54 BZB Juli/August 12 Wissenschaft und Fortbildung Parodontitis Ätiologie und Therapie E i n B e i t r a g v o n D r. D i r k Va s e l , S t u t t g a r t Neben der Karies gehören die parodontalen Erkrankungen zu den häufigsten Krankheiten des Menschen überhaupt. Mundgesundheitsstudien kommen zu dem Ergebnis, dass 70 bis 80 Prozent der Menschen in Deutschland von parodontalen Problemen betroffen sind. 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung leiden unter einer schweren Form der Parodontitis an mindestens einem Zahn. Je nach Studie, verwendeten Messwerten und Indizes können diese Zahlen jedoch deutlich schwanken. Der in Deutschland belegte Rückgang an Karies (mit Ausnahme der Wurzelkaries) führt zu längerem Zahnerhalt. Daher werden immer mehr Zähne dem Risiko ausgesetzt sein, parodontale Probleme zu entwickeln, was bedeutet, dass epidemiologisch betrachtet mit einer zunehmenden Prävalenz parodontaler Erkrankungen zu rechnen ist. Zielgerichtete und effektive parodontaltherapeutische Strategien werden somit an Bedeutung gewinnen. Ätiologie parodontaler Erkrankungen Um effektive und gleichzeitig minimalinvasive Konzepte für die Behandlung parodontaler Erkrankungen entwickeln und anwenden zu können, ist das möglichst umfassende Verständnis der Ätiologie dieser Erkrankungen von großem Wert. Je besser die Ursachen verstanden werden, desto zielgerichteter kann diagnostiziert und therapiert werden und desto besser ist abzuschätzen, welche neuen Materialien und Methoden zu potenziellen Verbesserungen der diagnostischen und therapeutischen Abb. 1: Wechselwirkungen zwischen dem menschlichen Organismus beziehungsweise dem Immunsystem mit parodontalpathogenen Keimen Maßnahmen beitragen können. Parodontale Erkrankungen entstehen auf der Basis mannigfaltiger Wechselwirkungen zwischen dem menschlichen Organismus beziehungsweise dem Immunsystem und bestimmten Bakterien, möglicherweise auch Viren (Abb. 1). Diese Wechselwirkungen werden sowohl von genetischen als auch von erworbenen und umweltbedingten Faktoren stark beeinflusst. Das Ergebnis dieses komplexen multifaktoriellen Geschehens sind die klinischen Zeichen einer parodontalen Erkrankung, mit denen sich uns der Patient präsentiert. Je mehr wir über die individuellen Risikofaktoren und die Dynamik der Erkrankung wissen, desto zielgerichteter und effektiver können wir therapieren. Bakterien Gingivitis und Parodontitis sind Infektionskrankheiten, bei denen sich keine Immunität gegen die Krankheitserreger einstellt. Nach heutigem Verständnis ist das Vorhandensein der gram-negativen anaeroben Bakterien Porphyromonas gingivalis (Pg), Tannerella forsythensis (Tf), Aggregatibacter actinomycetemcomitans (Aa), Treponema denticola (Td) sowie Prevotella intermedia (Pi) Voraussetzung für die Parodontitisentstehung, wobei Pg vermutlich eine Schlüsselstellung einnimmt. Die Bakterien haben im Laufe der Zeit Eigenschaften entwickelt, die ihnen das Überleben in der parodontalen Tasche ermöglichen. Neben der Schwächung der Immunabwehr hat die Fähigkeit zur Invasion in das subepitheliale Bindegewebe (Abb. 2) Konsequenzen für Diagnostik und Therapie. So kann insbesondere Aggregatibacter actinomycetemcomitans in mikrobiologischen Tests unterhalb der Nachweisgrenze liegen, während er sich gleichzeitig im parodontalen Gewebe in größerer Anzahl versteckt hält. Werden auf der Basis eines Aa-negativen Testergebnisses die anderen