HILFE BEIM STERBEN KEINE HILFE ZUM STERBEN Dr. Dietmar Weixler, MSc Prof. Dr. Friedemann Nauck Empfehlungen des Europarates Das Österreichische Parlament hat mit Abschluss der parlamentarischen Enquetekommission „Würde am Ende des Lebens“ im März 2015 die bestehenden strafrechtlichen Bestimmungen bekräftigt und verweist auf die Empfehlung 1418 des Europarates aus 1999: dass die Würde von Todkranken und Sterbenden in jeder Hinsicht zu schützen ist dass ein gesetzliches Verbot vorsätzlicher Tötung von Todkranken oder Sterbenden bekräftigt wird dass Todkranke oder Sterbende ein Anrecht auf umfassende Palliativpflege haben dass ihr Recht auf Selbstbestimmung zu schützen ist Ausbau von Hospiz- und Palliativarbeit In einem Allparteienentschluss aus März 2015 beschließt das Österreichische Parlament 51 Punkte, den Ausbau von Hospiz- und Palliativarbeit betreffend, die bis 2020 umzusetzen sind. Es besteht in Österreich unter Befürwortern und Gegnern des assistierten Suizids bzw. der Tötung auf Verlangen der Konsens, dass der Begriff „Sterbehilfe“ obsolet ist, da dieser Begriff irreführend und unklar ist. Autoren: Dr. Dietmar WEIXLER MSc, Prof. Dr. Friedemann NAUCK © Dezember 2015 · NÖ PPA · Laut gedacht · Hilfe beim Sterben – keine Hilfe zum Sterben Seite 1 von 12 Die Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes hat im Vorfeld des parlamentarischen Beschlusses Empfehlungen zum aktuellen Strafrecht erarbeitet. Diese Empfehlungen zeigen, dass sich eine Gruppe aus der Bioethikkommission für die Beibehaltung der Strafrechtlichen Bestimmungen aussprechen, eine andere Gruppe für eine Liberalisierung. Liberalisierung bedeutet, dass sich diese Gruppe dafür ausgesprochen hat, die Beihilfe zum Suizid unter gewissen Bedingungen straffrei zu stellen1. Das Strafrecht bildet den Wertekatalog einer Gesellschaft ab. Menschen am Lebensende, Todkranke und Sterbende werden als besonders verletzlich und schutzwürdig erachtet. Die betroffenen Paragraphen des Strafrechts sind: § 77 StGb Tötung auf Verlangen Wer einen anderen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen. § 77 StGb ist durch seine Formulierung bedingungslos, d.h. dass - anders als in den Benelux-Ländern geregelt - keinerlei Gründe zur Rechtfertigung bestehen können, die es gestatten würden einen anderen Menschen auf sein Verlangen hin zu töten. § 78 StGb Mitwirkung am Selbstmord Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen. Der Begriff des „Selbstmordes“ ist in der Medizin verlassen, da man anerkennt, dass eine Selbsttötung (Suizid) keine Handlung ist, die eine böse Absicht verfolgt oder aus niedrigen Motiven heraus erfolgt. Die Selbsttötung ist auch kein Delikt, Tat und auch Versuch sind nicht mit Strafe bedroht. In den meisten Fälle verüben Menschen aus dem Umstand einer bestehenden psychischen Erkrankung heraus einen Suizid, eingeengt in ihren Handlungsmöglichkeiten, verzweifelt und perspektivlos. Ein Gefühl der Wertlosigkeit kann sich beim Erkrankten etabliert haben. Selbsttötungen haben dramatische und lang anhaltende Auswirkungen auf das soziale Umfeld. Suizidal eingeengte Menschen sind nicht frei in Denken und Handeln, sie benötigen fachliche 1 Sterben in Würde – Empfehlungen zur Begleitung und Betreuung von Menschen am Lebensende und damit verbundene Fragestellungen. Stellungnahme deer Bioethikkommission, 9. Februar 2015 www.bundeskanzleramt.at/bioethics Autoren: Dr. Dietmar WEIXLER MSc, Prof. Dr. Friedemann NAUCK © Dezember 2015 · NÖ PPA · Laut gedacht · Hilfe beim Sterben – keine Hilfe zum