Thüringer Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt

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Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt
- Entwurf -
Thüringer Strategie zur Erhaltung der
biologischen Vielfalt
Stand: 11. Mai 2009
2
INHALT
1. Anlass
3
2. Gründe für die Gefährdung der biologischen Vielfalt
5
3. Biologische Vielfalt in Thüringen
7
3.1 Die Artenvielfalt Thüringens
7
3.2 Zentren der Arten- und Lebensraumvielfalt in Thüringen
8
3.3 Veränderungen der Artenvielfalt
11
3.4 Genetische Ressourcen der Land- und Forstwirtschaft
13
3.5 Die Verantwortlichkeit Thüringens aus globaler Sicht
16
4. Bilanz der Biologischen Vielfalt für Arten und Biotope in Thüringen
23
4.1 Vergleich der Roten Listen von 1994 und 2001
23
4.2 Erhaltungszustand von Arten und Lebensraumtypen nach der
FFH-Richtlinie und EU-Vogelschutzrichtlinie in Thüringen
25
4.3 Bilanz der verschiedenen Naturschutzinstrumente, -projekte
und –maßnahmen und Bewertung ihrer Wirksamkeit
31
5. Bilanz der biologischen Vielfalt in den Landschaftsräumen
Thüringens
38
5.1 Biologische Vielfalt in den Agrarlandschaften
38
5.2 Biologische Vielfalt im besiedelten Bereich
45
5.3 Biologische Vielfalt der Wälder
49
5.4 Biologische Vielfalt der Gewässer
57
6. Leitbild/Zielsetzung 2020
65
7. Aktionsplan bis 2020/Aktionsfelder
68
ANHANG
3
1. Anlass
Auf unserer Erde gibt es eine Vielzahl von Lebensformen. In Folge der variablen Klima- und
Bodenverhältnisse haben sich die unterschiedlichsten Arten herausgebildet. Zwischen diesen
gibt es mannigfaltige Wechselbeziehungen. Die verschiedenen Lebensformen und Lebensräume sind untereinander und mit ihrer Umwelt verbunden und bilden ein weltumspannendes
Netz des Lebens. Wie viele Arten auf unserem Planeten zu finden sind, ist nicht genau bekannt. Die Schätzungen des globalen Artenreichtums schwanken zwischen 3 Mio. und 30
Mio. Arten. Die Unterschiede ergeben sich durch die verschiedenen gewählten Methoden der
Abschätzung. Experten gehen davon aus, dass dies nur ein Bruchteil der tatsächlich vorhandenen Artenvielfalt ist. Allgemein wird eine Gesamtzahl von 14 Mio. Arten angenommen.
Der größte Anteil der Tierarten entfällt mit ca. 1 Mio. Arten auf die Klasse der Insekten. In
der jüngsten Zusammenstellung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) kam
man auf rund 1,75 Mio. beschriebener Arten.
Das Staunen über diese Fülle wird jedoch mittlerweile überlagert von der Sorge um diesen
Schatz der Natur. Zwischen 1970 und 2000 hat die Gesamtzahl der Arten drastisch abgenommen, zahlreiche Ökosysteme sind inzwischen in Gefahr. Das ungebremste Wirtschaftswachstum der Industriestaaten forderte seinen Preis und auch die Länder der besonders artenreichen
Tropen und Subtropen haben begonnen, sich zu Lasten ihrer Natur zu entwickeln. Mit der
fortschreitenden Umweltzerstörung gerieten auch die Wohlfahrtsleistungen der Ökosysteme
zunehmend in den Blickpunkt.
In dieser Situation entstand um 1980 der Begriff „Biodiversität“, zu deutsch „Biologische
Vielfalt“. Darunter fallen alle Erscheinungsformen des Lebens. Es hat sich eingebürgert,
darunter die Gesamtheit der Ökosysteme und Arten, aber auch der genetischen Ausprägungen
innerhalb der Arten zu verstehen.
Vor diesem Hintergrund des fortschreitenden Verlustes an biologischer Vielfalt wurde auf
dem Umweltgipfel der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro 1992 das Übereinkommen über
die biologische Vielfalt (englisch: Convention on Biological Diversity, CBD) verabschiedet.
Mit diesem Übereinkommen wird erstmalig der Schutz der biologischen Vielfalt als ein
gemeinsames Interesse der gesamten Menschheit anerkannt. Das Übereinkommen ist dabei
keine reine Naturschutzkonvention, sondern enthält auch Aussagen zu einer gerechten wirtschaftlichen Nutzung der biologischen Vielfalt. Der völkerrechtlich bindende Vertrag wurde
bislang von 189 Staaten, darunter Deutschland (1993) und der gesamten Europäischen Union
(EU), ratifiziert.
Die wichtigsten Ziele des Übereinkommens sind:
- Erhaltung der biologischen Vielfalt
Der Begriff „Biologische Vielfalt“ umfasst dabei die genetische Vielfalt, die Vielfalt der
Arten und der Lebensräume. Es geht also um den Schutz von Lebensräumen in ihrer
natürlichen oder kulturbedingten landschaftlichen Eigenart und den Schutz von wildlebenden und genutzten Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen in ihrer genetischen Variabilität.
- Nachhaltige Nutzung der Bestandteile der biologischen Vielfalt
Die Vielzahl der nutzbaren Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen ist eine der wichtigsten Produktionsvoraussetzungen der Land-, Forst-, Fischerei- und Ernährungswirtschaft. Ihre nachhaltige Nutzung stellt in der Regel gleichzeitig die beste Voraussetzung
für den Erhalt der Agrobiodiversität* dar. Ihre Nutzung soll nachhaltig erfolgen und darf
nicht zu einem Rückgang der biologischen Vielfalt führen.
4
* Agrobiodiversität ist die Vielfalt der durch aktives Handeln des Menschen für die Bereitstellung seiner Lebensgrundlagen
unmittelbar genutzten und nutzbaren Lebewesen und der damit assoziierten Biodiversität.
- Ausgewogene und gerechte Aufteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung der
genetischen Ressourcen ergeben (englisch: access and benefit sharing, ABS)
Dieses Ziel berücksichtigt, dass die Länder des Südens aufgrund ihres Artenreichtums
reich an genetischen Ressourcen sind, während die Industrieländer über die technologischen Voraussetzungen für eine umfangreiche wirtschaftliche Nutzung dieser
Ressourcen verfügen. Das Übereinkommen sieht u. a. vor, dass die Länder, die die
genetischen Ressourcen beherbergen, angemessen an den Erlösen aus der Nutzung
dieser Ressourcen beteiligt werden.
Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt ist ein Rahmenabkommen, dessen Inhalte
durch alle zwei Jahre stattfindende Vertragsstaatenkonferenzen weiter konkretisiert werden.
Die Vertragsstaatenkonferenz ist das politische Entscheidungsgremium, das durch Ausschüsse
und Arbeitsgruppen unterstützt wird. Die 9. Vertragsstaatenkonferenz hat vom 19. bis 30. Mai
2008 in Bonn stattgefunden. Deutschland hat bis zur nächsten Konferenz 2010 in Japan den
Vorsitz.
Die Vertragsparteien haben sich im Artikel 6 des Übereinkommens verpflichtet, nationale
Strategien, Pläne oder Programme zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen
Vielfalt aufzustellen. Auf EU-Ebene liegen bereits mehrere Aktionspläne zu verschiedenen
Themenbereichen vor, die die biologische Vielfalt betreffen. 2006 wurde die Mitteilung der
Kommission „Eindämmung des Verlustes der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 und
darüber hinaus“ mit einem dazugehörenden Aktionsplan veröffentlicht. Die deutsche Bundesregierung ist ihrer Verpflichtung im November 2007 durch die Verabschiedung einer
nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt nachgekommen. Das BMELV hat aus der
nationalen Strategie eine Fachstrategie für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt für die Ernährungs-, Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft (Agrobiodiversitätsstrategie) abgeleitet.
Während der Auftaktveranstaltung der Thüringer Biodiversitätskampagne am 04. April 2008
hat Herr Minister Dr. Volker Sklenar angekündigt, dass es auch für Thüringen wichtig ist,
sich im wahrsten Sinne nachhaltig mit dem Thema „Biodiversität“ zu befassen. Es wurde
festgelegt, eine speziell auf Thüringen abgestimmte Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt zu entwickeln. Dazu soll zunächst das in Thüringen Erreichte dargestellt,
bilanziert und bewertet werden. Daraus wird sich dann eine strategische Ausrichtung ableiten,
wonach Maßnahmen in den verschiedensten Bereichen zukünftig mit besonderem Gewicht
durchgeführt werden sollen, in denen Thüringen im bundesweiten Rahmen eine besondere
Verantwortung trägt. Dies sind neben den Gipskarstlandschaften die umfangreichen Kalkmagerrasen, die Steppenrasen im Thüringer Becken, aber auch die Mittelgebirge mit den
ausgedehnten Wäldern, Bergwiesen, Fließgewässern und Mooren. Nicht zuletzt gehören dazu
aber auch die Flächen des nationalen Naturerbes einschließlich des so genannten „Grünen
Bandes“. Zu erwähnen sind aber auch spezielle, in Thüringen gezüchtete Haustierrassen, für
die es eine besondere Verantwortung gibt.
Das Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt (TMLNU)
stellt sich damit seiner Verantwortung zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und will
mit dieser Strategie erreichen, dass der weitere Verlust an biologischer Vielfalt kurzfristig gestoppt und bis 2020 deutliche Verbesserungen für Arten, Rassen und Lebensräume erreicht werden.
5
Ziel dieser Strategie soll aber auch sein, über alle Aktionsfelder hinweg alle relevanten
Akteure an der Umsetzung zu beteiligen.
2. Gründe für die Gefährdung der biologischen Vielfalt
Die derzeitige Aussterberate der Arten übertrifft die vermutete natürliche Rate um das einhundert- bis tausendfache und ist vor allem durch menschliches Handeln bedingt. Im Gegensatz dazu ist die Neubildungsrate von Arten im Rahmen der biologischen Evolution vergleichsweise klein.
Auf Grund der ungenauen Schätzung der globalen Artenvielfalt sind Aussagen über die globale Gefährdungssituation nur näherungsweise möglich. Nach der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) von 2006 sind 20 – 23 % der Säugetierarten, 12 % der Vogelarten, 31 %
der Amphibienarten und 60 % aller Ökosysteme weltweit gefährdet. Die damit verbundenen
Ökosystemdienstleistungen, die das menschliche Überleben sichern, haben dadurch in den
vergangenen Jahrzehnten große Schäden genommen.
Pflanzen, Tiere, Pilze und Mikroorganismen reinigen Wasser und Luft und sorgen für fruchtbare Böden. Intakte Selbstreinigungskräfte der Böden und Gewässer sind wichtig für die
Gewinnung von Trinkwasser. Die natürliche Bodenfruchtbarkeit, Kulturpflanzen und Nutztiere sorgen für gesunde Nahrungsmittel. Agrarische, forstliche und aquatische Nutzungssysteme stehen dabei in engen Wechselbeziehungen mit den jeweiligen Ökosystemen.
Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, welche Leistungen die Ökosysteme für den Menschen erbringen.
Dass die biologische Vielfalt auch ökonomische Bedeutung hat, hat der Ökonom Pavan
Sukhdev in einer Studie für die G8-Staaten ermittelt, die bis 2009 vollständig vorliegen wird.
Danach erbringen allein die weltweiten Schutzgebiete Leistungen im Wert von insgesamt 5
Billionen US-Dollar.
Weltweit nimmt auch die genetische Vielfalt innerhalb der Arten stark ab. Erhebliche Datenlücken bestehen vor allem im Bereich der genetischen Vielfalt von wildlebenden Arten.
Umfangreicher ist dagegen die Datengrundlage der genetischen Vielfalt bei den gezüchteten
landwirtschaftlich genutzten Arten. Über Jahrtausende hinweg hat die landwirtschaftliche
Züchtung aus wenigen Ursprungsarten viele tausende Sorten von z.B. Weizen, Reis und Mais
gezüchtet. Heutzutage konzentrieren die Landwirte ihren Anbau auf wenige, unter den jeweiligen Standortbedingungen besonders ertrags- und marktfähige Sorten, so dass viele alte
Landsorten nicht mehr verwendet werden und durch Genbanken und andere geeignete Maßnahmen erhalten werden müssen.
Schranken für den Erhalt der genutzten Vielfalt setzen insbesondere die Ertrags- und
Leistungsfähigkeit der Sorten und Rassen, ihre Eignung für wirtschaftliche Produktionsverfahren und die Qualität der damit erzeugten Produkte. Traditionell angebaute Pflanzenarten stehen häufig in Konkurrenz mit im Ausland billiger erzeugten Importen.
Hinzu kommt, dass in den letzten 30 Jahren weltweit die Zahl der Wissenschaftler, die Arten
erkennen und Artenvielfalt inventarisieren können, drastisch abgenommen hat. Es gibt kaum
Investitionen in taxonomische Projekte und kaum noch Experten für Taxonomie.
In Mitteleuropa, und damit auch in Deutschland und in Thüringen, sind die Artenzahlen
aufgrund des noch nicht kompensierten Verlustes während der Eiszeiten schon natürlicherweise geringer als in vergleichbaren Klimazonen anderer Kontinente oder gar in den tropischen Ländern. In Deutschland kommen 3.378 Arten von Farn- und Blütenpflanzen, ca.
14.400 Pilzarten und ca. 48.000 Tierarten vor. Auf Thüringen bezogen bedeutet dies 2.473
Arten von Farn- und Blütenpflanzen, ca. 10.000 Pilzarten und ca. 30.000 Tierarten. Das sind
rund zwei Drittel aller Tier- und Pflanzenarten Deutschlands auf 4,5 % der bundesdeutschen Gesamtfläche und unterstreicht die nationale Verantwortung von Thüringen
für die Erhaltung dieser Arten.
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Deutschlandweit und auch in Thüringen ist neben der Gefährdung von Arten vor allem auch
die Beeinträchtigung oder Zerstörung von Lebensräumen ein erhebliches Problem, mit dem
gleichzeitig eine Verarmung und Nivellierung von Natur und Landschaft einhergeht. Von den
einheimischen Farnen und Blütenpflanzen Deutschlands sind nach der aktuellen Roten Liste
26,8 % bestandsgefährdet und 1,6 % ausgestorben oder verschollen. Von den einheimischen
Tierarten Deutschlands sind 36 % bestandsgefährdet und 3 % ausgestorben oder verschollen.
Von den in Deutschland vorkommenden Lebensräumen sind 72,5 % gefährdet. Deutschland
erreicht mit diesen Gefährdungsraten die höchsten Werte in Europa. Auf Thüringen bezogen
bedeutet dies (Stand 2001): 45 % aller Arten sind gefährdet, davon 8,5 % ausgestorben oder
verschollen, 50 % der Pflanzengesellschaften sind gefährdet und 85 % der Biotoptypen.
Die Gründe für die Gefährdung von Arten und Lebensräumen sind vielfältig und lassen sich
in zehn wichtige Gefährdungsursachen zusammenfassen:
-
unmittelbare Zerstörung, Zerschneidung und sonstige erhebliche Beeinträchtigungen
von Lebensräumen durch Flächenversiegelung, Siedlungsbau, Verkehrslinien, Energiewirtschaft, Abgrabungen, Trockenlegungen, Verfüllen von Gewässern, Beseitigung
von Landschaftselementen und Nutzungsänderungen in Land- und Forstwirtschaft,
-
intensive Flächennutzung in der Landwirtschaft (z. B. Pflanzenschutzmaßnahmen,
Düngung, mehrfache jährliche Mahd, Einsatz von Wild- und Kleintiere gefährdenden
Mähgeräten, Umwandlung von Grünland in Acker),
-
Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung von ökologisch wertvollen Grenzertragsstandorten (z. B. Magerrasen, Bergwiesen, Feucht- und Nasswiesen), Aufgabe
traditioneller Nutzungsformen, fehlende Nachfrage nach Produkten von alten Landrassen und –sorten,
-
lokale Defizite bei der Waldbewirtschaftung (z. B. zu geringe Anteile von Alters- und
Zerfallsphasen sowie Höhlenbäumen und Totholz, strukturarme Bestände, nicht
standortgerechte Baumarten, unangepasste Forsttechnik und Holzernteverfahren,
Forststraßenbau, überhöhte Wildbestände),
-
Wasserbau (z. B. Begradigung von Fließgewässern, technischer Hochwasserschutz,
Wasserstandsregulierungen und Stauhaltung von Fließgewässern und Wasserstraßen,
Nivellierung von Flussbett und Uferstrukturen durch Ausbau, Aushub und Verbauung),
-
Eintrag von Schad- und Nährstoffen in die Wald-, Offenland- und Gewässerökosysteme,
-
keine nachhaltige Fischereipraxis (z. B. Überfischung, unselektive oder zerstörend
wirkende Fischereipraktiken, Besatz von Gewässern mit nicht standortheimischen
Arten, Bekämpfung von konkurrierenden Arten),
-
Natur belastende Freizeitnutzungen,
-
Klimawandel und
-
Verbreitung invasiver Arten.
7
3. Biologische Vielfalt in Thüringen
Die Biologische Vielfalt Thüringens ist eingebunden in die Natur Mitteleuropas bzw.
Deutschlands. Dabei ist Thüringen in der Tat ein „grünes Herz Deutschlands“, das seinen
bemerkenswerten Reichtum an Arten und Lebensräumen den naturräumlichen Voraussetzungen, insbesondere seiner abwechslungsreichen Geologie, den großen klimatischen
Gradienten vom Thüringer Becken bis zu den Höhen des Thüringer Waldes, der Vielfalt der
historischen Landnutzungen und dem hohen Engagement seiner Bevölkerung, diese durch
gezielte Nutzung und Landschaftspflege zu erhalten, verdankt.
3.1 Die Artenvielfalt Thüringens
Für eine Reihe von Arten ist Thüringen besonders bekannt geworden, so für die bemerkenswerte Vielfalt an Orchideen mit reichen Vorkommen des Frauenschuhs sowie an Ackerwildkräutern, die bundesweit bedeutenden Vorkommen von Kleiner Hufeisennase und Mopsfledermaus, die Wildkatze, der Mittelspecht, der Rotmilan oder die weltweit nur in der Rhön
siedelnde Rhön-Quellschnecke.
Bis in historische Zeit reichende Bemühungen zur Erfassung der hier lebenden Arten weisen
Thüringen als ein Land mit langer naturgeschichtlicher Tradition aus. Detaillierte Darstellungen reichen von alten Florenwerken bis hin zu modernen Verbreitungsatlanten, etwa für
Pflanzen und Heuschrecken. Für weniger gut bekannte Artengruppen gibt es immerhin
Artenlisten.
Eine mit den Namen der Arten untersetzte Gesamtzahl der in Thüringen siedelnden Arten
wurde bisher nicht ermittelt. Für die besser bekannten Artengruppen sind allerdings Rote
Listen erarbeitet worden – die letzten 2001 - in deren Vorfeld stets die Gesamt-Artenbestände
zu ermitteln waren. Allein der Artenbestand dieser besser bekannten Artengruppen umfasst
17.000 Arten.
Tab. 1: Artenzahlen der 2001 auf ihre Gefährdung untersuchten Artengruppen
(Quelle: Rote Listen Thüringens 2001)*
Arten, Anzahl
Artengruppe / Lebensraumtyp
gesamt
Säugetiere inkl. Fledermäuse
75
Brutvögel
164
Kriechtiere
6
Lurche
18
Fische und Rundmäuler
39
Schnecken und Muscheln
204
Webspinnen
626
Asseln
32
Krebse (ausgewählte Familien)
122
Eintagsfliegen
67
Libellen
52
Steinfliegen
63
Heuschrecken
54
Zikaden
447
Land-, Wasser- und Uferwanzen
631
Käfer (ausgewählte Familien)
3.620
8
Hautflügler (Wildbienen, Ameisen und andere)
Köcherfliegen (Trichoptera)
Tagfalter und andere Schmetterlinge
Schwebfliegen und andere Zweiflügler
Farn- und Blütenpflanzen
Moose
Armleuchteralgen und Süßwasser-Rotalgen
Flechten
Großpilze, phytoparasitische Kleinpilze und Schleimpilze
Arten insgesamt
Wirbeltiere
524
202
1.311
946
1.990
748
22
899
4.141
17.003
302
Wirbellose
8.903
Pflanzenarten i. w. S.
7.798
*Die Zahlen der für die Roten Listen bearbeiteten Arten umfassen oft nur einen Teil der vorkommenden Arten der Artengruppe.
Neben den Brutvögeln gibt es so auch viele weitere Vogelarten, die in Thüringen beobachtet werden können – insgesamt knapp
350!
Insgesamt kommen in Thüringen schätzungsweise mindestens 55.000 Tier- und Pflanzenarten
(inkl. Moose, Flechten, Algen, u.a.) vor, davon allein mindestens 28.000 wirbellose Tiere.
Aktuelle Untersuchungen - vor allem von Fachvereinigungen und Naturkundemuseen - lassen
die Zahl der in Thüringen nachgewiesenen Arten auch heute noch wachsen. So stieg die Zahl
der bekannten Käferarten von ca. 4.600 im Jahr 1998 auf 4.982 Anfang 2009. Unübersehbar
ist auch die Zahl der Pilze, die mit etwa 10.000 angenommen wird.
Große Anteile haben auch die „Niederen Pflanzen“ (Algen, Flechten und Moose). So sind von
17.000 weltweit bekannten Süßwasseralgen mindestens 10.000 in Thüringen zu erwarten.
Sind diese blanken Zahlen an sich schon beeindruckend, zeigt ein Vergleich mit den Nachbarländern, dass Thüringen besonders viele Arten aufweist. Bei den Käfern beherbergt lediglich das um ein Mehrfaches größere Bayern (mit seinem Alpenanteil) eine größere Zahl
nachgewiesener Arten.
3.2 Zentren der Arten- und Lebensraumvielfalt in Thüringen
Die Artenvielfalt ist nicht gleichmäßig über Thüringen verteilt, sondern es gibt Naturräume
und Landschaftsausschnitte, die sich durch eine besonders hohe Vielfalt auszeichnen („hotspots“ der biologischen Vielfalt, siehe Abb. 1). Fast ganz Thüringen wäre ohne Zutun des
Menschen mit Wald als natürliche Vegetation bedeckt. Die Rodungstätigkeiten des Menschen
haben eine Kulturlandschaft entstehen lassen, die vielen Arten erst einen Lebensraum
geschaffen hat. In diesen so geschaffenen Lebensräumen haben heute knapp zwei Drittel der
Arten in Thüringen ihren Verbreitungsschwerpunkt. Ein großer Teil der Biodiversität
Thüringens ist daher durch Bewirtschaftung bedingt und kann auch nur durch angepasste
Bewirtschaftung erhalten werden.
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Abb. 1 : Naturräume Thüringens mit höherer Zahl von Arten, für deren Erhaltung Thüringen
eine besondere Verantwortung trägt; Kenntnisstand 2002
x Farn- und Blütenpflanzen
Im Ergebnis einer intensiven Kartierung der Farn- und Blütenpflanzen Thüringens konnten
folgende Gebiete mit einer hohen Pflanzenartenvielfalt selektiert werden: Besonders die
Zechsteinstreifen an Südharzrand und Kyffhäuser, aber auch am Thüringer Wald zeichnen
sich durch einen sehr hohen Pflanzenartenreichtum aus. Weiterhin müssen die MuschelkalkGebiete nördlich und südlich des Thüringer Waldes, der Rhön sowie des westlichen Eichsfeldes hervorgehoben werden. Hier vor allem die Bereiche, die von tief eingeschnittenen
Flusstälern durchzogen werden bzw. an die Buntsandstein-Gebiete angrenzen. Sehr artenreich
sind auch die Keuperlandschaften am Südrand des Thüringer Beckens und im Grabfeld sowie
Teile des Thüringer Schiefergebirges und seines nordöstlichen Vorlandes, vor allem in der
Umgebung von Gera.
Geringe Artenzahlen sind zum einen in den ausgeräumten Agrargebieten des zentralen
Thüringer Beckens und zum anderen in den von Fichten-Reinbeständen dominierten Hochlagen des Thüringer Waldes zu finden.
Für die meisten Tierarten liegen keine flächendeckend repräsentativen Kartierungen der
Vorkommen vor, aus den langjährigen Beobachtungen lassen sich aber Schwerpunkte der
Artenvielfalt erkennen. So liegen für Fledermäuse, Heuschrecken, Libellen und Tagfalter
attraktive Beschreibungen der gegenwärtigen Verbreitung in Thüringen vor. Für die Vögel
wird eine solche Darstellung der Verbreitung gerade erarbeitet.
x Vögel
Bei den Vögeln lässt sich aufgrund ihrer Mobilität, aber auch wegen der Verschiedenartigkeit
der Lebensraumansprüche nur schwer eine räumliche Abgrenzung der Artenvielfalt vornehmen. Die meisten Arten sind aber zumindest zur Brutzeit an spezielle Lebensräume gebunden.
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Zur Zugzeit sind es vor allem die Gewässer und deren unmittelbare Umgebung, die aufgrund
der zahlreichen Durchzügler und Wintergäste eine große Artenzahl aufweisen.
x Säugetiere
Für die Biodiversität der Säugetiere soll beispielhaft die aktuelle Verbreitung von 3 Fledermausarten und 3 anderen Arten beschrieben werden. Die Vorkommen dieser anspruchsvollen
Arten kennzeichnen Räume, die auch von vielen weiteren schutzwürdigen Arten besiedelt
sind.
Die Kleine Hufeisennase hat in Thüringen einen Verbreitungsschwerpunkt, wobei das mittlere
Saaletal wiederum besonders bedeutsam ist. Für die Nordfledermaus bieten Höhlen im
Thüringer Gebirge wichtige Winterquartiere. Das Große Mausohr ist weit verbreitet, hebt sich
aber durch beachtlich große Wochenstubenquartiere in verschiedenen Landesteilen hervor.
Für die Wildkatze stellen die Wälder im Südharz, im Eichsfeld und in den nordwestlichen
Randhöhen des Thüringer Beckens bis hin zum Nationalpark Hainich ein Refugium dar, in
dem sie die Zeiten starker Verfolgung überdauern konnte und von wo sie sich wieder ausbreiten kann. Der Fischotter war dagegen ausgestorben und besiedelt Thüringen gegenwärtig
wieder. Der Feldhamster besitzt in Thüringen bundesweit bedeutsame Bestände. Dies ist
sowohl aus der besiedelten Fläche als auch aus den – wenigstens regional – noch relativ
hohen Siedlungsdichten herzuleiten. Zudem beherbergt Thüringen als Besonderheit auch
Schwarze Hamster.
x Tagfalter und Heuschrecken
Bei den Tagfaltern und Heuschrecken heben sich hinsichtlich der Artenvielfalt die Bereiche
Kyffhäuser/ Hainleite/Südharzrand, die Muschelkalklandschaften um Arnstadt und Jena sowie
der Bereich Vorderrhön/Meininger Muschelkalk/Grabfeld hervor. Diese Gebiete stellen auch
Zentren der Artenvielfalt für weitere Artengruppen mit vielen wärmeliebenden Arten des
Offenlandes dar. Die rein zahlenmäßig ermittelten Schwerpunkte der Vielfalt werden auch
durch das Vorkommen herausragender Tagfalterarten charakterisiert: so hebt sich der Kyffhäuser durch Berghexe und Blaukernauge heraus. Der Arnstädter Raum ist Verbreitungsschwerpunkt für den Skabiosen-Scheckenfalter und den Streifenbläuling. Im Meininger
Muschelkalk kommt der Kreuzenzian-Ameisenbläuling, in der Rhön die Berghexe, im Grabfeld mehrere sehr seltene Scheckenfalter und Bläulingsarten vor. Dies sind alles Tagfalterarten, die andernorts fehlen oder selten sind. Es gibt aber auch Räume, mit insgesamt
geringerer Tagfalterartenzahl, die für die Vielfalt in Thüringen von hoher Bedeutung sind, so
das östliche Thüringer Schiefergebirge mit der Oberen Saale, wo Fetthennenbläuling und
Violetter Feuerfalter in guten Beständen leben.
x Libellen
Die großen und mittleren Fließgewässer haben durch Verbesserung der Wasserqualität in
jüngster Zeit ihre ursprüngliche Funktion als Libellenlebensräume wieder erhalten. Nach den
Prachtlibellen, die bereits nach 1990 wieder häufiger wurden, sind aktuell weitere Flusslibellen dabei, Thüringen wieder zu besiedeln. Die Bedeutung der traditionsreichen Fischteiche um Plothen, im Altenburger Land, im Sonneberger Unterland oder um Ilmenau sowie
der eher zerstreut vorhandenen weiteren Teiche ist insgesamt hoch.
Gräben spielen ebenfalls eine große Rolle für Thüringer Libellen. Hier sind vor allem die
Gräben in den Flussauen und -niederungen von Unstrut, Gera und Helme bemerkenswert,
zumal deren Umgebung oft ausgesprochen artenarm ist. Arten wie Helm-Azurjungfer und
Vogel-Azurjungfer besitzen hier deutschlandweite Vorkommensschwerpunkte und auch der
Kleine Blaupfeil kommt regelmäßig vor.
Gewässer in ehemaligen Abbaugruben können ebenfalls wertvoll sein, wie dies z. B. für die
ehemaligen Torfstiche bei Mühlberg, die Herbslebener Teiche oder die Gewässer im Kalk-
11
steinbruch Caschwitz oder in Restgewässern im Altenburger Land belegt ist. Bedeutsam sind
auch alle noch vorhandenen Moorgewässer und die Hochmoore des Thüringer Waldes mit der
Alpen-Smaragdlibelle und Zwischenmoore, z. B. bei Bad Klosterlausnitz, wo die Arktische
Smaragdlibelle lebt.
Die angeführten Beispiele zeigen, dass je nach den Ansprüchen der Arten sehr verschiedene
Landschaften und Biotope Bedeutung besitzen. Es muss aber betont werden, dass auch kleinflächige Bereiche mit geringen Artenzahlen für die Biodiversität von Bedeutung sind, wenn
sie letzte Refugien darstellen. So sind in Thüringen z. B. Salzstellen, Stromtalwiesen, Blockhalden, Gipskarst- oder Keuperstandorte, Quellen, Bachoberläufe und Moore, oft nur von sehr
geringer Größe und wegen der extremen Lebensbedingungen meist nur von wenigen Arten
bewohnt. Allerdings sind die vorkommenden Arten oft höchst gefährdete Spezialisten, die nur
hier leben können. Manchmal weist ein Anstieg der reinen Artenzahl in diesen Biotopen sogar
auf eine Verschlechterung des Zustandes hin.
In Thüringen kommen etwa 90 Biotoptypen vor. Über 80 % dieser Biotoptypen wurden in der
Roten Liste als gefährdet eingeschätzt. Für die Erhaltung der Artenvielfalt besitzen die Biotoptypen eine unterschiedliche Bedeutung. Verschiedene mitteleuropäische Lebensräume
besitzen einen Verbreitungsschwerpunkt innerhalb Thüringens. Eine besondere Verantwortung besteht für die Erhaltung naturnaher Waldbiotope, unter denen die Buchenwälder von
Natur aus in Thüringen eine herausragende Rolle spielen. Zu nennen sind vor allem die
Orchideen-Kalkbuchenwälder und Waldmeister-Buchenwälder, aber auch HainsimsenBuchenwälder auf sauren Böden in verschiedenen Höhenlagen. Darüber hinaus besitzt
Thüringen beachtliche Reste von Eichen-Hainbuchenwäldern, die ihre Entstehung vielfach
historischen Waldnutzungsformen verdanken. Bedeutende Vorkommen gibt es auch von
Erlen-Eschen-Auwäldern, Schlucht- und Blockhaldenwäldern sowie von Trockenwäldern.
Unter den Biotoptypen des Offenlandes sind vor allem die Kalk-Trocken- und Halbtrockenrasen hervorzuheben. Sie reichen von den kontinental getönten Steppenrasen des Kyffhäusers
über die orchideenreichen Halbtrockenrasen der Umgebung Jenas bis zu den ausgedehnten
Kalkmagerrasen der Vorderrhön. Im Komplex mit diesen stehen trockene Staudenfluren,
Trockengebüsche, Streuobstwiesen, an Steilhängen Kalk-Fels- und -schuttfluren sowie in den
atlantisch getönten Bereichen auch Wacholderheiden und Kalktuff-Quellen. Letztere liegen
oft in engem Kontakt mit kleineren Kalk-Flachmooren.
Auch für die Erhaltung oft angrenzender, meist skelettreicher Kalkäcker besitzt Thüringen
eine besondere Verantwortung. Neben Sachsen-Anhalt verfügt Thüringen über die bedeutendsten Binnensalzstellen Deutschlands und auch über ein sehr repräsentatives Vorkommen von
Schwermetallrasen an den Bottendorfer Hügeln. Bemerkenswert sind ebenfalls die Häufungen
von Erdfällen in den Gipskarst- und einigen Buntsandsteingebieten. Darüber hinaus liegen
bedeutende Vorkommen von verschiedenen Biotopen der Mittelgebirge, wie Bergwiesen
(Gebirgs-Frischwiesen und Borstgrasrasen), Silikat-Felsfluren (insbesondere in Durchbruchstälern), Bergbächen und einigen Regenmooren, in Thüringen.
