The good, the bad and the ugly

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# 2000/39 Dossier
https://www.jungle.world/artikel/2000/39/good-bad-and-ugly
Bürger, reih' dich ein
The good, the bad and the ugly
Von roland atzmüller
Normativ-moralisch, kritisch-materialistisch oder ganz anders? Zur
Zivilgesellschafts-Diskussion in Österreich.
I.
Als vor einigen Wochen die so genannten Drei Weisen der EU Österreich besuchten, um
die Aktivitäten der Regierung zu untersuchen und das Wesen der FPÖ zu ergründen,
wurde mit Nachdruck, zu diesem Zeitpunkt aber vergeblich, von der liberalen
Öffentlichkeit gefordert, die Weisen mögen sich doch auch mit VertreterInnen der
Zivilgesellschaft treffen.
Damit war aber offensichtlich nicht gemeint, dass die Experten der EU an der
wöchentlichen Donnerstags-Demo oder vielleicht an der nächsten, für Herbst geplanten
Großkundgebung teilnehmen sollten. Damit war noch weniger gemeint, dass es den
DemonstrantInnen zu gestatten sei, zum Hotel, in dem die Weisen untergebracht waren,
vorzudringen. Im Gegenteil wurden sie von einem massiven, wenn auch relativ
zurückhaltenden Polizeiaufgebot daran gehindert, den EU-ExpertInnen ihre Meinung zur
neuen Regierung und zum Wesen der FPÖ kundzutun.
Auch die liberale Öffentlichkeit war wohl der Meinung, dass die Drei Weisen vor zuviel
Zivilgesellschaft zu schützen seien. Gestört hat das wie immer nur die üblichen
Verdächtigen, die »radikalen und gewaltbereiten Extremisten«, die sich ja angeblich
zunehmend - sicher aus dem Ausland kommend, mit Fahrrädern und Kinderwagen - unter
die DemonstrantInnen mischen. VertreterInnen der Zivilgesellschaft wurden vor der
Fertigstellung des Berichts der Weisen schließlich doch noch angehört, mussten zu
diesem Zweck aber nach Heidelberg reisen. Gegen die prinzipiell positive Beurteilung der
neuen Regierung konnten sie, anscheinend mit Ausnahme der im Bericht geäußerten
Kritik an Justizminister Dieter Böhmdorfer und dessen Klagen gegen FPÖ-kritische
Intellektuelle, wenig ausrichten.
Um den Begriff der Zivilgesellschaft fokussieren und polarisieren sich wichtige inhaltliche
und strategische Fragen und Deutungskämpfe zur außerparlamentarische Opposition
gegen die FPÖVP-Regierung. Das Ziel ist es, gewisse Absichten und Praxisformen, gewisse
Identitäten und soziale Verortungen vorzugeben oder sie abzuwehren. Im Diskurs um
Widerstand und Zivilgesellschaft, in den unterschiedlichen theoretischen Bezügen, die
dabei hergestellt werden, konzentrieren sich daher strategische Fragen der
außerparlamentarischen Opposition gegen Blau-Schwarz.
Wegen der Vielstimmigkeit der verwendeten Konzeptionen, also weil immer mehr
Personen und Gruppen sich darauf bezögen, sieht etwa Oliver Marchart im
Zivilgesellschaftsbegriff einen neutralen oder inhaltsleeren Signifikanten (Marchart 2000,
18). Daher sei die dominante Verwendung des Zivilgesellschaftsbegriffs in der »medialen
Öffentlichkeit« als Deutungsgewinn zu sehen. Zivilgesellschaft »wird (...) als Kampfbegriff,
als Slogan eingesetzt, mit dem immer gerade die ðfreieÐ, d.h. parteiungebundene
Opposition zur Regierung bezeichnet werden soll« (ebda., 17). Kurz, er bezeichnet als
»politischen Kampfbegriff« »alles, was der Regierung entgegensteht und durch sie negiert
wird« (ebda., 18).
Dieses vorgeblich neutrale Verständnis der Zivilgesellschaft unterliegt einer in letzter
Konsequenz instrumentellen Konzeption politischer Begrifflichkeit. Der Begriff der
Zivilgesellschaft wird nicht etwa wegen seinen kritischen oder rationalen Gehalts, sondern
weil sich eine Kette politischer Positionen, Gruppen und Forderungen damit verbindet und v.a. verbinden soll. Kriterium für die Relevanz des Begriffs wird der Deutungserfolg in
der medialen Öffentlichkeit, welche von den Intellektuellen der Bewegung mit größerem
normativen und demokratiepolitischen Potenzial zu füllen sei (ebda).
Zivilgesellschaft erscheint als eine Deutung des Widerstandes, die von einigen »großen«
Intellektuellen und Organisationen der so genannten freien Opposition aufbereitet und
von der medialen Öffentlichkeit (und den Grünen) gern aufgenommen wurde. Gerade in
den kritischen Positionen wird hingegen diese Definitionsmacht angezweifelt und es wird
gegen Medien und öffentliche Redner um eine eigenständige Sprechposition gestritten.
