I UTB 3432 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Farmington Hills facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · München A. Francke Verlag · Tübingen und Basel Haupt Verlag · Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Orell Füssli Verlag · Zürich Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK/Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich III Volker Henning Drecoll (Hg.) Trinität Themen der Theologie Band 2 Mohr Siebeck IV Volker Henning Drecoll, geboren 1968, Professor für Kirchengeschichte (Schwerpunkt Alte Kirche) an der Eberhard Karls Universität Tübingen, ist Mitherausgeber der Reihe »Themen der Theologie«. ISBN 978-3-8252-3432-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Na­t ionalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg a.N. gesetzt und von Hubert & Co. in Göttingen gedruckt und gebunden. V Inhalt Einführung Volker Henning Drecoll: Einführung in das Thema . . . . . . . . 1 Altes und Neues Testament Jan Dochhorn: Zu den religionsgeschichtlichen Voraussetzungen trinitarischer Gottesvorstellungen im frühen Christentum und in der Religion Israels . . . . . . . . 11 1. Zum Einstieg: ein nachneutestamentlicher Text . . . . . . . . 11 2.Die Gottheit Jesu Christi im Neuen Testament . . . . . . . . . 14 2.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.2.Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.3. Der Hebräerbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.4. Das Markusevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.5. Das Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Die religionsgeschichtlichen Voraussetzungen für die Vorstellung von der Gottheit Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3.1. Menschen als kosmische Monarchen . . . . . . . . . . . . . . 32 3.2. Der Messias als von Gott eingesetzter Allherrscher. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3.3. Die Bedeutung der Vorstellung von der erworbenen Allherrschaft eines Menschen für das frühe Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3.4. Sophia und Logos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 4.Der Heilige Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4.1. Der Geist gehört dem Wesen nach mit verschie denen anderen Entitäten in dieselbe Kategorie . . . . . . 57 4.2.Exklusive Bezogenheit auf Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4.3. Personalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 4.4. Austauschbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 VI Inhalt 5. Gott, Sohn und Heiliger Geist in Dreierkonstellationen 64 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 7. Zum Abschluss: Trinitätslehre und Textkritik . . . . . . . . 69 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Kirchengeschichte Volker Henning Drecoll: Entwicklungen und Positionen in der Geschichte des Christentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Ansätze im 2. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2.Lateinische und griechische Trinitätslehre im 3. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3. Der trinitarische Streit im 4. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . 92 3.1. Streit um Arius bis zum Konzil von Nizäa (ca. 318–325) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.2. Streit um Athanasius und Markell (325–341) . . . . . 95 3.3. Getrennte Entwicklung von Ost- und Westkirche, neue Ausdifferenzierung der östlichen Theologie und kaiserliches Einheitsdogma (341–360) . . . . . . . 98 3.4. Neuformierung der Gruppen in der Julianzeit, Auftauchen der pneumatologischen Frage und Entwicklung des Neunizänertums (361–381) . . . . . . 105 4.Die Entwicklung der lateinischen Trinitätslehre im 4. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 5. Augustin und Augustinrezeption im frühen Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 6. Streit um die Trinitätslehre im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . 129 7. Rezeption und Bestreitung der altkirchlichen Trinitätslehre in der Reformationszeit . . . . . . . . . . . . . . . . 