Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe – Vorschläge zur gleichstellungspolitischen Qualität von Konjunkturpolitik Dr. Mara Kuhl | im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin, November 2012 Vorwort Wem werden die Konjunkturprogramme gerecht? So fragte Finanz- und Wirtschaftskrise geben – die Fehler der Ver- die Politikwissenschaftlerin Dr. Mara Kuhl bereits 2010 im gangenheit nicht wiederholen? Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). In ihrer Analyse der Konjunkturpakete I und II zeigte sie anschaulich, dass Die FES hat Dr. Mara Kuhl vor diesem Hintergrund gebeten, bei der Konzeption der Maßnahmen im Rahmen der Kon- ihre vorausgegangenen Arbeiten zu kondensieren und die junkturpakete die Geschlechtergerechtigkeit in weiten Teilen wichtigsten Faktoren herauszuarbeiten, die es zu beachten auf der Strecke blieb. Viele der Einzelmaßnahmen kamen gilt, will man Konjunkturmaßnahmen entwickeln, die auch vor allem Wirtschaftssektoren zugute, in denen Frauen dem Kriterium der Geschlechtergerechtigkeit genügen. unterrepräsentiert sind, beziehungsweise zielten auf das so genannte Normalarbeitsverhältnis – Vollzeit und unbe- In dieser Handreichung trägt die Autorin die wichtigsten fristet – ab, in dem bis heute sehr viel mehr Männer als Rahmenbedingungen für mehr Geschlechtergerechtigkeit in Frauen arbeiten. Hinblick auf die Ausarbeitung von Konjunkturmaßnahmen zusammen. Sie erliegt dabei nicht der Versuchung, die ge- Fazit war: Aus gleichstellungspolitischer Sicht müssen die naue Ausformulierung geschlechtergerechter Konjunktur- Konjunkturmaßnahmen als vertane Chance für ein zukunft- politik an Stelle der dafür Zuständigen – also der Politiker/- orientiertes wirtschaftspolitisches Umsteuern angesehen innen, der Interessensvertreter/-innen von Arbeitnehmer- werden. So wurden traditionelle Industriebranchen einseitig und Arbeitgeberseite etc. – zu übernehmen. Vielmehr geht gestärkt, ohne dass entsprechende Mittel in dienstleistungs- es ihr darum, die großen Linien aufzuzeigen, die alle an nahe Zukunftsbranchen geflossen wären. Politikgestaltung Beteiligten im Blick haben müssen, wollen sie sowohl dem Auftrag des Grundgesetzes als auch der Das ist umso bedauerlicher, als dass zwei gute Gründe dafür ökonomischen Vernunft entsprechen. Auch den unter- sprechen, Geschlechtergerechtigkeit als Kriterium für Politik- schiedlichen Effekten restriktiver Haushaltpolitik auf Frauen gestaltung zu stärken. Zum einen entspräche eine solche und Männer, in Zeiten der „Schuldenbremse“ und Spar- Stärkung dem Auftrag des deutschen Grundgesetzes, das auflagen Folge wirtschaftsstimulierender Maßnahmen, wid- die Politik auffordert, die gleichberechtigte Teilhabe von met sie sich in einem Kapitel. Gerade in dieser Hinsicht lassen Mann und Frau in allen Lebensbereichen zu ermöglichen. sich Erkenntnisse dieser Handreichung auch über den deut- Die Wirtschaft ist hierfür ein wichtiger Dreh- und Angel- schen Kontext hinaus auf die wirtschaftspolitische Situation punkt. der europäischen „Krisenstaaten“ anwenden. Denn der Zum anderen kann aber auch auf eine Vielzahl von For- unterwerfen, betrifft Frauen aufgrund der „vergeschlecht- schungsergebnissen hingewiesen werden, die zeigen, dass lichten“ Struktur der Gesamtwirtschaft in vielen Fällen in sich ein Mehr ein Geschlechtergerechtigkeit ökonomisch größerem Ausmaß als Männer. rigide staatliche Sparkurs, dem sich diese Länder derzeit positiv auswirkt. Geschlechtergerecht konzipierte Konjunkturmaßnahmen haben also den Charme, dass sie sowohl Deutlich wird in den Ausführungen auch die zentrale Rolle im weiteren Sinne gesellschaftspolitisch als auch im enge- der Besetzung der Entscheidungsgremien, die über die Ver- ren Sinne wirtschaftspolitisch wirken. gabe von Geldern befinden. Hier werden bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt die wesentlichen Weichen gestellt, Hat man die Zielsetzung „Geschlechtergerechtigkeit“ nun die entweder genderblinde und unausgewogene oder im Blick, ergibt sich die Frage, wie sichergestellt werden genderbewusste und damit ausgewogenere Ergebnisse kann, dass zukünftige Konjunkturmaßnahmen – sollte es produzieren. solche im Zuge der weiteren Bewältigung der jüngsten Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 2 Vorwort Wir hoffen, dass diese Kondensierung der Erfolgsfaktoren Chance, in der Krise langfristig die Weichen für erfolgreiche für geschlechtergerechte Konjunkturmaßnahmen bei den Zukunftspolitik zu stellen: für eine Politik, die allen gesell- Adressat/-innen – nämlich all jenen, die an der konkreten schaftlichen Gruppen in ähnlich hohem Maße gerecht Ausformulierung von Wirtschafts- und Konjunkturpolitik wird und die politischen Herausforderungen der Zukunft – beteiligt sind – auf Interesse stößt und das Bewusstsein den demografischen Wandel und die soziale wie ökologi- dafür schärft, dass Wirtschaftspolitik Gesellschaftspolitik ist. sche Nachhaltigkeitsfrage – mit offenen Augen angeht. Denn: Je nachdem wie die Anreize justiert werden, kann Susan Javad Wirtschaftspolitik Gleichstellung befördern oder hemmen. Forum Politik und Gesellschaft Durch die Menge an kurzfristig bereitgestellten Mitteln kommt Konjunkturmaßnahmen in diesem Kontext eine herausgehobene Bedeutung bei. Gleichzeitig bieten sie die Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 I. Wirtschaftspolitik ist Geschlechterpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kriterien für geschlechtergerechte Krisenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 III. Konzeptionelle Aspekte bei Konjunkturpaketen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.1. Konjunkturpolitik und Sparpolitik gehören zusammen: Verteilungseffekte für die private Versorgungsökonomie berücksichtigen . . . . . . . . . . . . . . III.2. Krisenzeiten als Scheideweg für Modernisierung: Wirtschaftsinterventionen als Innovationspolitik nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 IV. Handwerkliche Aspekte bei Konjunkturpaketen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.1. Wirtschaftspolitische Schlagseiten durch Partizipationsdefizite: das Beispiel „Deutschlandfonds“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.2. Exklusion durch einseitige Bevorzugung, Fokussierung auf Untergruppen und mittelbare Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 