Die vielfältigen Initiativen und deren AktivistInnen sehen sich gerade auch in ihren
Auftritten im Internet, in Printmedien oder auf Kulturveranstaltungen aller Art als
Widerstand oder Résistance, wie diffus und unklar diese Begriffe im Einzelnen auch immer
verwendet werden. Wenn überhaupt von einem Bedeutungsgewinn gesprochen werden
kann, dann gilt er für den Widerstandsbegriff, auf den sich in Österreich wohl noch nie so
viele positiv bezogen haben.
Ein näherer Blick auf verschiedene theoretische Positionen zum Zivilgesellschaftsbegriff
und ihre strategischen Implikationen für den Widerstand gegen Blau-Schwarz erscheint
somit notwendig. Grob gesprochen stehen sich zwei Konzeptionen gegenüber: eine
normativ-moralische, die sich an modernen Demokratie-Theorien orientiert, und eine
kritisch-materialistische, die sich auf Antonio Gramsci beruft. Insbesondere in der Kunstund Kulturszene, um die sich große Teile des Widerstandes organisieren, zeigt sich
außerdem der Einfluss der postmarxistischen Konzeptionen von Ernesto Laclau und
Chantal Mouffe (vgl. Laclau/Mouffe 1991; Laclau 1990). Ihr Theorieprojekt wird dazu
verwendet, sich mit den normativ-moralischen Fassungen des Zivilgesellschaftskonzept
als offensives Projekt so genannter radikaler Demokratie zu verknüpfen.
II.
Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (1991) beabsichtigen eine Radikalisierung des
Hegemoniebegriffs, um für die Linke die Möglichkeit neuer Strategien zu eröffnen. Dazu
wollen sie neue soziale Bewegungen und pluralisierte Lebensstile durch eine adäquate
Theoretisierung des Gesellschaftlichen in ein Projekt radikal-demokratischer linker Politik
einbetten. Insbesondere Ernesto Laclau führte damit eine Argumentation an ihr logisches
Ende, die sich bereits in seinen ideologie-theoretischen und politisch-strategischen
Arbeiten der siebziger Jahre abzeichnete (vgl. ebda. 1981). Darin wandte er sich gegen
klassen-reduktionistische Konzeptionen von Ideologien, die ökonomisch definierten
Gruppen bestimmte Bewusstseinsformen und Interessen zuschrieben. Dies war nicht nur
problematisch, weil das Proletariat sich nur selten nach seinen vorgeblich objektiven
Interessen verhielt, sondern weil sich darin auch ein strategisches Hindernis für
eurokommunistische Parteien auftat, die neuen Mittelschichten einzuschätzen und für
eine sozialistische Transformation zu gewinnen (vgl. Meiksins-Wood 1986).
Daher entwickelte er ein Konzept »popular-demokratischer« Ideologien, die quer zu den
sozialen Klassen - und wie zu ergänzen wäre: rassistischen und patriarchalen
Verhältnissen - liegen und Individuen eher als »Volk« (im Gegensatz zum Machtblock)
ansprechen würden. Da diese Ideologien kein wie auch immer vermitteltes Verhältnis zu
grundlegenden gesellschaftlichen Verhältnissen hätten, seien sie autonom und
unabhängig. Sie könnten daher aus hegemonialen Artikulationen gelöst und für ein
emanzipatorisches Projekt verwendet werden. Dadurch würden sie abstrahiert, ihrer
besonderen gesellschaftlichen und historischen Inhalte entleert und zu Propositionen
universeller Ausrichtung (vgl. Meiksins-Wood 1986, 51) gemacht. Dies führte die
Möglichkeit neutraler gesellschaftlicher Phänomene in die marxistischen Diskussionen, die
etwa in den Diskussionen zum Staat kritisiert worden war, wieder ein.
Diese Überlegungen erweiterten den Raum für ideologische Auseinandersetzungen
immens. Jedoch blieb die Bedeutung sozialer Widersprüche jenseits der Sphäre des
Diskursiven und damit die Frage nach dem Bewusstsein und der Organisation etwa der
ArbeiterInnenklasse, so denn diese klar zu identifizieren ist, für emanzipatorische Politik
noch unangetastet. Mitte der achtziger Jahre führten Laclau und Mouffe diese
Überlegungen zu ihrem logischen Ende. Fokus dieses theoretischen Konzepts wurde eine
Radikalisierung des Hegemoniebegriffs von Antonio Gramsci, die vor allem darin bestand,
ihn aus seinem Verhältnis zur Organisation der gesellschaftlichen Arbeit zu lösen und zu
einer allgemeinen Erscheinung von Gesellschaftlichkeit zu machen.
Hegemonie ist für sie »ganz einfach ein politischer Typus von Beziehung, eine Form (...)
von Politik« (ebda. 1991, 198). Essenzialistische Konzeptionen von Gesellschaft, wie sie
etwa dem Marxismus oder dem Feminismus zu Eigen seien, werden zurückgewiesen.
