1 Die Morgenandacht Montag bis Samstag, 5.55 Uhr (NDR Info) und 7.50 Uhr (NDR Kultur) 19. bis 24. Dezember 2016: „Weihnachtliche Menschen“ Von Bodo Winkler, Vilmnitz Weihnachtliche Menschen - Menschen mit ihren Weihnachtsgeschichten, die stellt Bodo Winkler in dieser Woche vor. Redaktion: Claudia Aue Evangelische Kirche im NDR Redaktion Kiel Gartenstr. 20, 24103 Kiel Tel: 0431 – 55 77 96 10 www.ndr.de/kirche Der Autor Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke des Empfängers benutzt werden. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung der Ev. Kirche im NDR zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des NDR. Evangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche 2 Montag, 19. Dezember 2016 Ralf liebt Überraschungen. Ralf ist zwölf Jahre alt, aber schon seit Jahren ein „Aktivist“ in allen Weihnachtsangelegenheiten. Und ganz besonders beim Krippenspiel! „Wie es in der Bibel steht!“ - so muss es sein, wenn es nach Ralf in unserer Gemeinde geht: Maria und Josef, das Kind in der Krippe, die Hirten und die Könige ... alle in „richtigen“ Kostümen. Und: „Dass sich alle an die Geschichte halten!“ Ralf ist ein ganz „Konservativer“ in diesen Dingen, viel mehr als seine Eltern. Und auch als ich. Als wir so alt waren, konnte es beim Krippenspiel kaum modern und „gesellschaftskritisch“ genug zugehen. Ralf hat auch darauf eine Antwort: „Aber das ist doch alles überraschend genug!“, sagt er. Und wenn ich es mir überlege: Ralf hat Recht! Er hat ein besonderes Gespür für diese Zeit. Wir feiern zu Weihnachten eine grundlegende Überraschung. Die biblischen Geschichten führen uns zu Weihnachten in eine andere Zeit und an einen anderen Ort, jedoch nicht in eine andere Welt als die unsere. Wir erfahren viel über die Menschen damals. Wie sie fühlten und was sie geglaubt haben. Ein ganzes Volk wartet auf den „Messias“, auf einen von Gott gesandten König, der dem Volk - ja der ganzen Welt - Frieden und Gerechtigkeit bringen wird. Die Propheten schwärmen von diesem Gesandten Gottes: ein „Wunderrat, Ewigvater, Friedefürst.“ wird er sein. Er wird als Weltenrichter kommen und ein allumfassendes Friedensreich bringen. Aber wie und wann genau, das weiß niemand. In eine solche Spannung hinein geschieht die Weihnachtsgeschichte: Jesus Christus wird als kleines Menschenkind in einer unbedeutenden Stadt und unter armseligen Verhältnissen geboren. Diese Geburt wird in der Bibel fast wie eine alltägliche Geschichte erzählt. Sehr menschliche Gesichter erscheinen: Maria und Josef müssen um eine Bleibe für die Nacht bitten, die Hirten zittern vor Furcht, die Heiligen drei Könige wundern sich nur noch. Alle werden „überrascht“, aber alle erleben und bezeugen es, diese Kindsgeburt zeigt der Welt das Gesicht Gottes neu und bedeutet Rettung. Und damit beginnt der christliche Glaube: Jesus Christus ist der Messias. Der Sieger über alles Böse, der versprochene König. Mit ihm ist das Reich Gottes schon angebrochen. Der Blick für die Zukunft kann und darf und soll ein froher sein. Und - offen für Überraschungen. Dienstag, 20. Dezember 2016 Frau Weschendorf freut sich auf Weihnachten. Frau Weschendorf ist 95 Jahre alt. Wenn ich sie besuche, guckt Frau Weschendorf fast immer gerade Nachrichten im Fernsehen. Und neulich sprach sie unvermittelt über ihren Mann: „Wissen Sie: manchmal bin ich froh, dass Werner so jung gestorben ist. Er hätte sehr darunter gelitten, wie schlimm sich in der Welt alles entwickelt.“ Ihr Mann Werner ist vor 20 Jahren im Alter von 74 Jahren gestorben. „Wie geht es denn Ihnen mit all den Nachrichten?“, habe ich gefragt. „Oh ja“, hat Frau Weschendorf darauf geantwortet, „Die Zeit drängt! Immer mehr Reichtum hier, immer mehr Armut da! Und immer mehr Menschen, immer mehr Technik! Und die Kriege und das Säbelrasseln haben doch auch nicht aufgehört. Nur dass es immer weniger Regeln gibt, scheint mir. Das sieht sich Gott bestimmt nicht ewig so an!