VI. Aus Fehlern lernen – Kernaspekte für die gleichstellungspolitische Qualität von Konjunkturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin 6 8 9 10 11 Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 3 I. Wirtschaftspolitik ist Geschlechterpolitik In der kontinentaleuropäischen Tradition von Staatlichkeit und als unbegrenzt belastbar vorausgesetzt. Die in ihr gehört die aktive Wirtschaftspolitik zum Handlungsauftrag produzierten Güter und Dienstleistungen werden auch des Staates, um seiner Verantwortung als einer der Mitge- nicht in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, wie stalter der wirtschaftlichen Ordnung und gesellschaftlichen etwa der Erfassung der Produktivität einer Nation durch Entwicklung gerecht zu werden. Konjunkturpolitische Inter- das Bruttoinlandsprodukt erfasst. Die Leistungsfähigkeit ventionen gehören darum, trotz der zunehmenden Bedeutung der privaten Versorgungsökonomie bleibt dadurch unsichtbar. neoliberaler Vorstellungen von Wirtschaft und Staat, zu Die „öffentliche Wirtschaft“ ist sowohl Produzentin und An- den legitimen Handlungsoptionen der Sozialen Marktwirt- bieterin öffentlicher Infrastruktur und meritorischer Güter, schaft Deutschlands. Diese sind schon seit 1967 mit dem wie beispielsweise von Bildung oder Gesundheitsangeboten, „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums die aufgrund ihrer Eigenschaften und aufgrund demokrati- der Wirtschaft“ verbrieft. scher Standards nicht dem freien Markt überlassen werden. Außerdem ist sie eine wichtige Nachfragerin nach Gütern Wirtschaftspolitik nimmt bewusst lenkenden Einfluss auf und Dienstleistungen der Marktökonomie. die Wirtschaft als einem der zentralen Teile der Gesellschaft. Es sollen zum einen gute Bedingungen für die Entfaltung Wie in allen Bereichen der Gesellschaft spielt Geschlecht auch der gesellschaftlichen Kräfte in einer marktwirtschaftlichen in der Wirtschaft eine wichtige Rolle. „Geschlecht“ ist hier Grundordnung gegeben sein. Zum anderen sollen demokra- im Sinne von Gender zu verstehen, also als Struktur, nach tische, soziale und umweltpolitische Standards garantiert der Bereiche, Sachverhalte, Leistungen etc., die mit „männ- werden, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die lich“ assoziiert werden bzw. als typisch für Männer gelten, Lebensgrundlagen erhalten. Wie bei allen staatlichen Akti- einen anderen Stellenwert erhalten als Dinge, die mit vitäten geht es um die Verteilung von Ressourcen, zu denen „weiblich“ assoziiert werden oder als typisch für Frauen gel- neben finanziellen Mitteln auch Rechte, Ansprüche, Entschei- ten. Gender strukturiert, meist implizit, die Verteilung von dungsmacht und Zeit gehören. Entscheidungsmacht über Ressourcen, von materieller und immaterieller Anerkennung, von Legitimität, von Zugang Wirtschaftspolitik betrifft in erster Linie den Bereich der zu Positionen und vieles mehr. „Marktökonomie“ (Privatwirtschaft) mit den Bürgerinnen und Bürgern in ihren unterschiedlichen Rollen als Produzenten von Gütern und Dienstleistungen (Unternehmer/-innen und Die Marktökonomie wird durch Gender Arbeitskräfte) und als Nachfragende nach diesen (Investor/- f vertikal segregiert, so dass in Positionen mit Entschei- innen, Konsument/-innen). Sie betrifft aber immer auch, dungsmacht und höheren Gehaltsstufen Männer mindestens indirekt, die Wirtschaftsbereiche der privaten dominieren und zuarbeitende Positionen mit geringerem „Versorgungsökonomie“ (care economy) und der „öffentli- Verdienst vor allem von Frauen besetzt werden. chen Wirtschaft“. Die private Versorgungsökonomie schafft f horizontal segregiert, so dass der Arbeitsmarkt in männer- mit ihren unentgeltlich produzierten und nicht in der Markt- dominierte, frauendominierte und in geschlechtlich aus- logik getauschten Dienstleistungen und Gütern, wie z.B. gewogenere Branchen und Berufe strukturiert ist. Versorgung und Bildung, und der „Produktion“ und f vertraglich segregiert, so dass es das für Männer typi- „Reproduktion“ von Arbeitskräften die Grundlage jeden sche, existenzsichernde, sogenannte „Normalarbeits- Wirtschaftens. Entgegen ihrer zentralen Funktion für die verhältnis“ und die für Frauen normalen, häufig pre- Marktökonomie wird die private Versorgungsökono- kären, sogenannten „atypischen“ Beschäftigungsver- mie bis heute bei der Ausgestaltung von Wirtschafts- hältnissen gibt. politik nur selten berücksichtigt. Sie wird als gegeben Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 4 I. Wirtschaftspolitik ist Geschlechterpolitik In der privaten Versorgungsökonomie ist Gender insbeson- Beispiele für die Bedeutung der Gender Strukturen in der dere im Sinne von Geschlechterrollen von zentraler Bedeu- Wirtschaft sind die Debatten zur Frauenquote in Aufsichts- tung. Es strukturiert die Verteilung der Zuständigkeit für räten, zum „Gender Pay Gap“ – der großen Lohndifferenz die unbezahlte Haus- und Sorgearbeit, so dass Frauen die zwischen Männern und Frauen, die Deutschland verlässlich Hauptakteurinnen in der privaten Versorgungsökonomie einen Schlussplatz im europäischen Ranking sichert – und sind. Hier zeigt sich eine Interdependenz der Wirtschaftsbe- zur Altersarmut, von der Frauen besonders betroffen sind. reiche auf mikroökonomischer Ebene: Ein hoher Anteil von Arbeitszeit in der privaten Versorgungsökonomie reduziert Wirtschaftspolitik wirkt über die Verteilung von Ressourcen die Partizipationsmöglichkeiten in der Marktökonomie und immer auch auf die Geschlechterverhältnisse, da die Wirt- umgekehrt. Die Verteilung zwischen den Geschlechtern schaft zum einen – wie erläutert – selbst geschlechtlich von „Familienarbeitszeit“ in der privaten Versorgungsöko- strukturiert ist und zum anderen, weil Wirtschaftspolitik nomie und „Erwerbsarbeitszeit“ in der Marktökonomie ist über die Verteilung von Ressourcen an die Marktökonomie eine der grundlegenden „vergeschlechtlichten“ Strukturen indirekt immer auch die öffentliche Wirtschaft und die pri- der Ökonomie. vate Versorgungsökonomie betrifft. Was allgemein für die Gesellschaftspolitik gilt, trifft in besonderem Maße auch Die öffentliche Wirtschaft ist in ihren Organisationstrukturen auf die Wirtschaftspolitik zu: Eine neutrale Wirtschaftspo- ebenfalls vertikal, horizontal und vertraglich nach Geschlecht litik, die keine Auswirkung auf die Geschlechterverhältnisse segregiert. Gender spielt außerdem in den sozialen Siche- und die gesellschaftliche Entwicklung der Gleichstellung rungssystemen eine Rolle. So birgt das geschlechtlich struk- hat, gibt es nicht. turierte Sozialsystem mit dem Fokus auf Erwerbsarbeit be- sondere Armutsrisiken für diejenigen Personen, die sich stark in der privaten Versorgungsökonomie engagieren: Durch Kindererziehung und die Versorgung Angehöriger kommt es zu unterbrochenen Erwerbsbiographien, so dass durch traditionell weibliche Lebensläufe besondere Armutsrisiken entstehen. Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 5 II. Kriterien für geschlechtergerechte Krisenpolitik In den Jahren 2008 und 2009 wurden die größten Kon- vorliegenden Handlungsempfehlung betrachtet wird, ist die junkturpakete in der deutschen Nachkriegsgeschichte auf Gleichstellungsorientierung. Um diese als Qualitätskriterium den Weg gebracht. Expansive Wirtschaftspolitik des Staates anzulegen, können aus der rechtlich verankerten Verant- in Krisenzeiten soll die Gefahr einer zu geringen Binnen- wortung des Staates für die aktive und gleichstellungsori- nachfrage abwenden und damit eine zentrale Variable im entierte Gestaltung der Gesellschaft Kriterien entwickelt Wirtschaftskreislauf stabilisieren. Die Stärkung der Nach- werden. frage nach Gütern und Dienstleistungen durch den Staat, durch Unternehmen und durch Bürgerinnen und Bürger Die Formulierung im Grundgesetz in Artikel 3 Absatz 2 soll die Umsatz- und Gewinneinbußen der Unternehmen Satz 2 lautet: „Der Staat fördert die tatsächliche Durch- verhindern. Letztere können ihre Produktionskapazitäten setzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern somit auch in Krisenzeiten auslasten und ihre Arbeitskräfte und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ halten. Diese können ihr Einkommen in Konsum und damit Das bedeutet, dass staatliche Politik Männern und Frauen als Nachfrage in den Kreislauf einbringen, was wiederum die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, fami- die Unternehmen stärkt. liären und wirtschaftlichen Leben ermöglichen muss. Hierzu gehört, dass sie echte Wahlfreiheit eröffnet, z.B. indem Die Instrumente einer aktiven Konjunkturpolitik sind im sie traditionelle Rollenmuster nicht verfestigt. Außerdem Wesentlichen staatliche Investitionsprogramme, also Nach- sollen durch sie bestehende Benachteiligungen ausgeglichen frage nach Gütern und Dienstleistungen durch den Staat, und abgebaut werden (s. Bundesregierung o.J. a), S. 8). Steuererleichterungen für die steuerzahlenden Unternehmen und Bürger/-innen sowie die Förderung von Investitionen Vor diesem Hintergrund können folgende Mindestkriterien durch Kredit- und Bürgschaftsprogramme und die Beschleu- für gleichstellungsorientierte Konjunkturmaßnahmen formu- nigung von Auftragsvergaben. Auch direkte Zuwendungen liert werden: wie Konsumprämien, die Erhöhung von Transferzahlungen fDie Kaufkraft von Männern und Frauen wird ausge- oder die Übernahme von Sozialabgaben für Unternehmen wogen gestärkt. dienen den Zielsetzungen. Ein Merkmal der Maßnahmen in fUnternehmer/-innen und „typisch männliche” bzw. Konjunkturprogrammen ist, dass sie grundsätzlich befristet männlich dominierte, geschlechtlich ausgewogene sind. Hiermit sind die grundlegenden Kriterien genannt, und „typisch weibliche“ bzw. weiblich dominierte die für die Beurteilung von Konjunkturmaßnahmen gelten. Wirtschaftsbereiche werden ausgewogen gegen Um- Sie müssen für die Zeit der Krise eines der folgenden Krite- satzeinbrüche geschützt. rien erfüllen: fInvestitionen werden ausgewogen in geschlechtlich fStärkung der Nachfrage zur Verhinderung von Umsatzeinbrüchen, fVerbesserung der Investitionsbedingungen, unterschiedlich segregierten Wirtschaftsbereichen ge- fördert. fArbeitsplätze von Männer und Frauen werden gleicher maßen erhalten. fSicherung von Arbeitsplätzen. Für eine Bewertung, die über eine enge wirtschaftspoliti- Die Analyse der Konjunkturpakete I und II (Kuhl 2010) sche Zielsetzung hinausgeht und Wirtschaft als Teil der Ge- zeigt, dass viele der hier aufgeführten Maßnahmen gleich- sellschaft und den Staat als Gestalter von wirtschaftlichen stellungspolitisch negative Effekte hatten. Die Ungleichheit und gesellschaftlichen Entwicklungen versteht, bedarf es zwischen männlich und weiblichen dominierten, also jedoch weiterer Kriterien. Der zentrale Aspekt, der in der geschlechtlich stark segregierten Wirtschaftsbereichen Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 6 II. Kriterien für geschlechtergerechte Krisenpolitik wurde zulasten der weiblichen aufrechterhalten und ver- auch dem polarisierten Angebot des Arbeitsmarktes mit stärkt. Auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern den existenzsichernden Normalarbeitsverhältnissen und der beim Zugang zu Ressourcen wie Geld und Zeit wurde atypischen Beschäftigung zugrunde. Allerdings schwindet durch manche Maßnahmen gefestigt. Diese negativen die Bedeutung des Modells in der sozialen Realität u.a. Effekte sind nicht intendiert sondern ergeben sich im We- durch die Liberalisierung der Arbeitsmärkte, neue Formen sentlichen aufgrund der fehlenden Aufmerksamkeit für die des Zusammenlebens und veränderte Familienkonstellationen gesellschaftspolitischen Effekte der Wirtschaftsmaßnahmen (vgl. auch DBG o.J.). Durch solche normativen, impliziten jenseits der jeweiligen konkreten wirtschaftlichen Zielsetzung Annahmen erhalten politische Maßnahmen häufig eine der Maßnahme. Sowohl ein verengtes, technokratisches männerzentrierte Schlagseite, einen sogenannten „andro- Verständnis von Wirtschaft als auch fehlende, gender- zentrischen Gender Bias“, der zur Verfestigung geschlecht- kompetente (Gesetzes)Folgenabschätzungen sind die Ur- licher Benachteiligung führt. sachen: So werden Teile der Wirtschaft, insbesondere die private Versorgungsökonomie, ausgeblendet und geschlecht- Eine weitere Ursache für die negativen gesellschaftspoli- lich vorstrukturierte Ausgangslagen übersehen. Normative tischen Effekte ergibt sich aufgrund der fehlenden Durch- Vorstellungen zu Geschlechterrollen und dem vermeint- lässigkeit von Entscheidungszirkeln für Personen und Institu- lich natürlichen Platz der Geschlechter innerhalb der tionen, die neue und unter Umständen auch umfassendere Gesellschaft können