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Überblick
Judentum
Islam
Ahmadiyya-Bewegung und die Baha’i-Religion
Hinduismus
Buddhismus
Überblick
Die religiöse Vielfalt in unserer Gesellschaft nimmt zu, nicht nur in den
Ballungsgebieten, sondern auch im ländlichen Raum. Das bedeutet,
dass viele Angebote vor Ort um Anhängerschaft konkurrieren, und
dass die Bürgerinnen und Bürger dazu neigen, nach eigenen Bedürfnissen zwischen den religiösen Vorstellungen oder Gemeinschaften
auszuwählen. Viele Menschen werten die Vielfalt der Religionen positiv, nämlich als einen Zuwachs an persönlicher Freiheit. Sie fordern
Toleranz und Dialogfähigkeit von allen Gruppen – auch den Kirchen –
ein. In der Tat erfordert ein gedeihliches Zusammenleben die Bereitschaft, sich gegenseitig um Verständnis zu bemühen und miteinander
zu sprechen. Die evangelischen Gemeinden vor Ort sind mit verantwortlich dafür, dass das Zusammenleben gelingt. Auf der anderen
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Seite werten viele Christen – und andere Zeitgenossen – die religiöse
Pluralität negativ, nämlich als Relativierung aller Standpunkte bis hin
zur Beliebigkeit. Tatsächlich fragt sich, wie Menschen auf Dauer in
einer Gesellschaft miteinander leben wollen, wenn sie sich über
Grundwerte des Lebens nicht einigen können. Was ist, wenn eine
Gruppe absolute Wahrheitsansprüche politisch oder rechtlich durchzusetzen versucht? Daher stellt die religiöse Vielfalt unsere Gemeinden vor die Aufgabe, gute Gesprächs- und Begegnungsmöglichkeiten
zu entwickeln, und dabei ihre eigene evangelische Position klar einzubringen. Dabei ist die Verschiedenheit der Religionen und Gemeinschaften zu berücksichtigen. Sowohl was ihr Verhältnis zum christlichen Glauben angeht, als auch was ihr Verhältnis zum religiös neutralen modernen Staat angeht, unterscheiden sie sich stark. Unser Staat
kann der einen Gruppe (Zeugen Jehovas) als ”satanisches System” erscheinen, eine andere kann ihn als praktische, lebensfördernde Einrichtung bejahen (Aleviten). Das Judentum ist auf vielfältige Weise mit
dem christlichen Glauben verbunden, der tibetische Buddhismus
(Diamant Fahrzeug) begegnet Christen als eine fremde, schwer verstehbare religiöse und kulturelle Tradition. Trotzdem – oder gerade
deswegen – gibt es im gebildeten Bürgertum nicht nur großes Interesse für das Judentum, sondern auch für den tibetischen Buddhismus.
Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren. In diesem Kapitel und
im vorhergehenden Kapitel wird ein erster Überblick mit Praxishinweisen gegeben, nicht nur über die großen Religionen, sondern auch
über Sondergemeinschaften und sogenannte Sekten. Weitere Informationen und Hilfen lassen sich bei den am Schluss der Kapitel aufgeführten Stellen abrufen.
Judentum
Jüdische Gemeinde und das Volk Israel
In Deutschland leben heute ungefähr 68.000 Personen jüdischen
Glaubens, etwa 1.000 gehören der „Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs“ (Hospitalstraße 36, 70174 Stuttgart) an. Dort be-
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findet sich auch der Sitz der Rabbinerkonferenz in der Bundesrepublik
Deutschland. Die einzige derzeit für jüdische Gottesdienste benutzte
Synagoge Württembergs steht in Stuttgart. Vor den entsetzlichen
Judenverfolgungen der NS-Zeit bestanden noch über 50 jüdische Gemeinden. 2.500 Mitglieder dieser Gemeinden wurden in den Vernichtungslagern ermordet.
Das Judentum ist eine Glaubens- und eine Volksgemeinschaft. Jude
wird man durch Geburt von einer jüdischen Mutter oder durch Übertritt. Die Geschichte des Judentums beginnt mit der Geschichte des
Volkes Israel. Nach jahrhundertelangem Wechsel zwischen politischer
Selbständigkeit und Abhängigkeit von anderen Staaten zerschlugen
die Römer im Jahr 70 nChr den jüdischen Staat und zerstörten den
Tempel. Seither lebten fast alle Juden in der Diaspora. Zentren des Judentums bildeten sich seit dem Mittelalter in West- und Osteuropa.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Massenmord am jüdischen Volk wurde 1948 Israel das nationale und religiös-kulturelle
Zentrum des jüdischen Volkes. Israeliten nennt man die Angehörigen
des Volkes Israel in at Zeit, Israelis die Einwohner des modernen Staates Israel heute. Wichtige Kultur- und Religionszentren befinden sich
jedoch auch in den USA und Kanada, wo derzeit etwa 6 der ca 14 Millionen Juden der Welt leben.
Judenverfolgungen und Antisemitismus
Seit dem 2. Jahrhundert nChr lässt sich in der christlichen Kirche ein
immer stärker werdender Antijudaismus feststellen. Paulus hatte sich
im Römerbrief gegen solche Tendenzen gewehrt (Röm 9-11), doch
fand er in den folgenden Jahrhunderten kaum Gehör. Zahlreiche Prediger der Alten Kirche entwarfen Feindbilder von Judentum und Synagoge. Lügen und abergläubische Vorurteile über die Juden führten
schließlich im Mittelalter zu grausamen Verfolgungen in ganz Europa
(insbesondere in den Pestjahren 1348/49). In seinen letzten Lebensjahren schrieb auch Martin Luther einige antijüdische Schriften, die
noch in der NS-Zeit ihre Wirkung hatten. Seit dem 19. Jahrhundert
verbreitete sich eine scheinbar wissenschaftliche Theorie von angeblich verschiedenwertigen Menschenrassen. Sie führte zu einem „rassischen Antisemitismus“, nicht mehr auf religiöser, sondern auf rassistischer Grundlage. Aus ihm entstand die Rassenideologie der Nationalsozialisten, die ihre schreckliche Folge in der Ermordung von 6 Millionen Juden Europas hatte.
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Christlich-jüdische Annäherung
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs reagierten viele Christen entsetzt auf das Schweigen der Kirchen zu den Judenmorden. Es galt, die
antijüdische Vergangenheit der Kirchen aufzuarbeiten. In vielen
Orten, wo es wieder jüdische Gemeinden gab, entstanden Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Kirchliche Arbeitskreise bemühen sich seither um die Begegnungen zwischen Juden
und Christen, Adressen s u. Bei diesen Bemühungen wird deutlich,
dass Christen und Juden in vielfältiger Weise voneinander lernen können und dass sie trotz der Unterschiede ”Partner im Glauben” sind.