Denn sie versuchten, die Kritik und Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse einem
totalisierenden Verständnis von Gesellschaftlichkeit zu unterwerfen, weil sie diese aus
einem vereinheitlichenden Prinzip (Logik des Kapitals, Klassenkampf, Patriarchat ...)
begründen.
Dagegen betonen Laclau und Mouffe den konstitutiv offenen und vorübergehenden
Charakter des Gesellschaftlichen. Es bestehe aus frei fließenden Elementen, die erst in
der stets vorläufigen und unvollständigen Artikulation - also Verknüpfung - zu
bedeutungsvollen Momenten von Diskursen werden können. Keinem Moment eines
Diskurses kommt daher eine essenzialistische Bedeutung jenseits seiner kontingenten
Verknüpfung mit anderen zu. Damit soll sich ein weites Feld der politischen
Auseinandersetzungen um die jenseits ihrer Einbettung unbestimmten sozialen Elemente
eröffnen.
Hegemonie ist daher jenes politische Prinzip, das wirksam werden kann, wenn der
unvollständige und offene Charakter des Gesellschaftlichen als grundlegend angesehen
wird und dieses als ein von Antagonismen durchzogenes Feld gegeben ist. Hegemoniale
Praxen entstehen für Laclau/Mouffe in der antagonistischen Artikulation einander
gleichzeitig bedingender wie ausschließender Prozesse. »Die beiden Bedingungen einer
hegemonialen Artikulation sind also einmal die Präsenz antagonistischer Kräfte und zum
zweiten die Instabilität der sie trennenden Grenzen. Nur die Präsenz eines weiten
Bereichs flottierender Elemente und die Möglichkeit ihrer Artikulation zu
entgegengesetzten Lagern - was eine beständige Neudefinition der letzteren impliziert konstitutiert das Terrain, das uns erlaubt, eine Praxis als hegemonial zu definieren.«
(Laclau / Mouffe 1991, 194)
Ihre Position in »Hegemonie und radikale Demokratie« ist nicht eindeutig, da mitunter
diese Fassung des Sozialen als Eigenschaft der bürgerlichen Gesellschaft im Allgemeinen
oder ihrer Krisen im Besonderen erscheint. Laclau/Mouffe müssen jedoch ihr Verständnis
des Gesellschaftlichen, auf dem ihr Hegemoniebegriff beruht, überhistorisch
verallgemeinern, um die Dekonstruktion totalisierender Positionen des Gesellschaftlichen
begründen zu können. Würden sie ihr Verständnis des Gesellschaftlichen etwa auf die
bürgerliche Gesellschaft beschränken oder als Ergebnis evolutionärer Prozesse darstellen,
wären sie im historischen Sinne höchst spezifisch und voraussetzungsvoll. Das würde die
Frage aufwerfen, womit die grundlegende Offenheit und Unvollständigkeit, die
Multiplizierung des flottierenden Systems von Identitäten des Gesellschaftlichen
zusammenhängt.
Dieser Frage wollen Laclau/Mouffe aber nicht nachgehen, da sie durch die Pluralisierung
des Sozialen die Unmöglichkeit einer totalisierenden und privilegierten Position einer
Gruppe und eines gesellschaftlichen Widerspruchs begründen wollen. Emanzipatorische
Kämpfe sollen daher nicht ihre Problemlagen in grundlegenden sozialen
Herrschaftsverhältnissen, sondern in der Artikulation bestimmter Diskurse in einer
prizipiell offenen Gesellschaftlichkeit finden.
Da der Relativismus dieser Argumentation Gefahr läuft, emanzipatorische Projekte
kollabieren zu lassen, wird die Rekonstruktion einer Linken im
Begründungszusammenhang der bürgerlichen »demokratischen Revolution« verortet,
durch deren stets überschießendes Moment gesellschaftliche Antagonismen erst als
Unterdrückung erkennbar würden. Laclau/Mouffe empfehlen der Linken ein Konzept
radikaler Demokratie, das darauf zielt, die liberal-demokratische Ideologie auszuweiten
und zu vertiefen (vgl. ebda., 240). Sie wollen ganz sozialdemokratisch mehr Demokratie
wagen, blenden aber die Frage aus, inwieweit dies einen qualitativen Bruch mit
dominanten Vergesellschaftungsmustern bürgerlicher Gesellschaften bedeuten würde. Da
ein Zusammenhang zwischen emanzipatorischen Bewegungen und sozialen Verhältnissen
abgelehnt wird, bleibt unklar, warum das Interesse an »radikaler Demokratie« entstehen
könnte. Die postmarxistische Konzeption erscheint somit als voluntaristisch. Da auch
nicht klar ist, ob die behauptete Offenheit des Sozialen einen Ist- oder einen Sollzustand
beschreibt, ist sie auch als normativ einzuschätzen. Es ist daher offensichtlich, weshalb
der Brückenschlag zu normativ-moralischen Zivilgesellschafts-Diskussionen so leicht
gelingt.
III.