vier Keime, die im sogenannten roten (Pg, Tf, Td) und orangenen (Pi) Komplex zusammengefasst werden, erfolgreich mechanisch und gegebenenfalls antibiotisch (z.B. mit Metronidazol) reduziert, kann es zu einem Rezidiv durch das Überwuchern mit Aa kommen. Aufgrund seiner Gewebsinvasivität ist der Einsatz Wissenschaft und Fortbildung BZB Juli/August 12 Bei einer fortgeschrittenen Parodontitis kommt es aufgrund der immensen Menge an Bakterien bereits beim Kauen und Zähneputzen zu einer Bakteriämie. Die sich daraus ergebende chronische Belastung des Körpers mit den Parodontalkeimen und ihren Endotoxinen führt zu Auswirkungen auf den gesamten Organismus, wie etwa auf das HerzKreislauf-System oder zu Komplikationen beim Diabetes mellitus. Für die Interpretation mikrobiologischer Tests ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass es verschiedene Klone einer Bakterienspezies gibt, die sehr unterschiedlich pathogen sein können. Die verfügbaren kommerziellen Tests können dies nicht differenzieren. Ähnlich wie bei der Karies werden auch bei der Parodontitis bei engem Kontakt Keime von Mensch zu Mensch übertragen. Wenn beide Partner von einer Parodontitis betroffen sind, aber nur einer davon in entsprechender Behandlung ist, kann dies zu erhöhter Rezidivgefahr beim in Behandlung stehenden Patienten führen. Idealerweise sollten daher beide Partner untersucht und nötigenfalls behandelt werden. Abb. 2: Invasion parodontalpathogener Keime in das subepitheliale Bindegewebe systemischer Antibiotika (z.B. Amoxicillin) bei Vorhandensein von Aa häufig notwendig. Sämtliche parodontalpathogenen Bakterien besitzen Endotoxine in Form von Lipopolysacchariden (LPS) als integralen Bestandteil ihrer Zellwand. Die Lipopolysaccharide gelten als Schlüsselstoff bei der Parodontitisentstehung (siehe Abb. 4). Die Bakterien organisieren sich im Bereich des Parodonts in einem komplex strukturierten Biofilm, in dem unter anderem ein primitiver Stoffwechsel stattfindet. Die Organisation in einem Biofilm ermöglicht es den Bakterien in der feindlichen Umgebung der parodontalen Tasche zu überleben. In seinem Schutz widerstehen sie sowohl der Immunabwehr des Organismus als auch lokalen und systemischen antimikrobiellen Substanzen und Antibiotika. Die Zerstörung des Biofilms ist daher essenziell, sie muss nach wie vor mechanisch erfolgen. Die früher praktizierte aggressive Entfernung des mutmaßlich mit Endotoxinen verseuchten Wurzelzementes durch Wurzelglättung ist aber nicht notwendig, vielmehr nimmt man dem Organismus durch zu invasives „Root Planing“ das Regenerationspotenzial. Gingivitis Ein Biofilm im Bereich des Gingivalsaums löst eine Reaktion des Immunsystems aus. Dabei verlassen große Mengen von polymorphkernigen neutrophilen Granulozyten (PMN) die lokalen Blutgefäße und wandern in Richtung Biofilm (Abb. 3). Die PMNs versuchen den Biofilm zu beseitigen, scheitern jedoch an dessen Widerstandsfähigkeit. Zugrunde gehende PMNs setzen eine Vielzahl bioaktiver Substanzen frei, die klinisch zu den typischen Zeichen einer Gingivitis führen. Aufgrund der großen Anzahl neutrophiler Granulozyten gelingt es dem Organismus jedoch, den Biofilm gegen das Körperinnere abzukapseln. Solange dieser Granulozytenwall mithilfe ständig nachströmender PMNs aufrechterhalten werden kann, verharrt der Infektions- und Entzündungsprozess im Abb. 3: Reaktion des Immunsystems auf einen Biofilm 55 56 BZB