Reihe Schnittpunkte Philosophische Dialoge über die Grundlagen gesellschaftlicher Realität Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur Die Reihe Schnittpunkte ist ein Dialog-Format der Bonner Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur (ask) in Zusammenarbeit mit der Stiftung Wertevolle Zukunft. Sie hat zum Ziel, die wirklichkeitsprägende Dimension philosophischer und kultureller Bestimmungen für aktuelle Fragestellungen in Politik, Kultur und Wirtschaft aufzuzeigen und in die gesellschaftliche Debatte einzubringen. Nordstraße 73 a 53111 Bonn Die Schnittpunkte umreißen damit zugleich Schnittmengen zwischen Geist und Gesellschaft, Werten und Wirklichkeit, theoretischen Idealen und praktischer Realität. Sie sind hierin einem ganzheitlichen Verständnis von gesellschaftlicher Realität verpflichtet, das den komplexen und vielschichtigen Begriff sozialer Wirklichkeit aus seiner fundamentalen Mehrdimensionalität begreift: Das, was als Wirklichkeit mit ihren realen Problemlösungs-anforderungen und Gestaltungsaufgaben in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft begegnet, ist demnach immer schon zusammengesetzt aus geistigen Werthaltungen, kulturellen Vorverständnissen und philosophischen Sinnbestimmungen einerseits und empirischen Sachzusammenhängen, faktischen Motivationen und praktischen Handlungserfordernissen andererseits. Ein solches Verständnis hält zu entrückten geistigen Abstraktionen, die den sachhaltigen „realen“ Grund gesellschaftlicher Wirklichkeit ignorieren, gleiche Distanz wie zu empiristischen Verengungen, die die unhintergehbare „ideelle“ Dimension von sozialer Realität verleugnen. Telefon Fax Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur 00 49 - (0)2 28 - 850 32 80 00 49 - (0)2 28 - 850 32 85 www.akademie-ask.de [email protected] Dr. Martin Booms Konsum und Kontrolle Aus der Reihe Schnittpunkte Philosophische Dialoge über die Grundlagen gesellschaftlicher Realität 29. November 2007 um 19 Uhr Alte Rabenstraße 32 20148 Hamburg Anmeldung und Kontakt: Stiftung Wertevolle Zukunft Alte Rabenstraße 32 20148 Hamburg Tel Fax 00 49 - (0)40 / 24 42 99 60 00 49 - (0)40 / 24 42 99 69 [email protected] www.wertevolle-zukunft.de Eine Veranstaltung der Bonner Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur (ask) in Zusammenarbeit mit Konsum und Kontrolle Der philosophische Fragehorizont Textbezüge Mit der Etablierung einer wettbewerbsorientierten, technisch-rationalisierten und damit hochproduktiven Wirtschaftsweise ist – zunächst in den westlichen Gesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg, im Zuge der Globalisierung dann zunehmend in weltweiter Dimension – der Konsum zu einer zentralen Kategorie nicht nur des wirtschaftlichen Prozesses, sondern auch der gesellschaftlichen Ausrichtung und der individuellen Lebensführung geworden. Dieser Bedeutungsaufschwung des Konsums wurde zunächst von der Konsumkritik der 60er Jahre aufgegriffen und durchweg negativ bewertet: Konsum gilt hier als Instrument einer gesellschaftlichen Unterdrückungsstruktur, die das Bewusstsein des Einzelnen durch Werbung manipuliert und mittels fortlaufender Erzeugung falscher Bedürfnisse einen Konsumterror entfacht, der die Menschen in einem Zustand fortgesetzter Unfreiheit und gesellschaftlicher Kontrolle hält. Eine mögliche Antwort auf die offene Frage nach dem Verhältnis von Konsum und Kontrolle eröffnet sich nur vor einem weiten Horizont vielfältiger Gesichtspunkte. Aus philosophischer Perspektive zeigt sich der Konsum – ebenso wie die Produktion – als vermittelndes Verhältnis des Menschen zu den Dingen, und damit als Ausdrucksraum menschlichen Selbstverständnisses in der Welt. Welche Rolle spielt Konsum auf dieser elementaren menschlichen Ebene: Ist Konsum in seiner modernen Ausprägung Ausdruck und Fortsetzung einer materialistischen Grundhaltung in ökonomischer Gestalt? Oder dient gerade die moderne Form des Konsums als Ausdrucks- und Ausweichraum verloren gegangener ideeller Werte? »Es ist der kennzeichnende Zug der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, daß sie diejenigen Bedürfnisse wirksam drunten hält, die nach Befreiung verlangen. Hierbei erzwingen die sozialen Kontrollen das überwältigende Bedürfnis nach Produktion und Konsumtion von unnützen Dingen; das Bedürfnis, solche trügerischen Freiheiten wie freien Wettbewerb bei verordneten Preisen zu erhalten, eine freie Presse, die sich selbst zensiert, freie Auswahl zwischen gleichwertigen Marken und nichtigem Zubehör bei grundsätzlichem Konsumzwang.