Der normativ-moralische Zivilgesellschafts-Diskurs gewann insbesondere in den achtziger
Jahren an Aktualität. Er speist sich aus mehreren theoretischen wie politisch-praktischen
Bezügen. Im deutschsprachigen Raum muss besonders auf Jürgen Habermas und die
demokratie-theoretischen Arbeiten des Frankfurter Institutes für Sozialforschung (vgl.
Rödel et al. 1989; kritisch Demirovic 1997) verwiesen werden. Zu nennen sind aber auch
die im angelsächsischen Raum bedeutsamen kommunitaristischen Diskurse, die auf eine
Kritik des radikal-individualistischen Liberalismus und der Herrschaft des ungezügelten
Marktes abzielen. Dem stellen sie eine Rekonstitution des sozialen Gemeinsinns und eine
moralische Erneuerung auf der Basis von Familie, Gemeinschaft und solidarischen
Bindungen entgegen (vgl. Hirsch 1995).
Auf der politisch-praktischen Ebene ist auf das Selbstverständnis von und die theoretische
Auseinandersetzung mit den osteuropäischen DissidentInnenbewegungen und den zivilen
demokratischen Bewegungen in den lateinamerikanischen Militärdiktaturen zu verweisen
(vgl. Habermas 1992). In der links-liberalen Demokratie-Debatte erscheinen auch die
Neuen Sozialen Bewegungen als westeuropäische Ausdrucksform der Zivilgesellschaft
(vgl. Rödel et al. 1989). Die normativ-moralischen Diskurse definieren sich daher explizit
als eine Selbstkritik der Linken. Sie habe ihre Lektion gelernt und sich von totalisierenden
Gesellschaftkonzeptionen und der damit verbundenen Bedrohung bürgerlicher Freiheiten
und gesellschaftlicher Pluralität abgewendet.
Im normativ-moralischen Verständnis wird mit der Zivilgesellschaft auf alle Institutionen
und Assoziationen jenseits des Staates und der traditionellen, bürokratischen
Organisationen politischer Willensbildung und Entscheidungsfindung (Parteien, Verbände
...) verwiesen - auch wenn die Zuordnungen dabei mitunter verschwimmen. »Die
Zivilgesellschaft setzt sich aus jenen mehr oder weniger spontan entstandenen
Vereinigungen, Organisationen und Bewegungen zusammen, welche die Resonanz, die
die gesellschaftlichen Problemlagen in den privaten Lebensbereichen finden, aufnehmen,
kondensieren und lautverstärkend in die politische Öffentlichkeit weiterleiten.«
(Habermas 1992, 443)
Dadurch erweitern sie den Raum des Demokratischen und schaffen indirekt
problemlösende Kompetenzen zur Steigerung gesellschaftlicher Rationalität.
Zivilgesellschaftliche AkteurInnen nutzen diesen Raum nicht nur offensiv, um Einfluss,
etwa im parlamentarischen System, zu gewinnen. Sondern sie sind auch - defensiv daran interessiert, Strukturen der Öffentlichkeit zu rekonstituieren und zu erhalten, also
subkulturelle Gegenöffentlichkeiten und Gegen-Institutionen zu erzeugen und neue
kollektive Identitäten zu festigen (ebda., 448). »In normativen Theorien der Öffentlichkeit
und Zivilgesellschaft stellt Öffentlichkeit gegenüber einer Gesellschaft, die strukturell als
irrational gedacht ist, eine kommunikative Macht dar, insofern der öffentlich-
kommunikative Gebrauch der Vernunft die Kommunikationsbeteiligten durch rationale
Argumente bindet. (...) Die aktive Inanspruchnahme der Norm der öffentlichen
Kommunikation (führt) zu einer zunehmenden Öffnung des öffentlichen Raumes.«
(Demirovic 1997, 169)
All das soll zur Reformulierung eines Programms radikaler Demokratie beitragen und den
Spielraum für die dynamische Erweiterung bestehender Rechte vergrößern. In dieser
Öffentlichkeit artikulieren sich soziale Bewegungen, die durch ihre Protestformen die
Teilnahme an den öffentlichen Auseinandersetzungen erzwingen (können) und so zuvor
als naturhaft oder privat erscheinende soziale Verhältnisse diskursivieren. Manche
Zivilgesellschaftstheoretiker binden auch außerlegale - aber nicht gewaltförmige Protestformen des zivilen Ungehorsams in die Überlegungen zur Konstitution einer
kritischen Öffentlichkeit ein. Dies »zielt darauf ab, dem Dissens und den Dissidenten im
Rahmen der Verfassung Anerkennung zu verschaffen.« (Rödel et al. 1989, 73)
Die Konflikte sind nie abgeschlossen und stoßen gerade auch im öffentlichen Raum
permanent auf Widerstand - also auf Kräfte, die an einer Diskursivierung privater
Verhältnisse kein Interesse haben. Im öffentlichen Raum prozediert daher permanent die
Auseinandersetzung um die »demokratische Revolution« (vgl. Rödel et al. 1989). Mehr