138 8. Positionen der evangelischen Trinitätslehre im 17. und 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Inhalt VII Systematische Theologie Christiane Tietz: Systematisch-theologische Perspektiven zur Trinitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Systematisch-theologische Problemhorizonte einer Trinitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2.Die zentrale Stellung der Trinitätslehre: Die Trinitätslehre als Explikation des Offenbarungs handelns Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3. Die Einheit von ökonomischer und immanenter Trinität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 4.Einheit und Unterschiedenheit des Handelns Gottes . . . 175 5. Einheit und Unterschiedenheit der drei Personen . . . . . . 178 6. Die Bedeutung der Trinitätslehre für die Themen felder systematischer Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 6.1. Gotteslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 6.2.Schöpfungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 6.3. Soteriologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 6.4. Ekklesiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 6.5. Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Praktische Theologie David Käbisch: Praktisch-theologische Problemstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Liturgiewissenschaft und Hymnologie: die performative Gestalt des trinitarischen Bekenntnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2.Trinitatisfest und Trinitatispredigt: die narrative Gestalt des trinitarischen Bekenntnisses . . . . . . . . . . . . . . 201 3. Kirchenmusik und Kirchenlied: die expressive Gestalt des trinitarischen Bekenntnisses . . . . . . . . . . . . . 204 4.Seelsorge und Frömmigkeit: die handlungsorien tierende Gestalt des trinitarischen Bekenntnisses . . . . . 207 VIII Inhalt 5. Der Religionsunterricht und der Bildungsauftrag von Kirche und Theologie: die reflexive Gestalt des trinitarischen Bekenntnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 6. Erzählen und Handeln: der trinitarische Horizont der Praktischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Religionswissenschaft Andreas Feldtkeller: Religionswissenschaftliche Perspektiven zur Trinitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Voraussetzungen der Trinitätslehre in der vorderorientalischen Religionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . 221 1.1. Einheit und Vielfalt des Göttlichen . . . . . . . . . . . . . . . 221 1.2. Anthropomorphe und soziomorphe Darstellungs formen des Göttlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1.3. Dreiheiten des Göttlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 2.Philosophische Diskurse und christliche Trinitätslehre 230 2.1. Philosophie und Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2.2.Platon und Plotin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2.3. Zwischenbilanz zur Einordnung der christlichen Trinitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 3. Die islamische Aufhebung der Trinitätslehre . . . . . . . . . 234 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Zusammenschau Volker Henning Drecoll: Konvergenzen und Divergenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 1 Einführung Volker Henning Drecoll Einführung in das Thema Trinitätslehre – das klingt nach Spekulation, nach abstrakter Begrifflichkeit. Ontologische Termini wie »Wesen«, »Sein« oder »Hypostase« werden benutzt, um zu zeigen, inwiefern Gott zugleich einer ist und drei. Kritisch könnte man fragen: Ist eine Trinitätslehre überhaupt notwendig? Überschreitet sie nicht die Grenzen dessen, was der Mensch über Gott erkennen und sagen kann? Und wird damit nicht etwas Unbiblisches in die Theologie eingeführt, etwas, was sich mehr »dem griechischen Geist« verdankt als dem Evangelium? Fragen wie diese stellen sich immer wieder, wenn die Trinitätslehre zur Sprache kommt. Selbst Theologen haben oft keine profilierte Meinung zu diesem Thema. Allerdings zeigen Fragen wie die anfangs skizzierten zugleich, dass mit der Trinitätslehre grundlegende Fragen des christlichen Glaubens und der Theologie angesprochen sind: Was können wir von Gott erkennen? Welche Begriffe stehen uns zur Verfügung, um das Erkannte