Der Buddha in der deutschen Dichtung MANHATTAN MANUSCRIPTS Band 11 Herausgegeben von Eckart Goebel mit Paul Fleming und John T. Hamilton Der Buddha in der deutschen Dichtung Zur Rezeption des Buddhismus in der frühen Moderne Herausgegeben von Heinrich Detering, Maren Ermisch und Pornsan Watanangura Die Drucklegung dieses Bands wurde ermöglicht durch Mittel des Chulalongkorn University Centenary Academic Development Project und des Gottfried Wilhelm Leibniz-Preises der DFG. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Wallstein Verlag, Göttingen 2014 www.wallstein-verlag.de Vom Verlag gesetzt aus der Stempel Garamond Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf, unter Verwendung einer Fotografie von Thomas Manns Schreibtisch, © Keystone Druck und Verarbeitung: Pustet, Regensburg ISBN (Print) 978-3-8353-1414-6 ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-2554-8 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Peter Skilling: Buddhistische Studien . . . . . . . . . . . . . 14 Somparn Promta: Literatur aus buddhistischer Perspektive 22 Soraj Hongladarom: Schopenhauers Metaphysik des Willens und Nagarjunas Konzept der Leere . . . . . . . 39 Dieter Borchmeyer: Die vertauschten Köpfe. Schopenhauer, Nietzsche, Wagner und Thomas Manns »metaphysical joke« 51 Pornsan Watanangura: Die Lehre des Buddha in der synkretistischen Kunstreligion. Strindbergs Ein Traumspiel und Gespenstersonate . . . . . . . . . . . . . 80 Herbert Lehnert: Der junge Thomas Mann, der Buddha und die Welteinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Almut-Barbara Renger: Buddha in Meudon. Rodin und Rilke, Meister und Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Heinrich Detering: »Nicht widerstreben«. Alfred Döblins daoistischer Einspruch gegen den Buddha . . . . . . . . . . . 140 Pornsan Watanangura: Die Vollendeten. Meister-Schüler-Beziehungen in Karl Gjellerups Der Pilger Kamanita und Hermann Hesses Siddhartha . . . 167 Adrian Hsia: Katholizismus und Protestantismus versus Hinduismus und Buddhismus. Zu Hermann Hesses transkultureller Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Eckart Goebel: Was ist ein Schüler? Hermann Hesse zwischen Institution und Inspiration . . . . . . . . . . . . . 202 Heinrich Detering: Brecht und der Buddha. Eine kurze Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Verzeichnis der Mitwirkenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Bildnachweis und Nachweis der Erstveröffentlichungen . . . . 243 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Liegender Buddha im Wat Sam-phraya Detering, Ermisch, Watanangura Einleitung Adrian Hsia zum Gedenken Schon lange gehört der Buddhismus zur deutschen Literatur. Erste Begegnungen lassen sich sehr unterschiedlich datieren: seit Rudolfs von Ems Verslegende von Barlaam und Josaphat etwa und den noch vagen Nachrichten, die über Wilhelm von Rubruk im 13. oder über Marco Polo im 13. und 14. Jahrhundert auch in den deutschen Sprachraum gelangten,1 seit der Romantik, mit der die systematische philosophische und religionswissenschaftliche Rezeption des Buddhismus erst einsetzt, seit Arthur Schopenhauers explizit buddhistisch akzentuierter Willensphilosophie und ihrer posthumen Wirkungsgeschichte. Jedenfalls wurde mit den großen Übersetzungen Paul Deussens,2 Hermann Oldenbergs3 und Karl Eugen Neumanns aus dem Sanskrit und aus dem Pali-Kanon,4 mit den Arbeiten Heinrich Zimmers und anderer deutscher Buddhologen die Grundlage geschaffen für so umfangreiche wie eigenständige und oft eigenwillige philosophische und künstlerische Adaptationen des Buddhismus in der deutschen und der in dieser Zeit oft eng auf sie bezogenen skandinavischen Literatur – ganz abgesehen von seinen mannig­ fachen Wirkungen in diversen Heilslehren von der Theosophie bis zu neueren esoterischen Bewegungen. Aber auch im Bereich der ›Hochliteratur‹ ist das Spektrum der Adaptationsformen weit. Es reicht von Richard Wagners ausdrücklich an Schopenhauers Version buddhistischer Erlösungslehren orientierten Musikdramen bis zu August Strindbergs synkretistischer 1 Vgl. Volker Mertens: The European Reception of Buddhism in the Middle Ages. In: On the Reception of Buddhism in German Philosophy and Literature: An Intercultural Dialogue. Hg. von Pornsan Watanangura und Heinrich Detering. 2. Auflage Bangkok 2011, 10-13. 2 Die Übersetzung aus dem Sanskrit: Das System des Vedânta (1883), Die Sûtra’s des Vedânta (1887), Sechzig Upanishad’s des Veda (1897). 3 Die auf Quellen in Pali gestützten Übersetzungen: Buddha, sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde. 4 Neumann übersetzt in drei Bänden die Mittlere Sammlung des Pali-Kanons und legt damit die Fundamente für die Erforschung des Buddhismus in Europa: Die Reden Gotamo Buddho’s aus der Mittleren Sammlung. Leipzig / Berlin 1896-1902. 