noch, Konflikte werden zum Dreh- und Angelpunkt der Vergesellschaftung. Erst über
Konflikte kann soziale Integration und Kohäsion hergestellt werden, weil in ihnen erst den
Individuen die Frage nach der »Ordnung des Gemeinwesens« bewusst wird und sie
dadurch ihre »zivilisatorische Wirkung« entfalten können. »Am Beispiel des
Klassenantagonismus zwischen Lohnarbeitern und Produktionsmitteleignern lässt sich
zeigen, wie selbst dieser Extremfall eines sozialen Konflikts die Erfahrung der
Zugehörigkeit zu derselben Gesellschaft vermitteln kann, wenn er offen ausgetragen wird
und sich die Kontrahenten so in ihrer Ähnlichkeit erkennen und anerkennen können.«
(ebda., 110)
Ziel dieser Konzeptionen ist eine »inklusive Demokratie«, in der etwa auch Antirassismus
als notwendige zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung um die Zugehörigkeit zur
jeweiligen Gesellschaft erscheint. Diese Argumentation kann aber die Überwindung des
Rassismus nicht mehr denken. Die KonfliktgegnerInnen dürfen nicht zum exterritorialen
Feind abgestempelt werden, trotzdem könne nicht jede/r nach Beliebem seine/ihre
politischen Ziele verfolgen, da auch in der »demokratischen Republik die Freiheit nicht
grenzenlos sei« (ebda., 177). Diese Grenzen aber ergäben sich aus der wechselseitigen
Anerkennung und Verpflichtung der BürgerInnen. Für alles könne daher öffentlich
demonstriert werden, solange die Durchsetzung nicht gewaltsam erfolge.
Da die Grenzen aber trotzdem nicht vorab bestimmbar sind und nicht dem Staat
überlassen werden sollen, wird ein »öffentliches Monopol« gefordert, »das zur Sicherung
öffentlicher Freiheit in der Zivilgesellschaft alle Formen der Gewaltsamkeit externalisiert«
(ebda., 180). Letztlich ist dieses Konstrukt und die Uneindeutigkeit des Gewaltbegriffs
aber keine Antwort, wie mit dem »öffentlichen Monopol« etwa gegen Nazi-Aufmärsche
vorgegangen werden könnte, bzw. welche Instanz mit welchen Mitteln die »öffentliche
Freiheit« gegen die Besetzung des öffentlichen Raumes durch faschistische
Organisationen aufrechterhalten solle.
Die Problematik dieser Argumentationen liegt aber noch tiefer. Wenn nämlich dem
Konflikt eine zivilisatorische Wirkung zukommt, da sich nur so die Anerkennung der
Gleichheit aller entfaltet, könnten etwa die Überfremdungsplakate der FPÖ im Wahlkampf
1999 als Förderung der sozialen Integration und Kohäsion verstanden werden. Außerdem
stellt sich die Frage, warum es zur normativen Bestimmung der Zivilgesellschaft
ausreicht, dass sich bestimmte Gruppen (Frauen, MigrantInnen, Schwule und Lesben,
ArbeiterInnen ...) gegen Unterdrückungsverhältnisse organisieren können. Gleichzeitig
wird ausgeblendet, dass sie dies auch tun müssen, um gesellschaftliche Anerkennung und
Gleichheit zu erlangen, wenn doch ihre Kritik auf die dauernde Überwindung von
Herrschaftsverhältnissen und damit des Grundes ihrer Organisierung abzielt (vgl.
Demirovic 1997).
Im normativen Verständnis werden auf diese Weise Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit
zum heimlichen Souverän der Gesellschaft, an den nicht-entscheidbare, konflikthafte
Fragen delegiert werden. Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit, sowie die sie
konstituierenden Organisationen und Praxisformen selbst, brauchen dann in ihrem
Verhältnis zur Gesellschaft nicht mehr analysiert oder selbst zum Gegenstand der Kritik
gemacht zu werden.
IV.
Der Zurückweisung des normativen Zivilgesellschaftsbegriffs zur Definition und
strategischen Ausrichtung des Widerstandes liegen zwei fundamentale Problemstellungen
zu Grunde. Diese werden gerade durch die theoretische Fundierung, welche
ZivilgesellschaftstheoretikerInnen diesem Begriff geben, sichtbar. Dies führt zum einen
dazu, dass die Verbindung von politischen und ideologischen Prozessen in der
Zivilgesellschaft und die gesellschaftliche Organisation von Arbeit, Reproduktion und
Subjektivität und deren Veränderungen (Prekarisierung und Feminisierung der Lohnarbeit,
Migration etc.) ausgeblendet wird. Auch die soziale Position der Zivilgesellschaft und ihrer
AktivistInnen in eben diesen Verhältnissen bleibt somit tendenziell unterbelichtet. Die
AktivistInnen können dadurch ihre Praxis verallgemeinern und interesselos erscheinen
lassen und daher auf nicht weniger als einen neuen gesellschaftlichen Konsens und das
Allgemeinwohl, also auf moralische, intellektuelle und politische Führung, abzielen.