auszudrücken? Wie sind sie einzuordnen und zu anderen Wörtern und Begriffen unserer Sprache in Beziehung zu setzen? Wie ist auch in sprachlicher Hinsicht mit dem biblischen Zeugnis umzugehen? Und was besagt das biblische Zeugnis nun gerade darüber, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist ein Gott sind – und doch zugleich unterschieden? Dies sind nur einige der Fragen, die nicht ohne eine Trinitätslehre bearbeitet und bedacht werden können. Trinitätslehre erweist sich damit als ein Feld der Theologie, das zwei Bereiche besonders verbindet; sie betrifft nämlich zum einen die Fundamentalfragen 2 Einführung der Theologie, d.h. die Fragen nach Grundlagen und Kriterien einer christlichen Theologie, zum anderen wesentliche Aspekte materialer Theologie, insbesondere die Zuordnung von Gottesbegriff, Christologie und der Vorstellung vom Heiligen Geist. Bedenkt man diese substantielle Bedeutung der Trinitätslehre für die Theologie, wird unverständlich, wieso manche Theologen lieber einen großen Bogen um dieses Thema machen. Die Gründe hierfür sind vielfältig; in Frage kommen historische Wurzeln und eine bestimmte Fassung des Glaubensbegriffes und des Religiösen in der Theologie- und Geistesgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. In der Theologie des 20. Jahrhunderts hat das Thema allerdings zugleich neue Aufmerksamkeit gefunden. Dies setzt sich in der Theologie der Gegenwart fort, gerade auch im angelsächsischen Bereich. Hinzu kommt, dass die Trinitätslehre nicht nur ein Bestandteil theoretischer Theologie ist, sondern zugleich weitreichende Auswirkungen auf die kirchliche Wirklichkeit hat. Das beginnt mit der Taufe, die von den meisten Kirchen nur dann als eine solche anerkannt wird, wenn sie trinitarisch strukturiert »auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes« gespendet wird. Und das geht weiter bei dem Fest »Trinitatis«, nach dem immerhin gut die Hälfte der Sonntage im Kirchenjahr benannt wird, und reicht bis zu liturgischen Wendungen wie dem Gruß »Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen« (2Kor 13,13) – von dem trinitarischen Glaubensbekenntnis und Segensformen, die in sich trinitarisch strukturiert sind, einmal abgesehen. Die Trinitätslehre gehört somit zu den zentralen »Themen der Theologie«. Sie ist zum einen nicht verstehbar ohne den historischen Rückblick auf die Grundlagen in den Schriften des Alten und Neuen Testaments sowie deren Auslegung in der Kirchengeschichte. Zum anderen soll ihre Bedeutung sowohl für eine systematische Neuformulierung des Inhalts des christlichen Glaubens als auch für die kirchliche Wirklichkeit eigens bedacht werden. Schließlich ist die Trinitätslehre auch eines der Kennzeichen des Christentums, an dem dieses sich deutlich von anderen Religionen, insbesondere aber vom Judentum und vom Islam unterschei- Volker Henning Drecoll 3 det. Entsprechend wird das Thema im Folgenden interdisziplinär aufgefächert. Für eine theologische Reflexion ist die Frage nach den Grundlagen im Neuen Testament wesentlich. Dies gilt natürlich nicht nur, aber in besonderem Maße für eine Theologie, die sich in der Tradition der Reformation sieht und die Grundlegung in der Schrift für das entscheidende Kriterium hält, an dem seinerseits die in Theologie und Kirche verbreiteten Vorstellungen zu messen sind. Um zu klären, welche Grundlage die Trinitätslehre in den Schriften des Neuen Testaments hat, reicht es nicht, wenige Schriftstellen zusammenzutragen, die explizit trinitarisch sind (wie z.B. Mt 28,19). Vielmehr gilt es, der Frage nachzugehen, welche Grundstrukturen sich im Neuen Testament abzeichnen, die die spätere Trinitätslehre vorbereiten. Diese Grundvorstellungen haben ihrerseits bestimmte Voraussetzungen in der religiösen Welt Israels, insbesondere in einem bestimmten Verständnis des Alten Testaments und seiner Auslegung, wie sie sich in einigen sogenannten zwischentestamentlichen Schriften niedergeschlagen hat. Hierbei geht es also darum, zu beschreiben, welche Vorstellungen in diesen Traditionen aus der Zeit vor dem Neuen Testament bereitgehalten wurden, die dann in formelhaftem Traditionsgut und eigenen Formulierungen in den neutestamentlichen