dadurch unreflektiert als Orientie- Perspektiven auf den Handlungsbedarf in der Krise ein- rungsmaßstab wirken. bringen könnten. Dies behindert eine wirtschaftspolitische Neuausrichtung, mit der auf die heutigen Herausforderungen Die in Deutschland zugrundeliegende, westdeutsch ge- reagiert werden müsste. Die Schließung – im soziologi- prägte Vorstellung ist die des „männlichen Ernährer- schen Sinne – der sogenannten Old Boys Networks modells“. Nach diesem gibt es einen Hauptverdiener im (s. III.2.) ist ein wesentlicher Grund für die Verhinderung Haushalt, meist den Mann, und einen „Hinzuverdiener“, grundlegender Strukturreformen und verantwortlich für der sich hauptverantwortlich der Familienarbeit widmet, Fehlentwicklungen in der Wirtschaft. meist die Frau. Beide leben in einer unverbrüchlichen Partnerschaft, die den Hinzuverdiener durch haushalts- Welche Folgen diese Ursachen haben, wird nun im Folgenden interne, lebenslange Transfers gegen seine Armutsrisiken an ausgewählten Beispielen der Konjunkturpakete I und II absichert. Entsprechend dem Modell sind etwa steuerli- gezeigt. Im Anschluss werden Empfehlungen für die Ent- che Ansätze wie das Ehegattensplitting, und die unzurei- wicklung von gleichstellungspolitisch sinnvollen Wirtschafts- chende öffentliche Infrastruktur, z.B. im Bereich Kinder- interventionen vorgestellt. betreuung und Altenpflege, ausgerichtet. Das Modell liegt Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 7 III. Konzeptionelle Aspekte bei Konjunkturpaketen III.1. Konjunkturpolitik und Sparpolitik gehören zusammen: Verteilungseffekte für die private Versorgungsökonomie berücksichtigen Die anti-zyklische Logik der deutschen Konjunkturpolitik in Staatsausgaben aufgrund von branchenspezifischen Rettungs- der Tradition des „Gesetz[es] zur Förderung der Stabilität und programmen als auch aufgrund der finanziellen Belastungen des Wachstums der Wirtschaft“ von 1967 und der 2009 durch die Konjunkturprogramme selbst bedroht. grundgesetzlich verankerte Sparzwang bedeuten, dass nach der mit einer Krisensituation begründeten Ausweitung der Wenn Bereiche, wie z.B. Bildung und Betreuung, davon be- Staatsausgaben und dem Verzicht auf Staatseinnahmen, etwa troffen sind, kommt das einer Verschiebung von sozialen durch Steuervergünstigungen, eine strenge Ausgabeneinspa- und gemeinwohlrelevanten Aufgaben weg von der öffent- rung folgen muss. Während im Gesetz von 1967 Sparen eine lichen Hand hin zur privaten Versorgungsökonomie gleich. wirtschaftspolitische Maßnahme innerhalb eines zyklusorien- Dort werden wegen der eingesparten öffentlichen Gelder tierten Gesamtkonzepts war, entsteht bei der Schuldenbe- nicht mehr gemeinschaftlich organisierte Aufgaben durch grenzungsregel der Eindruck, dass es ein Selbstzweck ist, der private Ausgaben und insbesondere durch die Bereitstel- nur sehr bedingt an der Wirtschaftsentwicklung ausgerichtet lung von Zeit und Arbeitskraft übernommen. Den Preis für sein muss. Aktuell werden auf nationaler und europäischer die Finanzierung von Handlungsmöglichkeiten der priva- Ebene die politischen Spielräume zunehmend durch techno- ten Marktwirtschaft in der Krise zahlt dann, vermittelt kratische, automatische und sanktionsbewehrte Vorgaben über die folgende Reduzierung der öffentlichen Infrastruk- reduziert. So wurde mit der Verabschiedung des Konjunktur- tur, die private Versorgungsökonomie. Aufgrund des hohen pakets II auch die strenge Schuldenbegrenzungsregel festge- Anteils unentgeltlich geleisteter Arbeit von Frauen in der schrieben. Dadurch ist anvisiert, das strukturelle Defizit (bei Versorgungsökonomie bedeutet das nicht nur eine Ver- dem sehr vereinfacht gesagt krisenbedingte Mehrausgaben schiebung der Ressourcen Geld, Zeit und Handlungsauto- herausgerechnet werden) in vier Jahren auf unter die Hälfte nomie zwischen Wirtschaftsbereichen, sondern auch zwi- sinken zu lassen: von 2,8% (53 Milliarden) im Jahr 2010 auf schen den Geschlechtern. 0,5% (25 Milliarden) im Jahr 2014 (Bundesregierung o.J. b). Zur Diskussion und Bewertung staatlicher Wirtschaftspolitik Konjunkturprogramme sollten darum immer auch den Er- und Krisenintervention gehört darum heute immer auch die halt der Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hand und des andere Seite der Medaille – das gleichzeitige bzw. folgende Handlungsspielraum des Staates zur Zielsetzung haben. Sparen – notwendigerweise dazu. Hierzu gehört die ausgewogene Eröffnung von wirtschaftlichen Handlungsspielräumen nicht nur für die Marktöko- Der enge Zusammenhang zwischen expansiver und restrik- nomie sondern auch für die öffentliche Wirtschaft, insbe- tiver Wirtschaftspolitik bedeutet, dass zuerst Geld für die sondere die Kommunen, und ein Finanzierungskonzept, Abmilderung von krisenbedingten Umsatzeinbrüchen, der bei dem zum Beispiel eine positive Einnahmeentwicklung schlechteren Auslastung der Produktionskapazitäten und durch Konjunkturmaßnahmen auch für deren Refinanzierung Risiken für Arbeitsplätze in der Marktökonomie ausgege- genutzt wird. Die Perspektive auf die Konjunkturentwicklung ben wird. Dieses muss später in den öffentlichen Haushal- muss langfristig sein, um auch die mittelbaren finanziellen ten wieder eingespart werden. In Zeiten schon bestehender Wirkungen für die öffentliche Hand und die private Ver- hoher Staatsverschuldung und der Vorgabe des Abbaus des sorgungsökonomie systematisch zu berücksichtigen. Die strukturellen Defizits bedeutet das konkret, dass das Ange- Frage der Leistungs- und Belastungsfähigkeit der einzelnen bot an öffentlichen Gütern und Dienstleistungen reduziert Wirtschaftsbereiche in Krisenzeiten und insbesondere da- werden muss. Die Produktionskapazitäten der öffentlichen nach muss auch die Frage nach der (impliziten) Verschie- Wirtschaft und ihre Arbeitsplätze werden also im Nachgang bung von Aufgaben und die Delegation von Zuständigkeiten der Krise sowohl von den direkten Auswirkungen der Krise wie an die private Versorgungsökonomie beinhalten. den Steuermindereinnahmen und dramatisch gestiegenen Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 8 III. Konzeptionelle Aspekte bei Konjunkturpaketen III.2. Krisenzeiten als Scheideweg für Modernisierung: Wirtschaftsinterventionen als Innovationspolitik nutzen Die Erfahrung mit den Konjunkturpaketen I und II zeigt Ideen zu entwickeln