Die nt Grundlage dieser Annäherung ist eine Besinnung auf die paulinischen Gedanken in Röm 9-11. Wichtig ist auch die Wiederentdeckung der at und frühjüdischen Wurzeln der Verkündigung Jesu.
Jüdischer Glaube
Der jüdische Glaube beruht auf Grunderfahrungen des Volks Israel,
wie sie im AT (aus jüdischer Sicht: in der hebräischen Bibel) festgehalten sind:
„ Gott ist ein Gott der Bundesschlüsse: zuerst mit Noah und durch
ihn mit der ganzen Menschheit; dann mit Abraham und seinen
Nachkommen; vor allem mit Mose und dem Volk Israel am Sinai.
„ Israel hat am Sinai durch Mose die Tora Gottes empfangen, die
schriftliche in den fünf Büchern Mose, ferner die „mündliche Tora“,
die später in der Mischna und im Talmud schriftlich niedergelegt
wurde, um das Leben der Menschen im Sinne des Willens Gottes
zu regeln.
„ Israel ist zu einem „heiligen Volk“, einem „Königtum von Priestern“
(2Mose 19,6) berufen. Es soll die religiöse und moralische Lehre aus
der Tora den anderen Völkern vorleben und sie dadurch verbreiten.
„ Das Glaubensbekenntnis Israels ist das „Sch‘ma Jisrael“, ein Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes: „Höre, Israel, der Ewige ist unser
Gott, der Ewige ist einzig“ (5Mose 6,4).
Um 1200 nChr fasste der jüdische Philosoph Maimonides allgemeingültige jüdische Glaubenssätze zusammen (Auswahl):
„ Gott ist der einzige Schöpfer und Herr der Welt; von ihm ist alles
abhängig.
„ Die Einheit Gottes ist unteilbar und absolut.
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„ Gott ist der Erste und Letzte, der Absolute, der Ewige.
„ Es ist verboten, einen anderen außer Gott anzubeten bzw als solchen anzuerkennen.
„ Die Worte der biblischen Propheten sind Wahrheit.
„ Mose war der wahre, von Gott beauftragte und größte aller Propheten.
„ Die Tora wurde dem Volk Israel durch Mose gegeben. Sie hat ewige
Gültigkeit.
„ Gott ist allwissend; er kennt alle Gedanken und Werke der Menschen.
„ Gott vergilt Gutes und bestraft die Vergehen.
„ Der Messias wird kommen.
„ Die Verstorbenen werden von Gott wiederbelebt.
Moderne Strömungen
Im neuzeitlichen Judentum gibt es unterschiedliche Strömungen, die
das religiöse Erbe in verschiedener Weise interpretieren. Zu den wichtigsten gehören das traditionelle Judentum, das orthodoxe Judentum
(zu dem auch der in Polen und Rußland entstandene Chassidismus
gehört), das liberale Reformjudentum und das hierzu als Alternative
entstandene konservative Judentum. Es gibt auch nichtreligiöse Juden,
denen viel an der Erhaltung der jüdischen Kultur, am Aufbau und der
Sicherung des Staates Israel und an sozialen Aktionen liegt. Sie zählen
ebenfalls als vollwertige Juden. Das mystische Judentum bezieht sich
auf die sogenannte Kabbala („Überlieferung“, aber auch „Enthüllung“), die einen großen Einfluss auf westliche Esoteriker hatte.
Religiöses Leben im Judentum
Charakteristisch für das religiöse Leben im Judentum sind die Einhaltung der Sabbat-Ruhe und das Begehen der jüdischen Feiertage. Der
Schabbat beginnt am Freitag Abend. Im Synagogen-Gottesdienst am
Samstag werden festgelegte Perikopen aus der Torarolle und den Propheten- bzw Geschichtsbüchern im Sprechgesang verlesen und Gebete gesprochen; es kann auch eine Predigt gehalten werden.
Die wichtigsten Feste sind:
„ Neujahrsfest (Rosch Haschana) im September/Oktober (der jüdische Kalender zählt die Jahre „seit der Weltschöpfung”);
„ Versöhnungstag (Jom Kippur) als der heiligste Feiertag, ein Fasten-
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und Bußtag, der als Versöhnungstag zwischen Israel und Gott betrachtet wird;
„ Laubhüttenfest (Sukkot) als Erntedank und zur Erinnerung an die
Zeit Israels in der Wüste;
„ Lichterfest (Chanukka) zur Erinnerung an die Neueinweihung des
Tempels nach dem Aufstand der Makkabäer (2. Jahrhundert vChr);
„ Purimfest als Freudenfest zur Erinnerung an die Errettung der Juden
in Persien durch Ester;
„ Pessachfest (Passa) zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten, eine
Art Geburtstagsfest des jüdischen Volkes;
„ Wochenfest (Schawuot) als das biblische Erntefest, das in der Diaspora als „Fest, an dem die Tora gegeben wurde“ gefeiert wird (50
Tage nach Pessach).
Die Speisegesetze sind ein weiterer Bestandteil jüdischer Frömmigkeit.
„Milchige und fleischige“ Speisen dürfen nicht zusammen verzehrt
werden. Fleisch muss nach jüdischen Vorschriften zubereitet werden;
bestimmte Tiere sind zum Verzehr nicht erlaubt. Zu Pessach ist keine
gesäuerte Nahrung erlaubt. Alle Speisen, die diesen Vorschriften entsprechen, gelten nach Bescheinigung eines Rabbinats als „koscher“.
Wichtig ist weiterhin die Orientierung an jüdischem Ehe- und Familienrecht und die Einhaltung von Bräuchen und Zeremonien, die an bestimmte Lebensphasen gebunden sind, zB die Beschneidung von Jungen am achten Tag nach der Geburt; die Bar-Mitzwa-Feier der Jungen
mit der Vollendung des 13. Lebensjahres bzw die Bat-Mitzwa-Feier
der Mädchen mit der Vollendung des 12. Lebensjahres; die Einhaltung
von Riten und Trauerzeiten bei einem Todesfall und anderes mehr.
