sie wieder auf freiem Fuß waren. Der Weg zur Shoa „Mit der Kampfansage der Faschisten an das ,Weltjudentum’, das vernichtet werden sollte, war von Anbeginn an die Kampfansage an die realen Feinde des deutschen Imperialismus verbunden: an den ,jüdischen Bolschewismus’, also an die Arbeiterklasse im Lande, v.a. aber an die Arbeiterklasse an der Macht in der UdSSR, deren Macht ja nicht nur gebrochen werden sollte, sondern deren Land und Reichtümer geraubt werden sollten. An das weltweite ,Finanzjudentum’, also an die überlegenen imperialistischen Konkurrenten England, Frankreich und die USA, die ein für alle Mal so vernichtend geschlagen werden sollten, dass sie dem Expansionsstreben der deutschen Monopole nicht mehr im Wege stehen konnten. Jede Maßnahme, die Hitler an die Macht gebracht, dann gegen die jüdische Bevölkerung richtete, hatte entsprechend eine doppelte Funktion: Sie diente der Kriegsvorbereitung im Inneren des Landes und trug gleichzeitig auch immer schon den Keim des Vernichtungskrieges gegen den äußeren Feind in sich. Welche Verbrechen gegen jüdische Menschen wann, wo und in welcher schließlich nicht mehr zu überbietenden Form durchgeführt wurden, hing dabei vom konkreten Kriegsverlauf und damit immer auch von den jeweiligen politischen Kräfteverhältnissen ab, auf die auch der faschistische deutsche Staat Rücksicht nehmen musste.“18 In den ersten Jahren des Nazi-Regimes wurden Juden verhaftet und in Konzentrationslager gebracht, vornehmlich aus politischen Gründen, weil sie Funktionäre bzw. Mitglieder der KPD oder SPD waren oder parteilose konsequente Antimilitaristen wie der streitbare Journalist Carl von Ossietzky. Schon damals gingen die SA-Kommandos gegen Juden besonders brutal vor. Bei der Verfolgung der Juden in Deutschland gingen die Nazis schrittweise vor und schufen zunächst Gesetze für die Ausgrenzung jüdischer Professoren, Dozenten, Studenten und Schüler, für die Einschränkung und den Entzug des Praktizierens jüdischer Ärzte, Rechtsanwälte und Steuerberater und zum Tätigkeitsverbot für jüdische Redakteure und Künstler. Systematisch entzogen sie immer größeren Teilen der jüdischen Menschen die Existenzgrundlage. 1933 verließen etwa 30.000 das Land. Anfang des Jahres 1935, ermutigt durch den Einmarsch ins Rheinland ohne jeden Protest der Großmächte, organisierten sie eine weitere Steigerung der Hetze und des Boykotts gegen jüdische Menschen: Verbot des Besuches von Kinos und Theatern, von Erholungsanlagen und Schwimmbädern. Dann im September, sofort nach dem „Reichsparteitag des Sieges“ beschloss der Reichstag die berüchtigten „Nürnberger Gesetze“: das „Reichsbürgergesetz“ und das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Zum letztgenannten erschien ein zweibändiger Kommentar für die Anwendung des Gesetzes, verfasst vom Oberregierungsrat Dr. Hans-Maria Globke, (1953 Staatssekretär im Bundeskanzleramt). Darin wurde die deutsche Sprache „bereichert“ durch solche Begriffe wie „deutschblütig“ und „dem deutschen Blute artverwandt“, „Volljude“ und „Halbjude“, sogar „Dreiachteljude“ und „Fünfachteljude“! Diese „gesetzliche Grundlage“ für den Antisemitismus als Staatsdoktrin brachte den Übergang von der bisher mehr oder weniger offenen „Arisierung“ K 311 jüdischer Unternehmungen seit 1933 zum großangelegten Feldzug der Enteignung