3.3 Veränderungen der Artenvielfalt
Die Artenvielfalt Thüringens unterliegt einem zeitlichen Wandel. Schon in vorhistorischer
Zeit wurde sie durch Zuwanderer oder eingeschleppte Arten bereichert. Eine erste „Invasion“
erfolgte mit der Etablierung der Landwirtschaft in der Jungsteinzeit, eine zweite nach der
Entdeckung Amerikas und eine dritte mit dem zunehmenden Warenaustausch nach der
Industrialisierung. Die klimatischen Bedingungen in Thüringen haben aber bisher die Etablierung weiterer fremder Arten verhindert.
12
Dieser Entwicklung der Arten steht ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts ein zunehmender
Verlust vieler Arten und Vorkommen gegenüber. So sind große Teile der Artenvielfalt
Thüringens inzwischen bedroht. In so genannten Roten Listen werden die gefährdeten
Arten Thüringens aufgelistet. Vor allem infolge von Veränderungen der Landnutzung steht
knapp die Hälfte aller Arten auf der Roten Liste.
Tab. 2: Übersicht zur Gefährdung der Tiere, Pflanzen, Pflanzengesellschaften und
Biotope im Jahr 2001 (Quelle: Rote Listen Thüringen 2001)
gefährdete Arten und Anzahl (Anteil in %)
Artengruppe / Lebensraum
Arten/
Typen
gesamt
gesamt
Von Aussterben/
Ausgestorben/vernich- Vernichtung
bedroht
tet
Wirbeltiere
302
31
32
164
(11)
(11)
(54)
Wirbellose
8.903
838
912
4.383
(9)
(10)
(49)
Pflanzen einschl. Pilze
7.798
582
466
3.090
(8)
(6)
(40)
Pflanzengesellschaften
633
16
49
318
(3)
(8)
(50)
Biotoptypen
87
1
9
74
(1)
(10)
(85)
Die Roten Listen zeigen die Gefährdungsschwerpunkte für einzelne ökologische Gruppen auf.
Gefährdet sind danach besonders Arten, die an Lebensräume mit extremen Standortbedingungen gebunden sind, wie sehr trockene, nasse oder nährstoffarme Biotope. Mehrfach
werden Arten der Trockenbiotope hervorgehoben, obwohl Thüringen aus bundesweiter Sicht
für diese einen Verbreitungsschwerpunkt darstellt und für ihren Schutz daher eine besondere
Verantwortung trägt. Auch Arten anderer Lebensräume, die in Thüringen jedoch schon immer
etwas seltener waren, werden aufgeführt, wie Bewohner von Mooren, Binnensalzstellen oder
von Sandlebensräumen (Blatthornkäfer, Blattkäfer, Farn- und Blütenpflanzen). Immer wieder
werden Bewohner von Auenbiotopen als besonders gefährdet hervorgehoben, da fast alle
thüringischen Auen mit ihren Flüssen durch den Menschen strukturell und hinsichtlich ihrer
Standortsqualitäten extrem verändert wurden.
Besiedler nährstoffarmer Lebensräume sind von großräumigen Nähr- und Schadstoff-einträgen besonders betroffen. Hierzu zählen epiphytisch wachsende Pflanzen (Flechten- und
Moosarten), bestimmte Schneckenarten, aber auch Mykorrhizapilze und mykorrhizaabhängige Arten der Farn- und Blütenpflanzen (z. B. Orchideen und Bärlappe).
Zu den gefährdeten Arten zählen oft Arten, die die Übergangsbereiche (Ökotone) zwischen
unterschiedlichen Lebensräumen besiedeln. Etliche Arten sind auch auf besondere Biotopstrukturen angewiesen. Teilweise sind ganze spezialisierte Artengruppen ausgestorben, so z.
B. sämtliche Arten der Mittelwälder unter den Tagfaltern. Auch Totholzbewohner sind
besonders hervorzuheben, da sie in verschiedenen Artengruppen einen hohen Anteil der
gefährdeten Arten bilden.
Unabhängig von den Vorkommen in speziellen Lebensräumen lässt sich bei den Vögeln eine
zunehmende Gefährdung der Arten in der Agrarlandschaft beobachten. Davon sind auch
(noch) häufige Arten betroffen, wie z. B. die Feldlerche.
13
Mit dem Klimawandel ist mit einer natürlichen Ausbreitung südlich verbreiteter Arten
(Libellen, Schmetterlinge und Vögel) und der Einbürgerung vieler vom Menschen eingeschleppter wärmebedürftiger Arten zu rechnen. Früher nur gelegentlich aus dem Mittelmeerraum einwandernde Arten kommen zunehmend in Thüringen zur Vermehrung. Auffällig ist
zum Beispiel die zunehmende Häufigkeit von Libellen, wie dem Kleinen Granatauge oder der
früher unbekannten, jetzt aber regelmäßigen Vermehrung des Südlichen Blaupfeils und der
Feuerlibelle in unseren Gewässern. Bei den Schmetterlingen sind es Wanderfalter wie der
Admiral oder das Taubenschwänzchen, die ehemals nur zur Vermehrung einwanderten, jetzt
aber zunehmend bei uns überwintern. Bei den Vögeln können die ersten Bruten des Bienenfressers beobachtet werden, dessen Verbreitungsschwerpunkt in Süd- und Südosteuropa liegt.
Dagegen werden heimische Arten mit geringen Temperaturansprüchen der kühl-feuchten
Biotope verdrängt werden. Bei einigen Artengruppen kann mit einer Zunahme der
Artenvielfalt in Thüringen gerechnet werden, wobei unter den Neubürgern (Neobiota) auch
viele vom Menschen unerwünschte Problemarten sind, wie die hoch allergen wirkende
Beifuß-Ambrosie oder die mit der Ausbreitung von Zecken- oder Mückenarten assoziierten
Krankheitserreger.
3.4 Genetische Ressourcen der Land- und Forstwirtschaft
Die nachhaltige Nutzung der Bestandteile der biologischen Vielfalt ist eines der drei Leitziele
des Rio-Übereinkommens. Agrobiodiversität ist dabei die Grundlage jeglicher Erzeugung von
Pflanzen und Tieren in der Land- und Forstwirtschaft.
Genetische Ressourcen der Land- und Forstwirtschaft sind die Erbanlagen der Rassen, Sorten
und Linien aber auch der genutzten wildlebenden Arten. Sie bergen das Innovations- und
Anpassungspotenzial der Erzeugung an sich verändernde Umwelt-, Produktions- und
Marktbedingungen.
Hinsichtlich der Landwirtschaft sind Rassen, Sorten und Linien das Ergebnis der Züchtung
kultivierter bzw. domestizierter Arten. Durch Züchtung bzw. Auslese wurde und wird
biologische Vielfalt mittels Kombination von genetisch fixierten Eigenschaften verbreitert
und die Arten werden mittels Sorten und Rassen an die jeweiligen Erzeugungs- und
Erzeugnisanforderungen angepasst. Arten und Sorten folgen in ihrer Bedeutung damit den
sich wandelnden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Erhaltung der genetischen
Ressourcen der Landwirtschaft in ihrer gesamten Breite ist das entscheidende Reservoir für
züchterischen Fortschritt. Die Thüringer Landwirtschaft beherbergt ein breites Spektrum von
Nutztier- und -pflanzenarten, Rassen bzw. Sorten.
Als Anpassungsprodukte sind Rassen und Sorten regional geprägt. In Thüringen als Land mit
kleinräumig differenzierten Standortbedingungen sind über die Jahrhunderte viele bodenständige Züchtungen entstanden. In vielen Fällen ist ihre wirtschaftliche Bedeutung nur noch
gering, so dass sie als bedrohte genetische Ressourcen gelten, für die Thüringen eine
besondere Bedeutung hat.
Hinsichtlich der Forstwirtschaft spielt die direkte Züchtung wegen der Langlebigkeit von
Waldbäumen hingegen nur eine sehr untergeordnete Rolle. Allerdings bestehen erkennbare
Unterschiede von Waldbeständen in der Wuchsleistung oder der Widerstandsfähigkeit gegen
Stress- und Schadfaktoren, die im Rahmen der nachhaltigen Waldbewirtschaftung gezielt zu
nutzen sind. Hierbei spielen Kenntnisse über natürliche Selektionsprozesse und dadurch
entstandene/entstehende standortsangepasste Herkünfte eine wichtige Rolle. Nach schlechten
Erfahrungen der Nichtbeachtung dieser genetischen Anpassung an spezifische Standortbedingungen (z. B. bei der Verwendung von breitkronigen und damit besonders schneebruchgefährdeten Fichten aus dem Tiefland in höheren Berglagen, wo sich im Zuge der natürlichen
Selektion schmalkronige Herkünfte herausbilden) unterliegt das Inverkehrbringen von
14
forstlichem Vermehrungsgut bereits seit einigen Jahrzehnten strengen gesetzlichen
Vorschriften (EG-Richtlinie über den Verkehr mit forstlichem Vermehrungsgut,
Forstvermehrungsgutgesetz). Durch vergleichende Untersuchungen der Wuchsleistungen oder
Widerstandsfähigkeiten verschiedener Herkünfte und durch Auswahl geeigneter Samenbäume
bzw. Waldbestände auf phänotypischer Basis wird die Forstvermehrungsguternte auf
besonders hochwertige Waldbäume bzw. Waldbestände gelenkt. Im Bewusstsein der
Bedeutung eines breiten genetischen Spektrums der Waldbäume für Anpassungsprozesse an
sich ändernde Umweltbedingungen nimmt dabei die Sicherung der genetischen Vielfalt und
entsprechende Vermeidung von „genetischen Flaschenhalsentwicklungen“ eine herausragende Rolle ein.
x
Genetische Ressourcen der Landwirtschaft
Alte Landrassen und –sorten besitzen häufig nur eine beschränkte Ertrags- und
Leistungsfähigkeit oder erfüllen die Qualitätsanforderungen der Märkte nicht. Damit ist ihre
Erhaltung nicht mit den aktuellen Erzeugungsverfahren zu gewährleisten.
Daher wurde die Erhaltung genetischer Ressourcen außerhalb ihrer natürlichen Lebensräume
(Ex-situ) entwickelt. Sie ergänzt die In-situ-Erhaltung am natürlichen Standort, z.B. von
standorttypischen Grünlandgesellschaften und –arten in ihren natürlichen Lebensräumen. Eine
spezielle Form ist die On-farm Erhaltung der vom Aussterben bedrohten Rassen und Sorten,
meist im Rahmen von Fördermaßnahmen (z.B. KULAP 2007).
- Zucht- und Nutztiere
Allgemein bekannt und dem Namen nach leicht in ihrer Herkunft zu identifizieren ist die
Thüringer Wald Ziege. Robustheit, Milchleistung und ein mittelrahmiger Körper waren die
Ziele dieser einzigen eigenständig in Deutschland gezüchteten Ziegenrasse. Sie wurde meist
in kleinen Beständen zur Eigenversorgung gehalten.
Das Rhönschaf gilt als besonders genügsame, an die rauen klimatischen Bedingungen der
Höhenlagen angepasste Rasse, liefert aber nur mäßige Woll- und Fleischerträge. Eine
Bestandessicherung war daher nur in Verbindung mit der Förderung des Einsatzes in der
Landschaftspflege möglich. Ein Zuchtprodukt der jüngeren Zeit, das stark von den
Marktanforderungen geprägt wurde, ist das in Thüringen entstandene Merinolangwollschaf.
Die Zucht heimischer Nutztierrassen, die auf Grund ihrer marginalen wirtschaftlichen
Bedeutung und der Bestandsentwicklung als bedroht gelten, wird in Thüringen im Rahmen
des KULAP 2007gefördert (siehe Abschnitt 5.1).
Besonders viele Rassen entstanden in Thüringen beim Hausgeflügel. So gibt es allein 13
Thüringer Farbentaubenrassen, die neben speziellen Zeichnungsmerkmalen wie
„Weißkopf“oder „Weißschwanz“ auch ihre Herkunft im Namen tragen. Neben den
Farbentauben sind Schmalkaldender Mohrenköpfe, die Altenburger und Schmöllner
Trommeltauben sowie die Thüringer Kröpfer auf besondere Federstruktur, spezielle
Lautäußerungen bzw. Balzverhalten gezüchtete Taubenrassen.
Thüringer Barthühner und Ruhlaer Federfüßige Zwergkauler sind im Thüringer Wald
entstandene Hühnerrassen. Letztere sind genetisch schwanzlos.
Ein absolutes Kleinod der Thüringer Geflügelzucht ist die Steinbacher Kampfgans, eine
mittelgroße weidefähige Gans mit schmackhaftem Fleisch, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts gezüchtet und auch für Ganterkämpfe eingesetzt wurde.
Auch fünf Kaninchenrassen sind in Thüringen erzüchtet worden. Die Rassen Thüringer,
Weißgrannen, Alaska und Blaue Groß-Silber zählen zu den mittelgroßen Rassen. Das
Rhönkaninchen wird den kleinen Kaninchenrassen zugeordnet.
15
Die Zucht des gesamten Rassegeflügels und der Rassekaninchen war und ist neben der
Freizeitbeschäftigung auch ein Beitrag zur Bereicherung des Speiseplans der Familien.
Die Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft trägt in enger Kooperation mit den
Zuchtorganisationen zum Erhalt der traditionellen Nutztiervielfalt bei. Auf der Grundlage
einer bundesweiten Zusammenarbeit erfolgt der Austausch von Zuchttieren, die
Konservierung von Sperma und Embryonen, um kleinere, inzuchtgefährdete Bestände zu
schützen und weiter zu entwickeln.
- Kulturpflanzen
Bei landwirtschaftlichen Kulturpflanzen sind z.B. mit der Ackerbohnensorte „Fribo“, der
Luzernesorte „Bendelebener“ ehemals weit bekannte Züchtungen in Thüringen entstanden.
Erfurt war ein über Deutschland hinaus anerkanntes Zentrum der Züchtung von Gemüse- und
Zierpflanzensorten. Hier ist eine breite Palette an Sorten entstanden, etwa bei Sommerastern,
Ringelblumen, Petunien oder Goldlack. Aber auch bei Erbsen, Blumenkohl, Radieschen oder
Buschbohnen und bei Majoran, Johanniskraut oder Pfefferminze entstanden zahlreiche
Sorten. Weiterhin existiert im Rahmen der auch heute noch aktiven Dahlienzüchtung ein
Bestand an alten Sorten und Wildarten, der in die aktuelle Züchtungsarbeit einfließt. Zu
nennen sind ebenso die Rosenzüchtungen im Raum Bad Langensalza und die Bestände an
Streuobstsorten, die z. T. regionalen Charakter haben. Besonders in Südthüringen und im
Kyffhäuserkreis gibt es Aktivitäten zur Neubelebung des Streuobstanbaus. In Thüringen sind
auch Sorten mit überregionaler Bedeutung entstanden, wie die „Nordhäuser Winterforelle“ als
qualitativ hochwertige Winterbirne.
Heute auf den Feldern selten anzutreffende Kulturen, wie Waid, Lein oder Mohn besaßen in
der Vergangenheit regionale Verbreitungsschwerpunkte in Thüringen.
Der Feldanbau alter und seltener Kulturarten sowie Landsorten ist unter heutigen Bedingungen nur dann realisierbar, wenn die Anbauverfahren beherrschbar sind und wirtschaftlich
tragfähige Verwendungsmöglichkeiten bestehen bzw. finanzielle Nachteile durch
entsprechende Förderprogramme ausgeglichen werden können. Die Thüringer Landesanstalt
für Landwirtschaft zeigt in Zusammenarbeit mit Landwirten und Industrie wirtschaftliche
Verwendungsalternativen auf. Das betrifft beispielsweise die Vermarktung im Ökolandbau
oder die Verwertung als nachwachsender Rohstoff.
x
Genetische Ressourcen der Forstwirtschaft
Etwa 50 einheimische und eingebürgerte Baumarten kommen in Deutschlands Wäldern vor.
Davon unterliegen 26 Baumarten, die Hybridlärche und die Gattung Pappel den Bestimmungen des Forstvermehrungsgutgesetzes: Für diese Baumarten bestehen ausgewiesene
Herkunftsgebiete auf Grundlage der forstlichen Standortsgliederung sowie die Forderung
nach behördlich zugelassenem Ausgangsmaterial für die Forstvermehrungsguternte.
In Thüringen sind aktuell 1.158 Saatgutbestände auf 5.302 ha für die Ernte von „ausgewähltem“, 8 Samenplantagen auf 18 ha für die Ernte von „qualifiziertem“ und 4 Pappel-Mutterquartiere auf 2 ha für die Ernte von Vermehrungsgut forstbehördlich zugelassen. 10 Plantagen wurden für 7 Baumarten neu angelegt. Darüber hinaus werden durch den bundesweit
operierenden Verein „DKV - Gütegemeinschaft für forstliches Vermehrungsgut e.V.“
besonders wertvoll erscheinende Erntebestände, an die deutlich höhere Anforderungen
gestellt werden als die gesetzlichen Mindestnormen, als Sonderherkunft ausgeschieden und in
16
einem zentralen Register geführt (siehe: http://www.dkv-net.de/). Hierbei werden auch
Baumarten berücksichtigt, die nicht dem Forstvermehrungsgut unterliegen. Die DKV hat in
Thüringen insgesamt 42 entsprechende Sonderherkünfte für 18 Baumarten anerkannt.
Vor dem Hintergrund der Bestandesentwicklungen (Ernteeignung) und zur Sicherung der
genetischen Vielfalt ist die Anerkennung von Saatgutbeständen eine Daueraufgabe.
Neben der Sicherung herkunftsgerechten hochwertigen genetischen Materials für die
forstwirtschaftlichen Hauptbaumarten wie z. B. Buche, Eiche und Fichte ist die genetische
Vielfalt insbesondere im Hinblick auf die Erhaltung selten gewordener Mischbaumarten
bedeutsam.
Im Rahmen eines ersten Bundeskonzeptes wurden in den Forstverwaltungen der Länder
Erhaltungsmaßnahmen für eine Vielzahl seltener Baum- und Straucharten eingeleitet. Die
Landesforstverwaltung hat bereits 1998 ein Generhaltungskonzept für Thüringen erarbeitet.
Das Konzept bezieht sich auf einheimische Baum- und Straucharten und bewährte
fremdländische Baumarten, die in ein komplexes System von in-situ- und ex-situ-Erhaltungsmaßnahmen einbezogen werden. Das Generhaltungskonzept differenziert die Notwendigkeit der Generhaltungsmaßnahmen nach Arten und Dringlichkeit. Bis auf Berg- und
Feldulme sowie Feldahorn sind bei allen Baumarten der Dringlichkeitsstufe 1 „vordringlich“
(Hochlagenfichte, Höhenkiefer, Weißtanne, Eibe, Wildapfel, Wildbirne, Elsbeere, Schwarzpappel) spezielle Generhaltungsmaßnahmen (Erhaltungspflanzungen sowie Anlage von Generhaltungssamenplantagen) realisiert worden. Inzwischen sind weitere Baumarten (Breitblättr.
Mehlbeere, Speierling, Vogelkirsche) in die Dringlichkeitsstufe 1 aufgenommen worden.
3.5 Die Verantwortlichkeit Thüringens aus globaler Sicht
Mit der festgestellten Artenvielfalt hat Thüringen eine besonders hohe Verantwortung für ihre
Erhaltung. Klar ist aber in Anbetracht dessen auch, dass Schwerpunkte beim Schutz zu setzen
sind.
Rote Listen haben sich als Messinstrument für den Zustand der biologischen Vielfalt bewährt.
Sie liefern Aussagen zur Gefährdung und damit unmittelbar zur Schutzbedürftigkeit von
Arten in einem Bezugsraum, wie Thüringen oder Deutschland. Aus dieser regionalen
Sichtweise ergeben sich aber auch Grenzen in der Anwendbarkeit Roter Listen. Zur
Bestimmung der Schutzwürdigkeit von Arten und damit der Festlegung von Prioritäten im
Arten- und Biotopschutz müssen zusätzliche Kriterien herangezogen werden.
Eines der wichtigsten Kriterien hierfür stellt die Verantwortlichkeit für die Erhaltung von
Arten und Lebensräumen aus globaler Sicht dar. Erst durch die Beachtung dieses Aspektes
wird es möglich, auch die überregionale Situation der Arten und Lebensräume gebührend zu
berücksichtigen. Diesem Aspekt wurde lange nur ungenügend Beachtung geschenkt. In einer
Studie der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie und des Thüringer Fachbeirates
für Arten- und Biotopschutz aus dem Jahr 2002 wurde die Artenvielfalt Thüringens erstmalig
nach diesen Kriterien bewertet. Besonders schutzbedürftig sind danach:
Ź 12 Endemiten,
Ź 25 Arten mit sehr kleinem mitteleuropäischen Areal,
Ź 32 Arten mit hochgradig isolierten Vorkommen und
Ź 7 Arten mit weltweiter Gefährdung (nach IUCN red list).
Die wenigen Endemiten, d.h. Arten, die weltweit nur in Thüringen und angrenzenden
Bereichen vorkommen, sind in der folgenden Tabelle 3 dargestellt. Das außeralpine
Mitteleuropa ist aufgrund seiner Landschaftsgeschichte sehr arm an Endemiten. Deshalb ist
auch die Zahl in Thüringen vorkommender Endemiten gering.
17
Tab. 3: Endemiten Thüringens; aktuelle Gefährdung, gesetzlicher Schutzstatus, Biotopbindung und Lage der aktuellen
Vorkommen.
GeBiotopbindung /
Vorkommen in Thüringen
Art
RLT setz
Erhaltungsmaßnahmen
FFH
Rhön-Quellschnecke
2
Quellen und Quellbäche /
Hohe Rhön, Vorderrhön
(Bythinella compressa)
Quellenschutz, Verhinderung der
Eutrophierung
Berg-Blattkäfer
3
Bergwiesen, frische Säume, Wiesen
Mittlerer Thüringer Wald, Hohes
(Oreina alpestris ssp.
in Bachauen / behutsame
Thüringer Schiefergebirge –
Frankenwald, Hohe Rhön, Harz
Offenhaltung
polymorha)
Schmalblättriges
2
§
Halbtrockenrasen / Schafhutungen,
Zechsteingürtel Südharz
Brillenschötchen (Biscutella
ggf. Gehölzbeseitigung
laevigata ssp. tenuifolia)
Breitblättrige Mehlbeere
R
Trockenwälder u. –gebüsche /
insb. Werrabergland – Hörselberge,
(Sorbus latifolia agg.)
ggf. Lichtstellung
Ilm – Saale – Ohrdrufer Platte,
Braunflockiger Wulstling
1
wärmebegünstigte Laubmischwälder Hainich-Dün-Hainleite,
(Amanita brunneoconulus)
über Kalk / Fortsetzung historischer
Innerthüringer Ackerhügelland
Waldnutzungsformen
Weiterhin die Kleinarten Rubus exarmatus, R. jansenii, R. perlongus, R. saxonicus, R. schorleri, R. thuringensis der Echten
Brombeere (Rubus fruticosus agg.) und Taraxacum rutilum des Sumpf-Löwenzahns (Taraxacum palustre agg.)
Erläuterungen: RLT: Rote Liste Thüringens, „1“: Vom Aussterben bedroht, „2“: Stark gefährdet, „3“: Gefährdet, „R“: Extrem selten
(Gefährdungskategorien nach FRITZLAR & WESTHUS 2001); Gesetz/FFH: gesetzlicher Schutz nach § 10 Abs. 2 BNatSchG, „§“: besonders
geschützt, „§§“: streng geschützt; II: Art des Anhangs II der FFH-Richtlinie, IV: Art des Anhangs IV der FFH-Richtlinie
Ein sehr kleines mitteleuropäisches Areal besitzen 25 Arten (Tab. 4). Diese Gruppe verdient
in besonderem Maße unsere Aufmerksamkeit, da gerade hier die Arten zu finden sind, die
wegen teils weiter Verbreitung in Thüringen (trotz hoher Gefährdung in angrenzenden
Regionen) bisher von Seiten des Naturschutzes wenig beachtet worden sind. Sie sind am
besten hier zu schützen und zu erhalten.
Tab. 4: Arten mit sehr kleinem mitteleuropäischen Areal; aktuelle Gefährdung, gesetzlicher Schutzstatus, Biotopbindung und
Lage der aktuellen Vorkommen.
GeBiotopbindung /
Vorkommen in Thüringen
Art
RLT setz
Erhaltungsmaßnahmen
FFH
Feldhamster, melanistische
1
§§ Äcker / Strukturvielfalt erhöhen
Innerthüringer Ackerhügelland
Mutante (Cricetus cricetus)
IV
Zwergheideschnecke
1
Trockenrasen auf Kalk und
Innerthüringer Ackerhügelland mit
(Trochoidea geyeri)
Gipskeuper / Offenhaltung
Randplatten, Zechsteingürtel
Kyffhäuser
Gemeine Plumpschrecke
3
hochgrasige wärmebegünstigte
vor allem Süd-Thüringen, Thüringer
(Isophya kraussii)
Magerrasen, Wiesen und Säume /
Wald-Vorland, Mittleres Saaletal
behutsame Offenhaltung
Elfenspornzikade
1
salzige Feuchtstellen mit Carex
Gera-Unstrut-Niederung (Salzwiesen
(Kelisia minima)
distanz / Offenhaltung
Luisenhall)
Kyffhäuserzikade
1
wärmebegünstigte Trockenhänge /
In D nur im Zechsteingürtel
(Psammotettix inexpectatus)
Offenhaltung
Kyffhäuser
Hellbraunroter Blattkäfer
3
lichte Wälder, frische Waldsäume /
Ilm-Saale-Ohrdrufer Platte, Hainich(Chrysolina rufa)
Erhaltung lichter Wälder
Dün-Hainleite (Hainich)
Purpurner Blattkäfer
2
lichte, frische Wälder /
Mittlerer Thüringer Wald, Hohes
(Chrysolina purpurascens)
Erhaltung lichter Wälder
Thüringer Schiefergebirge
Bergbach-Blattkäfer
*
schattige Bachauen in Wäldern,
Mittlerer Thüringer Wald, Hohes
(Sclerophaedon orbicularis)
Quellstellen
Thüringer Schiefergebirge –
Frankenwald, Harz
Wohlgenährter Großaugen*
kühl-feuchte Bereiche der höchsten
Mittlerer Thüringer Wald, Hohes
Erdfloh (Minota obesa)
Lagen, enge Bachtälchen
Thüringer Schiefergebirge, Harz
Steppenwiesen-Blutströpfchen
2
§
wärmebegünstigte, halbschattige
Meininger Kalkplatten
(Zygaena angelicae ssp.
Halbtrockenrasen, Kiefernwälder,
ratisbonensis)
Säume / behutsame Offenhaltung
Schwebfliegen-Art
R
Trockenrasen / unbekannt
Zechsteingürtel Kyffhäuser
18
Eumerus longicornis
Stengelloser Tragant
(Astragalus exscapus)
Davall-Segge
(Carex davalliana)
2
-
kontinentale Trockenrasen /
Schafthutung
Kalk-Quell- und Niedermoore /
Mahd, Beweidung
Zechsteingürtel Kyffhäuser,
Innerthüringer Ackerhügelland
insb. Vorderrhön, Meininger Kalkplatten, Schalkauer Thüringer WaldVorland, Ilm-Saale-Ohrdrufer Platte
insb. Mittlerer Thüringer Wald,
Hohes Thüringer Schiefergebirge –
Frankenwald, Hohe Rhön,
Vorderrhön, Harz
Nordwestlicher Thüringer Wald,
Mittlerer Thüringer Wald, SchwarzaSormitz-Gebiet, Oberes Saaletal,
Ostthüringer Schiefergeb. – Vogtland
Oberes Saaletal
3
-
Weicher Pippau
(Crepis mollis)
*
-
Bergwiesen, lichte Wälder / Mahd,
Beweidung, historische
Waldnutzungsformen
Pfingst-Nelke
(Dianthus gratianopolitanus)
*
§
offene Felsen / ggf. Gehölzentnahme
Busch-Nelke
(Dianthus seguieri ssp. glaber)
Oellgaard-Flachbärlapp
(Diphasiastrum oellgaardii)
1
§
1
§
Felsen-Fingerkraut
(Potentilla rupestris)
1
-
Graue Scabiose
(Scabiosa canescens)
*
-
Krauses Greiskraut
(Tephroseris crispa)
3
-
Glanzloser Ehrenpreis
(Veronica opaca)
Pottmoos
Pottia caespitosa
Steinfliegen-Art
Isoperla silesica
Zwerggrashüpfer
(Stenobothrus crassipes)
Schwacher Langfuß-Erdfloh
(Longitarsus languidus)
2
-
3
-
2
-
R
-
1
-
Magerrasen, Gebüsch- und
Waldränder / ggf. Gehölzentnahme
Borstgrasrasen, Zwergstrauchheiden / Mittlerer Thüringer Wald, Hohes
Bodenverwundungen
Thüringer Schiefergebirge –
Frankenwald
Säume, lichte Wälder,
Oberes Saaletal, Nordthüringer
Halbtrockenrasen / ggf. periodische
Buntsandsteinland
Freistellung
kontinentale Trockenrasen /
vor allem Zechsteingürtel
Schafhutung
Kyffhäuser, Innerthüringer
Ackerhügelland
Nasswiesen, Quellstaudenfluren,
Mittlerer Thüringer Wald, Hohes
Erlenwälder / Beweidung, Mahd
Thüringer Schiefergebirge –
Frankenwald
Hackfruchtäcker / extensiver
Grabfeld, Innerthüringer
Ackerbau
Ackerhügelland
Kalkfelsen und Kalktrockenrasen /
Ilm-Saale-Ohrdrufer Platte,
Offenhalten der Standorte
Meininger Kalkplatten
hochmontane Silikat-Gebirgsbäche / Weiträumig isoliert im mittleren
Fließgewässer- und Quellenschutz
Thüringer Wald
kurzrasige Steppenrasen auf
In D nur im Zechsteingürtel
Gipskeuper und Kalk / Offenhaltung Kyffhäuser und östliche Hainleite
Störstellen in mageren KalkMuschelkalk-Höhen der Hainleite,
Halbtrockenrasen / Offenhaltung
der Schmücke und am Mittleren
Saaletal
Erläuterungen: s. Tab. 1; „ * “: ungefährdet
Hochgradig isolierte Vorkommen sind für 30 Thüringer Arten identifiziert worden (Tab.
5). Es sind vor allem Arten, deren Vorkommen bei uns Relikte kühler nacheiszeitlicher
Klimaperioden, aber auch der postglazialen Warmzeit sind. Vermutlich existieren sie zum
Teil bereits mehrere tausend Jahre isoliert bei uns und besitzen eine höhere genetische
Eigenständigkeit. Sie sind meist hochgefährdet. Auch wegen ihrer biogeographischen
Sonderstellung stehen sie teilweise schon im Mittelpunkt von Schutzbemühungen. So werden
die Vorkommen dieser Arten im Kyffhäuser durch die Maßnahmen des laufenden
Naturschutzgroßprojektes gefördert und in den großen, als Naturschutzgebiet gesicherten
Bereichen geschützt. Auch die Schutzbemühungen für Bergbäche und Hochmoore erhalten
Lebensräume für diese Arten.
Tab. 5: Arten mit hochgradig isolierten Vorkommen; aktuelle Gefährdung, gesetzlicher Schutzstatus, Biotopbindung und
Lage der aktuellen Vorkommen.