Spuren der jüdischen Geschichte in Württemberg
Spuren der jüdischen Geschichte in Württemberg gibt es an Orten, in
denen zB eine ehemalige Synagoge restauriert wurde: ua in Freudental (Pädagogisch-Kulturelles Centrum, Strombergstraße 19, 74392 Freudental), Wallhausen-Michelbach an der Lücke (Gedenkstätte und Museum), Hechingen (Kulturzentrum), Obersulm-Affaltrach (Museum),
Bopfingen-Oberdorf (Kulturzentrum). An diesen Orten befinden sich
auch jüdische Friedhöfe. Mehrere KZ-Friedhöfe und -Gedenkstätten
erinnern an die Leidensgeschichte der NS-Zeit (zB Bisingen/Hohenzollern, Schömberg/Balingen, Vaihingen/Enz und andere Orte). Einen
Überblick gibt die Landeszentrale für politische Bildung unter der Internet-Adresse http://www.lpb.bwne.de/gedenk/gedenk1.htm
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Innerhalb der Württembergischen Landeskirche gibt es Einrichtungen
und Arbeitskreise, die sich des Themas Judentum auf unterschiedliche Weise annehmen:
Arbeitsgruppe „Wege zum Verständnis des Judentums“
Klosterhof 5, 73770 Denkendorf
Tel (0711) 34 40 30 oder 39
Christlicher Hilfsbund eV mit Liebeswerk Israel ”Zedakah”
Talstraße 100, 75378 Bad Liebenzell
Tel (07084) 64 55
Evangeliumsdienst für Israel
Postfach 20 02 18, 70751 Leinfelden-Echterdingen
Tel (0711) 79 39 87
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (CJZ)
Büchsenstraße 34, 70174 Stuttgart
Tel (0711) 29 60 06
Islam
Mindestens 1 Milliarde Menschen bekennen sich weltweit zum Islam;
er ist somit die zweitgrößte Weltreligion. Er geht auf Mohammed (570
bis 632 nChr) zurück, der 610 nChr in der Wüste bei Mekka eine Berufung zum Propheten erlebte. Weitere Offenbarungen folgten und
wurden später niedergeschrieben, nämlich die Suren des Koran. Mohammed wurde vom Judentum, daneben auch von Christen geprägt,
denen er auf Reisen als Händler begegnete. Er lehrte ursprünglich
einen strengen Monotheismus: Es gibt nur einen Gott, Allah. Er selbst,
Mohammed, wurde als „Warner“ gesandt, er hat dazu das Prophetenamt inne. Er kündigte das göttliche Gericht und die Totenauferstehung an. Daraus folgte die Mahnung, ein vor Gott richtiges Leben zu
führen, Maßstäbe Mohammeds waren Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und
Milde.
Der Prophet erlebte in Mekka entschiedene Gegnerschaft, daher kam
es 622 nChr zur Hedschra, zur Auswanderung in die 300 km entfernte Stadt Medina. Damit beginnt die am Mondjahr orientierte islamischen Zeitrechnung. In Medina stieg Mohammed zum Herrscher auf.
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Er sah sich vor der Aufgabe, die verfeindeten Araberstämme zu einer
Gemeinde (Umma) zusammenzuschließen. Aufgrund von Auseinandersetzungen mit dem Judentum, das Mohammed nicht als Propheten anerkannte, wurden die starken jüdischen Gemeinden vertrieben
oder vernichtet. Mohammed wandte sich vom Judentum ab, es kam
zur Ausbildung des Islam als eigener Religion. Nach jahrelangen Kriegen folgte 630 nChr die Eroberung Mekkas und die Einigung der Araberstämme. Durch Mohammeds Tätigkeit in Medina kam es im Islam
zu einer engen Verbindung von Geistlichem und Weltlichem, von Religion, Staat und Gesellschaft. Mohammed gilt als „Siegel der Propheten“, der Islam als abschließende Offenbarung für alle Völker. Mohammed starb 632 nChr in Medina. Seine Nachfolge als religiöser und
politischer Führer (nicht als Prophet) wurde durch das Kalifenamt (Khalifa bedeutet Stellvertreter) geregelt. In der Nachfolgefrage trennte sich
der Islam jedoch in Sunniten, für die das Kalifat an Tradition und Lehre
orientiert ist, und in Schiiten, für die es an die Blutsverwandtschaft mit
dem Propheten gebunden bleibt. 1924 wurde das Kalifat unter Kemal
Atatürk abgeschafft. Der Islam ist seitdem ohne zentrale Autorität.
Die Lehre des Islams
Folgende Unterschiede zum Judentum und Christentum machten den
Islam zur eigenständigen Religion:
Abraham gilt als Urvater nicht nur der Juden (über Isaak), sondern
auch der Araber (über Ismael); er gilt als Gründer der Kaaba (Heiligtum in Mekka) und ist damit wichtiger als Mose.
„ Mekka wird neues Religionszentrum, Wallfahrtsheiligtum und Ziel
der Gebetsrichtung (wie im Judentum Jerusalem).
„ Der Koran als Heilige Schrift steht über der Bibel.
„ Statt der drei täglichen Gebetszeiten im Judentum gelten jetzt fünf.
„ Es gibt eine eigene Fastenzeit (Monat Ramadan).
„ Der Tag des Gottesdienstes ist Freitag statt Sabbat oder Sonntag.
„ Es gibt eine Armensteuer statt des jüdisch-christlichen Zehnten.
Im Zentrum islamischer Theologie steht die Einheit und Einzigkeit
Allahs. Die Lehre von der Dreieinigkeit und Jesu Gottessohnschaft
werden abgelehnt. Allahs Wesen wird von seiner absoluten Erhabenheit und Majestät bestimmt. Das Gottesbild orientiert sich am unumschränkt herrschenden, aber auch gnädigen Monarchen, nicht an dem
des Vaters. Allah ist auch Schöpfer, wie im AT schafft er die Welt aus
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dem Nichts. Durch die Auferstehung der Toten wird der Mensch eine
Neuschaffung erleben.
Allahs Allmacht führt zu einer souveränen Vorherbestimmung sowohl
des menschlichen Schicksals als auch des menschlichen Heils oder
Unheils. Die richtige Haltung des Menschen gegenüber Allah ist die
Ergebung in seinen Willen: aktiv durch Gehorsam und Unterwerfung,
passiv durch Hinnahme des eigenen Schicksals und durch Hingabe.
Islam bedeutet wörtlich Ergebung.
Gott offenbart sich dem Menschen abschließend im Koran. Das Wort
bedeutet ”Lesung”, „Rezitation“, seine 114 Suren sind ”Bilder” oder
Abschnitte. Vor Mohammed sandte Allah jedem Volk der Erde seinen
eigenen Boten. Daher gab es vor ihm schon 124.000 Propheten. Der
Koran bringt die zusammenfassende, unverfälschte Offenbarung Allahs. Er ist in jedem Wort Allahs Offenbarung, im Himmel aufgezeichnet und Mohammed zur Weitergabe mitgeteilt. Die Sunna (Tradition,
Überlieferung) ergänzt den Koran durch weitere Aussprüche Mohammeds und durch Erzählungen. Am Jüngsten Tag findet eine allgemeine Totenauferweckung statt. Allah hält Gericht über die Menschen
aufgrund ihrer Werke, die er auf seiner Waage bewertet. Er bestimmt
jeden Menschen zu Himmel oder Hölle. Diese Orte der Ewigkeit werden im Islam recht irdisch gedacht, das Paradies als Fortsetzung der
Wonnen des Lebens, die Hölle als Ort der Qual.