Juli/August 12 Wissenschaft und Fortbildung Stadium der reversiblen Gingivitis. Die professionelle Beseitigung des Biofilms führt dann zu einer Restitutio ad integrum. Parodontitis Sowohl genetische (z.B. Neutropenie) als auch andere Risikofaktoren wie Rauchen oder Diabetes mellitus können dazu führen, dass ein funktionierender Granulozytenwall entweder nicht entsteht, oder aber insuffizient werden kann. In der Folge können parodontalpathogene Bakterien und insbesondere deren Lipopolysaccharide (Endotoxine) in größerer Menge in das parodontale Gewebe und damit in das Körperinnere eindringen. Dies wiederum löst eine Kaskade weiterer Prozesse innerhalb des Parodonts aus, mit denen der Organismus nun versucht, den betroffenen Zahn abzustoßen. Die Endotoxine stimulieren körpereigene Zellen (z.B. Makrophagen) dazu, weit über das normale Maß hinaus Kollagenasen zu produzieren, die den Faserapparat des Parodonts zerstören. Des Weiteren werden erhebliche Mengen bioaktiver Botenstoffe (TNFα, IL-1β, PGE2) ausgeschüttet, welche die Osteoklasten aktivieren und die Tätigkeit der Osteoblasten reduzieren. Die Folge ist ein irreversibler parodontaler Attachmentverlust, also eine Parodontitis (Abb. 4). Genetische Risikofaktoren Eine genetische Prädisposition für die Parodontitis besteht zumeist aufgrund damit einhergehender negativer Einflüsse auf das Immunsystem. So ist bei der lokalen aggressiven Parodontitis häufig ein genetisch bedingter Funktionsdefekt der neutrophilen Granulozyten nachweisbar. Darüber hinaus sind Genvarianten beschrieben worden, welche Menge und Funktion des wichtigen Antikörpers IgG2 negativ beeinträchtigen und damit zu einer Schwächung der Immunabwehr führen. Andere Genvarianten führen zu erhöhter Produktion bioaktiver Botenstoffe (u.a. IL-1β, PGE2), die die Knochenzerstörung stimulieren. So ist bekannt, dass das Allel 2 des IL-1B-Gens zu einer nahezu vierfach erhöhten Ausschüttung von IL-1β und damit einem rascheren parodontalen Knochenverlust führen kann. Der sogenannte Parodontitisrisikotest (PRT) beruht auf diesem Zusammenhang. Allerdings erhöht das Vorhandensein dieses Allels (Prävalenz in der Bevölkerung 25 bis 30 Prozent) per se nicht das Risiko für die Entstehung einer Parodontitis, sondern steigert die Wahrscheinlichkeit eines aggressiveren Verlaufs einer bereits eingetretenen Parodontitis. Abb. 4: Infolge von Risikofaktoren wie Rauchen oder Diabetes mellitus können parodontalpathogene Bakterien sowie deren Endotoxine in das parodontale Gewebe und damit in das Körperinnere eindringen. Rauchen als Risikofaktor Durch das Rauchen kommt es zur Aufnahme einer Vielzahl toxischer Substanzen in den Organismus. Als Folge kann es unter anderem zu Beeinträchtigungen der Immunabwehr (z.B. reduzierte Funktion neutrophiler Granulozyten), schlechterer Wundheilung und deutlich verminderter Effektivität parodontaltherapeutischer Maßnahmen kommen. So ist das Risiko für parodontalen Knochenverlust bei starken Rauchern (ab 10 bis 15 Zigaretten pro Tag) sieben- bis achtmal größer als bei Nichtrauchern. Laut einer Publikation von Haber et al. (1997) sind bei den 20- bis 40-Jährigen 30 bis 50 Prozent der Parodontalerkrankungen hauptsächlich dem Rauchen geschuldet. Bei Patienten mit refraktärer Parodontitis handelt es sich sogar in 85 bis 90 Prozent der Fälle um Raucher. Die Raucherentwöhnung ist damit unverzichtbarer Bestandteil vorbeugender und parodontaltherapeutischer Maßnahmen. Weitere Risikofaktoren Diabetes mellitus führt zu erhöhter Parodontitisprävalenz. Dies kann unter anderem mit einer Funktionsstörung der PMNs, der erhöhten Ausschüttung entzündungsfördernder Botenstoffe und dem gestörten Bindegewebs- und Knochenmetabolismus zusammenhängen. Die optimale Einstellung des Diabetes sollte höchste Priorität haben, da dies zu einer deutlichen Risikoreduzierung führt. Faktoren und Umstände, die zur chronischen Belastung des Immunsystems führen, erhöhen ihrerseits das Risiko für parodontale Erkrankungen. Hierzu gehört neben Erkrankungen des Immunsystems (z.B. HIV) wahrscheinlich auch nicht kompensierter psychosozialer Stress. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass sich eine Stärkung des Immunsystems positiv auf die parodontale Situation auswirken sollte. Wissenschaft und Fortbildung BZB Juli/August 12 Chronische Parodontitis Von der chronischen Parodontitis sind meist ältere Patienten ab dem 50. Lebensjahr betroffen. Ursächlich ist häufig die Summation multipler Risikofaktoren wie Rauchen, chronischer Stress, Diabetes mellitus, insuffiziente Restaurationen und schlechte Mundhygiene. Der Einfluss der genetischen Prädisposition ist eher als gering einzuschätzen. Der parodontale Knochenabbau findet überwiegend horizontal statt, während vertikale Einbrüche eher die Ausnahme sind (Abb. 5). Der Patient ist sich der Probleme häufig nicht wirklich bewusst, da er in der Regel keine Beschwerden hat und das Symptom Zahnfleischbluten gerne ignoriert wird. Den Patienten zu der erforderlichen Therapie zu motivieren, kann im Einzelfall schwierig sein, da sie umfangreich, eher unangenehm und mit Kosten verbunden ist. Aggressive Parodontitis Die häufig in Schüben rasch fortschreitende aggressive Parodontitis betrifft vielfach junge Patienten zwischen dem 15. und 40. Lebensjahr. Genetische Prädisposition, hochvirulente Erreger und Rauchen sind hier die Hauptrisikofaktoren. Der Knochenverlust ist meist deutlich ungleichmäßiger als bei der chronischen Parodontitis und zeigt fast immer multiple vertikale Defekte (Abb. 6). Da sich die Patienten ihrer Probleme häufig bereits bewusst sind und sie Angst vor Zahnverlust haben, sollte die Motivation zur Mitarbeit leichter gelingen als bei Patienten mit chronischer Parodontitis. Die frühzeitige Entdeckung der Erkrankung und die konsequente Therapie sind für die Prognose der betroffenen Zähne entscheidend. Systematische Parodontaltherapie Obwohl eine mangelhafte Mundhygiene nicht die Hauptursache der Parodontitis ist, ist eine Vorbe- Abb. 5: Bei einer chronischen Parodontitis findet der parodontale Knochenabbau überwiegend horizontal statt. Abb. 6: Bei einer aggressiven Parodontitis ist der Knochenverlust meist ungleichmäßiger als bei der chronischen Parodontitis und zeigt fast immer multiple vertikale Defekte. handlung mit professioneller Zahnreinigung (PZR) und Mundhygieneinstruktion sinnvoll. Durch die Vorbehandlung können vor allem bei der chronischen Parodontitis Pseudotaschen beseitigt und damit der Umfang der Behandlungsmaßnahmen reduziert werden. Darüber hinaus kann mit der Vorbehandlung auch die Motivation des Patienten zur konsequenten Mitarbeit überprüft werden. Nach Vorbehandlung und umfassender parodontaler Diagnostik erfolgt in der folgenden Phase der Initialtherapie die eigentliche Ursachenbeseitigung. Idealerweise werden Konkremente und Biofilm dem Konzept