8 detering, ermisch, watanangura Integration buddhistischer Elemente in seine frühmodernen Schauspiele, von dem ausdrücklich auf eine buddhistische Bekehrung der Leser zielenden Legendenroman Der Pilger Kamanita des dänischdeutschen Schriftstellers (und späteren Literaturnobelpreisträgers) Karl Gjellerup bis zum weltliterarisch ungleich wirkungsmächtigeren Siddhartha des gleichfalls mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Hermann Hesse, der in einem durchaus ähnlichen Legenden-Gewand gerade die Abkehr vom Buddha proklamiert; von Gjellerups »Legendendrama« Das Weib des Vollendeten bis zu Alfred Döblins Essay Buddho und die Natur; von Rilkes Buddha-Gedichten bis zu Brechts Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus; von Thomas Manns frühen, wiederum ganz an Schopenhauers Kategorien orientierten Erzählversuchen zu ›buddhistischen‹ Sujets (Maja) bis zu seiner späten Legendenparodie Die vertauschten Köpfe und so fort. Diese eigenartige und durchaus schillernde Rezeption und Adaptation des Buddhismus in der deutschen Literatur der frühen Moderne war Gegenstand eines mehrjährigen Forschungsvorhabens, in dem erstmals Literaturwissenschaftler, Religionshistoriker und Philosophen aus Thailand und Deutschland zusammenarbeiteten.5 Großzügig gefördert von der Chulalongkorn University Bangkok und in enger Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut, brachte es sehr unterschiedliche religiöse und kulturelle Traditionen zusammen. Grundlage war die enge Zusammenarbeit zwischen der Germanistischen Abteilung im Department of Western Languages der traditionsreichen Chulalongkorn University und dem Seminar für Deutsche Philologie in Göttingen. Eingeladen wurden zu Tagungen und Vorträgen darüber hinaus Wissenschaftler aus den USA, China, Japan, Kanada, Frankreich sowie anderen deutschen Universitäten. Das Spektrum der einbezogenen Disziplinen sollte, so war es von Beginn an geplant, über die Germanistik hinausgehen; entsprechend weit war es gefasst: Beteiligt waren an diesem genuin komparatistischen Vorhaben Neu- und Altgermanisten, Religionswissenschaftler, Buddhologen und Philosophen, Skandinavisten und Amerikanisten. Dabei war es erwünscht, auch unterschiedliche Arbeitsweisen und Wissenschaftsstile miteinander in Beziehung zu bringen; Ziel des Projekts war über eine bessere Kenntnis der frühmodernen deut- 5 Grammatisch maskuline Bezeichnungen sind hier und im Folgenden durchweg genderneutral zu verstehen. einleitung9 schen Buddhismus-Rezeption hinaus auch eine bessere Kenntnis von­einander. Entstanden war die Idee dazu im Zeichen Thomas Manns. Im Jahr 2006 wurde unter der Leitung der Germanistin Pornsan Watanangura die Übersetzung von Thomas Manns sämtlichen Erzählungen ins Thai abgeschlossen, die erste thailändische Thomas-Mann-Übersetzung überhaupt. Aus einer dazu veranstalteten Bangkoker Tagung ergab sich der Wunsch nach einer kontinuierlicheren interkulturellen Kooperation. Der ideale Anlass dafür bot sich 2009. Denn in diesem Jahr waren hundert Jahre vergangen, seit der siamesische König Chulalongkorn mit seiner großen Europareise die kulturelle Öffnung des Landes nach Westen initiierte und zugleich mit der Drucklegung des gesamten buddhistischen Tipitaka-Kanon in siamesischer Schrift eine neue Grundlage für die Erforschung des Theravada-Buddhismus schuf – also der ältesten und ursprünglichsten Form buddhistischer Lehre und Praxis, wie sie sich vor allem in Südostasien bis heute erhalten hat und daher auch für die Fragen unseres Projekts leitend wurde.6 Das 39-bändige Riesenwerk verschenkte er, in einer glück­lichen symbolischen Verbindung der neuen Westpolitik und eines nun philologisch vertieften Traditionsbewusstseins, an führende Forschungseinrichtungen in aller Welt. Auch die Georg-August-Universität Göttingen mit ihrer jungen Buddhologie wurde so zur glücklichen Besitzerin. Zur Hundertjahrfeier dieses Ereignisses 2009 rief die nach König Chulalongkorn benannte Universität eine große Initiative ins Leben, die ebendiese beiden Seiten seines Wirkens vergegenwärtigen sollte. Die elektronische Erfassung und Kommentierung seiner Ausgabe des Tipitaka-Kanons verband sich unter dem programmatischen Ti6 Eine konzise Einführung in Geschichte und Grundgedanken, in unterschied­ liche Ausprägungen und Grundbegriffe des Buddhismus (mitsamt ihrer unterschiedlichen Schreibweisen) sowie weiterführende Literaturhinweise geben Damien Keowns Buch Buddhism. A Very Short Introduction, das bei Reclam unter dem Titel Der Buddhismus erschienen ist (5., bibliographisch ergänzte Auflage Stuttgart 2010) und Helwig Schmidt-Glinzers Gesamtdarstellung Der Buddhismus in der Beck’schen Reihe (2., durchgesehene Auflage München 2007). Einen Überblick über die gegenwärtige Sicht des Buddhismus in Thailand gibt der zweisprachige thailändisch-englische Band What did the Buddha teach? Buddha Dhamma for Students von Buddhadåsa Bhikkhu, Bangkok 2536 [buddhistischer Zeitrechnung, d.i. 1993]. Zur Buddhismusrezeption im Kaiserreich vgl. Perry Myers: German Visions of India, 1871-1918. Commandeering the Holy Ganges during the Kaiserreich. New York 2013. 10 detering, ermisch, watanangura tel Buddhism in World Languages and Literature mit der Frage nach Wirkungen des Buddhismus in Kulturen der westlichen Welt. In diesem Rahmen konnten wir im Februar 2009 in Bangkok die erste Tagung über Buddhism in German Philosophy and Literature organisieren, unter der Schirmherrschaft ihrer Königlichen Hoheit, der Kronprinzessin Maha Chakri Sirindhorn. Die zweite Begegnung fand im November 2010 am selben Ort statt, unter dem Titel Buddhism and Buddhist Philosophy in World Literature, die dritte und vorerst abschließende dann im Mai 2011 in Göttingen: Reception of Buddhism in Germany in the Early 20th Century: Interaction between the East and the West (begleitet von einer Ausstellung des ­Tipitaka-Kanons und einer von Julia Hoffmann arrangierten Ausstellung zu Bildern des Buddhismus in historischen Kinder- und ­Jugendbüchern). Zwischen den Tagungen wurden in Bangkok wie in Göttingen deutsch-thailändische Seminare veranstaltet, Vorträge gehalten, Gespräche geführt. Nicht alle Ergebnisse dieser Begegnungen lassen sich auf dem Papier festhalten. Vieles, das in den Köpfen der beteiligten Forscher und Studierenden angeregt worden ist, wird erst in den kommenden Jahren