« (Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch ) Dem gegenüber zeigt sich in neuerer Zeit – nunmehr als Reaktion auf die globalisierungsbedingte Ausweitung des Konsumprinzips – eine gegenläufige Tendenz: So wird der Konsumismus in systemischer Hinsicht geradezu als Befreiungs- und Befriedungsinstrument angesichts der Herausforderungen eines globalisierten Terrors verstanden. Aber auch in individueller Perspektive wird Konsum, in Umkehrung der älteren Konsumkritik, nun zunehmend als Kontroll- und Steuerungsinstrument des einzelnen Bürgers gegenüber der überbordenden Dominanz ökonomischer Machtverhältnisse neu in Wert gesetzt: Der Ohnmacht des werbemanipulierten und den ökonomischen Verhältnissen ausgelieferten Menschen wird der ‚politische Konsument’ (Beck) bzw. der ‚republikanische Wirtschaftsbürger’ (Ulrich) als gestaltender Akteur der sozio-ökonomischen Verhältnisse gegenüber gestellt. Zwischen diesen Polen bewegt sich die Debatte um das Verhältnis von Konsum und Kontrolle: zwischen dem Gefühl der Ohnmacht des Einzelnen gegenüber dem werbe- und mediengestützen System der Wirtschaft und der Aufwertung des mündigen Konsumenten innerhalb des Wirtschaftssystems, zwischen der alten Ablehnung des Konsums als gesellschaftsprägender Kraft und der neuen Aufwertung des Konsumismus in einer globalisierten Welt. Eine weitere Fragedimension betrifft das Verhältnis von politischer und ökonomischer Steuerung gesellschaftlicher Fragen: Wenn modernitätsbedingt die ökonomischen Kräfte an Einfluss gegenüber den klassischen politischen Gestaltungsinstrumenten gewinnen, ist damit notwendigerweise eine Entpolitisierung der Gesellschaft verbunden? Oder verlangt dieser Prozess vielmehr eine Verlagerung der politischen Gestaltung in den Handlungsraum der Wirtschaft? Eröffnen sich hier möglicherweise sogar neue Gestaltungsräume für politisches Handeln im demokratisch-freiheitlichen Sinne? An welcher Stelle wären weiterhin diese Gestaltungsräume auszufüllen, handelt es sich dabei um politische Steuerung auf der Ebene der Rahmenordnung oder auf der Ebene der einzelnen Wirtschaftsbürger? Gibt es im immer weiter ausgeweiteten System der Marktwirtschaft überhaupt Schlupflöcher für eine wirksame politische Wirtschaftsgestaltung durch den Einzelnen? Oder kommt etwa umgekehrt das System der Marktwirtschaft der gestaltenden Einwirkung des einzelnen Wirtschaftsbürgers als Konsument entgegen? Schließlich ist zu fragen: Selbst wenn es einen solchen systematischen Handlungsort des einzelnen Wirtschaftsbürgers gibt, an dem er seinen Einfluss prinzipiell geltend machen kann: Ist dies in einer werbe- und medienzentrierten Gesellschaft auch real möglich? Oder sind unsere (Wert-)Haltungen und (Kauf-)Entscheidungen unterschwellig von Werbung manipuliert? Andererseits: Muss nicht auch umgekehrt Werbung, um erfolgreich zu sein, auf Wertebewusstsein und Wertewandel in der Gesellschaft reagieren? »Der Konsumismus ist das Immunsystem der Weltgesellschaft gegen den Virus der fanatischen Religionen. Wer die Dinge so sieht, wird nicht mehr versuchen, den westlichen Universalismus der Menschenrechte zu exportieren, sondern die ‚Risikostaaten’ mit dem konsumistischen Virus zu infizieren. Der pragmatische Kosmopolitismus ist konkret Konsumismus.« (Norbert Bolz, Das konsumistische Manisfest ) »Die Konsumgesellschaft ist die real existierende Weltgesellschaft. Konsum kennt keine Grenzen. Das macht ihre bislang kaum entfaltete Gegenmacht für die Macht des Kapitals so gefährlich.« (Ulrich Beck, Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter ) »Je weiter sich nun der Markt ausbreitet und je weiter sich der Staat aus seinen Kerngebieten zurückzieht, desto wichtiger wird es für die Bürger, ihre Stellung gegenüber der Wirtschaft zu stärken. Deshalb ist es heute an der Zeit für eine Emanzipation des Konsumenten. Politischer Konsum bedeutet die Ausweitung der Politik auf den Markt in einer Zeit der Ausweitung der Märkte und des Rückzugs der Politik.« (Tanja Busse, Die Einkaufsrevolution ) »Werbung und Marketing besetzen die vakant gewordenen Stellen des Ideenhimmels. Mit einem Wort: Marken besetzen Ideen, um sie schließlich zu ersetzen. « (Norbert Bolz, Das konsumistische Manisfest ) »I shop, therefore I am. « (Werbeslogan des Londoner Kaufhauses Selfridge’s )