Menschen hinter Gittern – Warum die Hand reichen? Brücken bauen Eine Initiative von »SET-FREE« und »ALPHA im Gefängnis« Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Entstehung und Verantwortung von SETFREE. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Die Verbreitung des ALPHA-Kurses in Gefängnissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Gefangensein, Entlassung, Rückfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Die Bedeutung von Spiritualität für den Prozess der Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 ALPHA im Gefängnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Begleitete Selbsthilfe – ENDLICH LEBEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Ehrenamt – Brücke zwischen Strafvollzug und Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Gruppenarbeit in der JVA Straubing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Lernen vom alternativen APAC-Strafvollzug in Brasilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Soziales Engagement von Inhaftierten und Haftentlassenen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Engagement hinter Gittern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Begegnungen mit Vertretern der Kirche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Opfer – Täter – Versöhnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Über die Herausgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Dieses Heft wurde anlässlich des Katholikentags 2014 in Regensburg herausgeben: Vorwort von SETFREE und ALPHA im Gefängnis Mit diesem Heft möchten wir Menschen hinter Gittern, Haftentlassenen, Opfern und Ehrenamtlichen ein Forum geben. Die vorliegende kleine Auswahl von Berichten haben wir als Beispiel dafür ausgewählt, wie Brücken zwischen Strafvollzug, Gesellschaft und Kirche, aber auch zwischen Opfern und Tätern entstehen können. Insbesondere kommen Gefangene aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Straubing zu Wort, die dort an der Emmaus- und Intensiv-Gruppe und am ALPHA-Kurs teilnehmen. Angelika Lang Kriminologin M.A., Dipl. Sozialpädagogin Kommentare und Nach­ fragen richten Sie bitte an [email protected] Pedro Holzhey Postfach 90 06 55 D81506 München Hier können Sie auch weitere Exemplare gegen Übernahme der Portokosten bestellen. Seite 4 Aufgrund ihrer Initiative wird der Verein SETFREE e.V., der diese Gefängnisarbeit koordiniert und leitet, mit dem Aggiornamento-Preis des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK) auf dem Katholikentag 2014 in Regensburg ausgezeichnet. Die Texte geben nicht in jedem Fall die Meinung von SETFREE und Alpha wieder, sondern lediglich die subjektive Auffassung der Verfasser. Da für die Aussagekraft dieser Äußerungen Namen und Orte keine Rolle spielen, haben wir aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes meist nur das entsprechende Bundesland und einen Buchstaben des Verfassernamens angegeben. Die Autoren sind uns jedoch bekannt. Verantwortlich im Sinne des Presserechts für dieses Heft Angelika Lang Winterzhofen 11 D92334 Berching die zugleich SET-FREE-Vorstand und Koordinatorin für ALPHA im Gefängnis ist. Entstehung und Verantwortung von SETFREE Die Grundlagen der Arbeit von SETFREE als Netzwerk für Gefängnisarbeit wurden in der Zeit von 2006-2008 von Angelika Lang (Kriminologin M.A. u. Dipl. Sozialpädagogin), Conny Schöllkopf (Erzieherin u. Studentin Management sozialer Innovation) und Pedro Holzhey (Dipl.Ing. u. Student Betriebswirtschaft f. Non-Profit-Org.) gelegt. Die konzeptionelle Arbeit war eng mit den Erfahrungen aus der Praxis verbunden. 