Homosexualität: Antwort NDR 28.4.2014

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Mail 28.4.2014
Sehr geehrte Frau Lambrecht,
vielen Dank für Ihre Anfrage, zu der wir Ihnen mitteilen dürfen, dass die Bundesärztekammer als
Arbeitsgemeinschaft der 17 (Landes-) Ärztekammern organisiert ist. In diesem Rahmen vertritt sie die
berufspolitischen Interessen der Ärzteschaft in der Bundesrepublik Deutschland und nimmt die in ihrer
Satzung geregelten Aufgaben wahr. Sie wirkt aktiv am gesundheitspolitischen
Meinungsbildungsprozess der Gesellschaft mit und entwickelt Perspektiven für eine bürgernahe und
verantwortungsbewusste Gesundheits- und Sozialpolitik.
Die Bundesärztekammer erstellt im gesetzlichen Auftrag (§§ 12a und 18 TFG, 16b TPG) im
Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut die „Richtlinien zur Gewinnung von Blut und
Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Hämotherapie)“ sowie die „Richtlinie zur
Herstellung und Anwendung von hämatopoetischen Stammzellzubereitungen“, in denen unter
anderem niedergelegt ist, wer Blut, auch Blutstammzellen, spenden kann. In diesen Richtlinien sind
beispielsweise verschiedene Gründe aufgeführt, die zwingend zu einer zeitweiligen oder dauerhaften
Zurückstellung von der Spende führen müssen.
Das übergeordnete Ziel beim Ausschluss bestimmter Personen von der Blut- und
Blutstammzellspende ist die Sicherheit der Empfänger. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der
schmerzlichen Erfahrungen der Übertragung von HIV in den frühen 80 er Jahren gilt es, die
Übertragung von schweren Infektionskrankheiten auf Patienten zu verhindern, die z.B. nach Unfällen,
größeren chirurgischen Eingriffen oder bei der Behandlung von Tumorerkrankungen auf
Bluttransfusionen bzw. Blutstammzelltransplantationen angewiesen sind oder die z.B. wegen einer
Bluterkrankheit regelmäßig aus Blutplasma hergestellte Arzneimittel benötigen. Der Ausschluss von
Personen mit einem erhöhten Risiko zum Erwerb schwerer, durch Blut übertragbarer
Infektionskrankheiten von der Blut- und Blutstammzellspende ist eine wichtige Sicherheitsmaßnahme
zum Schutz der Empfänger. Besonders in der Frühphase einer Infektion können auch heute infektiöse
Blutspenden durch Laboruntersuchungen nicht mit 100 %iger Sicherheit erkannt werden.
Zu dem Personenkreis derjenigen, die aufgrund ihres Sexualverhaltens ein gegenüber der
Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere
Infektionskrankheiten, wie HBV, HCV oder HIV, bergen und deshalb von der Blutspende
ausgeschlossen sind, gehören neben heterosexuellen Personengruppen auch Männer, die Sex mit
Männern haben (MSM). Im Rahmen der regelmäßigen Evaluation des Standes der medizinischen
Wissenschaft hat eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Vertretern des „Arbeitskreises Blut“ gemäß §
24 TFG (in dem auch Experten des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert Koch-Institut mitarbeiten)
und des „Ständigen Arbeitskreises Richtlinien Hämotherapie“ des Wissenschaftlichen Beirats der
Bundesärztekammer zum „Blutspende-Ausschluss von Personen mit sexuellem Risikoverhalten“ das
Risiko für die Empfänger von Blutzubereitungen bewertet. Die gemeinsame Arbeitsgruppe hat im
Anschluss „Erläuterungen und Regelungsoptionen zum Blutspende-Ausschluss bzw. zur Rückstellung
von Personen, deren Sexualverhalten ein Risiko für den Empfänger von Blutprodukten birgt“
(http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Blutspende_24052013.pdf) veröffentlicht und auf
dieser Basis (Stand 2012) eine Änderung der bisherigen Regelungen empfohlen.
Unter Abwägung der Infektionsrisiken und der in den Erläuterungen jeweils angeführten Argumente
für die Beibehaltung eines Dauerausschlusses einerseits bzw. zur Umstellung auf eine zeitlich
befristete Rückstellung von der Blutspende andererseits kommt die gemeinsame Arbeitsgruppe zu der
Schlussfolgerung, dass vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Datenlage (Stand 2012) eine
befristete Rückstellung von der Spende nach Beendigung eines sexuellen Risikoverhaltens
(mindestens ein Jahr) statt eines Dauerausschlusses ausreichend wäre, um eine vergleichbare
Sicherheit der Blutprodukte zu erzielen. Dies schließt Männer, die Sex mit Männern haben, ein. Die
Rückstellung von der Blutspende erfolgt also verhaltensassoziiert und nicht in Abhängigkeit von der
Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe bzw. einer bestimmten sexuellen Orientierung.