seine Fruchtbarkeit erweisen. Immerhin sind zwei englischsprachige Bände der »Proceedings« bereits erschienen; der erste fand so großes Interesse, dass innerhalb kurzer Zeit eine Neuauflage erforderlich wurde.7 Ein dritter Band ist in Bangkok in Vorbereitung, ebenso eine Sammlung von Texten zum Buddhismus aus der deutschen Literatur in thailändischer Sprache. Die ersten Überlegungen der Forschergruppe galten also Thomas Manns früh einsetzendem und lange währendem Interesse am Buddha – dessen Büste auf seinem Schreibtisch stand, wie das Umschlagbild dieses Buches zeigt. Von hier aus aber ergaben sich sehr rasch Verbindungen zu den wichtigsten Vermittlern buddhistischen Denkens im Deutschland des 19. Jahrhunderts, also zur Philosophie Schopenhauers, zu Musik und Dichtung Wagners, zu Hesse, Döblin und Rilke, zur benachbarten skandinavischen Buddhismus-Rezeption bei Gjellerup und Strindberg. Schon von den ersten Überlegun7 On the Reception of Buddhism in German Philosophy and Literature: An Intercultural Dialogue. Hg. von Pornsan Watanangura und Heinrich Detering. Bangkok: Centre for European Studies, Chulalongkorn University 2009. Buddhism and Buddhist Philosophy in World Literature. Hg. von Pornsan Watanangura und Heinrich Detering. Bangkok: Chulalongkorn University 2011. einleitung11 gen an stand auch fest, dass die Diskussionen nicht auf die Literatur allein beschränkt bleiben sollten, auch wenn diese das Zentrum des Projekts bildete. Folglich waren auch Religionsgeschichte, Buddhologie und Philosophie einzubeziehen, und zwar auch dies in deutscher und in thailändischer Perspektive. So entstand ein keineswegs geschlossenes, vielmehr durchaus fragmentarisches und facettiertes Mosaik unterschiedlicher Formen der Rezeption des Buddhismus, vor allem des Theravada-Buddhismus, in der europäischen und amerikanischen Literatur und Philosophie der frühen Moderne in exemplarischen Einzelanalysen und Fall­ studien – mit einem besonderen Augenmerk für die Transforma­ tionen, die sich aus unterschiedlichen Verbindungen buddhistischer mit euro­päischen Denkweisen und künstlerischen Ausdrucksformen ergaben. Einbezogen wurden also auch die Entstehung und Verbreitung des Tipitaka-Kanons und die Europareise Chulalongkorns, buddhistische Lektüren Martin Heideggers, überhaupt die Auseinandersetzung der buddhistischen mit der europäischen Philosophie, die Wirkung buddhistischer Traditionen in der japanischen Philosophie (Tetsurø Watsuji) und Dichtung (Okamoto Kanoko), aber auch die Geschichte der ersten Begegnungen Europas mit dem Buddhismus in Mittelalter und Früher Neuzeit und, am anderen Ende des historischen Bogens, die Buddhismus-Rezeption in der amerikanischen Beat Poetry. Der vorliegende Band dokumentiert mit seiner Beschränkung auf Beispiele der deutschsprachigen Rezeption also nur einen Ausschnitt, aber auch den thematischen Kern eines Vorhabens, das sich mittlerweile in vielfältige Richtungen entwickelt hatte. Peter Skillings resümierende Rückblicke auf Buddhistische Studien markieren wissenschaftsgeschichtliche, Somparn Promtas philosophische Bemerkungen über Literatur aus buddhistischer Perspektive ästhetische Aspekte, die sich für die literaturwissenschaftlichen Diskussionen als wesentlich erwiesen. Soraj Hongladaroms Studie über Schopenhauers Metaphysik des Willens und Nagarjunas Konzept der Leere stellt den deutschen Dichter-Philosophen, der für die litera­ rische Buddhismus-Rezeption so unabsehbare Bedeutung erlangte, auf neue Weise in den Kontext jenes buddhistischen Denkens, auf das er selbst sich so nachdrücklich berief. Ergänzt wird diese Auswahl der auf den Symposien erörterten Untersuchungen um den Aufsatz zu Alfred Döblin und um Herbert Lehnerts Beitrag zu den Buddhismus-Interessen des jungen Thomas Mann. 12 detering, ermisch, watanangura Im Zentrum der folgenden Beiträge steht also nicht der Buddhismus in seinen unterschiedlichen historischen und gegenwärtigen Ausprägungen, sondern seine Adaptation und Transformation in der deutschen Literatur der frühen Moderne. Deshalb war eine Uneinheitlichkeit in der Schreibweise buddhistischer Grundbegriffe unvermeidlich: Unterschiedliche Übersetzungen, wie sie von Schopenhauer oder Hesse benutzt wurden, entwickelten unterschiedliche Schreibkonventionen, die von den in der gegenwärtigen Buddhismusforschung etablierten in mehrfacher Hinsicht abweichen. Dabei werden die Sprachgrenzen zwischen Sanskrit- und Pali-Überlieferung nicht selten verwischt. In Anbetracht etablierter Gewohnheiten gebrauchen selbst die in der Pali-Überlieferung verwurzelten thailändischen Kollegen in englisch- oder deutschsprachigen Zusammenhängen häufig die dort vertrauteren Sanskrit-Varianten, so dass neben dem »Nibbana« der Pali- das hierzulande bekanntere »Nirwana« der Sanskrit-Überlieferung steht und neben dem »Tipitaka«- der »Tripitaka«-Kanon. Das Nebeneinander dieser Schreibweisen im vorliegenden Band sollte angesichts dieser faktisch bestehenden Gemengelage ausdrücklich nicht vereinheitlicht werden. Verzichtet wurde aus demselben Grund auf den Versuch, die diversen diakritischen Zeichen wiederzugeben, die in den Transkriptionsversuchen der internationalen Buddhologie entwickelt worden sind. Und auch die unterschiedlichen Verwendungsweisen des Wortes »Buddha« selbst – als Ehrenname mit, als Eigenname ohne bestimmten Artikel – sollten nicht eingeebnet, sondern beibehalten werden. Konzeption, Überarbeitung und Abschluss dieses Bandes wurden ermöglicht durch einen vom traditionsreichen Deutschen Haus New York unterstützten zweimonatigen Aufenthalt am German Department