Freie Universität Berlin - Otto Suhr Institut für Politikwissenschaft Hauptseminar: Hauptströmungen des Marxismus Nr 15205 Dozent: PD Dr. Klaus Roth Referat: Antonio Gramsci „Arbeiterdemokratie“ Referenten: Caroline Hupe, Nicole Zehe, Mathias Hankel, Jan Müller Antonio Gramsci 22.1.1891 (Ales / Sardinien) – 27.4.1937 (Rom) Bedeutendster italienischer marxistischer Philosoph - 1911 – 1915 Studium der Literaturwissenschaft (ohne Abschluss) Entscheidendes Ereignis: Oktoberrevolution sein vom Neuidealismus geprägter Sozialismus bekommt klarere Zielrichtung 1922 Mussolinis Marsch auf Rom: zunehmenden Verschärfung der innenpolitischen Mai 1924 – 1926 Rückkehr nach Italien (im Vertrauen des Schutzes der Immunität) In dieser Zeit: seine größte politische Untergrundarbeit, bei großer persönlicher Einsamkeit in einer „nur von der Politik beherrschten Einöde“ Im Mai 1925: erster und einziger parlamentarischer Auftritt, bei dem er sich Mussolini direkt gegenüberstellt und das Regime demaskiert. Nov. 1926: Verhaftung durch Faschisten - Jahre der Haft: „Gefängnishefte“ die ihn bis heute zum bedeutendsten marxistischen Theoretiker Italiens machen Durchgängige Botschaft; Erneuerung des Marxismus als „Philosophie der Praxis“ womit G. in der Linie des westlichen Marxismus der 20er Jahre steht (Ernst Bloch, Georg Lukács, Karl Korsch) Besondere Aufmerksamkeit auf geschichtliche Funktion der Intellektuellen und hier wiederum des exemplarischen „großen“ Intellektuellen; Benedetto Croce, dessen Philosophie des geschichtlichen Handelns er einerseits als Voraussetzung für die Erneuerung des Marxismus begreift, andererseits aber als „eine Form des politischen gemäßigten Konservativismus“ kritisiert. - Für diese Untersuchung entwickelt G. in den Gefängnisheften den Begriff der „Hegemonie“, (umfasst sowohl die politische und militärische Herrschaft einer Klasse als auch ihre intellektuelle-moralische Führung) - Die Tätigkeiten des politischen Publizisten, Arbeiterlehrers, Parteipolitikers und Theoretikers G. fließen in der Überzeugung zusammen, dass jeder Revolution eine intensive Umwälzung der kollektiven Weltanschauung vorausgehen muss. Genauer: die Aufgabe der Revolution ist zu begreifen als dieser Prozess. Haft: Regime versagt eine angemessene ärztliche Behandlung versagt zunehmenden körperlichen Verfalls aber G. lehnt aber jedes Gnadengesuch ab, da ihm das als pol.-mor. Kapitulation erscheint Nov. 1932: zehnter Jahrestag der Mussolini-Regierung /Haft wird auf 12 Jahre und vier Monate reduziert - Bereits wenige Tage vor seiner Entlassung stirbt Gramsci im Alter von 46 Jahren - - Der integrale Staat Staat = politische + bürgerliche Gesellschaft; mit Zwang gepanzerte Hegemonie Die bürgerliche Gesellschaft: - private Institutionen und Organisationen, die das ideologische und kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft prägen „ethischer Inhalt des Staates“ Funktion: Hegemonie der herrschenden Klasse und den gesellschaftlichen Konsens garantieren Überbau: - differenzierter Zusammenhang verschiedener Sphären, die im integralen Staat als Einheit von bürgerlicher und politischer Gesellschaft zum Ausdruck kommen Beziehungsgefüge juristisch-institutioneller und ideologischer Elemente Verhältnis Überbau-Basis: 1) ökonomisch-korporative Phase 2) politisch-ethisch Phase (wird erreicht wenn, eine Homogenität zwischen Übergang und Basis besteht, sich ein historischer Block gebildet hat) Fazit: Der integrale Staat konstituiert sich aus dem Gleichgewicht zwischen politischer und bürgerlicher Gesellschaft. Er garantiert Zwang und Konsens, Herrschaft und ideologische Führung. Hegemonie = Zustand einer gelungenen Anpassung des Qualifikationsniveaus sowie der psychischen und physischen Verhaltensweisen der Bevölkerung an den Entwicklungszustand der Produktivkräfte, Konsens = aktive Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung zur hegemonialen Klasse. Die Hegemonie wird sicher gestellt über die Funktion