und moderne wirtschaftspolitische erstens, dass der Handlungsdruck in Krisenzeiten groß Anreizstrukturen mit ausgewogenen gesellschaftlichen ist – die Zeit aber knapp. Alte Rezepte sind schneller zur Effekten zu schaffen. Hand als neue, grundlegende und strukturverändernde Lösungsideen. Politiker/-innen und Interessengruppen eröff- Sowohl die Betriebswirtschaftslehre als auch die feministische net diese Situation die Möglichkeit oder das sogenannte Wissenschaftstheorie zeigt, dass homogen zusammenge- „Gelegenheitsfenster“, alte Vorhaben, die sonst wenig setzte Institutionen- und Personengruppen in langjährigen Chancen auf Zustimmung und Legitimität hätten, ein- und Kooperationen zu geschlossenen weltanschaulichen Ge- durchzubringen. Dies gilt am Beispiel der Konjunkturpakete meinschaften, sogenannten „epistemic communities“ wer- etwa für die Abwrackprämie, aber auch für die Anhebung den, die unter anderem die Fähigkeit zur Selbstreflektion der Sozialtransfers für Kinder im SGB II Bezug (Hartz IV), verlieren. In solchen normativ angeglichenen Kreisen sind die schon früher diskutiert, jedoch gesellschaftlich nicht für die als relevant erachteten Fragestellungen und deren Lö- zustimmungsfähig befunden wurden. Zweitens ist offen- sungen von gruppenspezifischen Wahrnehmungs- und Er- sichtlich, dass in dieser Situation nicht nur auf bewährte kenntnisansätzen vorstrukturiert. Fragen, auf die die Mit- und schnell verfügbare Lösungsansätze zurückgegriffen glieder einer epistemic community aufgrund ihrer Arbeits- wird, sondern auch auf bewährte und schon bekannte und Lebensrealitäten und Erfahrungswelten nicht von Ideengeber/-innen und Beratungsstrukturen. Damit ist die selbst kommen, erscheinen ihnen wenig zielführend; Lö- Situation bei der Entwicklung von Konjunkturprogrammen sungsansätze, die über die Interessen der Gruppe hinausge- besonders durch die Kombination aus Zeitdruck und den vor- hen, als nicht relevant. Dies ist der Kernpunkt in der Argu- herrschenden Kräfteverhältnissen der Interessengruppen mentation für die Öffnung von Machtzentren, zum Beispiel sowie den gegebenen Zugangsstrukturen zu Entscheidungs- durch Frauenquoten und anti-diskriminatorische, gleich- zentren geprägt. stellungsorientierte Rekrutierungspolitiken. Ohne diese neigen diese geschlossenen Gruppen tendenziell zu wenig Zeit als Variable ist nicht nur zentral für die Qualität von innovativen Lösungen, zur Verengung von Zielsetzungen Politikergebnissen, da die Auswahl und Verarbeitung von und zur Vernachlässigung der Interessen derjenigen, die Information und das Entwickeln von Lösungen selbst Zeit als „Outsider“ keinen Zugang zu den Kreisen erhalten. Für in Anspruch nimmt. Zeit ist auch als notwendige Bedin- die fest etablierten Kreise von Entscheidungsträgern in gung für die Legitimität politischer Entscheidungen und die Wirtschaft und Politik, die zumeist ausschließlich aus Umsetzung demokratischer Anforderungen unverzichtbar. Männern bestehen, wurde der Begriff des „Old Boys Net- Durch die Entwicklungen in der europäischen Finanzkrise work“ geprägt. ist die Frage nach dem Zusammenhang von Demokratie und Zeit in der Politik deutlich geworden. Statt Handlungs- Diese Rahmenbedingungen des Zeitdrucks und der ge- druck und die Dringlichkeit der Problemlösung als „Gele- schlossenen Beratungskreise sollten Entscheidungsträger/- genheitsfenster“ für alte Rezepte wirken zu lassen, sollte innen bewusst reflektieren, damit sie sie durch die strategi- die Krise gezielt als Möglichkeit genutzt werden, innovative sche Nutzung ihrer Handlungsspielräume und -befugnisse positiv beeinflussen und verändern können. Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 9 IV. Handwerkliche Aspekte bei Konjunkturpaketen IV.1. Wirtschaftspolitische Schlagseiten durch Partizipationsdefizite: das Beispiel „Deutschlandfonds” Der Deutschlandfonds ist der Überbegriff für 115 Milliarden einem gleichstellungspolitischen Argument, dafür aber mit Euro, die für Kredite und Bürgschaften zur Verfügung ge- dem Argument der Wettbewerbsverzerrung, als staatliche stellt wurden, um Unternehmen, die krisenbedingt keine Subventionierung von schon lange im Strukturwandel und andere Möglichkeiten der Finanzierungssicherung haben, Abstieg befindlichen Industrien kritisiert (s. Stratmann Zugang zu Kapital zu eröffnen (ausf. Kuhl 2010, S. 34f.). Das 2009). mit Führungskräften aus den zuständigen Bundesministerien besetzte Verwaltungsgremium, der Lenkungsausschuss, Die Kritik aus der Wirtschaft verweist auf eine auch gleich- war aufgrund des Umsetzungsdefizits des Gleichstellungs- stellungspolitisch zentrale Schieflage der wirtschaftspoliti- gesetzes in der Bundesverwaltung, insbesondere bei Lei- schen Strukturen. Während männlich dominierte und im tungspositionen (Schimeta 2012, S. 17), fast ausschließlich strukturellen Abbau befindliche Industrien einseitig und männlich besetzt. Zur Beratung der Verwaltung wurde ein massiv gefördert werden und hierbei der Erhalt männlicher Gremium, der Lenkungsrat, eingesetzt. Hierzu wurden aus- Normalarbeitsverhältnisse finanziert wird, werden wachs- schließlich westdeutsche Männer aus der verarbeitenden tumsstarke Dienstleistungsbranchen mit einem erheblichen Industrie berufen. Somit waren Unternehmerinnen, die ost- Arbeitsplatzpotenzial und einer hohen gesellschaftspoliti- deutsche Wirtschaft und weniger geschlechtlich segregier- schen Relevanz, wie etwa die Pflege- und Bildungssektoren, te Wirtschaftsbranchen allgemein und die Dienstleistungs- finanziell oder wirtschaftspolitisch nicht gestärkt. Sie werden industrie im Besonderen de facto aus der Mitbestimmung in der Verteilung staatlicher Gelder kaum berücksichtigt über die Vergabe von Krediten und Bürgschaften, über die und bleiben weit unter ihrem wirtschaftlichen und wohl- der Lenkungsausschuss zu entscheiden hatte, ausgeschlos- standmehrenden Entwicklungspotenzial (s. Heintze 2012, sen. In diesem Sinne erfüllte der Lenkungsrat die Charak- S. 40ff für den Pflegesektor). Gleichzeitig wird durch die teristika eines „Old Boys Network”. Bei der Vergabe der fortgesetzte Unterfinanzierung gesellschaftlich zentraler Mittel aus dem Deutschlandfonds fällte er, vermutlich auf- Politikbereiche die Ausweitung atypischer, weiblich domi- grund der Homogenität der vertretenen Interessen, ohne nierter Beschäftigungsverhältnisse gefördert. Die Umver- sich dessen bewußt zu sein, Entscheidungen, die einseitig teilung staatlicher Gelder entlang der geschlechtlich se- stark männlich dominierte Industrien begünstigenden. gregierten Wirtschaftsstrukturen wird in der Struktur der Dies wurde von Stimmen der Wirtschaft, zwar nicht mit Konjunkturpakete deutlich sichtbar. Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 10 IV. Handwerkliche Aspekte bei Konjunkturpaketen IV.2. Exklusion durch einseitige Bevorzugung, Fokussierung auf Untergruppen und mittelbare Diskriminierung Im Folgenden wird unterschieden zwischen Zielgruppen die ebenfalls in der Krise plausiblerweise von Umsatzein- und Adressatengruppe. Zielgruppen sind die Personen- brüchen hätten betroffen sein können, wurden nicht ge- gruppen, denen die Maßnahmen zugutekommen sollen, fördert. Selbst wenn man dem Argument folgt, dass nur indem sie deren Kaufkraft, deren Umsätze oder deren Ar- Handwerkerleistungen gefördert werden sollten, die eher beitsplätze unterstützen. Diese Wirkungen können auch produzierenden als Dienstleistungscharakter haben, um mittelbar zustande kommen, indem z.B. Konsumenten für private Ausgaben in Güter zu fördern, ist die exklusive die Anschaffung von Gütern einer Industrie, in der Arbeits- Auswahl nicht zwingend. Denkbar wäre etwa die Vergüns- plätze erhalten werden sollen, Anreize erhalten. Adressaten tigung auch für Handwerkerleistungen im gesundheits- sind die unmittelbaren Ansprechpartner/-innen für eine nahen Bereich (Optiker, Orthopädiehandwerk, Zahntechnik Maßnahme. Sie erhalten durch die Maßnahme Vergünsti- etc.) gewesen, die ebenfalls teure Leistungen anbieten und gungen oder Zuwendungen. Bei der Abwrackprämie bei- deren Inanspruchnahme in Krisenzeiten hätte zurückgestellt spielsweise waren die Autokäufer/-innen die Adressaten werden können. Die Zielgruppe für die Krisenunterstützung und die Beschäftigten in der Automobilindustrie die Ziel- wurde also ohne sachlichen Zwang auf eine fast ausschließ- gruppe. lich männliche Gruppe reduziert. IV.2.1. Beispiel „Steuerliche Absetzbarkeit von Handwerkerleistungen“ IV.2.2. Beispiel „Abwrackprämie“ Bei der Maßnahme der steuerlichen Absetzbarkeit von wrackprämie durchgesetzt hat, sollte die Automobilindus- Handwerkerleistungen (ausf. Kuhl 2010, S. 31f) wurde für trie vor Umsatzeinbußen und die Beschäftigten vor Arbeits- zwei Jahre ein Steuerbonus, der von der Gesamtsumme der platzabbau geschützt werden. Die Adressaten der Maß- Mit der Umweltprämie, für die sich der Begriff der Ab- zu zahlenden Steuern abgezogen wird, verdoppelt. Für die- nahme waren Besitzerinnen und Besitzer von Autos mit sen Zeitraum konnten Steuerzahlende nun 20% der Kosten einem bestimmten Alter, die für das Abwracken desselben für Handwerkerleistungen von ihrer Steuerschuld abziehen. und den Neukauf eines Autos mit 2.500,- Euro unterstützt Der maximale Abzug war auf 6000,- Euro begrenzt. Diese wurden. Die Maßnahme war derart erfolgreich, dass ins- Maßnahme sollte dazu dienen, dass Bürger/-innen als gesamt ca. 5 Milliarden Euro dafür bereitgestellt werden Adressaten Ausgaben für Handwerkerleistungen während mussten (ausf. Kuhl 2010, S. 20ff.). der Krise nicht in die Zukunft vertagten, sondern diese gerade jetzt, angeregt durch die steuerliche Vergünsti- Auch hier wurde eine Konjunkturmaßnahme entwickelt, die gung, in Anspruch nahmen. Damit sollte das Handwerk einen stark geschlechtlich segregierten Wirtschaftsbereich als Zielgruppe vor Umsatzeinbußen bewahrt werden. und damit eine von männlichen Arbeitnehmern dominierte Schätzungen bezifferten die erwarteten Umsatzsteigerungen Zielgruppe gegen Krisenauswirkungen mit einem einmalig auf 2% bzw. auf 10 Milliarden Euro. hohen Finanzvolumen stützte. Alternative Möglichkeiten einer ausgewogeneren Verteilung der Mittel für Konsum- Diese Fördermaßnahme betraf allerdings explizit und aus- hilfen, so dass auch geschlechtlich ausgewogene oder gar schließlich handwerkliche Leistungen im Instandhaltungs- weiblich dominierte Wirtschaftsbereiche mit umweltpoliti- und Modernisierungsbereich, also vor allem das Bau-, Elek- schem Mehrwert in der Krise unterstützt worden wären, tro- und Holzhandwerk. Diese Handwerksbereiche sind wurden nicht diskutiert. Somit erhielten andere weniger besonders stark geschlechtlich segregiert: So sind heute stark geschlechtlich segregierte oder frauendominierte noch über 90% der Auszubildenden männlich (s. ZDH), und Wirtschaftsbranchen keine Absatzförderung. es finden sich kaum Handwerkerinnen, die einen Betrieb führen. Geschlechtlich weniger stark segregierte Handwerke, Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 11 IV. Handwerkliche Aspekte bei Konjunkturpaketen IV.2. Exklusion durch einseitige Bevorzugung, Fokussierung auf Untergruppen und mittelbare Diskriminierung Die Einführung der Abwrackprämie lässt sich als gemeinsa- IV.2.3. Beispiel „Kurzarbeitergeld“ mes Projekt von Unternehmen und Gewerkschaften der Um in Krisenzeiten die Weiterbeschäftigung von Arbeit- Automobilindustrie rekonstruieren, was deren erfolgreiche nehmer/-innen für Unternehmen attraktiv zu machen, wur- politische Durchsetzung erklärt. Dies ist ein gutes Beispiel den in den Konjunkturpaketen verschiedene Maßnahmen dafür, wie Zeit- und Handlungsdruck in Krisenzeiten so- im Zusammenhang mit dem Kurzarbeitergeld verabschie- genannte „Gelegenheitsfenster“ für gefestigte Netzwerke det (ausf. Kuhl 2010, S. 25ff.). Hierzu gehörten neben der von Interessensvertreter/innen eröffnen. Diese können durch Verlängerung der Zahlung von Lohnersatzleistungen auch die Nutzung der ihnen zur Verfügung stehenden infor- Zuschüsse für Qualifizierung und Beschäftigungssicherung mellen, kurzen Wege ihre Projekte erfolgreich einbringen, sowie die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge für ohne dass diese die notwendigerweise zeitaufwändigen die Arbeitgeber/-innen. Zielgruppe und Adressaten waren üblichen Prozesse der Diskussion und Erwägungen de- die Unternehmen und Erwerbstätigen. Die Maßnahmen mokratisch-deliberativer Verfahren in Gänze durchlaufen waren nicht für spezielle Wirtschaftsbereiche reserviert, müssten. Durch dieses Partizipationsdefizit, das einer ein- aber auf sogenannte Normalarbeitsverhältnisse (unbe- seitigen Bevorzugung von Akteursgruppen bzw. ihrer Ideen