der New York University. Dessen Direktor Eckart Goebel, selbst an den Symposien beteiligt, war ein wichtiger Gesprächspartner; ihm ist für die Aufnahme des Bandes in die Reihe der Manhattan Manuscripts herzlich zu danken. Zu danken ist auch allen Förderern des gesamten Projekts: dem Chulalongkorn University Centenary Academic Development Project in Bangkok, dem Centre for European Studies und dem Centre of Excellence Programme on Language, Linguistics and Literature, dem Goethe-Institut in Bangkok, dem Centre for Ethics of Science and Technology und der Thousand Stars Foundation, der thailändischen National Telecommunications Commission und der König- einleitung13 lich Thailändischen Botschaft in Berlin. Zu danken ist schließlich auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die durch Mittel des Leibniz-Preises die Drucklegung dieses Bandes ermöglichte. Nina Kullrich hat an den Übersetzungen der englischsprachigen Beiträge und der Einrichtung des Bandes maßgeblich mitgearbeitet, AnnaMarie Humbert übernahm die Textkorrekturen. Thomas Oberlies hat die Herausgeber in buddhologischen Fragen beraten. Gewidmet ist der kleine Band dem Andenken eines großen Gelehrten, unseres Kollegen und Freundes Adrian Hsia, der an der Konzeption und der ersten Tagung noch maßgeblich beteiligt war und dann viel zu früh verstarb. Heinrich Detering / Maren Ermisch (Göttingen) Pornsan Watanangura (Bangkok) Buddhistische Studien Peter Skilling Deutsche Philosophie las ich früh (wie meine ganze Generation), es war eine der köstlichen Sünden unserer Jugend. Auch deutsche Literatur habe ich genossen, wenn auch zugegebenermaßen in Übersetzungen. Doch bis zum heutigen Tage fahre ich fort, deutsche Bücher zu lesen (mit der Hilfe meines Condensed Muret-Sanders-Wörterbuchs), und es scheint mir das Beste, hier von persönlichen Erfahrungen zu sprechen und dabei die Bücher zu berücksichtigen, die ich lese und nutze, und die Menschen, die ich kannte. Das aber bringt mich nicht zur Philosophie, sondern zur Philologie, nicht zur Literatur, sondern zu den Manuskript-Studien. In diesem Feld hat die deutsche Wissenschaft fundamentale und dauerhafte Beiträge geleistet. Es besteht allgemeine Einigkeit darüber, dass die Wissenschaft der Linguistik und das Studium der Indoeuropäischen Sprachen in Kolkata (damals Calcutta) im späten 18. Jahrhundert begann, als Sir William Jones das Sanskrit »entdeckte«. Jones (1746-1794), eine bemerkenswerte Figur der Kolonialzeit, übertrug Kalidasas poetisches Drama Shakuntala vom Sanskrit ins Englische, eine Arbeit, die bald in verschiedene europäische Sprachen übersetzt wurde. Das Studium des Sanskrit wurde in Paris begründet und breitete sich von dort nach Deutschland und an die großen Universitäten Europas aus. Philologie ist die Basis der Erkenntnis. Die Anfänge der Phi­ lologie in Europa und Deutschland waren verbunden mit einer romantischen Auffassung von der Sprache, der Literatur und dem »Anderen«, welches eine neue Perspektive bot – eine neue Antike wurde gefunden (oder erfunden), und neu entstehende Disziplinen und Felder inspirierten neue Richtungen in der Philosophie und in den Humanwissenschaften. Dies alles betraf die orientalischen Sprachen und die Indologie. »Buddhistische Studien« entwickelten sich nicht als eigenständige Disziplin, sie gehörten zur Indologie. Bis heute ist überall auf der Welt eine institutionelle Unabhängigkeit oder Förderung der Buddhologie eher die Ausnahme als die Regel. In Europa ist die Buddho­ buddhistische studien15 logie abhängig von der Indologie und den orientalischen Sprachen, in Nordamerika, mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen, für gewöhnlich von den Religionswissenschaften. Abgesehen davon ist es keine Übertreibung zu sagen, dass für das Studium des Buddhismus einige deutsche Beiträge grundlegend und maßgeblich waren und sind. Doch ich möchte betonen, dass diese frühen deutschen Werke Teil eines bemerkenswerten Internationalismus waren, eines Geistes wissenschaftlicher Zusammenarbeit, der in dem, was wir die große orientalistische Epoche nennen können, weite Teile Europas und Asiens erfasst hatte. Deutsch galt als eine der drei wichtigsten wissenschaftlichen Sprachen des modernen Westen, und die »Deutsche Philologie« war nicht nur in Deutschland angesiedelt, sondern auch in den großen kosmopolitischen Zentren des imperialen Europas. Wir dürfen nicht vergessen, dass die sozialen, linguistischen und intellektuellen Geographien sehr anders aussahen, als sie es heute tun. Die Buddhologie erwuchs in einem Zeitalter rücksichtsloser imperialer Systeme – des deutschen, des österreichisch-ungarischen, des russischen – in denen Deutsch eine gemeinsame Wissenschaftssprache war –, aber auch Frankreichs, Italiens und natürlich des großen Indischen Empire Großbritanniens, und sie erwuchs in engem Austausch mit China, Japan und Siam. Ein Netzwerk von Wissenschaftlern brachte Denkweisen und Initiativen quer durch Europa zusammen und hinterließ ein Erbe, dessen Fundament bis heute steht. Viele bahnbrechende Arbeiten wurden in St. Petersburg veröffentlicht, in der multilingualen Reihe der Bibliotheca Buddhica. Gegründet hat sie Sergei Oldenburg (1863-1934), der viele grundlegende Texte in Sanskrit, Tibetisch, Mongolisch und Chinesisch veröffentlichte und zum Wegbereiter für einige internationale Kooperationen wurde, die bis heute existieren. Ausgaben buddhistischer philosophischer Schlüsseltexte in dieser Reihe werden, obschon zu Beginn des 20. Jahrhunderts veröffentlicht, bis heute genutzt; und sie bleiben unübertroffen. Jeder, der die