des Staates als Erzieher; jedes HegemonieVerhältnis auch ein pädagogisches Verhältnis. Exkurs: Politik: - Politik ist nicht die „Ableitung“ aus ökonomischen Gegebenheiten Politik die Schaltstelle zwischen Ökonomie und Ideologie oder zwischen „Notwendigkeit und Freiheit“ Politik ist nicht Regierungstechnik, sondern die Heranführung der Massen an den Staat Gegenstand der Wissenschaft von der Politik ist der Prozess des Übergangs einer Klasse von der ökonomischen Partikularität zur politischen Universalität: zu ihrer Hegemonie Intellektuelle: - Jeder Mensch verfügt über Moralvorstellungen, hat Weltanschauung, etc. Jeder Mensch ist somit Inttelktuelle_r , es führt jedoch nicht jede_r diese Funktion aus. - traditionelle Intellektuelle: u.a. Philosophen, Schriftsteller, Künstler, etc. . - organische Intellektuelle: die Intellektuellen, die jede soziale Gruppe durch ihre Entstehung selbst hervor bringt. Voraussetzung zur Entstehung der Intellektuellen: - Jede (entstehende) grundlegende soziale Gruppe, die mit der materiellen Produktion verbunden ist, bringt ihre Intellektuellen hervor um soziale, ökonomische und politische Homogenität zu schaffen. Funktion der Intellektuellen: Die Intellektuellen sichern die politische Herrschaft, indem sie Zustimmung der breiten Bevölkerung für die herrschende Gruppe sichern. Wirkungsorte u.a.: Medien, Gewerkschaften, Parteien oder in der Bildung. Aufgabe der Intellektuellen auf dem Weg zur gesellschaftlichen Veränderung: Die Aufgabe des Intellektuellen besteht darin, den historischen Block zwischen Überbau und Basis aufzubrechen. Ideen entwickeln und diese vermitteln, um spezifische Interessen als universelle Interessen zur Geltung zu bringen, indem auch traditionelle Intellektuelle assimiliert werden. Aufgabe ist den individuellen Alltagsverstand auf neue kritische Stufen zu heben. Bildung eines neuen Typs des Intellektuellen: Neuausrichtung des Verhältnisses von intellektueller/ körperlicher Arbeit. Arbeit muss zur Grundlage einer neuen Weltanschauung werden, indem technische Erziehung verbunden mit industrieller Arbeit neuen Typ des Intellektuellen bildet. Intellektuelle_r als Spezialist_in und Politiker_in. Staat als Erzieher Staat beinhaltet herrschende und erziehende Elemente. Anspruch an die Gesellschaft an den Erfordernissen des ökonomischen Produktionsapparats bemessen , so werden Überbau und Basis selbst an die Erfordernisse angepasst. Erziehung im Überbau & Anpassung der Basis an Produktionsverhältnisse = dialektische Einheit. Das Rechtswesen und die Bildung sind wesentliche Instrumente dafür. Strategien der Machtübernahme der sozialdemokratischen Partei in Westund Osteuropa Grundfrage: Warum kam es entgegen der im Marxismus begründeten Erwartung im rückständigen Russland zu einer erfolgreichen Revolution, während in den entwickelten westeuropäischen Staaten das Proletariat daran scheiterte, die Macht zu übernehmen? Gramsci stellt weitreichende Unterschiede im Hinblick auf den Entwicklungsstand der russischen und westeuropäischen Gesellschaft fest: Russland Westeuropa unterentwickelter Kapitalismus (agrarisch geprägt, schwaches Industrieproletariat) entwickelter Kapitalismus (starkes Industrieproletariat) autokratische Herrschaftsform (konzentriert) Bürgerliche Demokratie (vielschichtig) Zwang und Gewalt Neben physischen Gewaltmitteln auch Anpassungs- und Integrationsstrategien (Konsens) Staat im engeren Sinne integraler Staat (d.h. Verdopplung des Herrschaftsapparates) ==> Leninistische Strategie demnach auf Westeuropa nicht übertragbar!! Statt eines Bewegungskrieges (Kampf um die unmittelbare Übernahme der Staatsmacht) müsse im Westen ein Stellungskrieg geführt werden mit dem Ziel der Zersprengung des hegemonialen/historischen Blocks zwischen Basis und Überbau. Eine Gegenhegemonie müsse den Raum in der bürgerlichen Gesellschaft einnehmen. Dies erscheint Gramsci als eine Grundbedingung für den Erfolg proletarischer Revolutionen in Westeuropa.