Geschlechterbewusste kirchliche Jugendarbeit/Gender

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„Geschlechterbewusste kirchliche Jugendarbeit/Gender-Kompetenz“
Entwurf für ein Grundsatzpapier zu geschlechterbewusster kirchlicher Jugendarbeit zu
Händen der Vereinsversammlung der Deutschschweizer Jugendseelsorgerinnen und
Jugendseelsorger im November 2004
Vorgelegt von der gemeinsamen Arbeitsgruppe von JUSESO-Verein und Deutschschweizer
Fachstelle für kirchliche Jugendarbeit.
Mitglieder der Arbeitsgruppe sind:
Theresia Hlavka (bis 9/2004), Karin Hehli(ab 9/2004),
Bruno Fluder (bis 9/2004), André Böhning (ab 9/2004),
Thomas Feldmann,
Dorothee Foitzik
Inhalt:
I. Geschichte
II. Einleitung
III. Perspektiven und Zielsetzung
IV. Kriterienkataloge
V. Anregungen aus der Praxis
VI. Anregungen für die Praxis
Glossar
I. Geschichte
Im Jahr 1999 hatte die Tagung „Schneewittchen oder Räubertochter“ stattgefunden.
Inhalte waren parteiliche Ansätze in der Mädchenarbeit in Katechese, Jugendarbeit und
kirchlicher Weiterbildungsarbeit.
Im Jahr 2001 fand eine Tagung auf deutschschweizerischer Ebene zum Thema „Mädchenund Bubenarbeit“ statt. Der Fokus lag auf den Selbst- und Fremdbildern der Professionellen
in Bezug auf die Kategorie Geschlecht.
Seit 2002 arbeitet auf deutschschweizerischer Ebene eine Arbeitsgruppe in Kooperation von
JUSESO-Verein und Deutschschweizer Fachstelle für kirchliche Jugendarbeit.
Die Arbeitsgruppe erarbeitet Grundlagen für das Verständnis von Gender-Kompetenz in der
kirchlichen Jugendarbeit in der deutschsprachigen Schweiz und Empfehlungen für die Praxis.
Für den Frühsommer 2005 ist eine Tagung geplant, welche der Standortbestimmung und der
Diskussion neuer Ansätze geschlechterbewusster Jugendarbeit dienen soll.
Das vorliegende Papier ist auf Wunsch der Mitgliederversammlung des Juseso-Vereins 2003
entstanden. Es zeigt, dass das Thema „Genderbewusstsein und –kompetenz“ von vielen
verschiedenen Seiten angegangen werden kann und markiert den derzeitigen Stand der
Diskussion.
Die Arbeitsgruppe möchte mit der Vorlage dieses Papiers und der Gestaltung der Fachtagung
einen vertieften Diskussionsprozess im Juseso-Verein anstossen, welcher zur Verabschiedung
gemeinsamer Leitlinien anlässlich der Mitgliederversammlung 2005 führen soll.
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II. Einleitung
Kirchliche Jugendarbeit ist Begleitung bei der Subjektwerdung Jugendlicher
So lautet eines unserer Prinzipien. Aber es gibt nicht wirklich Kinder und Jugendliche.
Vielmehr sehen wir Mädchen und Knaben, wenn wir unsere Zielgruppen anschauen.
Wessen Gesichter tauchen auf bei einer Kursausschreibung im Verband oder bei einem
Angebot auf regionaler bzw. kantonaler Ebene?
Subjektorientierung in der Jugendarbeit aus der Gender-Perspektive meint, sowohl die
Jugendlichen anzuschauen als auch uns selbst. Jugendliche wie Jugendarbeitende und
Jugendseelsorgende haben ein Geschlecht.
Eine geschlechtsneutrale Jugendarbeit (wenn es eine solche überhaupt geben kann) wird nach
den heutigen Erkenntnissen weder Mädchen noch Jungen gerecht.