Sterben Seite 2 von 12 medizinische und psychologische Hilfe. Daher wäre es verfehlt, suizidal eingeengten Menschen Assistenz bei der Selbsttötung anzubieten. In der Diskussion um ein vorzeitig und aus freiem Entschluss gefassten Entscheidung im Zusammenhang mit einer tödlichen Erkrankung ist jedoch nicht der o.g. suizidaleingeengte Mensch vorzustellen, sondern ein Mensch, der angesichts des sicheren und nahen Todes selbst die Agenden in die Hand nehmen will und sich nicht auf ein Ungewisses einlassen möchte. Es gehe diesem Menschen um den Erhalt seiner ihm – und nur ihm - zugestandenen Steuerungsfähigkeit seines Schicksals, respektive seines Lebensentwurfes. Befürworter des assistierten Suizids betrachten das Argument der uneingeschränkten Selbstverfügungsgewalt als Hauptargument zur Durchsetzung einer strafrechtlich nicht sanktionierten Suizidassistenz. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang die Deutsche Rechtsauffassung: dort geht man davon aus, dass die Hilfe oder das Mitwirken an einer Tat, die nicht selbst mit Strafe bedroht ist, ebenso straffrei sein muss. Diese Auffassung ist in sich nicht logisch, wie man ohne Schwierigkeiten feststellen kann, wenn man sich einige Taten vor Augen ruft, die an sich straffrei sind, bei denen eine Beteiligung jedoch mit Strafe bedroht ist2. Lebensende Entscheidungen Die Verfasstheit von Menschen, die im Sinne des liberalen Lebensende Entscheidungen diskutieren ist in dem meisten Fällen eine gesunde. D.h. sie erleben sich als vital, unabhängig, selbstbestimmt, selbsttüchtig, zielorientiert und diesseitig, d.h. unabhängig von transzendenten Orientierungen wie z.B. religiöser Gebundenheit. Aus dieser „Arroganz der Gesundheit“ heraus, d.h. auch aus der Unerfahrenheit mit einer lebensbedrohlichen Krankheit und einem intensiven angewiesen sein plädieren sie für sich einen juristischen Fixpunkt einzurichten, auf den sie im gegebenen Fall zugreifen können. Die juristische Etablierung eines solchen Rechts auf Tötung hätte zur Folge, dass man dieses Recht auch einklagen könnte, wenn der Staat nicht Strukturen vorsieht, die eine Beanspruchung des Rechts ermöglichen kann. Der Sterbewunsch, der nicht selten von tatsächlich Todkranken geäußert wird, kommt hingegen aus dem Verlust wertgeschätzter Alltagsaktivitäten, einer Angst vor 2 (vgl. Hausbauen in Eigenarbeit = straffrei / Beteiligung eines NNB Experten („Pfuscher“) = strafbedroht; Flucht aus Kriegsgebieten = straffrei / Beteiligung von Dritten = ggf. strafbedroht (Schlepperei), diverse sexuelle Handlungen an sich selbst = straffrei – etc. Autoren: Dr. Dietmar WEIXLER MSc, Prof. Dr. Friedemann NAUCK © Dezember 2015 · NÖ PPA · Laut gedacht · Hilfe beim Sterben – keine Hilfe zum Sterben Seite 3 von 12 Autonomieverlust, Angst vor Perspektivlosigkeit, Angst vor Ausgeliefertsein, Angst vor Abhängigkeit, Angst vor Schmerzen. „Angst vor“ ist das Einende der Erscheinungen, die in sich in typischer Weise instabil sind, also nicht konsistent. Gerade jedoch die Konsistenz ist eine der Grundbedingung für wahrhaft autonome Entscheidungen. Grundbedingungen für autonome Entscheidungen: 1. vorhandene Einsichts- und Urteilsfähigkeit 2. ausreichende und verständliche Informationen sind zugänglich 3. Freiheit von Zwang – Vorhandensein von Optionen (mindestens 2 Handlungsmöglichkeiten) 4. unter Erfüllung minimaler Kriterien der Kohärenz („Wohlüberlegtheit“) 5. Konsistenz (Beständigkeit der Entscheidung) Konsistenz bedeutet, dass eine Haltung oder Einstellung unabhängig von Stimmung, Befindlichkeit oder Tagesschwankung ist und eigentlich auch relativ unabhängig vom Werturteil Dritter (z.B. Ratgeber aus Familie und Freundeskreis) 3. Kohärenz verweist auf die Stimmigkeit einer Entscheidung zu sonstigen lebenswirksamen Entscheidungen der Person. Von Wohlüberlegtheit könnte man u.U. sprechen, wenn man über eine Person sagen könnte: „Ja – genau so hat er die wesentlichen Entscheidungen seines Lebens getroffen!