Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 4276 15. Wahlperiode 05. 11. 2013 Antrag der Abg. Thomas Marwein u. a. GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Belastung der Süßwasser-Ökosysteme Baden-Württembergs mit Kunststoffpartikeln Antrag Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten, 1. wie sie die Studie des Forscherteams um Prof. C. L. (Universität Bayreuth) und Prof. R. N. (Technische Universität München) bewertet; 2. ob ihr die in der Studie beschriebene Problematik bereits bekannt ist; 3. inwiefern die o. g. Studie auch Auskunft über eine Verschmutzung der Süßwasser-Ökosysteme Baden-Württembergs mit Kunststoffpartikeln gibt und wenn ja, wie hoch der Grad der Verschmutzung der Landesgewässer mit diesen Partikeln jeweils ist; 4. ob Erkenntnisse dazu vorliegen, wie die Kunststoffpartikel in die Gewässer gelangen; 5. ob es Untersuchungen an Gewässern in Baden-Württemberg, insbesondere am Bodensee, zu Kunststoffpartikeln gibt; 6. welche Überlegungen es zur weiteren Behandlung der Frage der Verschmutzung der Süßwasser-Ökosysteme mit Kunststoffpartikeln gibt; 7. ob sie plant, über den Bodensee hinaus entsprechende Daten für weitere Süßwasser-Ökosysteme Baden-Württembergs zu erheben. 05. 11. 2013 Marwein, Dr. Murschel, Raufelder, Renkonen, Schoch, Dr. Rösler, Lehmann, Lucha, Hahn GRÜNE 1 Eingegangen: 05. 11. 2013 / Ausgegeben: 03. 12. 2013 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“. Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 4276 Begründung Die Verschmutzung der Weltmeere durch Plastikmüll ist in den letzten Jahren immer stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt (siehe die Dokumentation „Plastic Planet“). Aber auch Süßwasser-Ökosysteme sind in ähnlicher Weise durch Kunststoffpartikel verunreinigt. Dies zeigt eine aktuelle Studie der Universität Bayreuth und der Technischen Universität München (TUM) am Beispiel des Gardasees. Demnach ist insbesondere das nördliche Ufer mit kleinsten Plastikpartikeln in fast identisch hoher Anzahl wie an Meeresstränden verunreinigt. Die Plastikteile stammen vorwiegend von Konsumgütern und Verpackungen, die direkt oder über Mülldeponien in den See gelangen. Über die Nahrungskette gelangen sie auch in den menschlichen Nahrungskreislauf und können mittels nachgewiesener Weichmacher und anderer chemischer Substanzen krank machen. Dieser Befund ist alarmierend. Mit dieser Initiative soll das Ausmaß der Verschmutzung durch Plastikpartikel in den Seen Baden-Württembergs, insbesondere des Bodensees, abgefragt werden und gegebenenfalls sollen geeignete Schritte in die Wege geleitet werden. Die im Oktober 2013 durch schweizerische Behörden durchgeführten Beprobungen im Bodensee sehen wir als ersten guten Ansatz zu dieser Problematik. Stellungnahme Mit Schreiben vom 26. November 2013 Nr. 5-0141.5/444/1 nimmt das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft im Einvernehmen mit dem Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz zu dem Antrag wie folgt Stellung: Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten, 1. wie sie die Studie des Forscherteams um Prof. C. L. (Universität Bayreuth) und Prof. R. N. (Technische Universität München) bewertet; 2. ob ihr die in der Studie beschriebene Problematik bereits bekannt ist; Im marinen Bereich gibt es umfangreiche Studien zu Kunststoffpartikeln sowohl im Makro- als auch im Mikrobereich. Die Belastung von Süßwasserökosystemen mit sogenanntem „Mikroplastik“ (Partikel mit einer Größe zwischen 0,3 mm und < 5 mm) ist erst in den letzten Jahren ein Thema in internationalen Gewässerschutzkommissionen, so auch in der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) oder in der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR). Die Studie der Universitäten Bayreuth und München hat somit ein aktuelles Thema aufgegriffen und mit der Untersuchung von Stränden des Gardasees Hinweise darauf geliefert, dass auch alpine Seen mit Plastikpartikeln belastet sein können. In einer ähnlichen Studie einer Arbeitsgruppe der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (ETH) am Genfer See wurden Makro- und Mikroplastikpartikel am Strand und in den Oberflächenschichten des Genfer Sees gefunden. Da es sich nur um lokal bezogene Studien handelt, ist eine umfassende Übertragung auf andere Gebiete und Bewertung der Befunde nicht möglich. Weitere Untersuchungen zur Belastung von Fließgewässern mit Mikroplastik wurden an Spree, Havel, Weser und Elbe durchgeführt. Abschließende Ergebnisse aus diesem Projekt liegen noch nicht vor. 2 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 4276 3. inwiefern die o. g. Studie auch Auskunft über eine Verschmutzung der Süßwasser-Ökosysteme Baden-Württembergs mit Kunststoffpartikeln gibt und wenn ja, wie hoch der Grad der Verschmutzung der Landesgewässer mit diesen Partikeln jeweils ist; Aus den o. g. Studien lassen sich derzeit keine Schlüsse über eine Belastung badenwürttembergischer Gewässer ableiten. 4. ob Erkenntnisse dazu vorliegen, wie die Kunststoffpartikel in die Gewässer gelangen; Zwei Eintragspfade scheinen zunächst naheliegend zu sein: Zum einen könnten kleine und kleinste Plastikpartikel aus unsachgemäß entsorgten Kunststoffprodukten wie Plastiktüten oder Plastikflaschen entstehen, die durch Abrasion in der Umwelt ständig zerkleinert werden. Zum anderen könnten mit dem häuslichen Abwasser Fasern von Fleecepullovern, oder Mikropartikel, die in Cremes oder Duschgels mit Peeling-Effekt, Zahnpasta oder Scheuermitteln enthalten sind, über die Kläranlagen in die Gewässer eingetragen werden. In den Kosmetik- und Reinigungsprodukten werden hautsächlich Polyethylene (PE) sowie Polypropylene (PP) eingesetzt. Eine mengenmäßige Gewichtung der Eintragspfade ist aufgrund der fehlenden Datengrundlage nicht möglich. Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass diese Plastikpartikel in nennenswertem Umfang aus dem Bereich der Kunststoffprodukte inkl. Kunststoffverpackungen aus Abfällen (Littering) herrühren, weil speziell in Deutschland seit 2005 das Rohmülldeponieverbot für Kunststoffe gilt, auf Kunststoffflaschen seit 2003 in der Regel Pfand erhoben wird und Kunststoffe insgesamt daher mit Ausnahme immer wieder vorkommenden Litterings verwertet, energetisch genutzt, mindestens aber mit dem Restmüll verbrannt werden. Der Trend zur werkstofflichen Verwertung wird eher zunehmen, nachdem der Kunststoffsekundärrohstoffmarkt in manchen Bereichen zunehmend lukrativ ist, und auch Recyclingkunststoffe zunehmend einen Marktwert haben. Anders kann es in anderen europäischen Ländern sein, wenn aus Rohmülldeponien mit Verwehungen größere Mengen z. B. von Plastiktüten in die Gewässer eingebracht werden. 5. ob es Untersuchungen an Gewässern in Baden-Württemberg, insbesondere am Bodensee, zu Kunststoffpartikeln gibt; Auf Initiative der IGKB wurden im Oktober 2013 durch die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (ETH) orientierende Proben im Bodensee gewonnen. Resultate liegen nach Abschluss der Studie 2014 vor. Bei den regelmäßigen Gewässeruntersuchungen der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW) (Wasser, Schwebstoffe, Sedimente, sowie pflanzliche und tierische Organismen) wurden bislang keine Auffälligkeiten beobachtet. Die genannten Untersuchungen wurden nicht mit einer Ausrichtung auf Plastikreste durchgeführt. Bei Rohwasseruntersuchungen durch die Bodenseewasserversorgung konnten im Bodensee keine Mikroplastikpartikel nachgewiesen werden. Allerdings erfolgt die Rohwasserentnahme hier in einer Tiefe von ca. 60 m, in der, aufgrund der geringen Dichte von Mikroplastikpartikeln und der natürlichen Schichtung des Sees, ohnehin eine stark reduzierte Konzentration zur erwarten ist. Aufgrund der Aufbereitung des Trinkwassers mit Mikrosieben und Schnellsandfiltern sind Mikroplastikpartikel im Trinkwasser nicht zu erwarten. 6. welche Überlegungen es zur weiteren Behandlung der Frage der Verschmutzung der Süßwasser-Ökosysteme mit Kunststoffpartikeln gibt; 3 Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 4276 7. ob sie plant, über den Bodensee hinaus entsprechende Daten für weitere Süßwasser-Ökosysteme Baden-Württembergs zu erheben. Eine Belastung von Süßwasser-Ökosystemen in Baden-Württemberg mit Kunststoffpartikeln ist bislang nicht auffällig geworden. Die vorliegenden Studien haben allerdings gezeigt, dass auch an optisch sauberen Stränden mit speziellen Untersuchungsmethoden kleinste Plastikpartikel gefunden werden. Derzeit ist der Kenntnisstand über eine mögliche Verschmutzung von Süßwasser-Ökosystemen mit Mikroplastik noch gering. Daher sind zunächst gezielte orientierende Untersuchungen erforderlich, um die Problematik einzuschätzen. Die LUBW wird im Jahr 2014 orientierende Untersuchungen über die Belastung der Flüsse Rhein und Neckar mit Mikroplastik durchführen. Die weiteren Überlegungen werden auf der Basis der Ergebnisse der orientierenden Studien am Bodensee und der großen Flüsse des Landes erfolgen. Untersteller Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft 4