des „Full-Mouth-Scaling“ (FMS) folgend innerhalb von 24 Stunden geschlossen entfernt. Zwangsläufig kommt es im Zuge dieser Maßnahme zu einer mehr oder weniger starken Verschleppung parodontalpathogener Keime in die Blutbahn. Diese Bakteriämie kann insbesondere am Behandlungstag Nebenwirkungen hervorrufen, die von Abgeschlagenheit bis zu massivem 57 58 BZB Juli/August 12 Wissenschaft und Fortbildung Mundhygienephase / PA-Vorbehandlung · Optimierung der Mundhygiene und Lebensumstände · Professionelle Zahnreinigung (PZR) · Überprüfung der Motivation, Beseitigung von Pseudotaschen Initialtherapie · Deep Scaling – FMS (24 Stunden) · kleine PZR/ZR und Optimierung der Mundhygiene nach einer und gegebenenfalls drei und fünf Wochen · gegebenenfalls zusätzlich systemische Antibiotika (nur aggressive PAR) Reevaluation nach zehn bis zwölf Wochen · kompletter PAR-Status 2. Phase · gegebenenfalls erneute Biofilm- beziehungsweise Konkrementenentfernung (offen/geschlossen) · gegebenenfalls Entfernung therapieresistenter Zähne · Parodontale Erhaltungstherapie (Recall) · Kieferorthopädie, Prothetik, Implantologie · regenerative Therapie · Emdogain · Eigenknochen, Knochenersatzmaterial Abb. 7: Phasen der Parodontaltherapie Schüttelfrost reichen. Die Nebenwirkungen beruhen primär auf einer Reaktion des Immunsystems, wie sie vergleichbar nach Impfungen auftreten kann. Es empfiehlt sich daher, die Patienten bereits im Vorfeld auf diese meist nur am Behandlungstag selbst auftretenden Erscheinungen hinzuweisen und vom Führen eines Kraftfahrzeuges im Anschluss an die Behandlung abzuraten. Während der folgenden sieben Tage soll der Patient auf eine Interdentalreinigung verzichten und auch beim Zähneputzen das Zahnfleisch aussparen, um die Gingiva nicht weiter zu traumatisieren. Zur Reduktion der Belagsneubildung sollte der Patient zweimal täglich mit einer 0,2-prozentigen CHX-Lösung spülen. Eine Woche nach dem FMS erfolgt eine weitere vorsichtige PZR, um weiche Beläge und Verfärbungen zu entfernen. Hierbei finden auch eine Zungenreinigung (ZR) mit CHX-Gel sowie eine erneute Instruktion und Motivation zur Mundhygiene statt. Ab diesem Zeitpunkt soll der Patient wieder alle empfohlenen Mundhygienemaßnahmen durchführen. Bei aggressiver Parodontitis sollte eine kurze PZR noch ein- bis zweimal im 14-tägigen Abstand erfolgen, um eine möglichst optimale Wundheilung zu erzielen. Ziel der Bemühungen ist es, die Taschentiefe auf maximal 5 mm zu reduzieren, um eine langfristig günstige Prognose für die Zähne zu erreichen. Zehn bis zwölf Wochen nach dem FMS erfolgt die Reevaluation des vorläufigen Behandlungsergebnisses anhand eines kompletten Parodontalstatus. Zu diesem Zeitpunkt fällt die Entscheidung über weitere Behandlungsmaßnahmen. Diese können die Wiederholung des geschlossenen „Deep Scalings“ an verbliebenen Problembereichen, die Extraktion fraglicher Zähne, das lokale offene Scaling oder aber den Beginn der parodontalen Erhaltungstherapie enthalten. Innerhalb der folgenden neun bis zwölf Monate ist bei konsequentem Vorgehen mit einer weiteren Reduktion der Taschentiefen und der Entzündungsaktivität zu rechnen. Kieferorthopädische, prothetische und implantologische Maßnahmen dürfen erst nach weitestgehender Entzündungsfreiheit begonnen werden. Regenerative Maßnahmen eignen sich nur bei vertikalen Knochendefekten oder bei Furkationsbefall Grad II im Unterkiefer, wobei das Rauchen die