“. Im Hintergrund wirksame Triebkräfte von kohärenten Entscheidungen sind Werte, Ideale und Einstellungen, also für eine Person sehr stabile Faktoren. Entscheidung zum assistierten Suizid Die Entscheidung zum assistierten Suizid ist wie gesagt sehr häufig inkonsistent, d.h. im tatsächlichen Erleben von Sterbenskranken erlebt man typischer Weise, dass an einem Tag ein Sterbewunsch geäußert wird und am nächsten Tag die Frage nach der nächsten lebensverlängernden Therapie gestellt wird. Das Thema „Sterbewunsch“ ist Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Untersuchungen. 3 Beispiel: Dem Entschluss zu heiraten sollte ein hinreichendes Maß an Konsistenz innewohnen Autoren: Dr. Dietmar WEIXLER MSc, Prof. Dr. Friedemann NAUCK © Dezember 2015 · NÖ PPA · Laut gedacht · Hilfe beim Sterben – keine Hilfe zum Sterben Seite 4 von 12 Menschen mit Lebenszeit verkürzenden Erkrankungen beurteilen das Thema „assistierter Suizid“ sehr differenziert: Marit Karlson aus Stockholm hat 66 Menschen interviewt und qualitativ ausgewertet4: Eine Mehrheit (51%) von Erkrankten lehnen es ab, ein Recht auf Tötung auf Verlangen zu etablieren, keiner der Erkrankten möchte es an sich selbst realisiert haben, nur 29% befürworten es im Allgemeinen. Sie erkennen aus ihrer Situation heraus ihre Abhängigkeit in den damit verbundenen Entscheidungen, die Macht der Ärzte und die Notwendigkeit des Vertrauens. Auch sie gestanden die Wechselhaftigkeit ihres Willens im Verlauf der Erkrankung an, sie berichteten von der Schwierigkeit, ihren Willen vom Willen anderen abzugrenzen. Im Nachwort zur Untersuchung verweist Karlsson auf Michel Foucault, der davon ausgeht, dass Wissen Macht ist und Wissen Kontrolle bedeutet. In der Beziehung von ÄrztInnen und PatientInnen besteht stets ein Ungleichgewicht der Machtverhältnisse, alleine durch das Privileg des Zugangs zu Informationen, das Privileg die Interaktion zu steuern und das Privileg nicht selbst in einer bedrohten Situation zu sein. Have und Welie5 vertreten die Ansicht, dass die gesetzlichen Regelungen zur Euthanasie in den Niederlanden die Absicht verfolgt hätten, die Patientenautonomie zu stärken – die Folge war jedoch das Gegenteil, sagen die beiden Ethiker: die Patienten, die Tötung auf Verlangen oder assisitierten Suizid wünschen, sind in einem höheren Maße auf Ärzte angewiesen, da es die Ärzte sind, die das Recht innehaben zu definieren, ob eine Erkrankung unheilbar ist denen das Recht zugestanden wird Aussagen über Prognosen zu treffen die darüber befinden, ob eine Person einsichts- und urteilsfähig ist die darüber entscheiden, ob überhaupt ein Verfahren zur Tötung anwendbar sein kann und die (in der Praxis) entscheiden, welches Verfahren angewendet wird (assistierter Suizid oder Tötung auf Verlangen) 6 4 Karlsson M, Milberg A, Strang P. Dying cancer patients own opinions on euthanasia: an expression of autonomy? A qualitative study. Palliative Medicine 2011; 26(1):34-42 5 Ten Have HT, Welie JVM. Death and medical power: an ethical analysis of Dutch euthanasia practice. Maidenhead: Open University Press, 2005 6 „paradoxically, the