Diese Empfehlung der gemeinsamen Arbeitsgruppe stellt ausdrücklich keine „Lockerung“ der
Ausschlusskriterien im Sinne einer Erhöhung des Infektionsrisikos für Empfänger von Blut,
Blutprodukten und Blutstammzellen dar. Ziel ist es, dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen
Wissenschaft entsprechend die bisher erreichte Reduktion des Infektionsrisikos für Empfänger von
Blutprodukten zu erhalten, nach Möglichkeit noch weiter zu verbessern und Spendewillige weiterhin
nur in begründeten Fällen von der Blutspende auszuschließen.
Nach Maßgabe der Richtlinie 2004/33/EG der Kommission vom 22.03.2004 (http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2004:091:0025:0039:DE:PDF), Anhang III, sind
neben „Zulassungskriterien für Fremdblutspender von Vollblut und Blutbestandteilen“ verschiedene
„Ausschlusskriterien für Fremdblutspender“ definiert. Unter anderem werden aufgrund ihres
Sexualverhaltens „Personen, deren Sexualverhalten ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut
übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt“, dauerhaft von der Blutspende ausgeschlossen.
Dementsprechend lautet die englische Textfassung: „Permanent deferral criteria for donors of
allogeneic donations”: “Persons whose sexual behaviour puts them at high risk of acquiring severe
infectious diseases that can be transmitted by blood”.
Neben Männern, die Sex mit Männern haben, gehören aufgrund der Datenlage zu den „Personen,
deren Sexualverhalten ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere
Infektionskrankheiten birgt“ auch andere Personen, beispielsweise diejenigen, die Sexualverkehr
gegen Geld oder andere Leistungen (z. B. Drogen) anbieten (männliche und weibliche Sexarbeiter).
Nach Auswertung der Datenlage sind die in der Richtlinie implizit als „Personen, deren
Sexualverhalten ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere
Infektionskrankheiten birgt“ definierten Kreise somit von der dauerhaften Rückstellung gemäß EURichtlinie betroffen.
Zudem erscheinen einige Vorgaben im Anhang III der Richtlinie 2004/33/EG an anderer Stelle
aufgrund von Übersetzungsunschärfen in sich nicht widerspruchsfrei: So findet sich in der deutschen
Version der Ausdruck „hohes Risiko“ einmal als Übersetzung des englischen Terminus „risk“, an
anderer Stelle jedoch als Übersetzung von „high risk“ wieder.
Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, ob die Vorgaben dieser Richtlinie einer Umsetzung der
Empfehlung der Arbeitsgruppe in Deutschland entgegenstehen.
Die Bundesärztekammer hat sich diesbezüglich an das Bundesministerium für Gesundheit gewandt,
das im Februar 2014 seine Auffassung übermittelte, dass kein rechtlicher Konflikt mit der Richtlinie
2004/33/EG bestünde, aber gleichzeitig feststellte:
„Eine endgültige rechtssichere Entscheidung über die Zulässigkeit eines pauschalen
Dauerausschlusses von MSM kann aufgrund eines anhängigen Verfahrens beim EuGH erwartet
werden (Rechtssache C-528/13 (Léger), siehe Anlagen).“
( Vorlagefrage des Tribunal Administratif de Strasbourg im Vorabentscheidungsersuchen C-528/13
Geoffrey Léger gegen Ministre des Affaires Sociales et de la Santé: „Stellen im Lichte des Anhangs III
der Richtlinie 2004/33/EG sexuelle Beziehungen eines Mannes zu einem anderen Mann als solche
ein Sexualverhalten mit einem hohen Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere
Infektionskrankheiten dar und rechtfertigen sie den dauerhaften Ausschluss von Personen mit einem
solchen Sexualverhalten von Blutspenden, oder können sie je nach den Umständen des Einzelfalls
einfach ein Sexualverhalten mit einem hohen Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare
Infektionskrankheiten darstellen und die vorübergehende Rückstellung von der Blutspende für eine
bestimmte Dauer nach Beendigung des Risikoverhaltens rechtfertigen?“(Amtsblatt der Europäischen
Union vom 14.12.2013, C 367/25).
Ob MSM auch unter letzteres fallen kann, wird (voraussichtlich in zwei Jahren) durch den EuGH
beantwortet.)
Aus Sicht der Bundesärztekammer muss also zunächst eine Klärung der EU-rechtlichen Fragen
erfolgen, bevor die medizinisch-wissenschaftlichen und informationspolitischen Aspekte diskutiert
werden können.
Nach Klärung der Rechtslage müssen die dann zur Verfügung stehenden, aktuellen
epidemiologischen Daten erneut ergebnisoffen bewertet werden.
Mit freundlichen Grüßen
Samir Rabbata
Pressesprecher
Bundesärztekammer
Stabsbereich Politik und Kommunikation
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