“ „Meinen Sie, dass Gott ungeduldig wird mit uns Menschen?“, frage ich weiter. „Ja, das glaube ich!“, sagt Frau Weschendorf. „Wir müssen doch Rechenschaft abgeben, jeder einzelne für sich. Und alle zusammen auch! Wir überhören das gern. Und erst recht zu Weihnachten! Wissen Sie, was ich nicht mehr hören kann? Das Lied „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind“. Als ob es nur um unsere idyllischen Feiertage geht!“ Dann haben wir eine Weile geschwiegen. Evangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche 3 Mir ging durch den Kopf: „Oh ja, unsere Adventszeit mahnt uns auch Christen freuen sich auf Weihnachten und feiern, dass Gott neu anfängt mit uns und mit der Welt. Aber der Advent fordert uns auch auf - und zwar in letzter Stunde. Das biblische Gleichnis vom Feigenbaum gehört auch in die Adventszeit: Ein Weinbergsbesitzer will einen Feigenbaum fällen lassen, weil der schon jahrelang keine Früchte trägt. Aber sein Gärtner bittet für den Baum: „Herr, lass ihn noch dieses Jahr, bis ich um ihn grabe und ihn dünge, vielleicht bringt er doch noch Frucht, wenn aber nicht, so haue ihn ab.“ Die Adventszeit ist auch eine Buß- und Betzeit. Trotzdem: Jetzt musste ich doch mit Frau Weschendorf diskutieren. „Aber Sie freuen sich doch auf Weihnachten! Was ist, wenn ihre Ur-Ur-Enkelin Ihnen genau das auf der Flöte vorspielt: „Alle Jahre wieder“? Und ganz stolz wird sie sein, dass sie Ihnen damit eine Freude macht!“ Die alte Dame lächelt: „Na, das hoffe ich doch!“, sagt sie. „Dann werde ich wissen, dass Gott sein Angebot wieder neu gemacht hat!“ Mittwoch, 21. Dezember 2016 Luise singt sehr schön und gern. Von Kind auf ist sie mit einem Solo im Weihnachtsgottesdienst dabei. Inzwischen ist sie 14. In diesem Jahr wollte sie „mal etwas anderes“ machen. Luise hatte ein Lied von Hermann van Veen gefunden, das möchte sie singen: „Nun sei uns willkommen, Jesus, lieber Herr, du kamst einst von hoch oben zu uns ins Parterre. Komm wieder auf die Erde, wir haben keine Wahl, vielleicht klappt´s diesmal besser als beim ersten Mal.“ Nun hatte Luise aber noch ein Bedenken an diesem Lied: „Kann ich denn das so singen: „Komm wieder auf die Erde? Ich meine, dass wir alles auf Jesus schieben, wo wir doch selber verantwortlich sind? Warum muss er dafür noch mal kommen?“ Zu dieser Frage musste ich mir ein paar Tage Bedenkzeit ausbitten. Ja, mein christlicher Glaube geht davon aus, dass wir heute „zwischen den Zeiten“ leben: Jesus Christus ist einmal in die Welt gekommen und wird irgendwann wiederkehren. Wenn Christus zurückkommt, werden wir erlöst, aber das ist mit einem endgültigen Gericht verknüpft. Jesus wird kommen, und er wird die Menschen und sogar alle Völker voneinander scheiden: „Und sie werden hingehen, diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.“ So steht es in der Bibel. Darin steckt zuoberst die Glaubensüberzeugung: wir leben In einer großen Verantwortung vor Gott. Mit der ersten Weihnacht hat sich aber auch gezeigt: Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden und hat damit sein Mitgefühl für die Menschen erwiesen. Gott hat sich zutiefst solidarisch mitten unter uns gesellt. Und damit wird ein neues menschliches „Bewusstsein“ auf den Weg gebracht: Der Glaube an Jesus Christus und dass Menschen versuchen, sich an seinem Vorbild und an seinem „Geist“ zu orientieren. Auf den Spuren Jesu zu leben und an einer brüderlich zusammenlebenden Menschenwelt zu arbeiten - dieser Lebenssinn wird durch das Christfest erneuert und bekräftig. Vielleicht schöpfen wir dazu an jedem Christfest neuen Mut und neue Kraft und können dann auch alles Tragische und Schuldhafte sehen und eingestehen - und dafür um Gottes Hilfe bitten. Warum nicht auch so wie in van Veens Liedtext: „Komm wieder auf die Erde vielleicht klappt‘s diesmal besser.