Vorlesung: Einführung in die Politik der Entwicklungen 6. Einheit – Staat I: Staatsbegriffe, Staatstheorien Ilker Ataç 1 Inhalt der Vorlesung 1. Was ist der Staat 2. Definitionen: Allgemeine Staatslehre und Max Weber 3. Staatstheoretische Positionen 1. Einleitung: Was ist der Staat? Alltagsgebrauch • • • • • • Staat als Subjekt Staat als Ding Staat als einheitliches Subjekt? Die Einheitlichkeit als Ding? Soziale Akteure? Exekutive, Judikative, Legislative, Armee, Polizei, Staatsverwaltung, Bildung, Gewerkschaften, Medien, Familie… 1. Einleitung: Was ist der Staat? • • • • Es habe nahezu keinen Zweck gegeben, den ein Staat nicht gelegentlich oder dauerhaft verfolgt hätte (Max Weber) Scheitern des Staates? Wer sind die (principals) Auftragsgeber? Wer sind die Agenten in den Staatsaktivitäten? Principals: Politiker, Verwaltungsbeamte, externe Politikberater, Gewerkschaftler, Medien… 2. Allgemeine Staatslehre • Die Bestimmung des Staates über seine Zwecke (formell-institutionalistische Eigenschaften des Staates): • Der Staat ist eine politisch-rechtliche Ordnung, die eine Personengemeinschaft auf der Grundlage eines Staatsvolkes innerhalb eines räumlich abgegrenzten Gebietes (Staatsgebiet) auf Dauer bindet und einer souveränen Herrschaftsgewalt (Staatsgewalt) unterwirft. 2. Mechanismen der Herrschaft bei Max Weber • • • • Max Weber schlug vor, den Staat über das Mittel zu definieren, das für ihn spezifisch ist. Dieser Auffassung zufolge ist der Staat "diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes [...] das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht". Der Staat ist ein auf Legitimität gestütztes "Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen". „Der moderne Staat ist ein "anstaltsmäßiger Herrschaftsverband" mit rational gesatzter Verfassung, rational gesatztem Recht und einer an rationalen, gesatzten Regeln“ 2. Zentrale Elemente des modernen Staates • Staatsgebiet • Staatsvolk • Staatsgewalt • Rechtsförmige auf der Basis des gesetzten Rechts ausgeübte Gewalt • Staatsapparat (politisch-administrative System) • Gewaltmonopol nach innen • Souveränität nach außen • (Nach Josef Esser) 3. Pluralismus • 50er Jahre: US-amerikanische Sozialw. • Staat als Regierung • Politikverständnis war pluralismustheoretisch begründet • Der Staat als neutrale Instanz der Konfliktregelung • PW als handlungs- und akteurszentriert • public opinion, public policy, public choice 3. „Bringing the state back in“-Debatte • • • • • • • Gegen den behavioralistischen mainstream sowie neo-marxistische Kritik: US-amerikanische Sozialw. Staat als Akteur und als unabhängige Kraft Handlungsautonomie Fähigkeit von staatlichen Akteuren die Macht unabhängig und autonom von gesellschaftlichen Akteuren zu führen Steuerungskapazitäten der Politik und des politisch-administrativen Systems Binnenstrukturen des Staates sowie Rolle des Staates in der Gesellschaft „State-centred“ Erklärungen von politischen outcomes. 3. Staat und Zivilgesellschaft • • • • Zivilgesellschaft ist eng mit dem Begriff „Öffentlichkeit“ verbunden, verstanden als gesellschaftlicher Raum zwischen Macht – Staat – Familie (Habermas). normatives Konzept: „Demokratisierung von Demokratie“ NGOs, Medien und Soziale Bewegungen Zivilgesellschaft als politische Opposition, als außerparlamentarische Bewegung. 3. Allgemeine Fragen der kritischen Ansätze • • • • • • • Wie übt der moderne Staat Herrschaft aus? Ist Demokratie in der Lage, den staatlichen Herrschaftsanspruch zu begrenzen? Inwiefern existieren Räume für ein selbstbestimmtes Leben? Der Keynesianische Wohlfahrtsstaat schuf Institutionen des sozialen Ausgleichs und Teilhabe am sozialen Wohlstand Der partizipatorische Anspruch der neuen sozialen Bewegungen trug zur Demokratisierung von Gesellschaft und Staat bei. Konzept des „citizenship“ Hegemonie – Staat – Zivilgesellschaft 3. Antonio Gramsci • • • • Staat im integralen Verständnis von Gramsci umfasst die politische Gesellschaft plus die Zivilgesellschaft. integraler Staat: Verbindungen zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Wie bringt die Zivilgesellschaft selbst staatliche Herrschaft hervor? Die Zivilgesellschaft ist in diesem Konzept der Ort der Vorbereitung und Legitimierung von staatlicher Herrschaft. Konzept der Hegemonie: Staatliche Hegemonie ist die Fähigkeit, die Sichtweise der herrschenden Klasse zum Allgemeingut, zum „common sense“ zu machen und damit zu normalisieren. 3. Bob Jessop – strategische Selektivität • • • • Stattapparat hat eigene Ressourcen (relative Autonomie), aber ist auch angewiesen an die Ressourcen außerhalb Staatsstrukturen => politische Kräfte bezüglich Zugriff zu staatlicher Kapazitäten Die Realisierung dieser Kapazitäten hängt von strukturellem Verhältnis zwischen dem Staat und dem politischen System und strukturellen Interdependenzen ab. Strukturelle Macht des Staates: Nicht nur der juridisch-politische Apparat, sondern Kapazitäten und Kräfte 3. Feministische Ansätze • • • • • • Geschlecht als soziales Verhältnis – Staat in einer patriarchalen Gesellschaft (Instrumentalismus) „Geschlecht“ als eine die Gesellschaft und den Staat strukturierende Kategorie (MacKinnon) Maskulinusmis als „Standardform“ des Politischen und den Staat als historisch sedimentierte Staatlichkeit Zusammenhang zw. gesellschaftlichen Herrschaftsformen und staatlichen Strukturen Herrschaft als Ergebnis der Pluralität von sozialen Differenzen und Konflikten Nicht-essentialistischer Begriff von Geschlecht Diskussion