Die kritisch-materialistische, an Gramsci orientierte Konzeption des
Zivilgesellschaftsbegriffs könnte demgegenüber diese beiden Problemstellungen in den
Blick rücken. Sie könnte zum einen zeigen, wie es der FPÖ auf dem zivilgesellschaftlichen
Terrain gelungen ist, auf die sozio-ökonomischen Veränderungen zu reagieren und die
dominanten Ideologien der Zweiten Republik zu desartikulieren und in ein neues
politisches Projekt auf rassistischer Basis zu verwandeln. Dadurch würden aber die
alltäglichen Lebensverhältnisse der Menschen, welche zum Angriffspunkt der autoritären
Regierung werden, als Feld der politischen Auseinandersetzung sichtbar. So könnte eine
mögliche Isolation des Widerstandes vermieden werden. Zum anderen aber könnte die in
den postmarxistischen / diskursanalytischen Konzeptionen vorhandene Tendenz, die
Intellektuellen zum Subjekt der politischen Prozesse zu machen, einer Kritik unterzogen
werden (vgl. Meiksins-Wood 1986).
Gerade wegen der immer wieder vorgebrachten Hinweise, dass auch in der
Widerstandsbewegung bestimmte Gruppen wie Frauen oder MigrantInnen marginalisiert
werden, die normative Zivilgesellschaft also ausschließende Effekte zeitigt, könnte sich
die politische Relevanz eines kritischen Verständnisses von Zivilgesellschaft entfalten.
Dieses könnte dazu beitragen, derartige »Dysfunktionalitäten« nicht einfach der weiteren
Gesellschaft zuzuordnen, sondern sie als immanentes Problem des zivilgesellschaftlichen
Feldes, auf dem auch der Widerstand operiert, zu kennzeichnen.
Bei Gramsci und den sich an ihm orientierenden Auseinandersetzungen im westlichen
Marxismus (vgl. Hall 1989) steht die Frage im Mittelpunkt, wie es in der modernen
bürgerlichen Gesellschaft gelingt, den spontanen und freiwilligen Konsens der
subalternen Gruppen zur Aufrechterhaltung und Reproduktion der Herrschaftsverhältnisse
zu erreichen. Gramsci sah sich mit dieser Frage nach 1918 konfrontiert, als im Westen die
revolutionären ArbeiterInnenbewegungen eine Niederlage erlitten hatten, in der Folge
dem Faschismus wenig entgegensetzen konnten, als auch ihre AktivistInnen und
Organisationen physisch fast zerstört wurden.
Zu dieser Niederlage war es gekommen, obwohl mit den antimonarchischen Revolutionen
nach dem Ersten Weltkrieg in zahlreichen europäischen Staaten auch ein Kollaps der
Staatsapparate im engeren Sinne einhergegangen war. Während in Russland eine
Revolution mit sozialistischem Anspruch erfolgreich war, konnten sich die Systeme im
Westen ziemlich rasch reorganisieren. »Im Osten war der Staat alles, die Zivilgesellschaft
war in ihren Anfängen und gallertenhaft. Im Westen bestand zwischen Staat und
Zivilgesellschaft ein richtiges Verhältnis, und beim Wanken des Staates gewahrte man
sogleich eine robuste Struktur der Zivilgesellschaft. Der Staat war nur ein vorgeschobener
Schützengraben, hinter welchem sich eine robuste Kette von Festungen und Kasematten
befand.« (Gramsci 1991ff., 874)
Zivilgesellschaft beschreibt hier ein Geflecht von im engeren Sinne nicht-staatlichen
Organisationen und Institutionen wie Zeitungen, Kirchen, Universitäten, privaten Vereinen
und Assoziationen sowie Parteien. Damit hat sich die Reproduktion der
Herrschaftsverhältnisse erweitert. Der politischen Gesellschaft, also dem Staat im
engeren Sinne, ist eine zivile Gesellschaft (società civile) an die Seite getreten, in der die
Herrschaft der dominanten Gruppen durch Hegemonie abgesichert wird. Der Kampf um
Hegemonie ist der Kampf um die spontane und freiwillige Zustimmung der subalternen
Gruppen und die Erzeugung der damit verbunden Machtblöcke und Kompromisse. In
diesem Kampf geht es um die Konstitution politischer, intellektueller und moralischer
Führung (vgl. Jessop 1990).
Nach diesem Verständnis kann also Herrschaft im Kapitalismus nicht auf die repressive
Funktion des Staates reduziert werden, vielmehr muss das Verhältnis von Staat und
Zivilgesellschaft als Hegemonie (wenn auch gepanzert mit Zwang) verstanden werden.
»Die historische Vereinigung der führenden Klassen geschieht im Staat (...). Diese Einheit
muss konkret sein, also das Ergebnis der Beziehungen zwischen Staat und
ðZivilgesellschaftЫ (Gramsci 1991ff., 410). Für Gramsci erforderte diese Analyse eine
Adaptation der Strategien revolutionärer Bewegungen, die sich nicht mehr als Sturm auf
das Winterpalais, als Angriffskrieg auf den Staat im engeren Sinne verstehen können.