Erfolgsaussichten erheblich reduziert. Da gerade vertikale Defekte ein nicht unerhebliches Potenzial für körpereigene Regeneration zeigen, sollte nicht zu früh chirurgisch interveniert werden. Die Evaluation und Röntgenkontrolle dieser Defekte zwölf Monate nach dem FMS sollten stets vor einem solchen Eingriff erfolgen (Abb. 7). Antibiotika Die Indikationsstellung für Antibiotika muss immer sehr streng erfolgen. Nur bei aggressiver Parodontitis oder sehr schwerem Verlauf der chronischen Parodontitis kann die systemische Gabe von Antibiotika erwogen werden. Die Entscheidung dafür sollte in diesen Fällen unter anderem abhängig gemacht werden von erfolglosen Behandlungsversuchen in der Vergangenheit, Allgemeinerkrankungen, bereits erfolgten Antibiotikagaben oder Medikamentenunverträglichkeiten. Das Ergebnis einer mikrobiologischen Untersuchung allein ist nicht für die Indikationsstellung zu einer Antibiose ausreichend. Wichtig ist es, diese immer im Zusammenhang mit der mechanischen Biofilmentfernung zu verordnen. Eine Besonderheit stellt die seltene Form der lokalisierten aggressiven Parodontitis dar. Hier ist sehr häufig Aggregatibacter actinomycetemcomitans der Schlüsselkeim. Da sich Aa aufgrund seiner Gewebsinvasivität meist nicht allein durch die mechanische Entfernung des Biofilms beseitigen lässt, kann eine systemische Antibiose erforderlich sein. Die Antibiose der Wahl ist in der Regel der sogenannte Winkelhoff-Cocktail bestehend aus Amo- Wissenschaft und Fortbildung xicillin (alternativ: Ciprofloxacin) und Metronidazol (alternativ: Clindamycin). Diese Kombination wirkt sowohl gegen Aa als auch gegen die Bakterien des roten und orangenen Komplexes. Wird auf der Basis eines Keimtests nur ein Präparat verschrieben, besteht ein erhöhtes Risiko, dass die nicht antibiotisch eliminierten Keime überwuchern und es zum Rezidiv kommt. Denn selbst bei negativem Testergebnis (Anzahl der Bakterien in der getesteten Tasche unterhalb der Nachweisgrenze) können noch genügend vermehrungsfähige pathogene Keime in den Nischen der Mundhöhle vorhanden sein. Biofilm- und Konkremententfernung Ziel der Beseitigung von Biofilm und Konkrementen ist die Schaffung einer „biokompatiblen“ Wurzeloberfläche. Die vollständige Beseitigung aller Bakterien wäre zwar wünschenswert, ist aber in der Realität nicht erreichbar. Die Reaktion der parodontalen Gewebe auf die möglichst gründliche, gleichzeitig aber auch schonende Reinigung der Wurzeloberflächen ist von Patient zu Patient verschieden. Aus diesem Grund ist die Reevaluation und Überprüfung des Therapieergebnisses nach zehn bis zwölf Wochen unerlässlich. Der biologische Gegner bei der Parodontitisbekämpfung ist der Biofilm. Die Konkremente sollten zwar ebenfalls möglichst gründlich entfernt werden, sie sind aber eher unerwünscht, weil sie dem Biofilm Anhaftungsmöglichkeiten bieten und während der parodontalen Erhaltungstherapie der Mundhygiene sowie dem effektiven Biofilmmanagement im Weg stehen. Für die effektive Konkremententfernung stehen scharfe Küretten, Schall- und Ultraschallsysteme sowie bestimmte Laser zur Verfügung. Für die Zerstörung des Biofilms sind stumpfe Küretten sowie Schall- und Ultraschallsysteme in niedriger Einstellung ausreichend. Darüber hinaus kann in bis zu 5 mm tiefen Taschen ein Pulver-/Wasserstrahl mit dafür speziell entwickelten Pulvern eingesetzt werden. Der alleinige Einsatz lokaler Antibiotika oder der