choice of physician-assisted suicide is predominantly a physician´s one” Zitat aus Kouwenhoven PSC, van Thiel GJMW, Rajmakers NJH et al. Euthanasia or physician assisted suicide? A survey from the Netherlands. European Journal of General Practice 2013; online 1-7 Autoren: Dr. Dietmar WEIXLER MSc, Prof. Dr. Friedemann NAUCK © Dezember 2015 · NÖ PPA · Laut gedacht · Hilfe beim Sterben – keine Hilfe zum Sterben Seite 5 von 12 Eine Gesellschaft sollte sich reiflich überlegen, ob sie ihre Ärzte mit diesen Privilegien und dieser Macht ausstatten will, die Österreichische Ärztekammer will einstimmig darauf verzichten. Die Entscheidung, ob der Todeswunsch eines Menschen rechtmäßig statthaft ist, erfordert ein Unwerturteil über das betreffende Leben. Weshalb sollte es der Medizin vorbehalten sein, über Wert und Unwert zu urteilen? Es der Medizin zu überlassen, in Kategorien von „wert“ oder „unwert“ einzuteilen , hieße der Medizin eine Vormachtstellung in einem Diskurs einzuräumen, den sie aus ihrer Methodik heraus nie begründen kann. Die Forderung nach Töten auf Verlangen oder assistierten Suizid wird in klassischer Weise mit der Begründung auf unerträgliches Leiden argumentiert. Was „unerträglich“ ist, kann jedoch nur der Betroffene selbst zuerkennen – mit anderen Worten: Unerträglichkeit steht außerhalb der Möglichkeiten einer Objektivierbarkeit. Wie die Philosophin Claudia Bozarro argumentiert, ist auch der Begriff des Leidens wenig geklärt oder reflektiert. Leiden ist – dem allgemeinen Verständnis nach - ein holistisches Phänomen , also ein Phänomen, das der Bewertung des Leidenden (und ggf. der Mit-Leidenden) unterworfen ist und das über die Kontexte der medizinischen Bezüge hinausreicht. Holistisch meint die Deutungs- und Bedeutungsinhalte in einem umfassenden Rahmen, der sämtliches Erleben einer Person und sämtliche Bezüge der Person auf sich und seine Welt umgreift. Es steht in Frage, ob es die Medizin sein soll oder die Mittel der Medizin, die für diese umfassenden Phänomene Zuständigkeit beanspruchen soll. Die Zuständigkeit der Medizin ist begrenzt. Ausuferung – Tötung auf Verlangen in den Niederlanden und Belgien Ein letztes Argument gegen die liberalen Handhabungen des Strafrechts bei tödlichen Erkrankungen oder intensiven Leidenszutänden ist die Ausuferung und Ausweitung der Tötung auf Verlangen in den Niederlanden und Belgien. Hier Beispiele anzuführen hieße den Rahmen dieses Mediums zu sprengen – als Extremvariante sei die berichtete Tötung einer an Lungenkrebs erkrankten Frau in einem niederländischen Krankenhaus erwähnt: die Frau hatte Angst, in das Krankenhaus aufgenommen zu werden, weil sie befürchtete, sie könnte dort euthanasiert werden. Der behandelnde Arzt sagte ihr zu, dass das sicher nicht geschehen werde. Am Wochenende war ein anderer Arzt diensthabend. Dieser tötete sie (GEGEN ihren Willen!) mit dem Argument, dass er ein Autoren: Dr. Dietmar WEIXLER MSc, Prof. Dr. Friedemann NAUCK © Dezember 2015 · NÖ PPA · Laut gedacht · Hilfe beim Sterben – keine Hilfe zum Sterben Seite 6 von 12 Bett für einen anderen Patienten brauche und es ohnehin egal sei, ob die betroffene Frau jetzt oder in zwei Wochen sterbe7. Die Abwehr von gefährlichen juristischen Bedingungen ist genau so wenig Zuständigkeit der Medizin wie das Ausführen des Tötens bei „unerträglichem Leiden“. Daher soll hier angeführt werden, was Palliative Care in kritischen Situationen tun kann: mit ausreichender ärztlicher Kenntnis der Tumorschmerztherapie ist es möglich, exzellente Schmerzkontrolle