Vielmehr wird es notwendig, sich auf lange politische und ideologische
Auseinandersetzungen um und gegen die Hegemonie im erweiterten Geflecht von Staat
und Zivilgesellschaft einzustellen.
V.
Hier wird nun sichtbar, was in der österreichischen Diskussion konsequent ausgeblendet
wird, nämlich die Frage, wer verknüpft und erzeugt Diskurse in den Hegemoniekämpfen.
Bei Gramsci ist dies wesentlich das Feld, auf dem Intellektuelle ihre gesellschaftliche
Funktion ausüben. Diese müssen daher in ihrer gesellschaftlichen Position analysiert
werden. Der Bezug auf den gramscianischen Intellektuellenbegriff erfordert außerdem
eine Rückbindung der Argumentationen auf die Organisation der gesellschaftlichen
Arbeitsteilungen aus kapitalismus-, patriarchatskritischer und antirassistischer
Perspektive, da sie den jeweiligen Gruppen in diesen Verhältnissen Homogenität und
Bewusstheit ihrer Position geben.
Insofern die Zivilgesellschaft in Österreich auf einen neuen Konsens und neue Werte
abzielt, versucht sie eben die gramscianische Intellektuellen-Funktion einzunehmen. »Die
Intellektuellen haben eine Funktion bei der ðHegemonieÐ, welche die herrschende
Gruppe in der ganzen Gesellschaft ausübt, und bei der Herrschaft über sie, die sich im
Staat verkörpert, und diese Funktion ist eben ðorganisierendÐ oder verbindend: Die
Intellektuellen haben die Funktion, die gesellschaftliche Hegemonie einer Gruppe und ihre
staatliche Herrschaft zu organisieren (...).« (ebda., 515).
In diesem Verständnis definieren sich Intellektuelle nicht nach dem Kern ihrer Tätigkeit,
also etwa Bücher zu lesen, Texte zu schreiben oder Symbol-Analytiker zu sein. Sie sind
»vielmehr im System der Verhältnisse, in dem sie (oder die Gruppierung, die sie
verkörpert) sich im Gesamtkomplex der gesellschaftlichen Verhältnisse wiederfindet«
(ebda.) zu suchen. Gramsci verbindet die Funktion der Intellektuellen explizit mit der
Form der Arbeitsteilung im Kapitalismus.
Diese besteht in der Spaltung von ausführenden und planenden oder intellektuellen
Tätigkeiten in der Produktion, die ebenfalls als eine Form der Interpretation und
verbindlichen Organisation der Realität erscheint. Techniker, aber auch die Unternehmer
selbst, sind für Gramsci Intellektuelle der bürgerlichen Gesellschaft, die sich aus ihrer
Position in den gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt.
Da diese aber als widerspüchlich und konflikthaft aufgefasst werden, ist die Frage der
Reproduktion der gesellschaftlichen Arbeitsverhältnisse im Produktionsprozess, nach der
Kohäsion des Gesellschaftlichen, eben nicht auf der Ebene der Produktion zu lösen,
sondern verlagert sich in die Ebene der Zivilgesellschaft und den Staat. Da aber die
gesellschaftlichen Interaktionen und Verkehrsformen (Produktion, Sexualität, Familie)
wesentlich Inhalt und Problem der Kämpfe um Hegemonie sind, bleiben die Intellektuellen
an die Fragen der gesellschaftlichen Arbeitsteilungen rückgebunden.
Dies wird aber im postmarxistischen Diskurs zur Zivilgesellschaft weitgehend ignoriert. Es
kann daher kein Bewusstsein der Widersprüche (ebda., 1 474) entwickelt werden, in
denen der Theoretisierende sich selbst »als individuelle oder als ganze gesellschaftliche
Gruppe genommen (...), als Element des Widerspruches setzt, dieses Element zum Prinzip
der Erkenntnis und folglich des Handelns erhebt.« (ebda., 1474) Daher wollen die
(Zivilgesellschafts-)Intellektuellen in Österreich, wie auch manche Teile der
außerparlamentarischen Opposition wenig von ihrer Position in den gesellschaftlichen
Arbeitsteilungen rassistischer, sexistischer oder klassenspezifischer Natur - also jenseits
der Ebenen der Öffentlichkeit, des Allgemeinwohls und der Politik - wissen.
Sichtbar wurde dies in der vom Philosophen Konrad Paul Liessmann im Standard unter
dem Titel »Die Intellektuellen und ihr Volk« vom Zaun gebrochenen Debatte über den
Erfolg Jörg Haiders und dem Versagen der kritischen Intellektuellen (Der Standard, 30.
Oktober 1999). In dieser Debatte hielt Liessmann den »kritischen Intellektuellen« vor, sich
vor dem »Volk zu ekeln« und es mit ihrer moralisierenden und alarmistischen Kritik zu
traktieren, anstatt auf die »objektiven Grundlagen« (die er etwa im »Asylmissbrauch«
verortete) der rassistischen Mobilisierung einzugehen.