Gender meint die gesellschaftlichen, sozialen und kulturell geprägten Geschlechterrollen
Verbände und Jugendtreffpunkte sind (neben Familie und Schule) Orte, wo
Geschlechterrollen eingeübt und täglich neu hergestellt werden (doing gender). Die Rollen
sind veränderbar und können vom sozialen Umfeld, z. B. durch die Leiterinnen und Leiter
oder die Jugendseelsorgerinnen und –seelsorgern sowie durch die Peer-Groups beeinflusst
werden:
traditionell, d. h. hierarchische Überbewertung der Tätigkeiten des Mannes und
Unterbewertung der Erwerbs- und Hausarbeit der Frau;
oder demokratisch, d. h. ausgewogenes Geschlechterverhältnis resp. Gleichwertigkeit
in der Gruppe, gleichwertige Anerkennung von weiblichen und männlichen
Tätigkeiten.
Geschlechtergerechte Jugendarbeit geht von der Gleichwertigkeit der Geschlechter bei
gleichzeitiger Anerkennung der Unterschiede aus
Ein Jugendanlass oder ein Projekt kann Formen des Zusammenlebens der Geschlechter durch
ein Klima der Offenheit für verschiedene Lebensentwürfe unterstützen, stereotypes Verhalten
vermindern und die Geschlechter im Prozess des gemeinsamen Aushandelns ihrer
Bedürfnisse begleiten.
Mit der Gleichberechtigung setzen wir in der Jugendarbeit den Rahmen für das Einfordern der
gleichen Rechte für Mädchen und Knaben. Gleichberechtigt zu leben ist ein Prozess, den eine
Gesellschaft einüben muss. Das gilt also auch für die Freizeitgestaltung. Sie ermöglicht es,
neue Geschlechterrollen auszuprobieren und doch so sein zu dürfen, wie „ich“ als Mädchen
oder Junge bin.
Das aktive Wahrnehmen der Differenz und das Sichtbarmachen von Mädchen und Jungen,
Jugendseelsorgerinnen und Jugendseelsorgern fördert so die Identifikation mit dem eigenen
Geschlecht wie auch die Wertschätzung des je anderen.
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Genderkompetenz ist ein Qualitätsmerkmal kirchlicher Jugendarbeit
Geschlechtersensibilität und Geschlechtergerechtigkeit sind zwei Elemente eines
genderkompetenten Verhaltens von Haupt- und Ehrenamtlichen, sowie der Freiwilligen in
der Jugendarbeit: Sie sollten sensibel dafür sein, welche Rolle die Unterschiede und/oder
Gemeinsamkeiten bei Mädchen und Jungen, Frauen und Männern im jeweiligen Themenoder Tätigkeitsbereich spielen, wo Ungleichheiten und/oder Ungerechtigkeiten bestehen und
wie diese vermindert werden könnten.
Geschlechtergerecht ist eine geschlechtersensible Praxis dann, wenn sie den
geschlechterbezogenen Aspekten einer Tätigkeit oder eines Themas umfassend gerecht wird
und diese angemessen behandelt.
Biblische Selbstvergewisserung
Gen 1,27: Gott schuf also den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er
ihn, Als Mann und Frau schuf er sie.
Der Schluss des Schöpfungsliedes verweist auf die Zweigeschlechtlichkeit des
Menschen, die einerseits mit seiner Kreatürlichkeit und Generativität in Beziehung
steht, anderseits aber seine Gleichwertigkeit als menschliches Wesen und Gegenüber
zu Gott markiert.
Im Neuen Testament finden sich zahlreiche Erzählungen über geglückte
Begegnungen. Relevant für die Begegnung zwischen Männern und Frauen in ihrem
gesellschaftlichen und religiösen Umfeld erscheint uns die Begegnung Jesu mit der
Syrophönizierin (Mt 15, 21-28) sowie das Gespräch Jesu mit der Frau aus Samarien
am Jakobsbrunnen (Joh 4,1-30)
Gal 3, 28: Da ist nicht mehr Jude und Grieche, nicht mehr Sklave und Freier, nicht
mehr Frau und Mann. Ihr seid alle eins in Christus“
In den Jahren des Aufbruchs in der geschlechterbewussten Jugendarbeit formulierte
diese theologische Schlüsselstelle die Vision einer geschlechtergerechten Gesellschaft.