Schriften aufgegriffen wurden. Im Neuen Testament ist sodann insbesondere zu klären, wie Jesus Christus Gott-Vater zugeordnet wird und welche Aussagen über den Heiligen Geist gemacht werden. Mit dieser Problemskizze ist bereits die Behauptung verbunden, dass die Vorstellung der Trinität, bzw. genauer von Vater, Sohn und Heiligem Geist, im Neuen Testament bereits eine bestimmte Prägung und Ausgestaltung erfahren hat. Gleichwohl ist damit nicht gesagt, dass das Neue Testament eine ausdifferenzierte Trinitätslehre entwickelt habe, die es nur zu reproduzieren gelte. Vielmehr ist genauer zu bedenken, in welcher Weise diese Grundlegung in den neutestamentlichen Schriften sich zu der anschließenden Entwicklung einer christlichen Theologie verhält. Traditionellerweise gilt insbesondere die Alte Kirche, und hier wiederum die griechische Theologie des 4. Jahrhunderts n.Chr., als der Bereich, in dem das »Dogma« der Trinitätslehre entwickelt und 4 Einführung abgesichert wurde, gerade auch in Abgrenzung gegen Meinungen, die als Häresien ausgegrenzt wurden. In der Tat hat diese Zeit zu einer bestimmten Begrifflichkeit geführt, die fortan ein wichtiger Bezugspunkt der theologischen Diskussionen wurde. Die Diskussionen gingen gleichwohl weiter. Sie führten nicht nur zu einer stärkeren Differenzierung zwischen griechischer und lateinischer Theologie (dies wird an dem Streit um das Filioque besonders deutlich), sondern thematisierten auch die Kernpunkte der Trinitätslehre. In dieser Hinsicht ist das frühe Mittelalter (insbesondere das 9. Jahrhundert) ebenso wichtig wie die Scholastik, deren Argumentationsfülle kaum überschaubar ist. Im 16. Jahrhundert ist die Bestreitung der Trinitätslehre durch Servet und die Sozinianer zu nennen, für das 17. und 18. Jahrhundert die Relativierung der Trinitätslehre durch Deismus und aufklärerische Theologie. Dies bildet den Hintergrund für die Diskussionen der Gegenwart. In ihnen spielt die Bestreitung der Tatsache, dass die Trinitätslehre eine unaufgebbare Basis der Theologie überhaupt ist, etwa durch Schleiermacher, ebenso eine wichtige Rolle wie die Neuentdeckung derselben im 20. Jahrhundert. Die theologiegeschichtlichen Positionen des 19. und 20. Jahrhunderts bilden daher den Ausgangspunkt für die eigentliche Kernfrage des systematischtheologischen Abschnittes, wie nämlich in der Gegenwart die Differenzierung Gottes als Trinität auszudrücken ist bzw. welche Leistungskraft eine Trinitätslehre haben kann. Neben, wenn auch nicht unverbunden mit dieser theologiegeschichtlichen Entwicklung ist die Trinitätslehre immer auch ein Element des kirchlichen Lebens und der Frömmigkeit gewesen, wenn auch in unterschiedlichem Maße. In den Bereichen der Liturgie, der Hymnologie sowie der Gebetssprache spielt die Trinitätslehre eine besonders wichtige Rolle. Hieran knüpfen Überlegungen an, inwiefern die Trinitätslehre auch Gegenstand der Religionspädagogik und Katechetik sowie der Seelsorge werden kann. Schließlich weitet die Religionswissenschaft die Optik noch einmal insofern, als sie die Trinitätslehre in die Binnendifferenzierungen und verschiedenen Sprachebenen anderer Religionen einordnet. Dies gilt schon für den religionsgeschichtlichen Entstehungszusammenhang des Christentums, also den Vorderen Orient in der Volker Henning Drecoll 5 Antike, aber auch für einen interreligiösen Vergleich, insbesondere mit dem Islam. Am Ende der Darstellung steht ein Abschnitt, der versucht, die verschiedenen Perspektiven und Fragestellungen der einzelnen Disziplinen zusammenzuführen. Der Vergleich wird aufgrund dieser Überlegungen versuchen, eine Art gesamttheologisches Fazit für das Thema »Trinität« zu ziehen. Um den sachlichen Einstieg in das Thema zu erleichtern, seien vorab einige grundlegende Begriffe der Trinitätslehre kurz erläutert: – Trinitätslehre und Trinitätsdogma: Die Begriffe »Lehre« und »Dogma« signalisieren, dass es hier nicht nur um verschiedene Vorstellungen geht, die einfach nebeneinander stehen, sondern dass ein Aspekt des Normativen vorausgesetzt wird, der zugleich bestimmte Abweichungen bzw. andere Vorstellungen ausgrenzt. Lehre ist dabei der etwas moderatere Begriff, weil er diese Normativität