Diese bewusst mit neu-rechten Ideologemen spielende Provokation Liessmanns zog
natürlich eine Reihe von kritischen Antworten nach sich. Diese beschränkten sich aber vor
allem auf die Zurückweisung der Anmaßungen Liessmanns aus ideologiekritischer
Perspektive und der Verteidigung einer kritisch moralischen Position in der
Auseinandersetzung mit der FPÖ und dem Rassismus. Letztlich wurde aber das von
Liessmann eröffnete Terrain, die Frage nach dem Verhältnis von »kritischen
Intellektuellen und Volk«, nicht verlassen und als Feld der Auseinandersetzung akzeptiert.
Anstatt also die Gegenüberstellung von »Intellektuellen und Volk« als eine hegemoniale
Artikulation zu begreifen, die auf »moralische, politische und intellektuelle Führung«
abzielt, verblieben die »kritischen Intellektuellen« in der Ecke der »moralischen
Alarmisten«, die nur in dieser Anordnung existiert, in die Liessmann sie gestellt hatte.
VI.
Anstatt also jene gesellschaftlichen Verhältnisse anzugreifen, welche die hegemoniale
Sicherung herrschaftlicher Verhältnisse bedingen, konzentriert sich die
zivilgesellschaftliche Diskussionen auf die Erneuerung des gesellschaftlichen Konsens, die
Erzeugung von gesellschaftlich allgemeinen (Gegen-)Identitäten. Es ist daher nicht
verwunderlich, dass der Widerstand sich immer wieder selbst als »interesselos«, also auf
das Allgemeinwohl, jenseits materieller Lebensverhältnisse abzielend, darstellt, so als
stünden die Demonstrierenden außerhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Trotz des ganzen post-marxistischen Wortgeklingels verbindet sich dieses Verständnis
daher eher mit dem Habermasschen Intellektuellenbegriff. »Da der Intellektuelle - in
normativer Hinsicht, nicht unbedingt empirisch - Rationalität und herrschaftskritisches
Verhalten verkörpert, (...) emanzipiert er sich von als selbstverständlich unterstellten,
traditonalen Normen und Klassenstrukturen. Anders als bei Gramsci bleibt diese
Emanzipation auf den Intellektuellen beschränkt.« (Demirovic 1991, 45) Daher erübrigt
sich also die selbstkritische Verortung der intellektuell Tätigen in der sexistischen und
rassistischen Klassengesellschaft. Beim Widerstand gegen die blau-schwarze Regierung
aber kann dies gravierende Folgen haben.
Es ist zu befürchten, dass die Zivilgesellschaft, sowie Intellektuelle und Künstler des
Widerstandes ihre Kämpfe nicht auf den zu erwartenden Angriff auf die
Lebensverhältnisse der Subalternen beziehen können. Das aber, obwohl durch die
Kürzung von Fördergeldern und die Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas schon in
der Frühphase des blau-schwarzen Projektes ihre eigenen Lebens- und Arbeitsverhältnisse
angegriffen werden. Die mögliche Isolation von Teilen des Widerstandes von den zu
erwartenden Kämpfen könnte zum Niedergang der Bewegung führen, ohne dass die neue
Regierung besonders repressiv vorgehen müsste.
Der Widerstand gegen die neue Regierung müsste sich also die Frage stellen, ob die
permanente Mobilisierung für Neuwahlen als Ausdruck und Strategie des Widerstandes
und der Anspruch für einen neuen gesellschaftlichen Konsens zu kämpfen, das
Durchgreifen der Regierung und die autoritäre Transformation auf die Lebensverhältnisse
der Menschen wird verhindern können. Es wäre daher in der gegenwärtigen Phase der
Konsolidierung des neuen Regimes notwendig, die »Befestigungen« und »Kasematten«
aufzubauen und zu vervielfältigen, welche die konkreten Angriffe der rechten Regierung
(auf das Gesundheits-, Sozial- und Pensionssystem, auf die Arbeitsverhältnisse etc.)
abwehren könnten. Dies aber würde bedeuten, über die feierliche, weihevolle Ebene des
Staatspolitischen, der Konzentration auf das Gesellschaftlich-Allgemeine, den Konsens zu
überschreiten und den Widerstand in den Alltag zu tragen.
Literatur
Demirovic, Alex (1997): Demokratie und Herrschaft. Aspekte kritischer
Gesellschaftstheorie. Münster.
Gramsci, Antonio (1991ff.): Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe, herausgegeben
von Wolfgang F. Haug, Hamburg.
Habermas, Jürgen (1992): Faktizität und Geltung: Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts
und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt/Main.
Hall, Stuart (1989): Antonio Gramscis Erneuerung des Marxismus und ihre Bedeutung für
die Erforschung von »Rasse« und Ethnizität. In: ders.: Ausgewählte Schriften. Hg. von
Nora Räthzel. Hamburg
Hirsch, Joachim (1995): Der nationale Wettbewerbsstaat. Staat, Demokratie und Politik im
globalen Kapitalismus.
Jessop, Bob (1990): State Theory. Putting Capitalist States in their Place. Pennsylvania.
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