herzustellen Palliative Care und Hospiz entspricht einem personenzentrierter holistischer Ansatz: die Anliegen des Patienten sind die Mission der Teams. Eine Einzelkämpfermedizin kann keine komplexen Probleme adressieren – Palliative Care braucht andere Berufsgruppen, auch außerhalb der Krankenhäuser. Da der Verlust an Mobilität und sozialer Teilhabe die Bedürfnisse von Schwerstkranken kritisch begrenzen, braucht es die Berufsgruppen Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie Leiden ist holistisch und dem Leben wesentlich – um alle Dimensionen des Leidens aufzufassen, braucht es Experten, welche die sozialen, existenziellen und spirituellen Aspekte des Leidens bearbeiten können, z.B. diplomierte SozialarbeiterInnen persönlicher kontinuierlicher und verlässlicher Beistand ist ein Kernelement die Betreuungseinheit soll strukturiert sein, verstehbar, berechenbar, kontrollierbar Ressourcen werden zugänglich gemacht, unangemessen aggressive Therapien oder Therapien die nicht zielführend sind, werden gemeinsam abgewehrt Ziel ist es, eine Atmosphäre der Sicherheit herzustellen, in der sich der Betroffene verstanden fühlt und er gehört wird. Wenn andere versuchen, über ihn zu bestimmen, versteht sich Palliative Care als Anwalt seiner Interessen und Bedürfnisse auch gegen die Interessen Dritter Entscheidungen werden im Sinne des informed consent hergestellt Kommunikation ist das wichtigste Instrument – sie soll zeitnahe erfolgen, authentisch und empathisch Das alles braucht ZEIT, ZEIT und ZEIT, um DA ZU SEIN in aufmerksamer Zugewandtheit Mitgeteilt von Oduncu FS. Ärztliche Sterbehilfe im Spannungsfeld von Medizin, Ethik und Recht. Teil 2: palliativmedizinische und medizinethische Aspekte, MedR 2005, Heft 9, S. 523 Autoren: Dr. Dietmar WEIXLER MSc, Prof. Dr. Friedemann NAUCK © Dezember 2015 · NÖ PPA · Laut gedacht · Hilfe beim Sterben – keine Hilfe zum Sterben Seite 7 von 12 Die Bedingungen für einen gerechten Zugang zu den notwendigen Ressourcen ist zurzeit nicht gegeben. Wir freuen uns auf den nahen Zeitpunkt, wenn der parlamentarische Allparteienentscheid aus 2015 umgesetzt wird, für alle, die es brauchen. Wir freuen uns auf das Verständnis des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger und allen anderen verfügungsberechtigten Instanzen, um jene Mittel erreichbar zu machen, die es braucht um als Österreicher bis zum Tod in geborgener Atmosphäre zu leben. Dr. Dietmar Weixler MSc (palliative care) Autoren: Dr. Dietmar WEIXLER MSc, Prof. Dr. Friedemann NAUCK © Dezember 2015 · NÖ PPA · Laut gedacht · Hilfe beim Sterben – keine Hilfe zum Sterben Seite 8 von 12 Sterbehilfedebatte in Deutschland berührt auch die Hospiz- und Palliativversorgung Hospizarbeit und Palliativmedizin haben sich in den vergangen Jahren in Deutschland dynamisch entwickelt - sie stehen für Sterbebegleitung. Gleichzeitig besteht eine lebhafte Diskussion in der Gesellschaft, aber auch in der Ärzteschaft um Sterbehilfe. Palliativversorgung hat es sich in der Sterbebegleitung zur Aufgabe gemacht, sich schwerkranken und sterbenden Menschen gegenüber respektvoll zu verhalten, sich mit den Wünschen und Sorgen der Patienten intensiv auseinanderzusetzen, physisches Leid zu lindern sowie Patienten und deren Angehörige bei psychosozialen und spirituellen Problemen zu unterstützen. Es geht also um die „Hilfe beim Sterben und nicht um die Hilfe zum Sterben“. Hilfe zum Sterben beinhaltet einerseits die Tötung auf Verlangen, früher als „aktive Sterbehilfe“ bezeichnet. Diese ist in Deutschland