2011 entstand daraus der SETFREE e.V. als gemeinnütziger Träger der freien Straffälligenhilfe, dessen Zielsetzung die Förderung und Verbreitung sozialer Gefängnisarbeit aus dem christlichen Glauben ist. 2008 starteten verschiedene Gruppenangebote für Gefangene in der JVA Straubing (u. a. Emmausgruppe, ALPHA-Kurs, ENDLICHLEBEN-Kurs, Kleingruppen in den Abteilungen und Intensivgruppe). Der Aufbau, die Koordination und Leitung dieses Projekts werden finanziell und personell vom SETFREE e.V. getragen. Wegweisend für die künftige SETFREEArbeit ist die Zusammenarbeit mit der Gefangenenhilfsorganisation APAC in Brasilien und der Kontakt zu den dortigen APAC-Strafvollzugseinrichtungen. Durch deren Erfolge und langjährige Erfahrung wurde die Arbeit von SETFREE seit 2006 bei mehreren, auch längeren Aufenthalten vor Ort inspiriert. 2008 brachte SETFREE das vom APAC-Gründer Dr. Mário Ottoboni verfasste Standard-Werk des APACProgramms auf deutsch unter dem Titel „STRAFTÄTER VERÄNDERN – Eine Einführung in das APAC-Programm“ in den Buchhandel. Im Mai 2013 konnten Ehrenamtliche und Fachkräfte aus dem Bereich Strafvollzug für eine einwöchige Studienreise zu brasilianischen APAC-Strafvollzugseinrichtungen gewonnen werden. Als Ergebnis entwickelte sich eine Initiativgruppe in Deutschland, die sich zum Ziel gesetzt hat, das APACProgramm an europäische Verhältnisse anzupassen und dessen Verbreitung zu fördern. Die Verbreitung des ALPHA-Kurses in Gefängnissen 1994 wurde die englische Gemeinde Holy Trinity Brompton (HTB) von dem Inhaftierten Michael Emmet angeschrieben, weil sich das Leben seiner Freundin durch den ALPHA-Kurs, an dem diese dort teilgenommen hatte, verändert habe. Michael fragte an, ob ein HTB-Team zusammen mit der Anstaltsseelsorge so einen Kurs im Gefängnis Exeter durchführen könnte. Dies wurde dann der weltweit erste ALPHA-Kurs in einem Gefängnis. Michael fand durch diesen Kurs zum Glauben an Gott und begann danach, den christlichen Glauben unter Mitgefangenen weiter zu verbreiten. Aufgrund des britischen Gefängnissystems, in dem Gefangene regelmäßig von einem Gefängnis in das nächste verlegt werden, fragte Michael in jedem neuen Gefängnis die Anstaltsseelsorge, ob sie einen ALPHA-Kurs durchführen könnte. Da dies regelmäßig verneint wurde, regte er an, dass ein HTB-Team gebeten wurde, vor Ort eine Schulung durchzuführen, wie man ALPHA-Kurse veranstaltet. Auf diese Weise verbreiteten Ehrenamtliche von HTB den Kurs in den ersten Jahren. 1997 hatte sich die Arbeit von ALPHA in den Gefängnissen des ganzen Landes verbreitet und von da aus auch zunehmend in anderen Ländern. Emmy Wilson lud Paul Cowley zur Mitarbeit ein und es entstand ein ALPHA-Büro zur Koordination der Gefängnisarbeit. Emmy und Paul gingen auf Geistliche und Regionalpolitiker zu und ermutigten diese, ALPHA-Kurse in ihren Gefängnissen durchzuführen. Es gelang ihnen auch durch die Befürwortung hoher Regierungsmitglieder, staatliche Unterstützung zu bekommen. Für 2014 haben sich 80% aller Gefängnisse in England und Wales als ALPHA-Kursveranstalter registrieren lassen. International ist ALPHA inzwischen auf allen Kontinenten und in den Gefängnissystemen von 70 Ländern verbreitet. In Deutschland werden derzeit in etwa 10 Haftanstalten Alphakurse durchgeführt. Zudem gibt es eine Zusammenarbeit mit Gemeinden, die bereit sind, Entlassene nach der Haft zu integrieren. Seite 5 „ Gefangensein, Entlassung, Rückfall Die erste Nacht in