Sie zeigt an, dass die menschlich-kreatürlichen Grenzen überstiegen werden. Auch
wenn heute das Bewusstsein für die Unterschiede innerhalb der Geschlechter stärker
ausgeprägt ist, leben, agieren und glauben wir als Mädchen und Jungen, als Frauen
und Männer.
III. Perspektiven und Zielorientierung
Ressourcenorientierung vs. Defizitorientierung
In den Jahren, als sich die parteiliche Mädchenarbeit entwickelte (und in reflexiver Antwort
darauf die parteiliche Bubenarbeit) unterschied man in Anlehnung an den englischen
Sprachgebrauch zwischen „sex“, dem biologischen Geschlecht, und „gender“, dem sozialen
Geschlecht. Die geschlechtshomogene Arbeit mit Mädchen galt als Weg aus der Fixierung
und der Diskriminierung durch die Geschlechterstereotypen. Angezielt wurde eine
Gleichberechtigung der Lebensentwürfe. Zunächst waren Mädchen und Frauen im Blick,
engagierte Männer entwarfen in der Folge eine Bubenarbeit, die auch die Buben aus
einengenden Stereotypen und Verhaltensmustern befreien sollte.
Heute gilt es, in der Mädchen- wie in der Bubenarbeit, unter pädagogischen Gesichtspunkten
das so genannte „Ungleichheitstabu“ nicht zu verletzen. Denn alle Angebote, die den
Anschein erwecken, sie setzten an Defiziten an, haben bei der Mehrheit der Kinder und
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Jugendlichen keine Chancen. Auch Leiterinnen und Leiter reagieren verhalten bis ablehnend,
wenn geschlechterbewusste Jugendarbeit auch nur annähernd den Anschein erweckt, sie solle
vermutete „Defizite“ kompensieren.
Es braucht Offenheit und Neugier von Seiten der Hauptamtlichen, der Leiterinnen und Leiter.
Sie müssen sich kundig machen, welche Konstruktionen von Geschlecht Mädchen und Buben
heute wählen. Welche Bewältigungsstrategien probieren sie aus im Umgang mit weiterhin
(subtil) vorhandenen Ungleichheiten in den Geschlechterverhältnissen?
Begegnungen der Geschlechter inszenieren
Mit dem Infragestellen der Koedukation durch die feministische Mädchenarbeit (und später
durch die parteiliche Bubenarbeit) wurde die Geschlechterhomogenität (Mädchengruppen,
Bubengruppen) zum Normalfall der geschlechterbewussten Jugendarbeit. Heute ist deutlich,
dass geschlechtersensible Arbeit sowohl in geschlechtshomogenen Räume und Gruppen als
auch in geschlechtergemischten Zusammenhängen stattfinden kann/muss.
In der Jugendarbeit sind Begegnungen der Geschlechter zu inszenieren und bewusst zu
gestalten. Die Überkreuzthematik ist bewusst in den Blick zu nehmen: Ich arbeite als
(„bewusster“) Mann mit Mädchen und jungen Frauen; ich arbeite als („bewusste“) Frau mit
Buben und jungen Männern.
Ziel ist eine angemessene Zuordnung von Differenz und Gleichheit im Verhältnis der
Geschlechter. An diesem Ziel orientieren sich die (religions-)pädagogischen und pastoralen
Anstrengungen in der Theoriebildung und in der Umsetzung für die Praxis.
IV. Kriterienkataloge für geschlechtergerechte kirchliche Jugendarbeit
Um die Praxis und die dahinter stehenden Konzepte und Strukturen unter dem Aspekt der
Geschlechtergerechtigkeit analysieren und bewerten zu können, benötigen wir handhabbare
Kriterienkataloge.
