Sexualität in der gynäkologischen Onkologie Krebs und weibliche Sexualität Leben mit einem doppelten Tabu Bei aller Sorge um das Überleben, darum, wie viel Zukunft einem selbst noch bleibt, sind Krebspatientinnen wie alle anderen Menschen: Sie haben sexuelle Wünsche und Bedürfnisse. Ingrid Kimmich, Krankenschwester für Onkologie Warum ist es so schwer, über Sexualität zu reden? Auswirkung gesellschaftlicher Normen und Wertvorstellungen Auswirkung der eigenen Vorstellung von Sexualität Definition / Begrifflichkeit Sprachlosigkeit Unterschiedliches Gesundheitsverständnis Frauen Definieren Gesundheit in einem eher umfassenden psychosozialen Sinn als Empfinden von „Harmonie und subjektivem Wohlbefinden“ Männer Definieren Gesundheit eher als „Freiheit von Krankheit und Schmerz und als Voraussetzung von Handlungs- Leistungsund Funktionstüchtigkeit.“ Vgl. P. Kolip Individuelle Bedeutung von Sexualität (nach Zettl) Krebs hinterlässt Spuren Die unterschiedliche Bedeutung und das individuelle Erleben der eigenen Sexualität sind auch dafür verantwortlich, dass Frauen in ganz verschiedener Weise auf krankheitsbedingte Einschränkungen ihrer Sexualität reagieren. Während die eine unter ihrer sexuellen Beeinträchtigung in hohem Maß leidet, erlebt sie eine andere eher mit Gleichgültigkeit oder sogar Erleichterung. Emotionaler Schmerz Körperliche Wunden Körperbildveränderungen Verletzte Intimsphäre Veränderung der Lebensaufgabe 1 Ursachen sexueller Probleme I (nach Zettl) Beispiele körperlicher Ursachen: entsprechende Organe in Mitleidenschaft gezogen sind bzw. werden sollen das Körperbild verändert ist bzw. wird das Selbstwertgefühl sehr stark über das Aussehen oder Leistung definiert wird bereits Partnerschaftsprobleme vorliegen die Behandlung Funktionsstörungen wahrscheinlich macht Immer, wenn ein Gesprächsbedarf wahrgenommen wird Plissit-Modell (ANNON 1978) (1) - Abgestufte Unterstützung - P = Permission (Erlaubnis) Pflegende zeigen, dass sie bereit sind über sexuelle Probleme zu reden Durch direkte oder indirekte Äußerungen LI = Limited information (begrenzte Info) Pflegende vermitteln Informationen über physiologische und psychologische Aspekte (z.B. wann sexueller Verkehr wieder mögl. ist) Auseinandersetzung mit dem eigenen Verständnis für Sexualität! Vertrauensverhältnis zu Patient Richtige Sprache Rahmenbedingungen Taktvolles Vorgehen Beachtung evtl. anderer Normen und Wertvorstellungen (interkultureller Umgang) Hintergrundwissen Erkennen (dass überhaupt ein Problem vorliegt) Offenheit und Toleranz Bereitschaft, sich in die Problematik einzulassen Plissit-Modell (ANNON 1978) (2) - Abgestufte Unterstützung Konfrontation mit der Diagnose Krebs und deren Auswirkungen auf das Selbsterleben und wertgefühl Beeinträchtigung des Empfindens der eigenen Attraktivität (z.B. Stoma) Krankheits- und therapiebedingte depressive Verstimmungen Fehlvorstellungen und Wissensdefizite über die Sexualität Sexuelle Versagensängste Falsche Erwartungen Durch die Erkrankung krisenhaft ausgelöste, zuvor latente Partnerschaftskonflikte Voraussetzungen für das Patientengespräch Beispiele psychosozialer Ursachen: Allgemeine Verschlechterung des körperl. Befindens Krebs- oder behandlungsbedingte unmittelbare anatomische Schädigung von Sexualorganen Wundschmerzen Krebs- oder behandlungsbedingte Veränderungen sexueller Funktionen z.B. mangelnde Lubrikation Nebenwirkungen von Medikamenten (z.B. Antiöstrogentherapie) Krebs- oder behandlungsbedingte Infertilität Sexualität muss besonders dann angesprochen werden, wenn: Ursachen sexueller Probleme II (nach Zettl) SS = Specific suggestions (spezifische Anregungen) Konkrete praktische Hinweise, z.B. die Verwendung eines Gleitgels bei Veränderung des Scheidenepithels; Formulierungsvorschläge bei Gespräch mit Partner IT = Intensive therapy (intensive Therapie) Bei lange anhaltenden sexuellen Störungen ist gezielte Intervention indiziert Weitergabe von Adressen (Psychotherapeuten, Sexualtherapeuten, Sexualberatungsstellen, PRO FAMILIA, Selbsthilfegruppen) 2 Grundvoraussetzung: Mamma-Karzinom Zuhören Beobachten Wahrnehmen Diagnose und Aufklärung Wie Wo Was Wann Mit wem Fragen zur Selbstreflexion (Zettl) Versuchen Sie sich in die Situation einer Frau nach Brustamputation hineinzuversetzen Würden Sie eine Brustrekonstruktion wollen und wenn ja, warum Könnten Sie sich auch ohne Brust als attraktiv und begehrenswert fühlen? Wie würde Ihr Partner auf eine Brustamputation reagieren? Würde sich Ihre gemeinsame Sexualität verändern? Therapieentscheidung Wichtig ist, dass die Patientin von der Notwendigkeit der Therapie überzeugt ist und nicht das Gefühl haben muss, irgend etwas übergestülpt zu bekommen! 3 Operation Postoperative Versorgung BET Mastektomie Brustrekonstruktion primär oder sekundär mit Eigengewebe oder Implantate Gute Schmerzbehandlung Sensibler Verbandswechsel Achtung der Intimsphäre und des Schamgefühls Narbenpflege Hilfestellung zur Akzeptanz des neuen Körperbildes Vor Entlassung Gespräch Vermittlung von Selbsthilfegruppen Hinweis auf Kosmetikkurs der DKMS Hinweis auf Sexualberatungsstellen Hinweis auf Krebsberatungsstellen Anbieten von guter Literatur Chemotherapie Bestrahlungstherapie Alopezie Nausea/Emesis Immunsuppression Mukositis Fatique Prämenopausale Frauen: Empfängnisverhütung Kinderwunsch / Schwangerschaft Grundsätzlich bei brusterhaltender Operationstechnik Bei Bestrahlung der Brust keine großen zusätzlichen Beeinträchtigungen zu erwarten 4 Hormontherapie Antikörpertherapie Wechseljahrsbeschwerden Antiöstrogene Aromatasehemmer GnRH-Analoga Hitzewallungen Trockenheit der Scheide Schlafstörungen Depression Stimmungsschwankg. Sexuelle Inappetenz Karzinome des weiblichen Genitaltrakts •Uterussarkom Zervixkarzinom Therapie In der Regel: Stadium IA1 Stadium IA1 mit RF, IA2 •Ovarialkarzinom Uterussarkom •Endometriumkarzinom •Vaginakarzinom Dauer in der Regel 1 Jahr Stadium IB, IIA, (IIV) Stadium (IIB), III, IVa Konisation, evtl. Hysterektomie Hysterektomie Lymphknotenentfernung Becken Radikale Hysterektomie n. Wertheim ggf. Bestrahlung und Chemotherapie (Radiochemotherapie) Bestrahlung und Chemotherapie (Radiochemotherapie) •Zervixkarzinom •Vulvakarzinom Zervixkarzinom Therapie I Radikale Hysterektomie: Entfernt werden in der Regel: Uterus Parametrien bis Beckenwand Ligamentum Sacrouterina Vaginalmanschette (ca. oberes Drittel) pelvine, ggf. paraaortale LK Adnexektomie bds. (nur bei AdenoCa., postmenopausalen Patientinnen) Zervixkarzinom Therapie II Radiatio Zumeist Kombination aus perkutaner Bestrahlung am Linearbeschleuniger und Brachytherapie im Afterlodingverfahren 5 Zervixkarzinom Therapiefolgen bzw. Komplikationen I OP - Verwachsungen, Vernarbungen, Verkürzung der Vagina - Lymphstau, Beinödeme (je nach LNE) Zervixkarzinom Therapiefolgen bzw. Komplikationen II Radiatio Radiogene