Erklärung zum Weltethos - RPI

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Elsayed Elshahed
Erklärung zum Weltethos
Die Deklaration des Parlaments der Weltreligonen im islamischen Blickfeld
Grundlage dieses Beitrags ist das Buch “A Global Ethic -The Declaration of the Parliament of the World’s
Religions"; deutscher Originaltitel: “Erklärung zum Weltethos. Die Deklaration des Parlaments der Weltreligionen",
herausgegeben von Hans Küng und Karl-Josef Kuschel (London, SCM Press, 1993. 124 S.). Dieses Buch
besteht hauptsächlich aus zwei Teilen. Der erste Teil beginnt mit einem Vorwort der Bucheditoren Hans Küng und
Karl-Josef Kuschel, in dem die Zielsetzung des Weltethos sowie seine Stellung gegenüber den Weltreligionen
und Ideologien (S.7-10) dargelegt wurden. Darauf folgt eine Einleitung, die eine Zusammenfassung der
Weltethos-Erklärung beinhaltet.
Unter dem Titel “Die Prinzipien eines Weltethos" wird der Inhalt dieses Weltethos ausführlich in vier Abschnitten
bzw. Prinzipien behandelt.
Das erste Prinzip lautet: “Kein neues Weltsystem ohne ein neues Weltethos".
Das zweite Prinzip erhebt eine fundamentale Forderung, nämlich “Jeder Mensch soll menschlich
behandelt werden". Das dritte Prinzip beinhaltet vier unabänderliche Leitlinien bzw. Bekenntnisse:
1. Zur Kultur der Gewaltlosigkeit und Respekt vor dem Leben.
2. Zur Solidarität (mit den anderen) und für ein gerechtes Wirtschaftssystem.
3. Zur Toleranz und Aufrichtigkeit im Leben.
4. Zur Gleichberechtigung und Partnerschaft zwischen Männern und Frauen.
Das vierte Prinzip ist ein Aufruf zur Umgestaltung des Bewusstseins sowohl in privaten als auch in
öffentlichen Lebensbereichen.
Abschließend werden alle Männer und Frauen, ob sie einer Religion angehören oder nicht, eingeladen, das
gleiche, wie die Unterzeichnenden zu tun (S. 17-36). Die Namen der Unterzeichnenden nach alphabetischer
Reihenfolge ihrer 15 Religionsgemeinschaften werden aufgeführt. Die christliche Gemeinschaft ist dabei am
stärksten vertreten (S.37-39).
Im zweiten Teil des Buches handelt es sich um Kommentare und Hintergründe: “Geschichte,
Bedeutung und Methode der Weltethos-Erklärung" von Hans Küng. In diesem Abschnitt spricht Küng
über folgende Punkte: Die Entstehungsgeschichte dieser Weltethos-Erklärung, ihre Vorgeschichte,
ihre Vorbereitungsphase, was diese Erklärung vermeiden und was sie beinhalten muss; über die
religiöse Eröffnungsformel “lm Namen Gottes" und die buddhistische Ablehnung derselben; über
umstrittene Fragen bzw. die Suche Küngs nach einem Ausgleich mit den buddhistischen Teilnehmern;
und abschließend wird “ein Zeichen der Hoffnung" (S.43-76) angekündigt.
Die Entstehungsgeschichte des Parlaments der Weltreligionen 1893-1993 wird im Anschluss an
Küngs Beitrag von Karl-Josef Kuschel erläutert. In diesem Bericht wird die Vorgeschichte des
Parlaments der Weltreligionen von Chicago durch folgende Fragen bzw. Überschriften dargestellt:
“Wie hat alles angefangen?"; “Was ist das Parlament der Weltreligionen?”; “Handelt es sich dabei um
einen latenten angelsächsischen Triumphalismus?"; “Das Scheitern der eurozentristischen christlichen
Modernität”; “Die polyreligiöse Situation unserer Zeit und schließlich Chicago als ein Beispiel" (S.77105).
Dokumentationen, der Ablauf der Tagung, Vorträge, Zeremonien und die abschließende Plenarsitzung wurden
am Ende des Buches aufgeführt.
Als die hier vorliegende Weltethos-Erklärung noch als ein “Projekt Weltethos" von Hans Küng in ihrer ersten
Konzeption herausgegeben wurde, habe ich sie im Rahmen eines Beitrages zur Festschrift. (Arbeitsbuch) für
Hans Küng (Hg.: Hermann Häring/ Karl-Josef Kuschel, Piper, 1993) unter dem Titel: “Die Problematik des
interreligiösen Dialogs" positiv bewertet. Später wurde der Inhalt dieses Projekts als eine “Universale WeltethosErklärung" in einer deutschen Zeitung publiziert und mit Namen einiger Wissenschaftler versehen, die diese
bereits unterschrieben hatten. Freundlicherweise hatte mir Hans Küng eine Kopie des veröffentlichten Textes
geschickt. In meinem Kommentar dazu habe ich zehn Fragen an die “Universale Weltethos-Erklärung" gestellt,
die von Herrn Küng positiv aufgenommen wurden. Er wollte sie dann im Sommersemester 1992, wie er mir
schrieb, mit seinen Studenten besprechen.
Analyse
Der veröffentlichte Text der Wettethos-Erktärung von Chicago besteht aus drei Hauptteilen, spricht
drei Beziehungen an und stützt sich auf zwei allgemein anerkannte ethische Prinzipien.
Der erste Hauptteil beinhaltet drei Verurteilungen gegen die Umweltverschmutzung, die wirtschaftliche
Ungerechtigkeit und die soziale bzw. die politische Unterdrückung sowie Aggressionen gegen andere
im Namen der Religion.
Im zweiten Hauptteil werden drei Feststellungen gemacht:
1. Dass es gemeinsame Werte in der Lehre aller Religionen bereits gibt.
2. Dass die Wahrheit bereits bekannt ist und nur noch in den Herzen und Handlungen praktiziert
werden muss.
3. Dass es unwiderrufliche und unverzichtbare Normen für alle Lebensbereiche, d.h. in Familien,
Gesellschaften, Rassen, Nationen und Religionen gibt. Dies ist ein alter Leitfaden für menschliches
Verhalten in allen Weltreligionen und gilt als eine Bedingung für ein akzeptables Weltsystem.
Der dritte Hauptteil ist die eigentliche Erklärung; darin bekennen sich die Teilnehmer
1. zur gegenseitigen Abhängigkeit und Respekt vor Menschen, Tieren und der Natur,
2. zur Selbstverantwortung für die eigenen Handlungen,
3. zum liebevollen Umgang mit allen Menschen und ihnen gegenüber vergebungsbereit und solidarisch bleiben,
4. zur Einheit der menschlichen Gattung, d.h. zum solidarischen und rücksichtsvollen Verhalten
gegenüber Kindern, Armen, Älteren, Behinderten, Flüchtlingen und Alleinstehenden sowie zur
Gleichheit aller Menschen, aufrichtige und moralische Partnerschaft zwischen Männern und
Frauen. 5. Zur Gewaltlosigkeit, Respekt vor Gerechtigkeit und Frieden,
5. und schließlich zur Schaffung eines sozialen und wirtschaftlichen Systems, das allen Menschen die
gleiche Chance zur Selbstentfaltung bietet, sowie zur Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit in Wort und Tat
gegenüber allen Menschen. All dies soll bei allen Menschen zu gegenseitigem Verständnis,
sozialen Vorteilen, Frieden und naturfreundlichem Verhalten führen
(s. Zusammenfassung S.13-16, ausführlich S.l7-36).
Die drei erwähnten und aus dem Originaltext entnommenen Beziehungen gehen vom Menschen aus
in drei Richtungen: Mensch-Mensch, Mensch-Tiere und schließlich Mensch-Natur. Die metaphysische
Richtung, nämlich die Beziehung Mensch- bzw. Natur-Gott, die eigentlich bei allen drei
Offenbarungsreligionen an der ersten Stelle steht, fehlt hier völlig. Dies geschah, wie ich vermute, aus
Rücksicht auf die buddhistischen Teilnehmer, welche, wie Küng später (S.64-65; s.a. S. 70 ) schreibt,
die Verwendung der Eröffnungsformel “lm Namen Gottes" abgelehnt hatten.
Die zwei ethischen bzw. religiösen Prinzipien, auf welche diese Weltethos-Erklärung in ihrem Kern
basiert, sind zum einen die biblischen Zehn Gebote und zum anderen das allgemein bekannte Gebot
“was dir die anderen nicht antun sollen, darfst du den anderen nicht antun".
Allgemeine Bemerkungen
Diese Weltethos-Erklärung bietet, trotz einiger Vorbehalte, gute Anhaltspunkte und könnte, im Falle
ihrer Konkretisierung, als eine solide Basis für einen hoffnungsvollen interreligiösen Dialog dienen.
Besonders zu unterstreichen ist in dieser Erklärung:
1. Religionen und Ideologien können neben ihr souverän weiter existieren und wirksam bleiben.
2. Religionen und Ideologien bleibt die Tür offen, für sich mit friedlichen und aufrichtigen Mitteln zu
werben.
3. Dieses Weltethos kann widerspruchslos neben jedem politischen, wirtschaftlichen oder sonstigen
System existieren.
4. Die Weltethos-Erklärung könnte die moralischen und spirituellen Ressourcen aller Weltreligionen
und Ideologien für die Lösung vieler sonst unlösbaren Probleme mobilisieren.
5. Sie unterscheidet sich von der Menschenrechtserklärung hauptsächlich darin, dass sie politisch
nicht so leicht manipulierbar ist.
6. Sie stellt weder eine globale Ideologie, noch eine einheitliche Weltreligion dar, noch erhebt sie eine
bestimmte Religion über alle anderen. Sie besteht lediglich aus einer fundamentalen Übereinstimmung über verbindliche Werte, unwiderruflichen Normen und persönlichen Überzeugungen
(S.21).
7. Sie beschreibt die gegenwärtige politische, wirtschaftliche, soziale, und ökologische Situation auf
der ganzen Welt sehr realistisch und objektiv. Hinsichtlich dieser besorgniserregenden Situation
stellt sie zu Recht fest, dass es keinen Weltfrieden ohne Weltgerechtigkeit geben kann. Ebenso
gibt es keine Weltgerechtigkeit ohne globale Ehrlichkeit und Menschlichkeit.
8. Sie erkennt die Begrenztheit ihres Wirkungsbereiches an, indem sie keine allzu großen Weltveränderungen in ihrem Sinne verspricht.
9. Sie versteht sich als einen Appell an das Gewissen jedes einzelnen Menschen, seine Glaubens2
prinzipien bzw. Ideologien verantwortungsbewusst in Taten umzusetzen.
10. Die bedauernswerte Lage der Frauen auf der ganzen Welt wurde in dieser Erklärung unterstrichen
und zur Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen aufgerufen.
Kritische Bemerkungen
Man mag zwar die Unbeweglichkeit der buddhistischen Teilnehmer bezüglich der Formel “lm Namen
Gottes" als ein unwesentliches Problem ansehen, ich sehe darin jedoch eine deutliche Schwäche
dieser Erklärung. Ein Konsens darüber war gescheitert, und die drei Offenbarungsreligionen - also die
allergrößte Religionsgemeinschaft -, deren Angehörige, wie Küng (S. 62) sagt, nicht an einen Gott von
vielen und auch nicht an den höchsten Gott, was den Vielgöttereiglauben, sprich Polytheismus,
impliziert, sondern an den einen und einzigen Gott, der die Menschheit und die Welt erschaffen und
vollendet hat, glauben, vermochten sich nicht durchzusetzen. Wären die buddhistischen Teilnehmer
mit der alternativen Formel “lm Namen des Allwissenden" einverstanden? Buddha hat doch, ihrer
Überzeugung nach, die höchste Stufe des Wissens erreicht, und “Der Allwissende" ist im Koran einer
der 99 Namen Gottes. Eine solche Formel würde auch nicht den Glaubensgrundsätzen von Christen,
Juden und anderen Gläubigen widersprechen. Selbstverständlich haben Buddhisten genauso wie
andere Religionsgemeinschaften das Recht, nichts gegen ihre Überzeugung zu unterschreiben; über
die o.g. alternative Formel könnte man jedoch diskutieren.
Allerdings frage ich mich, wenn eine Einigung über eine solche formelle Aussage nicht möglich war,
wie kann dann eine Einigkeit bei der Lösung schwerwiegenderer Probleme, wie z.B. das Problem der
ethnischen und religiösen Minderheiten, erzielt werden?
Die von Küng vorgeschlagenen Ersatzformeln an Stelle von “Gott", nämlich, “Great Being" (Das große
Dasein) oder “Power of the Transcendent" (Die Kraft des Transzendenten) oder “Higher Spiritual
Authority" (Die höchste spirituelle Autorität", S. 65), bieten, meiner Meinung nach, keine
überzeugenden Alternativen. Hervorzuheben ist dabei jedoch die begrüßungswerte Bereitschaft
Küngs, über weitere Lösungsvorschläge zu diskutieren.
In welcher Form glauben Buddhisten (z.B. die Mahayana-Richtung, für die Buddha ein überirdisches
Wesen war), doch an eine Form der Gottheit, insbesondere die späteren Generationen, die, wie Küng
(in: Christentum u. Weltreligionen, S.445-446) sagt, “in Buddha nicht nur den Weisen, sondern den
Erlöser gesehen haben, den man als Nothelfer anrief, den man als allen Göttern überlegen Verehrung
schulde". Umstritten zwischen dem Buddhismus auf der einen Seite und den semitischen
Offenbarungsreligionen auf der anderen Seite bleibt vielleicht dann noch die Frage nach der
Lokalisierung bzw. Transzendenz, der Vielfaltigkeit und den Einflussbereichen dieser Gottheit.
Dass der prinzipielle Glaube an ein überirdisches mächtiges Wesen bei beiden Parteien nicht für
einen Kompromiss ausreicht, dämpft den Optimismus bezüglich der Effizienz dieser WeltethosErklärung.
Auch die positiven Aspekte im Buddhismus, die Küng (S. 64) im Rahmen seiner verzweifelten Suche
nach einem Ausweg unterstreicht, werden durch die ablehnende Haltung der buddhistischen
Teilnehmer in diesem Zusammenhang nicht gestärkt, sondern eher abgeschwächt
Die Formulierung des Vorsatzes auf Seite 22, “dass die Religionen die ökologischen, wirtschaftlichen, politischen
und gesellschaftlichen Probleme auf dieser Erde nicht lösen können ..." ist, meiner Meinung nach, eine
ungerechtfertigte Verallgemeinerung und kann nur aus einer säkularistischen Weltanschauung herrühren, die aus
westlicher Perspektive angegangen wird; darum würde ich mich den Bedenken der muslimischen Teilnehmer,
dass diese Weltethos-Erklärung zu westlich ist (S. 70), anschließen.
Säkularistische Weltanschauung verträgt sich in keiner Weise mit der islamischen Überzeugung.
Muslime, welche die Trennung zwischen Religion und Staat akzeptieren oder gar fordern, sind in den
Augen der islamischen Gemeinde zu verwestlicht und gelten als abtrünnig. Der Islam hat eine
ähnliche Konzeption für die Lösung der hier angesprochenen Probleme, die ich im Rahmen dieser
Besprechung später kurz ansprechen werde.
Auf Seite 69 tritt die oft und immer aktuell entfachte Diskussion über die Stellung der Frauen in den
verschiedenen Religionen zutage. Keine Frage, die Stellung der Frau in der Gesellschaft bedarf auf der ganzen
Welt in unterschiedlichen Maßen einer Aufwertung. Kein Kulturkreis bildet dabei eine Ausnahme.
Zu der oben erwähnten Stelle sind zwei Punkte anzumerken:
3
1. Das Judentum fehlt bei der Aufzählung der betroffenen Religionen im Rahmen dieser Erklärung,
vielleicht versehentlich.
2. Der Autor ruft in unsere Erinnerung, dass wir aus unseren Religionen keine alten Anweisungen
diesbezüglich wieder- bzw. herholen könnten. Die sich dort befindenden (alten) Begriffe, so Küng,
müssten in eine gegenwärtige Terminologie übersetzt werden. Küng nennt hierzu jedoch keine
Beispiele, die eine fruchtbare Diskussion hätten anregen können.
Zweifellos bedarf die Stellung der Frau auch in den islamischen Ländern einer kräftigen
Aufbesserung. Dies hat jedoch weder theologische noch terminologische, sondern ausschließlich
soziale Gründe, die auf eigennützige und traditionsbehaftete Missinterpretationen des Koran und der
Sunna zurückzuführen sind.
In der islamischen Weltanschauung wird allerdings nicht von Gleichberechtigung, sondern vielmehr
von einer gerechten Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern gesprochen.
Die unterschiedliche Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern im Blickfeld der islamischen
Weltanschauung basiert auf der unterschiedlichen physischen und psychischen Natur der beiden
Geschlechter, die als Grundlage für die Rollenverteilung gilt. Prinzipiell ist der Frau kein legaler Beruf
verboten, solange sie die moralischen Bestimmungen im Islam nicht überschreitet. So steht für die
Frau die Rolle der Mutter an der ersten Stelle. Andere Berufe, insbesondere bei denen sie mit Frauen
und Kindern zu tun hat, werden für sie ebenso bevorzugt, es dürfen für sie durch diese
Rollenverteilung jedoch auf gar keinen Fall gesellschaftliche oder soziale Nachteile entstehen (vgl. die
Koraninterpretation. von Ibn Kafír für S. 4/34).
Für mich als Muslim steht diese Weltethos-Erklärung in ihrer vorliegenden Form, abgesehen von
einigen bereits erwähnten Formulierungen, in keinem Widerspruch zu meiner religiösen Überzeugung.
Im Gegenteil, sie stimmt mit den ethischen Grundprinzipien der islamischen Weltanschauung überein.
Jeder Koranwissenschaftler kann selbst eine entsprechende Aussage für jeden Punkt der WeltethosErklärung von Chicago im Koran finden. Einige dieser koranischen Aussagen fasse ich
folgendermaßen zusammen:
Die Zehn-Gebote
In der 6. Sure, 151-153 sind die im Alten Testament bekannten Zehn Gebote zusammengefasst, dort
heißt es (151):
“Sag: Kommt her! Ich will (euch) verlesen, was euer Herr euch verboten hat: Ihr sollt Ihm nichts beigesellen. Und
zu den Eltern (sollt ihr) gut sein. Und ihr sollt nicht eure Kinder aus Angst vor Verarmung töten. Wir bescheren
ihnen und euch den Lebensunterhalt. Und ihr sollt euch auf keine abscheulichen Handlungen einlassen
(gleichviel), was davon sichtbar oder verborgen ist, und niemand ohne (gerechtes) Gerichtsverfahren töten. Dies
hat Gott euch verordnet in der Hoffnung, dass ihr dies begreift. (152) Und tastet das Vermögen der Waise nicht
an, es sei denn auf die (für sie/ihn denkbar) beste Art, bis er (oder sie) volljährig geworden ist (und selber darüber
verfügen darf). Und gebt volles Maß und Gewicht, wie es recht ist. Von niemand verlangen Wir mehr, als er (zu
leisten) vermag. Und wenn ihr eine Aussage macht, dann seid gerecht (sagt die Wahrheit), auch wenn es ein
Verwandter sein sollte (gegen den ihr auszusagen habt). Und erfüllt eure Verpflichtungen Gott gegenüber. Dies
hat Er euch empfohlen, in der Hoffnung, dass ihr daran denkt. (153) Dies ist mein Weg, er ist gerade, folgt ihm!
Folgt nicht den (verwirrenden) Wegen, denn diese werden euch von seinem (geraden) Weg abbringen. Gott
empfiehlt euch dies, damit ihr Gott ehrfürchtet" (vgl. R Paret: Der Koran. Stuttgart: Kohlhammer, 1979, S.107;
ausführlicher und umfassend Sure 17,23-38).
Toleranz gegenüber Andersgläubigen
Der Koran verbietet an 34 Stellen das Unrecht gegenüber Andersgläubigen. In Sure 42, 15: “Sage: Ich glaube an
all das, was Gott an Offenbarungsschriften herabgesandt hat. Und mir ist befohlen worden, ich soll unter euch
Gerechtigkeit walten lassen. Gott ist (gleichermaßen) unser und euer Herr. Uns kommen (bei der Abrechnung)
unsere Werke zu und euch die euren. Wir brauchen nicht (weiter) mit euch zu streiten. Gott wird uns (dereinst bei
sich) sammeln. Bei Ihm wird es (schließlich alles) enden" (s a. 2,114; 3,186. 195; 4,69. 97. 98; 16,41-42; 22,3840. 58.59; 29,56; 85,1-10; 96,9-19).
Solidarisches Verhalten
In Sure 4, 36 heißt es: "Und dient Gott und gesellt Ihm nichts bei, und zu den Eltern sollt ihr gut sein, ebenso zu
den Verwandten und den Waisen und den Armen und zu den Nachbarn, ob sie mit euch verwandt, befreundet
sind oder nicht, und zu den durchreisenden Fremden und zu euren Dienern. Gott liebt nicht die Eingebildeten und
die Angeber". Überheblichkeit und Selbstverherrlichung sind 42mal im Koran verurteilt worden (s.a. 4,49; 31,18;
4
57,23).
Gegen jede Art von Fanatismus
Fanatismus wird im Qur’an an mehreren Stellen verurteilt und die islamische Gemeinde als Gemeinde der Mitte
bezeichnet. In Sure 2, 143 heißt es: "Und so haben Wir euch als Gemeinde der Mitte bestimmt". Und in Sure 16,
125: “Rufe auf zu dem Weg deines Herrn mit Weisheit und gutem Rat, und diskutiere mit ihnen (den
Nichtmuslimen) auf die freundlichste Art. Dein Herr weiß am besten Bescheid darüber, wer von seinem geraden
Weg abgekommen ist".
Sexual-Mißbrauch
Sexual-Mißbrauch jeder Art wurde in 19 koranischen Versen strengstens verboten und höchst strafbar gemacht
(s. 2,268; 3,135; 4,15.16.19.25; 6,151; 7,28. 33; 42,37; 53,32; 60,12).
Verantwortung für die Umwelt
Ein verpflichtendes Plädoyer für ein ökologisches Verantwortungsbewusstsein lesen wir u.a. in Sure 2, 60: “.. Esst
und trinkt von dem, was Gott euch beschert hat, und richtet nicht auf der Erde Unheil an". In Sure 11, 61: “...Er
hat euch aus der Erde entstehen lassen und gab euch den Auftrag, sie urbar zu machen". Dazu sagte auch der
Prophet Muhammad (s. Sahih al-Buhãri-al-qiãma): "Wenn die letzte Stunde der Welt angekommen ist und einer
von euch einen Setzling noch in der Hand hat, muss er ihn (trotzdem) einpflanzen". (s.a. 7,56. 74. 85; 26,151.
152; 47,22). Der heillose Umgang des Menschen mit anderen Menschen und der Natur wurde in 21 koranischen
Versen verurteilt bzw. verboten (s. 2,11. 12. 27. 30. 60. 205; 5,32. 33. 64; 7,56.74.85.86.103.142; 18,87;
26,151.152; 27,11; 42,42; 47,22).
Eine umfassendere Formulierung dieser ethischen Konzeption befindet sich außerdem an einer Stelle in Sura
al-'lsrá (Nr.17), die Verse von 23 bis 38.
Diese islamische Weltethos-Konzeption basiert auf dem Grundsatz, dass Gott den Menschen seine
Stellvertreterschaft auf Erden anvertraut hat. Dieser Auftrag ging an die Menschen durch mehrere koranischen
Aussagen: In Sure 2, 30 “Und als dein Herr den Engeln sagte: Ich werde auf der Erde einen Stellvertreter (für
mich) schaffen, da sagten die Engel: Willst Du (diese Stellvertreterschaft) einem Lebewesen geben, das die Erde
verdirbt und Blut vergießt, wobei wir Dich preisen und anbeten? (Gott) sagte: Ich weiß, was ihr nicht wisst". In
Sure 6,165 “Und Er ist derjenige, der aus euch Stellvertreter auf der Erde gemacht hat". (s.a. Sure 35, 39 ).
Vier Prinzipien möchte ich hierzu unterstreichen
1. Die Stellvertreterschaft des Menschen ist mit der Bedingung unauflöslich verbunden, dass der
Mensch jede Art des Missbrauchs in seinem Umgang mit anderen Menschen und der Natur
unterlassen muss (wörtlich s. S. 2,60; 7,74; 11,85; 26,183; 29,36; 47,22).
2. Wort und Tat müssen miteinander unaufhörlich verbunden sein. Dazu in Sure 2,44: “Wollt ihr den
anderen Leuten gebieten, das Gute zu tun, und dabei vergesst ihr euch selber, wo ihr doch die
Schrift leset?" Und in Sure 61,2-3 : “lhr Gläubigen! Warum sagt ihr, was ihr nicht tut? Bei Gott
erregt es große Abscheu, dass ihr sagt, was ihr nicht tut".
3. Die Gleichheit aller Menschen vor Gott. In Sure 49,13: lesen wir: “lhr Menschen! Wir haben euch
von einem männlichen und einem weiblichen Lebewesen geschaffen, und wir haben euch in Völker
und Stämme eingeteilt, damit ihr in guter Beziehung zueinander stehet. Der Vornehmste unter
euch ist derjenige, der Gott am meisten mit Ehrfurcht begegnet".
4. Vergebungsbereitschaft, insbesondere dann, wenn man sich rächen könnte, wurde in vielen
koranischen Versen empfohlen. In Sure 7,199: “Halte dich an das Verzeihen und gebiete das Gute,
und wende dich von den Toren ab". In Sure 41,34: “Die gute Tat ist nicht mit der schlechten
gleichzusetzen. Weise die Übeltat mit einer guten Tat zurück, und gleich wird derjenige, mit dem
du verfeindet warst, wie ein warmherziger (guter) Freund zu dir sein". In Sure 42,40: "Eine
schlechte Tat kann mit einer gleich schlechten vergolten werden. Wenn aber einer verzeiht und zu
einem Vergleich bereit ist, steht es Gott anheim, ihn zu belohnen". (s.a. 2,109; 7,95; 9,66; 13,22;
16,126; 22,60; 24,22; 28,54).
Abschließende Bemerkungen
1. Die Überzeugung jedes Menschen, dass seine Religion die absolute Wahrheit besitzt, schließt das
Recht eines anderen nicht aus, das gleiche für seine Religion zu beanspruchen. Von einem gläubigen
Menschen zu verlangen, er möge auf die eigene Überzeugung zugunsten der Weltethos-Erklärung
völlig verzichten, wäre absurd. Gut beraten wäre man in dieser Hinsicht, wenn man die Menschen nur
zu Toleranz, Aufgeschlossenheit, Solidarität und Aufrichtigkeit gegenüber allen anderen Menschen
5
aufrufen würde. Dies ist, meines Erachtens, der einzige sinnvolle Weg zu einem ethischen Konsensus
zwischen allen Glaubensgemeinschaften.
2. Basierend auf dem eben dargelegten Weltethos-Verständnis kann jede Religionsgemeinschaft die
anderen Menschen in einer aufrichtigen Form zu ihrem Glaubensweg einladen; denn von einem
Gläubigen zu verlangen, die anderen nicht zu seinem Glauben aufzurufen, wäre gegen seine
Überzeugung, da jeder aus seiner Sicht her glaubt, die absolute Wahrheit zu besitzen und die
anderen Menschen daran teilhaben lassen möchte. Viele Religionsgemeinschaften, wie z.B. die der
Muslime, sind dazu verpflichtet, zu ihrer Religion aufzurufen, soweit sie dazu befähigt sind. Der
islamische Aufruf (arab. da`wa) ist im Grunde kein institutioneller Beruf, vielmehr ist er eine
persönliche Lebensführung nach der islamischen Weltanschauung. In anderen Worten: indem man
sich bemüht, für sich selbst und im Umgang mit den anderen vorbildlich zu leben, betreibt man da’wa.
Dies aber nicht zu versuchen, wäre eine fahrlässige Unterlassung einer der religiösen Grundpflichten.
Viele Muslime, ebenso wie Andersgläubige, sehen darin sogar eine Gefahr für ihre religiöse Identität.
3. In dieser Weltethos-Erklärung wird oft betont, sie sei weder von politischem, noch militärischem,
noch wirtschaftlichem, noch diplomatischem Charakter; dabei bezieht sich ihr ganzer Inhalt auf
politische, soziale, wirtschaftliche, militärische und diplomatische Themen. Sie vertritt dabei einen
religiös-ethischen, auf das Individuum gerichteten verantwortungsbewussten Standpunkt. Sie erhebt
den Vorsatz: “keine neue Weltordnung ohne ein neues Weltethos". Nur wie will dieses Weltethos ein
solches, fast illusionäres Ziel ohne politische, wirtschaftliche und sonstige institutionelle Unterstützung
erreichen?
4. Mit der Menschenrechtserklärung wurde diese Weltethos-Erklärung verglichen. Beide Erklärungen
haben gemeinsam, dass sie nicht auf politischem Boden geboren sind, können aber von der Politik
nicht getrennt werden.
Die Erfahrung, die wir heute mit der Menschenrechtserklärung nach ihrer völligen Politisierung bzw.
Manipulierung durch die Großmächte, machen, begrenzt die Erwartungen, die man von derartigen gut
gemeinten Erklärungen erhofft. Wenn diese Weltethos-Erklärung aber einen besseren Weg als den
der Menschenrechtserklärung einschlagen möchte, muss sie sich auf das pädagogische Gebiet
konzentrieren. Dies bedeutet, Forschungsinstitute müssen errichtet werden, welche die Kulturen,
Religionen und Traditionen der verschiedenen Völker durch Fachwissenschaftler erforschen sollen.
Schulbücher und sonstige Literatur müssen von alten Hass erfüllten, rassistischen Vorurteilen
gegenüber anderen Religionen, Nationen und Völkergemeinschaften befreit werden, und die
Gleichheit aller Menschen muss im Vordergrund stehen.
5. Sie muss außerdem den notwendigen Mut besitzen, Unrecht, gleich aus welcher Richtung es
kommt, aufzuzeigen und zu verurteilen. Dabei kann sie sich der Veröffentlichung zweckmäßiger
objektiver Literatur sowie unparteiischer Massenmedien, falls es sie überhaupt geben kann, bedienen.
Vielleicht geht dies alles nicht ohne eigene Verlags- und Massenmedieninstitutionen. Natürlich wird
hier zu Recht die Frage nach der Finanzierung solcher Apparate gestellt, und Finanzprobleme
können, wie wir alle wissen, zur Abhängigkeit bzw. Manipulierbarkeit führen. Hier sind die aktiven
Gründer und Gönner dieser Initiative zur Opferbereitschaft aufgerufen.
6. Das im Rahmen dieses Beitrags nur ansatzweise konzipierte koranische Weltethos könnte man als
zu theoretisch bezeichnen. Der Deklaration des Parlaments der Weltreligionen könnte, allerdings aus
der gleichen Perspektive betrachtet, das Gleiche widerfahren.
Wird diese Initiative nicht institutionalisiert und von überzeugten Förderern und Gönnern nicht
uneigennützig unterstützt, wird sie nicht mehr und nicht weniger als ein Wunschtraum des größten
Teils der Menschheit bleiben.
Zuerst erschienen in Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.): Wertewandel und religiöse
Umbrüche. Religionen im Gespräch, Bd. 4 (RIG 4). Balve: Zimmermann 1996, S. 338-349
RIG4-Elshahed-Weltethos, 27.10.08
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