Haft (NRW) … an Nachtruhe und Schlaf war nicht zu denken. Es ist seltsam, hinter einer verschlossenen Tür sein zu müssen und sie nicht öffnen zu können. Beklemmung kommt auf, als mir bewusst wird, dass ich mich nun nicht mehr frei bewegen kann. Ungewohnte Umgebung, ungewohnte Geräusche, Schlüsselklappern, die Schritte der Beamten, Gefangene, die sich durch die Fenster von Zelle zu Zelle zurufen, jemand hämmert vor lauter Langeweile auf die Heizungsrohre… Der Kopf ist übervoll mit Gedanken, warum ich hier bin, wie ich raus kommen kann, wann ich raus komme, halte ich das alles aus, was erwartet mich morgen? Es scheint beruhigend zu sein, dass es ja nicht mehr schlimmer werden kann – oder vielleicht doch? Sorgen und Gedanken um meine Frau kommen hoch. Es ist schlimm, nicht zu wissen, wie es dem Partner geht und wann man ihn wiedersehen kann. Hilflosigkeit macht sich breit. Um 05:30 Uhr wird die Nacht mit einem lauten Klingelsignal beendet, der erste Tag hinter Gittern beginnt. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt geschlafen habe. Alles ist wie ein schlechter Traum, nicht wirklich real …“ „ Was ist wohl schlimmer – zu besuchen oder Besuch zu bekommen? (JVA Bochum) … So schön es auch ist, Besuch zu bekommen, so deprimierend ist es jedes Mal, wenn nach einer halben Stunde schon wieder alles vorbei ist. Vor allem, wenn meine Kinder dabei sind, möchte ich, dass die Zeit nie enden möge… Ich fühle mich nach dem Besuch immer leer und fertig, kann aber trotzdem den nächsten Besuch kaum erwarten. Diese Konfliktsituation ist für meine Familienmitglieder und mich dieselbe. Vor allem für meine Kinder muss der Besuch aufwühlend sein, da wir uns in einer sehr bedrückenden Atmosphäre befinden und an ein halbwegs normales Verhalten nicht zu denken ist. Ich stelle mir die Frage, was wohl schlimmer ist, zu besuchen oder Besuch zu bekommen? Für die Besucher ist es schwer zu gehen und den Besuchten zurücklassen zu müssen. Draußen müssen sie sich dann zusätzlich den Fragen der anderen stellen und haben letztlich doch niemanden, mit dem sie sich wirklich darüber austauschen können. Ich bemühe mich, eine gewisse Normalität in die Besuchssituation hineinzubekommen, aber es geht nicht …“ Seite 6 Resignation – Rückfall – (k)ein Einzelfall (ehrenamtliche Gefängnismitarbeiterin, Hamburg) „… X ist auffällig auf der Station. Er wird verlegt. Wir halten weiter Kontakt zu ihm. Nachdem die Kontaktsperre aufgehoben ist, kommt er sogar wieder in die Gruppe. „Na ja, dumm gelaufen – wenn der mich auch so aufregt, rast ich halt aus,“ ist sein einziger Kommentar. Auch bei X kommt der Tag der Entlassung und er bekommt einen sehr engagierten Bewährungshelfer. Erste Schritte sind geebnet und Unterkunft, wenn auch keine besonders schöne. Behördengänge werden durchgesprochen und wo nötig begleitet. Bald hat X wieder einen Hund bei sich. Umschulung und Arbeitsbeginn sind im Gespräch, werden aber nicht Wirklichkeit – die Stadt wird X zu eng. Er will aufs Land. Dank des Bewährungshelfers zieht sogar das Sozialamt mit. X zieht in ein Mobilheim und auf einen Campingplatz als ersten Wohnsitz! Ein zweiter Hund kommt dazu. X scheint zu beginnen, sich wohl zu fühlen, mäht Rasen, beschneidet Bäume und schielt doch bereits nach einem neuen Mobilheim, will das alte abstoßen. Wir besichtigen das Neue, sehen, dass es oberflächlich schick aussieht, aber eine schlechte, unfertige und schwache Substanz hat. Dennoch muss es genau dieses sein. X zieht um und merkt nach wenigen Tagen, dass er darin