Madhyamaka-Philosophie studiert, wird de la Vallée Poussins hervorragende Ausgabe des Prasannapada benutzen. Das Standard-Wörterbuch des Sanskrit ist noch immer dasjenige, das Otto Böhtlingk und Rudolf Roth unter der Schirmherrschaft der Russischen Imperialen Akademie der Wissenschaften (der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften) zwischen 1852 und 1875 in St. Petersburg, in Jena und Tübingen erarbeitet haben. Dieses Wörterbuch rühmte der Prager Wissenschaftler 16 peter skilling Moriz Winternitz (1863-1937) als ein »hervorragendes Monument deutscher Sorgfalt«; der britische Indologe Basham nannte es später »die größte Leistung der indologischen Wissenschaft im Europa des 19. Jahrhunderts«. Eine kürzlich veröffentlichte Korrespondenz eröffnet uns viele Einblicke in diese Zeit eines produktiven Aus­ tausches.1 Französisch und Deutsch wurden in ganz Europa benutzt, und Deutsch war die erste oder zumindest die bevorzugte Schriftsprache einiger großer Pioniere, viele von ihnen Zentraleuropäer oder Juden. Frühe Berichte über Südostasien – Buddhismus und andere Religionen selbstverständlich eingeschlossen – wurden auf Deutsch veröffentlicht, zum Beispiel in Böhmen.2 W. P. Wassiljew (1818-1900) veröffentlichte eine Studie zum Buddhismus auf Russisch, die schon bald darauf zunächst auch auf Deutsch und dann erst auf Englisch erschien.3 Franz Anton Schiefner (1817-1879) war ein Pionier des Studiums des Tibetischen Kanons – Übersetzungen indischer Texte, die auf Tibetisch erhalten geblieben waren – und der erzählenden Literatur. Er veröffentlichte 1869 auch eine deutsche Übersetzung der Geschichte des Buddhismus, die der tibetische Gelehrte Taranatha verfasst hatte.4 Er ist nur ein Beispiel dafür, wie die deutschsprachige Forschung an der Spitze sowohl der tibetischen und mongo­ lischen Studien als auch der Forschungen zum indo-tibetischen Buddhismus stand. Was den Buddhismus in Sanskrit und Pali betrifft, so bleibt Moriz Winternitz’ zweibändige Geschichte der indischen Literatur ein Standard-Nachschlagewerk. Auch seine Untersuchungen können noch immer mit Gewinn gelesen werden – wie ich in den letzten Jahren bemerkte, als ich Forschungen zur JatakaLiteratur betrieb.5 1 Correspondences orientalistes entre Paris et Saint-Pétersbourg (1877-1935). Hg. von Grigorij M. Bongard-Levin, Roland Lardinois und Aleksej A. Vigasin. Paris 2002 (= Mémoires de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres; XXVI). Vgl. dazu auch: Otto Böhtlingk / Rudolf Roth: Otto Böhtlingk an Rudolf Roth. Briefe zum Petersburger Wörterbuch 1852-1885. Hg. von Heidrun Brückner und Gabriele Zeller. Wiesbaden 2007 (= Veröffentlichungen der Helmuth Glase­ napp-Stiftung; 45). 2 Siam Undiscovered – Czech-Thai encounters between the 16th and 21st centuries: rare documents, old photographs, royal visits. Hg. von Miroslav Nožina u.a. Bangkok 2004; Royal Ties: King Norodom Sihamoni and the History of Czech-Cambodian Relations. Hg. von Miroslav Nožina u.a. Prague 2006. 3 Der Buddhismus, seine Dogmen, Geschichte und Literatur. St. Petersburg 1860. 4 Geschichte des Buddhismus in Indien. St. Petersburg 1869. 5 Moriz Winternitz: Geschichte der indischen Literatur. II. Band. Leipzig 1920. buddhistische studien17 In unserem allzu oft gepriesenen »Informationszeitalter« müssen wir zwischen Information und Erkenntnis unterscheiden. Heute verfügen wir über viel mehr Informationen und über weit mehr Hilfsmittel als unsere Vorgänger. Die Texte, die studiert, ediert und übersetzt wurden, insbesondere die jüngst entdeckten Sanskrit- und Gandhari-Manuskripte, lassen synthetische Arbeiten wie Winternitz’ Geschichte der indischen Literatur veraltet erscheinen. Doch seine Vision und viele seiner Erkenntnisse behalten ihren Wert und auch ihre Aktualität. Nur durch das Verstehen der Entwicklung und der Geschichte eines Fachbereichs können wir auch dessen Literatur angemessen beurteilen. Darum sind Begegnungen wie die unsere so wertvoll und unerlässlich. Die Texte, die mich am meisten interessieren, die alten Freunde, die auf meinem Bücherregal nur eine Armlänge entfernt stehen – häufig abgegriffen und zerfranst durch wiederholten Gebrauch – waren eng mit einem weiteren Romantizismus verbunden: dem der Seidenstraße. Seit Ende des 19. Jahrhunderts beteiligten sich preußische Expeditionen an der großen Jagd nach den verlorenen Zivilisationen Zentralasiens, die über mehr als ein Jahrtausend unter dem Wüstensand vergraben gewesen waren; und sie entdeckten um dieselbe Zeit verlorene Sprachen wie das Khotanesische, das Sogdische und das Tocharische. Die Jagd, oder besser: die Schatzsuche war auch ein Teil des »großen Spiels«, des politischen Wettstreits an den Kreuzungen des Eurasischen Kontinents. Ganze Sammlungen von Manuskripten und Antiquitäten wurden nach Berlin, St. Petersburg, Paris und London verbracht. Bis heute ist die Berliner Sammlung, die nach der langen Zerstreuung durch den Zweiten Weltkrieg nun wieder vereint dasteht, eine unvergleichliche Quelle für buddhistische Studien geblieben. Die Verbindungen zwischen deutscher Forschung und BritischIndien waren intensiv und vielfältig. Einige »deutsche« Forscher waren in Indien geboren, so Rudolf Hoernle, der 1841 als Sohn von Missionaren das Licht der Welt erblickte (seine Ausbildung jedoch durchlief er in Europa) und der mit seiner Arbeit über Sanskrit- und khotanesische Manuskripte Zentralasiens berühmt wurde.6 Hoernle 6 Ursula Sims-Williams: The papers of the Central Asian scholar and Sanskritist Rudolf Hoernle. In: Buddhist Manuscripts from Central Asia. The British Library Fragments. Bd. I. Hg. von Seishi Karashima und Klaus Wille. Tokyo 2006. 