fristete, sozialversicherungspflichtige Vollzeit) zugeschnitten. entspricht, bekommt die Entwicklung alternativer Maß- Diese Beschäftigungsform ist für 84% (2010) der erwerbs- nahmen oder die Inklusion anderer möglicher Zielgruppen tätigen Männer „normal“ (Keller u.a. 2012, S. 7). Frauen zur Erreichung der Zielsetzungen keine Chance. arbeiten nur zu 45% (2010) in solchen existenzsichernden Beschäftigungsverhältnissen. Die Mehrheit von 55% ist Die Abwrackprämie ist nicht nur ein Negativbeispiel für in sogenannten atypischen Verhältnissen beschäftigt. Sie eine einseitige Auswahl der Zielgruppen, sondern auch für arbeiten also in Teilzeit, befristet, als geringfügig Beschäftigte gleichstellungspolitische Fehlleistungen bei der Adressaten- oder in Leiharbeitsverhältnissen. Später wurden die auswahl. Das Problem liegt hier in der Fokussierung auf Kurzarbeiterregelungen auf die zahlenmäßig mit Abstand einen kleinen, männlich dominierten Ausschnitt innerhalb kleinste und als einzige atypische Beschäftigung männlich der möglichen, breiteren Adressatengruppe: während die dominierte Leiharbeit ausgeweitet und befristet Beschäf- Gruppe der Verkehrsteilnehmenden, die im Individualver- tigte als Zielgruppe eingeschlossen. kehr und im öffentlichen Personennahverkehr motorisierte Fahrzeuge zum Transport nutzt, geschlechtlich ausgewo- Vom Kurzarbeitergeld profitierten Männer deutlich häu- gener zusammengesetzt ist, dominieren bei den privaten figer als Frauen, selbst in Wirtschaftsbereichen wie dem PKW Männer: sie stellen 2/3 aller Besitzer. Insgesamt be- Gesundheits- und Sozialwesen, in denen die Beschäftigten sitzt nur die Hälfte der Bevölkerung überhaupt ein Auto. mehrheitlich weiblich sind. Zu Hochzeiten der Inanspruch- Hier liegt ein Fall von unbeabsichtigtem Ausschluss vor, der nahme des Kurzarbeitergeldes im Jahr 2009 waren von sachlich nicht notwendig ist und außerdem hinter dem Po- allen Beschäftigten, die Leistungen in Anspruch nahmen, tenzial der verlautbarten umweltpolitischen Zielsetzung zu- 78% Männer und 22% Frauen. Von den Mitteln für die rückbleibt. Eine Zusammenführung der umweltpolitischen berufliche Qualifizierung während des Bezugs von Kurz- mit der nachfragepolitischen Zielsetzung hätte zu einem arbeitergeld aus dem Europäischen Sozial Fonds (ESF) für gleichstellungspolitisch sehr viel besseren Ergebnis geführt Deutschland wurden sogar über 85% für Männer ausge- als die einseitige Förderung privater PKW. Ein Einschluss geben (akkumulierte Daten für Förderzeitraum 2007-2010, der Fahrzeugflotten des öffentlichen Personennahverkehrs Frey u.a. 2011a, S. 3 und b. S. 4). und von sozialen Diensten und Organisationen hätte insgesamt positivere soziale und umweltpolitische Effekte Die sogenannten atypischen Arbeitsverhältnisse, die für gehabt. die meisten Frauen längst den Normalzustand darstellen Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 12 IV. Handwerkliche Aspekte bei Konjunkturpaketen IV.2. Exklusion durch einseitige Bevorzugung, Fokussierung auf Untergruppen und mittelbare Diskriminierung und auch für Männer durch zunehmende Befristung und Karrierechancen, etc. vgl. Keller u.a. 2011) Arbeitsbedin- Leiharbeit an Bedeutung gewinnen und daher auch „neue gungen und sie bieten geringere bis keine Chancen auf Normalarbeitsverhältnisse“ genannt werden (Keller u.a. 2012, eine eigenständige Existenzsicherung. S. 6), erhielten keine Maßnahmen, die systematisch auf sie zugeschnitten gewesen wären. Frauendominierte Arbeits- Weniger stark geschlechtlich segregierte Wirtschafts- plätze wurden während der Krise damit weder staatlich zweige oder gar weiblich dominierte Bereiche wurden im geschützt noch wurde die Qualität von Beschäftigungsbe- Rahmen der Konjunkturpakete nicht als Zielbereiche für dingungen in frauentypischen Arbeitsverhältnissen geför- absatzsichernde Maßnahmen ausgewählt und erhielten dert oder die Beschäftigungsfähigkeit von Frauen in frauen- auch über andere Maßnahmen wie Steuererleichterungen dominierten Branchen durch Qualifizierung gesichert. oder direkte Zuweisungen keine derart exklusiven und teuren Hierbei ist zu bedenken, dass die Ausgangslage ohnehin Krisenhilfen. Es waren stark männlich dominierte Wirt- bereits ungleich ist. Atypische Beschäftigungsverhältnisse schaftsbereiche und für Männer typische Beschäftigungs- haben im Vergleich zu Normalarbeitsverhältnissen insge- verhältnisse, die explizite und milliardenschwere Krisenunter- samt schon unsicherere und schlechtere (gerechter Lohn, stützung erhielten. Zugang zu sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen, Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 13 V. Fazit VI. Aus Fehlern lernen – Kernaspekte für die gleichstellungspolitische Qualität von Konjunkturpolitik Eine einseitige Auswahl bzw. Reduzierung der Ziel- und Die Beispiele zeigen, dass eine genderblinde Wirtschafts- Adressatengruppe zugunsten von Männern lässt sich je politik nicht nur aus einer demokratisch-rechtlichen und mit eigener Charakteristik am Beispiel der steuerlichen werteorientierten Perspektive fragwürdig ist. Sie hat hand- Absetzbarkeit der Handwerkerleistungen, dem der Ab- feste, negative Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwick- wrackprämie und dem des Kurzarbeitergeldes zeigen. lung, denn sie verhindert den wirtschaftlich notwendigen Im ersten Falle geht es um die einseitige Bevorzugung Strukturwandel, behindert die Entfaltung wirtschaftlichen männlicher Handwerker und den unmittelbaren Ausschluss Potenzials, verringert die Chancen auf nachhaltig zukunfts- weniger stark segregierter Handwerksbereiche. Im zweiten fähige Lösungen und führt insgesamt zu einer Wirtschafts- Fall der Abwrackprämie ist das Problem die Beschränkung politik, die weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt, von Absatzsicherung auf einen männlich dominierten eine positive Wirtschaftsentwicklung, die auch gesamt- Wirtschaftssektor und die Reduzierung der Adressaten auf gesellschaftlich positive Effekte hat, zu fördern. Gleich- eine männlich dominierte Untergruppe. Das Problem im drit- stellungsorientierung in der Wirtschaftspolitik schafft hier ten Beispiel, dem Kurzarbeitergeld, ist die „Leerstelle“ bei der Abhilfe. Krisenunterstützung für Frauen, die dadurch entsteht, dass die Krisenhilfe so zugeschnitten ist, dass sie nur bei männer- Gute Konjunkturmaßnahmen, die