nicht leben kann. Auch auf dem Platz gefällt es ihm nun nicht mehr. Der Job bei einer Zeitarbeitsfirma ist auch nicht das Richtige. Die Abstände zwischen unseren Begegnungen werden immer größer. Bei meinen Anrufen nimmt keiner mehr ab. „Ich kaufe einen VW-Bus, pack meine Sachen da rein und der kann dann ja irgendwo stehen, bis ich wieder rauskomme, denn ich muss eh wieder rein…“ Das war der letzte Satz, den ich von ihm hörte …“ „ Ich habe mir alles zu leicht vorgestellt (F., NRW) … als ich nach 23 Jahren Haft entlassen wurde, war ich voller Wünsche und Hoffnungen. Es waren schlichte Wünsche, Arbeit, Wohnung und vielleicht eine eigene Familie. Aber ich war auf die Zeit nach der Entlassung nie vorbereitet worden. Ich hatte mir eingeredet, dass alles selbst schaffen zu können und habe mir alles zu leicht vorgestellt. Kurz nach der Entlassung verstarb meine Mutter. Zusätzlich zu diesem Verlust hatte ich nun noch einen Menschen weniger, der mir hätte helfen können. Es war gut, ihre Wohnung übernehmen zu können, aber es war auch schwer, weil dort alles voller Erinnerungen war. Dann lernte ich eine Frau kennen und dachte, alles wird gut. Arbeit bekam ich allerdings nicht. Also nahm ich das Angebot einer Verwandten an, in der Firma ihres Mannes schwarz zu arbeiten. Es folgte Ausbeutung und Geld bekam ich nur selten zu sehen. Darauf angesprochen, drohte mir meine Verwandte mit der Polizei. Da resignierte ich das erste Mal und gab auf. Vom Arbeitsamt bekam ich eine 6-monatige Weiterbildung, zog sie durch und hoffte danach auf Arbeit. Stattdessen machte man mir dann klar, dass ich schwer vermittelbar wäre und keine Arbeit bekommen würde. Erneute Resignation folgte, der Alkohol begann mir ein „guter Freund“ zu werden und so langsam ging es mit mir bergab. Freunde versuchten, mir zu helfen, schafften es aber nicht, denn ich hatte aufgegeben und den Kopf in den Sand gesteckt. Dann folgte mein erster Selbstmordversuch. Heute sitze ich wieder in U-Haft und die Resignation ist mein ständiger Begleiter. Wenn ich ihn nicht bald loswerde, weiß ich nicht, wo das enden wird …“ Seite 7 Die Bedeutung von Spiritualität für den Prozess der Resozialisierung Für Gefangene kann es einen zentralen Wendepunkt in ihrem Leben darstellen, wenn für sie ein Bezug zum christlichen Glauben beginnt. Sie finden dann die Kraft und auch die Motivation, ihr Leben zu verändern. Sicher braucht es mehr und es sind viele Schritte notwendig, und doch kann ein Zugang zu Gott/Spiritualität oft sehr viel bewegen. Die nachfolgenden Berichte sprechen da für sich: „ Meine Beziehung zu Gott hat sich im Gefängnis grundlegend geändert (Bayern) … für mich war es ein sehr extremer Zustand, als ich mich die erste Nacht in einer Polizeigewahrsams-Zelle wiederfand. Schmerzlich wurde mir jetzt erst bewusst, dass ich etwas sehr Schlimmes getan hatte. Krampfhaft versuchte ich mental, die Zeit zurück zu drehen. Um nicht wahnsinnig zu werden, wollte ich mich in irgendeine schöne Illusion hineinversetzen, aber es gelang nicht. Vor der Haft hatte ich allergrößten Wert auf ein selbstbestimmtes Leben gelegt. Jetzt musste ich mir mit Schrecken eingestehen, dass ich nun ein vollkommen fremdbestimmtes Leben führen muss. Sollte dieser Leidensdruck zu groß werden, nahm ich mir vor, mich selbst davon zu erlösen. Meine Tat hatte ich aus einer sehr schweren seelischen Verwundung heraus begangen. Wie in einem Tunnelblick waren mir die Konsequenzen nicht mehr bewusst geworden. Um im Gefängnis zu überleben, lebe ich überwiegend in