Die Frömmigkeit – rechtgeleitete Selbstauslieferung
Für die islamische Frömmigkeit steht der Gedanke an den Gehorsam
gegen Gottes Willen, und an Gottes Gericht im Mittelpunkt des Lebens. Sünde ist eine Unvollkommenheit, die überwunden werden
kann. Der Mensch muss und kann durch Erfüllung des Gotteswillens
sein Heil schaffen. Dabei gilt es als größte Sünde, wenn Menschen
sich auf etwas anderes als auf Gott verlassen. Allah vergibt großzügig
dem, der bereut. Er hat dem Menschen im Koran die Kenntnis seiner
heilsamen Lebensordnung gegeben, aber auch die Weisungen, die er
braucht, um das Leben nach Gottes Willen zu gestalten. Darin besteht
Gottes Erbarmen, dass er den Menschen diese ”Rechtleitung” offenbarte.
Die fünf Säulen der islamischen Frömmigkeit sind
„ Das Glaubensbekenntnis „Es ist kein Gott außer Allah, und Mohammed ist der Gesandte Allahs“. Es ist zugleich Übertrittsformel
zum Islam.
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„ Das Pflichtgebet in Richtung Mekka, das fünfmal täglich vorgeschrieben ist (vor Sonnenaufgang; Mittag; Nachmittag; nach Sonnenuntergang; bei Einbruch der Nacht). Unter bestimmten Bedingungen kommt die Waschung dazu, nämlich an einem reinen Ort
(in der Moschee, auf einem Gebetsteppich). Das Freitagmittaggebet
bildet den Wochengottesdienst in der Moschee. Es gilt Teilnahmepflicht; sonst ist aber keine Arbeitsruhe vorgeschrieben.
„ Die Armensteuer ist einmal jährlich je nach dem Einkommen zu
entrichten.
„ Das Fasten im Monat Ramadan wird von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang eingehalten, keinerlei Speise und Trank und keine sexuellen Handlungen sind erlaubt. Im übrigen sind Alkohol und
Schweinefleisch immer verboten.
„ Die Wallfahrt nach Mekka soll nach Möglichkeit einmal im Leben
stattfinden.
Am Ende des Ramadan wird das Fest des Fastenbrechens (türkisch:
Zuckerfest) gefeiert; wichtig ist auch das Opferfest am Ende der Wallfahrtszeit, zu dem Opfertiere geschlachtet werden und das Fleisch
verteilt wird. Familienfeste finden anlässlich von Namensgebung, Beschneidung und Eheschließung statt.
Zur Vertiefung der islamischen Frömmigkeit über die Bereiche von
Theologie und Recht hinaus trägt die islamische Mystik bei, vor allem
in Gestalt des Sufismus. Sie entwickelte Wege der Gottesliebe, des
ständigen Gottesgedenkens (dhikr) und der mystischen Erfahrung, die
im persönlichen Verhältnis zwischen Meister und Schüler weitergegeben wurden und zur Gründung mystischer Orden (tariqa) führten.
Islamisches Recht: die Scharia
Der Islam ist eine umfassende, alle Lebensbereiche ordnende, gemeinschaftliche und öffentliche Religion, wie man am rituellen Gebet,
an der Beachtung des Ramadan in islamischen Ländern und am Freitagsgebet in der Moschee erkennen kann. Dieses Verständnis von Religion prägt auch die Rolle des Rechts im Islam. Ohne die öffentliche
Geltung des religiösen Gesetzes kann nämlich der Islam, zumindest
im traditionellen Verständnis, nicht voll verwirklicht werden. Dies
macht eine der Schwierigkeiten für Muslime in der Diaspora aus, etwa
in der Bundesrepublik Deutschland. Das islamische Gesetz, die Scharia, behandelt auf der Grundlage von Koran, Sunna und bestimmten
Auslegungsregeln ausführlich das Ehe- und Familienrecht, das Erbrecht
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sowie rituelle (Speisegebote und Schlachtungsvorschriften!) und kultische Fragen. Dazu kommt, auch heute noch in bestimmten islamischen Staaten, das Strafrecht einschließlich körperlicher Strafen. Innerhalb des sunnitischen Islam haben sich vier unterschiedliche Rechtsschulen entwickelt (in der Türkei herrscht die hanafitische vor); der
schiitische Islam besitzt eine eigene Rechtstradition. Kontroversen entzünden sich vor allem an der Anwendung der Scharia auf Nichtmuslime in islamisch dominierten Staaten. Islamische Rechtsgelehrte können über Einzelfragen Rechtsgutachten (fatwa) anfertigen.
Strömungen des Islams
Im Islam gibt es Auseinandersetzungen über den Umgang mit der modernen westlichen Welt, über das Verhältnis der muslimischen Traditionen zueinander usw. Man kann schematisch traditionalistische, reformistische, modernistische und islamistische (fundamentalistische)
Strömungen unterscheiden. Die Grenzen sind allerdings fließend.
„Traditionalisten“ in weiterem Sinn sind heute noch die Mehrheit aller
Muslime. Sie leben im Strom ihrer Tradition, wie sie sich in ihren Ländern und sozialen Schichten geschichtlich ausprägte. Reformisten
gehören dagegen zu einer Bewegung („Islah“, Reform), die sich als
Reaktion auf den westlichen Kolonialismus ausbreitete und den Islam
von (aus ihrer Sicht) nichtislamischen Einflüssen (zB Heiligenkult und
Verehrung von Gräbern) befreien wollte. Die Modernisten versuchen
die Quellentexte der Religion, vor allem Koran und „Hadith“, mit heutigen Augen zu lesen, um sie so zu verstehen, dass sie für die heutige
Zeit und Gesellschaft relevant werden. Sie versuchen die Tradition zu
revidieren, ohne die Grundlehren des Islams zu verlassen. Islamisten
(oder „Fundamentalisten“) formen ihre Religion zu einer Ideologie
um. Sie streben politische Macht an und wollen den Islam von der
Übermacht fremder Weltanschauungen und nichtislamischer Gemeinschaften befreien. „Den Islam“ freilich setzen die „Islamisten“ mit dem
Religionsgesetz („Scharia“) gleich, das im neunten und zehnten Jahrhundert von angesehenen Gottesgelehrten jener Epoche aufgrund der
Quellenschriften ausgearbeitet wurde. Diese Gesetze wollen sie möglichst unrevidiert im heutigen Staatsleben zur Geltung bringen.