auf die Richtigkeit in der theologischen Auseinandersetzung bezieht. Lehre meint dabei zunächst, dass der jeweilige Gegenstand, im vorliegenden Fall also die Trinität, nicht einfach irgendwie Gegenstand menschlicher Sprache wird (etwa in Gebeten oder Liedern), sondern gezielt Gegenstand einer argumentativen und diskursiven Erörterung wird. Gebete und Lieder etwa lassen sich demnach daraufhin befragen, ob in ihnen bestimmte Formen von Trinitätslehre vorausgesetzt oder spürbar sind, sie sind jedoch noch nicht selbst »Lehre« im eigentlichen Sinne des Wortes. Im Unterschied zu »Lehre« bezieht sich »Dogma« darauf, dass mit einer bestimmten Formulierung der Lehre eine Norm gesetzt wird, deren Überschreitung zugleich die Zugehörigkeit zur kirchlichen Gemeinschaft gefährdet. Insofern ist Dogma der striktere Begriff, weil hier nicht mehr der Bereich des Diskutierbaren bezeichnet wird, sondern versucht wird, bestimmte Elemente der Trinitätslehre als so normativ anzusehen, dass ihre Beachtung bzw. Bestreitung über Orthodoxie bzw. Heterodoxie entscheiden. Der Begriff des Dogmas ist dabei inhaltlich nicht unumstritten. Man kann z.B. den Begriff Dogma ausschließlich auf das beziehen, was mit einer (genauer zu erläuternden) kirchenrechtlichen 6 Einführung Relevanz fixiert wurde (durch Konzilien, Synoden, Lehrkonvente etc.). In diesem Sinne würden als Trinitätsdogmen nur die formal in Kraft gesetzten Erklärungen zu gelten haben, die sich auf genau benennbare institutionelle und rechtliche Rahmenbedingungen beziehen lassen. In einem weiteren Sinne kann der Begriff Dogma allerdings auch verstanden werden als etwas, was in einem bestimmten geschichtlichen Kontext als identitätsstiftend für das eigene Christsein empfunden wird – auch wenn es hierfür keine formale Deklaration gegeben haben mag. Dieser letztere, weitere Dogmenbegriff ist in besonderer Weise in der Lage, die Entwicklung von theologischen Vorstellungen und Lehren daraufhin zu befragen, inwiefern sie jeweils als verbindlich, normativ und identitätsstiftend empfunden werden. »Trinitätsdogma« in diesem weiteren Sinne meint also nicht nur die Texte, die offiziell deklariert wurden, sondern auch Vorstellungen und Gedankenmuster, deren Geltung als wesentlich für die Zugehörigkeit zum Christentum angesehen wurden. – Binitarisch: Mit dem Begriff »binitarisch« werden Denkstrukturen bezeichnet, die die Zuordnung von Jesus Christus zu Gott beschreiben. Beschrieben wird also eine Zweierstruktur unter Nichtbeachtung des Heiligen Geistes. Binitarismen sind in der Theologie weit verbreitet und zeigen, dass ein wesentlicher Ansatzpunkt trinitätstheologischer Erörterungen in der Frage besteht, inwiefern Jesus als Gott anzusehen ist. Binitarismen sind in gewisser Weise also der Teil der Christologie, der die Zuordnung zu Gott-Vater umfasst. Damit ist noch nicht gesagt, welcher Art diese Vorstellungen sind. Es ist aber immerhin so viel vorausgesetzt, dass es sich um eine Beziehung zwischen Gott-Vater und Jesus handelt, die sich von den Beziehungen und Handlungen Gottes im Hinblick auf die Welt bzw. Schöpfung insgesamt deutlich abhebt. Binitarismen heben die Beziehung zwischen Vater und Sohn auf eine eigene Ebene. Dadurch entsteht das Problem, dass in dieser Abhebung unklar wird, in welcher Weise der Heilige Geist noch zu Gott gehört (und in diese binitarische Relation einbezogen werden kann) bzw. in welcher Weise der Heilige Geist seinerseits über eine spezifische Stellung und Rolle verfügt, die ihn in vergleichbarer Weise von der Volker Henning Drecoll 7 Welt bzw. Schöpfung abhebt. In der Lösung dieses Problems, wie sich Binitarismen und die Lehre vom Heiligen Geist zueinander verhalten, liegt einer der zentralen Ansatzpunkte für die Entwicklung der Trinitätslehre. – Pneumatologie: Gemeint ist die Vorstellung bzw. Lehre vom Heiligen Geist, dem Pneuma Gottes. Hierunter fallen verschiedene Vorstellungsbereiche, so insbesondere Vorstellungen von dem Geist als einer Kraft, die in der Gemeinde Gottes präsent und wirksam ist. Als ein herausragendes Zeichen gilt hier die Prophetie neben anderen Charismen wie der Zungenrede, der besonderen Befähigung zu lehren etc. Sodann umfasst die