18 peter skilling und andere arbeiteten für die Kolonialregierung, und sie spielten Schlüsselrollen in den britischen Studien zur indischen Vergangenheit. Deutsche Forscher hielten Beziehungen zu Indien bis in die postkoloniale Zeit hinein aufrecht. Gustav Roth zum Beispiel (19162008) bereiste Indien und arbeitete lange dort. Er war ein »Pandita« (also ein in allen Wissensbereichen ausgezeichneter Gelehrter) nicht nur des Buddhismus, sondern auch des Jainismus, und er war bei weitem nicht der einzige. In der Tat ist einer der Vorteile der Erforschung des Buddhismus als eines Teils der Indologie die Entwicklung eines Bewusstseins dafür, dass der Buddhismus eben nicht isoliert studiert werden kann. Pali gehört zur mittelindischen Prakrit-Sprachengruppe, und das buddhistische Sanskrit-Erbe ist ein Teil der großen Sanskrit-Tradition. Auch wenn das buddhistische Sanskrit seine eigenen Merkmale in der Syntax, im Vokabular und in der historischen Entwicklung aufweist, ist es doch immer noch Teil eines größeren indischen Kontinuums. Der Buddhismus wurde genährt von indischen Ideen und Praktiken, die wir beim Bemühen um sein Verständnis nicht ignorieren können.7 Lassen Sie mich nur einen einzelnen Aspekt der Buddhismus-Studien als Beispiel herausgreifen. Die deutsche Forschung ist unentbehrlich für das Studium des Lebens des Buddha. 1851 übersetzte Anton von Schiefner eine Vita des Buddha aus dem Tibetischen. 1881 veröffentlichte Hermann Oldenberg (1854-1920) sein Werk Buddha: Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde. In den 1920er Jahren übersetzte Friedrich Weller (1889-1980) das gefeierte Buddhacarita von Asvaghosa.8 Der Göttinger Buddhologe Ernst Waldschmidt (1897-1985) edierte, studierte und übersetzte kanonische Sanskrittexte wie das »Sutra der vier Versammlungen«, das »Große Avadanasutra«, und das »Große Sutra über das Nirwana«, und er schrieb selbst über das Leben des Buddha. Heinz Bechert (19322005) organisierte internationale Seminare zu »Daten des historischen Buddha«, veröffentlichte drei Bände zu Tagungen in Göttin7 Erfreulicherweise hat Prof. Dr. Volker Mertens in seinem Beitrag: Buddhism in the European Middle Ages auch eine »Vorgeschichte« der Buddhistischen Studien geliefert. [Nicht in der vorliegenden Auswahl enthalten, aber nachzulesen bei: Volker Mertens: The European Reception of Buddhism in the Middle Ages. In: On the Reception of Buddhism in German Philosophy and Literature: An Intercultural Dialogue. Hg. von Pornsan Watanangura und Heinrich Detering. 2. Auflage Bangkok 2011, 9-22.] 8 Friedrich Weller: Das Leben des Buddha von Asvaghosa, Tibetisch und Deutsch. I und II. Leipzig 1926 und 1928. buddhistische studien19 gen und einen Band mit ausgewählten Beiträgen auf Englisch in Neu-Delhi. Mit den Funden der Turfan-Expedition begann das akribische Studium künstlerischer Traditionen in Bildhauerei und Malerei.9 Die Arbeit Dieter Schlingloffs über erzählende und buddhistische Kunst, insbesondere, aber nicht nur, über die Höhlenmalerei Ajantas in Zentralindien,10 wird nun ergänzt durch die Arbeit von Monika Zin (Universität München)11 – und die Reihe ließe sich fortsetzen. Indologie und Südasien-Studien und unter anderem die Buddhismusforschung blühten in Berlin, Bonn und Köln, in Göttingen, Halle, Hamburg und Heidelberg, in Kiel und Leipzig, Mainz, Marburg und München. Viele dieser Institute können sich intellektueller Abstammungen rühmen, die ins 19. Jahrhundert zurückgehen, berühmter paramparas, die man erst aufgrund der Kurzsichtigkeit ­eines neuen Zeitalters zu demontieren begann. Viele deutsche Universitäten verfügen über Bibliotheken, die ihresgleichen suchen. In Göttingen etwa hat Ernst Waldschmidt die buddhistischen Studien nachhaltig aufgebaut, gefolgt von Heinz Bechert, der ebenfalls entscheidend zu den Studien des zeitgenössischen Buddhismus in Thailand, Burma und Bangladesh beitrug. Bechert reiste regelmäßig nach Süd- und Südost-Asien und trug eine außerordentliche Bibliothek mit Büchern in Singhalesisch, Burmesisch, Thai und anderen Sprachen zusammen.12 Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts war Deutschland für ernsthafte Studierende der Indologie und des Buddhismus aus der ganzen Welt bereits ein Mekka geworden. In der ersten Nachkriegs9 Man denke etwa an Albert von Le Coqs Dokumentation Chotscho. FacsimileWiedergaben der wichtigeren Funde der ersten Königlich Preussischen Expe­ dition nach Turfan in Ost-Turkistan. Berlin 1913. 10 Dieter Schlingloff: Studies in the Ajanta Paintings. Identifications und Interpretations. Delhi 1988; ders., Guide to the Ajanta Paintings. Vol. 1. Narrative Wall Paintings. New Delhi 1999, und vor allem das dreibändige Werk ders., Ajanta – Handbuch der Malereien / Handbook of the Paintings. Wiesbaden 2000. 11 Monika Zin: Mitleid und Wunderkraft. Schwierige Bekehrungen und ihre Ikonographie im indischen Buddhismus. Wiesbaden 2006. 12 Der Buddhismus I: Der indische Buddhismus und seine Verzweigungen. Hg. von Heinz Bechert u.a. Stuttgart u.a. 2000 (= Die Religionen der Menschheit; 24.1) ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die jüngste deutsche Forschung und das neue Verständnis des Buddhismus, das bedeutende Wissenschaftler er­ arbeiten (von denen nicht alle deutsch sind). Ein Nachruf auf Bechert von Russell Webb findet sich in Buddhist Studies Review 22.2 (2005), 211-216. 