Im türkischen Islam in Deutschland finden sich diese Strömungen wieder:
„ Der Volksislam prägt wahrscheinlich die Mehrzahl der türkischen
Muslime. Ihr Islam sind gelebte Riten und Gebräuche, die im so-
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zialen und Familienbereich oft sehr konservativ sind. Religiöse Erfahrung drücken sie in Weisheitssprüchen aus, die mit Versen aus
Koran und Tradition angereichert sind.
Der reformierte türkische Islam ist ein Ergebnis der Reformen, die
seit 1924 unter Kemal Atatürk mit dem Ziel durchgeführt wurden,
die Türkei in einen modernen, laizistischen Staat nach westlichem
Vorbild umzuwandeln. Seine Anhänger sehen im Islam nicht mehr
die Einheit von Religion, Gesellschaft und Politik, sondern für sie ist
Islam im modernen Sinn nur Religion. Andere vertreten die Meinung, der Islam sei weder Religion noch Politik, sondern nur ein
verpflichtendes kulturelles Erbe.
Der fundamentalistische Islam ist aus der Opposition gegen den laizistischen Staat entstanden und prägte, vor allem in der Anfangsphase, die bestorganisierten und aktivsten Gruppen des türkischen
Islam in Deutschland. Er sieht im Islam das von Gott unveränderlich
geoffenbarte Gesetz. Seine Anhänger legen großen Wert auf die
buchstabengetreue religiöse Praxis und Anwendung des islamischen Rechts (Scharia) ohne Abstriche.
Der regierungsoffizielle türkische Islam wird durch das „Amt für religiöse Angelegenheiten“ (Diyanet) repräsentiert. Dieses beschickt
viele Moscheen mit Hodschas, die in der Türkei ausgebildet wurden und einige Jahre in Deutschland tätig sind.
Der mystische Islam wird vom offiziellen Rechts-Islam argwöhnisch
beobachtet. Vertreter des mystischen Islam sind die islamischen
Bruderschaften („Tanzende Derwische“, Naqschibandi, Bektaschi).
Naqschibandi mit dem Großscheich Nazim Oubrusi Al-Haqqani geriet in die Schlagzeilen, weil deutsche Anhänger sich weigerten, ihr
an Krebs erkranktes Kleinkind behandeln zu lassen. Ein Schwerpunkt dieses Ordens liegt im Südschwarzwald.
Die anatolischen Aleviten, nicht zu verwechseln mit den syrischen
Aleviten (Nusairiern), wurden in der Türkei unterdrückt und verschwiegen, stellen jedoch einen erheblichen Teil der in Deutschland lebenden Türken. Sie verehren wie viele Schiiten Ali und die
zwölf Imame, unterscheiden sich aber sonst von Sunniten und Schiiten, vor allem durch eine liberale Lebensführung.
Islamische Organisationen
In Deutschland leben gut 3 Millionen Muslime, 80 Prozent von ihnen
stammen aus der Türkei. 310.000 Muslime sollen einen deutschen
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Pass haben. Die Zahlenangaben über deutsche Muslime schwanken
zwischen 11.000 und 100.000. In Stuttgart leben allein ca 40.000 Muslime. Die türkischstämmige Jugend verliert zunehmend den Kontakt
mit der Herkunftskultur, Korankurse werden von nur 7 Prozent besucht. In Deutschland sind 66 klassische Moscheen eröffnet worden.
Dazu kommen 2.200 Gebetshäuser bzw -räume.
Es gibt keine einheitliche Vertretung aller Muslime als Partner von Staat
und Kirchen, sondern zahlreiche Organisationen, teilweise zusammengefasst in einigen Dachverbänden:
„ DITIB („Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“. Das
Amt für Religion in Ankara heißt Diyanet und entsendet Imame und
Hodschas nach Deutschland). Dieser 1982 gegründete größte Verband vertritt den türkischen Staatsislam mit dessen laizistischen
Prinzip der Trennung von Staat und Religion. Ihm sollen ca 750
Vereine mit ca 150.000 Mitgliedern angehören. Von den Moscheen
in Deutschland gehören viele zu DITIB.
„ Dem 1986 gegründeten ISLAMRAT gehören verschiedene Organisationen mit (nach eigenen Angaben) gut 100.000 Mitgliedern an;
vor allem die „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs“ (IMGM, früher
AMGT) und eine Reihe mit ihr verbundener Vereine.
„ Dem 1994 gegründeten ZENTRALRAT DER MUSLIME IN DEUTSCHLAND (ZMD) gehören fast 20 Organisationen mit etwa 50.000 Mitgliedern an, darunter etliche „Islamische Zentren“ ferner die Union
der Türkisch-Islamischen Kulturvereine (ATIB) und der Verband der
Islamischen Kulturzentren (VIKZ). Der Zentralrat hat auch Verbindungen nach Saudiarabien und anderen islamischen Ländern. Die
türkischen Verbände haben ihr deutsches Zentrum in Köln.
„ Im 1996 gegründeten „Islamischen Kooperationsrat in Europa“ arbeiten viele Verbände zusammen. Islamrat und Zentralrat sind
Gründungsmitglieder.
Wichtige türkisch-islamische Organisationen:
„ IGMG (Islamische Gemeinschaft Milli Görüs) gehört dem Islamrat
an. Sie ist eng verknüpft mit der (verbotenen) Refah-Partei unter der
Leitung von Necmettin Erbakan, gilt als politisch-islamistische Bewegung und ist in Württemberg mit vielen Vereinen vertreten. Ihre
Vorgänger-Organisation AGTM wurde 1975 gegründet. Angaben
über Mitgliederzalen der IGMG variieren zwischen 30.000 und
60.000.
„ VIKZ (Verband der Islamischen Kulturzentren), 1973 gegründet,
gehört seit 1988 dem Zentralrat an und soll 20.000 Mitglieder
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haben. Er geht auf die Süleymanci-Bewegung zurück und ist vor
allem in der Koranunterweisung engagiert.
„ ADÜTDF („Föderation der Demokratischen Idealistischen Vereine
in Europa“, unter der Führung des verstorbenen C. Kaplan, des
„Khomeini von Köln“ und seines Sohnes), türkisch-nationalistisch
geprägt, etwa 10.000 Mitglieder. Davon hat sich abgespalten:
„ ATIB (Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine, früher „Türkisch-Islamische Union“), gehört dem Zentralrat an. Nach eigenen
Angaben 122 Vereine mit 11.000 Mitgliedern.
In der Württembergischen Landeskirche gibt es einen Arbeitskreis der
mit dem Thema Islam befassten Einrichtungen und Personen:
Arbeitskreis für Islamfragen der
Evangelischen Landeskirche in Württemberg
Gänsheidestraße 2-4, 70184 Stuttgart
Tel (0711) 21 49-516 (Geschäftsführung)
Ahmadiyya-Bewegung und die Baha’i-Religion
Die Ahmadiyya-Bewegung wurde 1889 von Mirza Ghulam Ahmad
(gest 1908) in Qadian (Indien) gegründet. Jesus ist seiner Lehre nach
nicht am Kreuz, sondern in Srinagar, der Hauptstadt Kaschmirs, im
Alter von 120 Jahren gestorben. Die Ahmadiyya zeigt dort sein Grab
und behauptet, dass Jesus in seiner Jugend bestimmte Yoga-Kenntnisse in Nordindien erlernt habe. Ghulam Ahmad verwarf seinerzeit die
gewaltsame Ausbreitung des Islam und empfahl eine friedliche Mission. Heute jedoch ist die Ahmadiyya eher aggressiv. In den meisten islamischen Ländern ist die Ahmadiyya-Bewegung inzwischen verboten
worden. In Pakistan wurde sie 1974 offiziell aus dem Islam ausgestoßen.
1914 kam es zur Spaltung in zwei Organisationen. Die „Qadianis“
(Ahmadiyya Muslim Jamaat), nach dem Zentrum in Qadian genannt,
halten Ghulam Ahmad nicht nur für den endzeitlichen Mahdi, sondern, im Gegensatz zum offiziellen Islam, für einen von Gott gesandten Propheten. Die „Lahoris“ (Ahmadiyya-Anjuman Lahore) betrachten ihn nur als Erneuerer des Islam. Beide Zweige haben in Deutschland Moscheen. In Württemberg gibt es einige Hundert Anhänger, die
durch intensive Mission auffallen.
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Im 19. Jahrhundert entstand auf dem Boden des schiitischen Islams in
Persien der Babismus. Aus ihm entwickelte sich der Baha’ismus, eine
Religion mit betont universalistischem Anspruch. Während der Babismus von den meisten Muslimen noch als islamisch angesehen wird,
betrachten die Baha’i sich selbst nicht mehr als Muslime, sondern als
eine universale Religion mit dem Ziel, die religiöse, politische und
rechtliche Einheit der Menschheit durch Schaffung einer Weltregierung
zu realisieren. Ihr Gründer Baha’ullah (1817–1892) verkündete 1863, er
sei der verheißene endzeitliche Gottesbote, der „Mahdi“. Baha’ullah
betrachtete Mohammed und Jesus als Propheten einer früheren Offenbarungsstufe, die von ihm begründete Religion indes als die jüngste Offenbarungsreligion. Die Baha’i-Religion versteht sich folglich als
Religion der Einheit und beansprucht, den Wahrheitskern aller bisherigen Religionen aufgenommen und vollendet zu haben. Ziel ist der
„Große Frieden“. Die Baha’i glauben, dass die geschichtlichen Entwicklungen zwangsläufig auf eine einheitliche, friedliche Menschheit
mit einer Weltregierung und Weltreligion hinauslaufen. Baha’i dürfen
keiner politischen Partei angehören, arbeiten aber bei den Vereinten
Nationen mit und engagieren sich für Frieden, Umweltschutz usw. Der
Kirchenaustritt wird von ihnen gefordert; es gilt eine Missionspflicht.
Die Baha’i-Verwaltungsordnung versteht sich als „Werkzeug und Vorbild zur Errichtung des Reiches Gottes auf Erden“. Nach ihrer Überzeugung ist der Mensch grundsätzlich gut, Arbeit und Besitz werden
positiv bewertet.
Seit 1963 liegt die Führung der Baha’i-Religion beim neunköpfigen
„Universalen Haus der Gerechtigkeit“ mit Sitz in Haifa (Israel). Die
dortige Leitung betrachtet sich als Keimzelle einer künftigen Weltregierung. Ihr unterstellt sind auf Landesebene die „Nationalen Geistigen Räte“, die die Leitung über die lokalen „Geistigen Räte“ ausüben.
Das europäische Zentrum mit dem Tempel („Haus der Andacht“) befindet sich in Langenhain/Taunus. In Stuttgart gibt es vielfältige Aktivitäten der Baha’i, va im Rahmen des „Forum Stuttgart“.
Hinduismus
Der (westliche) Begriff Hinduismus fasst die meisten (nicht alle) einheimischen religiösen Traditionen Indiens (vor dem Eindringen von
Islam und Christentum) zusammen, eine unübersehbare Fülle von
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Lehren, Kulten, Riten und Praktiken. Schon früh entstand daraus die
Aufgabe, religiöse Pluralität auf tolerante Weise zu bewältigen und
eine umfassende Synthese zu schaffen, in der jede Form von Religion
einen angemessenen Platz findet. Hindu-Toleranz ist durch Mahatma
Gandhi, S. Radhakrishnan und andere auch im Westen propagiert und
gegen „christliche Intoleranz“ geltend gemacht worden.
Innerhalb Indiens stellte der traditionelle Hinduismus zunächst ein
Gesellschaftssystem dar. Die meisten Hindutraditionen anerkennen in
der einen oder anderen Weise den varnashrama dharma, die ewige
Ordnung der Kasten und Lebensstadien. Erst der moderne Hinduismus hat diese enge Verbindung von Religion und Sozialordnung aufgebrochen. Aber auch er versteht den Hinduismus eher als eine Kultur und einen „way of life“ denn als ein Glaubenssystem. Umgekehrt
knüpfen die Hindu-Nationalisten und -Fundamentalisten an das traditionelle Gesellschaftssystem an und wollen es gegen Einflüsse von
außen verteidigen. Die Stellung der Kastenlosen, auch der Frauen, in
der indischen Gesellschaft ist bis heute ein Streitpunkt und Stolperstein
des Dialogs geblieben.
Die meisten Hindutraditionen glauben, anders als das Christentum, an
den Geburtenkreislauf (samsara), konkret: an Karma und Reinkarnation. Sie verstehen Heil überwiegend als Befreiung aus diesem Kreislauf. (Im modernen Hinduismus wird Reinkarnation als Chance zum
spiralförmigen Aufstieg verstanden.) Der Mensch muss mit seinem
Karma, den Folgen seines eigenen Tuns, fertig werden. Denn letztlich
ist es das Karma, das zu immer neuen Existenzen führt und den Geburtenkreislauf in Gang hält. Der Hinduismus kennt nicht nur einen
Heilweg, sondern mehrere. Häufig werden drei Wege unterschieden:
der Erkenntnis, der hingebenden Gottesliebe (Bhakti) und des Handelns.