“ Luise übrigens war inzwischen längst zu einer noch anderen Lösung gekommen: „Eigentlich feiern wir doch Weihnachten so, als ob Jesus jedes Mal wieder auf die Erde kommt! Ich singe das so.“ Und das wird sie. Donnerstag, 22. Dezember 2016 Die Adventszeit ist ein Gleichnis für Warten, Sich Vorbereiten überhaupt. Wie Menschen in die Zukunft sehen, das kann sehr verschieden sein. Evangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche 4 Viel hängt von der Frage ab: In welcher Lebenssituation befinde ich mich gerade? Bin ich krank oder gesund, bin ich versorgt und zufrieden oder lebe ich in Angst und Konflikten? Wie offen liegt die Zukunft vor mir? Und, wenn ich genau weiß, worauf ich mich freue, oder was ich zu schaffen haben werde, dann hat die Zukunft schon begonnen! Schon arbeitet es in mir, ein Plan entsteht, und Schritt für Schritt geht es vorwärts. Schwieriger wird es, wenn die Zukunft unklar ist. Dann werde ich feinfühlig. Hellhörig. Ich versuche, Zeichen zu erkennen: Was wird bleiben, was wird sich ändern? Vor allem dann, wenn mir alles noch unklar erscheint, entscheidet meine Seelenverfassung ganz kräftig mit. Bin ich eher optimistisch und offen für alles, was kommt, oder bin ich eher ängstlich und auf Absicherung bedacht? Ich kenne in beiden Richtungen Leute, die ganz erstaunlich extrem sind: den ewigen Schwarzseher und die ewige Schwarzseherin, und die „unverbesserlichen“ Optimisten. Meist kommen beide irgendwie durchs Leben. Aber manchmal wird es für beide gefährlich: Der Schwarzseher kann unglücklich und depressiv werden und die Optimistin auch, weil sie vielleicht abgrundtief enttäuscht wurde. Und gefährlich kann es auch für andere werden. Wenn der Optimist Bedrohungen unterschätzt, oder wenn die ängstliche Pessimistin beginnt, vorsorglich aktiv zu werden. Gerade in der Advents- und Weihnachtszeit führen biblische Erzählungen uns vor Augen, wie entscheidend der innere Blick für die Zukunft ist. Der König Herodes zum Beispiel ist voller Angst. Er missversteht die prophetische Rede vom „König der Juden“: Er sieht seinen Thron und seine Privilegien bedroht. Er befürchtet das Schlimmste, und er greift zum schlimmsten „vorbeugenden“ Mittel: Er lässt alle Kinder, auf die die Prophezeiung zutreffen könnte, töten. Die drei Weisen aus dem Morgenland gehen einen ganz anderen Weg. Sie folgen einem Stern. Diese Weisen haben auf ihre Art die Weltlage redlich analysiert, und das Ergebnis ließ für sie nur den Schluss zu - dieser guten Zukunft können und wollen wir entgegen gehen. Es gibt nichts Wichtigeres. So wie sie möchte ich durch den Advent gehen. Freitag, 23. Dezember 2016 Einmal hat mich kurz vor Weihnachten ein junger Mann besucht: Die Schwiegereltern kommen, wie jedes Jahr zu Weihnachten. Und, es ist so anstrengend mit ihnen. Alles muss genau wie immer ablaufen: Backen, Essen, Baum schmücken, Krippenspiel, Bescherung selbst Spaziergänge und Gesprächsthemen - alles wird von den Schwiegereltern dominiert. Und er wäre ja der einzige, der auch einmal etwas zu sagen wagt! Seine Frau will ihre Eltern nicht verletzen, und um des „lieben Friedens“ willen bleibt sie still. „Aber das ist kein „lieber Frieden“, verstehen Sie? Das ist nur Gereiztheit kurz vor der Explosion. Das kann es doch nicht sein, oder? „Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“ - kommt bei uns jedenfalls nicht an“, so schloss der junge Mann vorerst. Den Schwiegereltern abzusagen, selbst wegzufahren eine klärende Familienkonferenz mit allen Beteiligten - alles schien nicht wirklich möglich. Schließlich kamen wir auf einen gewagten Versuch: Der junge Mann beschloss, seinen Schwiegereltern die Weihnachtstage zu schenken. Ganz nach ihrer Gewohnheit und nach ihrem Plan, mit ihren Plätzchen, ihrem Braten, mit