verboten und liegt laut Strafgesetzbuch (StGB) § 216 vor, wenn jemand durch das „ausdrückliche und ernstliche Verlangen“ des Getöteten zur Tötung bestimmt wurde und den Tod gezielt aktiv herbeiführt. Die Tötung auf Verlangen ist in den Niederlanden („Euthanasie“), Belgien und Luxemburg dagegen unter bestimmten Bedingungen straffrei gestellt. In der öffentlichen Diskussion und den Beratungen im Deutschen Bundestag geht es derzeit um die Auseinandersetzung, ob es einen Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung geben sollte, oder nicht. Gleichzeitig wird in der Ärzteschaft diskutiert, ob der ärztlich assistierte Suizid zu den ärztlichen Aufgaben gehört, oder - wie auf dem Deutschen Ärztetag im Jahr 2011 beschlossen und im §16 der Musterberufsordnung (MBO) festgehalten -, zu untersagen. Dieser Paragraph wurde wie folgt neu gefasst: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Beihilfe zum Suizid leistet, wer einem Menschen, der sich selbst tötet, dabei Hilfe leistet. (Bei-)Hilfe zum Suizid ist in Deutschland straffrei, wenn die Selbsttötung frei und eigenverantwortlich gewollt und verwirklicht ist. Rechtlich gesehen ist dann auch der ärztlich Assistierte Suizid zuerst einmal eine Beihilfe zum Suizid und als solcher straflos. Eine besondere Bedeutung kommt dem ärztlich assistierten Suizid dadurch zu, dass Ärzte hier ihre beruflichen Kompetenzen nutzen, d.h. dem Sterbewilligen den Weg in ihrer professionellen Rolle ebnen. Autoren: Dr. Dietmar WEIXLER MSc, Prof. Dr. Friedemann NAUCK © Dezember 2015 · NÖ PPA · Laut gedacht · Hilfe beim Sterben – keine Hilfe zum Sterben Seite 9 von 12 Auch wenn wir wissen, dass selbst bei exzellenter Hospizarbeit und Palliativmedizin es Menschen geben wird, die „so“ nicht mehr leben wollen und Suizid begehen möchten, so wissen wir auch, dass Todeswünsche unterschiedlich ausgeprägt sein können. Der Sterbewunsch kann die individuelle Not und Verzweiflung in einer für den Patienten unerträglichen Situation ausdrücken. Oftmals ist es die Angst, Schmerzen oder anderen belastenden Symptomen hilflos ausgeliefert zu sein, in eine zunehmende Abhängigkeit zu geraten oder anderen zur Last zu fallen. Der Sterbewunsch eines Patienten sollte nicht tabuisiert werden, da er auch als ein Zeichen des Vertrauens gegenüber den Behandlern gewertet werden kann. In Gesprächen kann man immer wieder die Ambivalenz erkennen, in der der Wunsch zu sterben neben dem Wunsch zu leben stehen kann. Auch wenn der explizit geäußerte Wunsch nach assistiertem Suizid im klinischen Alltag selten ist, so stellt dieser eine besondere Herausforderung für das gesamte Behandlerteam dar. Hier ist es unsere Aufgabe, unsere Patientinnen und Patienten und deren Zugehörige umfassend in einer schwierigen Situation zu unterstützen und mit Kompetenz, Zuwendung sowie Offenheit und Vertrauen den Schwerkranken und Sterbenden beizustehen. Literatur: Nauck F, Ostgathe C, Radbruch L. Hilfe beim Sterben - keine Hilfe zum Sterben. Deutsches Ärzteblatt 2014;3:A67-A71. Autoren: Dr. Dietmar WEIXLER MSc, Prof. Dr. Friedemann NAUCK © Dezember 2015 · NÖ PPA · Laut gedacht · Hilfe beim Sterben – keine Hilfe zum Sterben Seite 10 von 12 Über die Autoren: Dr. Dietmar WEIXLER, MSc (palliativ care) geboren 1.1.1962 in Salzburg Medizinstudium in Wien, Promotion zum Dr. der gesamten Heilkunde 1990 in Wien Ausbildungen: Allgemeinmedizin; Notarzt; Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin; Hypnose und hypnotische Kommunikation; Master of Science in Palliative Care (PMU