Bei all diesen Wegen nimmt die spirituelle Praxis einen zentralen Platz
ein, insbesondere der Yoga, der von Hause aus ein spiritueller Weg
zur Erlangung von Heil und Befreiung ist. Als grundlegend gilt immer
noch der von Patanjali gelehrte achtgliedrige Yoga-Pfad. Er verbindet
moralische und religiöse Disziplinen, körperliche und geistige Übungen sowie mystische Erfahrungen miteinander. Auf diesem Weg gilt
der Guru als Führer. Durch die Initiation wird der Schüler in die jeweilige Guru-Tradition hineingestellt, deren Geheimnisse und Kräfte
werden ihm vermittelt. Die Gurus sind inzwischen in die Kritik geraten; die spirituelle Praxis dagegen erweist sich auch im Westen als attraktiv.
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Zwar wird eine Fülle von Gottheiten verehrt; es handelt sich trotzdem
nicht um primitiven Polytheismus. Von den einfachen Göttern und
Göttinnen (Deva, Devi) werden die Höchsten Gottheiten (Bhagavan,
Bhagavati, Ishvara) unterschieden, die unter verschiedenen Namen
verehrt werden: Shiva, Vishnu oder eine weibliche Gottheit (Shakti).
Shiva-Verehrer, Vishnu bzw Krishna-Verehrer und Shakti-Verehrer bilden gleichsam die drei Hauptkonfessionen bzw -religionen des Hinduismus mit eigenen heiligen Schriften, eigenen Tempeln usw. In der
Regel verehren Hindus mehr oder weniger ausschließlich eine (individuelle oder familiäre) Vorzugsgottheit, ohne immer die Verehrung anderer Gottheiten abzulehnen. (Das kommt auch vor.) Rituelle Verehrung (Puja) von Götterbildern mit Blumen, Mantras, Öl usw findet im
jeweiligen Tempel oder, bei familiären Anlässen, im Hause statt. Allmählich werden auch im Westen (teilweise „überkonfessionelle“)
Hindu-Tempel errichtet, um den kultischen Bedürfnissen von hier lebenden Indern und Tamilen aus Sri Lanka zu dienen, aber auch denen
beispielsweise der Hare-Krishna-Bewegung.
Die Einheit des Göttlichen wird unterschiedlich vorgestellt:
Die „Trimurti“ fasst Brahma, Vishnu und Shiva mit unterschiedlichen
Funktionen (Erschaffung, Erhaltung, Zerstörung) zusammen. Oft werden fünf bestimmte Gottheiten täglich gleichberechtigt verehrt (Panchyatana-Puja). Oder die Einheit des Göttlichen wird philosophisch erfasst: Allem, auch dem eigenen Seelengrund (Atman), liegt letztlich
ein und derselbe göttliche Weltengrund (Brahman) zugrunde, der sich
in allem manifestiert. Diese All-Einheitsschau findet sich schon in einigen frühen Upanischaden (der spätesten Schicht der vedischen Literatur, um 600 vChr) und wurde um 800 nChr von Shankara, dem Philosophen des Advaita, begründet.
Im 19. Jahrhundert kam es zu einer Renaissance des Hinduismus und
zur Entstehung eines universalen Sendungsbewusstseins. Sri Ramakrishna und Svami Vivekananda erneuerten gegen Ende des 19. Jahrhunderts die alte Einheitsschau zu einer umfassenden „neovedantischen“ Synthese aller Religionen: Über den Gottesglauben der Massen (Gott über mir) hinaus führt die mystische Gotteserkenntnis (Gott
in mir) und schließlich die höchste Erfahrung der Identität von Atman
und Brahman (Ich bin Gott). Auch das Christentum findet in dieser
Synthese einen bescheidenen Platz. Jesus wird als einer der göttlichen
„Herabkünfte“ (Avatara) integriert. Vivekananda hat die indische Spiritualität zur Eroberung der Welt aufgerufen und das Zeitalter organisierter Hindu-Mission im Westen eingeläutet. Viele Gurubewegungen
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bieten teils authentische, teils verwestlichte Formen indischer Spiritualität an. Yoga-Praktiken werden weitgehend außerhalb der traditionellen Guru-Schüler-Beziehung durch Yogakurse gelehrt und dienen hier
überwiegend der Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden.
Auch christliche Formen von Yoga haben sich entwickelt.
Buddhismus
Der Buddhismus gilt gegenwärtig als eine attraktive Alternative zum
Christentum. Das hängt einmal damit zusammen, dass die Lehre, die
der Buddha (560-480, nach neueren Berechnungen 450-370 vChr) in
Nordindien predigte, immer noch modern wirkt. Der Buddhismus ist
zwar nicht atheistisch, wie gelegentlich behauptet wurde, wohl aber
betont er die Eigenverantwortung des Menschen für seine Erlösung
und den Zusammenhang von Ursache und Wirkung in Gestalt des
„Karmagesetzes“. Ein weiterer Grund für die Faszination dieser Religion liegt darin, dass sie sich in unterschiedlichen Kulturen (Indien,
Südostasien, China, Japan, Tibet) unterschiedlich ausgeprägt und viele
Gesichter angenommen hat. In Indien und Südostasien herrscht das
sog „Kleine Fahrzeug“ (Hinayana, vor allem die Theravada-Richtung)
vor, das vor allem eine Mönchsreligion ist; in China und Japan das
„Große Fahrzeug“ (Mahayana), in dem den Laien größere Heilsmöglichkeiten eingeräumt werden; in Tibet das „Diamantfahrzeug“ (Vajrayana), das die Bedeutung von Ritualen und tantrischen Meditationswegen betont. Alle „Fahrzeuge“ haben den Weg in den Westen
gefunden, vor dem 1. Weltkrieg der Theravada-Buddhismus aus Sri
Lanka, der die alten buddhistischen Gemeinden geprägt hat; später
der japanische Buddhismus, vor allem das Zen, das bis in kirchliche
(vor allem katholische) Kreise praktiziert wird; in den achtziger Jahren
begannen dann aus Tibet vertriebene Lamas, hier Anhänger zu sammeln. Bekannt wurde vor allem das Oberhaupt des tibetischen Buddhismus, der Dalai Lama. Es gibt Bemühungen, die Unterschiede zwischen den Fahrzeugen zu überwinden und sie in einem gemeinsamen
Fahrzeug zu vereinen.