der Vergangenheit und doch läuft Leben immer wieder wie ein Film vor meinen Augen ab. Aber nun hat die Beziehung zu Gott eine wichtige Dimension eingenommen. Hauptsächlich nachts und bei Schlaflosigkeit spreche ich Gebete. In Freiheit war ich zwar ein Kirchenbesucher, aber ich hatte keine Beziehung zu Gott. Das hat sich nun im Gefängnis grundlegend geändert …“ Seite 8 „ Ich wartete auf das Alleinsein, das Ausgestoßensein – aber es kam nicht (P., Bayern) … In meinem Leben hatte ich viel Schuld auf mich geladen und es war mir immer schwerer gefallen, mich noch als guten Menschen zu sehen. Hilfe schien nicht mehr in Sicht zu sein und in dem Maße, in dem meine Selbstachtung schwand, wuchs die Verzweiflung in mir. Die für alle Beteiligten beste Lösung schien mir, wenn ich mich selbst aus dem Leben nehme. Als dann in einer scheinbar ausweglosen Situation alles verlorenzugehen drohte, woran mir noch lag, nahm ich einem anderen Menschen das Leben. Mein Leben nach der Tat wurde zu einem Tod auf Raten, zu einem Albtraum. Ich lebte zwar, aber wie tot, vom Gewissen erdrückt, meine Zukunft begraben, am Ende. Ich war gebrandmarkt vor Gott, vor dem Opfer mit seinen Angehörigen und Freunden, vor allen Menschen, als Schlimmster unter den Schlimmen, als einer, der alles verwirkt hatte. So wartete ich auf dieses endlose Alleinsein, das Ausgestoßen-Sein, so, wie ich es verdient hatte – aber es kam nicht… Von der ersten Nacht in Gefangenschaft an ließ mich etwas Höheres nicht los und ich begann, die Tatsache, dass ich zwei Kinder habe, wegen denen ich nicht aufgeben darf, ein zweites Mal als Geschenk Gottes zu begreifen; dieses Mal, um selbst gerettet zu werden. Jeden Tag drangen Zeichen zu mir durch, die – wie ich heute glaube – Zeichen von Gott waren, der mich nicht alleine ließ, und Zeichen von Menschen, die mir sagten: „Ich bin trotz allem da, wenn du mich brauchst.“ Ich durfte erfahren, wie groß es ist, wenn Menschen zwar deine Tat aufs Schärfste verurteilen, nicht aber dich als Mensch. Und erstmals seit langer Zeit begann ich, statt Bitt-Gebeten nun auch Dank-Gebete zu sprechen. Immer wenn weitere Tiefpunkte kamen – und die kommen auch heute nach vielen Jahren noch – bekam ich aber auch Zeichen der Liebe geschickt; und ich bin sicher, das alles kommt von Gott. Mein eigentliches Urteil war nicht das des Richters, sondern meine Schuld gegenüber den Opfern, meine Sünde gegenüber Gott und selbst. Mir selbst konnte ich einfach nichts vergeben. ALPHA im Gefängnis Vorwort zum ALPHA-Kurs Dass meine Opfer mir vielleicht nie werden vergeben können, damit muss ich leben; aber dass Gott mir vergeben würde, das hatte er mich immer wieder wissen lassen. Jedoch stand ich mir noch viele weitere Jahre selbst im Weg. Ich versuchte zwar einigermaßen erfolgreich, ein in Gottes Sinne gutes Leben zu führen und auch Gutes zu tun, doch vergeben konnte ich mir trotzdem nichts. Erst Jahre später im Gefängnis, bei einer Begegnungswoche mit Angelika und Conny, zusammen mit der Anstaltsseelsorge, ließ ich mich ganz tief auf diesen „Prozess“ ein. Und dann konnte ich meinen Widerstand aufgeben und kapitulierte vor dieser unbeschreiblichen Liebe, Barmherzigkeit und Gnade Gottes und ließ sie zu. Ich werde weiterhin für alle Zeit die Konsequenzen meiner Schuld tragen müssen, aber ich kann mich nun wieder so annehmen, wie ich bin. Ich empfinde es so, dass ich von Gott wie an einer unsichtbaren Hand geführt und aufgerichtet worden bin, ich bin wieder aufgestanden. Ich gehe meinen Lebensweg nun im