Dazu können die Thesen für eine geschlechterbewusste Jugendarbeit als Spiegel für die
Situation vor Ort dienen –oder eine Analyse nach der so genannten 4 R-Methode zum Gender
Mainstreaming, wie sie für die öffentliche Verwaltung entwickelt wurde.
Kirchliche Jugendarbeit – geschlechterbewusst
(nach Beat Ramseier)
Kirchliche Jugendarbeit ist Dienst der Kirche an jungen Menschen/Mädchen und Jungen. Es
geht dabei um die individuelle, soziale, gesellschaftliche und religiöse Entfaltung und
Selbstverwirklichung von jungen Frauen und Männern.
Damit kirchliche Jugendarbeit jungen Frauen und Männern gerecht werden kann, braucht es
folgende Rahmenbedingungen:
•
•
Ein Team, das aus Frauen und Männern besteht, die (idealerweise) über gleich viel
Stellenprozente
im
Bereich
geschlechterbewusste
Jugendarbeit
verfügen.
Geschlechterbewusste Jugendarbeit muss von allen mitgetragen werden.
Mädchen- und bubengerechte Räumlichkeiten, Infrastruktur, Projekte, Lager,
Veranstaltungen, …
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•
•
Betriebsgruppen (Begleitgremien) paritätisch aus Mädchen und Buben zusammengesetzt,
bzw. mit je der Hälfte der Stimmen.
Die Umgangs- und Kommunikationskultur darf weder Mädchen noch Buben ausgrenzen.
Wer geschlechterbewusste Jugendarbeit leisten will, muss …
• sein eigenes Selbst- und Fremdbild in Bezug auf das Geschlecht reflektiert haben und
motiviert sein, sich mit der Thematik zu befassen.
• sich in Bezug auf Mädchen- und Bubenwelten regelmässig „updaten“.
• über entsprechende geschlechtergetrennte Netzwerke verfügen, Weiterbildungen,
Intervisionen, Coaching besuchen.
• im Team geschlechtstypische bzw. geschlechtsuntypische Rollen und Aufgaben
übernehmen.
• Bereit und fähig sein, mit dem jeweils anderen Geschlecht vorurteilsbewusst und offen
zusammen zu arbeiten (siehe Überkreuzthematik)
Die Trägerschaft kirchlicher Jugendarbeit kann geschlechterbewusste Arbeit fördern, indem
sie …
• geeignete Rahmenbedingungen zur Verfügung stellt
• geschlechterbewusste
Jugendarbeit
in
ihren
Leitbildern,
Konzepten
und
Stellenbeschrieben verankert
• die Umsetzung der Aktivitäten begleitet und das Erreichen der Ziele regelmässig
überprüft.
Gender-Analyse und – Mainstreaming in der Jugendarbeit
nach der „4 R-Methode“ (nach Zita Küng)
Gender Mainstreaming meint die besondere Aufmerksamkeit für die Geschlechterverhältnisse
innerhalb einer Institution oder Organisation und die entsprechende Umgestaltung der Praxis.
Das Ziel ist die Geschlechtergerechtigkeit.
Es geht zunächst darum, zu erfassen, wie die Geschlechterverhältnisse in diesem Bereich sind.
Zunächst wird ein Bereich festgelegt, welcher näher angeschaut werden soll:
Geht der Blick eher nach innen (z. B. Strukturen) oder eher nach aussen (z. B. Zielgruppen
unserer Arbeit).
Die Bestandsaufnahme erfolgt dann mittels der so genannten „4-R – Methode“
- Erstes „R“: Wie ist die Repräsentation von Frauen und Männern/Mädchen und Jungen?
Mit wem haben wir es zu tun? Wie ist z. B. die zahlenmässige Verteilung von Mädchen und
Buben/Frauen und Männern?
- Zweites „R“: Über welche Ressourcen verfügen Frauen und Männer/Mädchen und Jungen
in ihrem Bereich? Gemeint sind Zeit, Geld, physischer Raum, Bildung, Zugang zu
Netzwerken.
- Drittes „R“: Eine Frage im Bereich der Geschlechterverhältnisse wird auf die Realitäten
hin untersucht: Warum ist die Verteilung von Repräsentationen und/oder Ressourcen so und
nicht anders?
- Viertes „R“: Welche Regelungen und Rechte gelten?
Unterstehen Frauen und Männer/Mädchen und Jungen zwar den gleichen Regelungen, nutzen
sie aber nicht gleich oder können sie sie nicht gleich nutzen? Sind die Ressourcen gerecht auf
die Geschlechter verteilt?
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Mit den Resultaten der Bestandsaufnahme gehen wir in die Diskussion: Welche Bedeutung
haben die Resultate für unsere Organisation. Wie beurteilen wir die Resultate?
Der nächste Schritt ist die Gestaltung der Zukunft. Gestützt auf das Urteil über die aktuellen
Geschlechterverhältnisse werden Ziele entwickelt, die in einer bestimmten Zeit erreicht
werden sollen.
Diese Ziele werden in die gesamten Ziele einer Stelle eines Verbandes integriert und
Prioritäten werden festgelegt. Es werden Prozessverantwortliche bestimmt. Die fachlichen,
personellen, und finanziellen Ressourcen werden gesichert. Massnahmen zur Unterstützung
des Prozesses werden festgelegt.
Nach dem Zeitraum wird Bilanz gezogen, erneut mit der 4-R-Methode.
V. Anregungen aus der Praxis
Entwicklungspsychologische und soziologische Fragestellungen
In der kirchlichen Jugendarbeit sind alle Beteiligten aufgefordert, geschlechtsspezifische und
individuelle Aspekte der physischen, psychischen und sozialen Entwicklung zu
berücksichtigen:
Wie wird ein Mädchen zu einer Frau? Wie wird ein Junge zu einem Mann?
Wie können wir Angebote machen, die den Interessen und dem Entwicklungsstand der
Mädchen und Buben jeweils gerecht werden?
Wie können wir sensibel mit den Fragen der geschlechtlichen Identität im Bereich
Homo-/Heterosexualität umgehen?
Wenn es Unsicherheiten in diesen Prozessen gibt: Wie können Jugendseelsorgende
diese wahrnehmen, bewusst machen und die Jugendlichen, Mädchen und/oder Jungen,
begleiten?
Wie können wir durch geschlechtergetrennte Arbeit den Umgang mit dem eigenen und
dem jeweils anderen Geschlecht positiv beeinflussen?
Wie tragen wir zur gerechten Gestaltung von Geschlechterverhältnissen bei?
Anregungen für eine mädchengerechte
Jugendarbeit
aus
der
Sicht
von
Jugendseelsorgerinnen
und
Jugendarbeiterinnen
Wir arbeiten als Jugendseelsorgerinnen in
einer von männlichen Hierarchien geprägten
Institution, die von aussen betrachtet das
genaue Gegenteil von Gendergerechtigkeit
repräsentiert.
Für die Mädchen und jungen Frauen, denen
wir in unserer Arbeit begegnen, stehen
andere Themen im Vordergrund und
kirchliches spielt eine Nebenrolle. Wenn wir
Religion und Kirche nicht explizit zum
Thema machen, wird dies kaum Gegenstand
in der aktiven Mädchenarbeit sein.
Mädchen brauchen nach unserer Erfahrung:
Anregungen zu einer bubengerechten
Jugendarbeit aus der Sicht von
Jugendseelsorgern
Buben und Männer sind «Defizitwesen».
Diesen Eindruck vermittelt häufig die
feministische Sichtweise auf den Mann, so
dass
zu
Beginn
der
80er
die
Männerbewegung begann und Herbert
Grönemeyer’s «Männer» ein weiblich
geprägtes Zerrbild zu schärfen versuchte.
Eine bubengerechte Jugendarbeit zielt nun
darauf, dass Buben ihre Geschlechtsidentität
entwickeln, profilieren und leben lernen.
Bubengerechte Jugendarbeit soll nicht zuletzt
ein Beitrag zu mehr Gender-Gerechtigkeit
sein.
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„Echte“ Vorbilder,
D. h. Frauen, welche sich ihrer Rolle des
„lebenden“ Beispiels bewusst sind und durch
ihre Art im Leben zu stehen, mit Menschen
umzugehen, positive Wegweiserinnen sind;
Vertrauenswürdige Begleiterinnen, die
einfach da sind und ein offenes Ohr haben,
die aber auch warten können und sich nicht
aufdrängen.
Jugendarbeit als Beitrag zur Entwicklung
von eigenen Rollenbildern
Buben können heute auf einseitige,
traditionelle Rollenmuster zurückgreifen.
Aufgrund dessen, dass klare Vorbilder für
neue Lebensweisen fehlen, ist dieser
Rückgriff nicht verwunderlich. Gerade in
einer zunehmend «vaterlosen» Gesellschaft
drängt dieser Aspekt umso mehr zu einer
bubengerechten Jugendarbeit.
Anregung: Jugendseelsorger thematisieren
die Frage des Mannseins in der Jugendarbeit.
Sie bieten Buben selber eine Möglichkeit zur
Diskussion
und
Überprüfung
von
Rollenbildern. Dazu bietet sich das Bedenken
der gesellschaftlichen Entwicklung mit an.
Glaubwürdige Diskussionspartnerinnen,
die ihre Probleme ernst nehmen und
versuchen, ehrliche Antworten zu geben, die
aber auch Fragen stellen, welche die Augen
für die Beeinflussung durch die Konsumwelt
öffnen.
Selbsterkenntnis ist der beste Weg zum
glaubwürdigen Zeugnis
Jugendseelsorger
müssen
um
ihre
Geschlechtsidentität
und
ihre
Identitätsfindung wissen. Nur so können sie
glaubwürdig Buben in der Entwicklung ihrer
Geschlechtsidentität begleiten. In der Replik
entdecken sie die eigene Geschichte des
Mannseins und ggf. den hohen Einfluss von
Müttern auf ihre Entwicklung. Die
Entwicklung des Mannseins darf zudem
nicht
Comichelden
oder
anderen
Supermännern überlassen werden.
Anregung: Jugendseelsorger besinnen sich
auf
ihre
eigene
Kindheitsund
Jugendgeschichte und wissen um das
Männerbild, das sie verkörpern. Sie geben
den Anstoss zum Mannwerden.
Freiräume (z. B. in der Pfarrei), in denen sie
ihre Ideen einbringen und verwirklichen
können, sowie Möglichkeiten sich zu treffen,
jenseits von Familienstress und Kommerz.
Männliche Jugendseelsorger sind anwesend
an Orten, wo männliche Jugendliche sich
bewegen (Fussballplatz, Skaterpark, „vor der
Migros“ etc.).
Wertschätzung für das, was sie sind, und Buben erhalten Wertschätzung dafür, dass sie
nicht für ihr Aussehen, ihr Angepasstsein Buben sind (nicht nur für erbrachte
und ihre Leistungen.
körperliche Leistungen).
Ermutigung, das eigene Leben aktiv zu
gestalten,
aus
einer
Vielfalt
von
Möglichkeiten (Berufe, Lebensentwürfe,
etc.) auszuwählen, Experimente zu wagen
und
aus
weiblichen
Stereotypen
Initiationsrituale ins Mannsein
In der Genderarbeit wird deutlich, wie hoch
der Wert von bewusster körperorientierter
Initiation ist. In der Bubenarbeit sollen
Buben erfahren können, dass sie in der
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auszubrechen
oder
diese
bewusst «Männerwelt» willkommen sind. Ein
auszugestalten.
Initiationsritual dazu fördert Verbindlichkeit,
Körper- und Verantwortungsbewusstsein.
(Thereisa Hlavka/Luzia Wohlgemuth)
Buben entdecken so, dass es Unterstützung
von Männern gibt und dass sie von
erwachsenen Männern «eingeweiht» werden.
Anregung:
Jugendseelsorger
bieten
körperorientierte Initiationsrituale an und
fördern ein selbstverantwortetes Dasein des
jungen
Mannes.
Sie
tragen
zum
Ablösungsprozess von einer primär weiblich
geprägten Erziehung bei.
Die Relation von Aggression und Hingabe
In verschiedenen körperlichen Übungen
können Buben eine neue Art von Kontakt
unter Männern kennen lernen. Das Lernen
von Hingabe in Beziehungsgeschehen ist
dabei die Kultivierung von männlicher
Aggressivität. Durch die Förderung von
Hingabefähigkeit entsteht zugleich mehr
Beziehungs- und Kontaktfähigkeit. Ohne die
Kenntnis von Hingabe enden Beziehung
nicht selten in Aggressivität und Verletzung.
Denn die Ursache dieser Gewalt sind häufig
andere schwer verletzende und doch hilflose
Orientierungsversuche.
Anregung:
Jugendseelsorger
bieten
vertrauensfördernde Massnahmen an, die
Buben zur Hingabe befähigen. Sie zeigen
Buben so ein neues Leitbild für das
Mannsein heute.
(André Böhning/Bruno Fluder)
V. Anregungen für die Praxis
Die Arbeitsgruppe präsentiert einige Anregungen für Angebote zur Anhebung der GenderKompetenz in der kirchlichen Jugendarbeit innerhalb der deutschsprachigen Schweiz
Weiterbildung/Gendertraining
Ziele:
o Sensibilisierung für die eigene geschlechtliche Identität
o Sensibilisierung für die Notwendigkeit von Geschlechterbewusstsein in der
Jugendarbeit
o Wissen um die eigenen je spezifischen Reaktionsweisen Buben und Mädchen
gegenüber
o Motivation zur Schaffung von Buben-/Mädchenprojekten
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Tagungen zu:
o Austausch von Erfahrungen in der Mädchen-/Bubenarbeit
o Tendenzen der weiteren Entwicklung von geschlechterbewusster Arbeit in den
Berufsfeldern
o Angebot von konkreten Umsetzungsmöglichkeiten
Die Weiterbildungsveranstaltungen werden jeweils zusammen mit den Betroffenen
berufsfeldspezifisch konzipiert und durchgeführt: mit Leiterinnen und Leitern, Präses der
Verbände, Jugendseelsorgenden in der Ministrant(inn)enpastoral.
Informations- und Koordinationspool an der Fachstelle
An der Deutschschweizer Fachstelle für kirchliche Jugendarbeit existiert ein Pool.
So kann jeweils auf aktuelle Materialien, Weiterbildungen und Umsetzungsmöglichkeiten
hingewiesen werden.
o Es können Adressen von Fachleuten zu Theorie und Praxis der Mädchen-/Bubenarbeit
bei Bedarf zur Verfügung gehalten werden.
o Es können interne Weiterbildungen für die Verbände und den Juseso-Verein
o organisiert werden, die zugleich weiteren Interessierten offen stehen.
o Ein themenbezogener regelmässiger, aber loser, Kontakt zur Frauen-Kommission
(FRAK) bei der SAJV und zu den „CH-Netzwerken“ Mädchen- resp. Bubenarbeit
(beim DOJ) wird gepflegt. Die in der SAJV erarbeiteten Positionen und Aktivitäten
werden einerseits durch die Verbände gespeist, zum anderen wirken Aktivitäten auf
politischer Ebene in die Verbände zurück.
In Anlehnung an die Ergebnisse und Impulse aus der feministischen Pädagogik, Theologie
und Religionspädagogik sind theoretische Fundierungen und zahlreiche Praxishilfen
entstanden – auch für die antisexistische Jungenarbeit, die noch ausreichend zur Kenntnis
genommen werden müssen.
Zürich, November 2004 D. Foitzik Eschmann
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