Kolpitis Verklebung (Obliteration) der Vagina Zystitische und proktitische Probleme Dünndarmstenosen, Briden, Fibrosen im kleinen Becken Fistelbildungen im Bereich von Blase, Rektum, Dünndarm und Vagina Lymphstau, Beinödeme Störung Vita sexualis Studie Flay u. Matthews (1995): Linderung der Symptome In Follo-up-Studie nach Radiatio wurden von den Patientinnen (n =16)14 Wochen nach der Therapie folgende Ursachen für das Nachlassen von sexuellem Interesse und Aktivität genannt: Verkürzung der Vagina 64 % Dysparaneurie 43 % Mangelnde Lubrikation 43 % Verengung der Vagina 43 % Angst vor einem Rückfall 43 % Vorsichtiger Neuanfang • Wichtige Voraussetzung für eine Wiederaufnahme des Sexuallebens ist, dass das Paar sich traut, es zu versuchen • Dazu gehört: Offenheit Wissen Zärtlichkeit Selbstakzeptanz Zur Prophylaxe einer Obliteration: - Applikation östrogenhaltiger Salben - stundenweise Einlage von mit Panthenolsalbe getränkten Tampons während Bestrahlungstherapie (z.B. über Nacht) - Vaginaldilatatoren ab 6 Wochen nach Beendigung der Therapie Wiederaufnahme sexueller Aktivitäten Plastik von Peter Hoberger, 1982, 6 Verzeichnis der verwendeten Literatur Berg, Lilo, Brustkrebs Wissen gegen Angst Verlag Antje Kunstmann GmbH, München 1995 Vollständig überarbeitete Auflage 2000 Deutsche Krebshilfe .e.V. Brustkrebs, Die blauen Ratgeber, Heft 2, Ausgabe 1/2007 Gebärmutter- und Eierstockkrebs, Die blauen Ratgeber, Heft 3, Ausgabe3/2007 Frauenselbsthilfe nach Krebs Krebs und Sexualität, Informationen für Betroffene und Partner Ein Ratgeber der Frauenselbsthilfe nach Krebs, Mai 2007 Frauenselbsthilfe nach Krebs, Bonn Haake-Theegarten, Manuela Artikel aus dem Heft 1/2006 www.stern.de/wissenschaft/medizin, aufgerufen 31.8.2007 Herbert, Sibylle, Überleben Glücksache Scherz-Verlag, Fischer-Verlag Frankfurt am Main, 2005 Krebsliga Schweiz Broschüre Weibliche Sexualität bei Krebs Krebsliga:: www.swisscancer.ch aufgerufen 20.8.2007 Naurath, E.,: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz …?“ Geschlechtsspezifische Krankenseelsorge WEGE ZUM MENSCHEN, Monatszeitschrift für Seelsorge und Beratung 55. Jahrgang, Heft 6, August / September 2003 Norwegischer Krebsverein „Krebs und Sexualität“ Broschüre, herausgegeben vom Norwegischen Krebsverein, zu beziehen über: NeoCorp AG, Weilheim (D) Ratgeber: Sex? Sprechen Sie darüber Dr: Stefan Zettl, Psychoonkologe an der Universität Heidelberg über denUmgang mit Lust und Liebe nach der Brustkrebs-OP. Artikel aus dem Heft 1/2006 www.stern.de/wissenschaft/medizin, aufgerufen 31.8.2007 ribosepharm GmbH 2007 Patienteniformationen – Patientenjournal online – Überblick: Krebs und Sexualität www.ribosepharm.de/patinfo/links, aufgerufen am 22.9.2007 sanovi aventis Brustkrebs und Sexualität (Broschüre) Sanofi-Aventis Deutschland GmbH,Berlin Sixt, Andrea Noch einmal lieben Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2001 Zettl, Stefan, Krankheit, Sexualität und Pflege Kohlhammer Verlag Stuttgart, 2000 Zettl, Stefan, Joachim Hartlapp Krebs und Sexualität, ein Ratgeber für Krebspatienten und ihre Partner. 2. aktualisierte Auflage Weingärtner Verlag, Berlin 2002 Zettl,Stefan: Veröffentlichungen im Internet, abrufbar unter www.stefan-zettl.de/vortrag.html aufgerufen am 14.9.07 Krebspatientinnen und Sexualität Schweigen ist Gold? Zur vorherrschenden Praxis der Sexualberatung in der Onkologie Ist Krebs eine Botschaft der Liebe? 7