diesem Qualitätsanspruch typischen Beschäftigungsverhältnissen, den Normalarbeits- genügen, berücksichtigen die geschlechtliche Struktur verhältnissen, greift, was einer mittelbaren, strukturellen bei Zielgruppen und Adressaten und in den geförderten Diskriminierung entspricht. Wirtschaftssektoren. Sie erhalten die Handlungsfähigkeit des Staates und sichern die öffentliche Infrastruktur. Sie Eine grundlegende Ursache für diese Priorisierungen, also verhindern, dass die private Versorgungsökonomie durch für den androzentrischen Gender-Bias der Konjunkturmaß- eine mittelbare Abschiebung von gesellschaftlichen Auf- nahmen, ist die implizite Ausrichtung am oben erwähnten gaben und Verantwortung an private Haushalte weiter- Modell des männlichen Ernährers mit hinzuverdienender gehend belastet wird. Durch die aktive Öffnung von Ent- Ehefrau. Dadurch wird die wirtschaftliche Chancenungleich- scheidungszirkeln, die eine ausgewogene Beteiligung von heit zwischen Frauen und Männern (und zunehmend auch Frauen und die systematische Einbindung von Expert/-innen die zwischen Männern in Normalarbeitsverhältnissen und mit Genderkompetenz beinhaltet, werden eingefahrene Männern in „atypischen“ Beschäftigungsverhältnissen) re- Lösungswege mit partikularistischen Tendenzen verlassen produziert. und Fragestellungen innovativ formuliert und beantwortet. Hinzu kommt die Wirkung genderhierarchischer Bewer- Die europäische Politik in der Finanzkrise zeigt, dass sich tungen der Wichtigkeit, die den unterschiedlichen Wirt- Tendenzen zur Beschleunigung von Entscheidungsprozessen schaftsbranchen und damit ihrer Anrechte auf Krisenun- insbesondere in Krisenzeiten verstärken. Die Folgen für die terstützung, unter anderem durch das Prädikat „systemre- demokratische Qualität der Verfahren sowie die fachliche levant“, zugeschrieben wurde. Die Schieflagen entstehen Qualität ihrer Ergebnisse sind verheerend. Politische Ent- auch, wie das Beispiel des Deutschlandfonds und seiner scheidungen verengen sich unter diesen Umständen zu- „Old Boys Network“-Struktur zeigt, an einem nicht mit nehmend auf die technokratische Erfüllung isolierter Teil- Absicht erfolgten, aber wirkungsvollen Ausschluss der ziele, statt eine gesamtgesellschaftliche und nachhaltige Repräsentant/-innen, Interessen und Wissensbestände an- Perspektive einzunehmen. Die Akteurinnen und Akteure derer Wirtschaftsbereiche und Beschäftigungsverhältnisse. von Krisenpolitik, insbesondere diejenigen, die durch die Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 14 VI. Aus Fehlern lernen – Kernaspekte für die gleichstellungspolitische Qualität von Konjunkturpolitik Beschleunigung von Ausgrenzung bedroht sein können, sollten darum pro-aktiv eine „Zeitpolitik“ gestalten, die es ermöglicht, Zeit als notwendige Rahmenbedingung für demokratische Entscheidungsprozesse zu sichern und als Ressource für kompetente Politikentwicklung zu erhalten. Hierfür müssen Prozessvorgaben und Maßnahmenvorschläge, die mit Sachzwanglogiken als alternativlos dargestellt werden, sehr kritisch geprüft werden, um Handlungsspielräume zu verteidigen bzw. zurückzugewinnen. Um Konjunkturpolitik mit ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung zielführend und ausgewogen zu gestalten, sind folgende Punkte umzusetzen: fVor der Maßnahmenentwicklung auf der Grundlage fIm Gesamtpaket der Maßnahmen ist zu prüfen, ob von Vorschlägen mächtiger Interessengruppen sind geschlechtlich unterschiedlich segregierte Wirtschafts- deren enge wirtschaftspolitische Zielsetzungen auf eine bereiche (Marktwirtschaft, öffentliche Wirtschaft, pri- übergreifende, gesamtgesellschaftliche zu erweitern. vate Versorgungsökonomie), Wirtschaftszweige und So kann das Potenzial guter Ideen auch zum Vorteil wei- Beschäftigungsverhältnisse ausgewogen repräsentiert terer Gruppen und Zielbereiche ausgeschöpft werden. sind. fMachtverhältnisse bei der Vertretung von Interessen fRestriktive Haushaltspolitik (Sparen) ist als Folge der sind bewusst wahrzunehmen, und der Zugang zu Ent- expansiven Haushaltspolitik (Konjunkturprogramme) scheidungszentren ist aktiv zu gestalten. „Old Boys einzubeziehen, um negative Folgen für die Handlungs- Networks“ müssen geöffnet werden. fähigkeit des Staates und für die private Versorgungs- ökonomie systematisch auszuschließen. fBei der Entwicklung von Gesetzen und Maßnahmen sind durchgängig Instrumente zur gleichstellungsori- fAls Instrumente für die Prüfung der gesellschaftspoli- entierten Folgenabschätzungen (z.B. Bundesregierung tischen Qualität wirtschaftspolitischer Interventions- o.J. a)) zu nutzen. programme sind systematische Instrumente wie Gen- der Budgeting Analysen (für Konjunkturpakete z.B. Kuhl 2011) zu nutzen. fMaßnahmen sind aus gleichstellungspolitischer Pers pektive auf sachlich nicht zwingende Ausschlüsse von Zielgruppen und Adressaten, z.B. durch exklusiven Zuschnitt auf einzelne Teilgruppen, zu prüfen. Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 15 Literatur Bundesregierung o. J. a): Arbeitshilfe der Bundesregierung Keller, Berndt; Siefert Hartmut: Atypische Beschäftigung zu § 2 GGO: „Gender Mainstreaming bei der Vorbereitung und soziale Risiken. Entwicklung, Strukturen, Regulierung. von Rechtsvorschriften“ (geschlechterdifferenzierte Ge- WISO direkt, Oktober 2011. online unter: http://library.fes. setzesfolgenabschätzung). http://www.bmfsfj.de/Redaktion de/pdf-files/wiso/08526.pdf (1.11.2012). 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Neben der Leitung ihres Beratungsunternehmens "Beratung für Verwaltung und Politik" führt sie die Berliner Geschäftsstelle der "Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Frauenund Genderforschung e.V. Für die Friedrich-Ebert-Stiftung hat sie 2010 bereits die Studie "Wem werden die Konjunkturpakete gerecht? Eine budgetorientierte Gender-Analyse der Konjunkturpakete I und II" verfasst. Dr. Mara Kuhl | Krisenpolitik als Zukunftsaufgabe | Seite 16 Impressum ISBN 978-3-86498-414-3 Herausgeberin: Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Forum Politik und Gesellschaft Hiroshimastraße 17 • 10785 Berlin Autorin: Mara Kuhl Redaktion: Susan Javad • Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin Gestaltung: Andrea Schmidt • Typografie/im/Kontext © 2012 • Friedrich-Ebert-Stiftung Forum Politik und Gesellschaft • www.fes.de