ihrem Mittagsschlaf, ihren Spaziergängen, ohne Widerspruch und mit viel Zuhören. Und es hat funktioniert, ganz begeistert besuchte der junge Mann mich nach Weihnachten wieder: Er hat alles so gemacht wie ausgedacht, und alles war friedlich. Evangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche 5 Er selbst sei immer ruhiger geworden, und die Kinder hätte er wohl damit angesteckt. Sie waren aufmerksam wie noch nie zu den Großeltern. Seine Frau war glücklich. Und die Schwiegereltern haben die Tage noch gekrönt, als sie am zweiten Feiertag gesagt haben. „Das war das schönste Weihnachten, was wir je hatten. Nun bestimmt Ihr aber, was wir heute noch machen.“ Und alle sind Eislaufen gewesen, und noch im Kino zu einem Kinderfilm. Das wäre vorher undenkbar gewesen. Ich habe mich mit gefreut mit meinem Besucher: Ein familiärer Weihnachtsfrieden war gelungen. Weihnachten, wie es in unseren Breiten gefeiert wird, ist ja ein Modell mit biblischem Ursprung. Dass man sich in diesen Tagen jedem gegenüber freundlich verhält, dass man Zwistigkeiten und „Spleens“ übersieht, das alles bringt einen Rhythmus in das Jahr. An Weihnachten können wir uns besinnen, wie wir Menschen eigentlich miteinander leben sollen und wollen. Manchmal geht es halt nicht automatisch mit dem liebevollen Weihnachtsfrieden, auch Vernunft und Geduld sind Friedensmacher. Samstag, 24. Dezember 2016 Tobias ist Soldat. Über Weihnachten wird er in Afghanistan sein. Er bildet dort afghanische Unteroffiziere aus. Eine eigene Familie hat Tobias nicht, er ist bisher „mit seinem Beruf verheiratet“, sagt er. Zuhause ist er noch bei seinen Eltern. Seine Eltern sind aktive Kirchenmitglieder, und sie lieben ihren einzigen Sohn sehr. Dass er Soldat geworden ist, haben sie respektiert, aber sie machen sich große Sorgen. Deswegen wollten sie in diesem Jahr Weihnachten gar nicht feiern. „Nein, wir feiern erst wenn Tobias wieder da ist. Und am liebsten mit allen seinen Kameraden“ - so haben sie es auch Tobias geschrieben. Aber Tobias hat in seinem Antwortbrief heftig widersprochen: „Ich möchte, dass ihr Weihnachten feiert. Feiert es wie immer und mit allem, was dazugehört. Nun gerade. Wann, wenn nicht jetzt!? Wir werden hier auch Weihnachten feiern, so gut es geht! Und wenn ihr in die Kirche geht: Dass ihr mir ja nicht nur für mich betet, sondern dann auch für die Afghanen und die Syrer. Und meinetwegen für die ganze Welt!“ Tobias‘ Eltern wollen genau das nun tun. „Er hat doch Recht!“, sagt sein Vater: „Eine richtige Weihnachtsbotschaft ist das. Diesen Brief heben wir auf.“ Ich weiß ja: Tobias Eltern heben alle seine Briefe auf, aber dieser ist wirklich ein besonderer! Jeder Segen, und erst Recht der Weihnachtssegen, denkt an das Heute und an das Morgen. Jeder Tag ist unmittelbar zu Gott. Zukunftssorgen und auch Zukunftshoffnungen werden sich wohl immer einstellen, aber wir sind davor gewarnt, sie zu „vergötzen“ und das jetzt zu verachten oder zu vergessen. Unsere Weihnachtsfeste sind ein Symbol dafür: Gottes Herrschaft bedeutet, dass wir fröhlich und in herzlicher Gemeinschaft leben dürfen und sollen. Aber zugleich ist eben dieses „Fest der Familie“, ein Gleichnis dafür, dass die Menschenwelt insgesamt wie eine Familie sein soll. Dass Menschen Gott ihren Vater nennen, ist kein „Dogma“ über Gott, sondern es heißt, dass unsere Welt ein Vaterhaus sein soll, ein Haus also, das die Menschen zusammenführt und sie geborgen leben lässt. Christen sind davon überzeugt, dass beide - die Familie und die Welt - zusammengehören. Und dass für beide gilt: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden, den Menschen ein Wohlgefallen.“ Dieser Weihnachtssinn macht an keiner Haustür und auch an keiner Kirchentür Halt - er drängt hinaus. Ein gesegnetes Weihnachtsfest! Evangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche