Einführung in die Mathematik für Informatiker III Prof. D. Potts - WS 2007/2008 c 2007-2008 Tobias Doerffel Copyright Diese privaten Mitschriften der o.g. Vorlesung erheben weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Fehlerfreiheit. Die Verwendung der hier vorliegenden Informationen geschieht auf eigene Gefahr! Korrekturhinweise an tobias.doerffel )at( informatik.tu-chemnitz.de werden dankend entgegengenommen. Weitere Informationen auf http://www.tu-chemnitz.de/˜doto/ Chemnitz, 4. Juli 2008 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 10 Integralrechnung 10.1 Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung . . . . . . . . . . . 3 3 11 Anwendung der Integralrechnung 11.1 Rotationskörper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Kurven und Bogenlängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 9 10 14 12 Folgen und Reihen von Funktionen 12.1 Funktionsfolgen . . . . . . . . . . . . 12.2 Konvergenz von Funktionenreihen . . 12.3 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . 12.3.1 Taylor-Reihen . . . . . . . . . 12.3.2 Konvergenz von Potenzreihen 12.4 Fourier-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 24 29 34 34 38 39 . . . . . . . . . 43 44 45 46 48 51 55 56 57 58 14 Integralrechnung mehrerer Variablen 14.1 Bereichsintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.1 Die Transformationsformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 61 64 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Differentialrechnung mehrer reeller Variablen 13.1 Topologische Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Folgen und Reihen von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Stetigkeit von Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Partielle Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5 Regeln für differenzierbare Abbildungen und Richtungsableitungen 13.6 Höhere partielle Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.7 Taylor-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.8 Extremalprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.9 Satz über implizite Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 10. Integralrechnung 10 Integralrechnung Satz 10.2: Es seien f und g reelle Funktionen auf einen Intervall die auf jedem kompakten Teilintervall von I integrierbar sind. Dann gilt für beliebige a, b ∈ I .... ˆ b Aus m ≤ f (x) ≤ M ∀x ∈ [a, b] folgt m(b − a) ≤ f (x) dx ≤ M(b − a) a ˆ b ˆ b Mit C = sup |f (x)| erhält man f (x) dx ≤ |f (x)|dx ≤ C(b − a) x∈[a,b] a a ˆ b ˆ b Gilt f (x) ≥ g(x) ∀x ∈ [a, b] dann folgt f (x) dx ≥ g(x) dx a a Sind f, g : [a, b] → R zudem stetig und ∃x0 ∈ [a, b] mit f (x0 ) > g(x0 ) dann ˆ b ˆ b gilt f (x) dx > g(x) dx a a Satz 10.3: (Mittelwertsatz der Integralrechnung) a) Sei f : [a, b] → R stetig, dann existiert ein ξ ∈ (a, b) mit ˆ b f (x) dx = f (ξ)(b−a) a b) Seien f, g : [a, b] → R stetig und g(x) > 0 ∀x ∈ (a, b) dann existiert ein ˆ b ˆ b ξ ∈ (a, b) mit f (x)g(x) dx = f (ξ) g(x) dx a a 10.1 Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Ziel: Integralrechnung ist die Umkehrung der Differentialrechnung Definition: Seien F, f : [a, b] → R und F differenzierbar auf [a, b]. Dann heißt F Stammfunktion von f auf [a, b], wenn F ′ (x) = f (x) ∀x ∈ [a, b]. Satz 10.4: Sei f : [a, b] → R stetig, dann ist F : [a, b] → R mit F (x) = für alle c ∈ [a, b] eine Stammfunktion von f auf [a, b]. Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 ˆ x f (t) dt c 3 10.1 Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Satz 10.5: Sei F Stammfunktion von f : [a, b] → R auf [a, b], dann lässt sich jede weitere Stammfunktion von f auf [a, b] in der Form G(x) = F (x) + C ∀x ∈ [a, b] mit C ∈ R schreiben. Satz 10.6: Sei f : [a, b] → R stetig und F Stammfunktion von f auf [a, b], d ˆ d dann gilt für c, d ∈ [a, b] f (x) dx = F (d) − F (c) =: F (x) c c ˆ f (x) dx wird unbestimmtes Integral genannt und stellt eine ˆ b Funktion dar (bzw. eine Menge von Funktionen). f (x) dx wird bestimmtes Bemerkung: Integral genannt und stellt eine reelle Zahl dar. a Beispiele für Stammfunktionen: ˆ 1 xn dx = xn+1 + C (n 6= −1) n+1 ˆ 1 dx = ln(x) + C x ˆ sin(x) dx = − cos(x) + C ˆ 1 eax = eax + C (a 6= 0) a ˆ 1 x b + C (b > 0, b 6= 1) bx dx = ln(x) bestimmte Integrale: ˆ 0 4 π 2 π 2 π cos(x) dx = sin x = sin − sin 0 = 1 2 0 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 10.1 Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Berechnung von Integralen: Satz 10.7: (Substitutionsregel) Sei h : [a, b] → [c, d] stetig differenzierbar und f : [c, d] → R stetig mit der Stammfunktion F , dann gelten ˆ f (h(t))h′ (t) dt = F (h(t)) = (F ◦ h)(t) und ˆ b h(b) ˆ = f (h(t))h (t) dt = F (x) h(b) ′ a f (x) dx h(a) h(a) Satz 10.8: (Partielle Integration) Seien u, v : [a, b] → R stetig differenzierbar dann gelten ˆ ˆ ′ u(x)v (x) dx = u(x)v(x) − u′ (x)v(x) dx und ˆ a b b ˆ b u′ (x)v(x) dx u(x)v (x) dx = u(x)v(x) − ′ a a Beweis: Integration der Produktregel Beispiele: ˆ ˆ x x xe dx = xe − ex dx = (x − 1)ex + C ˆ ˆ ˆ 1 ln(x) dx = 1 · ln(x) dx = x ln(x) − x dx x ˆ ⇒ √ e mit x = h(t) := t2 h′ (t) = 2t ˆ √ ˆ ˆ √ √ √ x h(t) ′ h (t) dt = et 2tdt = 2(t − 1)et + C = 2( x − 1)e x + C e dx = e x dx = Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 5 10.1 Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Die Integration rationaler Funktionen ˆ p(x) dx (p und q sind Polynome) verläuft in 3 Schritten: q(x) r(x) p(x) = h(x) + mit 1. mittels einer Polynomdivision schreiben wir q(x) q(x) grad r <grad q r(x) wird eine Partialbruchzerlegung durchgeführt. Laut Funda2. Für q(x) mentalsatz der Algebra kann das Polynom q in der Form q(x) = c(x − α1 )k1 (x − α2 )k2 ...(x − αN )kN schreiben. Hierbei sind α1 , ..., αN die Nullstellen von q und es gilt c 6= 0 sowie grad q = k1 + k2 + ... + kN . Da q reellwertig ist, tritt mit jeder echten komplexen Nullstelle αj = ξ + iηj (ηj 6= 0) auch die konjugiert komplexe Zahl αj = ξj − iηj als Nullstelle gleicher Ordnung kj auf. Unter Verwendung von (x − αj )(x − αj ) = x2 + βj x + γj mit βj = −αj − αj = −(αj + αj ) ∈ R und γj = αj αj = |αj |2 ∈ R erhalten wir L u Y Y kj (x2 + βj + γj )mj . q(x) = c (x − αj ) j=1 j=1 Nun schreiben wir ! Ajkj Aj2 Aj1 + + + ... + x − αj (x − αj )2 (x − αj )kj L X Bjmj x + Cjmj Bj1 x + Cj1 Bj2 x + Cj2 + 2 + ... + 2 2 +β x+γ 2 x (x + β x + γ ) (x + βj x + γj )mj j j j j j=1 u r(x) X = q(x) j=1 wobei Ajv , Bjv , Cjv beispielsweise durch Koeffizientenvergleich oder die Einsetzmethode ermittelt werden. 3. Integration der Summanden unter(Verwendung (Nachweis siehe Übung) der ˆ 1 1 k = 2, 3, ... − k−1 dx (x−α)k−1 folgenden Formeln = (x − a)k ln(x − α) k=1 ⇒ Problem der elementaren Integration rationaler Funktionen ist gelöst. 6 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 10.1 Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Uneigentliche Integrale Unter einem uneigentlichen Integral versteht man 1. Integrale über unbeschränkte Bereiche: ˆ ∞ ˆ b f (x) dx , f (x) dx , −∞ a ∞ ˆ f (x) dx −∞ 2. Integrale über unbeschränkte Funktionen, die an den Intervallenden Singularitäten aufweisen: ˆ b f (x) dx mit f : D → R, D = (a, b], D = (a, b), D = [a, b) a Definition: Sei f : D ⊂ R → R und D nicht notwendigerweise beschränkt oder abgeschlossen, dann heißt f lokal integrierbar über D, falls f über jedem kompaktem Intervall [a, b] ⊂ D integrierbar ist. Ist f : D ⊂ R → R lokal integrierbar über D, so definieren wir die folgenden uneigentlichen Integrale, sofern die auftretenden Grenzwerte existieren: ˆ ∞ ˆ z D := [a, ∞) : f (x) dx = lim f (x) dx z→∞ a D := R : ˆ b ˆ D := (−∞, b] : f (x) dx := lim z→−∞ −∞ ∞ f (x) dx = −∞ ˆ D := (a, b] : ˆ f (x) dx + f (x) dx = lim z→a D := [a, b) : D := (a, b) : f (x) dx = a ˆ a z→b− a b ˆ D := [a, b] \ {C} f (x) dx = lim f (x) dx = ˆ Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 a f (x) dx a f (x) dx ˆ z f (x) dx a f (x) dx + a ∞ z c ˆ b ˆ b ˆ b f (x) dx z −∞ b b ˆ a a ˆ a ˆ b f (x) dx c c f (x) dx + ˆ b f (x) dx c 7 10.1 Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Beispiele: ˆ ∞ 1 dx mit α ≥ 1. Wir haben für alle z ∈ R xα ˆ z a z ln |x| dx = xα −1 1a α−1 xα−1 ⇒ (x) = α=1 α>1 1 ist für α > 1 über [1, ∞) lokal integrierbar xα für α > 1 ˆ ∞ 1 für α = 1 z 1 1 1 1 1 dx = = lim lim α−1 − 1 = α α−1 z→∞ 1 − α x x 1 − α z→∞ z α−1 1 ˆ ∞ 1 z dx = lim ln |x| = lim (ln |z| − ln(1)) = ∞ z→∞ z→∞ x 1 1 f (x) √ x 2 ˆ 2 ˆ 2 √ √ √ 1 f (x) dx = lim f (x) dx = lim 2x 2 = lim (2 2 − 2 z) = 2 2 z→0+ z→0+ z→0+ f : R+ → R 0 z f :R→R z f (x) = cos(x) ⇒ existiert ˆ ∞ f (x) dx? 0 Mit {zn } = {2πn} und {z̃n } = {2πn + π2 } gilt lim zn = lim z̃n = ∞ n→∞ und lim n→∞ lim n→∞ ⇒ ˆ ∞ ˆ zn ˆ zn cos x dx = lim (sin(zn ) − sin(0)) = 0 n→∞ 0 0 n→∞ cos x dx = lim (sin(z̃n ) − sin(0)) = 1 n→∞ cos(x) dx existiert nicht, obwohl f (x) = cos(x) über jedem kompak- 0 ten Intervall [a, b] ⊂ R integrierbar ist. 8 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 11. Anwendung der Integralrechnung 11 Anwendung der Integralrechnung 11.1 Rotationskörper Zur Volumenberechnung denken wir uns den Körper approximiert durch parallele Zylinderscheiben wobei die Schnittfläche jeweils parallel zur y-z-Ebene ausgerichtet seien und ihre Position gegeben ist durch eine Zerlegung des x-Bereiches. Zerlegung z = {[x0 , x1 ], [x1 , x2 ], ..., [xn−1 , xn ]}. Sei Q(xi ) die Querschnittsfläche an der Stelle xi , dann berechne V (z) = n−1 X i=0 Q(xi )(xi+1 − xi ) d.h. das Volumen wird approximiert durch eine Summe von parallelen Zylinderscheiben, die eine Riemannsche Summe für Funktionen Q darstellt. Betrachten wir |z| → 0, so erhalten wir ˆ b V = Q(x) dx a im Fall der Konvergenz. Die Rotation eines Funktiongraphens um die x-Achse liefert einen Rotationskörper. Die ˆ Querschnittsfläche an der Stelle x lautet b (f (x))2 dx Q(x) = π(f (x))2 womit VRot = π a y2 x2 Beispiel: Rotationsellipsoid: Durch 2 + 2 = 1 (a, b > 0) wird eine Ellipse a b x 2 beschreiben. Es gilt y 2 = b2 1 − so dass für y > 0 a r x 2 y = f (x) = b 1 − a ergibt. Rotation um die x-Achse liefert den Rotationsellipsoiden mit dem Volumen. ! ˆ b ˆ b r x 2 x 2 2 4 2 dx = πb dx = πab2 1− VRE = π b 1− a a 3 a a Im Spezialfall a = b = r erhalten wir eine Kugel mit Radius r und VKugel = 34 πr 3 Die Mantelfläche eines Rotationskörpers wird durch die Mantelfläche von Kegelstümpfen approximiert. Mit yi = f (xi ), ∆xi = xi+1 − xi ergibt sich s n−1 n−1 X X p ∆yi 2 y + y i i+1 · ∆xi M(z) = π(yi + yi+1 ) ∆xi 2 + ∆yi 2 = 2π 1+ 2 ∆xi 2 i=0 i=0 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 9 11.2 Kurven und Bogenlängen ∆yi Für eine stetig differenzierbare Funktion f konvergiert ∆x für |z| → 0 gegen f ′ (x). i Somit erhalten wir ˆ b q MRot = 2π f (x) 1 + (f ′ (x))2 dx a Beispiel: für eine√Kugel mit Radius r betrachten wir wegen x2 + y 2 = r 2 die Funktion f (x) = r 2 − x2 ˆ r ˆ r p ′ 2 r dx = 4πr 2 ⇒ MKugel = 2π f (x) 1 + (f (x)) dx = ... = 2π −r −r 11.2 Kurven und Bogenlängen Problem: Bereits im R2 lassen sich bestimmte Kurven nicht als Graphen reellwertiger Funktionen darstellen. 1. Lösungsmöglichkeit: Darstellung der Kurve durch Kombination mehrerer Graphen reellwertiger Funktionen, z.B. {(x, y) : x2 + y 2 = 1} beschreibt den Einheitskreis. Bei beliebigen Kurven wird das Vorgehen extrem aufwändig. n 2. Lösungsmöglichkeit: Parametrisierung der Linie durch C : [a, b] → R cos(t) für den Einheitskreis ergibt sich z.B. C1 : [0, 2π]R2 C1 (t) = sin(t) Definition: Eine Abbildung F~ : [a, b] → Rm f1 (t) F~ (t) = ... fm (t) mit fi : [a, b] → R, i = 1, ..., m heißt stetig (differenzierbar, stetig, differenzierbar) wenn alle fi , i = 1...m stetig (differenzierbar, stetig differenzierbar) sind. Definition: Eine stetig Abbildung C : [a, b] → Rm heißt Kurve in Rm mit Anfangspunkt C(a) und Endpunkt C(b). Eine Kurve heißt geschlossen, falls C(a) = C(b) gilt. Ist C stetig differenzierbar, so heißt C(t) eine C 1 -Kurve. Eine C 1 -Kurve heitt glatt, wenn C1′ (t) C ′ (t) = ... 6= ~0 ∀t ∈ [a, b] ′ Cm (t) 10 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 11.2 Kurven und Bogenlängen r · cos(2πt) Beispiel: Die Kurve ~c(t) = r · sin(2πt) t ∈ R stellt eine Schraubenlinie mit ht −2πr · cos(2πt) Radius r und Ganghöhe h dar. Mit ~c′ (t) = 2πr · sin(2πt) liegt eine C 1 -Kurve h vor, die zudem glatt ist. rt − a · sin(t) Die Kurve c(t) = beschreibt eine Zykloide. Wegen r − a · cos(t) r − a · cos(t) ′ c (t) = ist C eine C 1 -Kurve, die für r = a an den Stellen a cos(t) t = 2πk, k ∈ R nicht glatt ist. Der Graph einer Funktion : [a, b] → R, lässt sich stets durch die Kurve f t . Zur Bestimmung der Bogenlänge einer Kurve C : [a, b] → R2 c(t) = f (t) x1 .. m C : [a, b] → R benötigen wir die Länge von Vektoren ~x = . ∈ Rm xm p ||.||2 : Rm → R ⇒ ~x → ||x||2 = x1 2 + x2 2 + ... + xm 2 (euklidische Norm) Wir approximieren die Bogenlänge durch die Länge von Polygonzügen (Geraden zwischen verschiedenen Punkten auf der Kurve). Für die zu de Teilungspunkten a = t0 < t1 ...tn = b gehörende Zerlegung z = {[t0 , t1 ], [t1 , t2 ], ..., [tn−1 , tn ]} berechnen wir n−1 X c(ti+1 ) − c(ti ) Lc (z) = i=0 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 2 11 11.2 Kurven und Bogenlängen Definition: Sei Mz [a, b] die Menge aller Zerlegungen (∗) des Intervalls [a, b]. Ist c : [a, b] → Rm eine Kurve und {Lc (z) : z ∈ Mz [a, b]} nach oben beschränkt, dann heißt c rektifizierbar. L(c) = sup Lc (z) = lim Lc (z) |z|→0 z∈Mz [a,b] heißt Länge der Kurve. Satz 11.1: Jede C 1 -Kurve c : [a, b] → Rm ist rektifizierbar und für die Länge der Kurve gilt ˆ b ′ L(C) = c (t) dt a 2 Beweis: Für Z = {[t0 , t1 ], [t1 , t2 ], ..., [tn−1 , tn ]} erhalten wir v 2 n−1 uX n−1 X X u m ~ i+1 )−C(t ~ i ) = C(t t LC (Z) = Cj (ti+1 ) − Cj (ti ) 2 i=0 i=0 j=1 Mittelwertsatz: Cj′ (τj,i )(ti+1 − ti ) C1 (t) c(t) = ... CM (t) v 2 n−1 uX X u m ′ t = Cj (τj,i) · ti+1 − ti i=0 j=1 Wir vergleichen LC (Z) nun mit der Riemannschen Summe für das Integral der Behauptung v 2 n−1 uX n−1 X X ′ u m ′ C (ti ) (ti+1 − ti ) = t Cj (ti ) · ti+1 − ti RC (Z) = 2 i=0 da i=0 j=1 ˆ b ′ C (t) dt = lim RC (Z) a 2 |z|→0 Die Differenz dieser Ausdrücke lässt sich abschätzen. Dazu benutzen wir die gleichmäßige Stetigkeit der Funktionen Cj′ [a, b] → R (stetige Funktionen auf abgeschlossenem Intervall sind gleichmäßig stetig), d.h. zu jedem ε > 0 : ∃δj > 0, so 12 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 11.2 Kurven und Bogenlängen dass Cj′ (t̃) − Cj′ (t) < ε für alle t, t̃ ∈ [a, b] mit |t − t̃| < δj . Für gegebenes ε > 0 gilt somit für |z| < ... v v n−1 u m 2 uX 2 m X uX u t 0 ≤ LC (Z) − RC (Z) = Cj′ (τj,i ) − t Cj (ti ) · ti+1 − ti i=0 j=1 j=1 v 2 n−1 uX X u m ′ u · ti+1 − ti Cj (τj,i) − Cj (ti ) ≤ t {z } | i=0 ≤ n−1 √ X i=0 j=1 ε da |τj,i −ti |<δj mε2 (ti+1 − ti ) = √ mε(b − a) → 0 für ε → 0 ˆ b ′ ⇒ lim LC (Z) = lim RC (Z) = C (t) dt |z|→0 |z|→0 a Beispiel: C : [0, 2π] → R 2 ~ C(t) = 2 Es gilt L(C) = ˆ 2π 0 ˆ ′ C (t) dt = 2π 0 2 cos(t) sin(t) beschreibt den Einheitskreis. ˆ 2π p ˆ 2π − sin(t) 2 2 sin t + cos t dt = dt = 2π cos(t) dt = 0 0 2 Analog lässt sich der Einheitskreis durch C : [0, √ cos(t2 ) 2π] → R , C(t) = sin(t2 ) 2 beschreiben. Es gilt L(C) = ˆ √ √2π ˆ 2π q −2t sin(t2 ) 2 (sin2 (t2 ) + cos2 (t2 )) dt = t2 4t dt = = 2π 2t cos(t2 ) 0 2 0 2π 0 Für einen Zykloidenbogen mit a = r > 0 C[0, 2π] → R c(t) = L(c) = ˆ 0 2π r(t − sin(t)) r(1 − cos(t)) ˆ 2π q r(1 − cos(t)) dt = r (1 − cos(t))2 + sin2 (t) dt r sin(t) 0 2 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 gilt 13 11.3 Differentialgleichungen = √ 2r ˆ 0 2π p 1 − cos(t) dt = √ 2r ˆ 2π 0 √ 2π t t 2 sin dt = −2r2 cos = −4r(cos(π)−cos(0)) = 8r 2 2 0 Für die Kurvenlänge eines Funktionsgraphen zu f : [a, b] → R erhalten wir ˆ bp t mit c(t) = stets L(C) = 1 + (f ′ (t))2 dt f (t) a 11.3 Differentialgleichungen Differentialgleichungen sind Gleichungen zwischen einer gesuchten Funktion und deren Ableitung(en). Viele physikalische und technische Probleme lassen sich in Form von Differentialgleichungen formulieren. Beispiel 1: Ein Körper habe die Temperatur T (t) zur Zeit t. Zur Zeit t = 0 habe er die Temperatur T0 > 0. Er befindet sich in einer Umgebung von 0◦ C. Nach dem Newtonschen Abkühlungsgesetz ist die Abkühungsgeschwindigkeit proportional der Temperatur des Körpers, d.h. dT (t) = T ′ (t) = −kT (t) dt k > 0, T (0) = T0 Beispiel 2: N(t) Anzahl der Atome eines radioaktiven Elements zur Zeit t ∆N(t) = N(t + ∆T ) − N(t) ≈ −λN(t)∆t dN(t) = N ′ (t) = −λN(t) dt Definition: Sei D ⊂ R2 offen und f : D ⊂ R2 → R stetig. Die Gleichung y ′(x) = f (x, y(x)) wird gewöhnliche Differentialgleichung erster Ordnung genannt. Eine Lösung ist eine auf einen Intervall I differenzierbare Funktion y = y(x) deren Graph in D liegt und welche die Gleichung für alle x ∈ I erfüllt. kurz: y ′ = f (x, y). 14 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 11.3 Differentialgleichungen Beispiel: (Trennung der Variablen) ges.: y = y(x) welche die Gleichung y ′ = x(y(x))2 erfüllt, hier: f (x, y) = xy 2 Trennung der Variablen: für y 6= 0 dividiert man die DGL durch y 2 ⇒ y12 y ′ = x. Die linke Seite ist von der Form g(y)y ′ undˆ nach der Kettenregel gerade die Ableitung der Stammfunktion von g G(y) = g(y) dy nach x. Denn d dy d G(y) = G(y) = g(y) · y ′ dx dy dx Im Beispiel haben wir g(y) = y −2 und G(y) = −y −1 . Somit gilt d 1 1 − = 2 y′ = x dx y y Integration dieser Gleichung nach x ergibt 1 x2 − = +C y 2 wobei C eine beliebige Integrationskonstante ist. ⇒y= 1 2 = k − x2 − 2 −C x2 mit der Konstanten k = −2C. Merkregel: 1 ′ y =x y2 1 dy =x y 2 dx 1 ′ dy = x dx y2 ˆ ˆ 1 dy = x dx y2 Die Funktion y = 0 ist ebenso eine Lösung der DGL. Man erhält sie formal mit K = ∞. Wir haben also eine ganze Schar von Lösungen gefunden. Durch Angabe einer zusätzlichen Bedingung z.B. y(0) = 1 erhält man die eindeutige Lösung y(x) = 2 2 − x2 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 15 11.3 Differentialgleichungen Definition: Die DGL y ′(x) = f (x, y(x)) zusammen mit der zusätzlichen Bedingung y(x0 ) = y0 heißt Anfangswertproblem (Anfangswertaufgabe). Die Lösung einer Anfangswertaufgabe ist eine (stetig) differenzierbare Funktion y(x) welche die DGL erfüllt und der Anfangsbedingung genügt. Geometrische Deutung einer DGL: Mit einer DGL erster Ordnung y ′ = f (x, y) (x, y) ∈ R2 sucht man eine differenzierbare Funktion y = y(x) deren Graphen in D verläuft und deren Tangentenanstieg y ′ (x) in jedem Punkt (x, y(x)) gerade f (x, y(x)) ist. Durch Einzeichnen von kurzen Pfeilen mit Steigung f (x, y) in den Punkten (x, y) ∈ D erhält man das Richtungsfeld der DGL. Beispiel: Richtungsfeld der DGL y ′ = − 2xy + 2y x2 Lineare DGL erster Ordnung Seien a(x) und g(x) auf einem Intervall gegebene Funktionen. Dann nennt man y ′ (x) + a(x)y(x) = g(x) bzw. y ′ + a(x)y = g(x) eine lineare DGL erster Ordnung. Die Funktion a heißt Koeffizient, die rechte Seite nennt man Inhomogenität. Die DGL heißt homogen, falls g = 0 gilt, sonst inhomogen. Satz 11.2: (Superpositionsprinzip) Falls y und z Lösungen einer linearen DGL mit möglicherweise verschiedenen Inhomogenitäten sind y ′ (x) + a(x)y(x) = g(x) z ′ (x) + a(x)z(x) = h(x) dann löst die Linearkombination w(x) = αy(x) + βz(x) α, β ∈ R die lineare DGL. w ′ (x) + a(x)w(x) = α · g(x) + β · z(x) Satz 11.3: Die allgemeine Lösung der homogenen DGL y ′ + a(x)y = 0 lautet yh (x) = Ke−A(x) mit K ∈ R und einer beliebigen Stammfunktion A(x) von a(x). 16 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 11.3 Differentialgleichungen Beispiel: (Bevölkerungsmodell) Sei x(t) die Größe einer Population zum Zeitpunkt t, modelliert durch x′ (t) = ax(t). Wird eine konstante positive Wachstumsrate a > 0 vorausgesetzt, so wächst die Population exponentiell an: x(t) = x0 eat lim |x(t)| = ∞ t→∞ Berücksichtigt man beschränkte Resourcen, so lautet ein Modell x′ (t) = (α − βx(t))x(t) mit α, β > 0 dx = (α − βx)x ˆ ˆ ˆdt α dx dx = dt = liefert x(t) = 2 (α − βx)x αx − βx β + Cαe−αt Variation der Konstanten: Wir suchen eine Lösung der inhomogenen Gleichung y ′ + a(x)y = g(x). Wir kennen bereits die allgemeine Lösung der homogenen Gleichung yh (x) = Ce−A(x) mit A(x) = ˆ (C ∈ R) x a(ξ)dξ x0 Wir setzen eine partikuläre (spezielle) Lösung der inhomogenen Aufgabe in der Form yp (x) = C(x)yn (x) = C(x)e−A(x) an, wobei wir die Konstante C = C(x) als Funktion von x auffassen. Diesen Ansatz in die inhomogene Gleichung eingesetzt ergibt yp′ (x) + a(x)yp (x) = C ′ (x)yh (x) + C(x)yh′ (x) + a(x)yp (x) = C ′ (x)yh (x) = g(x) ⇒ C ′ (x) = eA(x) g(x) ˆ x ⇒ C(x) = eA(ξ) g(ξ)dξ x0 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 17 11.3 Differentialgleichungen Satz 11.4: Die allgemeine Lösung der Differentialgleichung y ′ + a(x)y = g(x) lautet ˆ x A(ξ) −A(x) e g(ξ)dξ + K (K ∈ R) y(x) = e x0 und A(x) = ˆ x a(ξ)dξ x0 Beweis: Die im Satz angegebene Funktion ist nach Konstruktion eine Lösung der DGL. Sei umgekehrt z(x) eine weitere Lösung. Dann ist nach dem Superpositionsprinzip die Differenz z(x) − y(x) eine Lösung der homogenen Gleichung, also z(x) = y(x) + Ce−A(x) und damit hat z(x) die im Satz angegebene Form. Bewerkung: Die allgemeine Lösung der linearen DGL hat die Form y(x) = yp (x) + yh (x) = yp (x) + Ke−A(x) (K ∈ R) Beispiel: y ′ + 2y = e4x + 1 homogene Gleichung: y ′ + 2y = 0 ˆ ˆ dy = − 2dx y dy = −2y dx ln y = −2x + C y = Ce−2x (C ∈ R) Eine partikuläre Lösung finden wir mit der Variation der Konstanten. ˆ x 1 2 1 1 1 C(x) e+2ξ (e4ξ + 1)dξ = e6x + e2x − = Ke−2x + e4x + 6 2 3 6 2 0 Lineare DGL 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten y ′′ + py ′ + qy = f (x) (p, q ∈ R) Anfangswertproblem: y ′′ + py ′ + qy = f (x) 18 y(x0 ) = y0 , y ′(x0 ) = y0′ y0 , y0′ ∈ R Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 11.3 Differentialgleichungen Satz 11.5: (Superpositionsprinzip) Sind y und z Lösungen von y ′′ + py ′ + qy = f (x) z ′′ + pz ′ + qz = h(x) dann löst die Linearkombination w(x) = αy(x) + βz(x) α, β ∈ R die lineare DGL. w ′′ + pw ′ + qw = αf (x) + βh(x) Beweis: analog zu Satz 11.2 Folgerung: Die allgemeine Lösung einer inhomogenen DGL 2. Ordnung hat die Form y(x) = yh (x) + yp (x) wobei yh (x) die allgemein Lösung der homogenen DGL y ′′ + py ′ + qy = 0 und yp (x) eine partikuläre (spezielle) Lösung von y ′′ + py ′ + qy = f (x) ist. Aufgabe: 1. Bestimmen der allgemeinen Lösung von y ′′ + py ′ + qy = 0 2. Bestimmen einer speziellen Lösung von y ′′ + py ′ + qy = f (x) Beispiel: (Mechanische Schwingung) x(t) Auslenkung der Masse m zur Zeit t aus der Ruhelage x = 0 x′ (t) Geschwindigkeit x′′ (t) Beschleunigung F (t) äußere Kraft −kx(t) Federkraft (k > 0) −αx′ (t) Reibungskraft Nach Newton gilt mx′′ (t) = F (t) − αx′ (t) − kx(t). Anfangslage: x(t0 ) = x0 Anfangsgeschwindigkeit: x′ (t0 ) = x′0 zu 1. homogene lineare DGL 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten: Allgemeine Lösung yh (x) von x′′ (x) + py ′(x) + qy(x) = 0 gesucht. Dabei ist yh (x) = C1 y1 (x) + C2 y2 (x) und y1 (x), y2 (x) sind verschiedene Lösungen. Bemerkung: Die DGL y ′ + py = 0 (p ∈ R) hat die Lösung y(x) = ce−px Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 19 11.3 Differentialgleichungen e-Ansatz: y(x) = eλx (λ unbekannt) y ′(x) = λeλx y ′′ (x) = λ2 eλx eingesetzt: λ2 + pλeλx + qeλ = 0 1. Fall: p2 − 4q > 0 | : eλx λ2 + pλ + q = 0 p 2 p2 λ+ −q = 2 4 p 1p 2 p − 4q ⇒ λ1,2 = − ± 2 2 ⇒ 2 verschiedene reelle Wurzeln: y(x) = C1 eλ1 x + C2 eλ2 x p (reelle Doppelwurzel) 2 eine Lösung. Beweis durch einsetzen in (∗). 2. Fall: p2 − 4q = 0 ⇒ λ1,2 = − Mit eλ1 x ist auch xeλ1 x p 1p 3. Fall: p2 − 4q < 0 ⇒ λ1,2 = − ±i 4q − p2 2 2 |{z} | {z } ν µ e(v + iµ)x = eνx eiµx = eνx cos(µx) + ieνx sin(µx) Einsetzen in die DGL zeigt, dass Real- und Imaginärteil reelle Lösungen sind: y(x) = C1 eνx cos(µx) + C2 eνx sin(µx) 20 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 11.3 Differentialgleichungen Inhomogene lineare DGL mit konstanten Koeffizienten ges.: spezielle Lösung yp (x) von y ′′ + py ′ + qy = f (x) (f (x) 6= 0, p, q ∈ R)(∗∗) Methoden: 1. Variation der Konstanten (Gültigkeit für beliebige f (x)) 2. Ansatzmethode (für spezielle f (x)) 1. Methode: Ansatz für yp (x): y(x) = C1 (x)y1 (x) + C2 (x)y2 (x) ⇒ y ′ (x) = C1′ (x)y1 + C2′ (x)y2 (x) + (C1 (x)y1′ (x) + C2 (x)y2′ (x)) y ′′ (x) = (C1′ (x)y1 (x)+C2′ (x)y2 (x))′ +C1′ (x)y1′ (x)+C2 (x)′ y2′ (x)+C1 (x)y1′′ (x)+C2 (x)y2′′ (x) Wir fordern C1′ (x)y1 (x) + C2′ (x)y2 (x) = 0 Einsetzen in die DGL (∗∗) liefert C1′ (x)y1′ (x)+C2′ (x)y2′ (x)+C1 (x) y1′′ (x) + py1′ (x) + qy1 (x)+C2 (x) y2′′ (x) + py2′ (x) + qy2 (x) = f (x) | {z } {z } | =0 =0 ⇒ C1′ (x)y1′ (x) + C2′ (x)y2′ (x) = f (x) Wir bestimmen C1′ (x) und C2′ (x) aus dem linearen Gleichungssystem C1′ (x)y1 (x) + C2′ (x)y2 (x) = 0 C1′ (x)y2′ (x) + C2′ (x)y2′ (x) = f (x) ′ y1 (x) y2 (x) C1 (x) 0 ⇒ = y1′ (x) y2′ (x) C2′ (x) f (x) Dabei gilt für die Determinante der Koeffizientenmatrix w(x) = y1 (x)y2′ (x) − y1′ (x)y2 (x) 6= 0 ∀x ∈ R Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 21 11.3 Differentialgleichungen Nach der Cramerschen Regel gilt: C1′ (x) = −y2 (x)f (x) w(x) C2′ (x) = −y1 (x)f (x) w(x) ⇒ C1 (x) und C2 (x) durch (unbestimmte) Integration bestimmen yp (x) = C1 (x)y1 (x) + C2 (x)y2 (x) allgemeine Lösung von (∗∗): y(x) = yh (x) + yp (x) = C1 y1 (x) + C2 y2 (x) + C1 (x)y1 (x) + C2 (x)y2 (x) Beispiel: y ′′ + y = 1 homogene Aufgabe: y ′′ + y = 0 e-Ansatz: y(x) = eλx (λ ∈ R) ⇒ λ1,2 = ±i ⇒ λ2 + 1 = 0 (charakteristische Gleichung) eix = cos x + i sin x ⇒ yh (x) = C1 cos(x) + C2 sin(x) inhomogene Aufgabe: y ′′ + y = 1 Variation der Konstanten: y(x) = C1 (x) cos(x) + C2 (x) sin(x) C1′ (x)cos(x) + C2′ (x)sin(x) = 0 C1′ (x)(−sin(x)) + C2′ (x)cos(x) = 1 w(x) = cos2 (x) + sin2 (x) = 1 C1′ (x) = − sin(x) ⇒ C1 (x) = cos(x) + C1 C2′ (x) = cos(x) ⇒ C2 (x) = cos(x) + C2 yp (x) cos(x) cos(x) + sin(x) sin(x) = 1 y(x)C1 cos(x) + C2 sin(x) + 1 22 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 12. Folgen und Reihen von Funktionen 12 Folgen und Reihen von Funktionen Komplizierte Funktionen werden häufig durch die Partialsummen ihrer Potenzreihe ∞ X n=0 an (x − x0 )n oder ihrer Fourier-Reihe ∞ a0 X an cos(nx) + bn sin(nx) + 2 n=1 nährerungsweise dargestellt. Hierbei handelt es sich um Reihen von Funktionen, wobei gilt • die Partialsumme einer Potenzreihe ist ein Polynom • die Partialsumme einer Fourier-Reihe ist eine Summe aus Sinus- und Cosinusfunktionen verschiedener Frequenzen Wir kennen bereits die Potenzreihe der Exponentialfunktion x e = ∞ X xn n=0 n! = 1+x+ x2 x3 + + ... 2 6 Frage: Wann stellt eine Potenzreihe eine Funktion dar? Beispiel: ∞ X xn |{z} n=0 =bn (x) Mit dem Quotientenkriterium erhalten wir bn+1 (x) = |x| lim n→∞ bn (x) Für |x| > 1 ist die Reihe divergent. Für |x| < 1 ist die Reihe konvergent und stellt somit eine Funktion in (−1, 1) dar. Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 23 12.1 Funktionsfolgen 12.1 Funktionsfolgen Definition: Sei fn : D ⊂ R → R für jedes n ∈ N eine Funktion mit Definitionsbereich D, dann heißt {fn }n∈N eine Funktionsfolge. Man nennt eine Funktionenfolge {fn }n∈N auf D punktweise konvergent, wenn für jedes x ∈ D die Zahlenfolge {fn (x)} konvergiert. Die Grenzfunktion f : D → R ist dabei durch f (x) := lim fn (x) für jedes x ∈ D definiert. Als direkte Folgerung n→∞ der Konvergenz von Zahlenfolgen erhalten wir. Die Funktionenfolge {fn } konvergiert genau dann punktweise gegen eine Grenzfunktion f auf D, wenn zu jedem ε > 0 und jedem x ∈ D ein n0 = n0 (ε, x) ∈ N existiert, so dass |fn (x) − f (x)| < ε ∀n ≥ n0 (ε, x) Frage: Übertragen sich Eigenschaften wie Stetigkeit, Differenzierbarkeit und Integrierbarkeit von einer punktweise konvergenten Funktionenfolge {fn } auf die Grenzfunktion f ? 1 Beispiel: Die Funktionenfolge {fn } mit fn : R → R fn (x) = konvergiert 1 + x2n wegen 1 |x| < 1 2n lim 1 + x = 2 |x| = 1 n→∞ ∞ |x| > 1 gegen die Grenzfunktion f (x) = 1 1 2 0 |x| < 1 |x| = 1 |x| > 1 Obwohl alle Glieder der Funktionenfolge {fn } stetig und differenzierbar sind, stewllt die Grenzfunktion eine unstetige und folglich auch nicht differenzierbare Funktion dar. DIe Funktionenfolge {fn } mit fn : [0, 1] → R punktweise gegen die Grenzfunktion ( 0 x ∈ [0, 1) f (x) = 1 x=1 fn (x) = xn konvergiert denn wegen |fn (x) − f (x)| = |fn (x)| = xn 24 ∀x ∈ [0, 1) Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 12.1 Funktionsfolgen und fn (1) = 1. Betrachten wir für x ∈ (0, 1) und gegebenes 0 < ε < 1 xn = n = ε ⇔ ln(ε) ln(x) d.h. sei x ∈ (0, 1), so gilt it n0 ∈ N = n0 (ε, x) > ln(ε) ln(x) die Abschätzung ln ε 0 ≤ |fn (x) − f (x)| = xn ≤ xn0 < x ln x = ε ∀n ≥ n0 = n0 (ε, x) Wir sehen, dass n0 stets von ε und x abhängen, d.h. es existiert kein n0 = n0 (ε) so dass für alle x ∈ [0, 1] |fn (x) − f (x)| < ε ∀n ≥ n0 ≥ n0 (ε) gilt. 2 Die Funktionenfolge {fn } mit fn : [0, 1] → R fn (x) = 2nxe−nx liefert fn (0) = 0 und für jedes feste x ∈ (0, 1] gilt lim n→∞ 2nx 2x =0 2 = lim nx 2 n→∞ e x enx2 folgt die punktweise Konvergenz gegen die Grenzfunktion f (x) = 0 ∀x ∈ [0, 1] ˆ 1 lim fn (x) dx = 0 n→∞ ˆ 1 f (x) dx = 0 0 und lim n→∞ ˆ 0 1 fn (x) dx = lim n→∞ ˆ 0 1 −nx2 2nxe −nx2 dx = lim −e n→∞ 1 = lim (−e−n + 1) = 1 n→∞ 0 Folglich erhalten wir zwar eine integrierbare Grenzfunktion deren Integral vom Grenzwert der Integrale der Funktionenfolge verschieden ist. Der Begriff der punktweisen Konvergenz ist für viele mathematische Operation (Grenzwertvertauschung) zu schwach. Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 25 12.1 Funktionsfolgen Definition: Für eine beschränkte Funktion f : D ⊂ R → R bezeichnet ||f ||∞ := sup f (x) die Supremumnorm. Sind f, g : D ⊂ R → R beschränkt, dann x∈D heißt ||f − g||∞ = sup |f (x) − g(x)| der Abstand von f und g. x∈D Definition: Die Funktionenfolge {fn } heißt gleichmäßig konvergent gegen die Grenzfunktion f auf D, wenn zu jedem ε > 0 ein n0 = n0 (ε) ∈ N existiert, so dass |fn (x) − f (x)| < ε ∀n > n0 (ε) und alle x ∈ D ⇔ ||fn − f ||∞ < ε ∀n > n0 (ε). Graphisch erhalten wir einen ε-Schlauch um f . Gleichmäßie Konvergenz einer Funktionenfolge {fn } gegen eine Grenzfunktion f bedeutet, dass die Abstände ||fn − f ||∞ zwischen fn und f gegen 0 streben. Beispiel: Wir betrachten fn [0, 21 ] → R ; fn (x) = xn . Wir erhalten wiederum die punktweise Konvergenz gegen die Nullfunktion f (x) = 0 ∀x ∈ [0, 21 ]. Es gilt ||fn − f ||∞ = ||fn ||∞ = fn ( 21 ) = 21n . Für ε > 0 erhalten wir folglich mit n0 = n0 (ε) ≥ ln(ε) ln 21 sofort ||fn − f ||∞ ≤ ε ∀n ≥ n0 (ε) d.h. die gleichmäßige Konvergenz. Satz 12.1: (Cauchysches Konvergenzkriterium) Eine Funktionenfolge {fn } auf D ist genau dann gleichmäßig konvergent, wenn zu jedem ε > 0 ein n0 = n0 (ε) ∈ N existiert, so dass ||fn − fm || < ε ∀n, m ≥ n0 > n0 (ε) gilt. Beweis: ⇒ Sei {fn } gleichmäßig konvergent auf D gegen f . Sei ε > 0, dann ∃n0 = n0 (ε), so dass ||fn − f ||∞ ≤ ε 2 ⇒ ||fn − fm ||∞ = ||fn − f || + ||f − fm || ≤ ε ∀m, n > n0 | {z } | {z } ≤ 2ε ≤ 2ε ⇐ Erfüllt {fn } die Bedingung (∗), dann erfüllt fn (x) für jedes x ∈ D das CauchyKonvergenzkriterium für Zahlenfolgen. ⇒ fn (x) konvergiert und der Grenzwert sei 26 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 12.1 Funktionsfolgen mit f (x) bezeichnet. Auf diese Weise ist f : D → R definiert. Zu gegebenem ε > 0 wählen wir nun n0 = n0 (ε), so dass (∗) erfüllt ist. Dann erhalten wir für beliebiges aber festes x ∈ D |fn (x) − f (x)| ≤ |fn (x) − fm (x)| +|fm (x) − f (x)| | {z } <ε für n, m ≥ n0 = n0 (ε). Für m → ∞ ergibt sich wegen lim |fm (x) − f (x)| = 0 n→∞ die Aussage fn (x) − f (x)| < ε ∀n ≥ n0 (ε) n+1 x. n Sei x ∈ [0, 1] fest, so gilt x = x = f (x) lim fn (x) = lim x + n→∞ n→∞ n x 1 Es gilt ||fn − f ||∞ ) = sup = . Für ε > 0 wählen wir n0 = n0 (ε) > n x∈[0,1] n folgt 1 ||fn − f ||∞ = ≤ ε ∀n ≥ n0 = n0 (ε) n ⇒ fn → f gleichmäßig auf [0, 1]. Beispiel: f : [0, 1] → R, fn (x) = 1 ε dann Satz 12:2 Jede gleichmäßig konvergente Folge stetiger Funktionen {fn }n∈D auf D hat eine stetige Grenzfunktion. Beweis: Seien x, x0 ∈ D, dann erhalten wir |f (x) − f (x0 )| ≤ |f (x) − fn (x)| + |fn (x) − fn (x0 )| + |fn (x0 ) − f (x0 )| Da {fn }n∈D gleichmäßig gegen f strebt, gibt es ein fn mit |f (x) − fn (x)| ≤ ε 3 ∀x ∈ D Da fn stetig ist, existiert zu x0 ∈ D ein δ > 0 mit |fn (x) − fn (x0 )| < ε 3 ∀x ∈ D mit |x − x0 | < δ Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 27 12.1 Funktionsfolgen ε ε ε ⇒ |f (x) − f (x0 )| ≤ + + = ε falls |x − x0 | < δ 3 3 3 ⇒ f ist stetig Bemerkung: Der Satz besagt: Für jede gleichmäßig konvergente Folge {fn }n∈N stetiger Funktionen gilt auf D mit x0 := lim xk in D k→∞ lim fn ( lim xk ) = lim ( lim fn (xk )) n→∞ k→∞ k→∞ n→∞ Satz 12.3: Sind fn , fn′ : [a, b] → R gleichmäßig konvergent mit f = lim und n→∞ g = lim fn′ , dann gilt f ′ = g. n→∞ Bemerkung: kurz sagt 12.3 d d fn (x) = lim fn (x) dx dx n→∞ lim n→∞ Satz 12.4: Sei {fn } eine gleichmäßig konvergente Folge integrierbarer Funktionen auf [a, b], dann ist die Grenzfunktion f = lim fn n→∞ integrierbar auf [a, b] und es gilt lim n→n 28 ˆ a b fn (x) dx = ˆ b f (x) dx a Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 12.2 Konvergenz von Funktionenreihen 12.2 Konvergenz von Funktionenreihen Definition: Sei {fn }n∈N eine Funktionfolge mit Definitionsbereich D ⊆ R, dann heißt die Folge {sn }n∈N der Partialsummen n X sn (x) = = 0, 1, 2, ..., x ∈ D fk (x) k=0 eine Funktionenreihe, die symbolisch durch ∞ X fk oder ∞ X k=0 k=0 fk (x) mit x ∈ D beschrieben wird. • Die Funktionenreihe ∞ X fk heißt auf D punktweise konvergent, wenn für alle k=0 ∞ X x ∈ D die Zahlenreihe fk (x) konvergiert. k=0 Ist die Reihe punktweise konvergent auf D, dann heißt die durch s(x) = ∞ X k=0 fk (x) x ∈ D gegebene Grenzfunktion s : D → R Summe der Funktionenreihe. • Die Funktionenreihe ∞ X fk heißt auf D gleichmäßig konvergent, wenn die k=0 Folge ihrer Partialsummen auf D gleichmäßig konvergent ist. Bemerkung: • Punktweise Konvergenz auf D heißt somit: zu jedem ε > 0 und x ∈ D existiert ein n0 = n0 (ε, x) ∈ N derart, dass |s(x) − n X k=0 fk (x)| ≤ ε ∀n ≥ n0 = n0 (ε, x) gilt. Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 29 12.2 Konvergenz von Funktionenreihen • Gleichmäßige Konvergenz auf D heißt somit: zu jedem ε > 0 existiert ein n0 = n0 (ε) ∈ N derart, dass ∞ X s − ≤ ε ∀n ≥ n0 = n0 (ε) f k k=0 ∞ Beispiel: 1. Die Funktionenreihe ∞ X fk (x) mit fk (x) = xk ist gleichmäßig konvergent auf k=0 D = [0, a] mit 0 ≤ a < 1. Für jedes x ∈ D gilt n X xk = k=0 1 − xn+1 1 n → ∞ := s(x) 1 − x −−−−→ 1 − x Weiterhin gilt n n+1 1 X xn+1 1 − x an+1 s− = max − = → 0 für n → ∞ = sup f k x∈[0,a] 1 − x 1 − x 1 − a x∈D 1 − x ∞ k=0 Für ε > 0 existiert somit ein n0 = n0 (ε) ∈ N derart, dass n X an+1 s − = f ≤ ε ∀n ≥ n0 = n0 (ε) k 1 − a D k=0 gilt. Die Stetigkeit der Glieder der Funktionenfolge {fk } überträgt sich auf die Summe s : D → R. 2. Sei fk : [−1, 1] → R, fk (x) = x ∈ [−1, 1] sn (x) = n X fk (x) = x2 k=0 n X k=0 2 n −−→ −−∞ → 1+x x2 , k = 0, 1, 2 dann erhalten wir für (1 + x2 )k n+1 2 1 1 − 1 1 2 1+x 2 2 = (1+x )− =x 1 (1 + x2 )k 1 + x2 1 − 1+x 2 Somit liegt punktweise Konvergenz gegen s : [−1, 1] → R ( 1 + x2 x ∈ [−1, 1]\{0} s(x) 0 x=0 30 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 12.2 Konvergenz von Funktionenreihen Wir erhalten s(x) − sn (x) = ( 0 n 1 1+x2 x ∈ [−1, 1]\{0} x=0 Für x ∈ [−1, 1]\{0} folgt für 1 > ε > 0 s(x) − sn (x) ≤ ε (1 + x2 )−n ≤ ε n≥ − ln(ε) x→0 ∞ ln(1 + x2 ) −−−→ ⇒ die Konvergenz kann nicht gleichmäßig sein. Die Stetigkeit der Glieder der Funktionenfolge {fk }k∈N überträgt sich hierbei nicht auf die Summe s. Satz 12.5: (Cauchysches Konvergenzkriterium) ∞ X Eine Reihe fk von Funktionen auf D konvergiert genau dann gleichmäßig, wenn k=0 zu jeden ε > 0 ein n0 = n0 (ε) ∈ N derart existiert, dass m X fk ≤ ε ∀n, m ≥ n0 (ε) k=n+1 ∞ Beweis: Anwendung des Satzes 12.1 auf die Folge der Partialsummen. Definition: Eine Reihe ∞ X k=0 fk beschränkter Funktionen auf D ⊂ R heißt gleichmäßig absolut konvergent, wenn ∞ X k=0 ||fk ||∞ konvergiert. Bemerkung: Jede gleichmäßig absolut konvergente Funktionenreihe ist wegen m m X X ||fk ||∞ fk ≤ k=n+1 ∞ k=n+1 auch gleichmäßig konvergent. Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 31 12.2 Konvergenz von Funktionenreihen Satz 12.6: (Majorantenkriterium) Gelten für die Glieder der Funktionenreihe ∞ X fk die Ungleichungen n=0 ||fk ||∞ ≤ αk und die Zahlenreihe ∞ X k = 0, 1, 2, ... (∗) αk konvergiert, so konvergiert die Funktionenreihe k=0 gleichmäßig absolut. Die Reihe heißt Majorante von ∞ X fk . k=0 Beweis: Sei ∞ X k=0 αk konvergent ⇒ zu beliebigem ε > 0 ∃n0 = n0 (ε) so dass ∞ X k=n+1 αk ≤ ε ∀n ≥ n0 = n0 (ε) Mit (∗) folgt 0≤ Beispiel: Für fk = ∞ X k=n+1 ||fk ||∞ ≤ ∞ X k=n+1 αk ≤ ε ∀n ≥ n0 = n0 (ε) 1 sin(kx) gilt auf R k2 ∞ X k=1 ||fk ||∞ ∞ X 1 ≤ k2 k=1 so dass die Funktionenreihe gleichmäßig absolut auf R konvergiert, wegen der ∞ X 1 Majorante . k2 k=1 Frage: • Wann überträgt sich die Stetigkeit der Glieder der Funktionenfolge auf die Reihe? • Wann kann gliederweise differenziert bzw. integriert werden? 32 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 12.2 Konvergenz von Funktionenreihen Satz 12.7: Sind die Glieder einer gleichmäßig konvergenten Reihe [a, b], so ist die Summe ∞ X ∞ X fk stetig auf k=0 fk stetig auf [a, b]. k=0 Satz 12.8: (Gliedweise Differentation) ∞ X Es sei fk eine Reihe differenzierbarer Funktionen auf [a, b]. Exisiert der Grenzk=0 wert P∞ k=0 fk (x) für wenigstens ein x ∈ [a, b] und ist die Ableitungsreihe gleichmäßig konvergent in [a, b], so ist auch die Funktionenreihe ∞ X ∞ X fk′ k=0 fk gleichmäßig k=0 konvergent in [a, b] und es gilt ∞ X fk k=0 d.h. d f ′ (x) = dx ∞ X fk (x) k=0 Satz 12.9: (Gliedweise Integration) Jede gleichmäßig konvergente Reihe !′ ! = ∞ X fk′ k=0 ∞ ∞ X X d = fk′ (x) fk (x) = dx k=0 k=0 ∞ X k=0 besitzt eine integrierbare Summenfunktion fk integrierbarer Funktionen auf [a, b] ∞ X fk auf [a, b] und es gilt k=0 ˆ bX ∞ a k=0 fk (x) dx = ∞ ˆ X k=0 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 b fk (x) dx a 33 12.3 Potenzreihen Beispiel: Die Reihe ∞ X k=0 xk ist gleichmäßig konvergent auf [0, a], 0 ≥ a < 1 mit 1 Summe s(x) = . Wir erhalten 1−x ˆ 0 ∞ aX k x dx = ∞ ˆ X k=0 a 0 k=0 und ˆ a 1 dx = − ln(1 − a) 1−x ∞ ∞ X X ak+1 ak x dx = = k + 1 k=1 k k=0 k 0 ⇒ ln(1 − a) = − ∞ X ak k=1 k für 0 ≤ a < 1 12.3 Potenzreihen Potenzreihen sind Reihen der Form ∞ X k=0 ak (x − x0 )k x, x0 ∈ R, ak ∈ R Ihre Partialsummen sind Polynome. sn (x) n X k=0 ak (x − x0 )k 12.3.1 Taylor-Reihen Ziel: Möglichst gute Approximation einer Funktion f : I → R, I ⊂ R, Interval in einer Umgebung eines Entwicklungspunktes x0 ∈ I durch ein Polynom. Idee: Setze ein Polynom n-ten Grades in der Form p(x) = n X k=0 ak (x − x0 )k an und bestimmte die (n + 1) Koeffizienten durch die (n + 1) Bedingungen, so dass p(i) (x0 ) = f (i) (x0 ) 34 i = 0, ...., n Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 12.3 Potenzreihen gilt, wobei p(i) die i-te Ableitung von p darstellt und p = p(0) gilt. Mit p′ (x) = n X ak k(x − x0 )k−1 k=1 (i) p (x) = n X k=i ak k(k − 1)...(k − i + 1)(x − x0 )k−i i = 1, ..., n erhalten wir für eine n-mal stetig differenzierbare Funktion f : I → R die Bedingungen p(0) (x0 ) = a0 = f (x0 ) p(1) (x0 ) = a1 = f ′ (x0 ) p(2) (x0 ) = 2a2 = f ′′ (x0 ) .. (i) .p (x0 ) = i!ai = f (i) (x0 ) Folglich gilt p(x) = n X f (k) (x0 ) k=0 k! (x − x0 )k Definition: Sei f : I → R eine n-mal stetig differenzierbare Funktion und x0 ∈ I dann heißt n X f (k) (x0 ) T (x, x0 ) = (x − x0 )k k! k=0 das Taylor-Polynom n-ten Grades zum Entwicklungspunkt x0 . Satz 12.10: Sei f : I → R eine (n + 1) mal stetig differenzierbare Funktion und Tn das n-te Taylor-Polynom zum Entwicklungspunkt x0 ∈ I, dann gelten für das Restglied Rn (x, x0 ) := f (x) − Tn (x, x0 ) mit x ∈ I die Darstellungen 1. Schlömilchs Restgliedformel f (n+1) (ξ) Rn (x, x0 ) = (x − x0 )p (x − ξ)n+1−p n!p mit p ∈ {1, 2, ..., n} und ξ = x0 + ϑ(x − x0 ) ϑ ∈ (0, 1) Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 35 12.3 Potenzreihen 2. Lagrange-Restglied f (n+1) (ξ) (x − x0 )n+1 (n + 1)! Rn (x, x0 ) = mit ξ = x0 + ϑ(x − x0 ) ϑ ∈ (0, 1) 3. Cauchysche Restglied Rn (x, x0 ) = f (n+1) (ξ) (x − x0 )(x − ξ)n n! mit ξ = x0 + ϑ(x − x0 ) ϑ ∈ (0, 1) 4. Integraldarstellung des Restglieds 1 Rn (x, x0 ) = n ˆ x x0 (x − t)n f (n+1) (t) dt Beispiel: 1. Sei f : R → R, f (x) = ex . Dann erhalten wir mit f (n) (x) = ex das TaylorPolynom n-nten Grades um den Entwicklungspunkt x0 = 0 als Tn (x, 0) = n X f (k) (0) k! k=0 = (x − 0)k n X xk k=0 k! Im Intervall [0, 1] ergibt sich damit für das Restglied nach f n+1 (ξ) n+1 x (n + 1)! ξ n+1 Rn (x, 0) ≤ max e ξ∈[0,1] (n + 1)! x Rn (x, 0) = Für n = 10 1 e e max Rn (x, 0) ≤ max x11 = ≤ 6, 8 · 10−8 x∈[0,1] x∈[0,1] 11! 11! 36 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 12.3 Potenzreihen 2. Sei f : R → R, f (x) = sin(x) dann gilt • • • • f (x) = sin(x) f ′ (x) = cos(x) f ′′ (x) = − sin(x) = −f (x) f (4) (x) = f (x) Mit Entwicklungspunkt x0 = 0 folgt wegen f (2k) (0) = (−1)k sin(0) = 0 f (2k+1) k = 0, ..., n k (0) = (−1) cos(0) = 1 k = 0, ..., n die Darstellung T2n+1 (x, 0) = 2n+1 X k=0 = f (k) (0) (x − 0)k k! n X (−1)k k=0 =x− k! x2k+1 x2n+1 x3 x5 x7 + − + ... + (−1)n 3! 5! 7! (2n + 1)! Definition: Sei f : I ⊂ R → R eine beliebig oft differenzierbare Funktion auf dem Intervall I, dann heißt ∞ X f (k) (x0 ) (x − x0 )k k! k=0 die zugehörige Taylor-Reihe um den Entwicklungspunkt x0 ∈ I. Die Taylor-Reihe muss dabei nicht für alle x ∈ I konvergent sein. Wenn sie konvergiert muss die Summe nicht notwendigerweise identisch mit f sein. Wir erhalten, dass die Taylor-Reihe um dem Entwicklungspunkt x0 genau dann gegen f konvergiert, wenn das Restglied Rn (x, x0 ) = f (x) − Tn (x, x0 ) für alle x ∈ I für n → ∞ gegen Null konvergiert. Dann schreibt man f (x) = ∞ X f (k) (x0 ) k=0 k! Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 (x − x0 )k 37 12.3 Potenzreihen 12.3.2 Konvergenz von Potenzreihen Satz 12.11: Zu jeder Potenzreihe ∞ X k=0 ak (x − x0 )k um dem Entwicklungspunkt x0 ∈ R existiert ein r ∈ R+ 0 ∪ {∞} mit den Eigenschaften • Die Potenzreihe konvergiert punktweise in (x0 − r, x0 + r) • Die Potenzreihe konvergiert gleichmäßig absolut in jedem kompakten Teilintervall [a, b] ⊂ (x0 − r, x0 + r) Dabei wird r als Konvergenzradius und (x0 − r, x0 + r) als Konvergenzintervall bezeichnet. Es gilt die Formel r = 1 limk→∞ p k |ak | • Außerhalb von [x0 − r, x0 + r] ist die Potenzreihe divergent. Bemerkung: Für x = x0 ± r können keine allgemeingültigen Aussagne gemacht werden. Hier muss die Konvergenz im Einzelfall geprüft werdne. Falls der Grenzwert p existiert, so gilt r = lim k |ak |. k→∞ Satz 12.12: (Quotientenkriterium) Für den Konvergenzradius der Potenzreihe des folgenden Grenzwertes die Darstellung ∞ X ak (x−x0 )k gilt im Falle der Existenz k=0 ak r = lim k→∞ ak+1 ∞ X k1 = 1 x0 = 0 k→∞ k + 1 k=1 Konvergenzintervall (−1, 1) Für x = 1 und x = −1 liegt Divergenz vor. Beispiel: 38 kxk r = lim Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 12.4 Fourier-Reihen 12.4 Fourier-Reihen Praxisrelevante Phänomene wie Blutkreislauf, Drehbewegungen von Motoren, mechanische und elektromagnetische Schwingungen stellen periodische Erscheinungen dar, die sich nacheiner bestimmten Zeit wiederholen. Zur Beschreibung derartiger Vorgänge erweisen sich periodische Funktionen als sinnvoll. Wdh.: Eine Funktion f : R → R heißt periodisch, wenn ein L ∈ R+ mit f (x) = f (x + L) ∀x ∈ R existiert. L heißt Periode von f . f wird dann als L-periodisch bezeichnet. x = ... in eine 2π-periodische Funktion f˜(t) := f (...) transformieren, denn es gilt L ˜ f(t + 2π) = f (t + 2π) · 2π L +L =f t· 2π L =f t· = f˜(t) 2π Ziel: Approximation komplexer periodischen Funktionen durch Überlagerung (Superposition) von Sinus- und Kosinusschwingung. Aufgabe: Sei f : R → R eine 2π-periodische Funktion. Ermittle die Koeffizienten∞ a0 X + an cos(nx) + bn sin(nx). folge {an }n∈N und {bn }n∈N derart, dass f (x) = 2 n=1 Definition: Eine Reihe der Form ∞ a0 X + an cos(nx) + bn sin(nx) heißt trigonome2 n=1 k a0 X trische Reihe. Ihre k-te Partialsmme sk (x) = + an cos(nx) + bn sin(nx) ist 2 n=0 ein trigonometrisches Polynom mit Periode 2π von höchstens k-ter Ordnung. Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 39 12.4 Fourier-Reihen Lemma 12.13: Es gelten die Eulerschen Orthogonalitätsbeziehungen für n, k ∈ N. ( ˆ π ˆ π 0 n 6= k 1. sin(nx) sin(kx) dx = cos(nx) cos(kx) dx = π n=k −π −π ˆ π 2. sin(nx) cos(kx) dx = 0 −π Beweis: Für n, k ∈ N, n 6= k erhalten wir ˆ ˆ π 1 π cos((n − k)x) − cos((x + k)x) dx sin(nx) sin(kx) dxi = 2 −π −π π 1 sin((n − k)x) sin((n + k)x) − = 2 n−k n+k −π =0 Fürt n = k, n, k ∈ N gilt ˆ π ˆ 1 π sin(nx) sin(nx) dx = 1 − cos(2nx) dx 2 −π −π π 1 sin(2nx = x− 2 2n −π =π Analog ergibt sich die Aussage für ˆ π cos(nx) cos(kx) dx. −π Da g(x) = sin(nx) cos(kx) für alle n, k ∈ N eine ungerade Funktion darstellt, gilt ˆ π g(x) dx = 0. −π Satz 12.14: Die trigonometrische Reihe s(x) = ∞ a0 X + an cos(nx) + bn sin(nx) 2 n=1 sei in [−π, π] gleichmäßig konvergent. Dann gelten ˆ 1 π an = s(x) cos(nx) dx, n ∈ N0 π −π ˆ 1 π bn = s(x) sin(nx) dx, n ∈ N π −π 40 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 12.4 Fourier-Reihen Definition: Sei f : [−π, π] → R beschränkt und integrierbar. Unter den FourierKoeffizienten von f versteht man die Zahlen und π 1 an = π ˆ 1 bn = π ˆ −π f (x) cos(nx) dx n ∈ N0 π −π f (x) sin(nx) dx n ∈ N Die zugehörige trigonometrische Reihe ∞ a0 X + an cos(nx) + bn sin(nx) 2 n=1 heißt Fourier-Reihe von f . 1. Konvergenzproblem: unter welchen Voraussetzungen an f ist die Fourier-Reihe konvergent bzw. gleichmäßig konvergent? 2. Darstellungsproblem: Unter welchen Voraussetzungen an f stellt die zugehörige konvergente Fourier-Reihe die Funktion f dar. Beispiel: Wir betrachten die Sägezahnkurve f : R → R ( ax −π < x < π f (x) = 0 x=π und f (x) = f (x + 2π) ∀x ∈ R. Da f ungerade ist, erhalten wir für an = 0 für n = 0, 1, 2, .... Für die Koeffizienten bn gilt bn = = = = ˆ 1 π f (x) sin(nx) dx π −π ˆ 2 π ax sin(nx) dx π 0 π ˆ 1 π − cos(nx) 2a x· cos(nx) dx +n π n 0 0 2a π(−1)n+1 2a(−1)n+1 = π n n Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 41 12.4 Fourier-Reihen ⇒ wenn man die Konvergenz bewiesen hat: f (x) = ∞ X 2a(−1)n+1 n n=1 = 2a sin(x) sin(2x) sin(3x) − + − ... 1 2 3 Mit a = 1 folgt speziell für x = 42 sin(nx) π 2 1 1 1 π = 1 − + − + ... 4 3 5 7 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 13. Differentialrechnung mehrer reeller Variablen 13 Differentialrechnung mehrer reeller Variablen Wir betrachten die Abbildungen x1 die jedem ~x = ... xn lässt sich in der Form f~ : D ⊂ Rn → M ⊂ Rm y1 .. ∈ D genau ein ~y = . ∈ M zuordnet. Die Abbildung f ym f1 .. ~ f = . mit den Komponentenfunktionen fn fi : D → R i = 1...m schreiben. Eine übliche Schreibweise ist y1 f1 (x1 ...xn ) .. ~y = ... = f~(~x) = f~(x1 , ..., xn ) = . ym fm (x1 ...xn ) Beispiel: Die Gleichungen y1 = 3x1 − 4x 2x1 + 5x2 + 2 mit x1 , x2 ∈ R 2 − 1, y2 = y1 x1 unter Verwendung der und ~y = lassen sich mit y1 , y2 ∈ R ~x = y2 x2 Abbildung 3x1 − 4x2 − 1 f1 (x1 , x2 ) = f (~x) = 2x1 + 5x2 + 2 f2 (x1 , x2 ) ~ x) schreiben. Für x1 = 2 und x2 = 3 erhalten wir in der Form ~y = f(~ −7 3·2−4·3−1 ~ = ~y = f (2, 3) = 21 2·2+5·3+2 Im Spezialfall n = 2, m = 1 kann die Funktion f : D ⊂ R2 → R verschieden dargestellt werden. Graphen: analog zum Fall n = m = 1 bezeichnet man die Menge x1 x2 M= : (x1 , x2 ) ∈ D ⊂ R3 f (x1 , x2 ) als Graph der Funktion f . Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 43 13.1 Topologische Grundbegriffe 13.1 Topologische Grundbegriffe Definition: • Die Menge K ~a,r := {~x ∈ Rn : ||~x−~a|| ≤ r}, ~a ∈ Rn , r > 0 heißt abgeschlossene Kugel aus ~a ∈ Rn mit Radius r • Die Menge K~a,r := {~x ∈ Rn : ||x − a|| < r},~a ∈ Rn , r > 0 heißt offene Kugel um ~a mit Radius r • Eine Menge U~a ∈ Rn heißt Umgebung von ~a ∈ Rn wenn ein r > 0 mit K~a,r ⊂ U~a existiert. • Ein Punkt ~a ∈ Rn heißt Randpunkt einer Menge M ⊂ Rn , wenn für jede Umgebung U~a Punkte ~x, ~y ∈ U~a mit ~x ∈ M und y ∈ / M existieren. Die Menge der Randpunkte von M heißt Rand von M und wird mit δM bezeichnet. • Ein Punkt ~a ∈ M, a ∈ / δM heißt innerer Punkt von M. Die Menge der inneren Punkte von M wird mit M̃ bezeichnet. ~ M̃ existiert daher ein r > 0 derart, dass K~a,r ⊂ M gilt. • Für jedes ∈ • Eine Menge M heißt offen, wenn M ∩ δM = ∅, ... heißt abgeschlossen, wenn M ∩ δM = δM gilt. • Die Menge M ∪ δM heißt abgeschlossene Hülle von M und wird mit M bezeichnet. Bemerkung: Die Menge Rn und ∅ sind sowohl offen wie abgeschlossen, da ihr Rand leer ist. Alle anderen Teilmengen in Rn besitzen Randpunkte und sind daher entweder offen ((a, b) ⊂ R) oder abgeschlossen ([a, b] ⊂ R oder keines von beiden ([a, b) ⊂ R). Folgerung: • Eine Menge M ⊂ Rn ist genau dann abgeschlossen, wenn ihre Komplementärmenge Rn \M offen ist. • Eine Menge M ⊂ Rn ist genau dann abgeschlossen, wenn das Grenzelemente ~a jeder konvergenten Folge {~ak }k∈N aus M in M liegt. Definition: • Eine Menge M ⊂ Rn heißt beschränkt, wenn es ein r > 0 gibt, so dass M ⊂ K~0,r gilt. • Eine Menge M ⊂ Rn heißt kompakt, wen sie abgeschlossen und beschränkt ist. 44 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 13.2 Folgen und Reihen von Vektoren Folgerung: Eine Menge M ⊂ Rn ist genau dann kompakt, wenn jede Folge {~ak }k∈N eine konvergente Teilfolge besitzt, deren Grenzwert in M liegt. x1 Beispiel: Für A = {~x ∈ R2 : ~x = } mit |x1 | + |x2 | ≤ 4. x2 1. A ist beschränkt, denn aus ~x ∈ A folgt −4 ≤ x1 ≤ 4 und −4 ≤ x2 ≤ 4 und damit A ⊂ K~0,r ∀r > 4 2. A ist abgeschlossen, denn sei x ∈ R2 \A, so gilt |x1 | + |x2 | > 4 + ε mit ε > 0 und wir erhalten für ~y ∈ K~x, 4ε stets |y1 | + |y2 | ≥ |x1 | − ε ε ε + |x2 | − > 4 + ε − > 4 4 4 2 somit K~x, 4ε ⊂ R2 \A gilt und R2 \A somit offen ist. 13.2 Folgen und Reihen von Vektoren Folgen und Reihen von Vektoren werden analog zu Zahlenfolgen und Zahlenreihen gebildet, indem die Einzelkomponenten betrachtet werden. Wir schreiben die Folge a1 (k) {~ak } aus Rn in der Form ~ak = ... womit die Folge {~ak } aus n Zahlenfolgen an (k) (Koordinatenfolgen) {ai k }k∈N , i = 1...n zusammengesetzt wird. Definition: Die Folge {ak }k∈N aus Rn konvergiert gegen ~a ∈ Rn , wenn es zu jedem ε > 0 ein Index k0 ∈ N gibt, so dass |~ak − ~a| < ε ∀k > k0 gilt. Man schreibt dann lim ~ak = ~a bz ~ak → a für k → ∞ und ~a heißt Grenzwerk der Folge {~ak }k∈N . Eine k→∞ nicht-konvergente Folge heißt divergent. Lemma 13.1: Eine Vektorfolge {~ak }k∈N aus Rn konvergiert genau dann gegen ~a ∈ Rn , wenn alle ihre Koordinatenfolgen gegen die entsprechende Koordinate (Komponente) von ~a konvergieren. Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 45 13.3 Stetigkeit von Abbildungen Definition: Eine Folge {~ak }k∈N aus Rn heißt beschränkt, wenn es ein r > 0 mit ||~ak ||2 ≤ r (~ak ∈ K~0,r ) ∀k ∈ N gibt. Beispiel: • Für ~ak = k k+1 −k 2 limk→∞ ~ak (1) limk→∞ ~ak (2) ∈ R2 erhalten wir k =1 = limk→∞ k+1 1 lim ~a = 0 = limk→∞ 2−k = 0 k→∞ k • Die Folge ~ak = 4k + 1 (−1)k k1 ist wegen lim 4k + 1 = ∞ divergent • Wir betrachten die Folge ~ak = k→∞ 2k 3 +1 k 3 +2k−1 (1 + 1 )k . k 1 k k 2k 3 + 1 = 2, k→∞ k 3 + 2k − 1 Nun gilt lim k 2 1 1 lim 1 + = e, lim k = 0, also lim ~ak = e. k→∞ k→∞ k→∞ k k 0 13.3 Stetigkeit von Abbildungen Definition: • Seien D ⊂ Rn , M ⊂ Rm . Die Abbildung f~ : D → M heißt stetig in ~x0 ∈ D, wenn für reelle Folgen {~xk }k∈N aus D mit lim ~xk = x0 stets k→∞ lim f~(~xk ) = f~( lim ~xk ) = f~(~x0 ) gilt. k→∞ k→∞ • Die Abbildung f~ : D → M heißt stetig auf A ⊂ D, wenn f~ stetig in allen Punkten ~x ∈ A ist. Ist f~ stetig auf D, so wird f~ stetige Abbildung genannt. Bemerkung: Auch für Abbildungen ist die Stetigkeit äquivalent zur εδ-Charakterisierung. f~ : D → M ist stetig in ~x0 ∈ D, wenn es zu jedem ε > 0 ~ − f~(x0 )||2 < ε, ∀x ∈ D, ||x − x0 ||2 < δ ein δ = δ(x0 , ε) > 0, so dass ||f(x) 46 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 13.3 Stetigkeit von Abbildungen • Die Abbildung f~ : D → M heißt gleichmäßig stetig auf D, wenn für alle ~x0 ∈ D und zu jedem ε > 0 ein δ = δ(ε) > 0 derart existiert, dass f~(~x) − f~(~x0 )||2 < ε ∀~x ∈ D mit ||~x − ~x0 ||2 < δ gilt. Eigenschaften stetiger Funktionen übertragen sich in kanonischer Weise im folgenden Sinn: Satz 13.2: Sind f~, ~g : D ⊂ Rn → Rm und h : D → R stetig in ~x ∈ D, so f~ sind auch f~ + ~g , f~ − ~g , f~ · ~g und falls h(~x0 ) 6= 0 stetig in ~x0 . h Satz 13.3: Auf jeder kompakten Menge des Rn sind stetige Abbildungen gleichmäßig stetig. Definition: Seien f~ : D ⊂ Rn → M ⊂ Rm Abbildungen und ~x0 ∈ Rn ein Häufungspunkt von D. Dann konvergiert f~ für ~x → ~x0 gegen den Grenzwert ~c, wenn es für jede Folge {~xk }k∈N aus D mit lim ~xk = ~x0 und ~xk 6= ~x0 ∀k ∈ N gilt k→∞ ~ x) = ~c. Für ~c ∈ Rm und ~x0 ∈ D erhalten wir lim f~(~xk ) = c. Wir schreiben lim f(~ k→∞ x ~ →~ x 0 ( f~(~x) x ∈ D mit f˜(~x) = die stetige Erweiterung von f im Punkt ~x0 . ~c ~x = ~x0 Definition: Sei D ⊂ Rn unbeschränkt und f~ : D → Rm . Dann konvergiert f~ für ||~x|| → ∞ gegen ~c, wenn für jede Folge {~xk }k∈N aus D mit lim ||~xk ||2 = ∞ k→∞ gilt. Beispiel: Sei f : R2 \{0} → R, f (~x) = x1 x2 . Für den Häufungspunkt x1 + x2 2 2 1 ~x0 = ~0 ergibt sich kein Grenzwert, denn für ~xk = k folgt lim f (~xk ) = 0 für 0 k→∞ 1 1 1 · 1 6 0. ~xk = k1 erhalten wir lim f (~xk ) = lim 1 k k 1 = = k→∞ k→∞ 2 + 2 2 k k k Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 47 13.4 Partielle Ableitungen 13.4 Partielle Ableitungen Betrachten wir beispielsweise die Abbildung f : R2 → R, f (~x) = 2x1 x2 + 3x1 so stellt sich die Frage nach der Variation derartiger Abbildungen in spezielle 0 Richtungen in R2 . Für ~n = betrachten wir hierzu die Ableitung der Abbil1 dung bezüglich x1 bei konstantem x2 . Derartige Ableitungen in Richtung xi bei ∂f bezeichnet. konstantem x1 , ..., xi−1 , xi+1 , ..., xn werden partielle Ableitungen ∂xi ∂f (~x) = 2x2 + 3 und ∂x1 ∂f (~x) = 2x1 ∂x2 x1 Geometrische Deutung: Wir betrachten f : R → R → f (x1 , x2 ) x2 (0) x1 (0) x1 . am Punkt ~x0 = ∈ R2 ergibt sich P0 = x2 (0) x2 (0) (0) (0) f (x1 , x2 ) ∂f Daher wird auch als Steigung des Graphen in Richtung xi genannt. ∂xi 2 n m Definition: Eine Abbildung f : D ⊂ R → R ist in einem inneren Punkt x1 (0) ~x0 = ... ∈ D partiell differenzierbar nach xi , wenn der Grenzwert xn (0) ~ 1 (0) , ..., xi−1 (0) , xi (0) , xi+1 (0) , ..., xn (0) ) f~(x1 (0) , ..., xi−1 (0) , xi (0) + h, xi+1 (0) , ..., xn (0) ) − f(x h→0 h lim existiert. Der Grenzwert heißt partielle Ableitung von f~ nach xi im Punkt ~x0 ∂ f~ und wird mit (~x0 ) bzw. f~xi (~x0 ) bezeichnet. Die Abbildung f~ heißt partiell ∂xi ∂f an der Stelle ~xi i = 1...n differenzierbar in ~x0 , wenn alle partiellen Ableitungen ∂xi existieren. Ferner heißt f~ partiell differenzierbar in A ⊂ D, wenn f~ in allen Punkten ~x ∈ A partiell differenzierbar ist. Ist f~ partiell differenzierbar in D, so heißt f~ partiell differenzierbar. 48 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 13.4 Partielle Ableitungen f1 (x1 , ..., xn ) .. ~ x) = Durch f(~ sei eine Abbildung beschrieben, die in ~x0 partiell . fm (x1 , ..., xn ) ∂fi für i = 1...m, k = 1...n differenzierbar ist. Das bedeutet, dass alle Ableitungen ∂xk existieren. Man fasst inder Ableitungsmatrix (auch Funktional ∂f1die Ableitungen ∂f1 (x ) . . . (x 0 0) ∂x1 ∂xn . matrix) f ′ (~x0 ) = .. zusammen. ∂fm ∂fm (x0 ) . . . ∂xn (x0 ) ∂x1 Beispiel: f : R3 → R2 x1 x sin(x x ) 1 2 3 ~x = x2 → f~(~x) = x1 2 − x2 2 + cos(x3 ) x3 sin(x2 x3 ) x1 x3 cos(x2 x3 ) x1 x2 cos(x2 x3 ) ′ ~ ⇒ f (~x) = 2x1 −2x2 − sin x3 0 1 0 0 ~ ∈ R2×3 Für ~x0 = 1 erhalten wir f (x0 ) = 0 −2 −1 π 2 Definition: Eine Abbildung f~ : D ⊂ Rn → Rm heißt differenzierbar (auch total differenzierbar) in einem inneren Punkt ~x0 ∈ D, wenn f~ in ~x0 partiell differenzierbar ist und zudem in der Form ~ x) = f~(~x0 ) + f~′ (~x0 )(~x − ~x0 ) + ~k(~x) f(~ ||~k(~x)||2 =0 ~ x→~ x0 ||~ x − ~x0 ||2 Weiter heißt f~ differenzierbar in A ⊂ D, wenn f~ in allen Punkten ~x ∈ A differenzierbar ist. Im Fall A = D heißt f~ eine differenzierbare Abbildung. ist ~k : D → Rm geschrieben werden kann, wobei lim Bemerkung: Für m = n = 1 sehen wir die direkte Analogie zur Differenzierbarkeit reeller Funktionen durch f (x) = f (x0 ) + f ′ (x0 )(x − x0 ) + k(x) Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 49 13.4 Partielle Ableitungen ||~k(~x)||2 = 0 besagt, dass ~k für ~x → ~x0 schneller“ gegen Null ” ~ x→~ x0 ||~ x − ~x0 ||2 strebt als (x − x0 ). Eine solche Eigenschaft wird auch durch das Landau-Symbol o gemäß ~k = o(||~x − ~x0 ||) für ~x → ~x0 beschrieben. Entsprechend bedeutet O Der Grenzwert lim k = O(||~x − ~x0 ||) für ~x → ~x0 das Grenzverhalten lim x ~ →~ x0 ||~k(~x)||2 = c ∈ R. ||~x − ~x0 ||2 Wie kann man erkennen, ob eine Abbildung differenzierbar ist? Satz 13.3: Die Abbildung f : D ⊂ Rn → Rm ist in dem inneren Punkt ~x0 aus D (total) differenzierbar, wenn alle partiellen Ableitungen von f in einer Umgebung von ~x0 existieren und in ~x0 stetig sind. Achtung: Es gibt Beispiele, die zeigen, dass die Stetigkeit und partielle Differenzierbarkeit einer Abbildung nicht hinreichend für dessen totale Differenzierbarkeit sind. 3 3 x1 x x 1 2 ~ x) = , ~x = ∈ R2 Beispiel: f(~ x2 x1 2 + x2 2 3x1 x2 2 3x1 3 x2 2 ′ ~ ∈ R2×2 f (~x) = 2x1 2x2 Die partiellen Ableitungen sind offenbar alle stetig in R2 ⇒ f~ ist in ganz R2 differenzierbar. 2 8 ~ Wählen wir z.B. ~x0 = so folgt die Darstellung f(~x) = + 1 5 12 24 x1 − 2 + ~k(~x). Da ~k(~x) für ~x-Werte, die genügend nahe bei ~x0 4 2 x2 − 1 liegen, sehr klein ist, geben die Glieder der rechten Seiten ohne ~k(~x) eine gute Approximation für f~(~x) in der Nähe von ~x0 an. Geometrische Deutung: Für f : R → R lässt sich die Differenzierbarkeit (0) x1 mit Hilfe von Tangentialebenen veranschaulichen. Sei f~ in ~x0 = diffex2 (0) x1 − x1 (0) ~ ~ renzierbar, dann gilt f (~x) = f (~x0 ) + (fx1 (~x0 ), fx2 (~x0 )) + ~k(~x). Mit x2 − x2 (0) g(x) = f (~x0 ) + fx1 (~x0 )(x1 − x1 (0) ) + fx2 (~x0 )(x2 − x2 (0) erhalten wir folglich eine 50 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 13.5 Regeln für differenzierbare Abbildungen und Richtungsableitungen ||~k(~x)||2 = 0 in ~x = x0 den gleichen Funktionswert und ~ x→~ x0 ||~ x − ~x0 ||2 die gleiche Ableitung besitzt. Ebene, die wegen lim Bemerkung: Eine Abbildung f~ : Rn → Rm ist linear, wenn f~(α~x + β~y ) = ~ x) + β f~(~y ) ∀~x, ~y ∈ Rn , ∀α, β ∈ R gilt. Solche Abbildungen liefern eine αf(~ konstante Funktionalmatrix und ~k = ~0, d.h. lineare Abbildungen sind eindeutig durch ihre Funktionalmatrix festgelegt, denn es gilt für • für a = 0 ergibt sich f (~0) = f (α · 0) = αf (~0) = ~0 womit f~(x) = f (~0) + f ′ (0)(~x − ~0) = f ′ (0)~x • ... 13.5 Regeln für differenzierbare Abbildungen und Richtungsableitungen Wie im Fall reellwertiger Funktionen erhalten wir folgenden Zusammenhang zwischen Differenzierbarkeit und Stetigkeit. Satz 13.4: Sei f~ : D ⊂ Rn → Rm (total) differenzierbar in ~x0 ∈ D, so ist auch f~ stetig in ~x0 . Es gibt sogar eine Umgebung U von ~x0 und eine Konstante M > 0 mit ~ x) − f (~x0 )||2 ≤ M||~x − ~x0 ||2 ∀~x ∈ U ||f(~ Beweis: Aus der Differenzierbarkeit von f~ in ~x0 folgt für alle ~x ∈ D mit ~x 6= ~x0 die Abschätzung ~ ~ x) − f~(~x0 )||2 ≤ ||f ′(~x0 )||2||~x − ~x0 ||2 + ||k(~x)|| ||~x − ~x0 ||2 ||f(~ ||~x − ~x0 ||2 ⇒ es existiert eine Umgebung von ~x0 mit ||~k(x)||2 ≤ 1 ∀~x ∈ U ||~x − ~x0 ||2 Mit M := ||f ′(~x0 )||2 + 1 folgt die Behauptung. Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 51 13.5 Regeln für differenzierbare Abbildungen und Richtungsableitungen Satz 13.5: (Linearität) Sind f~ : D ⊂ Rn → Rm und ~h : D ⊂ Rn → Rm differenzierbar in ~x0 , so ist auch αf~ + β~h für alle α, β ∈ R in ~x0 differenzierbar mit (αf~ + β~h)′ (~x0 ) = αf~′(~x0 ) + β~h′ (~x0 ) Beweis: Der Nachweis folgt direkt aus ∂fi ∂hi ∂(αf~ + β~h)i =α (~x0 ) + β (~x0 ) ∂xj ∂xi ∂xj Satz 13.6: (Kettenregel) Sei ~h : C ⊂ Rn → D ⊂ Rp differenzierbar in ~x0 ∈ C und f~ : D → Rm differenzierbar in ~z0 = ~h(~x0 ). Dann ist f ◦ h : C → Rm differenzierbar in ~x0 und es gilt (f~ ◦ ~h)′ (~x0 ) = f~′ (~z0 ) ~h′ (~x0 ) | {z } | {z } | {z } ∈Rm×n ∈Rm×p ∈Rp×n Beweis: Mit f~(~z ) = f~(~z0 ) + f~′(~z0 )(~z − ~z0 ) + ~k(~z ) und ~z = ~h(~x) = ~h(~x0 ) + ~h′(~x0 )(~x − ~x0 ) + m(~ ~ x) folgt durch Einsetzen ~ z) (f~ ◦ ~h)(~x) = f~(~h(~x)) = f(~ = f~(~z0 ) + f~′ (~z0 ) (~h(~x) − ~h(~x0 )) +~k(~z) | {z } ~h′ (~ x0 )(~ x−~ x0 )+m(~ ~ x) = f~(~z0 ) + f ′ (~z0 )~h′ (~x0 )(~x − ~x0 ) + ~s(~x) mir ~s(~x) = f~′ (~z0 )m(~ ~ x) + ~k(~h(~x)). Wir definieren für ~x 6= ~x0 und ~z 6= ~z0 m ~ 0 (~x) := ~ m ~ (~x) k(~z ) und ~k0 (~z ) := sowie m ~ 0 (~x0 ) = 0 und ~k(~z0 ) = 0. Somit gilt ||~x − ~x0 ||2 ||~z − ~z0 || aufgrund der Stetigkeit von h in ~x0 neben lim m0 (~x) = 0 auch lim k0 (h(~x)) = 0. Damit folgt ||s(~x)||2 ′ ~ x→~ x0 ~ x→~ x0 ≤ ||f (~z0 )||2 ||m0 (~x)||2 ||~x − ~x0 ||2 + ||~k0 (z)||2 ||~z − ~z0 ||2 | {z } | {z } ′ ≤ ||k0 (h(~ x))|| ||~h(~ x)−~h(~ x0 )||2 [||f (~z0 )||2 ||m ~ 0 (~x)||2 + ||k0 (h(~x))||2 M]||~x − ~x0 ||2 für ein M > 0 in einer Umgebung U von x0 ||s(x)||2 ≤ ||f ′ (~z0 )||2 lim ||m0 (~x)||2 + M lim ||k0 (h(x))||2 = 0 x→x0 ||x − x0 ||2 x→x0 ~ x→~ x0 ⇒ lim 52 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 13.5 Regeln für differenzierbare Abbildungen und Richtungsableitungen Bemerkung: Im n=1 Fall h1 (t) D ⊂ Rp t → ... := h (t) p y1 f1 (~x) .. .. ~x → . = . = ~y yn fn (~x) erhalten wir aus der Kettenregel mit ~h : C ⊂ R → ! x1 = ~x für die Komposition mit f : D → Rm .. .xp die Darstellung d ~ ~ (f ◦ h)(t0 ) = f~′ (~h(t0 )) · ~h(t0 ) dt ∂f1 (~x0 ) · · · ∂x1 .. = . dh ∂f1 1 (~x0 ) (t0 ) ∂xp dt .. .. . . dhp ∂fm ∂fm (~x0 ) · · · ∂xp (~x0 ) (t0 ) ∂x1 dt Pp ∂f1 k x0 ) dh (t0 ) k=1 ∂xk (~ dt .. = . Pp ∂fm dhk x0 ) dt (t0 ) k=1 ∂xk (~ p X ∂ f~ dhk = (~x0 ) (t0 ) ∂xk dt k=1 Oftmals wird auch die Kurzform p d~y X ∂~y dxk = dt ∂xk dt k=1 genutzt. 2 2 ~ Beispiel: Es sei ~y = f (x1 , x2 ) = x2 sin x2 (x1 , x2 ∈ R) und h : R → R cos(t) . Dann erhalten wir für y(t) = (f ◦ h)(t) = cos2 (t) sin(t3 ) die t → h(t) = t3 Ableitung 2 X ∂f d~y dhk (h(t)) (t) = (t) dt ∂xk dt k=1 = 2h1 (t) sin(h2 (t))(−sin(t)) + h1 2 (t) cos(h2 (t)) · 3t2 = 2 cos(t) sin(t3 ) · (− sin(t)) + cos2 (t) cos(t3 ) · 3t2 Analog gilt mit y(t) = cos(t) sin(t3 ) y ′ (t) = 2 cos(t)(− sin(t)) sin(t3 ) + cos2 (t)3t2 cos(t3 ) Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 53 13.5 Regeln für differenzierbare Abbildungen und Richtungsableitungen Als Verallgemeinerung der partiellen Ableitung erhalten wir die Ableitung in eine beliebige Richtung ~a ∈ Rn (||~a||2 = 1) gemäß Definition: Sei f : D ⊂ Rn → Rm in ~x0 partiell differenzierbar, dann heißt für ~a ∈ Rn mit ||~a||2 = 1 (0) (0) (0) (0) f (x1 + ha1 , ..., xn + han ) − f (x1 , ..., xn ) ∂f = (x0 ) h→0 h ∂~a lim die Richtungsableitung von f~ in x0 in Richtung a. Aus der Kettenregel erhalten wir mit g(h) := ~x0 + h~a ∈ Rn ∂f1 ∂f1 (~ x ) · · · (~ x ) a1 0 0 ∂x1 ∂xn d ∂f .. . ′ .. ... (~x0 ) = (f ◦ g)(0) = . = f (~x0 )~a ∂~a dh ∂fm m an (~x0 ) · · · ∂f (~x0 ) ∂x1 ∂xn | {z } =g ′ (0) Für m = 1 gilt f ′ (~x0 ) = grad f~(~x0 ) := (f ′ (~x0 ))T = n . Hierbei bezeichnen wir den Vektor ∂f ∂f (x0 ), ..., ∂x ∂x1 n ∂f (~ x ) 0 ∂x1 .. n . ∈ R als Gradient von f~. ∂f (~x0 ) ∂xn X ∂f fxk (~x0 )~ak = (grad f (~x0 ),~a) = grad f (~x0 ) · a (~x0 ) = ∂~a k=1 Wir erhalten den maximalen Wert der Richtungsableitung für grad f (~x0 ) 6= 0 grad f (~x0 ) durch ~a := ||grad f (~x0 )||2 Der Gradient zeigt folglich in die Richtung des steilsten Anstiegs und wegen grad f (~ x0 ) = ||grad f (x0 )||2 stellt seine euklidische Norm die maximale grad f (~x0 ), ||grad f (x0 )||2 Steigung dar. Wegen (grad f (~x0 ), a) = 0 ⇔ a ⊥ grad f (~x0 ) steht der Gradient senkrecht auf den Höhenlinien der Funktion f . Beispiel: Sei f : R2 → R, f (~x) = ex1 sin(x2 ) so erhalten Steigung xwir die 1 1 e 1 sin(x2 ) 0 grad f (x) = x1 gemäß in Punkt ~x0 = in Richtung ~a = √ e cos(x2 ) 0 2 1 ! √1 1 0 grad f (~x0 ) · ~a = · √12 = √ 1 2 2 54 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 13.6 Höhere partielle Ableitungen 13.6 Höhere partielle Ableitungen Für eine partiell differenzierbare Abbildung f~ : D ⊂ Rn → Rm stellt jede partielle ∂ f~ ∂ f~ Ableitung i = 1, ..., n eine Abbildung von Ḋ nach Rm dar. Ist : Ḋ → Rm ∂xi ∂xi in ~x0 ∈ Ḋ partiell nach! xk differenzierbar, so erhalten wir dir zweite partielle ∂ ∂ 2 f~ ∂ f~ Ableitung als (~x0 ) = (~x0 ) = f~xk ,xi (~x0 ) = Dk,if~(~x0 ). Analog ∂xk ∂xi ∂xi ∂xk ∂ 3 f~ = f~xi ,xk ,xj = Dj,k,if~. erhalten wir durch weiteres ableiten ∂xj ∂xk ∂xi ∂ p f~ ∂ p f~ = Im Spezialfall i1 = i2 = ... = ip = i schreiben wir auch ∂xpi ∂x ∂x ...∂xi | i {zi } p Satz 13.7: (Satz von Schwarz) Sei f : D ⊂ Rn → Rm eine p mal stetig differenzierbare Abbildung und ~x0 ∈ Ḋ, dann kann bei den partiellen Ableitungen f~xi1 ,xi2 ,...,xik (~x) 1≤k≤p die Reihenfolge xi1 , xi2 , ..., xik beliebig vertauscht werden, ohne den Wert der Ableitung zu ändern. Definition: Sei f : D ⊂ Rn → R zweimal stetig partiell differenzierbar in ~x0 ∈ Ḋ. Dann heißt ! ∂ 2 f~ (Hf )(~x0) = (~x0 ) ∈ Rn×n ∂xi ∂xj i,j=1...n die Hessematrix von f~ in ~x0 . Für n = 2 erhalten wir ! ∂ 2 f~ ∂ 2 f~ ∂x1 2 ∂x2 ∂x1 H f~ = 2~ 2~ ∂ f ∂x1 ∂x2 ∂ f ∂x2 2 ~ T = H f, ~ d.h. H ist symmetrisch. und es gilt stets (H f) Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 55 13.7 Taylor-Formel 13.7 Taylor-Formel Zur Einführung der Taylor-Formel in mehreren ∂ Raumdimensionen benötigen wir ∂x1 zunächst einige Notationen. Unter ∇ = ... versteht man einen symbolischen ∂ ∂xn Vektor, der Nabla-Operator genannt wird. Im Skalarprodukt mit einem beliebigen h1 n X ∂ ∂ ∂ ∂ .. ~ ~ Vektor h = . h · ∇ = h1 + h2 + ... + hn = hi ∂x1 ∂x2 ∂xn ∂xi i=1 hn Wenden wir diesen Differentialoperator auf eine Abbildung f~ : D ⊂ Rn → Rm an, so folgt n X ∂f (h · ∇)f = hi ∂xi i=1 Ganz im Sinne der Vektorrechnung können wir auch Produkte des Operators betrachten. Allgemein gilt (h · ∇)k = n X i1 ,i2 ,...,ik hi1 hi2 ...hik ∂k ∂xi1 ∂xi2 ...∂xik wobei über alle k-Tupel (i1 , i2 , ..., ik ) mit i1 , ..., ik ∈ {1, ..., n} summiert wird, also nk Summanden vorliegen. Satz 13.8: Sei f~ : D ⊂ Rn → R eine (m + 1) mal stetig differenzierbare Funktion auf der offenen und konvexen Menge D und sei ~x0 ∈ D. Dann gilt für alle ~x ∈ D die Taylor-Entwicklung f (~x) = Tm (~x, ~x0 ) + Rm (~x, ~x0 ) mit dem Taylor-Polynom m X j 1 Tm (~x, ~x0 ) = (~x − ~x0 ) · ∇ f~(~x0 ) j! j=0 und dem Restglied Rm (~x, ~x0 ) = m+1 1 ~ x0 + ϑ(~x − ~x0 )) (~x − ~x0 ) · ∇ f(~ (m + 1)! mit einem geeigneten ϑ ∈ (0, 1). 56 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 13.8 Extremalprobleme Bemerkung: Mit der Hessematrix Hf einer 3-mal stetig differenzierbaren Funktion lässt sich T3 (~x, ~x0 ) in der Form ~ x0 ) + (~x − ~x0 ) · ∇f~(~x0 ) + T3 (~x, ~x0 ) = f(~ | {z } Pn i=1 (xi −xi (0) ) ∂ f~ (~ x0 ) ∂xi 1 2 Pn 1 ~ x0 ) ((~x − ~x0 ) · ∇)2 f(~ {z } |2 i,j=1 (xi −xi (0) )2 (x j −xj (0) )2 ∂ 2 f~ ∂xi ∂xj (~ x0 ) ~ x0 ) + (grad f~(~x0 ), ~x − ~x0 ) + 1 (~x − ~x0 , Hf (~x0 )(~x − ~x0 )) + o(||~x − ~x0 ||2 ) = f(~ 2 für ~x → ~x0 . 13.8 Extremalprobleme Seien f : D ⊂ Rn → R und ~x0 ∈ D gegeben. Dann heißt f (~x0 ) lokales (streng lokales) Maximum von f , wenn es eine Umgebung U von ~x0 mit f (~x) ≤ f (~x0 ) (f (~x) < f (~x0 )) ∀~x ∈ (U ∩ D)\{~x0 } gibt. Analog werden Minima beschrieben. Alle derartigen Punkte werden Extremalpunkte von f genannt. Satz 13.9: (Notwendige Bedingung) Ist ~x0 ∈ Ḋ ein Extremalpunkt einer partiell differenzierbaren Funktion f : D ⊂ Rn → R, dann gilt grad f (~x0 ) = ~0 ∈ Rn . Beweis: Für den i-ten Einheitsvektor ~ei ∈ Rn ist ϕ(t) = f (~x0 + t~ei ) t ∈ R in einer Umgebung von t0 = 0 definiert und differenzierbar. Hat f in ~x0 ein lokales Extrema, so hat ϕ in t0 = 0 ein lokales Extremum. ⇒ 0 = ϕ′ (0) = ∂f (~x0 ) ∂xi i = 1, ..., n Bemerkung: • grad f (~x0 ) = ~0 ist im Allgemeinen ein nicht-lineares Gleichungssystem von n Gleichungen für n Unbekannte x1 (0) , x2 (0) , ..., xn (0) • Die Punkte ~x0 ∈ Ḋ mit grad f (~x0 ) = ~0 heißen stationäre Punkte von f . Stationäre Punkte sind nicht notwendigerweise lokale Extrema. Beispielsweise 2x einen stationären Punkt in hat f (x, y) = x2 − y 2 wegen grad f (x) = −2y 0 . Dieser Punkt ist jedoch ein Sattelpunkt von f . ~x0 = 0 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 57 13.9 Satz über implizite Funktionen Satz 13.10: (Klassifizierung stationärer Punkte) Sei D ⊂ Rn offen und f : D → R zweimal stetig differenzierbar. Dann gilt für einen stationären Punkt ~x0 ∈ D (d.h. grad f (~x0 ) = ~0). Notwendige Bedingung: Ist ~x0 ∈ D ein lokales Extremum von f , so gilt: • x0 lokales Minimum ⇒ Hf (~x0 ) ist positiv semidefinit ⇔ (~x, A~x) ≥ 0 ∀x ∈ Rn • x0 lokales Maximum ⇒ Hf (~x0 ) ist negativ semidefinit ⇔ (~x, A~x) ≤ 0 ∀x ∈ Rn Hinreichende Bedingungen: Ist Hf (~x0 ) positiv (negativ) semidefinit, so ist ~x0 ein streng lokales Minimum (Maximum) von f . Ist Hf (~x0 ) indefinit (A ist indefinit, falls es Vektoren ~x, ~y ∈ Rn gibt mit (x, Ax) > 0 ∧ (y, Ay) < 0), so ist ~x0 ein Sattelpunkt, d.h. es gibt in jeder Umgebung U von ~x0 Punkte ~x, ~y mit f (~x) < f~(~x0 ) < f (~y ) Bemerkung: Es gelten folgende Implikationen: ~x0 it lokales Minimum ⇐ ~x0 ist strenges lokales Minimum ⇐ Hf (~x0 ) ist positiv definit ⇐ Hf (~x0 ) ist positiv semidefinit ⇐ ... Hierbei gilt in keinem Fall die Umkehrung der Implikation. 13.9 Satz über implizite Funktionen Problemstellung: f : D ⊂ R2 → R Frage: existiert eine Funktion g : U ⊂ R → R derart, dass f (x, g(x)) = 0 ∀x ∈ U gilt? Wir sagen dann, g ist die durch f (x) = 0 bestimmte implizite Funktion. Beispiel: f : R2 → R, f (x, y) = 2x2 + 3y. Dann gilt für f (x, y) = 0 ⇒ 2x2 + 3y = 0 ⇒ y = − 23 x2 Damit ist durch f (x, y) = 0 die Funktion g : R → R, g(x) = − 23 x2 implizit gegeben und es gilt f (x, g(x)) = 2x3 + 3g(x) = 0 ∀x ∈ R Der folgende Satz gibt Auskunft, wann f (x, g) = 0 eine implizite Funktion beschreibt. 58 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 13.9 Satz über implizite Funktionen Satz 13.1: (Satz über implizite Funktionen, 2-dimensionaler Fall) x0 Sei D ⊂ R offen und f : D → R stetig differenzierbar. Für ∈ D y0 ∂f (x0 , y0) 6= 0 dann folgt gelte.f (x0 , y0 ) = 0 und ∂y 2 • es gibt ein Intervall U um x0 und ein Intervall V um y0 mit der Eigenschaft: zu jedem x ∈ U existiert genau ein y ∈ V mit f (x, y) = 0. • Die durch die obige Zuordnung definierte Abbildung g : U → V mit f (x, g(x)) = 0 ist stetig differenzierbar und es gilt g ′(x) = − fx (x, g(x)) fy (x, g(x)) ∀x ∈ U Extremalprobleme mit Nebenbedingungen Oftmals müssen Extrema einer gegebenen Funktion mit Nebenbedingungen ermittelt werden, die durch eine Nullstelle einer zweiten Funktion in der Form ~h(~x) = ~0 vorliegt. Problemstellung: geg.: D ⊂ Rn offen, f : D → R stetig differenzierbar, ~h : D → Rp stetig differenzierbar (p < n) ges.: Extremstellen von f : M → R mit M := {~x ∈ D : ~h(~x) = ~0}. Eine Maximalstelle (Minimalstelle) ~x0 von f (f eingeschränkt auf M) ist ein Punkt M aus M zu dem es eine Umgebung U ⊂ D mit f (~x0 ) ≥ f (~x) (f (~x0 ) ≤ f (~x) ∀x ∈ U ∩ M gibt. Der Punkt x0 heißt dann Maximalstelle (Minimalstelle) von f unter der Nebenbedingung ~h(~x) = ~0. Häufig lassen sich obige Probleme nicht einfach durch Auflösen von ~h und einsetzen in f lösen. Zur allgemeinen Lösung nutzt man daher folgenden Satz. Satz 13.12: (Lagrange Multiplikatoren) Seien f : D → R und ~h : D → Rp stetig differenzierbare Abbildungen auf einer offenen Menge D ⊂ Rn , n > p wobei die Matrix ~h(x) ∈ Rp×n für jedes x ∈ D den Rang p hat. Dann folgt: ist ~x0 eine Extremalstelle von f unter der Nebenbedingung ~h(x) = 0, so existiert eine Zeilenmatrix L = (λ1 , ..., λp ) ∈ R1×p mit ... Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 59 13.9 Satz über implizite Funktionen 2D-Fall von Satz 13.12: Sei D ⊂ R2 offen und f, h : D ⊂ R2 → R mit grad h(~x) 6= 0 ∀x ∈ D. Dann folgt: ist ~x0 ∈ D Extremalstelle von f unter der Nebenbedingung h(~x) = 0, dann existiert ein λ ∈ R mit grad f (~x0 ) + λgrad h(~x0 ) = 0. 2 Beispiel: Gesucht wird die Extremalstelle von f : R2 → R, f (x, y) = x + y2 + 3 2x und unter der Nebenbedingung h(x, y) = x2 + y − 2 = 0. Mit grad f (x, y) = 2y 2x ergibt sich aus grad h(x, y) = 1 grad f (x, y) + λgrad h(x, y) = 0 h(x, y) = 0 das Gleichungssystem I 2x + λ2x = 0 II 2y + λ =0 2 III 2x + y − 2 = 0 für die drei Unbekannten λ, x, y. 1. Fall: I: x(2 + 2λ) = 0 x = 0, III: y = 2, II: λ = −4 → 1. Kandidat (x, y) = (0, 2), f (0, 2) = 7 2. Fall: x 6= 0, I: λ = −1, II: y = 12 , III: x2!= √ 6 1 → 2. Kandidat (x, y) = , 2 2 ! √ 6 1 , → 3. Kandidat (x, y) = − 2 2 60 3 2 √ √ 1 = − ⇒ x1 = 12 6, x 6 2 2 ! √ 6 1 6 1 →f = + + 3 = 4.75 , 2 2 4 4 ! √ 6 1 6 1 →f − = + +3 = 4.75 , 2 2 4 4 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 14. Integralrechnung mehrerer Variablen 14 Integralrechnung mehrerer Variablen 14.1 Bereichsintegrale Sei f : D → R auf dem Rechteck D = [a, b] × [c, d] beschränkt. Wir legen ein Gitter G aus Teilrechtecken über das Grundrechteck D, indem wir wieder die Intervalle [a, b] und [c, d] zerlegen. zx : a = x0 < x1 < ... < xn = b zy : c = y0 < y1 < ... < ym = d Die Rechtecke [xi−1 , xi ] × [yj−1 , yj ] i = 1, ..., n j = 1, ..., m bilden ein Gitter aus Teilrechtecken. Die Feinheit ist die Länge des größten Teilintervalls: Φ(G) = max (|xi − xi−1 |, |yi − yi−1 |) i=1,...,n, j=1,...,m In jedem Teilrechteck wählen wir einen beliebigen Zwischenpunkt pij = (ξij , ηij ). Die Doppelsumme S= n X m X i=1 j=1 f (ξi,j , ηi,j )(xi − xi−1 )(yj − yj−1) wird als Riemann-Summe bezeichnet. Wie in Abschnitt 10 wird durch einen Grenzübergang der Riemann-Summe ein Integral definiert. Wir betrachten eine Folge G1 , G2 , ... von Gittern deren Feinheit Φ(Gn ) → 0 für N → 0. Definition: Eine beschränkte Funktion f : D → R heißt auf D = [a, b] × [c, d] Riemann-integrierbarm falls beliebige Folgen von Gittern (GN )N ≥1 mit Φ(GN ) → 0 die zugehörige Riemannsumme (SN )N ≥>1 gegen denselben Grenzwert I(f ) streben ¨unabhängig von der Wahl der Zwischenpunkte. Dieser Grenzwert I(f ) = f (x, y)d(x, y) wird als Bereichsintegral von f auf D bezeichnet. D Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 61 14.1 Bereichsintegrale Satz 14.1: Ist eine beschränkte Funktion f über D = [a, b] × [c, d] Riemann integrierbar und sind es auch die Funktionen x → f (x, y), y → f (x, y), so sind die Abbildungen ˆ d x→ f (x, y) dy c und y→ ˆ b f (x, y) dx a Riemann-integrierbar und es gilt ¨ ˆ b ˆ d ˆ f (x, y) d(x, y) = f (x, y) dy dx = a D c d c ˆ b a f (x, y) dx dy Beispiel: Das Volumen unter der Paraboloidfläche z(x, y) = x2 + y 2 über dem Rechteck D = [0, 1] × [1, 0] erhält man mit Hilfe von Satz 14.1 ¨ D 2 2 x + y d(x, y) = ˆ 1 0 ˆ 1 x2 + y 2 dy, dx 0 1 1 3 = x y + y dx 3 0 0 ˆ 1 1 = x2 + dx 3 0 1 3 x x + = 3 3 ˆ 1 2 0 2 = 3 Um über allgemeine beschränkte Bereiche D ⊂ R2 zu integrieren, definieren wir die Indikatorfunktion des Bereichs D. ( 1 (x, y) ∈ D ID (x, y) = 0 (x, y) ∈ /D Wir können den beschränkten Bereich D in ein Rechteck R einschließen (D ⊂ R). 62 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 14.1 Bereichsintegrale Definition: Es sei D ein beschränkter Bereich und R ein einschließendes Rechteck. • falls die Indikatorfunktion von D ist, so heißt der Be¨ Riemann-integrierbar ¨ reich D messbar und man setzt d(x, y) = ID (x, y) d(x, y) D R 2 • Eine Teilmenge N ⊂ R heißt Nullmenge, falls ¨ d(x, y) = 0 ist. N • Für eine beschränkte Funktion¨ z = f (x, y) wird das ¨ Integral über einen messbaren Bereich D definiert als f (x, y) d(x, y) = f (x, y)ID (x, y) d(x, y) D R falls f (x, y)ID (x, y) Riemann-integrierbar ist. • Nullmengen sind z.B. einzelne Punkte, Geradenstücke oder differenzierbare Kurvenstücke in der Ebene Eine wichtige Klase von Bereichen D, über denen die Integration einfach ist, sind Normalbereiche. Definition: • Eine Teilmenge D ⊂ R2 heißt Normalbereich vom Typ I, wenn gilt: D := {(x, y) ∈ R2 : a ≤ x ≤ b, u(x) ≤ y ≤ o(x)} mit stückeweise stetigen unteren und oberen Begrenzungsfunktionen x → u(x), x → o(x) • Eine Teilmenge D ⊂ R2 heißt Normalbereich vom Typ II, wenn gilt D := {(x, y) ∈ R2 : c ≤ y ≤ d, l(y) ≤ x ≤ r(y)} mit gewissen stückweise stetigen linken und rechten Begrenzungsfunktionen x → l(x), x → r(x) Satz 14.2: (Integration über Normalbereiche) Es sei D ein Normalbereich. Falls die abgeschnittene Funktion f (x, y)ID (x, y) Riemann-integrierbar ist, so gilt für ! Normalbereiche, die vom Typ I ¨ ˆ b ˆ o(x) f (x, y)d(x, y) = f (x, y) dy dx und für Normalbereiche vom a D Typ II ¨ D f (x, y) d(x, y) = u(x) ˆ c d ˆ r(y) ! f (x, y) dx l(y) Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 dy. 63 14.1 Bereichsintegrale Beweis: Die Aussage folgt aus Satz 14.1 unter Beachtung, dass f außerhalb von D durch Null fortgesetzt wurde. 1-D-Fall: ˆ b f (x) dx = a ˆ ϕ−1 (b) (ϕ(t))ϕ′ (t) dt ϕ−1 (a) 14.1.1 Die Transformationsformel Substitutionsformel für Bereichsintegrale Definition: Eine bijektive differenzierbare Abbildung F : D → B = F (D) zwischen zwei offenen Mengen D, B ⊂ R2 heißt Diffeomorphismus, wenn auch die Umkehrabbildung F −1 differenzierbar ist. u x x(u, v) ) = v y y(u, v) Beispiel: F : D → B u + v4 u + v + u2 v 2 4 u x F → = v y Satz 14.3: (Transformationsformel für Bereichsintegrale) Es seien D, B offen beschränkte Teilmengen des R2 . F : D → B ein Diffeomorphismus und f ¨: B → R eine beschränkte Abbildung. Dann gilt ¨ f (x, y) d(x, y) = f (F (u, v))| det(F ′ (u, v))| d(u, v) sofern die Funktion B D f und f (F )| det F ′ | Riemann-integrierbar sind. Beispiel: (Volumen einer Halbkugel in Polarkoordinaten) Wir stellen eine Halbkugel vom Radius R durch p den dreidimensionalen Bereich 2 2 {(x, y, z) : 0 ≤ x + y ≤ R, 0 ≤ z ≤ R2 − x2 − y 2p } dar. Ihr Volumen R2 − x2 − y 2 über erhält man durch Integration der Funktion f (x, y) = 2 2 der GrundflächeB = {(x, : 0 ≤ x + y ≤ R}. In Polarkoordinaten y) x r cos ϕ r ist der Bereich B darstellbar als Bild = → F : R2 → R2 y r sin ϕ ϕ F (D) des Rechtecks [0, R] × [0, 2π] 64 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 14.1 Bereichsintegrale cos ϕ −r sin ϕ F (r, ϕ) = sin ϕ r cos ϕ ′ | det F ′ (r, ϕ)| = r(cos2 ϕ + sin2 ϕ) = r ¨ p B R2 − x2 − y 2 d(x, y) = 3 R 2π 2 2 2 R −r =− 3 r=0 2π 3 R = 3 ˆR ˆ2π √ 0 R2 − r 2 r dϕ dr = 0 Mitschriften von Tobias Doerffel, WS 2007/2008 ˆR √ 2πr R2 − r 2 dr 0 65