GeBiotopbindung /
Vorkommen in Thüringen
Art
RLT setz
Erhaltungsmaßnahmen
FFH
Eintagsfliegen-Art
1
hochmontane Silikat-Gebirgsbäche / Mittlerer Thüringer Wald
(Ecdyonurus picteti)
Fließgewässer- und Quellenschutz
Steinfliegen-Art
1
strukturreiche Flüsse /
Mittellauf der Werra
(Brachyptera braueri)
Fließgewässerschutz
Steinfliegen-Art
2
hochmontane Silikat-Gebirgsbäche / Mittlerer Thüringer Wald
19
(Chloroperla susemicheli)
Steinfliegen-Art
(Leuctra alpina)
Köcherfliegen-Art
(Drusus chrysotus)
Köcherfliegen-Art
(Halesus rubricollis)
Vogel-Azurjungfer
(Coenagrion ornatum)
Wanstschrecke
(Polysarcus denticauda)
Weinrosen-Laubzikade
(Edwardsiana rhodophila)
Haargraszirpe
(Praganus hofferi)
Narbiger Brach-Laubkäfer
(Rhizotrogus cicatricosus)
Rotflügeliger Halsbock
(Corymbia erythroptera)
Ungarischer Blattkäfer
(Cassida pannonica)
Wiener Langbaucherdfloh
(Psylliodes vindobonensis)
2
-
1
-
1
-
1
§§
2
-
R
-
1
-
R
-
R
§
2
-
1
-
Berghexe
(Chazara briseis)
Glockenblumen-Graumönch
(Cucullia campanulae)
Platineule
(Apamea platinea)
Felsflur-Zünslereule
(Zanclognatha zelleralis)
Felsen-Beifuß
(Artemisia rupestris)
1
§
1
§
1
-
1
-
1
§
Graues Sonnenröschen
(Helianthemum canum)
3
§
Salztäschel
(Hymenolobus procumbens)
3
Kissenmoos
R
-
Drehzahnmoos
(Tortula revolvens)
R
-
Hundszahnmoos
(Cnestrum schisti)
Wimpermoos
(Asterella saccata)
Stelzenstäubling
(Battaraea phalloides)
1
-
1
-
1
-
Kleinster Erdstern
(Geastrum hungaricum)
1
Steppen-Röteltrichterling
(Lepista abdita)
(Grimmia plagiopodia)
Fließgewässer- und Quellenschutz
hochmontane Silikat-Gebirgsbäche /
Fließgewässer- und Quellenschutz
hochmontane Silikat-Gebirgsbäche /
Fließgewässer- und Quellenschutz
hochmontane Silikat-Gebirgsbäche /
Fließgewässer- und Quellenschutz
saubere Gräben in Flussauen /
Grabenpflege, keine Beschattung
kräuterreiche Wiesen und
Ruderalflächen, Hochstaudenfluren
Trockenrasen mit WeinrosenBeständen / behutsame Offenhaltung
Keuper-Trockenrasen mit Haargras /
Offenhaltung
wärmebegünstigte Kalk- und GipsMagerrasen / Offenhaltung
Faulholz anbrüchiger Buchen, /
Erhaltung von „Baumruinen“
wärmebegünstigte Trockenhänge /
Offenhaltung
wärmebegünstigte Trockenhänge /
behutsame Offenhaltung
lückige Trockenrasen auf Kalk und
Gipskeuper / intensive Schafhut
felsige Trockenrasen / Offenhaltung
Trockenrasen auf Kalkschutt-Halden
/ Offenhaltung
Schieferbergbauhalden /
Offenhaltung
Binnensalzstellen / Sicherung
Wasserhaushalt, extensive Mahd oder
Beweidung, Konkurrenten beseitigen
Felsfluren, Trockenrasen u. lichte
Kiefernforste / extensive Beweidung
u. ggf. Gehölzentnahme
Binnensalzstellen, Rückstandshalden
der Kaliindustrie /
Bodenverwundungen
offene kalkhaltige Sandsteinfelsen /
ggf. periodische Gehölzbeseitigung
Mittlerer Thüringer Wald
Mittlerer Thüringer Wald
Mittlerer Thüringer Wald
Helme-Unstrut-Niederung (HelmeRied)
Rhön, Grabfeld, Innerthüringer
Ackerhügelland (bei Eichelborn)
Kyffhäuser, Alter Stolberg, Hainleite,
Bottendorfer Hügel, Drei Gleichen
Innerthüringer Ackerhügelland
(Schwellenburg)
Zechsteingürtel Kyffhäuser,
Vorderrhön
Oberes Saaletal
Zechsteingürtel Kyffhäuser
Zechsteingürtel Kyffhäuser,
Zechsteingürtel Südharz (Alter
Stolberg)
Vorderrhön, Zechsteingürtel
Kyffhäuser
Zechsteingürtel Kyffhäuser
Ilm-Saale-Ohrdrufer Platte (Hänge
des Mittleren Saaletals)
Schwarza-Sormitz-Gebiet
(Schwarzatal bei Böhlscheiben)
Helme-Unstrut-Niederung
Insb. Umgebung von Arnstadt,
Wipperdurchbruch
Kalihalden Nord- und
Südwestthüringens
Innerthüringer Ackerhügelland,
Saale-Sandsteinplatte
offene Gipsstandorte/ggf. periodische Zechsteingürtel Kyffhäuser,
Gehölzbeseitigung
Zechsteingürtel Südharz,
Innerthüringer Ackerhügelland
Silikatfelsen
Mittlerer Thüringer Wald
südexponierte Gipshänge /
Sammelverbot
eutrophe Gebüsche / ?
Zechsteingürtel Südharz
-
Trockenrasen / Fortsetzung
extensiver Schafbeweidung
Innerthüringer Ackerhügelland,
Orlasenke
1
-
Trockenrasen / Fortsetzung
extensiver Schafbeweidung
Zechsteingürtel Kyffhäuser
Rotporiger Feuerschwamm
(Phellinus torulosus)
2
-
Steppen-Porling
(Polyporus rhizophilus)
1
-
wärmebegünstigte Eichenwälder /
Erhaltung von Alteichen, Fortsetzung
historischer Waldnutzungsformen
Trockenrasen / Fortsetzung
extensiver Schafbeweidung
Zechsteingürtel Kyffhäuser, Hohe
Schrecke-Finne, Hainich-DünHainleite
Zechsteingürtel Kyffhäuser
Zierlicher BraunsporStacheling
1
-
wärmebegünstigter EichenBirkenwald über Gips / Fortsetzung
historischer Waldnutzungsformen
Zechsteingürtel Südharz
Zechsteingürtel Kyffhäuser
20
(Sarcodon lepidus)
Gelber Schuppenwulstling
(Squamanita schreieri)
1
-
wärmebegünstigte Wälder über Kalk
/ lichte Waldstrukturen erhalten
Innerthüringer Ackerhügelland,
Werrabergland-Hörselberge
Erläuterungen: s. Tab. 1
Die meisten der sieben in Thüringen vorkommenden und nach IUCN (2000) weltweit
gefährdeten Arten besitzen größere Areale, in denen sie aber überall zurückgehen. Sie sind
auch in Thüringen durchweg hoch gefährdet. Es handelt sich um die in der folgenden Tabelle
6 aufgeführten Arten:
Tab. 6: Weltweit gefährdete Arten nach IUCN (2000); aktuelle Gefährdung, gesetzlicher Schutzstatus, Biotopbindung und
Lage der aktuellen Vorkommen.
GeBiotopbindung /
Vorkommen in Thüringen
Art
RLT setz
Erhaltungsmaßnahmen
FFH
Kleine Hufeisennase
1
§§ strukturreiche Siedlungsvor allem Ilm-Saale-Ohrdrufer Platte,
Orlasenke, Zechsteingürtel Bad
(Rhinolophus hipposideros)
II IV Randbereiche / Quartiererhaltung,
Liebenstein, Werrabergland –
Schutz der Kulturlandschaft
Hörselberge
Mopsfledermaus
2
§§ strukturreiche Siedlungsvor allem Eichsfeld, Süd-Thüringen,
Mittleres Saaletal, westliches
(Barbastella barbastellus)
II IV Randbereiche / Quartiererhaltung
Schiefergebirge, Randhöhen des
(Höhlen und Stollen)
Thür. Beckens
Bechsteinfledermaus
2
§§ strukturreiche Wälder / Schutz von
Waldreiche Gebiete unter 600 m ü.
(Myotis bechsteinii)
II IV Höhlenbäumen und
NN
Quartiersicherung
Wachtelkönig
1
§§ offene Flussauen, Bergwiesen /
vor allem Auen von Werra und
(Crex crex)
I* extensive Grünlandpflege
Helme, weitere Auen und Grünländer
der Mittelgebirge
Steinkrebs
1
Quellbäche und Bachoberläufe /
Grabfeld (Main-Einzugsgebiet)
(Austropotamobius torrentium)
Fließgewässerschutz
Helm-Azurjungfer
2
§§ saubere Gräben in Flussauen /
Thüringer Becken: Unstrut(Coenagrion mercuriale)
II
Grabenpflege, Vermeidung von
Einzugsgebiet (v. a. Unstrut, Gera,
Beschattung
Helme)
Kreuzenzian-Ameisenbläuling
1
§
Halbtrockenrasen mit Kreuzenzian /
Ilm-Saale-Ohrdrufer Platte (Mittleres
(Maculinea rebeli)
behutsame Offenhaltung
Saaletal, Steiger bei Erfurt),
Meininger Kalkplatten
sowie einige Kleinarten der Breitblättrigen Mehlbeere.
Erläuterungen: s. Tab. 1; „I*“ Art des Anhang I der EG-Vogelschutzrichtlinie
Von den Vogelarten, für die Europa eine besondere Verantwortung im Hinblick auf den
globalen Artenschutz trägt, weil deren globales Brutgebiet oder deren globale Winterpopulation mindestens zu 50 % in Europa liegen, sind in Thüringen rund 100 Arten heimisch.
Davon befinden sich knapp 30 Arten in einem ungünstigen Erhaltungszustand, darunter auch
vergleichsweise häufige Arten wie Grünspecht und Haubenmeise.
Thüringen besitzt große zusammenhängende Gebiete, die einen wesentlichen Beitrag zur
Erhaltung und Entwicklung der Biologischen Vielfalt ganz Deutschlands liefern. Sie zeichnen
sich durch Großflächigkeit, geringere menschliche Beeinträchtigungen (große Naturnähe),
repräsentative Biotope, die aus Bundessicht vor allem in Thüringen besonders ausgeprägt
sind, und eine besonders hohe Vielfalt an Arten und Lebensräumen aus und enthalten oft
einen besonders hohen Anteil von naturschutzrechtlich geschützter Fläche. In einer offenen
Liste wurden 22 Landschaftsteile Thüringens zusammengestellt, die einen hohen Beitrag zur
Sicherung der biologischen Vielfalt Europas leisten.
21
Tab. 7: Bundesweit bedeutende Landschaftsteile für die Biologische Vielfalt
Gebietsname
Größe/ha
Besonders charakteristische Biotoptypen
Südharz
ca. 11.400
Gipskarstgebiet im
Südharzvorland
ca. 6.900
Kyffhäuser-Helmestausee
ca. 7.900
Riedgebiete bei Artern und
Bottendorfer Hügel
ca. 3.600
Nördliche Randhöhen des
Thüringer Beckens
ca. 31.900
Südliches Eichsfeld
ca. 18.200
Hainich
ca. 15.300
Riedgebiet im Thüringer
Becken
ca. 3.942
Muschelkalkgebiet
südöstlich von Erfurt
ca. 3.300
Seeberg - Drei Gleichen –
Ohrdrufer MuschelkalkPlatte
ca. 11.400
Thüringisches Werratal
ca. 10.000
ausgedehnte Hainsimsen-Buchenwälder sowie
Waldmeister-Buchenwälder, Schlucht- und
Hangmischwälder, naturnahe Fließgewässer,
Silikatfelsen
einmaliges Gipskarstgebiet mit Erdfällen, Höhlen,
Gipsfelsen mit Felsfluren und Gips-Schutthalden, KalkTrockenrasen, Orchideen-Buchenwälder, Schlucht- und
Hangmischwälder
Trockenbiotope über Gips und stellenweise
Karbonsandstein in herausragender Ausdehnung mit
kontinentalen Kalk-Trockenrasen, Gips- und
Silikatfelsen, Eichentrockenwälder und OrchideenBuchenwälder; Waldmeister- und HainsimsenBuchenwälder, Erdfälle, Höhlen, Feuchtwiesen und
-weiden, Binnensalzstellen
bedeutendste Binnensalzstellen Thüringens,
Niedermoore mit Feuchtwiesen und –weiden,
Brenndolden-Auenwiesen und Röhrichten, einzige
Schwermetallrasen Thüringens in Verzahnung mit
kontinentalen Trockenrasen
Großflächige Hainsimsen-, Waldmeister- und OrchideenBuchenwälder, Eichen-Hainbuchenwälder, Schlucht- und
Hangmischwälder, Kalkfelsen mit Felsfluren; KalkTrockenrasen, Pionierrasen
Orchideen- und Waldmeister-Buchenwälder, Schluchtund Hangmischwälder, naturnahe Waldgrenzstandort
(Bergstürze) mit Kalkfelsen; Kalkäcker, naturnahe
Fließgewässer
Großflächige unzerschnittene Waldmeister-, Hainsimsenund Orchideen-Buchenwälder, Eichen-Hainbuchenwälder, Schlucht- und Hangmischwälder,
Wacholderheiden, Kalk-Trockenrasen
Reichmoore mit Feuchtwiesen und –weiden,
Großseggenrieden, Röhrichten und Erlen-EschenWäldern, Kalkzwischenmoore mit Pfeifengraswiesen,
Binsenschneide-Ried, wechseltrockene TrespenHalbtrockenrasen, Binnensalzstellen
Eichen-Hainbuchenwälder, Orchideen- und
Waldmeister-Buchenwälder, Schlucht- und
Hangmischwälder, Kalk-Trockenrasen, Kalkquellmoore,
Pfeifengraswiesen
Eichen-Hainbuchen-Wälder, Orchideen- und
Waldmeister-Buchenwälder, Waldgrenzstandorte
(Bergstürze) mit Kalkfelsen, Kalkschutthalden und
Eichen-Trockenwäldern, kontinentale und
submediterrane Kalk-Trockenrasen, naturnaher Flusslauf,
Kalkquellmoore
Flusslauf mit Altwässern, Auenwiesen, Standgewässer
22
von Breitungen bis Treffurt
Nordwestlicher Thüringer
Wald und südliches Zechsteinvorland
ca. 14.700
Mittlerer Thüringer Wald
ca. 25.300
Thüringische Rhön und
Meininger
Muschelkalkgebiet
ca. 52.200
Gleichberge - Grabfeld
ca. 7.200
Grenzstreifen zwischen
Veilsdorf und Sonneberg
ca. 1.700
Muschelkalkhänge des
Mittleren Saaletals
ca. 15.800
Schwarzatal zwischen
Sitzendorf und Bad
Blankenburg
ca. 1.900
Oberes Saaletal
ca. 9.100
Frankenwald
ca. 3.800
Teichgebiete bei Plothen,
Auma und Neustadt
ca. 3.500
Nordöstliches Altenburger
Land
ca. 9.200
(Auslaugungsseen), naturnahe Waldgrenzstandort mit
Kalkfelsen und Kalk-Trockenrasen, Orchideen- und
Waldmeister-Buchenwälder
Großflächige Hainsimsen- und WaldmeisterBuchenwälder, enge Schluchten mit Schlucht- und
Hangmischwäldern, Silikat-Felsen, Bergmähwiesen,
Schafhutungen mit Kalk-Trockenrasen,
Wacholderheiden und Kalkquellmooren, naturnahe
Fließgewässer
Montane Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwälder,
Schlucht- und Hangmischwälder, naturnahe
Fließgewässer mit Hochstaudenfluren; Bergmähwiesen,
Borstgrasrasen, Hochmoore mit Fichten-Mooswäldern,
Silikatfelsen
Großflächige Schafhutungen mit Kalk-Trockenrasen,
Wacholderheiden, Kalkquellmoore, z. T. mit
Kalktuffquellen;
offene Basaltblockhalden, Blockhaldenwälder (Schluchtund Hangmischwälder), Waldmeister-Buchenwälder,
Orchideen-Buchenwälder, Eichen-Hainbuchenwälder,
Kesselmoore und Erdfallseen, naturnahe Fließgewässer,
Bergmähwiesen, Borstgrasrasen, Zwergstrauchheiden
Eichen-Hainbuchenwälder, Basaltblockhalden,
Blockhaldenwälder (Schlucht- und Hangmischwälder),
Kalk-Trockenrasen, naturnahe Fließgewässer,
Feuchtgrünland
naturnahe Fließgewässer mit Buchenauenwäldern und
Hochstaudenfluren; Übergangsmoore,
Zwergstrauchheiden, Kalk-Halbtrockenrasen, OrchideenBuchenwälder, Eichen-Hainbuchenwälder
Orchideen- und Waldmeister-Buchenwälder, EichenHainbuchenwälder, Schlucht- und Hangmischwälder,
submediterrane Kalk-Trockenrasen, naturnahe
Waldgrenzstandorte mit Kalkfelsen (Bergstürze) und
Kalk-Schutthalden, Kalkquellmoore, Kalktuffquellen
naturnahe Waldgrenzstandorte mit Silikatfelsen,
Felsfluren, Felsgebüschen und Eichen-Trockenwäldern,
sehr naturnahes Fließgewässer, HainsimsenBuchenwälder, Schlucht- und Hangmischwälder
naturnahe Waldgrenzstandorte mit Silikatfelsen,
Felsfluren und Eichen-Trockenwäldern, WaldmeisterBuchenwälder, Schlucht- und Hangmischwälder,
naturnahe Fließgewässer
Montane Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwälder,
Bergmähwiesen, naturnahe Fließgewässer, Steinbrüche
mit Silikatfelsen und -Schutthalden
meso- und eutrophe Fischteiche (größtes Teichgebiet
Thüringens) mit Wasserpflanzen-, Ufer- und Teichbodenvegetation, Verlandungsmoore
Eichen-Hainbuchenwälder, Schlucht- und Hangmischwälder, naturnahe Fließgewässer, Auenwiesen, Fisch-
23
teiche, Bergbaufolgelandschaft mit Grubengewässern
Insgesamt nehmen diese Landschaftsteile knapp 17 % der Landesfläche ein. Diese größeren
Landschaftsausschnitte mit hoher biologischer Vielfalt dürfen natürlich nicht isoliert betrachtet werden. Über diese hinaus gibt es in allen Landesteilen Thüringens eine Vielzahl kleinerer
Gebiete, die ebenfalls eine hohe biologische Vielfalt aufweisen. Um die Vielfalt all dieser
Landschaftsteile langfristig zu sichern, ist ihre Vernetzung untereinander durch einen
funktionierenden Biotopverbund mit Trittsteinbiotopen wichtig.
Thüringen besitzt auch etliche große Landschaftsräume, die von überörtlichen Verkehrswegen
nicht durchschnitten werden. Sie besitzen besondere Bedeutung für Tierarten mit größeren
Aktionsradien.
4. Bilanz der biologischen Vielfalt für Arten und Biotope in Thüringen
4.1 Vergleich der Roten Listen von 1994 und 2001
Thüringen hat 1994 und 2001 Sammelbände Roter Listen herausgegeben. Diese Roten Listen
stellen eine Beschreibung der Gefährdung der heimischen Tier- und Pflanzenwelt, der
Pflanzengesellschaften und Biotope dar und eignen sich für eine Bilanz der Situation der
Biologischen Vielfalt in Thüringen für die Zeit bis Anfang der 1990er-Jahre und der Jahre bis
2000.
Die folgende Übersicht zeigt die summarischen Ergebnisse der Roten Listen 2001 im
Vergleich zu der ersten Roten Liste Thüringens 1994:
1994
2001
Anzahl der Einzellisten
34
59
Arten, gesamt
gefährdet,
davon ausgestorben oder verschollen
8.904
3.680 (41 %)
770 (8,6 %)
17.003
7.642 (45 %)
1.462 (8,5 %)
Pflanzengesellschaften
gefährdet,
davon ausgestorben oder verschollen
520
254 (49 %)
10 (2 %)
633
318 (50 %)
16 (2,5 %)
88
77 (88 %)
87
74 (85 %)
Biotoptypen (1995)
gefährdet
Aus diesem Vergleich geht hervor, dass nach wie vor fast die Hälfte der bewerteten Arten und
Pflanzengesellschaften und über 80 % der Biotoptypen in unterschiedlichem Maße gefährdet
sind, wobei ca. 8,5 % der Arten als ausgestorben oder verschollen eingestuft werden mussten.
Das waren 2001 insgesamt 1.462 heimische Arten, die nicht mehr bei uns leben. Es wird
weiterhin deutlich, dass die Rote Liste von 2001 schon durch die viel höhere Zahl der
einbezogenen Arten (immerhin 17.003, die einzeln auf ihre Gefährdung hin bewertet worden
sind!) eine hohe Repräsentativität aufweist.
24
Der Vergleich der Roten Listen von 1994 mit denen von 2001 lässt im Einzelnen deutliche
Veränderungen in der Natur erkennen, die im Aussterben von Arten, in einer Zunahme der
Gefährdung, aber auch in einem Rückgang der Bestandsbedrohung bei einigen Arten zum
Ausdruck kommen. In dieser Zeit haben einige Gefährdungsfaktoren zu und andere
abgenommen.
Durch die Bearbeiter der Roten Listen werden die wesentlichsten Gefährdungsursachen für
Lebensräume, Tier- und Pflanzenarten in Thüringen benannt. Darunter waren besonders
häufig:
x Intensivierung der Landnutzung
(z. B. Biozide und Düngemittel, Verlust von Randstrukturen),
x Nutzungsänderungen
(z. B. Verlust von Rohböden auf Truppenübungsplätzen, Aufforstung von Offenland),
x Aufgabe traditioneller Nutzung
(z. B. Schafhutung, Mahd, historische Waldnutzung, extensive Teichwirtschaft),
x Nähr- und Schadstoffeinträge
(in Gewässer und alle terrestrischen Biotope: Wasser- und Luftverschmutzung),
x direkte Zerstörung von Biotopen
(z. B. durch Verkehrs-, Siedlungs- und Industriebauten),
x Ausbreitung von Neophyten oder Neozoen
(z. B. infolge Fischbesatz).
Besonders gravierend sind die Folgen des Auflassens extensiv genutzter Flächen. Rohbodenstandorte haben deutlich abgenommen (insbesondere auf ehemaligen Truppenübungsplätzen).
Offene, kurzrasige Grasfluren, Säume und lichte Waldstellen gehen infolge fehlender oder
veränderter Nutzung bzw. Pflege (z. B. Aufgabe von Schafhutung) rapide zurück. So musste
u. a. der Frauenschuh – eine der attraktivsten heimischen Orchideen – in die Kategorie stark
gefährdet hochgestuft werden. Der Steinkauz als typische Eulenart kurzrasiger Grasfluren ist
in Thüringen unmittelbar vom Aussterben bedroht. Auf verschiedene Tiergruppen wirkt das
deutlich erhöhte Straßenverkehrsaufkommen als unmittelbarer Gefährdungsfaktor (z. B.
Säugetiere, Amphibien, Vögel). Durch die diffusen Nähr- und Schadstoffeinträge nehmen
Mykorrhizapilze und mykorrhizaabhängige Pflanzen weiter ab.
Andere Gefährdungsursachen haben in ihrer Intensität im letzten Jahrzehnt deutlich abgenommen. Zu nennen ist in erster Linie die Abwasserbelastung unserer Fließgewässer, deren Reduzierung bereits eine Abnahme der Gefährdung einzelner Arten bewirkt hat (z. B. bei Fischen,
Libellen, Steinfliegen). Die Auswirkungen einer verbesserten Wasserqualität sind allerdings
nicht so gravierend wie sie allgemein erwartet wurden. Ursache ist die meist noch vorhandene
Strukturarmut der Gewässer, die eine weitere Bestandserholung gefährdeter Arten vielfach
begrenzt. Auch die Luftqualität hat sich hinsichtlich verschiedener Parameter offenbar deutlich verbessert. So kann eine leichte Zunahme epiphytischer Arten (Flechten, Moose) und
einiger Waldarten der Schnecken beobachtet werden. Zum Beispiel konnte die Pflaumenflechte, die 1992 noch stark gefährdet war, aus der Liste von 2001 herausgenommen werden.
Die Bemühungen um ein höheres Totholzangebot in den Wäldern (z.B. Nationalpark Hainich,
Totalreservate, Naturwaldparzellen) benötigen sicher längere Zeit, bis sie zu günstigeren
Gefährdungseinstufungen bei Totholz bewohnenden Arten führen. Auch stehen ihnen
verstärkte Verluste, z. B. durch "Baumsanierungen" im besiedelten Bereich und an Alleen
gegenüber.
In einigen Fällen konnten Arten durch die Besiedlung von Sekundärstandorten ihre Verluste
an ursprünglichen Fundorten etwas ausgleichen (z. B. die Salzpflanze Europäischer Queller
25
an Rückstandshalden der Kali-Industrie). Neben den genannten Gruppen gibt es auch Beispiele für positive Bestandsentwicklungen oder für eine erfolgreiche Stabilisierung der
Bestandssituation durch Naturschutzmaßnahmen im weitesten Sinne. Eisvogel, Wasseramsel
und Gebänderte Prachtlibelle, die offenbar unmittelbar von der Abwasserreinigung profitierten, sowie Schwarzstorch, Uhu und Wanderfalke, für die direkte Schutzmaßnahmen
erfolgreich waren, sind Beispiele für solche Arten aus Thüringer Sicht. Die Zahl dieser Arten
ist noch relativ gering und auch auf besser bekannte Artengruppen, die im Zentrum spezieller
Schutzbemühungen stehen, begrenzt.
4.2 Erhaltungszustand von Arten und Lebensraumtypen nach der Fauna-Flora-Habitat
(FFH) - Richtlinie und EU-Vogelschutzrichtlinie in Thüringen
Auf europäischer Ebene sind Regelungen und Ziele zur Erhaltung der Biodiversität in der
Vogelschutzrichtlinie von 1979 und der FFH-Richtlinie von 1992 festgelegt. Die dort vorgeschriebenen national umzusetzenden Maßnahmen und gesetzlichen Regelungen dienen dazu,
die Bestände der Arten und Lebensräume von europäischer Bedeutung langfristig zu erhalten
oder wieder in einen günstigen Zustand zu bringen. Im Zentrum der FFH-Richtlinie stehen
ausgewählte Arten und Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse, für die
Schutzgebiete ausgewiesen werden, sowie Arten von gemeinschaftlichem Interesse, für die
ein strenger Schutz zu organisieren und durchzusetzen ist.
Zur Überprüfung der Wirksamkeit der Maßnahmen sind alle 6 Jahre Berichte zum Erhaltungszustand der Lebensraumtypen und Arten zu erstellen. Im Jahr 2006 wurde auch für den
Thüringer Anteil an der kontinentalen biogeographischen Region ein Bericht erstellt, der das
aktuelle Verbreitungsgebiet, die besiedelte Fläche, die bestehenden Gefährdungen und die
Zukunftsaussichten beschreibt und dahingehend bewertet, ob der Erhaltungszustand günstig,
unzureichend oder schlecht ist. Diese Bewertung erfolgte nach einem Ampelschema, bei dem
die Bewertung „grün“ (= günstig) für den zu erreichenden oder zu erhaltenden Zustand steht,
wogegen „gelb“ und „rot“ für unzureichend bzw. schlecht stehen.
Insgesamt 62 Thüringer Tier- und 5 Pflanzenarten der Anhänge II und IV der FFH-Richtlinie
sowie 44 Lebensraumtypen wurden so bewertet (Tab. 8 und 9). In den meisten Fällen deckt
sich die thüringische Bewertung mit der Bewertung für die gesamte kontinentale biogeographische Region Deutschlands.
Tab. 8 : Thüringer Arten der Anhänge II und IV der FFH-Richtlinie (92/43/EWG), Bericht
zum Erhaltungszustand 2000-2006, Annex B, Landesübersicht (Stand: 21.12.2006)
Erhaltungszustand (= Gesamtbewertung laut Annex C)
[für kontinentale biogeographische Region in Thüringen bzw. Deutschland]:
FV = günstig; U1 = unzureichend; U2 = schlecht; XX = unbekannt; Populationsgröße nach
Zahl besiedelter Messtischblätter (TK25) bzw. Messtischblattquadranten (TK25Q) oder Zahl
der Vorkommen
Verbreitungsgebiet
Artengruppe
Art
Säugetiere,
sonst.
Feldhamster
Wildkatze
Fischotter
Cricetus cricetus
Felis silvestris
Lutra lutra
65 TK25Q
49 TK25
17 TK25
Erhaltungszustand
Thüringen Deutschland
U1
FV
U1
U2
U2
U1
26
Verbreitungsgebiet
Artengruppe
Art
Luchs
Haselmaus
Säuget.,
Flederm.
Lynx lynx
Muscardinus
avellanarius
1 Vork.
41 TK25
Barbastella
103 TK25
Mopsfledermaus
barbastellus
Nordfledermaus
39 TK25
Eptesicus nilssonii
Breitflügelfledermaus Eptesicus serotinus
86 TK25
Bechsteinfledermaus Myotis bechsteinii
79 TK25
Große Bartfledermaus Myotis brandtii
80 TK25
Teichfledermaus
6 TK25
Myotis dasycneme
Wasserfledermaus
118 TK25
Myotis daubentonii
Großes Mausohr
136 TK25
Myotis myotis
Kleine Bartfledermaus Myotis mystacinus
124 TK25
Fransenfledermaus
128 TK25
Myotis nattereri
Kleiner Abendsegler
70 TK25
Nyctalus leisleri
Abendsegler
98 TK25
Nyctalus noctula
Rauhhautfledermaus
60 TK25
Pipistrellus nathusii
Zwergfledermaus
Pipistrellus pipistrellus 117 TK25
Mückenfledermaus
Pipistrellus pygmaeus 18 TK25
Braunes Langohr
137 TK25
Plecotus auritus
Graues Langohr
88 TK25
Plecotus austriacus
Rhinolophus
34 TK25
Kleine Hufeisennase
hipposideros
Zweifarbfledermaus
47 TK25
Vespertilio murinus
Amph. /
Reptilien
Geburtshelferkröte
105 TK25Q
Alytes obstetricans
Gelbbauchunke
28 TK25Q
Bombina variegata
Kreuzkröte
111 TK25Q
Bufo calamita
Wechselkröte
44 TK25Q
Bufo viridis
Schlingnatter
66 TK25
Coronella austriaca
Europäischer
140 TK25Q
Laubfrosch
Hyla arborea
Zauneidechse
133 TK25
Lacerta agilis
Knoblauchkröte
102 TK25Q
Pelobates fuscus
Moorfrosch
25 TK25Q
Rana arvalis
Springfrosch
9 TK25Q
Rana dalmatina
Kleiner Wasserfrosch Rana lessonae
77 TK25
Nördlicher Kammmolch Triturus cristatus
117 TK25
Fische
Groppe
174 TK25Q
Cottus gobio
Bachneunauge
76 TK25Q
Lampetra planeri
Schlammpeitzger
1 TK25Q
Misgurnus fossilis
Bitterling
3 TK25
Rhodeus amarus
Schmetterlinge
Erhaltungszustand
Thüringen Deutschland
U1
U2
FV
XX
FV
U1
U1
U1
FV
U1
FV
FV
U1
FV
FV
U1
U1
U1
FV
XX
FV
U1
U1
FV
U1
U1
U1
FV
FV
U1
FV
U1
U1
FV
FV
XX
FV
U1
U2
U2
U1
XX
U1
U2
U1
U2
FV
U1
U2
U2
U2
U1
U1
U1
FV
XX
U2
FV
FV
U1
U1
U1
U1
FV
XX
U1
FV
U1
U2
U1
FV
U1
U1
U1
27
Verbreitungsgebiet
Artengruppe
Art
SkabiosenScheckenfalter
Spanische Flagge
Heckenwollafter
QuendelAmeisenbläuling
Dunkler WiesenknopfAmeisenbläuling
Heller WiesenknopfAmeisenbläuling
Haarstrangwurzeleule
Schwarzer Apollofalter
Nachtkerzenschwärmer
Käfer
Hirschkäfer
Eremit, Juchtenkäfer
Libellen
Helm-Azurjungfer
Vogel-Azurjungfer
Asiatische Keiljungfer
Östliche Moosjungfer
Große Moosjungfer
Grüne Keiljungfer
Weichtiere
Flussperlmuschel
Gemeine Flussmuschel
Schmale
Windelschnecke
Bauchige
Windelschnecke
Krebse
Erhaltungszustand
Thüringen Deutschland
56 TK25Q
U1
U2
11 TK25
FV
FV
1 TK25Q
U2
U2
106 TK25Q
U1
U1
61 TK25
U1
U1
6 TK25
Glaucopsyche teleius
Gortyna borelii lunata 1 TK25Q
Parnassius mnemosyne 2 Vork.
Proserpinus proserpina
U2
U1
U2
U2
U1
XX
U2
XX
33 TK25
30 Vork.
U1
U1
U1
U2
U1
U1
FV
keine
Bewertung
U1
FV
U1
U1
U1
U1
FV
1 TK25
U2
U2
3 Vork.
U2
U2
27 TK25
U1
U1
2 TK25
U2
U1
4 TK25
U1
U1
3 Vork.
77 TK25
U1
U1
U2
U1
7 TK25
FV
FV
1 Vork.
11 TK25
FV
U1
FV
U1
Euphydryas aurinia
Euplagia
quadripunctaria
Eriogaster catax
Glaucopsyche arion
Glaucopsyche
nausithous
Lucanus cervus
Osmoderma eremita
Coenagrion mercuriale 40 TK25Q
Coenagrion ornatum 5 TK25Q
1 TK25Q
Gomphus flavipes
Leucorrhinia albifrons
Leucorrhinia pectoralis 4 TK25Q
Ophiogomphus cecilia 7 TK25
Margaritifera
margaritifera
Unio crassus
Vertigo angustior
Vertigo moulinsiana
Austropotamobius
Steinkrebs
torrentium
Farn- u. Blütenpfl.
Sumpf-Engelwurz
Angelica palustris
Frauenschuh
Cypripedium calceolus
Trichomanes
Prächtiger Dünnfarn
speciosum
Moose
Grimaldimoos
Mannia triandra
Grünes Besenmoos
Dicranum viride
U2
28
Tab. 9 :Thüringer Lebensraumtypen des Anhanges I der FFH-Richtlinie (92/43/EWG),
Bericht zum Erhaltungszustand 2000-2006, Annex D, Landesübersicht (Stand: 21.12.2006)
FV = günstig; U1 = unzureichend; U2 = schlecht; XX = unbekannt;
Natura
Fläche in
2000
FFH-Lebensraumtypen
ha
Code (Bezeichnung in Thüringen)
*1340 Salzstellen des Binnenlandes
70
3130 Nährstoffarme Stillgewässer mit
200
Strandlings- und ZwergbinsenVegetation
3140 Nährstoffarme bis mäßig
40
nährstoffreiche, kalkhaltige
Stillgewässer
mit Armleuchteralgen
3150 Natürliche nährstoffreiche
600
Stillgewässer
3160 Dystrophe Stillgewässer
2
*3180 Temporär Wasser führende
5
Karstseen und -tümpel
3190 Gipskarstseen auf gipshaltigem
2
Untergrund
3260 Fließgewässer mit flutender
1.000
Wasserpflanzenvegetation
3270 Flüsse mit Schlammbänken
90
4030 Trockene Heiden
550
5130 Wacholderheiden
300
*6110 Kalk- oder basenhaltige Felsen
200
mit Kalk-Pionierrasen
6130 Schwermetallrasen
1
(*)6210 Trespen-Schwingel-Kalk9.000
Trockenrasen (*: besondere
Bestände mit bemerkenswerten
Orchideen)
*6230 Artenreiche Borstgrasrasen
300
*6240 Steppenrasen
350
6410 Pfeifengraswiesen
90
6430 Feuchte Hochstaudenfluren
1.380
6440 Brenndolden-Auenwiesen der
62
Stromtäler
6510 Extensive Mähwiesen des Flach4.500
und Hügellandes
6520 Berg-Mähwiesen
3.000
*7110 Naturnahe lebende Hochmoore
4
7120 Geschädigte Hochmoore
25
7140 Übergangs- und
150
Schwingrasenmoore
7150 Torfmoor-Schlenken
0,3
Erhaltungs
zustand
Thüringen
FV
Gesamtbewertung
kontinentale
Region
U1
U2
U1
U2
U1
U1
U1
FV
U2
U1
FV
U2
U2
U1
U1
U2
U2
U1
U2
U2
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
FV
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U1
U2
U1
U1
U1
U1
29
Natura
Fläche in
2000
FFH-Lebensraumtypen
ha
Code (Bezeichnung in Thüringen)
*7210 Kalkreiche Sümpfe mit Binsen5
Schneide
*7220 Kalktuffquellen
12
7230 Kalkreiche Niedermoore
65
8150 Silikatschutthalden
150
*8160 Kalkschutthalden
120
8210 Kalkfelsen und ihre
100
Felsspaltenvegetation
8220 Silikatfelsen und ihre
200
Felsspaltenvegetation
8230 Silikatfelskuppen mit ihrer
50
Pioniervegetation
8310 Nicht touristisch erschlossene
50
Höhlen
9110 Hainsimsen-Buchenwälder
28.000
9130 Waldmeister-Buchenwälder
67.000
9150 Orchideen-Kalk-Buchenwälder
15.000
9160 Sternmieren-Stieleichen680
Hainbuchenwälder
9170 Labkraut-Traubeneichen12.400
Hainbuchenwälder
*9180 Schlucht- und Hangmischwälder
3.300
*91D0 Moorwälder
150
*91E0 Auenwälder mit Erle, Esche und
3.000
Weide
91F0 Hartholz-Auenwälder mit Eiche,
4
Ulme, Esche
9410 Bodensaure Fichtenwälder
800
Erhaltungs
zustand
Thüringen
Gesamtbewertung
kontinentale
Region
FV
U1
U1
U1
U1
U1
XX
U1
FV
FV
U1
FV
U1
FV
U1
FV
U1
FV
U2
U1
U1
FV
FV
FV
U1
U1
U1
U1
U1
U1
FV
U1
U1
U1
U1
U1
U2
U2
Von den 181 im Anhang I der EG-Vogelschutzrichtlinie genannten Arten kommen 24 in
Thüringen als regelmäßige Brutvögel vor. Ihre Gefährdung wird anhand der Einstufung in der
Roten Liste auf Landes- und Bundesebene in Tab 10 dargestellt.
Tab. 10: Regelmäßig in Thüringen vorkommenden Brutvogelarten nach Anhang I der EGVogelschutzrichtlinie sowie deren Gefährdungsstatus, 0 = ausgestorben oder verschollen, 1 =
vom Aussterben bedroht, 2 = stark gefährdet, 3 = gefährdet, R = Extrem selten, V =
Vorwarnliste, * = ungefährdet
Art
Auerhuhn
Blaukelchen
Eisvogel
Grauspecht
Heidelerche
Mittelspecht
Neuntöter
Rauhfußkauz
Tetrao urogallus
Luscinia svecica
Alcedo atthis
Picus canus
Lullula arborea
Dendrocopos medius
Lanius collurio
Aegolius funereus
Rote Liste TH
1
3
3
2
3
3
Rote Liste D
1
V
*
2
3
*
*
*
30
Rohrweihe
Rotmilan
Schwarzmilan
Schwarzspecht
Schwarzstorch
Seeadler
Sperbergrasmücke
Sperlingskauz
Tüpfelralle
Uhu
Wachtelkönig
Wanderfalke
Weißstorch
Wespenbussard
Ziegenmelker
Zwergschnäpper
Circus aeruginosus
Milvus milvus
Milvus migrans
Dryocopus martius
Ciconia nigra
Haliaeetus albicilla
Sylvia nisoria
Glaucidium passerinum
Porzana porzana
Bubo bubo
Crex crex
Falco peregrinus
Ciconia ciconia
Pernis apivorus
Caprimulgus europaeus
Ficedula parva
3
3
3
2
3
1
2
1
2
2
1
R
*
*
*
*
*
*
*
*
1
*
2
*
3
V
3
*
Bei den Tierarten befinden sich 12 Arten in einem schlechten, 29 in einem unzureichenden
und 12 in einem günstigen Erhaltungszustand. Zwischen den einzelnen Artengruppen gibt es
dabei deutliche Unterschiede. Unter den 34 Säugetieren ist lediglich die Kleine Hufeisennase
in einem schlechten Erhaltungszustand und immerhin 11 sind in einem günstigen. Unter den
15 Amphibien und Reptilien sind mit Gelbbauchunke, Wechselkröte und Moorfrosch 3 Arten
in schlechtem Erhaltungszustand, dagegen 6 in einem günstigen. Unter den 9 Schmetterlingen
ist lediglich eine Art in einem günstigen Erhaltungszustand, 4 dagegen sind in einem
schlechten. Ebenso problematisch ist die Lage bei den Weichtieren, bei denen 3 der 5 Arten in
schlechtem Erhaltungszustand sind.
Die nötigen Konsequenzen aus der aktuellen Bewertung sind dabei unterschiedlich, da der
Handlungsbedarf außer aus dem Erhaltungszustand auch aus den Erfolgsaussichten und der
Bedeutung der Thüringer Vorkommen für die biogeographische Region abzuleiten ist. So
haben Maßnahmen für die Flussperlmuschel geringe Erfolgssaussichten. Dagegen ist der
Heckenwollafter auch in den wenigen anderen Vorkommensgebieten Deutschlands selten und
höchst gefährdet, der Zustand des Thüringer Bestandes ist hier also maßgeblich.
Auch für Arten, die in Thüringen einen unzureichenden Erhaltungszustand besitzen, besteht
akuter Handlungsbedarf, wenn die Thüringer Bestände einen bedeutenden Anteil des Gesamtbestandes bilden, wie etwa beim Feldhamster, beim Quendel-Ameisenbläuling oder bei der
Helm-Azurjungfer.
Bei den Pflanzenarten befinden sich zwei Arten in einem günstigen und drei Arten in einem
unzureichenden Erhaltungszustand. Zu den Arten mit günstigem Erhaltungszustand gehören
der Prächtige Dünnfarn und das Grimaldimoos. Die Sumpf-Engelwurz und das Grüne Besenmoos befinden sich in einem unzureichenden Erhaltungszustand. Beim Frauenschuh mit ebenfalls unzureichendem Erhaltungszustand sieht die Situation am kritischsten aus, weil die
attraktive Art starke Verluste an vielen thüringischen Vorkommen erlitten hat. Nur für wenige
Populationen konnte bisher durch Pflegemaßnahmen eine positive Bestandsentwicklung
erreicht werden.
Im Vergleich der Zustandsbewertungen der Lebensraumtypen Thüringens mit denen der
gesamten kontinentalen Region heben sich der LRT 1340 (Salzstellen des Binnenlandes),
LRT 3160 (Dystrophe Standgewässer) und der LRT 7210 (Kalkreiche Sümpfe mit Binsenschneide) mit dem Erhaltungszustand „günstig“ ab. Während die letzteren im Land nur relativ
kleine, aber intakte Vorkommen haben, trägt Thüringen mit 70 ha Fläche bei den Binnensalz-
31
stellen auch bundesweit eine besondere Verantwortung. Mit einem LIFE-Projekt in den
Schwerpunktgebieten konnten weitere Verbesserungen erzielt werden.
Bei den FFH-Lebensraumtypen des Grünlandes fällt die Thüringer Beurteilung weitgehend
mit der der gesamten kontinentalen Region in der Einstufung „unzureichend“ zusammen.
Neben veränderten Bewirtschaftungsweisen führt vor allem die Auflassung zu Flächenverlusten bei den Lebensraumtypen. Fels- und Haldenbiotope, die vielfach auch mit einer
traditionellen Nutzung verknüpft waren, leiden in Thüringen besonders unter der mit der
Auflassung verbundenen Sukzession, so dass die aktuellen Flächenverluste gegenüber der
gesamten kontinentalen Region zu einer ungünstigeren Bewertung führen.
In Thüringen ist der Erhaltungszustand von sieben FFH-Lebensraumtypen als schlecht einzustufen, bei vieren davon deckungsgleich mit der Bewertung in der gesamten kontinentalen
Region.
Bei den drei Standgewässertypen 3130 (Nährstoffarme Stillgewässer mit Strandlings- und
Zwergbinsen-Vegetation), 3140 (Nährstoffarme bis mäßig nährstoffreiche, kalkhaltige Stillgewässer mit Armleuchteralgen), 3190 (Gipskarstseen auf gipshaltigem Untergrund) sowie
dem Fließgewässertyp 3270 (Flüsse mit Schlammbänken) führen derzeit bestehende funktionelle und strukturelle Defizite zu ungünstigen Zustandsbeurteilungen. Für 9110 (HainsimsenBuchenwälder) und 9410 (bodensaure Fichtenwälder) wird bei naturgemäßer Bewirtschaftung
eine positive Entwicklung gesehen. Die derzeitigen Funktionen und Strukturen des Lebensraumtyps 4030 (Trockene Heiden) werden in Thüringen als noch vorhanden eingestuft. Fast
alle größeren trockenen Heiden in Thüringen verdanken ihre Entstehung jedoch der
inzwischen aufgegebenen militärischen Nutzung, die Suche nach Nutzungsalternativen
gestaltet sich vielfach schwierig. Mangels besserer Zukunftsaussichten wird dieser
Lebensraumtyp - wie in der gesamten kontinentalen Region - als „schlecht“ eingestuft.
4.3 Bilanz der verschiedenen Naturschutzinstrumente, -projekte und -maßnahmen und
Bewertung ihrer Wirksamkeit
x
Gesetzlicher Artenschutz
Der gesetzliche Artenschutz, der Regelungen für besonders oder streng geschützte Arten
umfasst, hat bisher nur bedingt Verluste an Biologischer Vielfalt verhindern können. Die im
Zusammenhang mit den artenschutzrechtlichen Bestimmungen der FFH-Richtlinie stehende
Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes vom Dezember 2007 hat jedoch zu einer stärkeren
Berücksichtigung artenschutzrechtlicher Belange im Rahmen von Vorhabensgenehmigungen
geführt.
x
Artenhilfskonzepte und Biotopschutzkonzepte
Sie dienen dazu, die Lebensbedingungen gefährdeter Arten zu verbessern. Zu diesem Zweck
werden zunächst eine Bestandsaufnahme mit einer Erfassung der Populationen und ihrer
Habitate sowie eine Gefährdungsanalyse durchgeführt. Ein darauf aufbauendes Maßnahmenkonzept (Artenhilfskonzept) muss dann in andere Planungen eingearbeitet und/oder von den
regionalen Akteuren umgesetzt werden.
Artenhilfskonzepte sind für eine ganze Reihe von Arten erarbeitet worden, teils landesweit,
teils regional, teils von Seiten der Fachbehörden, teils auch von ehrenamtlichen Fachverbänden und -vereinigungen. Auch die Basiserfassungen für die Arten des Anhangs II der FFHRichtlinie fanden zum Teil im Rahmen solcher Artenhilfskonzepte statt. Die bisherigen
32
Ansätze haben Vertreter vieler Artengruppen zum Gegenstand. Bei der Auswahl der Arten
wurde auch beachtet, dass ihre Lebensräume möglichst viele weitere Arten beherbergen, so
dass die vorgeschlagenen Maßnahmen auch ganzen Artengemeinschaften nutzen.
An Säugern sind Kleine Hufeisennase, Wildkatze, Fischotter und Biber, an Vögeln z. B.
Wanderfalke, Schwarzstorch, Weißstorch, Uhu, Auerhuhn, Birkhuhn und Steinkauz, an
Kriechtieren die Kreuzotter, an Amphibien Moorfrosch, Gelbbauchunke und Feuersalamander
und an Wirbellosen Steinkrebs, Bachmuschel, Rhön-Quellschnecke, die Libellenarten Helmund Vogel-Azurjungfer, die Heuschreckenarten Rotflügelige Ödlandschrecke und Wanstschrecke, die Schmetterlingsarten Skabiosen-Scheckenfalter, Heller und Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling und Heckenwollafter Arten, für die Hilfskonzepte erstellt worden
sind. Bei den Pflanzen liegen z. B. für Frauenschuh, Sumpf-Engelwurz und PanzerSommerwurz, aber auch für die gesamte Gruppe der Ackerwildkräuter Artenhilfskonzepte
vor.
Einige dieser Konzepte wurden umgesetzt. Zum Beispiel: Abwasserentlastung und Unterstützung der Reproduktion für die Bachmuschel an der Milz im Thüringer Grabfeld, quartiererhaltende Maßnahmen für die Kleine Hufeisennase, Waldbewirtschaftungsmaßnahmen für
Frauenschuh, Kreuzotter, Feuersalamander und Hecken-Wollafter, Horstschutzmaßnahmen
für Wanderfalke und Schwarzstorch oder Landbewirtschaftungsmaßnahmen zur Förderung
der Ackerwildkräuter, für den Feldhamster und für den Rotmilan im Rahmen des KULAP.
Seit Anfang der 1990er-Jahre werden von der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und
Geologie Biotopschutzkonzepte für meist hochgradig gefährdete Lebensraumtypen
entwickelt. Bisher standen Kalkflachmoore, Solitärbäume und Alleen, Binnensalzstellen und
Blockhalden im Mittelpunkt von Schutzbemühungen. Aufbauend auf Aktivitäten
ehrenamtlicher Naturschutzmitarbeiter stellt seit 1998 die Erfassung der Verbreitung und
Gefährdung sowie der Schutz der Moore in den Kammlagen des Thüringer Waldes und des
westlichen Thüringer Schiefergebirges einen gemeinsamen Arbeitsschwerpunkt der Thüringer
Naturschutz- und Forstbehörden dar.. Bei der Umsetzung der Konzeption standen die
Verbesserung der Wasserversorgung und die Freistellung der Torfkörper zur Förderung der
typischen Moorvegetation im Vordergrund.
x
Arten- und Biotopschutzprogramm
Mit dem Arten- und Biotopschutzprogramm (ABSP) gemäß § 29 Abs. 2 des vorläufigen
Thüringer Naturschutzgesetzes von 1993 sollte die vorsorgliche Sicherung der wildlebenden
Pflanzen- und Tierwelt und ihrer Lebensräume betrieben werden. Die erste Stufe dieses
Konzeptes auf Ebene der Planungsregionen konnte bereits Ende 1993 vorgelegt werden und
diente der Naturschutzverwaltung insbesondere zur Sicherung vorhandener schutzwürdiger
Flächen. So wurden seine Ergebnisse als Fachbeitrag des biotischen Ressourcenschutzes in
die Landschaftsrahmenpläne 1994 und damit in die Fachgutachten der Regionalplanung
eingearbeitet.
Während der Erarbeitung erster kreisbezogener ABSP wurden bereits kleinere Projekte zur
Verbesserung lokaler Lebensraumstrukturen und Artenhilfsmaßnahmen gestartet. Die umfangreichen Grundlagenerhebungen des ABSP (Luftbildinterpretationen, Biotopkartierungen,
Artenerfassungen) konnten die Anforderungen der aus EU-Recht resultierenden Meldungen
zur Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie bedienen und sind heute eine wichtige Grundlage der
FFH-Management-Planungen.
33
x
Investitionen und Projekte für Natur und Landschaft
Mit dem neuen Förderprogramm „Entwicklung von Natur und Landschaft“ (ENL) wurde
2007 im Rahmen der „Förderinitiative Ländliche Entwicklung in Thüringen“ (FILET) ein
Instrument geschaffen, das das Spektrum des Naturschutzes bis weit in die Regionalentwicklung des ländlichen Raumes erweitert. Der vorgesehene Finanzrahmen von insgesamt 2 Mio.
€ im Jahr erlaubt auch Investitionen zur Erhaltung, Wiederherstellung und Entwicklung von
Lebensräumen und Artenschutzmaßnahmen und schließt u.a. Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit mit ein. Einen Schwerpunkt des Mitteleinsatzes bilden dabei die Natura 2000Gebiete, für die mit Hilfe von ENL bis 2012 eine Managementplanung erstellt werden soll.
x
Naturschutzgroßprojekte von gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung
Die „Naturschutzgroßprojekte“ dienen dem Ziel, natürliche und naturnahe Landschaftsteile
sowie historisch gewachsene Kulturlandschaften und die Vorkommen bestandsgefährdeter
Tiere und Pflanzen dauerhaft zu bewahren und zu sichern. Ein übergreifender Ansatz besteht
darin, über Naturschutzgroßprojekte ganze Landschaftsteile, für die eine hohe Dichte schutzwürdiger und schutzbedürftiger Lebensräume und Arten bekannt sind, insgesamt in das
Zentrum von Schutzbemühungen zu stellen, um so die Kapazitäten zu konzentrieren und
maßnahmenabhängige Erfolge auch nachhaltig sicherstellen zu können.
So wurden seit 1990 folgende Naturschutzgroßprojekte gefördert und umgesetzt :
„Orchideenregion Jena – Muschelkalkhänge im Mittleren Saaletal“ (1996 – 2008, 10 Mio.€),
„Kyffhäuser“ (1997 – 2008, 6 Mio.€),
„Thüringer Rhönhutungen“ (2002 – 2013, 5 Mio.€).
Bisher konnte nach Beendigung der naturschutzfachlichen Maßnahmen eine deutliche
Verbesserung der Lebensraumqualität beobachtet werden. Mit der Ausweisung der
Kerngebiete als NSG wurde in diesen Bereichen ein dauerhafter Schutzstatus erreicht.
x
LIFE-Projekte
Folgende LIFE-Projekte wurden bisher in Thüringen durchgeführt:
x Zwei LIFE-Projekte „Schutz des Lebensraumes Rhön – Baustein im europäischen
Schutzgebietsnetz“ (1993 – 2001, 1,4 Mio.€)
x „Managementplan für das zukünftige Großschutzgebiet Hainich des Europäischen
Netzwerkes Natura 2000“ (1995 – 1999, 560.000 €)
x "Erhaltung und Entwicklung der Binnensalzstellen Nordthüringens" (2003 – 2008, 2,4
Mio.€)
x
Programm zur Förderung von Maßnahmen des Naturschutzes und der
Landschaftspflege (NALAP)
Mit dem allein vom Freistaat Thüringen finanzierten Förderprogramm NALAP sichert
Thüringen die Unterstützung von Projekten des Arten- und Biotopschutzes sowie Maßnahmen
des Vertragsnaturschutzes, die sonst durch das Raster der Vorgaben für die von Bund und EU
kofinanzierten Programme fallen würden (z.B. Maßnahmen für den Schutz von Fledermäusen
bei der Sanierung von Gebäuden oder ein an die speziellen Anforderungen von
Orchideenarten angepasste Wiesenmahd durch den ehrenamtlichen Naturschutz).
34
x
Vertragsnaturschutz
KULAP ist ein von der EU kofinanziertes Programm, das unter die Rubrik „Agrarumweltmaßnahmen“ fällt. Die Programminhalte werden in Programmplanungsdokumenten für den
ländlichen Raum fixiert und mit der EU-Kommission abgestimmt. Das seit 1993 etablierte
KULAP hat sich zum mittlerweile wichtigsten Instrumentarium zur Umsetzung und
Sicherung von Arten- und Biotopschutzmaßnahmen entwickelt. Mit den KULAPNaturschutzmaßnahmen werden wertvolle Grünlandflächen, insbesondere in Natura 2000Gebieten, in einem guten Erhaltungszustand gesichert. Durch Effizienzkontrollen werden
fortlaufend die Maßnahmen geprüft und im Bedarfsfall abgeändert bzw. neue
Programmpunkte definiert. Um den Mitteleinsatz noch zielgerichteter auf Lebensräume mit
hohem Handlungsbedarf zur Pflege zu richten, wurde in den Jahren 2006 bis 2008 eine
Förderkulisse für KULAP-Naturschutz entwickelt. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die im
Fachinformationssystem Naturschutz gespeicherte Förderkulisse einen hohen Praxisbezug
besitzt.
In der neuen Förderperiode von 2007 bis 2013 wurde im Jahr 2008 mit ca. 38.000 ha
Förderfläche und knapp 12 Millionen € im Programmteil N (Naturschutz) des KULAP
verausgabter Mittel das Niveau der Vorjahre wiederum erreicht.
Defizite in der Landschaftspflege erwachsen vor allen Dingen aus ungenügenden Finanzierungsmöglichkeiten für besonders anspruchsvolle Pflegearbeiten, wie Entbuschung von
Trockenrasen oder differenzierte Mahd im schwer zu bewirtschaftenden Gelände zum
Beispiel zum Schutz hoch bedrohter Orchideenarten. Durch steigende Agrarpreise und
Verwendungsalternativen für den Aufwuchs kann der finanzielle Anreiz für den Landwirt, an
KULAP-Maßnahmen teilzunehmen, geringer werden. Bisherige Auswertungen zur Akzeptanz
des neuen KULAP-Programms bestätigen dies jedoch nicht.
Beim Ackerschonstreifenprogramm ist allerdings ein enormer Rückgang der Vertragsflächen
zu verzeichnen, was Verluste an Vielfalt befürchten lässt. Probleme bereiten auch Flächen mit
Vorkommen schutzwürdiger Arten, für die es keine Nutzungs- bzw. Pflegeinteressenten mehr
gibt. Zum Teil übernehmen die unteren Naturschutzbehörden die Pflegearbeiten, sie sind aber
zunehmend überfordert.
Im Sinne der Nutzung von Synergieeffekten bestehen Defizite bei der Extensivierung von
überschwemmungsaktiven Auenflächen. Gerade bei letzteren handelt es sich um Konfliktfelder zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Wasserwirtschaft. Maßnahmen zur Lösung
können nur im gesellschaftlichen Konsens umgesetzt werden und erfordern eine erhebliche
Mittelbereitstellung, um z. B. berechtigten landwirtschaftlichen Interessen gerecht zu werden.
Weitere Fördermöglichkeiten nach KULAP sind der nachstehenden Tabelle zu entnehmen:
Tabelle 11: Maßnahmen des KULAP 2007sowie Ziele und Wirkungen in Bezug auf die Biodiversität
Maßnahmen mit indirekten
Maßnahmen, die gezielt auf Schutz und Maßnahmen mit direkter positiver
Wirkungen, die zur
Erhöhung der Artenvielfalt, gefährdeter
Wirkungen auf Erhöhung und
Stabilisierung der Artenvielfalt
Arten und Biotope ausgerichtet sind
Erhalt der Biodiversität
beitragen
x Blühflächen, Blühstreifen, Acker
x Ökologische
x Reduzierung der
und Uferrandstreifen (
Anbauverfahren
Stickstoffausträge
x Artenreiche
x Zwischenfruchtanbau
x Artenreiches Grünland
Fruchtfolgen
x Pflege von Hecken und
x pfluglose
x Hamsterschutzgerechte Nutzung
Schutzpflanzungen
Bodenbearbeitung
x Umwandlung von
x Nahrungs- und Nistschutzflächen
Ackerland in Grünland
x Rotmilanschutz
x Teichlandschaftspflege
x Stilllegung für Naturschutzzwecke
x Grünland-Biotoppflege durch
Beweidung
35
x
x
x
x
Grünland-Biotoppflege durch
Mahd
Pflege von Streuobstwiesen
Erhaltung vom Aussterben
bedrohter Nutztierrassen
Schutzgebiete/Nationale Naturlandschaften
Bei der Ausweisung von Schutzgebieten nach Naturschutzrecht sind seit 1989/90 erhebliche
Fortschritte erzielt worden. Im Mittelpunkt stehen die Naturschutzgebiete (NSG). So gibt es
mit Stichtag 31.12.2008 in Thüringen 264 Naturschutzgebiete (einschließlich der Kern- und
Pflegezonen der beiden Biosphärenreservate) mit einer Fläche von 43.873 ha (2,7 % der
Landesfläche).
Die Sicherung gefährdeter und schutzbedürftiger Lebensräume sowie von Habitaten
gefährdeter und schutzbedürftiger Arten vor allem in den Kerngebieten der NaturschutzGroßprojekte stellten wichtige Schwerpunkte bei der Auswahl der vorrangig auszuweisenden
Naturschutzgebiete dar. Auf der Basis dieser Kriterien wurde von den für die Schutzgebietsausweisung zuständigen Naturschutz- und Fachbehörden eine abgestimmte Arbeitsplanung
für die Naturschutzgebietsausweisung aufgestellt, deren Umsetzung in wesentlichen Teilen
schon stattgefunden hat. Weitere wichtige Maßgabe bei der Schutzgebietsausweisung war und
ist die Prämisse, die Schutzgebietsausweisung konsensual mit den von der naturschutzrechtlichen Unterschutzstellung Betroffenen durchzuführen. Auf diese Weise wurden zahlreiche
NSG im Bereich der ehemaligen innerdeutschen Grenze, des „Grünen Bandes“, aber auch auf
ehemaligen militärischen Liegenschaften ausgewiesen. Auch die Kerngebiete der Naturschutzgroßprojekte „Orchideenregion Jena - Muschelkalkhänge im Mittleren Saaletal“ und
„Kyffhäuser“ wurden auf diese Weise als NSG gesichert.
Durch die Ausweisung der Naturschutzgebiete einschließlich der Kern- und Pflegezonen der
Biosphärenreservate sowie den Nationalpark Hainich wurde bisher für ca. 3,2 % der Landesfläche der verbindliche Rahmen zur Erhaltung der dortigen Arten und Lebensgemeinschaften
und damit der biologischen Vielfalt geschaffen.
Ergänzt wird dieses Grundgerüst durch die in Thüringen bisher ausgewiesenen Landschaftsschutzgebiete, Geschützten Landschaftsbestandteile, Flächennaturdenkmale und Naturdenkmale sowie die nach § 18 ThürNatG gesetzlich geschützten Biotope ( ca. 62.000 ha, entspricht 3,8 % der Landesfläche, hochgerechnet auf Basis von 80 % kartierter Landesfläche).
Durch die damit verbundenen z.T. punktuellen Unterschutzstellungen und durch den Schutz
charakteristischer Landschaftsbildelemente wie Hecken, Feldgehölze oder Streuobstbestände
konnten Verbindungs- und Trittsteinelemente gesichert werden, die für die Erhaltung der
biologischen Vielfalt wichtig sind.
Thüringen verfügt darüber hinaus über sieben unter dem Namen „Nationale Naturlandschaften“ zusammengefasste Großschutzgebiete, die ebenfalls wichtige Beiträge zur
Erhaltung der biologischen Vielfalt Thüringens liefern. Hierzu zählen der Nationalpark
Hainich, die beiden Biosphärenreservate „Rhön“ und „Vessertal – Thüringer Wald“ sowie die
vier Naturparke. Die Ausweisung eines weiteren Naturparks „Südharz“ wird derzeit vorbereitet. Die Tabelle 12 gibt einen Überblick über die Nationalen Naturlandschaften:
36
Schutzgebietskategorie
Nationalpark Hainich
Biosphärenreservat Rhön
(Thüringer Teil)
Biosphärenreservat
Vessertal-Thüringer Wald
Naturpark EichsfeldHainich-Werratal
Naturpark Kyffhäuser
Naturpark Thüringer
Schiefergebirge/Obere Saale
Naturpark Thüringer Wald
Naturpark Südharz
Größe in ha
Anteil an der
Landesfläche in %*
7.513
48.910
0.46
3,02
17.092
1,06
87.000
5,38
30.500
82.779
1,88
5,12
208.200
30.000
12,87
1,85
* Hier sind Überlagerungen mit anderen Schutzgebietskategorien wie Naturschutzgebiet oder Landschaftsschutzgebiet möglich.
Tab. 12: Übersicht der Nationalen Naturlandschaften und Größen
Fazit: Die Instrumente des Flächen- und Objektschutzes dienen nicht nur einzelnen Schutzerfordernissen, sondern unterstützen als rechtliches Sicherungsinstrument die Durchsetzung
naturschutzfachlicher Programme. Es erfolgt ein koordinierter Einsatz. Zudem werden in den
Modellregionen der Biosphärenreservate und Naturparke nachhaltige Landnutzungsformen
und Wirtschaftsweisen erprobt, um das gedeihliche Miteinander von Mensch und Natur in
seiner ganzen Vielfalt zu erhalten und zu entwickeln.
x
Landschaftsplanung
Die als „querschnittsorientierte“ Fachpläne des Naturschutzes und der Landschaftspflege
angelegten Landschaftsrahmenpläne und Landschaftspläne liegen in einer ersten Generation
(1993 – 2002) für Thüringen weitgehend flächendeckend vor. Bisher gibt es keine differenzierte statistische Auswertung der Inhalte der Landschaftsrahmenpläne und Landschaftspläne
der ersten Generation und ihrer Umsetzung, so dass ihre naturschutzfachlichen Stärken und
Schwächen in Thüringen bisher nicht im Einzelnen bilanziert werden können. Im Überblick
betrachtet lagen die Schwerpunkte der Pläne
x bei der Zusammenstellung verschiedener Grundlagen über die biotischen und abiotischen Schutzgüter des Naturschutzes und daraus abzuleitenden Planungen für die
grundsätzliche Struktur der Flächennutzung,
x bei der Auseinandersetzung mit den damals vielfach in der Planung oder Realisierung
befindlichen Eingriffsvorhaben und
x der Darstellung von Vorschlägen und Anforderungen des Naturschutzes im Hinblick auf
die Raumordnung und die Bauleitpläne.
Aspekte der Biodiversität wurden dabei als Grundlagendaten und als eines der Ziele des
Naturschutzes berücksichtigt, standen aber nicht im Mittelpunkt, weil mit dem „Arten- und
Biotopschutzprogramm“ ein spezielles Planungskonzept vorgesehen war. Dennoch haben die
Darstellungen der Landschaftspläne über die in verschiedenen Gesetzen vorgesehenen
Pflichten zur Berücksichtigung und Integration bei anderen Planungen und Maßnahmen
wesentlich zur Sicherung und Entwicklung der Biodiversität beigetragen, beispielsweise über
37
die frühzeitige raumordnerische Sicherung vieler für das europäische Schutzgebietssystem
„Natura 2000“ zu meldenden Flächen und die Lenkung von Planungen für Eingriffsvorhaben
auf weniger sensible Bereiche.
x
Eingriffsregelung und Flächenpools
In der Eingriffsregelung gilt das Verursacherprinzip. Sie greift laut der gesetzlichen Definition aber nur bei erheblichen Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen. Die
tägliche und der guten fachlichen Praxis entsprechende Wirtschaftsweise, insbesondere der
Land- und Forstwirtschaft, unterliegt somit nicht der Eingriffsregelung. Will man diese im
Sinne der Biologischen Vielfalt beeinflussen, so sind andere Instrumente des Naturschutzes
wie Vertragsnaturschutz oder Schutzgebietsausweisungen gefordert.
Die mit einem Vorhaben verbundenen Beeinträchtigungen sind nicht immer vollständig
vermeidbar. Allein die Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsflächen von 7,89 % im Jahre
1992 auf 9,08 % im Jahre 2007 (jeweils als Anteil an der Landesfläche in %) belegt dieses
eindrucksvoll.
Diese der freien Natur entzogenen Flächen sind aber nicht automatisch mit einer Eingriffsfläche gleichzusetzen. Siedlungsflächen umfassen auch Grünflächen, die für seltene Arten als
Rückzugsraum von großer Bedeutung sein können (siehe Kap. 5.2).
Für die unvermeidbaren Beeinträchtigungen wird eine Wiedergutmachung (Kompensation)
erforderlich. Eine Untersuchung der in den 90er Jahren festgesetzten Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zeigt hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Werthaltigkeit ein unbefriedigendes
Bild. Während der quantitative und qualitative Realisierungsgrad von Kompensationsmaßnahmen bei Straßenbauvorhaben mit 60 % im bundesweiten Vergleich noch gut war, konnte
dieser bei Bebauungsplänen mit ca. 30% nicht mehr überzeugen.
Hinzu kommen Klagen der landwirtschaftlichen Unternehmen, dass oft die besten Ackerböden für Kompensationsmaßnahmen in Anspruch genommen wurden, auch wenn die
Inanspruchnahme landwirtschaftlich genutzter Fläche für Kompensationsmaßnahmen mit ca.
1 % gemessen an der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche in Thüringen gering ist.
Neue Konzepte waren und sind gefragt. Schon die Änderung des Baurechts 1998 eröffnete die
Einrichtung bauleitplanerischer Ökokonten. Durch die Landesverwaltung wurden darauf
aufbauend Flächenpoolvorschläge für Vorhaben von regionaler und überregionaler Bedeutung
erarbeitet. Dabei wurden in hohem Maße NATURA 2000-Gebiete einbezogen. Vorteile
dieses Instrumentes sind: gezielte Erhöhung des Entsiegelungsanteils an Kompensationsmaßnahmen (Ziel Erhöhung von ca. 10% auf 20%), Unterstützung des landesweiten Biotopverbundes, Planung abgestimmter und möglichst betriebsintegrierter Maßnahmen auf
Landwirtschaftsflächen, Beitrag zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie z.B. durch
Gewässerrenaturierungen.
Auch die Stiftung Naturschutz hat sich hier eingebracht. Aus Mitteln der naturschutzrechtlichen Ausgleichsabgabe konnten o.g. Schwerpunkte im Sinne eines revolvierenden Fonds
durch vorgezogene Maßnahmen umgesetzt werden – zur frühzeitigen Aufwertung von Natur
und Landschaft, mit Erleichterungen für Vorhabensträger und zur Lösung von Landnutzungskonflikten.
Fazit: Die Eingriffsregelung ist kein Verhinderungsinstrument. Sehr wohl konnten durch eine
konsequente Anwendung des Vermeidungsgebotes schlimmere Auswirkungen auf wertvolle
Teile von Natur und Landschaft vermieden werden. Die Neuausrichtung der Eingriffsregelung, hier insbesondere die Flächenpoollösungen, steigern Akzeptanz und Werthaltigkeit von
38
Kompensationsmaßnahmen, indem diese nach Möglichkeit konsequent zur Erfüllung
übergeordneter Zielsetzungen eingesetzt und einvernehmlich entwickelt werden. Das
Instrument der Eingriffsregelung dient damit der Erhaltung und Verbesserung der
biologischen Vielfalt.
x
Sonstige Instrumente
- Umweltbildung/Bildung für nachhaltige Entwicklung
Umweltbildung ist ein wichtiger Arbeitschwerpunkt der Verwaltungen der Nationalen
Naturlandschaften in Thüringen. Viele Veranstaltungen, die sich an verschiedene Nutzergruppen richten, werden regelmäßig durchgeführt (Vorträge, geführte Wanderungen,
Projekte mit Schulen, Naturerlebnistage, etc.). Insbesondere Schüler stellen eine intensiv
betreute Nutzergruppe dar. Im Zusammenhang mit der UN-Dekade „Bildung für
Nachhaltige Entwicklung“ wurden verstärkt in diesem Bereich Bildungsangebote
gemacht. Ergänzt werden diese Bildungsangebote des Nationalparks, der Biosphärenreservate und Naturparke durch Angebote der zertifizierten Natur- und Landschaftsführer
des jeweiligen Gebietes.
- Landentwicklung
Synergien mit der Landentwicklungsverwaltung wurden vielfach genutzt. Zu nennen ist
die Einrichtung und Verwaltung von Flächenpools zur Bereitstellung von Flächen für
Kompensationsmaßnahmen und die Moderation bei der Erarbeitung von Konzepten unter
Beteiligung von Bürgern, Verbänden und Behörden. Im Rahmen der Zusammenarbeit
wurden eine Vielzahl von Maßnahmen durch Verfahren nach dem Flurbereinigungsgesetz
flankiert. Hierzu zählen u.a. die Verdichtung von Biotopverbundsystemen, die Sicherung
von Uferschutzstreifen und die Sicherung von Schutzflächen für bedrohte Arten.
Insbesondere wird die Anlage des Korridors für die Wildkatze und die
eigentumsrechtliche Sicherung erwähnt. Als gemeinsame Großprojekte sind das EULIFE-Projekt zur Erhaltung der Binnensalzstellen im Esperstedter Ried und die Sicherung
des Grünen Bandes als Deutschlands größter Biotopverbund zu nennen. Im Bereich des
Grünen Bandes wurden bislang nahezu 30 Verfahren nach dem Flurbereinigungsgesetz
angeordnet. Mit der Umsetzung der Idee zum „Green Belt Europe“ für den Abschnitt
Zentraleuropa wurde im Jahr 2006 durch das INTERREG III B Projekt begonnen. Das
TMLNU brachte sich mit seinen Erfahrungen aus dem Grünen Band Thüringen als
Projektpartner ein.
5. Bilanz der Biologischen Vielfalt in den Landschaftsräumen Thüringens
Nach der Darstellung der bisherigen Bilanz der Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen
Vielfalt, mehr bezogen auf Arten und Lebensräume, soll im folgenden eine Situationsbeschreibung aus den anteilmäßig größten Landschaftsräumen die Bilanzierung abrunden.
5.1 Biologische Vielfalt in den Agrarlandschaften
x
Ausgangslage
Die Landwirtschaft ist Nutzer und Gestalter der biologischen Vielfalt auf etwa 54% der
Bodenfläche Thüringens. Sie beeinflusst über unterschiedlich intensive Formen der
Bewirtschaftung maßgeblich Erhalt und Entwicklung der Agrarökosysteme, der dort lebenden
Arten und der genetischen Vielfalt innerhalb der Arten. Die Landwirtschaft muss dabei
39
sowohl Schutz- als auch Nutzinteressen gerecht werden. Gleichzeitig steht die Thüringer
Landwirtschaft aber auch in der Verantwortung, ihren Beitrag zur steigenden Marktnachfrage
nach Biomasse (Nahrungs- und Futtermittel, Rohstoffe und Energie) zu leisten und weitere
Funktionen zu erfüllen, zu denen auch der Schutz der Biodiversität gehört.
Abbildung 02: Einflussfaktoren auf Landwirtschaft und Biodiversität in Agrarökosystemen und Funktionen der
Landwirtschaft
Agrar- / Energie- /
Klima/
Rohstoffmärkte
Standort
Verbrauchernachfrage
Technischer
Fortschritt
Erzeugung
Nahrungsmittel, Rohstoffe, Energie
Erhalt / Pflege
Kulturlandschaft
Landwirtschaft
multifunktional
Nutzung / Schutz
Ressourcen
abiotisch (Boden, Wasser, Luft)
biotisch (Biodiversität)
Wirtschaftsfaktor
Im ländlichen Raum
Lenkungsinstrumente (Agrar- und Umweltpolitik)
Fachrecht
(insbesondere Düngung, z.B.
Düngeverordnung, Pflanzen-,
Wasser- und Naturschutz,
z.B. Natura 2000)
Cross Compliance
(spezifische
Bewirtschaftungsvorgaben)
Freiwillige
Agrarumweltmaßnahmen
(KULAP Thüringen)
Agrobiodiversität bezeichnet den von der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft genutzten Teil
der Biodiversität, der die Vielfalt der Arten (Nutzpflanzen, Nutztiere), die genetische Vielfalt
(Sorten, Rassen, Genotypen) und die Vielfalt der genutzten Ökosysteme (Wildarten, Biotope,
Strukturen im Agrarraum) umfasst. Sie ist ein wesentlicher Teil der gesamten biologischen
Vielfalt in Thüringen.
Zur Beschreibung der Ausgangslage existieren neben den vorliegenden statistischen Angaben
nur wenige spezielle Untersuchungen. Vorliegende Daten wurden in die Erstellung des
Abschnittes Bilanz einbezogen.
Naturraumbedingt ist die Verteilung der Landwirtschaftsfläche und der Landnutzungsformen
regional sehr differenziert. Von der landwirtschaftlich genutzten Fläche (LF) entfallen derzeit
77 % auf das Ackerland, während 22 % als Dauergrünland bewirtschaftet werden. 1991
betrug der statistisch erfasste Grünlandanteil an der LF noch 18,4 %. Während im Thüringer
Becken und im Altenburger Land der Grünlandanteil unter 10% der LF liegt, erreicht er im
Thüringer Wald und in der Hohen Rhön mehr als 50 %.
x
Ziele, Voraussetzungen
Die Thüringer Landwirtschaft musste und muss sich der Herausforderung stellen, den für die
Landwirtschaft genutzten Teil der biologischen Vielfalt zu erhalten, ihre Potentiale weiter zu
erschließen und nachhaltig zu nutzen.
Sich ändernde Rahmenbedingungen (hier insbesondere Klimawandel, Märkte, Politik) führen
dazu, dass sowohl die Landnutzung als auch die biologische Vielfalt einer dynamischen
Entwicklung unterliegen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, bedarf es der
Innovationsfähigkeit von Landnutzung und Agrarwirtschaft.
40
Zentrale agrarpolitische Ziele für den Erhalt der Biologischen Vielfalt sind
-
die nachhaltige Nutzung der Agrobiodiversität verbunden mit der möglichst
weitgehenden Erhaltung bedrohter Lebensräume und Arten
die langfristige Erhaltung und breitere Nutzung genetischer Ressourcen
die stärkere Einbindung der Märkte und Verbraucher in die Nutzung der
Agrobiodiversität unter Nutzung des technischen und züchterischen Fortschrittes
Eine nachhaltige, d.h., ökologischen, wirtschaftlichen wie auch sozialen Anforderungen
Rechnung tragende Landwirtschaft zielt auf einen höchstmöglichen betrieblichen wie auch
gesellschaftlichen Gesamtnutzen ab.
Erhalt und Nutzung der Agrobiodiversität bei gleichzeitiger Erhaltung natürlicher Ökosysteme und bedrohter Arten erfordern die Entwicklung und den Einsatz nachhaltiger
Nutzungssysteme. Hierzu bedarf es u.a.:
- einer gezielten Analyse und Bewertung des Einflusses verschiedener
Nutzungssysteme auf die biologische Vielfalt,
- der Darstellung und monetären Bewertung von Maßnahmen und Leistungen der
Landwirtschaft für Erhalt und Verbesserung der biologische Vielfalt,
- einer leistungsgerechten Vergütung zusätzlich erforderlicher Maßnahmen zum Erhalt
der biologische Vielfalt,
- der langfristigen Verfügbarkeit eines breiten Spektrums nutzbarer Arten, Sorten und
Rassen und
- spezieller Aus- und Weiterbildungsangebote für Landwirte.
x
Projekte und Maßnahmen
- Agrarumweltmaßnahmen
Mit den Programmen zur Förderung umweltgerechter Landwirtschaft, Erhaltung der
Kulturlandschaft, Naturschutz und Landschaftspflege (KULAP) sowie den Programmen des
Vertragsnaturschutzes (NALAP) verfolgt Thüringen Ziele zur Verbesserung der biologischen
Vielfalt (siehe Kap. 4.3). Der überwiegende Teil der angebotenen Maßnahmen wirkt direkt
auf Artenvielfalt und Biodiversität.
Thüringen bietet seit 1993 ein gebietsspezifisches Programm zur Förderung umweltgerechter
Landwirtschaft, Erhaltung der Kulturlandschaft, Naturschutz und Landschaftspflege
(KULAP) an. Seit 2004 wird den Landwirten darin auch die Förderung der
Fruchtartendiversifizierung auf Ackerflächen und von Blühflächen auf stillgelegten Flächen
angeboten.
Das KULAP-Programm hat sich auch für den Erhalt der Biologischen Vielfalt bewährt und ist
daher auch Bestandteil der Förderinitiative Ländliche Entwicklung in Thüringen 2007-2013
(FILET).
- Programme zum Erhalt der genetischen Vielfalt in der Tierzucht
Zuchtprogramme und -strategien der Tierzuchtverbände orientieren sich an einer Vielzahl
wirtschaftlich relevanter Kriterien. Diese existieren für Milch- und Fleischrinder (Leistung,
Produktqualität, Fruchtbarkeit, Nutzungsdauer, Gesundheit), Pferde (Exterieur und Leistung),
Schweine (Leistung und Fruchtbarkeit), Schafe (Leistung und Futterverwertung) und Ziegen
41
(Leistung und Fruchtbarkeit). Genetische Vielfalt bildet eine wichtige Voraussetzung für
Zuchtfortschritte und für die Nutzungsvielfalt der Nutztierarten.
Zur aktiven Erhaltungsarbeit für gefährdete Nutztierrassen werden folgende Maßnahmen bzw.
Projekte umgesetzt:
x
Förderung der Zucht vom Aussterben bedrohter einheimischer Nutztierrassen im
KULAP (8 Rassen),
x
Arche-Höfe (Ziegenhof Peter, Greußen und Arche-Rhönschafhof, Schernberg) und
x
Modellprojekt Thüringer Wald Ziege.
- Erweiterung Anbauspektrum im Pflanzenbau
Durch Schaffung neuer Verwertungslinien, u. a. mit nachwachsenden Rohstoffen ergibt sich
eine Erweiterung des Anbauspektrums im Pflanzenbau. Von Thüringen wird seit 2006 das
bundesweite Forschungsprojekt „Entwicklung und Vergleich von optimierten Anbausystemen
für die landwirtschaftliche Produktion von Energiepflanzen unter den verschiedenen
Standortbedingungen Deutschlands“ koordiniert. In diesem Projekt werden zahlreiche
Fruchtarten und Anbausysteme getestet. So konnten in Thüringen bereits Zuckerhirse und
durchwachsene Silphie in die Praxis überführt werden. Ebenso gelang es über Projektarbeiten
den Feldanbau von Mohn, Saflor und Schwarzkümmel in Thüringen wieder zu etablieren. Des
weiteren werden Agroforstsysteme im Thüringer Lehr-, Prüf- und Versuchsgut getestet.
- Artenvielfalt bei gartenbaulichen Kulturen
Für den Bereich der Arznei- und Gewürzpflanzen sind insbesondere die Inkulturnahmeaktivitäten von Wildarten und die weitergehende Auslese/Züchtung erwähnenswert.
Mit der „Pharmaplant GmbH“ in Artern verfügt Thüringen über ein Unternehmen, das auf
diesem Gebiet sehr aktiv ist. So wurden in den letzten Jahren verschiedenen Projekte
abgeschlossen, die u. a. folgende Arten betreffen: Weißdorn, Johanniskraut, Adonisröschen
und Rosenwurz.
Mit der Überführung in den Anbau kann eine Übernutzung der Wildbestände durch Sammlung vermieden werden. Die ausgelesenen Herkünfte oder herausgezüchteten Sorten werden
hinsichtlich ihrer Inhaltsstoffe und Anbaueigenschaften optimiert.
x
Bilanz
- Vielfalt im Pflanzenbau und im Grünland
Auf dem Ackerland werden aktuell über 100 verschiedene Kulturpflanzenarten angebaut,
darunter über 45 landwirtschaftliche Fruchtarten. Letztere nehmen einen Flächenanteil von
über 98% der Ackerfläche ein. Auf etwa 60% der Ackerfläche erfolgt der Anbau von
Getreide. Gartenbauliche Kulturen nehmen etwa 5000 Hektar ein.
Innerhalb der Arten erweitert ein reichhaltiges Sortenspektrum die genetische Vielfalt. Der
züchterische Fortschritt bringt ständig neue Sorten hervor, die speziellen
Standortbedingungen und Qualitätsanforderungen immer besser gerecht werden.
Beispielsweise erhöhte sich die Vielfalt der in Deutschland angebauten Maissorten von 349
Sorten im Jahr 1996 auf 516 Sorten im Jahr 2006. Eine Zunahme der Sortenvielfalt ist auch
im Getreide- und Rapsanbau festzustellen. Von 2000 bis 2006 erhöhte sich die Anzahl der in
Thüringen angebauten Getreidesorten von 84 auf 87 bzw. bei Raps von 15 auf 28 Sorten. Die
Sortenvielfalt ist bei den Fruchtarten am höchsten, die einen hohen Anbauumfang aufweisen
und/oder neuen Verwendungsrichtungen dienen.
42
Besonders positive Wirkungen auf die biologische Vielfalt und eine vielfältige
Kulturlandschaft erreichte das seit 1993 angebotene Thüringer Programm zur Förderung von
umweltgerechter Landwirtschaft, Erhaltung der Kulturlandschaft, Naturschutz und
Landschaftspflege (KULAP), an dem sich jeder zweite Landwirtschaftsbetrieb im Freistaat
beteiligte und dessen Maßnahmen insgesamt rund 36 % der LF betreffen. Einbezogen sind,
von wenigen Ausnahmen abgesehen, landwirtschaftlich genutzte Flächen, unabhängig ob sie
weiterhin zur Produktion genutzt oder zeitweilig aus der Nutzung genommen wurden.
Die Extensivierungsmaßnahmen auf 24,1% der Ackerfläche, darunter kontrolliert-integrierte
Anbauverfahren, ökologischer Landbau sowie die Schaffung von Zwischenstrukturen, führten
zu einer Erweiterung des Artenspektrums wildlebender Pflanzen- und Tierarten (Abb. 03).
Beispielsweise wurden auf Brachestreifen 143 Pflanzenarten, auf Blühflächen 241 und auf
ökologisch bewirtschafteten Flächen 208 Arten mit über 30% Bedeckungsgraden registriert
im Gegensatz zu konventionell bewirtschafteten Flächen, auf denen insgesamt 173
Ackerwildkrautarten mit bis zu etwa 5% Gesamtdeckung nachgewiesen wurden. Einen
besonders hohen Wert für den Schutz seltener und gefährdeter Ackerwildkräuter besitzen
Ackerrandstreifen, auf denen 27 Arten der Roten Liste Thüringens festgestellt wurden.
Abbildung 03:
Bewertung der Laufkäferzönosen auf
unterschiedlich
bewirtschafteten
Ackerflächen
Etwa 80 % des Dauergrünlandes in Thüringen unterlag bislang im Rahmen des KULAP
zusätzlichen Extensivierungsauflagen bzw. einer gezielten Biotoppflege. Über 750 Gräser-,
Kräuter- und Leguminosenarten wurden auf den Thüringer Dauerbeobachtungsflächen erfasst.
In ganz Deutschland sind etwa 2000 verschiedene Grünlandpflanzenarten bekannt.
Die geförderten Bewirtschaftungsweisen bewirkten die weitere Anpassung der
Pflanzenbestände an die vielfältigen Standort- und Bewirtschaftungsbedingungen (Abb. 04).
Abbildung 04:
Entwicklung der Vielfalt der
Pflanzengesellschaften durch
Grünlandextensivierung und
gezielte Biotoppflege
43
Dabei konnten vielfältige und artenreiche Pflanzenbestände, z.B. mit über 40 Pflanzenarten
der Roten Liste Thüringens bzw. 31 anspruchsvolle Arten spezieller Standorte, wie auf
beweideten Trocken- und Magerrasen erhalten werden (Abb. 05).
Abbildung 05:
Artenvielfalt
Grünlandvegetation
der
- Vielfalt in der Tierhaltung
Bei den Nutztierarten hat sich im Vergleich von 1990 zu 2007 eine unterschiedliche
Entwicklung in der Vielfalt gehaltener Rassen vollzogen (Tabelle 13). Mit Ausnahme der
Schweine hat sich bei allen Nutztierarten die Anzahl der Rassen deutlich erhöht. In
Verbindung mit der Grünlandextensivierung ist eine Vielzahl von Fleischrind- und
Schafrassen hinzugekommen. Die sehr starke Erweiterung der Rassenvielfalt beim Pferd steht
im engen Zusammenhang mit der Nutzung dieser Tiere im Freizeitbereich. Die neu
hinzugekommenen Rassen sind, mit Ausnahme beim Milchrind, selten/gefährdet und/oder mit
besonderen Eigenschaften ausgestattet.
Die Entwicklung des Rinderbestandes ist von 1995 zu 2007 stark rückläufig, Der Bestand an
Milchkühen ist im Betrachtungszeitraum von 164.041 auf 116.467 gesunken, während der
Bestand an Mutterkühen von 30.000 auf 38.052 angestiegen ist. Eine deutliche Abnahme im
Bestand ist auch bei den Schafen zu verzeichnen. Trotzdem gehört Thüringen mit 27
Tieren/100ha LF nach wie vor zu den Regionen mit dem höchsten Schafbesatz in
Deutschland.
Tabelle 13: Entwicklung der Rassenvielfalt und Tierbestände der Nutztierarten in Thüringen
Rassen (Anzahl)
Tierbestand (Stück)
Tierart
1990
2007
1995
2007
Milchrind
1
6
468.226
347.194
Fleischrind
1
18
Pferd
6
26
7.815
9.310
Schwein
7
7
659.700
775 600
Schaf
7
20
241.886
214.761
Ziege
3
8
2.732
13.281
Landwirtschaftliche Wildhaltung
3
5
741
4.598
(Wildwiederkäuer)
Wirtschaftsgeflügel
8
8
3.607.000
4.983.000
Rassegeflügel
336
378
Kaninchen
54
234
41.649
84.217
Bei allen anderen Tierarten (Pferd, Schwein, Ziege, landwirtschaftliche Wildhaltung, Geflügel
und Kaninchen) hat die jeweilige Tierzahl deutlich zugenommen. Das gilt insbesondere für
44
die Ziegen. Beispielhaft sind die erfolgreichen Bemühungen zum Erhalt der „Thüringer Wald
Ziege“. Der Bestand dieser leistungs- und widerstandsfähigen heimischen Rasse hatte sich
von 53.000 Tieren im Jahr 1935 auf 88 Zuchttiere im Jahr 1992 reduziert. Dank dem
gemeinsamen Engagement Thüringer Züchter und der Gesellschaft zur Erhaltung alter und
gefährdeter Haustierrassen gelang es, die „Thüringer Waldziege“ zu erhalten. Mit Hilfe eines
bundesweiten Modellprojektes wurde eine zentrale Zuchttierdatenbank geschaffen mit der die
Anpaarungsberatung für eine länderübergreifende Erhaltungszucht optimiert werden konnte.
Aktuell sind bundesweit 942 Zuchttiere erfasst.
Die KULAP-Förderung der vom Aussterben bedrohten einheimischen Nutztierrassen (Rotes
Höhenvieh, Rhönschaf, Leineschaf, Thüringer Wald Ziege, Schweres Warmblutpferd,
Rheinisch-Deutsches Kaltblutpferd, Deutsches Sattelschwein) hat dazu beigetragen, dass der
eingetragene Zuchttierbestand zugenommen hat (Tabelle 14).
Tabelle 14: Entwicklung der Zuchttierbestände heimischer, vom Aussterben bedrohter
Nutztierrassen in Thüringen
weibliche und männliche Zuchttiere (Stück)
Nutztierasse
Rotvieh, Zuchtrichtung Höhenvieh
Rhönschaf
Leineschaf, ursprünglicher Typ
Thüringer Wald Ziege
Schweres Warmblutpferd
Sächsisch-Thüringisches Kaltblutpferd1)
Deutsches Sattelschwein
1)
2000
92
872
582
256
324
152
60
2001
117
1.073
550
273
340
161
56
2002
121
1.841
548
283
362
178
43
2003
125
2.076
605
322
415
190
50
2004
133
2.145
599
311
406
187
54
2005
92
2.307
629
285
437
184
59
2006
101
2.149
647
270
439
187
62
Entwicklun
g
2006 zu
2000 (%)
110
246
111
106
136
123
103
ab 2004 Rheinisch-Deutsches Kaltblut
In der Förderperiode 2007-2013 wird zusätzlich zu diesen 7 Nutztierrassen die Zucht von
Böcken der Rasse Merinolangwollschaf gefördert.
Thüringen gehört mit 47,5 Großvieheinheiten je 100 ha LF im Jahr 2007 zu den Regionen mit
dem niedrigsten Viehbesatz.
1.939 Imker hielten im Jahr 2006 insgesamt 15.868 Bienenvölker im Freistaat. Die Anzahl
der gehaltenen Bienenvölker ist weiterhin leicht rückläufig.
In der Kaninchenzucht sind 234 Rassen und Farbschläge in die Vereinszuchtbücher
eingetragen. Die Tierzahl ist tendenziell steigend.
Beim Rassegeflügel betreut das Zuchtbuch 83 Zuchten.
- Vielfalt im Gartenbau
Der Feldgemüseanbau erstreckt sich auf mehr als 25 Arten. Außerdem werden in Thüringen
Erdbeeren, Tabak sowie weitere Gartenbaukulturen und Zierpflanzen mit einer großen
Sortenvielfalt angebaut. Über 16 verschiedene, mehrjährige Sonderkulturen werden in
Thüringen kultiviert, wozu Obstplantagen, Baumschulflächen und Rebflächen zählen.
Darüber hinaus bereichern Hopfen, Färberwaid, Faserhanf und andere Handelsgewächse das
Anbauspektrum in Thüringen. Thüringen ist ein traditionelles Anbaugebiet von Heil-, Duftund Gewürzpflanzen mit bundesweit bedeutsamen Anbauumfängen. Jährlich werden etwa 25
verschiedene Heil-, Duft- und Gewürzpflanzenarten angebaut, als Hauptkulturen Kamille,
Pfefferminze, Melisse und Baldrian.
45
- Vielfalt der Landnutzungssysteme
In Thüringen existieren verschiedene Landnutzungssysteme mit jeweils unterschiedlichster
Bewirtschaftungsintensität. Seit Anfang der 1990er Jahre sind zur konventionellen
Wirtschaftsweise im Ackerbau und Grünland die kontrolliert-integrierten Produktionsweise
im Ackerbau, bei Heil-, Duft- und Gewürzpflanzen, Obst, Hopfen und Feldgemüse sowie die
gesamtbetriebliche Extensivierung des Grünlandes und die gesamtbetriebliche Umstellung auf
den Ökologischen Landbau hinzugekommen. Neben dem Ökologischen Landbau werden im
Rahmen des KULAP 2007 der Ackerbau mit artenreichen Fruchtfolgen und die Maßnahme
Reduzierung des Stickstoffaustrages (Absenkung der betrieblichen Stickstoffsalden) als
gesamtbetriebliche
Nutzungssysteme
gefördert.
Erosionsschutzmaßnahmen,
wie
Zwischenfruchtanbau, Untersaaten sowie Mulch- und Direktsaat werden auf ausgewiesenen
Ackerflächen angeboten. Darüber hinaus erfolgt auf Einzelflächen die Förderung spezieller
Nutzungsformen Kurzumtriebsplantagen/Agroforstsysteme auf Ackerland und die Pflege
halboffener Weidelandschaften bereichern die Vielfalt der Wirtschaftsweisen auf der LF
Thüringens.
Dementsprechend werden auf etwa einem Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche
extensive und naturschutzkonforme Wirtschaftsweisen praktiziert. Dadurch blieben natürliche
und
kulturhistorisch
begründete
Landschaftsformationen,
wie
Steilhänge,
Terrassenlandschaften, Wiesentäler, Hutelandschaften u.a. in beträchtlichem Umfang
erhalten. Der Anteil der Ökofläche stieg im Zeitraum von 1993 bis 2008 kontinuierlich an und
erreichte 2008 4,2% der LF Thüringens.
Naturnahe Strukturelemente in der Agrarlandschaft, zum Beispiel Hecken, Baumreihen und
Feldraine, dienen in besonderem Maße wildlebenden Tieren und Pflanzen als Lebens- und
Rückzugsraum. Im Jahr 2006 wurden im Rahmen der Betriebsprämienregelung über 28.000
verschiedene Landschaftselemente mit einer Gesamtfläche von 2.131 ha von Landwirten
ausgewiesen. Erhalt und Entwicklung der vorhandenen Strukturen sowie Erweiterung und
Neuschaffung werden durch unterschiedliche Förderprogramme bezuschusst.
5.2 Biologische Vielfalt im besiedelten Bereich in Thüringen
x
Ausgangslage
Der Freistaat Thüringen ist ein ländlich geprägtes Bundesland, in dem Dörfer und kleinere
Städte dominieren. Die ländlichen Strukturen wurden in den vergangenen Jahrhunderten
mehrfach verändert. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts begann eine weitere
Phase dörflicher Umgestaltung, in denen sich einerseits die Stadtflucht massiv verstärkte,
andererseits besonders in der Nähe größerer Städte neue Wohngebiete in Dörfern entstanden
und sich das Leben dort durch die neuen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen sehr
schnell wandelte.
Die Unterschiede zwischen Stadt und Land verwischen zunehmend. Die vom Menschen
selbst geschaffene Eigenart und Vielfalt der alten dörflichen Strukturen geht dabei unaufhaltsam verloren. Kaum bekannt ist, dass in diesen besiedelten Bereichen eine spezielle biologische Vielfalt an Pflanzen und Tierarten vorkommt, die dort teilweise auch wichtige Ersatzlebensräume gefunden haben.
Dass die besiedelten Bereiche beim Verlust der weltweiten biologischen Vielfalt eine Rolle
spielen, wurde bereits 1992 in der UN-Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) und
im Rahmen der Lokalen Agenda 21 thematisiert und in den jeweiligen Vertragsstaaten-
46
konferenzen intensiv diskutiert. Allerdings wurden die Gefahren, die vom besiedelten Bereich
auf die biologische Vielfalt ausgehen, im Allgemeinen nur unzureichend berücksichtigt.
Im Mai 2008 trafen sich in der Landeshauptstadt Erfurt rund 400 Fachleute aus Wissenschaft,
Planung und kommunaler Praxis aus fast 50 Ländern, um zum ersten Mal auf einer weltweiten Konferenz aktuelle wissenschaftliche und praktische Ansätze zur Umsetzung der Konvention über die biologische Vielfalt im besiedelten Bereich in Vorträgen und Posterpräsentationen vorzustellen, gemeinsam zu diskutieren und zu beurteilen.
- Ziele und Bedeutung
Im Zusammenhang mit den Zielen der Biodiversitätskonvention ist die biologische Vielfalt im
besiedelten Bereich vor allem aus folgenden Gründen wichtig:
urbane Ökosysteme haben eigenständige und charakteristische Eigenschaften,
Städte und Dörfer sind wichtige Zentren der Evolution und Anpassung,
besiedelte Bereiche sind vielschichtige „Hotspots“ und Schmelztiegel regionaler
Biodiversität,
biologische Vielfalt im urbanen Bereich leistet einen signifikanten Beitrag zur
Lebensqualität einer zunehmend durch Städte geprägten globalen Gesellschaft und
biologische Vielfalt im urbanen Bereich ist die einzige Biodiversität, mit der viele
Menschen täglich Kontakt haben.
Biologische Vielfalt und Naturerfahrung im urbanen Bereich kann deshalb der Schlüssel zum
Erhalt der globalen Biodiversität sein, weil Menschen sich nur dann für die biologische Vielfalt engagieren, wenn sie direkten Kontakt dazu haben.
Da in Thüringen die ländlichen Regionen mit zahlreichen Dörfern und ihren Dorfbiotopen
überwiegen, soll ihre Bedeutung für die biologische Vielfalt besonders hervorgehoben
werden:
x
Dorfbiotope in Thüringen
Dorfbiotope und Ihre charakteristischen Arten gehörten bis etwa 1950 zum selbstverständlichen Erscheinungsbild der Dörfer. Von da ab vollzog sich mit dem Strukturwandel in der
Landwirtschaft auch eine Änderung in der Zusammensetzung der Arten in den Dörfern.
Dennoch wiesen die thüringischen Dörfer Anfang der 90er Jahre des vergangenen
Jahrhunderts im Vergleich zu vielen Gemeinden in den alten Bundesländern noch
bemerkenswert zahlreiche und vielfältige Dorfbiotope mit der ihnen eigenen Flora und Fauna
auf. Als charakteristische dörfliche Lebensräume und Pflanzenarten können beispielhaft
genannt werden:
- Ländliche Wege, Gehwege, Dorfstraßen und -gassen
Im ländlichen Raum gibt es auch heute noch ländliche Wege, die, wie in der Vergangenheit
üblich, aus verfestigtem Sand oder Lehm bestehen. Mitunter waren und sind Wege in der
Feldflur sowie innerörtliche Straßen, Wege und Gassen mit Natursteinen gepflastert. Wo
diese Flächen weniger häufig genutzt wurden, siedelten sich verschiedene, an so extreme
Standortbedingungen angepasste Trittpflanzen an. Im Grenzbereich zwischen Fuß- und
Fahrwegen und den sich anschließenden Hauswänden mit Garteneinfriedungen sammelten
sich in der Vergangenheit durch den Kot von Pferden, Schweinen, Schafen, Ziegen oder
Hühnern, die entweder auf dem Hof gehalten oder durch die Gassen getrieben wurden,
47
Nährstoffe an. Sie förderten damit regelmäßig die Ansiedlung zahlreicher stickstoffliebender
Arten.
Natursteinmauern
Alte, vegetationsreiche Mauern prägten früher in besonderem Maße das Ortsbild. Die je nach
Sonneneinstrahlung unterschiedlichen kleinklimatischen Bedingungen und verschiedenen
Nährstoffverhältnisse auf und an der Mauer bedingen ein unterschiedliches Artenspektrum.
Dorfgärten
In diesen Dorfgärten findet man eine bunte Mischung aus Gemüsebeeten, Beerensträuchern,
Obstbäumen, Kräutern, Stauden und Sommerblumen, die der Wuchsort zahlreicher
Wildkraut-Gesellschaften sind, die zu ihrem Gedeihen auf die regelmäßige Bodenbearbeitung
durch den Menschen angewiesen sind.
Anlagen für das Vieh
Wichtige Lebensräume für stickstoffliebende Arten sind überall dort anzutreffen, wo Vieh
gehalten wurde, das den Boden durch seinen Kot mit Nährstoffen anreicherte. Außerdem
wurde durch den Viehtrieb die Verbreitung zahlreicher Arten gefördert, da sie sich im Fell
oder zwischen den Klauen und Hufen festsetzten und an anderer Stelle wieder zufällig
abfielen.
- Dorffriedhöfe, Streuobstwiesen, Gehölze und Dorfteiche und -bäche
In diesen Biotoptypen findet sich eine Vielzahl verschiedener Biotopstrukturen und sie sind
aufgrund ihrer im Allgemeinen extensiven Pflege als Lebensraum für zahlreiche Arten von
Bedeutung.
x
Gefährdung der Dorfbiotope
Obwohl die Situation der Dorfbiotope und ihrer typischen Arten in Thüringen im Vergleich
zu den alten Bundesländern in den 90er Jahren noch allgemein als gut bezeichnet werden
konnte, ist seit der Wiedervereinigung ein starker Wandel im Erscheinungsbild der Dörfer
erkennbar. Zahlreiche Arten, die an diese Lebensräume gebunden waren, sind dadurch
zunehmend gefährdet.
Als Gründe für den Rückgang dieser Lebensräume können genannt werden:
Intensivierung und Technisierung der Landwirtschaft,
Bautätigkeit an den Ortsrändern und damit im ökologisch wertvollen Übergangsbereich
zwischen Dorf und Landschaft, wodurch z. B. viele Streuobstwiesen beseitigt wurden,
Versiegelung von Hofflächen, Gehwegen, Dorfstraßen und Dorfplätzen, Schaffung neuer
Verkehrsflächen,
Gestaltung von Grünflächen nach städtischen Vorbildern (geschnittene Rasenflächen und
Anpflanzung nichtheimischer Ziersträucher und Bäume),
Abriss, Sanierung und Säuberung alter Natursteinmauern,
Ausbau und Verrohrung von Bächen und Gräben, Verfüllung von Dorfteichen,
Aufgabe der Gartennutzung für den Gemüse- und Obstanbau und Umgestaltung zu
Ziergärten,
Umgestaltung von Dorffriedhöfen,
48
Verwendung von Herbiziden und mechanische Beseitigung von Wildkräutern an Wegen
und Plätzen und
übertriebene Säuberungsaktionen.
x Projekte und Maßnahmen bis 2008
In Thüringen wurden in den vergangenen 15 Jahren eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg
gebracht, die den Verlust an biologischer Vielfalt in den Dörfern und Städten des Landes
reduzieren halfen. Darunter sind zu nennen:
Dorfbiotopkartierung in Thüringen
Bereits 1993 entstand in der Naturparkverwaltung „Thüringer Schiefergebirge/Obere Saale“
im Zusammenwirken mit dem „Zentrum für Thüringer Landeskultur“ die Idee einer
ökologischen Kartierung von Dörfern. Im September 1994 fand das Thema durch die 15.
Jahrestagung „Biotopkartierung im besiedelten Bereich“ in Erfurt verstärkte Beachtung. Im
Frühjahr 1995 rief das TMLNU das landesweite Projekt der Dorfbiotopkartierung ins Leben
und übernahm auch die Finanzierung der nicht anderweitig gedeckten Kosten.
Die im Jahr 2003 vorgelegte Bestandsaufnahme der Dorfbiotopkartierung zeigte, dass die
Dörfer Thüringens noch eine Vielzahl wertvoller Lebensräume beherbergen. Diese
Lebensräume sind es, die zusammen mit der Bauweise der Gebäude und den verwendeten
Baumaterialien landestypisch sind und den Thüringer Dörfern ihr eigenes Gesicht verleihen.
Die Dorfbiotopkartierung ist eine Momentaufnahme, die den kommunalen Entscheidungsträgern helfen soll, die ökologischen und kulturhistorischen Gegebenheiten zu erkennen und
bei allen zukünftigen Maßnahmen darauf zu achten, dass die damit verbundene biologische
Vielfalt erhalten bleibt. Bei zahlreichen Dörfern haben die Ergebnisse der Dorfbiotopkartierung geholfen, Aktionsprogramme der Lokalen Agenda 21 zu entwickeln. Thüringen ist
bisher das einzige Bundesland, das eine solche Dorfbiotopkartierung durchgeführt hat.
Dorferneuerung in Thüringen
Seit 1991 hat das Thüringer Dorferneuerungsprogramm dazu beigetragen, den Dörfern ihre
regionale Eigenart zu bewahren und zu gestalten und damit einen Beitrag zum Erhalt der
biologischen Vielfalt zu leisten. Mit der Dorferneuerungsförderung war von Anbeginn die
Möglichkeit gegeben, Vorhaben zu unterstützen, die dorf- und standortgerechte Grünlösungen
zum Ziel hatten.
Mit diesem Förderprogramm wurde die Erhaltung und Wiederherstellung naturnah gestalteter
Straßen, Wege und Plätze genauso gefördert, wie der Erhalt und die Pflanzung von Laubbäumen oder die naturnahe Erhaltung und Gestaltung von Freiflächen, Gärten, Einfriedungen und
Gewässern.
-
Zustand und Erhaltung der Alleen
Im Auftrag der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald wurde eine Studie in Auftrag gegeben,
um die Änderungen des Zustandes der Alleen in Thüringen zwischen 1995/96 und 2005/06 zu
ermitteln. Dabei wurde festgestellt, dass:
x Die Anzahl der Alleen insgesamt rückläufig ist (Verringerung um 12% u. a. wegen
Straßenbaumaßnahmen und verkehrstechnischen Gründen).
x Die Anzahl der typischen Alleen mit zweireihigem Baumbestand drastisch gesunken ist.
x Die Zahl der Alleen mit noch vollständigem Baumbestand ist um über 70% zurückgegangen.
49
x
x
Nur noch 17% der Alleen in Thüringen zeigen den charakteristischen Kronenschluss über
der Fahrbahn.
75 % aller Alleen weisen Beschädigungen auf.
-
Aktion Fledermausfreundlich
In der „Aktion Fledermausfreundlich“, die von der Koordinationsstelle für Fledermausschutz
seit dem 07.05.1999 betreut wird, hat der Freistaat Thüringen Bürgerinnen und Bürger mit
einer Plakette ausgezeichnet, die sich bereit erklärten, Fledermausquartiere zu erhalten oder
neu zu schaffen. An deutlich sichtbarer Stelle am Haus angebracht, soll die Plakette auf den
sonst nicht sichtbaren Beitrag zum Artenschutz hinweisen. Im Schnitt wurden pro Woche
zwei Plaketten, oft im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung, vergeben. 938 vergebene
Plaketten bezeugen das rege Interesse der Thüringer an den Belangen des Fledermausschutzes. Rege ist auch das Interesse an der Aktion im übrigen Bundesgebiet. Mittlerweile
gibt es in zehn Bundesländern und drei europäischen Nachbarländern ähnliche Aktionen, zu
denen Thüringen jeweils organisatorische Starthilfe geleistet hat.
5.3 Biologische Vielfalt der Wälder
x
Ausgangslage
Thüringen ist von Natur aus ein Waldland. Ohne menschliche Einflussnahme würde unter den
herrschenden standörtlichen Bedingungen Wald nahezu das gesamte Land bedecken. Im Zuge
der Besiedlung sind die ursprünglichen Wälder zurückgedrängt und die verbliebenen
Waldungen nach den gesellschaftlichen Anforderungen mehr oder weniger stark umgestaltet
worden. Gegenwärtig nimmt die Waldfläche in Thüringen rund 547.000 ha ein. Dies entspricht bei einer Landesfläche von rund 1.617.000 ha einem Waldanteil von 34 %. Der
Waldanteil schwankt dabei regional sehr stark: während Gemarkungen in den Mittelgebirgen
Waldanteile bis zu 80 % aufweisen, sinkt das Bewaldungsprozent in den landwirtschaftlichen
Gunstlagen insbesondere des Thüringer Beckens und im Altenburger Land teilweise unter
5 %. Die ursprüngliche Dominanz des Laubmischwaldes ist vielerorts nicht mehr gegeben.
Insbesondere infolge der forstlichen Rekultivierung verödeter und devastierter Flächen sowie
der mit dem Rückzug der Landwirtschaft aus dem Wald und der Industriealisierung
verbundenen Orientierung auf Nutzholzgewinnung seit dem 19. Jahrhundert werden die
Wälder in Thüringen heute maßgeblich durch Fichten und Kiefern geprägt. Der Anteil der
Buchen, Eichen und anderer Laubbaumarten ist im Zuge dieser Entwicklung bis Anfang der
1990er Jahre auf unter 1/3 gesunken. Trotz dieser strukturellen Veränderungen infolge
Jahrhunderte langer menschlicher Einflussnahme sind die Wälder in Thüringen ein
vergleichsweise naturnaher Lebensraum und deshalb Rückzugsgebiet für viele wildlebende
Arten geblieben. Diese hohe Bedeutung für die biologische Vielfalt kommt in dem
überproportional hohen Anteil von Waldflächen in der naturschutzrechtlichen
Schutzgebietskulisse zum Ausdruck.
x
Ziele
Für die Waldbewirtschaftung haben sich seit 1990 gravierende Veränderungen ergeben. Nach
der fast flächendeckenden staatlichen Bewirtschaftung der Wälder bis dahin fand die Rückübertragung des Waldeigentums an die vormaligen Besitzer bzw. deren Rechtsnachfolger
statt. Im Ergebnis dieses bis heute noch nicht vollständig abgeschlossenen Prozesses stehen
heute eine Vielzahl von Eigentümern (siehe Abbildung 6) mit ganz unterschiedlichen
50
Eigentümerzielsetzungen in der Verantwortung, die im Thüringer Waldgesetz von 1993
niedergelegten Ziele und Vorgaben einer die Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktionen
nachhaltig gewährleistenden ordnungsgemäßen Forstwirtschaft umzusetzen.
Abbildung 6: Waldeigentumsverteilung im Freistaat Thüringen, Quelle: Forstbericht 2008
Das Thüringer Waldgesetz betont die Gleichrangigkeit der Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktionen (Multifunktionalität des Waldes) und deren Erfüllung auf der gleichen Fläche als
zentrale Vorgabe für eine nachhaltige naturverträgliche Waldbewirtschaftung. Dies schließt
örtlich wechselnde Vorrangfunktionen nicht aus, tritt aber einer generellen flächenmäßigen
Trennung der Waldfunktionen entgegen. Im Rahmen der Schutzfunktionen des Waldes nimmt
die biologische Vielfalt eine besondere Stellung ein. So haben die Waldbesitzer u. a. die
Pflicht, eine artenreiche Pflanzen- und Tierwelt zu erhalten bzw. zu entwickeln sowie standortgerechte Baumarten und herkunftsgerechtes Saat- und Pflanzgut bei Erhaltung der
genetischen Vielfalt zu verwenden. Unter Einbeziehung naturschutzrechtlicher Vorgaben ist
dabei ein hinreichender Anteil standortheimischer Forstpflanzen sicherzustellen. Bei der
Verfolgung dieser gesellschaftlichen Ziele werden die Waldbesitzer durch die Landesforstverwaltung unterstützt und gefördert.
x
Projekte und Maßnahmen
Im Anhalt an die Bund-Länder-Strategie zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der
biologischen Vielfalt in den Wäldern Deutschlands (BMELF, 2000) ergeben sich folgende
Handlungsfelder:
- Erfassung und Überwachung von Bestandteilen der biologischen Vielfalt
Mittels umfangreicher Fachverfahren werden Inventuren über naturschutzrelevante Strukturen
im Wald durchgeführt (Waldbiotopkartierung, Meldungen zur NATURA 2000-Gebietskulisse, Erhebung seltener Baumarten), besondere Schutzfunktionen räumlich dargestellt
51
(Waldfunktionenkartierung) und die Ergebnisse als Grundlage für die Beurteilung des
Zustandes der Biodiversität im Wald und eines im Kontext der Multifunktionalität naturschutzfachlichen Anforderungen gerecht werdenden Managements genutzt.
-
- Erfassung und Regelung nachteiliger externer Einwirkungen
Die von außen auf die Ökosysteme Wald nachteilig einwirkenden biotischen und abiotischen
Faktoren werden erfasst und ausgewertet (Waldzustandserfassung, Bodenzustandserfassung,
Waldmessstationen, Klimawandelauswertungen) sowie im forstlichen Wirkungskreis nach
Kräften vermindert. Eine lange Tradition haben hierbei die Bodenschutzkalkungen zur
Kompensation der durch Schadstoffeinträge bedingten Versauerungen von Boden und Wasser
und den damit einhergehenden Änderungen der Lebensgemeinschaften. Hinsichtlich des
nachweisbaren Wandel des Klimas werden die Potentiale des Waldes als Kohlenstoffsenke,
aber auch die erforderlichen Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung der Anpassungsfähigkeit der Wälder an sich ändernde Wuchs- und Konkurrenzbedingungen entwickelt. Der
anhaltenden Inanspruchnahme von Waldflächen für Siedlungs-, Gewerbe- und Verkehrswegeflächen bzw. Zerschneidungseffekten werden gesetzliche und fachplanerische Instrumente
(Forstliche Rahmenplanung, Waldmehrungskonzeption, Kompensationsflächenpools)
gegenübergestellt.
- Erhaltung und Nutzung der biologischen Vielfalt durch nachhaltige Bewirtschaftung sowie
ergänzender Strategien und Konzepte
Im Sinne des integrierten multifunktionalen Ansatzes nimmt die Entwicklung und Umsetzung
naturnaher Waldbaukonzepte eine Schlüsselrolle für den Schutz der biologischen Vielfalt im
Wald auf der gesamten Fläche ein. Das hierbei kennzeichnende gezielte Einbeziehen natürlicher Abläufe und Selbstregulierungsprozesse fördert sowohl unmittelbar wie mittelbar
komplexe ökologische Strukturen. Die naturnahe Waldbewirtschaftung setzt insbesondere auf
Naturverjüngung, Waldumbau von nicht hinreichend standortsgemäßen, wenig strukturierten
Reinbeständen, Kahlschlagsverzicht, Belassen von Alters-/Zerfallsphasen, natur- und landschaftsschonende Walderschließung und boden-/bestandespfleglichen Forstmaschineneinsatz
sowie integrierten Waldschutz. Daneben werden spezielle Prozessschutzflächen unterhalten
und insbesondere zur Beobachtung natürlicher Dynamik genutzt (z. B. Naturwaldparzellenkonzept). Projektbezogene Konzepte zur Sicherung und Förderung von ausgewählten
Lebensräumen und Arten, wie z. B. zur Renaturierung von Waldmooren und von Waldfließgewässern, zur Entwicklung lichter Waldstrukturen, zur Unterstützung seltener Tierarten (z.
B. Raufußhühner, Feuersalamander, Kreuzotter) und Pflanzenarten (z. B. Tanne, Eibe,
Wildobst, Kleinarten der Breitblättrigen Mehlbeere, Schwarzpappel, Frauenschuh) sind direkt
auf den Schutz der biologischen Vielfalt gerichtet. Zur Unterstützung autochthoner Arten und
Rassen bei Bäumen und Sträuchern werden in-situ- und ex-situ-Genressourcen-Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt (Zulassung von Saatgutbeständen, Anlage von Generhaltungssamenplantagen).
- Entwicklung von Anreizmaßnahmen/Förderinstrumente
Bereits seit 1993 bestehen im Rahmen der von EU, Bund und Freistaat gemeinsam getragenen
Förderung von forstwirtschaftlichen Maßnahmen nach dem Bundesgesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ finanzielle Anreize
für Maßnahmen zur Umstellung auf naturnahe Waldwirtschaft, insbesondere durch langfristige Überführung von Reinbeständen in Mischbestände. 2006 wurde darüber hinaus mit
dem Programmteil „Förderung der Umsetzung besonderer Anforderungen des Naturschutzes
bei der Waldbewirtschaftung im Privat- und Körperschaftswald“ ein spezielles Vertragsnatur-
52
schutzkonzept für den Wald aufgenommen. Dieses Konzept schafft Anreize für gezielte
Maßnahmen zur Erhaltung und Entwicklung von Waldlebensräumen und Habitaten. Die
Förderung hat sich bewährt und ist daher auch Bestandteil der „Förderinitiative Ländliche
Entwicklung in Thüringen“ 2007-2013 (FILET).
x
Bilanz
- Waldbiotopkartierung
Die Waldbiotopkartierung stellt eine zur Beurteilung der Biodiversität im Wald und sich
daraus ergebender Konsequenzen für die Waldbewirtschaftung grundlegende Erfassung dar.
Sie wurde im Erstdurchgang 1993 bis 2005 eigentumsübergreifend als Gemeinschaftsprojekt
der Forst- und Naturschutzverwaltung durchgeführt. Im Ergebnis wurden rund 277.000
Biotope erfasst. Besonders geschützte Biotope nach § 18 ThürNatG kommen danach auf ca.
2,6 % der Waldfläche in Thüringen vor. Bezogen auf die Potentielle Natürliche Vegetation
kann etwa die Hälfte aller Waldbiotope der Kategorie „naturbestimmt“ zugeordnet werden.
Dieses Ergebnis ist durch die Zweite Bundeswaldinventur 2002 (kurz BWI II) gestützt
worden.
- NATURA 2000
Im Zuge der Meldungen zur NATURA 2000-Gebietskulisse, die hinsichtlich der
Waldlebensraumtypen maßgeblich auf Waldbiotopkartierungsergebnissen aufbaute, zeigte
sich, dass mit 174.505 ha (rund 2/3) der größte Teil der Flächen in den Natura 2000-Gebieten
(siehe Kap. 4.2) mit Wald bestockt ist. Knapp 50 % der Waldfläche in den FFH-Gebieten sind
als Waldlebensraumtypen gemäß Anhang I der FFH-Richtlinie erfasst. Dabei dominieren die
Buchenwald-Lebensräume (rund 84 %) eindeutig.
Dieses Ergebnis unterstreicht den naturschutzfachlichen Wert der Wälder insgesamt und
gerade der heimischen Buchenwälder für den Erhalt der Arten- und Lebensraumvielfalt in
Thüringen. Es belegt aber auch eine anerkennenswerte über Generationen hinweg praktizierte,
verantwortungsbewusste Pflege und Nutzung der Wälder durch die verschiedenen
Waldbesitzer.
- Waldfunktionenkartierung
Mit der eigentumsübergreifenden digital vorliegenden Waldfunktionenkartierung von 2001
und ihrer Aktualisierung von 2006 (siehe Abbildung 7) wurden auf ca. 95 % der Gesamtwaldfläche Thüringens besondere Waldfunktionen festgestellt. Besondere Schutzfunktionen
leisten danach 85 % der Gesamtwaldfläche, besondere Nutzfunktionen 45 % und besondere
Erholungsfunktionen 33 %. Hieraus wird ersichtlich, dass die Ansprüche an die Waldflächen
umfangreich und vielfältig sind. Bei Überlagerungen verschiedener besonderer Waldfunktionen gilt es im Sinne des Integrationsansatzes auf Grundlage forstlichen Sachverstandes
akzeptierte Kompromisslösungen für die weitere forstliche Pflege abzuleiten.
53
Abbildung 7: Beispielhafte Darstellung der flächendeckend digital vorliegenden
Waldfunktionenkartierung (Jonastal bei Arnstadt)
- Erhebung seltener Baumarten
Seit 1992 finden durch die Forstverwaltung Inventuren seltener Baumarten statt, um lagegerechte Informationen für besondere Schutz- und Fördermaßnahmen zu gewinnen. Neben
den äußerst selten vorkommenden Baumarten Wildapfel (96 Stck.), Wildbirne (123 Stck.) und
Speierling (100 Stck.), allesamt in der Roten Liste Thüringens als gefährdet geführt, konnte
auch ein erfreulicher Bestand von rund 32.000 Eiben (besonders geschützte Art nach
Bundesartenschutzverordnung) erfasst werden (Angaben gemäß aktueller
Bestandsübersichten der TLWJF). Ein besonderes Augenmerk liegt auf den 7 endemischen
Kleinarten der Breitblättrigen Mehlbeere (Rote Liste Thüringen: extrem selten) sowie der
Weißtanne (Rote Liste Thüringen: gefährdet) als ursprünglich in den Bergmischwäldern des
Thüringer Waldes und Schiefergebirges verbreitete Mischbaumart, die für den naturnahen
Waldbau und den Waldumbau eine wichtige Rolle spielt. 1993 betrug der Bestand in
Thüringen rund 233.000 Weißtannen. Durch umfangreiche Voranbaumaßnahmen in den
1990er Jahren konnte die Anteilsfläche der Weißtanne bis zur BWI II bereits verdreifacht
werden.
- Erfassung und Regelung nachteiliger externer Einwirkungen
Anthropogen verursachte Stoffeinträge, forstliche Schädlinge (z. B. Borkenkäfer), Wildschäden, Witterungsextreme sowie klimatische Veränderungen stellen hinsichtlich ihrer
komplexen Wirkungsweise eine ernste Gefahr für die Wälder und deren Lebensraumfunktionen dar. Zwar konnte anhand der seit 1991 jährlich stattfindenden Waldschadenserhebungen bis 2003 eine kontinuierliche Verbesserung des Kronenzustandes der Waldbäume
festgestellt werden, seitdem stagniert die Schadsituation jedoch auf einem nach wie vor
bedenklichen Niveau: 2008 zeigten noch immer 34 % der aufgenommenen Bäume deutliche
Schadanzeichen. Forstlicherseits wird durch naturnahe Waldbewirtschaftung und
Waldumbaumaßnahmen (siehe unten) sowie Bodenschutzkalkungen versucht, die Stabilität
der Waldökosysteme und damit die Widerstandskraft und das Anpassungsvermögen der
Waldbäume an sich ändernde standörtliche Bedingungen zu verbessern. Um unerwünschte
54
Effekte der Bodenschutzkalkung auf die biologische Vielfalt zu vermeiden, bestehen strenge
Restriktionen hinsichtlich der Auswahl zu kalkender Waldflächen.
- Waldmehrung
Das Thüringer Waldgesetz betont neben dem Walderhalt auch das Ziel der Waldmehrung.
Neben vielfältigen positiven Wirkungen von Waldneuanlagen auf die Schutzgüter, Boden,
Wasser und örtliches Klima kann die Waldmehrung einen wichtigen Beitrag für die Vernetzung von Lebensräumen und damit für die Förderung der biologischen Vielfalt leisten.
Gemäß der forstlichen Rahmenplanung, welche die Zielstellungen des Thüringer Waldgesetzes räumlich umsetzt, soll die Waldmehrung unter Beachtung agrarstruktureller, landeskultureller, landschaftspflegerischer und naturschutzfachlicher Belange insbesondere auf
Gebiete mit unterdurchschnittlichem Waldanteil gelenkt werden. Besondere Bedeutung haben
dabei waldarme Gebiete mit Waldanteilen in den Gemarkungen unter 15 %, Sanierungsgebiete des Bergbaus und ehemalige militärisch genutzte Bereiche. In die noch laufenden
Abstimmungen zur Aktualisierung der Regionalpläne sind von den regionalen Planungsgemeinschaften rund 240 Flächenvorschläge (ca. 7.500 ha) für Vorrang-/Vorbehaltsgebiete
Waldmehrung aufgenommen worden. Bei der Gegenüberstellung von Waldflächenabgängen
und Waldflächenzugängen durch Erstaufforstungen zeigt sich eine positive Bilanz: So hat sich
die Waldfläche im Zeitraum von 1992 bis 2006 um ca. 2.800 ha erhöht.
- Naturnahe Waldbewirtschaftung
Auf Grundlage gesetzlicher Vorgaben (insbesondere Grundsätze ordnungsgemäßer Forstwirtschaft, Vorbildlichkeit der Staatswaldbewirtschaftung) gestützt durch fachliche Beratung
und Betreuung der Waldbesitzer durch die Landesforstverwaltung, finanzieller Anreize im
Rahmen des forstlichen Förderwesens sowie der Etablierung freiwilliger Selbstverpflichtungen im Zusammenhang mit der Zertifizierung nachhaltiger Waldbewirtschaftung ist die
Umstellung der Waldbewirtschaftung seit Beginn der 1990er Jahre auf naturnahe Konzepte
gut vorangekommen. Die Nutzung der biologischen Automation ist gerade bei der Walderneuerung binnen weniger Jahre zum allgemeinen Standard geworden. Inzwischen ist mit
einem Anteil von rund 90 % Naturverjüngung (BWI II), die besonders die genetische Vielfalt
begünstigt, ein Stand erreicht, der angesichts notwendiger Waldumbaumaßnahmen nicht mehr
gesteigert werden kann.
Die auf standortsgemäße strukturelle Vielfalt der Waldbestände setzenden „modernen“
Pflege-, Durchforstungs- und Verjüngungsmaßnahmen haben sich ebenfalls gegenüber
traditionellen Reinbestandskonzepten durchgesetzt. Nach den Ergebnissen der BWI II sind
auf etwa 71 % der Waldfläche im Freistaat Mischwälder anzutreffen, rund ¼ der Wälder
weisen bereits eine Mehrschichtigkeit auf und befinden sich damit auf gutem Wege in
Richtung stabilerer dauerwaldartiger Bestockungsverhältnisse. Eine etablierte neue
Bestandesgeneration unter dem Schirm der Altbäume – wichtig für die Risikominimierung –
wurde bei der BWI II auf 16 % der Waldfläche festgestellt, womit Thüringen bereits den
Bundesdurchschnitt erreicht hat. Angesichts der zunehmenden Gefährdungen gerade der
Nadelwald-Reinbestände (siehe oben) wird der Ausbau der Vorausverjüngung mit Schatten
ertragenden Baumarten (v. a. Buche, Tanne) zukünftig ein wichtiges Element der naturnahen
Waldbewirtschaftung sein.
Hinsichtlich der naturschutzfachlich bedeutsamen Elemente der Alters- und Zerfallsphase
weisen die Wälder in Thüringen gemäß den Ergebnissen der BWI II mit 17,8 fm/ha die
bundesweit zweithöchsten durchschnittlichen Totholzvorräte auf (Bundesdurchschnitt: 11,5
fm/ha). Hier wird zukünftig auf die qualitative Ausformung verstärkter Wert zu legen sein.
55
- Waldumbau
Von Natur aus weitgehend laubbaumdominiert, prägen heute Nadelbaumarten Thüringens
Wälder. Neben Biodiversitätsverlusten hat diese Entwicklung auch zu einer Verringerung der
Stabilität und Elastizität der Wald-Ökosysteme geführt. Die durch Wind, Schnee und Insekten
sowie durch Immissionen verursachten Waldschäden (siehe oben) zeigen nur zu deutlich, dass
die Einbeziehung ökologischer Gesetzmäßigkeiten in die forstliche Bewirtschaftung
existenziell für den Erhalt funktionengerecht leistungsfähiger Wälder ist. Aus diesem Grund
kommt dem Waldumbau hin zu naturnäheren Waldstrukturen in Thüringen eine besondere
Rolle zu. Waldumbau ist als forstliche Daueraufgabe bereits seit 1994 Bestandteil der Waldbaukonzeption der Thüringer Landesforstverwaltung. Waldeigentümer und Landesforstverwaltung sind per Gesetz angehalten und im eigenen Interesse bestrebt, die Wälder auf
Grundlage des erreichten forstlichen Wissens- und Erfahrungsschatzes zu anpassungs- und
leistungsfähigen Waldbeständen zu entwickeln.
Abbildung 8: Prozentuale Veränderung der Hauptbaumartenanteile im Zeitraum von 19932002 (Quellen: Datenspeicher Wald, Stichtag 01.01.1993, ohne Bundeswald; Forstbericht
2007)
Die hierfür notwendigen Aufwendungen für den Waldumbau wurden in Thüringen u. a. durch
den Einsatz der forstlichen Förderung umfangreich flankiert. So konnte zwischen 1993 und
2002 (BWI II) der Anteil heimischer Laubbaumarten bereits um über 7 % auf 38 % erhöht
werden (siehe Abbildung 8). Langfristig soll der Laubbaumanteil insbesondere vor dem
Hintergrund der klimatischen Veränderungen noch deutlich steigen.
- Naturwaldparzellenkonzeption
Besondere naturschutzfachliche Bedeutung haben die Naturwaldparzellen. Dabei handelt es
sich um geschützte Waldgebiete nach § 9 ThürWaldG, die durch gänzliche Herausnahme aus
der Waldbewirtschaftung neben dem Schutz der unbeeinflussten Entwicklung der vorhandenen Waldökosysteme insbesondere der natur- und forstwissenschaftlichen Forschung
dienen. Gemäß Naturwaldparzellenkonzeption hat die Landesforstverwaltung ein Netz von
Gebieten aufgebaut und inventarisiert, in dem alle großflächig typischen Waldstandorte
Thüringens exemplarisch vertreten sind. Derzeit sind fünf Naturwaldparzellen per Verord-
56
nung und zwei durch das Nationalparkgesetz geschützt. Weitere 14 Flächen sind bis zu ihrer
endgültigen Ausweisung per Erlass gesichert.
- Projekte zur Sicherung bzw. Förderung von Lebensräumen
Anstrengungen zum Erhalt der Biodiversität in Waldlebensräumen wurden in den letzten
Jahren verstärkt für Maßnahmen auf Sonderstandorten unternommen. Beispiele hierfür sind
Maßnahmen zur Renaturierung von Hochmooren und Fließgewässerbereichen.
Im Thüringer Wald und im Westlichen Schiefergebirge sind über 450 rezente Moorbildungen
(Torflager) bekannt. Moore haben herausragende naturschutzfachliche Bedeutung. Naturnahe,
lebende Hochmoore zählen zu den prioritären Lebensräumen nach Anhang I der FFH-Richtlinie und sind besonders geschützte Biotope nach § 18 ThürNatG. Die größten und bedeutendsten Hochmoore sind als Naturschutzgebiete unter besonderen Schutz gestellt. Auf der Grundlage eingehender Untersuchungen werden seit 2000 Erhaltungs- und Entwicklungsvorhaben
von Hochmooren im Bereich des Thüringer Waldes und des Schiefergebirges auf der Grundlage einer von der Landesforstverwaltung gemeinsam mit der Naturschutzverwaltung erarbeiteten Konzeption durchgeführt. Seit 2007 laufende umfangreiche Effizienzuntersuchungen
zeigen, dass das Wachstum der für die Moorneubildung wichtigen Torfmoose deutlich verbessert werden konnte.
Bereits 1993 wurde durch die Landesforstverwaltung ein Waldfließgewässerprogramm mit
Modellvorhaben in einigen Forstämtern initiiert und späterhin ein Leitfaden für die Praxis zur
Ökologie und zum Schutz der Waldfließgewässer herausgegeben. Im Zuge eines von der
Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten mehrjährigen Kooperationsprojektes zwischen
Naturschutzverwaltung, Landesforstverwaltung und Wasserwirtschaftsverwaltung (2002 –
2007) wurden weitere gezielte Behandlungshinweise zur Pflege von Waldbachtälern unter
dem besonderen Aspekt des Feuersalamanders als Leitart im Lebensraum „Quellbachbereich“
entwickelt.
- Projekte zur Sicherung bzw. Förderung von Arten
Hinsichtlich des Artenschutzes sollen die Aktivitäten zum Schutz der Eibe, des Auerhuhns
und des Frauenschuhs exemplarisch dargestellt werden.
Thüringen ist eines der eibenreichsten deutschen Bundesländer. In Verantwortung dieses
besonderen Naturerbes widmet sich die Landesforstverwaltung seit Jahren dieser heimischen
Baumart, um ihr mittels in-situ- und ex-situ-Maßnahmen einen Platz in geeigneten Waldgesellschaften zu sichern. Aufgrund ihrer hervorragenden Qualität und überregionalen
Bedeutung wurden durch die Deutsche Kontrollvereinigung–Gütegemeinschaft für forstliches
Vermehrungsgut e.V. zwei Eiben-Kontrollzeichenherkünfte („Ibengarten“ und „Eichsfeld“)
ausgewiesen.
Der von Naturschutz- und Forstverwaltung gemeinsam getragene Auerhuhnschutz umfasst
Maßnahmen der Biotop- und Habitatgestaltung, der Bestandesstützung durch Auswilderung
von Wildfängen aus Russland (140 Individuen) und gezüchteten Vögeln aus landeseigener
Zucht sowie das Auerhuhnmonitoring. Derzeit wird von einem Bestand von etwa 40 bis 50
adulten Tieren im Bereich der Thüringer Auerwildgebiete ausgegangen.