Pneumatologie Vorstellungen, in denen die Gegenwart Jesu im einzelnen Gläubigen besonders beschrieben wird (als geistliche Existenz, als »geistlich leben«/spiritualiter vivere). Und schließlich umfasst die Pneumatologie auch die Vorstellungen, in denen thematisiert wird, inwiefern der Geist als Bestandteil der Trinitätslehre aufzufassen ist, ob er etwa in gleicher Weise Gegenstand der Anbetung ist wie Vater und Sohn. Obwohl alle drei Aspekte miteinander zusammenhängen, ist doch eigentlich der letzte Aspekt derjenige, der für den Zusammenhang hier besonders wichtig ist. Denn an der Anbetung des Geistes entscheidet sich die Zuordnung zu Gott in besonders expliziter Weise. – Ontologie: Gemeint ist eine Lehre, die das Seiende in seinem Charakter als Seiendes bzw. in seinem Seinsstatus beschreibt. Die Ontologie befasst sich also damit, ob etwas überhaupt existiert und inwiefern dieses Existieren einen besonderen Charakter hat, der sich durch bestimmte, zum Sein hinzutretende Eigenschaften nicht ausreichend genug ausdrücken lässt. Jede Ontologie ist nur insofern verständlich, als in ihr zugrundeliegende Grundkategorien der Wirklichkeitsbeschreibungen vorausgesetzt sind. Eine ganz einfache Ontologie könnte z.B. lauten, dass das Sein von etwas schlichtweg die bloße Existenz von etwas angibt, so dass es nur zwei Optionen gibt: etwas existiert oder etwas existiert nicht. Kompliziertere Ontologien unterscheiden z.B. im Entstehen und Vergehen begriffene Dinge von Dingen, die dem Entstehen und 8 Einführung Vergehen entzogen sind. Oder sie postulieren, dass es verschiedene Seinsgrade gibt, von einem wahrhaften höchsten Sein, über verschiedene Formen intellegiblen Seins, verschiedene Formen des materiell sichtbaren und vergänglichen Seins bis hin zu Formen des Seins, die starke Züge des Nichtseins an sich tragen (etwa das Materielle) oder sogar ganz und gar als Nichtigkeit aufzufassen sind (etwa das Böse als etwas, was Sein zerstört und daher selbst nicht Sein hat). Innerhalb solcher komplexen Systeme wird eine Beschreibung von Wirklichkeit vorausgesetzt, die insbesondere auch für das Verhältnis zwischen Welt und Gott grundlegend ist. Ontologie impliziert diese Gesamtschau durch die Ausdifferenzierung ontologischer Begriffe und ihre Verhältnisbestimmungen untereinander. Als typische ontologische Begriffe im Bereich der Trinitätslehre sind dementsprechend »Wesen«, »Substanz«, »Sein«, »Natur«, »Hypostase«, »Subsistenz« usw. näher zu klären. – Subordination: subordinatio heißt wörtlich »Unterordnung«. Angesprochen ist die Frage, inwiefern die Zuordnung von Jesus Christus zum Vater so beschrieben wird, dass Christus in bestimmten Hinsichten dem Vater »untergeordnet« wird. Dabei kommen verschiedene Formen der Unterordnung in Frage: Bezieht sich die Unterordnung des Sohnes auf den Gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters? Ist diese Unterordnung eine willentlich vom Sohn eingegangene Selbstbindung oder ein in der Eigenart des Sohnes festgelegtes Grundverhältnis, das der Sohn nicht ändern kann (Will oder muss der Sohn dem Vater gehorchen?)? Hat der Sohn an den Prädikaten, die Gott auszeichnen (etwa gut, gerecht etc.), teil oder verfügt er über diese Eigenschaften im selben Maße und Sinne wie der Vater? Ist der Wert, die Ehre oder das Sein des Sohnes geringer einzuschätzen als beim Vater – und wenn ja, worin liegt das begründet? In den meisten theologischen Ansätzen wird eine Subordination des Sohnes dann als kritisch empfunden, wenn sie die vollkommene Gottheit des Sohnes zu beeinträchtigen scheint. Nicht wenige Theologen verneinen eine Subordination daher kategorisch. Allerdings kann die Vorstellung einer Subordination auch eingesetzt werden, um überhaupt die Unterschiedenheit des Sohnes vom Vater festzuhalten. Und schließlich kann man sagen, dass ohne eine gewisse Ge- Volker Henning Drecoll 9 richtetheit der Relation zwischen Vater und Sohn die beiden Größen zu austauschbaren Variablen werden. Dies führt zu der Einsicht, dass ein gewisses Mindestmaß an Subordination für die Trinitätslehre konstitutiv ist, sei es auch, dass nur die Begründetheit des Sohnes durch den Vater (z.B. beschrieben als ewige Zeugung) ausgedrückt