Der Buddhismus hat die Grenzen des Hinduismus gesprengt und sich
zu einer eigenständigen Religion entwickelt, weil er die Kastenordnung relativierte und die priesterlichen Rituale abwertete. Außerdem
glaubt er, dass alle Dinge, einschließlich des Menschen, sich durch
drei Merkmale auszeichnen:
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Vergänglichkeit, Leidhaftigkeit und (abweichend vom Hinduismus) Ichbzw Substanzlosigkeit. Die Vorstellung eines bleibenden Ich bzw
Selbst (hinduistisch: Atman) und einer dauerhaften Substanz soll als Illusion durchschaut, die „Leerheit“ (Sunyata) aller Dinge soll realisiert
werden. Viele buddhistische Meditationswege (zB Vipassana) dienen
dazu, diese Sicht zu verinnerlichen. Diese Erkenntnis soll dem Heil
dienen; sie soll verhindern, dass der Mensch an Vergänglichem bzw
der Illusion davon „anhaftet“.
Die Überwindung der Leidhaftigkeit des Daseins ist das Thema der
„vier edlen Wahrheiten“. Das „Bekenntnis der deutschen Buddhisten“
von 1985 formuliert sie so: „1. Jedem Wesen widerfährt Leiden im Daseinskreislauf. Dies ist zu durchschauen. 2. Ursachen des Leidens sind
Begehren, Hass und Verblendung. Sie sind zu überwinden. 3. Erlöschen die Ursachen, erlischt das Leiden. Dies ist zu verwirklichen. 4.
Zum Erlöschen des Leidens führt ein Weg, der edle achtfache Pfad. Er
ist zu gehen.“
Die Flamme von Gier, Hass und Verblendung soll zum Erlöschen gebracht werden. Genau das (Verlöschen) dürfte der Sinn von „Nirvana“
sein. Nirvana wird in zwei Stufen erlangt: Zunächst mitten im Leben,
wenn Gier, Hass und Verblendung überwunden sind; schließlich im
leiblichen Tod, wenn der Mensch gleichsam in seine Bestandteile zerfällt und nicht mehr wiedergeboren wird, weil keine karmische Restenergie mehr vorhanden ist. Dieses Heilsziel unterscheidet sich deutlich von christlich verstandener Vollendung in der Gemeinschaft mit
Gott.
Die buddhistische Lehre von Karma und Reinkarnation knüpft zwar an
Hindu-Vorstellungen an, unterscheidet sich von ihnen jedoch durch
die Leugnung eines substantiellen Ich bzw Selbst. So hat sich die Vorstellung des „bedingten Entstehens“ herausgebildet, eine Art „Seelenwanderung ohne Seele“. Nicht Gott gilt als Schöpfer der Welt und der
Menschen (das wird vor allem im „Kleinen Fahrzeug“ ausdrücklich geleugnet), sondern deren Entstehung ist das Resultat von Unwissenheit
und Gier. Der Ursachenzusammenhang setzt sich fort im gierigen Anhaften an der Außenwelt, in der Bildung von Karma und in neuen Geburten. Das bekannte „Rad des Werdens“ illustriert, wie der Mensch
durch Wiedergeburt in die Welten der Götter, Menschen, Tiere, Hungergeister, ja in die Hölle gelangen kann – oder aus dem Geburtenkreislauf heraus zur Erleuchtung und ins Nirvana.
Ichlosigkeit ist auch die Basis der buddhistischen Mitleidsethik. Insbesondere das Große Fahrzeug hat neben das Ideal des weltabgewand-
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ten, heilssuchenden Mönches das Ideal des Bodhisattvas gestellt.
Solch ein „Erleuchtungswesen“ soll an der Schwelle zum Nirvana umgekehrt sein, um selbstlos an der Erlösung aller Wesen mitzuwirken.
Buddhistische Führungspersönlichkeiten werden auch heute gern als
Bodhisattvas verehrt. Auch Güte und Zuwendung zu allen lebenden
Wesen werden meditativ eingeübt und sind im „Metta-Sutta“ formuliert: „Glück soll die ganze Welt umfassen: Ich grüße alles, was da lebt
...“. Diese Mensch und Tier umfassende Mitleidsethik, zu der eine
weit verbreitete Ablehnung der Tiertötung gehört, trägt zur Attraktivität
des Buddhismus im Westen bei. (Allerdings wird auf den Buddhismus
häufig alles das idealisierend projiziert, was am eigenen Christentum
missfällt.) Im Buddhismus kann man also eine dem Christentum verwandte Ethik finden bei einem denkbar unterschiedlichen Bild von
Gott, Welt und Mensch. Übrigens darf nicht übersehen werden, dass
das Leben von Buddhisten, besonders von Mönchen, durch eine Fülle
von Regeln, Gelübden und Vorschriften bestimmt ist. In den letzten
Jahrzehnten haben sich Buddhisten auch für Frieden und Umweltschutz engagiert (Internationales Netzwerk engagierter Buddhisten).
In Deutschland leben etwa 40.000 asiatische Buddhisten, vor allem
aus Vietnam. Die Zahlenangaben über deutsche Buddhisten variieren
zwischen 20.000 und 50.000. Viele Zen-Meditierende und Buddhismusbegeisterte werden mitgezählt, sind aber nicht zur Religion des
Buddha übergetreten, dh sie haben nicht die dreifache Zuflucht zum
Buddha, seiner Lehre (Dharma) und seiner Gemeinde (Sangha) genommen, durch die man formell Buddhist wird. Zu den erwähnten
buddhistischen Gemeinden sind buddhistische Häuser, tibetische
Zentren sowie Gruppen japanischer Buddhisten (Rissho Kosei-kai,
Soka Gakkai ua) getreten. An manchen Orten signalisieren Stupas und
Pagoden die buddhistische Präsenz in Deutschland. Zu den Prominenten gehören neben dem Dalai Lama der verstorbene Lama Govinda, die in einer jüdischen Familie geborene, jüngst verstorbene
Ayya Khema, der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh und der
dänische „Lama“ Ole Nydahl. Als Dachorganisation vieler buddhistischer Kreise und Zentren dient die „Deutsche Buddhistische Union
(DBU), die auch für die Formulierung des gemeinsamen Bekenntnisses von 1985 verantwortlich ist.
Weitere Informationen und Beratung:
Evangelischer Gemeindedienst für Württemberg
Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen
Religionen
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Postfach 10 13 52, 70012 Stuttgart
Gymnasiumstraße 36, 70174 Stuttgart
Tel (0711) 20 68-237, Fax (0711) 20 68-322
und
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
Auguststraße 80, 10117 Berlin
Tel (030) 2 83 95-211, Fax (030) 2 83 95-212
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