Thüringen verfügt über zahlreiche Orchideenvorkommen mit zum Teil europäischer
Bedeutung. Besondere Anstrengungen zum Schutz und zur Förderung werden seit Jahren in
enger Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis heimischer Orchideen e.V. für den Frauenschuh
durchgeführt. Dies umfasst die Erarbeitung spezifischer Schutzkonzepte, den Einsatz von
57
Beschäftigten der Landesforstverwaltung bei artgerechten Pflegemaßnahmen in Abstimmung
mit der Naturschutzverwaltung bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit.
- Entwicklung von Anreizmaßnahmen/Förderinstrumente
Die finanzielle Förderung im Privat- und Körperschaftswald setzt an vorhandenen
strukturellen Defiziten an und verfolgt in Thüringen folgende Ziele und Strategien:
• eine nachhaltige, leistungs- und wettbewerbsfähige, marktorientierte und umweltverträgliche
Forstwirtschaft zu entwickeln,
• die regionale und kommunale Entwicklung zu fördern und
• die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen.
Insgesamt wurden im Zeitraum 1991 bis 2006 Fördermittel in Höhe von 171,6 Mio. €
ausgereicht. Das entspricht einem jährlichen Durchschnitt von 49 € pro Hektar Privat- und
36 € pro Hektar Körperschaftswald.
Forstpolitisch genießt die Förderung von Erstaufforstungen bisher nicht forstwirtschaftlich
genutzter Flächen einen besonderen Stellenwert. Im Zeitraum 1992 bis 2006 wurden für
insgesamt 3.093 Hektar Erstaufforstungsfläche investive Fördermittel in Höhe von 20,8
Mio. € ausgereicht.
Im Rahmen der „Förderung der Umsetzung besonderer Anforderungen des Naturschutzes bei
der Waldbewirtschaftung im Privat- und Körperschaftswald“ kamen bislang insgesamt rund
350.000 € zur Sicherung von 5.243 Habitatbäumen im Kommunal- und Privatwald zur
Auszahlung. Die hiermit geförderten Bäume wurden markiert und verbleiben bis zu ihrem
natürlichen Zerfall auf der Fläche
5.4 Biologische Vielfalt der Gewässer
x
Ausgangslage
Die Zielstellungen der „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ decken sich sowohl
methodisch als auch inhaltlich in vieler Hinsicht mit wichtigen wasserwirtschaftlichen
Zielstellungen. An dieser Stelle sind vor allem die gemeinschaftlichen Richtlinien wie die
EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) und die EU-Hochwasserrisikomanagementrichtlinie
(HWRM-RL) zu erwähnen.
x
Ziele
Übergreifend wurden und werden für die Thüringer Gewässer folgende wasserwirtschaftliche
Haupthandlungsfelder für die Erhaltung und Verbesserung der biologischen Vielfalt gesehen:
x die weitere Verminderung der stofflichen Belastung der Gewässer durch kommunale Abwassereinleitungen,
x die Reduzierung der Nährstoffeinträge in die Gewässer aus der landwirtschaftlichen
Flächennutzung,
x die Verbesserung der Gewässerstruktur durch gezielte Renaturierungs- bzw. Revitalisierungsmaßnahmen und
x die Wiederherstellung der Durchwanderbarkeit der Thüringer Fließgewässer sowie die
(Wieder-)Erschließung bzw. Schaffung von geeigneten Laich- und Aufwuchshabitaten für
gewässertypische, heimische Fischarten.
An diesen Handlungsfeldern orientiert sich die anschließende Bilanzierung der Entwicklung
von 1990 bis 2008.
58
x
Bilanz von 1990 – 2008, Projekte und Maßnahmen
- Kommunalabwasser
Die Belastung der Gewässer mit nicht oder unzureichend gereinigten Abwässern hat in der
Vergangenheit maßgeblich dazu beigetragen, dass die biologische Vielfalt der Gewässer sich
sehr weit von den natürlichen Ausgangsbedingungen entfernt hatte.
Der Freistaat Thüringen ist ein ländlich geprägtes Bundesland und hatte auf dem Gebiet der
Abwasserreinigung und -entsorgung 1990 einen großen Nachholbedarf. Nur eine geringe Zahl
vorhandener Kläranlagen in größeren Orten entsprach den gesetzlichen Anforderungen, der
Anschlussgrad an funktionierende Kanalisationen war insbesondere im ländlichen Raum
unbefriedigend.
In Umsetzung der EU-Kommunalabwasserrichtlinie von 1991 wurden Anforderungen an die
Abwassertechnik festgelegt, die in gemeindlichen Gebieten mit mehr als 2000 Einwohnerwerten bis 2005 zu erfüllen waren.
Im Rahmen der Umsetzung dieser Richtlinie ist es gelungen, die Gewässergüte der
thüringischen Fließgewässer deutlich zu verbessern, was durch die folgende Abbildung
untersetzt wird:
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
1991
1993
1995
I
1997
I-II
1999
2001
Güteklasse:
II
II-III
2002
2003
2004
III
III-IV
IV
2006
Abb.9: Prozentuale Entwicklung der Güteklasse thüringischer Gewässer von 1991 – 2006, Quelle:
TMLNU
Konnten noch 1991 nur ca. 16 % der Fließgewässer in Thüringen die Güteklasse II oder
besser erreichen, so waren es 2006 bereits 73 %.
Die Bestimmung der biologischen Gewässergüte erfolgt nach dem Saprobiensystem. Das
Vorhandensein bestimmter Gewässerorganismen (Saprobien) zeigt den Grad der organischen
Verunreinigung der untersuchten Gewässerabschnitte an. Aus dem Vorhandensein und der
Häufigkeit der Arten wird der Saprobienindex berechnet und eine entsprechende Gewässergüteklasse abgeleitet.
Auch für ausgewählte chemische Güteparameter lässt sich dieser Trend belegen:
59
Erreichung Chemische Güteklasse II (Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser – LAWA)
Ammonium
AOX
Phosphor-Gesamt
1991
2006
8%
48 %
18 %
75 %
0%
15 %
Fließgewässer mit Gewässergüteklassen II-III (kritisch belastet) und schlechter weisen auf
Grund des sich einstellenden Sauerstoffmangels, der zunehmenden Bildung toxischer Stoffe
und Faulschlammablagerungen eine geringe biologische Vielfalt auf und sind zum Teil durch
Massenentwicklungen weniger Arten bis hin zur ökologischen Zerstörung geprägt.
Die aufgezeigte positive Entwicklung im Bereich der Kommunalabwasserbehandlung und
-entsorgung hat die biologische Vielfalt in den Gewässern Thüringens deutlich erhöht.
Der Freistaat Thüringen hat diese durch die kommunalen Aufgabenträger zu erbringenden
Leistungen durch die Ausreichung von Fördermitteln maßgeblich unterstützt. Von 1991 2006 wurden in Thüringen 3,8 Milliarden € in die Abwasserentsorgung investiert, der
Freistaat Thüringen hat den Aufgabenträgern dazu Fördermittel in Höhe von 1,1 Milliarden €
zur Verfügung gestellt.
Bis zum Aufbau einer vollständigen abwassertechnischen Infrastruktur sind trotz der geschilderten Erfolge noch immer erhebliche Anstrengungen zu leisten. Dies betrifft insbesondere
den Anschlussgrad an Kläranlagen. Dieser wurde von 1990 bis 2006 von 43 auf 67 % erhöht was den noch bestehenden Nachholbedarf aufzeigt.
- Nährstoffeinträge aus der landwirtschaftlichen Flächennutzung
Infolge der rückläufigen Entwicklung des Tierbesatzes in Thüringen seit 1990 sowie
insbesondere des verbesserten Düngungsmanagements, welches auch durch neue gesetzliche
Rahmenbedingungen wie die Düngeverordnung des Bundes (1996, Novellierung 2007)
definiert wurde und im Rahmen der Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen (Cross
Compliance) ab 2005 verstärkten Kontrollen unterliegt, ist eine Stabilisierung der
Stickstoffbilanzüberschüsse der thüringischen Landwirtschaftsbetriebe (1996 - 2007) zu
konstatieren. Hinzu kommt, dass ein erheblicher Flächenumfang langjährig extensiv
bewirtschaftet wird bzw. Düngebeschränkungen im Rahmen der freiwilligen Teilnahme dem
KULAP unterliegt.
Die Anforderungen der Düngeverordnung, bezogen auf die zu erreichenden N-Bilanzüberschüsse, werden bereits vielerorts erreicht. Wie unten noch beschrieben wird, reichen diese
jedoch in Thüringen nicht überall aus, um den Zielen des Gewässerschutzes zu genügen.
Die Bodenerosion stellt für den landwirtschaftlichen Bereich den Haupteintragspfad für
Phosphor dar. Trotz zum Teil rückläufiger und negativer P-Bilanzen und im Bundesvergleich
geringen Tierbesatzes besteht weiterhin die Gefahr erosiver Einträge in Thüringen. Das ist
u.a. auf bedeutende erosionswirksame Hanglängen und große Bewirtschaftungseinheiten
zurückzuführen. Diese sind vielfach ohne wirksame Hindernisse für den Oberflächenabfluss.
Hier besteht noch immer ein großer Handlungsbedarf zur Durchführung von Erosionsschutzmaßnahmen.
Ab Anfang der 1990er Jahre bildeten in Thüringen die Einzugsgebiete, die der öffentlichen
Trinkwasserversorgung dienten, sowie die Ausweisung von Überschwemmungsgebieten mit
60
zusätzlichen Beschränkungen für die landwirtschaftliche Bewirtschaftung, einen maßgeblichen Schwerpunkt für Maßnahmen des Gewässer- und Hochwasserschutzes mit Bezug zur
landwirtschaftlichen Nutzung.
- Gewässerstruktur und –durchgängigkeit, Gewässerunterhaltung
Noch in der jüngeren Vergangenheit dienten wasserbauliche Maßnahmen insbesondere dem
Hochwasserschutz und der Wasserkraftnutzung. Diese Nutzungen haben ihre Berechtigung
und sind auch aus der modernen Wasserwirtschaft nicht wegzudenken. Es war und ist
insbesondere erforderlich, den Menschen und die Zivilisation vor Hochwässern und deren
zum Teil verheerenden Auswirkungen zu schützen. Begrenzte Eingriffe in die Fließgewässer
werden deshalb auch künftig nicht zu vermeiden sein.
Die Sicherung vorhandener Auenbereiche zur Gewährleistung der wasserwirtschaftlichen
Funktionen, insbesondere der Freihaltung der Überschwemmungsgebiete, war in diesem
Zusammenhang vorrangig zu gewährleisten.
Es war jedoch auch zu berücksichtigen, dass eine vielfältige und naturnahe Gestaltung der
Gewässer einen großen Einfluss auf ihre Güte, Selbstreinigungskraft und somit ihre
Besiedlung hat. Deshalb stehen bereits seit Anfang der 1990er Jahre in Thüringen die
Bemühungen um naturnahe Gewässerunterhaltung und -ausbau im Vordergrund. Die
Maßgabe war es deshalb, die fließenden Gewässer unserer Kulturlandschaft nicht isoliert,
sondern stets im Kontext des natürlichen Gesamtsystems zu betrachten.
Gemeinsam mit den Fachbereichen Naturschutz und Landwirtschaft wurde durch die
Abteilung Wasserwirtschaft im TMLNU die „Richtlinie zur naturnahen Unterhaltung und
zum Ausbau von Fließgewässern (1996)“ erarbeitet. Sie dient sowohl den Aufgabenträgern
der Gewässerunterhaltung als auch den zuständigen Behörden als wichtige Handlungsanleitung.
Da es zu den typischen Verhaltensweisen von vielen Fließgewässerorganismen gehört, in
ihren Lebenszyklen mehr oder weniger ausgedehnte Wanderungen durchzuführen, ist für die
Wiederansiedlung dieser Organismen die Wiederherstellung der Durchgängigkeit der
Gewässer ein wesentlicher Schritt. Strukturreiche und durchwanderbare Fließgewässer sind
wichtige Voraussetzungen zur Erhaltung und Entwicklung der biologischen Vielfalt.
- EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) und die biologische Vielfalt
Am 22. Dezember 2000 trat die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) in Kraft. Sie
verpflichtet die Mitgliedstaaten der EU bis zum Jahr 2015 den guten Zustand in allen
Gewässern zu erreichen. Darunter werden der gute ökologische und chemische Zustand der
Oberflächengewässer und der gute chemische und mengenmäßige Zustand des Grundwassers
verstanden.
Insbesondere die Zustandsbewertung der Oberflächengewässer, als Grundlage für die
Kontrolle der Zielerreichung nach WRRL, ist mit der Einführung der Richtlinie deutlich
erweitert worden.
Neben den klassischen Parametern, wie den chemisch-physikalischen Kenngrößen und der
Zusammensetzung der Wirbellosenfauna (Saprobie), die bisher - wie bereits oben beschrieben
- zur Bestimmung der Gewässergüte dienten, sind nunmehr vor allem weitere biologische
Kriterien zu untersuchen.
Die Beurteilung der Gewässer erfolgt anhand von Referenzgewässern. Entscheidende
Bedeutung haben dabei die Artenvielfalt und Zusammensetzung der biologischen Qualitätskomponenten. Neben der Wirbellosenfauna werden nun auch Wasserpflanzen und Algen
bewertet und erstmals wird der Zustand der Fischfauna zur Bewertung herangezogen. Für die
61
Beurteilung ist ausschlaggebend, wie stark die Biozönose des jeweiligen Gewässers von der
entsprechenden Referenzbiozönose abweicht.
Zusätzlich zu den biologischen Qualitätskomponenten werden hydromorphologische Komponenten zur Beurteilung des ökologischen Zustands herangezogen.
Allein schon die Darstellung der für die Zustandsbeschreibung herangezogenen Organismen
zeigt, dass die Verbesserung der biologischen Vielfalt der Gewässer im Blickpunkt der
WRRL steht. Maßnahmen, die in Thüringen zur Erreichung des guten Gewässerzustandes
gemäß WRRL durchgeführt werden, tragen somit unmittelbar zur Erhöhung der Biodiversität
der Gewässer bei.
Bezogen auf die eingangs genannten Handlungsfelder ergeben sich folgende Wirkungen der
Maßnahmen auf die biologische Vielfalt der Gewässer:
Maßnahmen zur Reduzierung der Phosphoreinträge durch kommunale Abwässer und/oder
zur Minderung der Einträge von Phosphor und Sedimenten aus landwirtschaftlichen
Nutzflächen (Erosionsschutz) tragen zur gemäß WRRL geforderten Ausbildung der
typspezifischen Lebensgemeinschaften
x
x
x
der Makrophyten - höhere Wasserpflanzen
des Phytobenthos - Algenbewuchs des Gewässerbodens und
des Phytoplankton - freischwebende Algen
bei.
Indirekte Auswirkungen haben die verminderten Phosphor- und Sedimenfrachten auch auf die
Lebensgemeinschaften der Fische und des Makrozoobenthos - Wirbellosenfauna.
Die Minderung der Stickstofffrachten und -konzentrationen ist für die Erreichung des
guten chemischen Zustands einiger Oberflächengewässer erforderlich und befördert zudem
in vielen Standgewässern die Erreichung der Zielstellungen der WRRL.
Die erforderlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Gewässerstruktur und zur
Wiederherstellung der Durchwanderbarkeit unserer Fließgewässer spannen gleich
mehrere Bögen zur Verbesserung der Biodiversität in Thüringen. Die Wiederherstellung der
Durchgängigkeit der Thüringer Fließgewässer wird sich positiv auf die Erhöhung der
biologischen Vielfalt und den Artenreichtum von Fischen in den Gewässern auswirken.
Zudem tragen diese Maßnahmen auch zur Biotopvernetzung bei und haben damit positiven
Einfluss auf die Verbreitung bzw. Verbesserung terrestrischer Lebensgemeinschaften.
Weiterhin werden durch strukturverbessernde Maßnahmen die Habitatvielfalt im und auch am
Gewässer z. B. durch das Anlegen eines typischen Uferbewuchses entscheidend verbessert.
Dies trägt zur Etablierung typspezifischer Fisch- und Makrozoobenthoslebensgemeinschaften
im Bereich der aquatischen Lebensgemeinschaften bei. Gleichzeitig sind dadurch sekundär
positive Effekte zur Verbesserung der terrestrischen Lebensgemeinschaften, wie der
Auenbewohner, grundsätzlich zu erwarten.
Die bisher vorliegenden Ergebnisse der Überwachung der Oberflächengewässer gemäß
den Anforderungen der WRRL zeigen, dass der gute ökologische Zustand in ca. 96 % aller
Oberflächenwasserkörper (OWK) in Thüringen verfehlt wird. Grundlage hierfür ist ein
umfangreiches und kontinuierlich beprobtes Messnetz an Grund- und Oberflächengewässern.
Hauptursachen für das Verfehlen des guten Zustands sind neben der nach wie vor noch
vorhandenen Abwasserbelastung und den Nährstoffeinträgen aus der Landwirtschaft vor
62
allem die unzureichende Gewässerstruktur einschließlich der fehlenden Durchgängigkeit.
x
Modellvorhaben Flussgebietsmanagement
Um Maßnahmen zu erproben, die zur erfolgreichen Umsetzung der WRRL in diesen
Bereichen erforderlich sind, wurden zwischen 2004 und 2007 neun Modellvorhaben
Flussgebietsmanagement durchgeführt, die folgende Themenkomplexe beinhalteten:
- Reduzierung von Nährstoffeinträgen in Grund- und Oberflächenwasser,
- Verbesserung und Vernetzung aquatischer Lebensräume,
- Initiierung der Gewässerdynamik und Verbesserung der Gewässerstruktur.
Im Einzelnen wurden folgende Modellvorhaben realisiert:
Lebendige Sprotte (Landkreise Altenburger Land und Greiz)
Schwerpunkte: Schaffung eines biologisch durchgängigen Fließgewässersystems unter
Betrachtung des gesamten Einzugsgebietes; Unterstützung einer freiwilligen, regionalen
Kooperation der Kommunen
Revitalisierung des Röstegrabens (Landkreis Nordhausen)
Schwerpunkte: Lösung typischer Probleme im ländlichen Raum; Nährstoffreduzierung durch
Errichtung einer Abwasserbehandlungsanlage für die Gemeinde Großwechsungen;
Herstellung der Durchgängigkeit; Zusammenarbeit zwischen Gewässerunterhaltungsverband
und Abwasserzweckverband
Auenrenaturierung für eine lebendige Werra zwischen Sallmannshausen und Wartha
(Wartburgkreis)
Schwerpunkte: Reduzierung der Nährstoffeinträge in einem grenznahen Abschnitt eines
großen Gewässers durch dauerhafte Sicherung und Entwicklung eines Uferrandstreifens und
moderate Nutzungsänderungen in der Fläche; Anbindung des Altarmes an den Flusslauf;
Rückbau von Uferbefestigungen; Gebietskulisse befindet sich im Bereich des Grünen Bandes
Thüringen
Verminderung von Stoffausträgen aus landwirtschaftlich genutzten Flächen
(landesweit)
Schwerpunkte: Absenkung betrieblicher Stickstoff-Salden, Quantifizierung der
unvermeidbaren Verluste und deren Wirkung auf den chemischen Zustand des Grundwassers,
Verringerung von Stoffausträgen durch Bodenerosion
Renaturierung der Ulster im Flurbereinigungsverfahren Buttlar (Wartburgkreis)
Schwerpunkte: Revitalisierung eines Teilabschnittes der Ulster; Grunderwerb im Bereich des
Fließgewässers Ulster (Gewässer 1. Ordnung) im Flurbereinigungsgebiet Buttlar zur
Sicherung der Uferrandstreifen
Entwicklung der Rodach und ihrer Zuflüsse zu einem durchgängigen, strukturreichen
Verbundsystem in der Kurregion Bad Colberg/Ummerstadt (Landkreis
Hildburghausen)
Schwerpunkte: Entfernung von Verrohrungen der Rodachtalzuflüsse; Erwerb von Uferstreifen
entlang der freigelegten Zuflüsse und der Rodach; Anlage einer Fischaufstiegsanlage
Gewässersanierung der Walse (Eichsfeldkreis)
63
Schwerpunkte: Errichtung einer Abwasserbehandlungsanlage als Modellprojekt zur
Behandlung des in Kleinkläranlagen vorgereinigten kommunalen Abwassers aus der
Teilortskanalisation ohne Neubau des Ortsnetzes
Reduktion des Stickstoffaustrages aus landwirtschaftlich genutzten Flächen im Bereich
der Talsperren Weida, Zeulenroda und Lössau (Landkreis Greiz und Saale-Orla-Kreis)
Schwerpunkte: Erprobung und Bewertung von Maßnahmen zur Reduktion des diffusen
Stickstoffeintrags in Fließgewässer; Entwicklung eines übertragbaren Systems zur Auswahl
von Flächen und Maßnahmenkombinationen zur Optimierung des Ressourceneinsatzes
Sanierung und Renaturierung der Monna im Thüringer Becken (Landkreis Sömmerda)
Schwerpunkte: Sanierung eines ehemals industriell stark belasteten Gewässers in einem FFHGebiet; Kombination mehrerer Vorhaben (u.a. A/E-Maßnahmen zum Autobahnbau) zum
Gesamtvorhaben Monna
Abb. 10: Übersicht über die Modellvorhaben Flussgebietsmanagement, Quelle: TMLNU
Vertieft wurden diese Erkenntnisse durch die exemplarische Modellbewirtschaftung in 4
weitgehend repräsentativen Gebieten.
x
Vernetzungsprojekt Werra
Besonderer Erwähnung bedarf das für sich stehende national überaus beachtete Projekt
"Verbesserung und Vernetzung aquatischer Lebensräume an der Werra und wichtiger
Nebenflüssse“. Zur Erreichung des guten ökologischen Zustandes gemäß WRRL sowie zur
Wiederherstellung der Durchgängigkeit der Gewässer und Verbesserung ihrer Ufer- und
Sohlstrukturen und der damit verbundenen ökologischen Aufwertung der Fließgewässer als
Lebensraum wurde dieses Pilotprojekt im Auftrag des TMLNU in den Jahren 2004 - 2008
durchgeführt. Dabei wurden Erfahrungen nicht nur an örtlichen Einzelprojekten, sondern auf
ca. 150 km Gewässerlänge und bei insgesamt 54 durchgängig zu gestaltenden Querbauwerken
gesammelt.
64
Schwerpunkte des Projektes waren der Rückbau nicht mehr genutzter Wehranlagen, der
Umbau von Sohlabstürzen zu Sohlgleiten, die Herstellung der Durchgängigkeit an genutzten
Wasserkraftanlagen (z. B. Einbau von Fischaufstiegsanlagen oder Umgehungsgerinnen), die
Wiederherstellung des naturnahen Zustandes stark veränderter Gewässerabschnitte sowie die
Verbesserung der Gewässerstruktur, um gute Laichbedingungen für heimische, gewässertypische Fische zu schaffen. Für die Umsetzung des Projektes durch das Staatliche Umweltamt Suhl standen ca. 5 Mio. € zur Verfügung (gefördert durch die EU). Von den 54 vorgesehenen Querbauwerken wurde im Projektzeitraum die Durchgängigkeit an 44 Anlagen
erreicht, an weiteren 5 wurde die Planung ausgelöst. An 5 Wasserkraftstandorten stehen
Lösungen noch aus. Kleinere Rückbaumaßnahmen konnten dabei im Rahmen der personellen
und materiellen Möglichkeiten der Flussmeisterei kosteneffizient durchgeführt werden. Bei
anderen Maßnahmen wirkte sich die Novellierung des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG)
als finanzieller Anreiz für die Betreiber aus. Der Schwerpunkt der notwendigen Erfolgskontrollen auf die Biodiversität und die Einhaltung der WRRL wurde dabei nicht auf die
Funktion des jeweiligen Einzelbauwerkes gelegt, sondern auf die Auswirkungen bei der
Gesamtdurchgängigkeit und die Gewässerfauna. Nachstehende Abbildung gibt einen
Überblick über das Projektgebiet:
Abb. 11: Projektgebiet des Vernetzungsprojektes Werra; Quelle: TMLNU
Das Projekt wird seine Wirkung auch länderübergreifend entfalten, da veranlasst durch eine
von Thüringen begonnene Initiative am 11. Juni 2007 eine Vereinbarung zwischen Niedersachsen, Hessen und Thüringen auf Ministerebene unterzeichnet wurde, die zum Ziel hat, die
Durchgängigkeit der Werra bis zum Ende des Jahres 2012 herzustellen.
x
EU-Hochwasserrisikomanagementrichtlinie (HWRM-RL)
Nach der WRRL ist 2007 auch die HWRM-RL in Kraft getreten. Ziel der Richtlinie ist es,
einen Rahmen für die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken zur
Verringerung hochwasserbedingter Folgen für Umwelt und Mensch zu schaffen. So verfolgt
die Richtlinie die Rückgewinnung von Retentionsräumen. Dieses Ziel kann z.B. durch die
gezielte Rückverlegung von Deichen bei gleichzeitig verbessertem Schutz wichtiger
Infrastruktur wie z.B. Siedlungsbereichen oder durch die Anlage von Flutpoldern erreicht
werden. Zur Zielerreichung dient auch die Verlängerung der Fließwege durch Renaturierung
der Fließgewässer. Mit diesen Maßnahmen wird u.a. der Wasserhaushalt der Aue verbessert.
Sie sind ein weiterer Baustein zur Verbesserung auch der Lebensbedingungen der an diesen
Lebensraum angepassten Tier und Pflanzenarten. Durch den vermehrten Wasserrückhalt wird
der Grundwasserleiter der Aue gespeist, der als Wasserspeicher für Trockenzeiten dient.
65
Diese Maßnahmen dienen folglich auch dazu, die in Folge des Klimawandels zu erwartenden
extremeren Niedrigwassersituationen und ihre Folgen nicht nur für die biologische Vielfalt
abzumildern.
6. Leitbild/Zielsetzung 2020
Die Bilanz und die Beschreibung der Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt
in Thüringen sowie die Darstellung der Situation in den wichtigsten Landschaftsräumen
Thüringens zeigt eindrucksvoll, dass auf allen Ebenen viele Schritte unternommen
wurden, um die für alle lebenswichtige biologische Vielfalt zu erhalten. Da Verluste
irreversibel sind und die fortdauernde Vernichtung von Arten eine hohe Dramatik hat,
müssen jedoch weitere Maßnahmen ergriffen werden.
Bis 2020 will das TMLNU den im nachfolgenden Leitbild beschriebenen Zustand
erreicht haben und formuliert dazu klare Ziele, die bis 2020 umgesetzt sein sollen.
Die Erhaltung der biologischen Vielfalt in Thüringen ist eine zentrale Aufgabe des
Landes bis zum Jahr 2020.
Leitbild
Kennzeichen einer natürlichen Vielfalt und von herausragender Bedeutung sind z. B. die
Buchenwälder, die Gipskarstgebiete, naturnahe Wasserläufe und die dazugehörenden
Auenbereiche, Hoch- und Niedermoore, Offenlandlebensräume wie Trockenrasen, Feuchtund Nassgrünland und Bergwiesen, bedeutende Binnensalzstellen, aber auch eine
abwechslungsreiche historisch geprägte Kulturlandschaft mit einer vielgestaltigen
Fruchtfolge, Hecken und einem kleinräumigen Wechsel von Feld und Wald. Diese Elemente
prägen das Landschaftsbild Thüringens und tragen dazu bei, auch im Jahr 2020 von einem
„Grünen Herzen Deutschlands“ zu sprechen.
Die charakteristischen Kultur- und Naturlandschaften Thüringens sind in ihrer Schönheit,
Eigenart und Vielfalt erhalten und ggf. wieder hergestellt und entwickelt. Zur Erhaltung der
charakteristischen Kulturlandschaft und ihrer zugehörigen Arten und Lebensräume tragen
naturschonende und naturnahe Landnutzungen bei. Darüber hinaus sind die Bereiche, deren
Artenvielfalt nur durch spezielle Pflegemaßnahmen erreicht werden können, entsprechend
gepflegt. Es existieren ausreichend große ungenutzte Bereiche.
Die Lebensräume, Lebensgemeinschaften und die in ihnen lebenden Arten befinden sich bis
spätestens 2020 in einem möglichst günstigen Erhaltungszustand. Der Bestand der für
Thüringen typischen Arten lebt in Lebensräumen, die eine für die Erhaltung der Arten
ausreichende Größe haben. Der genetische Austausch der Arten ist durch die Vernetzung der
verschiedenen Lebensraumtypen sichergestellt.
Die Unternehmen in der Agrarwirtschaft nutzen ein noch breiter gewordenes Spektrum
angepasster leistungsfähiger Sorten in mehrgliedrigen Fruchtfolgen. Die Veredlung der
pflanzlichen Rohstoffe erfolgt standortgebunden mit produktiven Rassen, in die das
genetische Potential alter Landrassen eingeflossen ist. Insbesondere früher vom Aussterben
bedrohte heimische Nutztierrassen werden gezielt für extensive Wirtschaftsformen und
Landschaftspflege eingesetzt.
Thüringen ist in die Ex-situ-Erhaltung genetischer Ressourcen mittels Genbanken und
Kryokonservenspeichern angemessen eingebunden.
Der Anbau von nachwachsenden Rohstoffen und der Gartenbau tragen maßgeblich zur
innovativen Nutzung eines breiten Spektrums von Kulturpflanzen bei. Dabei werden auch
früher angebaute Arten wieder in Nutzung genommen. In der Ernährungswirtschaft ist es
gelungen, Mikroorganismen für Produkt- und Verfahrensinnovationen nutzbar zu machen.
66
Zusammen mit einer nachhaltigen Landnutzung ist bis zum Jahr 2020 eine geeignete
Lebensgrundlage für eine Vielzahl von typischen Tier- und Pflanzenarten gesichert.
Die Wälder in Thüringen, die eine hohe natürliche Vielfalt und Dynamik hinsichtlich ihrer
Struktur und Artenzusammensetzung aufweisen, werden nachhaltig bewirtschaftet. Dabei sind
ihre ökologischen und sozialen Funktionen beachtet.
Die Fließgewässer und ihre Auen bilden eine Einheit und sind bedeutende Lebensadern der
Thüringer Landschaft. Der Erhaltung oder Wiederherstellung ihrer natürlichen Vielfalt und
Dynamik fällt eine wichtige Aufgabe zum Erhalt der biologischen Diversität zu.
Die besiedelten Bereiche in Thüringen bieten eine hohe Lebensqualität für die dort lebenden
Menschen und sind zugleich Lebensraum für viele, auch seltene und gefährdete Tier- und
Pflanzenarten. Bis zum Jahr 2020 ist die Durchgrünung der Siedlungen deutlich erhöht und
für die dort lebenden Tier- und Pflanzenarten ein möglichst günstiger Erhaltungszustand
erreicht.
Die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen, an dem
sich die verschiedenen Interessengruppen und Politikbereiche beteiligen. Dies sind neben der
Land-, Wasser- und Forstwirtschaft und der Fischerei u. a. auch die Industrie, Städte, Kreise,
Gemeinden, Kirchen und letztlich alle Bürger.
Die Einrichtungen der öffentlichen Hand in Thüringen zeigen engagiert und transparent, wie
sich die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt konkret verwirklichen
lässt und gehen in ihrem gesamten Handeln vorbildlich voran.
Die Wirtschaft setzt sich für ein tragfähiges Miteinander von wirtschaftlicher Entwicklung
und Naturschutz ein. Dabei hat Öko-Sponsoring eine besondere Bedeutung bekommen.
Natur und Landschaft ermöglichen in ihrer Vielfalt, Eigenart und Schönheit Naturerfahrung,
Erholung und einen naturverträglichen Sport. Tourismus, Sport und Erholung werden so
betrieben und durch geeignete Maßnahmen gelenkt, dass die biologische Vielfalt keinen
Schaden nimmt. Alle Beteiligten setzen sich gemeinsam mit dem Naturschutz für die
Erhaltung der Kultur- und Naturlandschaften in Thüringen ein.
Die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist ebenso wie der Klimawandel ein Thema, das in
das Thüringer Bildungssystem und die UN-Weltdekade „Bildung für nachhaltige
Entwicklung“ integriert ist.
Biologische Vielfalt erfreut sich in Thüringen einer hohen Wertschätzung als wesentlicher
Bestandteil der Lebensqualität und ist Voraussetzung für ein gesundes und erfülltes Leben.
Dies drückt sich im alltäglichen, eigenverantwortlichen und ehrenamtlichen Handeln aller
Bürger aus.
Zielsetzung 2020
Bis zum Jahre 2020 sollen folgende Ziele in Thüringen erreicht werden:
x
Schwerpunkt Naturschutz
-
Der Rückgang natürlicher und naturnaher Lebensräume und der in ihnen wildlebenden
Arten in Thüringen ist eingedämmt.
Bei Begrünungs- und Pflanzmaßnahmen in der freien Landschaft und bei
Kompensations- und Naturschutzmaßnahmen wird nur noch Saat- und Pflanzgut aus
67
-
x
heimischen, regionalen Herkünften verwendet. Diese Vorgehensweise hat sich als Stand
der Technik etabliert.
Arten, die vom Aussterben bedroht bzw. stark gefährdet sind, breiten sich wieder aus.
Einzelne Arten, die einst heimisch waren, wandern wieder vorrangig in ihren einst
angestammten Lebensraum ein.