jüdischen Vermögens. Die Kriegsaufrüstung erforderte viel Geld und da waren die rund 8,5 Milliarden RM jüdischen Vermögens (einschließlich des 1938 annektierten Österreichs) im Deutschen Reich „zu erschließen“. Und das völlig legal: Jüdisches Vermögen über 5.000 RM war anzumelden, überwacht von der Zentrale der Deutschen Bank. Ferner erfolgte eine Verordnung über die Registrierung aller jüdischen Gewerbebetriebe. In der Öffentlichkeit forcierten die Nazis die Diskriminierung und völlige Ausgrenzung der jüdischen Deutschen durch die Festlegung, dass Frauen den Namen „Sara“ und Männer den Namen „Israel“ zusätzlich neben ihrem eigentlichen Vornamen zu führen hatten und ihre Kennkarten den Aufdruck „J“ erhielten. Das Jahr 1938 brachte für die Regierung sowohl innenpolitisch wie außenpolitisch ein „Hoch“: Österreich („die deutsche Ostmark“) war erfolgreich „heim ins Reich“ geholt worden. Nunmehr gab es „Großdeutschland“. Und dann im September stimmten die Regierungschefs von Großbritannien und Frankreich im „Münchener Abkommen“ der Abtretung des in der Tschechoslowakei gelegenen Sudetengebietes an Deutschland zu. Alles friedlich, ohne „Blutvergießen“. Diese Stimmung nutzten die Nazis für ein großes Pogrom vom 9./10. November 1938 („Reichskristallnacht“): Zerstörung jüdischen Eigentums und unersetzbarer Kulturgüter, Brandschatzung der Synagogen, Misshandlungen, Plünderungen, Vergewaltigungen und Morde. Zehntausende jüdischer Männer wurden verhaftet und in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau, Sachsenhausen eingeliefert; viele dort zu Tode geschunden. Das war nicht Ergebnis eines „spontanen Volkszorns“, wie die Nazi-Propaganda hinausposaunte, sondern des Wütens von SA- und SS-Horden. Die Haupttaktik des Nazi-Regimes bei der weiteren Verfolgung der jüdischen Menschen nach dem Pogrom bestand darin, Angst zu verbreiten und über „Verordnungen“ von ihnen Kontributionen einzuholen, sowie sie auszuplündern. Göring und Heydrich ließen keinen Zweifel daran, „in irgendeiner absehbaren Zeit ... eine große Abrechnung an den Juden zu vollziehen.“19 Die „Reichszentrale für jüdische Auswanderung“ im Reichsinnenministerium forcierte die Austreibung der jüdischen Menschen mit gleichzeitiger Forderung einer „Auswanderer-Abgabe“. Von 1933 bis 1938 waren schätzungsweise (ohne Österreich) 220.000 jüdische Deutsche ausgewandert, Ende 1938 bis 1. September 1939 kamen 50.000 und 1939 bis 1941 weitere 50.000 dazu. Das in Deutschland verbleibende Eigentum ging zum größten Teil in die Hände von „Ariern“, zum Beispiel Flick, Haniel, Krupp, Mannesmann, Siemens, an große Warenhaus-Ketten sowie an die Deutsche und die Dresdner Bank. Doch nicht nur große Firmen, sondern auch die vielen kleinen Geschäfte wurden arisiert, an denen sich die Kleinbürger gütlich tun durften. Mit Beginn des Krieges am 1. September 1939 wurden die jüdischen Bürger als „Feinde in Deutschland“ behandelt: Ausgehverbot ab 20.00 bzw. 21.00 Uhr; Beschränkungen der Einkaufsmöglichkeiten durch „J“-Kennzeichnung der Lebensmittelkarten; Verbot des Radiohörens und besitzes, des Telefonierens und Zeitungsbezugs. Faschismus Ab 1941 verhängten die Nazis dann das Tragen des berüchtigten „Judensterns“ für alle jüdischen Menschen vom 6. Lebensjahr an und die Verpflichtung zur Zwangsarbeit vor allem in der Rüstungsindustrie. Der Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, erhielt den Auftrag zur umfassenden Vorbereitung der „Endlösung der Judenfrage“. Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD (insgesamt 3.000 Mann) ermordeten 1941 bis 1942 in den besetzten Ostgebieten fast 560.000 jüdische Menschen, einschließlich der dorthin deportierten deutschen Juden. Es begann der Aufbau der Vernichtungslager Auschwitz/Birkenau, Kulmbach/Chelmno, Belzec, Sobibor, Treblinka, Majdanek. Schrittweise wurde bis zum 30. April 1943 allen jüdischen Menschen die Staatsbürgerschaft aberkannt und aller noch verbliebener Besitz fiel an den Nazistaat. Anfang 1942 veranstaltete Heydrich die „Wannsee-Konferenz“, um alle „erforderlichen Maßnahmen“ zur Durchführung der „Endlösung der Judenfrage“ umfassend zu koordinieren. Mit nicht zu überbietendem Zynismus propagierten die Nazis zur gleichen Zeit die Einrichtung eines „Musterghettos“ im nordböhmischen Theresienstadt (Terezin): Film „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ und Besichtigung durch ausländische Journalisten sowie einer Kommission des Internationalen Roten Kreuzes. Das „Judenreferat“ organisierte die „Umsiedlung“ prominenter und alter Juden mit ihren Familien über sogenannte Heimeinkaufsverträge, das heißt Einbringen des gesamten Vermögens. Für Zehntausende war dieses „Vorzugslager“ Todesstätte oder nur Durchgangsstation auf dem Weg zu einem der Vernichtungslager. Als für Nazi-Deutschland der Krieg in das Reichsgebiet zurückkehrte, entschied die SS, alle arbeitsfähigen, noch lebenden jüdischen Häftlinge aus den Vernichtungslagern im Osten – so aus Auschwitz, Groß-Rosen und Stutthof – für die Arbeit in der Rüstungsproduktion nach Mitteldeutschland zu transportieren. Diese „Erfordernisse“ drängten die vorhergehende Vernichtungspraxis zurück. Zunächst wurden die jüdischen Häftlinge nach den Gesichtspunkten der vorhandenen körperlichen Konstitution und den Arbeitsfähigkeiten ausgesondert, aber nach kurzer Zeit wurden auch die anderen jüdischen Häftlinge nach Westen transportiert, um ihre Entdeckung und Befreiung in den Todeslagern zu verhindern, sowie die dort stattgefundenen Massenmorde zu verschleiern. Aus ganz Europa wurden die Juden zusammengetrieben. 1933 lebten allein in Deutschland schätzungsweise 562.000 Juden, von denen etwa 330.000 auswandern konnten. Viele von ihnen wurden jedoch nach 1941 in den nun von der deutschen Wehrmacht besetzten Ländern ergriffen und in die Vernichtungslager deportiert oder kamen als Zwangsarbeiter in Konzentrationslager auf deutschem Boden. Im Jahre 1945 umfasste die jüdische Bevölkerung in Deutschland noch rund 25.000 Menschen, das heißt nur 4,5 Prozent im Verhältnis zu 1933.20 Arbeitsgruppe Faschismus (In der nächsten Ausgabe der KAZ werden wir auf den Weg der Sinti und Roma unter dem NSRegime eingehen) 27 17 Spezialeinheit der Wehrmacht für militärische Bauvorhaben u.a. den Atlantikwall. Im Herbst 1944 gibt es dort 1,5 Millionen Zwangsarbeiter, meist aus dem Osten verschleppt. Die OT war u.a. für die Ausplünderung und für Kunstraub in den besetzten Gebieten verantwortlich. 18 KAZ 300, Antisemitismus, S. 15 19 Kurt Pätzold/Irene Runge, Progromnacht 1938, Berlin 1988 20 G. E. Schafft/Gerhard Zeitler, die Mahn- und Gedenkstätten in Deutschland, 1996