antimikrobiellen photodynamischen Therapie (aPDT) ist eher kritisch zu betrachten. BZB Juli/August 12 blembereichen zu verhindern und um lokale Rezidive frühzeitig zu erkennen, empfiehlt es sich, mindestens einmal jährlich einen kompletten Parodontalstatus zu erheben. Zentraler Bestandteil der PET ist das langfristige effektive Biofilmmanagement. In Taschen, die ein „Bleeding on Probing“ (BOP) zeigen oder tiefer als 5 mm sind, erfolgt eine schonende manuelle oder maschinelle Entfernung des Biofilms. Bei Rauchern ist zu beachten, dass die Blutungsneigung durch das Rauchen reduziert und das BOP daher nur eingeschränkt aussagekräftig ist. Insbesondere vor der maschinellen Reinigung empfiehlt es sich, den Patienten zwei Minuten mit 0,2 % CHX spülen zu lassen, was die Keimbelastung im Aerosol um bis zu 90 Prozent reduziert. Durch die Parodontaltherapie kommt es zu erheblichen Veränderungen der Mikrobiologie der Mundhöhle. Darüber hinaus entstehen aufgrund der Schrumpfung der parodontalen Gewebe nach Parodontaltherapie nicht selten freiliegende Wurzeloberflächen. Beides zusammen kann zu einem deutlichen Anstieg des Kariesrisikos führen. Die Prophylaxe der Karies, ganz besonders der Wurzelkaries, ist daher essenzieller Bestandteil der PET. Für das erste Jahr nach Behandlungsbeginn hat sich ein dreimonatliches Recallintervall bewährt. Ab dem zweiten Jahr wird es, abhängig von den in Abbildung 8 aufgeführten Parametern, überprüft und angepasst. Häusliche Mundhygiene Die Bedeutung der häuslichen Mundhygiene für die Entstehung einer Parodontitis und den Erfolg der parodontalen Erhaltungstherapie wurde in der Vergangenheit möglicherweise überschätzt. Eine Reihe von Studien (u.a. Albander et al., 1995; Hugoson et al., 1998 und 2000; Merchant et al., 2002) kommt zu dem Ergebnis, dass auch eine effektive häusliche Mundhygiene die Entstehung einer Pa- · Anamnese (systemische Erkrankungen, Rauchen, Behandlungsversuche …) · Compliance, Mundhygiene des Patienten · Prozentsatz BOP + Stellen (Schwelle 25 %) · Furkationsbefall Parodontale Erhaltungstherapie Ziel der parodontalen Erhaltungstherapie (PET) ist es, den Langzeiterfolg der systematischen Parodontaltherapie zu sichern. Um das unbemerkte Fortschreiten der Erkrankung in einzelnen Pro- · Attachmentverlust in Relation zum Alter · Anzahl bereits verlorener Zähne · Anzahl Sondiertiefen über 5 mm Abb. 8: Parameter zur Überprüfung und Anpassung des Recallintervalls 59 60 BZB Juli/August 12 Wissenschaft und Fortbildung rodontitis bei Risikopatienten (genetische Prädisposition, Rauchen, Diabetes mellitus) nicht verhindern kann. Vielmehr bedarf es bei anfälligen Patienten einer Kombination aus häuslicher Mundhygiene und professioneller Prophylaxe. Ramfjord et al. publizierten 1982 eine Studie, in der sie Parodontitispatienten untersuchten, die sich über einen Zeitraum von acht Jahren in der parodontalen Erhaltungstherapie befunden hatten. Im Ergebnis war der Erfolg der Erhaltungstherapie unabhängig von der häuslichen Mundhygiene der Patienten. Eine Studie von Bakdash kam 1994 zu einer ähnlichen Aussage. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass für die Vermeidung parodontaler Erkrankungen die regelmäßige professionelle Zahnreinigung und für die Rezidivvermeidung nach erfolgter Parodontaltherapie die regelmäßige Teilnahme an der parodontalen Erhaltungstherapie wichtiger sind als die Qualität der häuslichen Mundhygiene. Eine gute häusliche Mundhygiene ist aber aus anderen Gründen dennoch wichtig. So ist sie bedeutend für die Vermeidung von Karies speziell an freiliegenden Wurzeloberflächen. Darüber hinaus ist das diagnostisch wichtige Bleeding on Probing nur aussagekräftig, wenn es beim Sondieren nicht schon aufgrund einer ausgeprägten Gingivitis zu sofortiger Blutung kommt. Innovationen Moderne Testverfahren Zu den Möglichkeiten moderner Diagnostik gehören die auf molekularbiologischen Verfahren beruhenden mikrobiologischen Tests und der genetische Risikotest (PRT). Auf beide Tests wurde weiter oben bereits eingegangen. Mit einem erst vor Kurzem neu eingeführten Test kann am Behandlungsstuhl das Vorhandensein der aktiven Matrixmetalloproteinase 8 (eine Kollagenase) in der Mundhöhle des Patienten bestimmt werden. Inwiefern sich aus dem Testergebnis konkrete Konsequenzen für die Therapie ergeben, sollten entsprechende klinische Studien eruieren. Medikamentöse Therapie Im Jahr 1998 bekam in den USA das Medikament Periostat die Marktzulassung. Es handelt sich dabei um ein niedrig dosiertes Antibiotikum (Doxycyclin), welches die gewebezerstörende Wirkung der Kollagenasen hemmt. Allerdings kann das Medikament die systematische Parodontaltherapie nur unterstützen und nicht ersetzen. Die Einnahmedauer wird mit drei bis neun Monaten angegeben, was eine entsprechende Compliance des Patienten voraussetzt und mit erheblichen Kosten für diesen einhergeht. Des Weiteren ist das langfristige Risiko für die Resistenzentwicklung parodontalpathogener Keime gerade bei niedriger Dosierung (2 x 20 mg/d) schwer abschätzbar, weshalb die Verordnung nicht unkritisch zu sehen ist. Diverse lokale Antibiotika stehen für die zusätzliche antimikrobielle Behandlung einzelner Problembereiche zur Verfügung. Wichtig ist hierbei, dass diese Medikamente in einer Form in die Tasche eingebracht werden, die zur therapeutischen Verfügbarkeit der Substanzen über mehrere Tage hinweg führt. Lokal applizierte flüssige oder gelförmige Substanzen werden durch die hohe Sulkusfluidfließrate sehr schnell unter ihre therapeutisch wirksame Konzentration verdünnt, womit der zu erzielende Effekt fraglich ist. Alternativ zu den Lokalantibiotika wird ein 2,5 mg Chlorhexidin beinhaltender Chip angeboten, der seinen Wirkstoff innerhalb von sieben bis zehn Tagen in der Tasche freisetzt. Mit Resistenzentwicklungen ist beim Einsatz von Chlorhexidin nicht zu rechnen. Die Hauptindikation lokal antimikrobiell oder antibiotisch wirkender Substanzen ist das lokale Taschenrezidiv während der parodontalen Erhaltungstherapie. Der Applikation dieser Medikamente sollte immer die schonende Entfernung des Biofilms vorausgehen. Gesteuerte Geweberegeneration Zur Regeneration vertikaler Knochendefekte kommen Verfahren der „Guided Tissue Regeneration“ (GTR) mit Membranen, Defektfüllern unterschiedlicher Herkunft sowie Schmelzmatrixproteinen in Betracht. Bei den aus Schweinen gewonnenen Schmelzmatrixproteinen handelt es sich um Wachstumsfaktoren aus der Zahnentwicklung, die nachgewiesenermaßen zu signifikanten Attachmentgewinnen führen können, die denen einer Membrantherapie vergleichbar sind. Allerdings liegt die Komplikationsrate beim Einsatz von Schmelzmatrixproteinen deutlich unter der bei Membrananwendung. Korrespondenzadresse: Dr. Dirk Vasel Epplestraße 29a 70597 Stuttgart [email protected] www.vasel-ketabi.de Literatur beim Verfasser