wird. Zu klären, welches Maß an Subordination als zulässig bzw. unzulässig angesehen wird, gehört demnach zu den wichtigen Aufgaben einer Trinitätslehre. Natürlich hat die Beschreibung der Subordination in dem Verhältnis zwischen Vater und Sohn Folgewirkungen auf die Pneumatologie, und zwar insofern, als sich entsprechend fragen lässt, ob der Heilige Geist seinerseits dem Vater zuzuordnen ist und ob sich daraus eine Art »Beiordnung« neben den Sohn ergibt oder ob ein trinitarisches Gesamtgefüge vorgestellt wird, in dem auch der Geist in einer gerichteten Beziehung zu Vater und Sohn angesetzt wird, so dass auch das Thema der Subordination des Geistes unter den Sohn zur Sprache kommt. – Person: Dem Personenbegriff kommt insbesondere in der westlichen, von der lateinischen Theologie geprägten Fassung der Trinitätslehre eine besondere Bedeutung zu. Dabei ist der Begriff »Person« selbst ein schillernder Begriff, dessen Inhalt sehr unterschiedlich bestimmt werden kann. So kann Person z.B. bestimmt werden als das Konkretwerden einer Natur in einem Individuum oder gerade auch als die Summe der nicht zur Natur gehörenden Individualmerkmale. Andere Personenkonzepte bestimmen die Person in ihrer Beziehung zu anderen Instanzen, also als Relationalbegriff. Manche Personenkonzepte setzen dies in Beziehung zu zeitlichen Prozessen, etwa der Lebensgeschichte oder umfassenderer Abläufe, etwa der Geschichte. Manche dieser prozessualen Personenkonzepte begreifen die Identität einer Person gleichsam »von hinten her«, also als im Fluss befindliche Entwicklung, die auf einen festliegenden Punkt zuläuft (so etwa in der Vorstellung, dass die Identität einer Person sich im Laufe eines Lebens wie ein Mosaik zusammensetzt, das erst in der Stunde des Todes vervollständigt wird). Die Frage, inwiefern solche unterschiedlich gefassten Personenbegriffe auf Vater, Sohn und Heiligen Geist anwendbar sind bzw. welche Modifikationen man im Personenbegriff vorneh- 10 Einführung men muss, um den Begriff in der Trinitätslehre einzusetzen, gehört zu den schwierigsten Aufgaben einer Trinitätslehre. – Anthropomorphismen: Die Rede des Menschen über Gott kann nicht anders, als Ausdrücke, Verhältnisse und Gegebenheiten zu verwenden, die entweder der den Menschen umgebenden Welt entstammen oder aus Formen der Selbstreflexion des Menschen entspringen. In beiden Fällen überträgt der Mensch diese Vorstellungen bzw. Begrifflichkeiten auf einen Bereich, in dem sie nicht eigentlich zutreffen. Dort, wo dies Vorstellungen betrifft, die sich auf den Menschen beziehen, verwendet Theologie sogenannte Anthropomorphismen (von !nqrwp8morfoV/»menschgestaltig«). Über die Berechtigung solcher Übertragungen und ihre Aussagekraft nachzudenken, gehört zu den klassischen Aufgaben einer Fundamentaltheologie. Für die Trinitätslehre ist diese Frage deswegen von besonderem Gewicht, weil schon die Bezeichnungen Vater und Sohn die Übertragung einer zwischenmenschlichen Relation darstellen. Insofern stellt sich für die Trinitätslehre in besonderer Schärfe die Frage, welche Reichweite anthropomorphe Aussagen überhaupt haben. Die Konzeptionen unterscheiden sich hier deutlich. So kann etwa behauptet werden, dass die Anthropomorphismen auf eine zugrundeliegende Analogie verweisen, die aufgrund der Übertragung von anthropomorphen Begriffen tatsächlich die Wirklichkeit Gottes – gleichsam extrapolierend – erfassen kann. Skeptischere Argumentationen bestreiten die Gegebenheit solcher Analogien und fassen die Anthropomorphismen vor allem als metaphorische Rede auf, die eigentlich nichts über Gott selbst aussagt. Folgt man dieser Option, könnte man aber z.B. überlegen, ob anthropomorphe Redeweisen zwar nichts über Gottes Wesen, wohl aber etwas über seine Wirkweisen in der Welt auszusagen vermögen. Die Frage der Anthropomorphismen in der Trinitätslehre stellt damit die Frage nach der Reichweite theologischer Sprache und ihrer Beziehung zur Ontologie überhaupt. Mögen damit einige Grundprobleme der Trinitätslehre einleitend genannt sein, so verwundert es nicht, wenn die genannten Bereiche in den folgenden disziplinären Zugriffen in unterschiedlichen Konstellationen immer wieder begegnen.