Gefährdete Arten- und Lebensraumtypen, für die Thüringen international und national
eine besondere Verantwortung trägt, sind in ihrem Erhaltungszustand gesichert und
können sich weiterentwickeln oder ggfls. wieder ausbreiten.
Für hochgefährdete Arten liegen Artenhilfskonzepte vor, deren Umsetzung durch
festgelegte Verantwortlichkeiten, ausreichende Bereitstellung von Mitteln und
nötigenfalls naturschutzrechtliche Festlegungen sichergestellt ist.
Die Schwerpunktgebiete des Naturschutzes sind in einem guten Erhaltungszustand und
so vernetzt, dass auch Beeinträchtigungen ihrer biologischen Systeme, z. B. durch den
Klimawandel, weitgehend abgefedert werden können.
Unzerschnittene und störungsarme Räume sind neu geschaffen oder miteinander
verbunden worden. Der Stand von 2009 konnte mindestens gehalten werden.
Ausgehend von den Nationalen Naturlandschaften sind für die Nutzung von Natur und
Landschaft Modelle entwickelt, die ökonomische, ökologische und soziale Ziele
wirksam und nachhaltig verbinden. Dies gilt insbesondere für die Land- und
Forstwirtschaft als größten Flächennutzer.
Die landwirtschaftliche Nutzung von Biotopen ist auch dort erhalten geblieben, wo die
wirtschaftlichen Voraussetzungen ungünstig sind.
Die Erhaltung der biologischen Vielfalt erfolgt auch durch die Instrumente anderer
Landnutzungsformen (z.B. Fischerei und Jagd).
Freiwillige Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt haben durch
entsprechende Förderprogramme zugenommen. Förderungsinstrumente werden danach
ausgerichtet, dass die Maßnahmen der Erhaltung der biologischen Vielfalt dienen.
Die Fortführung der bewährten konsensorientierten Ausweisung von Schutzgebieten hat
zum dauerhaften Schutz der charakteristischen Arten und Lebensraumtypen Thüringens
geführt.
Ehrenamtliches Engagement für die Erhaltung der biologischen Vielfalt wird von den
Behörden unterstützt.
Schwerpunkt Landwirtschaft
-
Die Bestände alter Landrassen und Sorten, für die Thüringen eine besondere
Verantwortung hat, sind vor dem Aussterben bewahrt und haben sich deutlich
vergrößert.
Durch gezielte Nutztier- und Pflanzenzüchtung werden beständig angepasste
leistungsfähige Rassen und Sorten für eine nachhaltige Landwirtschaft bereitgestellt.
Die Bürger orientieren sich in ihrem Nachfrageverhalten neben Preis und Qualität auch
stärker an Regionalität und Erzeugnissen von alten heimischen Nutztierrassen und
Pflanzensorten.
Landschaftselemente in der Feldflur, insbesondere Alleen, Hecken und Baumreihen,
werden auch in landwirtschaftlichen Gunstlagen entwickelt und gepflegt. Sie
strukturieren die Kulturlandschaft, schützen vor Erosion und sind Habitat für viele
wildlebende Arten.
68
x
Schwerpunkt Wälder
-
x
Die Fläche naturnaher Wälder hat insbesondere in den waldarmen Gebieten Thüringens
weiter zugenommen und trägt zur Biotopvernetzung und Erhöhung der strukturellen
Vielfalt der Landschaft bei.
Die Umstellung auf eine naturnahe Waldbewirtschaftung ist weiter vorangekommen.
Der an Klimaänderungen besser angepasste Mischwaldanteil und insbesondere der
Laubbaumanteil sind im Zuge des Waldumbaus weiter gestiegen.
Die Wilddichten sind weitgehend den Waldbeständen und ihrer Verjüngung angepasst.
Schwerpunkt Gewässer
-
-
Eine Vielzahl der nach WRRL zu betrachtenden Flüsse und Talsperren hat den guten
chemischen und ökologischen Zustand bzw. das gute ökologische Potential gemäß
WRRL erreicht.
Die ökologische Durchgängigkeit, besonders in den wichtigen Verbindungsgewässern
Saale, Werra, Unstrut, Ilm und geeigneten Laichgewässern für Fische, ist
wiederhergestellt.
Die naturraumtypische Vielfalt ist durch die Verbesserung der Gewässerstruktur und
Ufervegetation in der Mehrheit der Wasserkörper erhöht.
Schad- und Nährstoffeinträge in Fliessgewässer und Talsperren sind deutlich reduziert.
Mit der Umsetzung der EU-Hochwasserrisikomanagementrichtlinie (HWRM-RL) ist die
Rückgewinnung von Retentionsflächen forciert worden. Bei der Aufstellung der
Hochwasserrisikomanagementpläne sind auch die Aspekte des Naturschutzes berücksichtigt worden.
In den Auen der Fliessgewässer finden sich in ausreichendem Maße naturnahe
wasserabhängige Lebensräume, auentypische Arten kehren in derzeit ausgeräumte
Landschaften zurück.
7. Aktionsplan bis 2020/Aktionsfelder
Um das vorgestellte Leitbild umzusetzen und um die gesteckten Ziele bis 2020 zu erreichen,
wird ein „Aktionsplan 2020“ festgelegt, der aus zwei Teilen besteht:
1. Öffentlichkeitskampagne „33 Arten/Rassen und Lebensräume für Thüringen“
2. Maßnahmenkatalog, sortiert nach Aktionsfeldern.
Eine Evaluierung des Aktionsplans findet als Analyse und Zwischenbericht unter Beachtung
des Leitbildes in den Jahren 2012 und 2016 statt.
7.1 Öffentlichkeitskampagne
Um die Notwendigkeit des Schutzes von wildlebenden Arten, speziellen Rassen und Sorten
und von besonderen Lebensräumen besser in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen, wurde
ein Arten-/Rassen- und Lebensraumkorb „33 Arten/Rassen und Lebensräume für
Thüringen“ entwickelt ( Tab. 15). Er bildet die Grundlage für eine Öffentlichkeitskampagne,
in der bis 2020 auf die Bedeutung dieser Arten/Rassen und Lebensräume für die biologische
Vielfalt und auf geeignete Maßnahmen zu deren Erhaltung besonders hingewiesen wird. Die
69
wichtige Rolle, die dabei die Verbraucher spielen, soll insbesondere im Zusammenhang mit
der Nutzung alter Nutztierrassen und Pflanzensorten thematisiert werden.
Die dort enthaltenen Arten-/Rassen/Sorten- und Lebensräume wurden nach speziellen
Auswahlkriterien ermittelt und sind als für den Laien leicht erkennbare Leitarten auch für
andere Arten repräsentativ. Einzelheiten zu ihrer speziellen Bedeutung sind dem jeweiligen
Steckbrief im Anhang zu entnehmen. Sie dienen als Indikatoren für die Umsetzung der
Strategie.
Tab. 15: Arten-/Rassen- und Lebensraumkorb
Wildlebende Arten
Vorkommen
Kriterien
Feldhamster
Wildkatze
Kleine Hufeisennase
Mopsfledermaus
Fischotter
Wachtelkönig
Rotmilan
Agrarlandschaft
Wald
Wald, besiedelter Bereich
Wald
Gewässer
Feuchtgrünland
Agrarlandschaft, besiedelter Bereich
Wald, Feuchtgrünland
besiedelter Bereich,
Feuchtgrünland
Grünland
Wald
Agrarlandschaft
Gewässer
Gewässer
Gewässer
Gewässer
Gewässer
Gewässer
Wald
Wald
Grünland, Offenland
Offenland
Offenland
Wald
Bergwiesen
G, S
S
G, S
G, U
Schwarzstorch
Weißstorch
Kiebitz
Schwarzspecht
Feldlerche
Gelbbauchunke
Moorfrosch
Barbe
Bachneunauge
Bachmuschel (Gemeine Flussmuschel)
Helm-Azurjungfer
Hirschkäfer
Eremit
Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling
Berghexe
Stengelloser Tragant
Frauenschuh
Arnika
Lebensräume
Binnensalzstellen
Kalk-Trockenrasen und ihre
Verbuschungsstadien (mit orchideenreichen
Beständen)
Steppenrasen
Buchenwälder
Nutztierrassen
Thüringer Waldziege
G, V
G, V
V
V
V
V
V
S
U
S
G, U
U
S, P
U
G
G
U
U
U, P, G
U, P, G
U, P, G
G, U, S
A, B, H, Z
70
Rhönschaf
Pflanzensorten
A, B, H, Z
Durum-Getreide Rosadur
A, B, H
Apfelsorte „Schöner aus Nordhausen“
A, B, H, Z
Auswahlkriterien wildlebende Arten und Lebensräume:
1. Arten, für deren globale Erhaltung Thüringen eine besondere Verantwortung trägt (G)
2. Prioritäre Arten- und Lebensraumtypen gem. FFH-Richtlinie (P)
3. Lebensraumtypen und Arten der Anhänge I, II, IV und V der FFH-Richtlinie, deren Erhaltungszustand im aktuellen nationalen Bericht an die EU-KOM als ungünstig-schlecht (S) oder
ungünstig-unzureichend (U) eingeschätzt wurde
4. Für ein Zielartenkonzept geeignete Vogelarten des Anhangs I oder II der EU-Vogelschutzrichtlinie (V)
Auswahlkriterien Nutztierrassen und Pflanzensorten:
1. Haltung bzw. Anbau erfolgt derzeit in Thüringen (H)
2. Zucht oder züchterische Bearbeitung (regionaler Schwerpunkt) erfolgte in Thüringen (Z)
3. besondere regionale Bedeutung oder Verbreitungsschwerpunkt in Thüringen (B)
4. alte, regionalspezifische Landrasse/Sorte oder vom Aussterben bedrohte Art (A)
7.2 Maßnahmenkatalog
Der Schutz der Arten und insbesondere die Entwicklung der Bestände, für die Thüringen eine
besondere Verantwortung trägt, muss intensiviert und personell sowie finanziell unterstützt
werden. Neben der Vielfalt der wildlebenden Arten und Lebensräume stellt auch der Schutz
der genetischen Vielfalt der Nutztierrassen und Kulturpflanzen eine wichtige Zielsetzung der
Konvention zur Erhaltung der biologischen Vielfalt dar. Dementsprechend wurde der
Maßnahmenkatalog in die folgenden Aktionsfelder Naturschutz, Gewässer, Wälder und
Agrarlandschaften untergliedert. Das Aktionsfeld „Bildung und Gesellschaft“ umfasst die
Maßnahmen, die querschnittsorientiert angelegt sind. Bei der Umsetzung sind das Thüringer
Klima- und Anpassungsprogramm an den Klimawandel, das integrierte Gesamtkonzept zur
Entwicklung der ländlichen Räume Thüringens, das Konzept „Wald im Wandel“ und die
Thüringer Nachhaltigkeitsstrategie zu berücksichtigen.
Die Instrumentarien der Landentwicklungsverwaltung, wie Flurbereinigung und Dorfentwicklung, leisten Unterstützung bei der Umsetzung der Maßnahmen. Insbesondere für die eigentumsrechtliche Sicherung von Flächen kommt den Verfahren nach dem Flurbereinigungsgesetz weiterhin erhebliche Bedeutung zu.
7.2.1
Aktionsfeld Naturschutz
Die unter den einzelnen Instrumenten des Naturschutzes aufgeführten Maßnahmenvorschläge
ergänzen sich gegenseitig. Erst die konzertierte Umsetzung aller im Aktionsfeld Naturschutz
benannten Maßnahmen kann die Erreichung der bis 2020 gesteckten Ziele in Aussicht stellen.
x
Artenhilfsmaßnahmen, Arten- und Biotopschutzprogramme
1. Für hochgefährdete Arten werden Artenhilfsprogramme aufgestellt und umgesetzt.
2. Einer weiteren Einschleppung von invasiven Arten ist wirksam vorzubeugen, die
Möglichkeit ihrer Bekämpfung ist zu prüfen, wenn diese heimische Arten oder
Lebensräume gefährden.
3. Zum Schutz hochgradig gefährdeter Arten sind im Bedarfsfall Bestandsstützungen und
Erhaltungskulturen bis hin zu Wiederansiedlungen vorzunehmen.
71
4. Bei allen Restflächen von Hoch-, Übergangs- und Flachmooren wird zur Entwicklung
von Lebensräumen und als Kohlendioxidsenken die Möglichkeit einer
Wiedervernässung geprüft. Bis 2020 sind 50% der geeigneten Flächen wieder zu
vernässen.
x
Landschaftsplanung
5. Mit einer flächendeckenden Landschaftsrahmenplanung werden die Belange der
Biodiversität, insbesondere der Biotopverbund, rechtzeitig zur Integration in eine
künftig anstehende Fortschreibung der Regionalpläne aufbereitet und als Rahmen für
die Landschaftspläne formuliert.
6. Das Land unterstützt die unteren Naturschutzbehörden bei den Landkreisen und
kreisfreien Städten bei der Erarbeitung der Landschaftspläne methodisch und durch
die termingerechte Bereitstellung aktueller Planungsgrundlagen, wie etwa Arten- und
Biotopkartierungen sowie landesweite Konzepte zum Biotopverbund. Hierzu baut es
das „Fachinformationssystem Naturschutz“ (LINFOS) weiter aus.
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Biotopverbund
7.
Bis 2020 ist ein Biotopverbundsystem unter Einbeziehung des „Grünen Bandes“ zu
schaffen, mit dem Thüringen auf Grund seiner Lage im Herzen Europas eine Vernetzung der Lebensräume ermöglicht. Das Biotopverbundsystem wird als Teil einer
flächendeckenden Landschaftsrahmenplanung biotoptypenbezogen konzipiert und für
die Integration in die Gesamt- und Fachplanung aufbereitet. Dabei sollen Grünbrücken
und andere Querungshilfen nicht nur bei Neu- oder Umbauten von Verkehrswegen,
sondern auch bei bestehenden und von Tieren stark frequentierten Querungen von
Straßen und Bahnstrecken eingerichtet werden. Als wichtige Vernetzungselemente
sind auch die Gewässer und ihre Auen entsprechend zu entwickeln und zu nutzen.
8. Bis 2011 soll die Überprüfung des Alleenbestandes Thüringens abgeschlossen und ein
Alleenentwicklungskonzept aufgestellt sein. 50 % der dort vorgeschlagenen Maßnahmen sollen bis 2020 umgesetzt sein.
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Schutzgebiete/Nationale Naturlandschaften
9. Bis 2011 wird eine repräsentative Schutzgebietskonzeption für Thüringen erarbeitet,
in der die weitere Naturschutzgebietsausweisung unter Berücksichtigung der Belange
des Biotopverbundes und der mit dem Klimawandel einhergehenden Veränderungen
festgelegt wird. Bis 2015 sind die für die Erhaltung der biologischen Vielfalt
unverzichtbaren Kerngebiete als Naturschutzgebiete ausgewiesen, bis zum Jahre 2020
sind mindestens 2/3 der in der Konzeption genannten Gebiete als NSG ausgewiesen.
10. Bis 2011 wird geprüft, ob alle geeigneten Gebiete als Nationale Naturlandschaften
ausgewiesen sind. Ebenso wird bis 2011 geprüft, welche weiteren Landschaftsschutzgebietsausweisungen erforderlich sind.
11. Bis 2011 wird ein Qualitätssicherungssystem für die Schutzgebiete nach Naturschutzrecht entwickelt, das hinsichtlich der Schutzgebietsbetreuung auch auf
ehrenamtliches Engagement setzt.
12. Bis 2015 ist das Qualitätssicherungssystem für die Schutzgebiete eingeführt.
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Landschaftspflege
13. Die Förderprogramme der EU und des Landes werden über den Vertragsnaturschutz
und die Förderung von Projekten konsequent zur Sicherung und Entwicklung der
biologischen Vielfalt genutzt. Bei der Neugestaltung der Programme zur Förderung
der Entwicklung des ländlichen Raums durch die EU für die Förderperiode 2013 –
2020 bilden zielgerichtete Maßnahmen zur Sicherung der biologischen Vielfalt einen
Schwerpunkt der Programmausrichtung. Die finanzielle Ausstattung der
Förderprogramme wird im Rahmen der Evaluierung an dem Ziel der Sicherung der
biologischen Vielfalt gemessen und bei Bedarf angepasst.
14. Die Maßnahmen nach KULAP werden fortgeführt und dahingehend angepasst, dass
sie den Erhalt wildlebender Arten und die Agrobiodiversität unterstützen und noch
mehr auf diese ausgerichtet werden.
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Eingriffsregelung
15. Es findet eine konsequente Umsetzung der für die Eingriffsregelung seit der Änderung
des Thüringer Naturschutzgesetzes 2006 möglichen Flexibilisierungen statt.
16. Bei allen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sowie bei Maßnahmen auf landeseigenen
und kommunalen Flächen ist grundsätzlich autochthones Saat- und Pflanzgut im
Außenbereich zu verwenden.
17. Es werden ausreichende Spenderflächen zur Gewinnung von Saat- und Pflanzgut aus
heimischen und regionalen Herkünften bereitgestellt.
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Monitoring
18. Für die europarechtlich geschützten Arten und Lebensräume, für die nach Naturschutzrecht streng geschützten Arten und für die Arten und Lebensräume des Artenkorbes der Öffentlichkeitskampagne wird ein Monitoring eingeführt. Dieses ist auf die
Berichtspflichten nach der FFH-Richtlinie abzustimmen. Bis 2013 soll die Ersterfassung abgeschlossen sein, um eine aktuelle, landesweite Datengrundlage als Basis
für Bestandsbewertungen vorliegen zu haben.
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Natura 2000
19. Die Sicherung der NATURA 2000-Gebiete wird, insbesondere durch die kooperative
Erarbeitung und Umsetzung der Managementpläne, konsequent umgesetzt. Für die
Umsetzung der Managementpläne werden die erforderlichen Voraussetzungen
geschaffen.
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Förderung von Projekten, weitere Maßnahmen
20. Unterstützung und Begleitung weiterer Naturschutzgroßprojekte ab 2009: z.B. Grünes
Band Eichsfeld-Werratal, Grünes Band Rodachtal-Lange Berge-Steinachtal und
LIFE+ - Projekt „Erhaltung und Entwicklung der Steppenrasen Thüringens“.
21. Initiierung und Fortführung von Einzelprojekten der Verwaltungen der NNL und ihrer
Partner.
22. Das Land übernimmt aus den Flächen des „Nationalen Naturerbes“ weitere Bundesflächen zu Naturschutzzwecken.
23. Die Stiftung Naturschutz wird aufgewertet durch eine Erhöhung des Stiftungskapitals.
73
7.2.2 Aktionsfeld Gewässer
1. Die im Jahr 2008 begonnene AKTION FLUSS des TMLNU ist eine zentrale Säule der
Thüringer Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt im Bereich der Gewässer.
2. Mit der AKTION FLUSS werden bis 2020 in erheblichem Umfang Maßnahmen zur
Verbesserung der Flüsse, Talsperren und des Grundwassers durchgeführt. Die
Maßnahmen dienen der Umsetzung der WRRL , der Verbesserung der aquatischen
Lebensräume und dem vorbeugenden Hochwasserschutz.
3. Ein Schwerpunkt der umfangreichen Maßnahmen zur Verbesserung der Gewässerstruktur an Fliessgewässern sind der abschnittsweise Rückbau von Uferbefestigungen,
die Duldung von Flusslaufveränderungen durch das Anregen von eigendynamischen
Gewässerentwicklungsprozessen und die Einrichtung von Gehölzstreifen.
Bis 2015 sind etwa 290 Maßnahmen an 41 Schwerpunktgewässern vorgesehen.
Außerdem werden bis 2015 ca. 660 Querbauwerke durchgängig gestaltet.
4. Ein anderer Schwerpunkt der AKTION FLUSS ist die weitere Reduzierung der Nähr
stoffeinträge (Stickstoff, Phosphor) in die Gewässer. In Abstimmung mit den kommunalen Aufgabenträgern werden zur Erreichung der Zielstellungen der WRRL
verstärkt Abwassermaßnahmen gefördert, die zu zielgerichteten Frachtreduzierungen
in den Gewässern führen
5. Durch das erstmalige Angebot von Agrarumweltmaßnahmen (Absenkung Stickstoff
salden, Erosionsschutz) für den Gewässerschutz im Thüringer KULAP 2007-2013
wird ein weiterer Beitrag zur Verringerung der Nährstoffeinträge in die Gewässer
geleistet. Diese Maßnahmen werden durch das Angebot von Bildungsveranstaltungen
und die Initiierung von Kooperationen (Landwirtschaftsbetriebe, Landwirtschafts- und
Wasserbehörden) flankiert. Ergänzend soll der Eintrag von Schadstoffen, Salzen
undPflanzenschutzmitteln in die Gewässer weiter reduziert werden.
6. Im Rahmen der AKTION FLUSS sind allein bis 2015 Investitionen in Höhe von rund
400 Mio. € vorgesehen.
7. Quellen- und Quellbäche sind Reproduktionsstätten vieler speziell angepasster Arten
die oft an der Basis wichtiger Nahrungsketten stehen. Im Rahmen von Projekten des
Naturschutzes sind deshalb Quellbiotope, soweit möglich, von Verbauungen, insbesondere nicht mehr benötigten Quellfassungen und Ableitungen sowie Fremdmaterialien zu befreien.
7.2.3 Aktionsfeld Wälder
Der Erhalt der Wälder und ihre naturnahe Bewirtschaftung sind für das „waldreiche“ Thüringen ein besonderer Schwerpunkt. Handlungsbedarf besteht insbesondere beim Umbau zu
laubholzdominierten Mischwäldern und Laubmischwäldern, beim Erhalt seltener waldspezifischer Arten und Lebensräume sowie bei der Schaffung waldverträglicher Wilddichten.
1. Die herausgehobene Funktion des Waldes als vergleichsweise naturnaher Lebensraum
und Rückzugsraum wildlebender Tier- und Pflanzenarten wird bei Vorhaben mit
Waldflächeninanspruchnahmen besonders berücksichtigt.
2. Die Waldmehrung im Zuge von Erstaufforstungen unter vorzugsweiser Verwendung
standortheimischer Baumarten oder dem Zulassen von Sukzessionen wird insbeson-
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3.
4.
5.
6.
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9.
dere mit Blick auf ihre Funktion im Rahmen des Biotopverbundes (z.B. Rettungsnetz
Wildkatze) und der Lebensraumdiversifizierung unterstützt.
Die naturnahe Waldwirtschaft wird im Staatswald im Rahmen der besonderen Allgemeinwohlverpflichtung und Vorbildlichkeit fortgesetzt und im Körperschafts- und
Privatwald durch fachkompetente Beratung/Betreuung sowie Förderung unterstützt.
Zur Verbesserung der Lebensraumfunktion, der natürlichen Abwehrkraft sowie der
Anpassungsmöglichkeiten an sich ändernde Rahmenbedingungen für das Waldwachstum (z.B. Klimawandel) werden im Kontext multifunktionaler Leistungsfähigkeit
waldbauliche Entscheidungsgrundlagen unter Verwendung von Erkenntnissen der
Naturwaldforschung weiterentwickelt.
Darauf aufbauend wird der Waldumbau auf ökologischer Grundlage hin zu
laubholzreichen Misch- sowie Laubmischwäldern mit entsprechend vielfältigeren
Habitatstrukturen konsequent vorangetrieben. Der Laubbaumanteil soll angesichts der
langen Entwicklungszeiten von Wäldern von aktuell 38 % bis 2100 auf mindestens 50
% der Waldfläche ausgedehnt werden.
Durch gezieltes, möglichst trupp-, gruppen- oder horstweises Belassen von Habitatbäumen und Totholz werden im Staatswald Alters- und Zerfallsprozesse in die Waldbewirtschaftung integriert. Für den Privat- und Körperschaftswald werden nach Maßgabe des Haushalts über Förderinstrumente entsprechende Anreize gesetzt. Dadurch
wird der Vernetzungsgrad von Alters- und Zerfallsstrukturen erhöht. Zudem steigt in
Verbindung mit der Umsetzung von Naturschutzgroßprojekten, der Sicherung des
Nationalen Naturerbes und des Grünen Bandes der Anteil nutzungsfreier Waldbereiche.
Der Bodenschutz wird durch geeignete Technologien/Arbeitsverfahren verbessert.
Durch Kompensationskalkungen wird unter Beachtung naturschutzfachlicher Restriktionen bei der Flächenauswahl ein Beitrag zur Abpufferung emissionsbedingter Versauerungen und dadurch bedingter Verarmungen der Bodenlebewelt geleistet.
Die gemeinsam mit dem Landesjagdverband Thüringen e.V., dem Waldbesitzerverband Thüringen e.V. und dem Thüringer Verband für Jagdgenossenschaften und
Eigenjagdinhaber e.V. aufgestellte Jagdstrategie zur Schaffung waldverträglicher
Wilddichten wird weiterentwickelt.
Spezielle Maßnahmen zur Sicherung bzw. Förderung von seltenen Lebensräumen,
Arten und Genressourcen werden in Korrespondenz mit den Möglichkeiten des
Vertragsnaturschutzes im Wald weitergeführt bzw. neu entwickelt. Dabei stehen auch
ausgewählte repräsentative Waldflächen im Fokus, auf denen zugunsten lichtliebenderer Arten und Lebensgemeinschaften eine Bewirtschaftung in Anlehnung an historische Nutzungsarten erfolgt.
7.2.4 Aktionsfeld Agrarlandschaften
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Entwicklung der Ökosysteme in den Agrarlandschaften
1. Die Biodiversität in den Agrarökosystemen muss weiter erhöht werden. Dazu sollen in
der Ackerflächenbewirtschaftung durchgehend mindestens dreigliedrige Fruchtfolgen
und bei den Hauptkulturen in allen Betrieben der Anbau möglichst vieler Sorten
sichergestellt werden. Bis 2020 sollen die Populationen der wildlebenden Arten, die
für die agrarisch genutzten Kulturlandschaften in Thüringen typisch sind, gesichert
sein und wieder zunehmen.
2. Der Flächenanteil von Grünland und extensiv genutzten Dauerkulturen (Streuobstwiese, Hutungen, Gehölzflächen) an der landwirtschaftlichen Fläche soll bis 2020
erhalten bleiben. Streuobstwiesen sollen durch Nachpflanzungen mit Gehölzen alter
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Obstsorten und innovative Nutzungsansätze aufgewertet werden. Der Flächenanteil
des artenreichen Grünlandes soll auch über die Förderperiode 2007 – 2013 hinaus
erhalten bleiben.
3. Für den faunistischen Artenschutz (Feldhamster, Rotmilan, Wiesenbrüter, u.a.) sind
Flächen zu erhalten und die geförderten Flächen um möglichst 20 % auszudehnen.
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Stärkung von Biotopen mit spezieller naturschutzfachlicher Bedeutung
4. Bis 2020 sollen die Flächen spezieller naturschutzfachlich wertvoller Agrarbiotope
gezielt ausgedehnt werden. Angestrebt werden eine Aufstockung der Steppenrasenflächen um 10 % und der Bergwiesen um 5 %. Die Flächen der Kalkmagerrasen und
Halbtrockenrasen sowie der Feuchtwiesen sollen erhalten werden.
5. Außerdem wird die Fläche naturnaher Landschaftselemente wie Hecken und Feldgehölze gezielt um 5 % erhöht werden. Speziell muss über zusätzliche uferbegleitende
Gehölzpflanzungen ein Beitrag zum Klimaschutz und Erhalt der biologischen Vielfalt
geleistet werden.
6. Bei den Agrarumweltmaßnahmen muss auch künftig die Sicherung der biologischen
Vielfalt einen inhaltlichen Schwerpunkt bilden. Die Maßnahmen für den In-situ-Erhalt
besonderer Biotope auf dem Acker, dem Grünland und für Streuobstwiesen werden
fortentwickelt und weiter gefördert.
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Erhaltung der genetischen Vielfalt
7. Zur Erhaltung alter Nutztierrassen und Pflanzensorten sind eine Reihe von Einzelmaßnahmen erforderlich: Arten-/Rassen- und Lebensraumkorb Thüringen, Aufbau
von Erhaltungszuchtprogrammen, Ausbau von Arche-Höfen als Objekte zum OnFarm-Erhalt, Unterstützung von Zuchtorganisationen, Marketing, Intensivierung der
zugehörigen Fördermaßnahmen.
8. Bis 2020 werden die Verwendungsmöglichkeiten seltener Kulturpflanzen als Heil-,
Duft- und Gewürzpflanzen oder nachwachsende Rohstoffe verstärkt weiter erforscht.
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Begleitmaßnahmen
9. Es wird eine wissenschaftliche Analyse und Bewertung des Einflusses der derzeitigen
intensiven Wirtschaftsweise in der Landwirtschaft auf die biologische Vielfalt durchgeführt. Daraus sind Nutzungssysteme abzuleiten, die zum besseren Erhalt der
biologischen Vielfalt in die Betriebsabläufe integriert werden können.
10. Es erfolgt eine monetäre Bewertung von gezielt erbrachten zusätzlichen Maßnahmen
und Leistungen für die Agrobiodiversität und den Erhalt genetischer Ressourcen.
Daraus sind Vorschläge für die Weiterentwicklung und Gewichtung der Förderinstrumente und eine Anpassung der Fördersätze abzuleiten.
11. Es wird eine Marketingaktion „Verbraucher fördern biologische Vielfalt“ etabliert.
7.2.5 Aktionsfeld Bildung und Gesellschaft
1. Aspekte zur Erhaltung der biologischen Vielfalt sollen in den Thüringer Aktionsplan
zur Umsetzung der Weltdekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ integriert
werden. Sowohl Umweltbildungsmaßnahmen als auch Maßnahmen zur Bildung für
nachhaltige Entwicklung sind auszuweiten. Ein deutlicher Ausbau und eine Weiterentwicklung der bisherigen Aktivitäten der Naturschutz- und Forstverwaltung (z.B.
Waldpädagogik) sollen bis zum Ende der UN-Dekade erreicht werden.
76
2. Es bedarf der Etablierung einer speziellen Beratung zur Sensibilisierung der Landwirte
und Verbraucher für Agrobiodiversität und zum Erhalt der genutzten biologischen
Vielfalt.
3. Naturkundliche Museen und Hochschulinstitute erhalten ihre Bedeutung als Zentren
der Faunistik und Floristik sowie als Förderer des entsprechenden Nachwuchses
zurück.
4. Fachvereinigungen und ehrenamtlich für den Naturschutz Tätige werden bei ihren
Aktivitäten durch die Naturschutzbehörden unterstützt und leisten Ihrerseits wichtige
Beiträge zur Dokumentation und zum Schutz der Vielfalt. Für die ehrenamtliche
Mitarbeit an behördlichen Kartierungsprojekten sowie bei der Betreuung von
Schutzgebieten wird eine Aufwandsentschädigung gezahlt.
5. Fortführung eines integrierten Naturschutzes durch Beibehaltung und Weiterentwicklung der schwerpunktmäßig kooperativen Zusammenarbeit von Naturschutz und
Land-, Wasser-, Forst- und Fischereiwirtschaft und der Landentwicklung als Ergänzung zum Ordnungsrecht.
ANHANG
Steckbriefe der Arten/Rassen und Lebensräume des Arten-/Rassen und Lebensraumkorbes (fehlt noch)
Quellenverzeichnis:
Literatur zur Biodiversitätstsrategie
BUNDESMINISTERIUM FÜR ERNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND VERBRAUCHERSCHUTZ(2007):
AGROBIODIVERSITÄT ERHALTEN, POTENZIALE DER LAND-, FORST- UND FISCHEREIWIRTSCHAFT ERSCHLIEßEN UND NACHHALTIG NUTZEN, EINE STRATEGIE DES BMELV
FRITZLAR, F., S. KLAUS, A. NÖLLERT & W. WESTHUS, unter Mitarb. v. M. GROSSMANN, R.
HAUPT, U. V. HENGEL, W. HIEKEL, H. WENZEL & J. WIESNER (2000): Naturschätze in
Thüringen. - Arnstadt & Weimar
FRITZLAR, F., U. V. HENGEL & W. WESTHUS (2009): Der Erhaltungszustand von Arten und
Lebensraumtypen der Fauna-Flora-Habita-Richtlinie in Thüringen. - Landschaftspflege
u. Naturschutz Thür. 46 (1) im Druck
GROSSMANN, M., U. V. HENGEL, P. KRÄMER & W. WERRES (1994): Das Arten- und
Biotopschutzprogramm (ABSP) - ein Fachkonzept zur Sicherung der biologischen
Vielfalt in Thüringen.- Landschaftspflege u. Naturschutz Thür. 31 (1): 13-22
HIEKEL, W., F. FRITZLAR, R. HAUPT, S. KLAUS, U. LAEPPLE, A. NÖLLERT, E. REISINGER, A.
STREMKE, H. WENZEL, W. WESTHUS & J. WIESNER (1994): Wissenschaftliche Beiträge
zum Landschaftsprogramm Thüringens.- Schriftenr. Thür. Landesanstalt für Umwelt
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September 2007.Bearbeitung: IVL: Dipl.-Ing. Peter Lauser, Dipl.-Biol. Robert Zintl
,TLUG Jena: U. van Hengel, Dr. W. Westhus
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der Lebensraumtypen in FFH-Gebieten aus den Geometrien der Biotopkartierungen.
Dokumentation des Arbeitsablaufes.- Jena
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