20 peter skilling zeit spielten deutsche Forscher wie Lambert Schmithausen in Hamburg, Oskar von Hinüber in Freiburg und Michael Hahn in Marburg eine bedeutende Rolle in der Ausbildung asiatischer Studierender. Dasselbe könnte für Österreich gesagt werden, im Hinblick vor allem auf Erich Frauwallner (1898-1974) und dann Ernst Steinkellner in Wien. Noch jüngste Generationen von Chinesen, Koreanern, Japanern, Indern, Singhalesen, Bhutanesen und thailändischen Wissenschaftlern gehören zu denen, die ihre Ausbildung in Deutschland absolvierten. Deutsche Wissenschaftler haben auch im Ausland wichtige Beiträge geleistet. Max Müller (1823-1900), einer der Unvergänglichen, hatte den Lehrstuhl für Sanskrit in Oxford inne. Heute stärken deutsche Wissenschaftler die Indologie und Buddhologie zum Beispiel in den Vereinigten Staaten, in Berkeley oder Austin, Texas. Wissenschaftler aus Deutschland werden regelmäßig an die Universitäten Japans geladen. Es steht mir nicht zu, auch nur einen Überblick dieser Begegnungen zu geben, die nun schon seit einigen Jahrhunderten anhalten und einen großen Teil Asiens abdecken.13 Zum Thai-Buddhismus finden sich einige Studien in den Sammelbänden zu den ersten beiden Bangkoker Tagungen, darauf ist hier nicht weiter einzugehen.14 Es soll nur noch erwähnt werden, dass einer der frühen Hinweise auf den Buddha sich in Johann Heinrich Zedlers Grossem vollständigen 13 Dazu siehe die exzellenten Studien von Franco und Webb, unter Beachtung der Tatsache, dass es in dem vergangenen Jahrzehnt zahlreiche neue Entwicklungen und Publikationen gegeben hat: Eli Franco: Buddhist Studies in Germany and Austria 1971-1996 with a Contribution on East Asian Buddhism by Michael Friedrich. In: Journal of the International Association of Buddhist Studies 22/2 (1999), 401-456. Russell Webb: German Scholarship on SouthEast Asia: A Bio-bibliographical Survey. In: Bauddhavidysudhakarah: Studies in Honour of Heinz Bechert on the Occasion of his 65th Birthday. Hg. von Petra Kieffer-Pülz und Jens-Uwe Hartmann. Swisttal-Odendorf 1997 (= Indica et Tibetica; 30), 699-716. Vgl. auch: Helmuth von Glasenapp / Guido Auster: Germany, Buddhism in. In: Encyclopaedia of Buddhism. Hg. von W.G. Weeraratne. Vol. V. Fascicle 2. Government of Sri Lanka 1991, 329-33; J. W. de Jong: A Brief History of Buddhist Studies in Europe and America. Tokyo 1997; The State of Buddhist Studies in the World 1972-1997. Hg. von Donald K. Swearer und Somparn Promta. Bangkok 2000. 14 On the Reception of Buddhism in German Philosophy and Literature: An Intercultural Dialogue. Hg. von Pornsan Watanangura und Heinrich Detering. 2. Auflage Bangkok 2011 und Buddhism and Buddhist Philosophy in World Literature. Hg. von Pornsan Watanangura und Heinrich Detering. Bangkok 2011. buddhistische studien21 Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste findet – inter­ essanterweise mit einem Verweis auf den »Sommonokhodom« (Samana Gotama) aus Siam.15 Anderthalb Jahrhunderte später wurde ernsthaft mit den deutschen Übersetzungen der Pali-Texte begonnen. Während die Editionen und englischen Übersetzungen der Pali Text Society in Thailand sehr bekannt sind, ist es eine Tatsache, dass solide deutsche Übersetzungen zur selben Zeit erschienen, so dass es möglich ist, eine beträchtliche Menge und Vielfalt an buddhistischer Literatur in verlässlichen deutschen Übersetzungen zu lesen. Ich habe von Philologie und Historiographie gesprochen. Der Luxus der Salonstudien der Religionen begann im 18. Jahrhundert, er verstärkte sich im 19., und er wurde allgemein üblich im 20. Jahrhundert. Die Freiheit zu forschen und zu vergleichen – und letztlich die Freiheit zu entscheiden, zurückzuweisen oder auszuwählen – führte dazu, dass sich entsprechend verschiedene religiöse Traditionen entwickelten. Die Frage danach, was Deutsche und Europäer vom Buddhismus gelernt haben, ist eine tiefgehende und schwierige, die ich nicht zu beantworten wage. Erlauben Sie mir nur anzumerken, dass Immanuel Kant (1724-1804) die Mönche von Pegu mit den Worten rühmte, sie seien »gut zu allen Lebewesen, ohne irgendwelche Diskriminierungen aufgrund von Religionen. Sie denken, dass alle diejenigen Religionen gut sind, die den Menschen gut und liebenswürdig machen«.16 15 Leipzig und Halle, 1735: Hinweis von Russell Webb (wie Anm. 13), 699. 16 Ebd. Literatur aus buddhistischer Perspektive Somparn Promta 1. Das Schöne betreffend (1) Um die buddhistische Philosophie der Künste zu verstehen, sollen zunächst einige grundlegende Konzepte untersucht werden. Das erste Konzept betrifft »das Schöne«. (2) Im Allgemeinen würden diejenigen, die mit den Lehren des Buddhismus vertraut sind, vermutlich sagen, dass es aus buddhistischer Perspektive so etwas wie »das Schöne« gar nicht gibt. Wir wissen, dass der Metaphysik des Buddhismus zufolge das Schöne und das Hässliche erst vom menschlichen Bewusstsein erschaffen werden. Die Dinge in der Welt sind, wie sie sind: eine Blume ist eine Blume, und der Mond ist der Mond. Ihre Schönheit liegt nicht in ihrer Natur; vielmehr ist es das menschliche Bewusstsein, welches ihnen Schönheit zuschreibt. Folgt man diesem Gedanken, mag man bezweifeln, dass sich im Buddhismus überhaupt eine ästhetische Sichtweise finden lasse. In der Praxis stellen wir jedoch fest, dass es in buddhistischen Ländern eine buddhistische Kunst gibt, die unterschiedlich ausgeprägt und in ihren jeweiligen Besonderheiten einzigartig ist. Warum aber gibt es überhaupt diese eine buddhistische Kunst, wenn doch die buddhistische Lehre so etwas wie das Schöne nicht akzeptiert? (3) Es scheint aus buddhistischer Sicht zumindest zwei Arten von Schönheit zu geben: die physische und die nicht-physische, abstrakte Schönheit. Und es scheint, als gehöre die Schönheit, die der Buddhismus ablehnt, nur der ersten Kategorie an. Was ist physische Schönheit? Eine sehr einfache Definition verweist auf das Schöne, welches in den menschlichen Sinneswahrnehmungen auftaucht, insbesondere dasjenige, das vor dem Auge und im Ohr des Menschen erscheint. Dem Buddhismus zufolge ist der Mensch derart beschaffen, dass er die physische Welt durch die fünf Türen der Sinne wahrnimmt: das Auge, das Ohr, die Nase, die Zunge und die Haut. Die Schönheit in der Malerei ist das Schöne, das sich dem Auge zeigt, das literatur aus buddhistischer perspektive23 Schöne in der Musik dasjenige, das sich dem Ohr offenbart, und so fort. (4) Nun finden wir aber, wie erwähnt, in buddhistischen Gemeinschaften sowohl Malerei als auch Musik, und diese werden auch durchaus als Kunstwerke akzeptiert, die Schönes enthalten. Es muss also eine zusätzliche Definition geben, welche diese Dinge aus buddhistischer Sicht zu Kunstwerken macht. (5) Lehrtexten der buddhistischen Tradition zufolge ist das in seiner Wirkung auf den menschlichen Geist negative Schöne dasjenige, das ein Verlangen weckt. Dementsprechend können wir sagen, dass physische Schönheit aus buddhistischer Sicht die folgenden Eigenschaften besitzt: (a) Es handelt sich um diejenige Schönheit, die den mensch­lichen Sinneswahrnehmungen erscheint. (b) Sie führt zu Verlangen. (c) Sie ist, und das hat nun besondere Bedeutung, vergänglich. Das Verlangen ist in der buddhistischen Lehre ein mentales Phä­ nomen, das in dreierlei Hinsicht eine wichtige Rolle spielt. Erstens besteht es in dem Gefühl, das entsprechende Ding besitzen zu wollen. Erblickt beispielsweise ein Mann ein Mädchen, das er als schön empfindet, so ist diese Empfindung noch nicht mit Verlangen verbunden. Will der Mann aber das Mädchen als Liebhaber besitzen, dann ist dieser Geisteszustand durch Verlangen verursacht. Die zweite Funktion des Verlangens besteht darin, dass es das Gefühl auslöst, nicht lediglich etwas besitzen, sondern etwas sein zu wollen. Erblickt etwa ein Mädchen einen weiblichen Filmstar und hat das Gefühl, eines Tages dieser Person gleich sein zu wollen, so betrifft dieses Gefühl kein Besitzen-, sondern ein Sein-Wollen. Die dritte Funktion des Verlangens besteht darin, das Gefühl hervorzurufen, sich von einer Sache oder einem Menschen abwenden zu wollen. Wenn etwa jemand im Fernsehen einen Politiker sieht, den er hasst, und daraufhin das Fernsehprogramm wechselt, dann ist dieses Gefühl durch die dritte Art des Verlangens hervorgerufen. Auch Selbstmord entsteht in buddhistischer Perspektive aus dieser dritten Art von Verlangen. Es gilt zu beachten, dass sich Verlangen in der buddhistischen Lehre im Gefühl der Selbstliebe konzentriert. Derjenige, der das Fernsehgerät ausschaltet, tut das aufgrund einer Form von Selbstliebe; Hass ist in der buddhistischen Lehre eine negative Manifestation von Selbstliebe. Weil er sich selbst liebt, darum muss alles, was ihn unglücklich macht, aus seinem Leben ausgeschlossen werden. Auch ein Selbstmord wird begangen, weil eine Person sich selbst liebt und weil das Abstellen eines unglücklichen Seelenzu- 24 somparn promta stands nur auf zwei Arten möglich ist – indem nämlich entweder dieser Zustand beseitigt wird oder das Selbst. (6) Nun gibt es aber in buddhistischen Ländern wie Thailand und Japan eine Malerei und Musik, deren Schönheit den menschlichen Sinneswahrnehmungen erscheint und die doch nicht das Gefühl von Verlangen auslöst. Es scheint, als ob diese Eigenschaft der Kunstwerke die wichtigste Bedingung dafür ist, dass Schönheit hier nicht als physisch wahrgenommen und darum akzeptiert werden kann. (7) Was also ist im Buddhismus gemeint, wenn über nicht-physische oder abstrakte Schönheit gesprochen wird? Erstens vertritt er hinsichtlich des Schönen den Grundsatz, dass wahre Schönheit und Wahrheit ein und dasselbe sind, so dass die nicht-physische Schönheit als Wahrheit verstanden werden kann. Als Wahrheit über was? Über das menschliche Leben und die Welt. Da solche Wahrheit nicht mit dem bloßen Auge, sondern nur aus der Perspektive der Weisheit gesehen werden kann, die in buddhistischen Texten manchmal »inneres Auge« heißt, kann die abstrakte Schönheit nur vor dem inneren Auge erscheinen. (8) Die buddhistische Überlieferung erzählt von einer Gruppe von Mönchen, die sich auf den Weg zum Buddha begeben, um ihm vom Scheitern ihrer Meditationsübungen zu erzählen. Denn sie haben die von ihm empfangenen Anweisungen zur Meditation in ihrem Waldkloster intensiv praktiziert, ohne jedoch ihren Geist befreien zu können. Auf dem Weg zum Buddha aber hören sie unverhofft das Lied einer Kuhhirtin. Und da, mit einem Mal, ist ihr Geist befreit, und sie werden Erleuchtete. (9) An dieser Geschichte ist vor allem interessant, dass das Lied größere Kraft zu besitzen scheint als die Meditation. Die Geschichte macht zwar keine genaueren Angaben über das Lied selbst; der Kontext aber legt nahe, dass es sich um ein Volkslied handelt, das von einer weit zurückliegenden Generation in der entsprechenden Gemeinschaft hervorgebracht worden ist und noch von der gegenwärtigen Generation gesungen wird. Es handelt sich also um die Schöpfung kollektiver Weisheit. Doch warum bedarf es überhaupt dieser Erleuchtung? (10) Das Wort »Buddhismus« bezeichnet die Religion einer erleuchteten, erwachten und glücklichen Person – drei Eigenschaften, die mehrere Implikationen haben: (a) Diese Person hat die Wahrheit erkannt, sie ist erleuchtet. (b) Sie befindet sich nicht im Zustand des Träumens, sondern ist erwacht. Und (c) sie sieht und schätzt das