Salzburg), ÖÄK-Diplome Palliativmedizin, Spezielle Schmerztherapie, Fortbildungsdiplom der ÖÄK. Hospitationen in New York/USA, Beirut/Libanon, München/D Aktuelle Tätigkeiten: Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin am Landesklinikum HornAllentsteig, Leiter des Palliativkonsiliardienstes und des Mobilen Palliativteams, Notarzt am NEF 058/099 in Horn, Mitglied AG Palliativmedizin, der ARGE Ethik und der Sektion Schmerz der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), Leiter der AG Ethik und Vorstandsmitglied der Österreichischen Palliativgesellschaft. Vorträge und Workshops in Notfallmedizin, Schmerztherapie und Palliative Care im In- und Ausland. Lehrgangsorganisation und -begleitung des palliativmedizinischen Universitätslehrganges (PMU Salzburg). Kooperationspartner der Salzburger Palliativkurse (www.palliativkurse.at) Publikationen (excl. Originalartikel in wissenschaftlichen Periodika): Notfallmedikamente, Autor: Weixler D. Facultas-WUV Wien 2000 Praxis der Sedierung, Autoren: Weixler D, Paulitsch K 2003 Palliative Sedierung im Lehrbuch für Pflegende, Hg. Cornelia Knipping, 3. Aufl. Hans-Huber-Verlag Bern 2012 Palliative Sedierung, Notfälle in der Palliativmedizin. AutorInnen: Werni, M., Likar, R., Stohscheer, I., Zdrahal, F., Bernatzky, G. (2012) Palliativmedizin – Lehrbuch für Ärzte, Psychosoziale Berufe und Pflegepersonen. UNIVERSIMED-Verlag Palliative Care im Rettungsdienst. Autoren: Redelsteiner C, Kuderna H, Kühberger et al. Das Handbuch für Notfall- und Rettungssanitäter, 2. Aufl. Braumüller 2011 Mitgliedschaften: ÖSG, ÖGARI, AUPACS, OPG, ÖGN Aktuelle Forschungsthemen: Nationale Leitlinie Palliative Sedierungstherapie, Prävalenz der Palliativen Sedierungstherapie in Österreich, Polypharmazie privat: lebt in Niederösterreich, verheiratet, 2 Kinder website: www.dietmar-weixler.at email: [email protected] Autoren: Dr. Dietmar WEIXLER MSc, Prof. Dr. Friedemann NAUCK © Dezember 2015 · NÖ PPA · Laut gedacht · Hilfe beim Sterben – keine Hilfe zum Sterben Seite 11 von 12 Prof. Dr. Friedemann NAUCK Direktor der Klinik für Palliativmedizin an der Universitätsmedizin Göttingen, Inhaber des Lehrstuhls für Palliativmedizin an der Georg-August-Universität Göttingen. 2010-2014 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Forschungsschwerpunkte: Versorgung am Lebensende, Symptomkontrolle, ethische und rechtliche Fragestellungen in der Patientenversorgung, Autonomie und Vertrauen in der modernen Medizin. Georg-August-Universität Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Tel.: ++49-551-39 10500 Fax.: ++49-551-39 10502 Email: [email protected] www.palliativmedizin.uni-goettingen.de Impressum Im Letter LAUT GEDACHT stellen namhafte und erfahrene Experten Überlegungen zur Umsetzung der Patientenrechte an. Der Letter erscheint unregelmäßig seit Juli 2001 und findet sich auf www.patientenanwalt.com zum kostenlosen Download. Herausgeber: NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft, A 3109 St. Pölten, Rennbahnstrasse 29 Tel: 02742/9005-15575, Fax: 02742/9005-15660, E-Mail: [email protected] Für den Inhalt verantwortlich: Der Letter dieser Reihe repräsentiert jeweils die persönliche Meinung des Autors. Daten und Fakten sind gewissenhaft recherchiert oder entstammen Quellen, die allgemein als zuverlässig gelten. Ein Obligo kann daraus nicht abgeleitet werden. Herausgeber und Autoren lehnen jede Haftung ab. © Copyright: Dieser Letter und sein Inhalt sind urheberrechtlich geschützt. 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