Hören auf Gott und in einer Hinwendung zu Jesus Christus, von der ich möchte, dass aus ihr eine gelebte Liebe wird. Ich spüre an mir selbst und glaube, dass dieser Jesus auferstanden ist und jeden Tag in jedem von uns wieder auferstehen kann – wenn wir an Gott glauben und diesen Glauben auch wirklich leben …“ Der ALPHA-Kurs ist ein Phänomen. „Erfunden“ und konzipiert in der anglikanischen Kirche in den früher 90er Jahren, ist er heute weltweit und in allen Konfessionen zu finden, ein erfolgreiches Konzept missionarischer Gemeindeentwicklung. Beim ALPHA-Kurs werden kirchennahe, kirchendistanzierte Menschen und Skeptiker zu etwa 10 Veranstaltungen eingeladen, bei denen Information, Gemeinschaftserfahrung und spirituelles Erleben ermöglicht werden. Pfarrer Armin Beck Kassel Ziel ist es, dass Menschen verstehen, was es mit dem christlichen Glauben auf sich hat, anderen Christen begegnen und eine ganz persönliche Erfahrung mit Gott erleben. Oft dürfen wir sehen, dass anfangs skeptische oder gar ablehnende Teilnehmer während des Kurses eine solch tief greifende Veränderung erleben, dass sie an dessen Ende mit großer Sicherheit sagen: „Ja, ich bin Christ!“ Gemeinde-Erfahrungen mit der ALPHA-Arbeit Ich selbst kenne ALPHA seit den Anfängen in Deutschland, als wir 1993 einen Kurs unter Studenten wagten. Ich habe dann ALPHA als Gemeindepfarrer eingesetzt und in meiner jetzigen Tätigkeit als Referent bei den Missionarischen Diensten in vielen Gemeinden eingeführt und erstmals durchgeführt. Die Erfahrungen dieser Gemeinden und auch meine eigenen waren durchweg positiv, was ich sonst selten bei einer Form der Gemeindearbeit so sagen kann. Der positive Effekt bei den Teilnehmenden, aber auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und auf das gesamte Gemeindeklima ist nicht zu unterschätzen. Letztlich führt die kontinuierliche Arbeit mit ALPHA-Kursen zu positiver Gemeindeveränderung und Gemeindewachstum. Besondere Erfahrung mit ALPHA im Gefängnis Eine besondere Erfahrung war für mich der erste von mir und der Gefängnisseelsorge in der JVA Kassel initiierte Kurs für Strafgefangene. Ein buntes ökumenisches Team traf sich 2010 ein Mal wöchentlich hinter Gefängnismauern, um sich mit etwa 30 Gefangenen über Themen wie „Warum starb Jesus?“, „Wie kann ich sicher sein, dass ich Christ bin?“ oder „Warum und wie kann ich beten?“ auszutauschen. Unter den Bedingungen des Vollzugs sind die Gefangenen manchmal offener für existenzielle Lebens- und Glaubensfragen als Menschen, die in ihrem Alltag kaum Zeit für die Beantwortung solcher Fragen finden. Dabei klingen zentrale Aussagen des christlichen Glaubens im Gefängnis nochmal ganz anders, wenn wir dort z. B. über Schuld, Vergebung, Freiheit oder Gnade reden. Ich freue mich über jeden Gefangenen, der am Ende von sich sagen kann: „Es ist verrückt, aber gerade hier, in der schlimmsten Zeit meines Lebens habe ich eine persönliche Erfahrung mit Gott gemacht. Ich bin nicht mehr allein. Und auch wenn ich dieses Gefängnis verlassen werde, wird Jesus mir Halt, Trost und Wegweiser in einer Freiheit sein, die größer und weiter ist, als die Befreiung aus meiner Gefängniszelle.“ Seite 9 ALPHA-Kurs im Vollzug der JVA Luckau-Duben Konzeption Ein ALPHA-Kurs im Vollzug ist als Prozess zu verstehen, den Christen gemeinsam mit straffällig gewordenen Menschen gehen. Den Gefangenen werden die Grundsätze des christlichen Glaubens nahe gebracht. Inhaltlich werden christliche und gesellschaftliche Werte in Beziehung gesetzt. Die Gefangenen sollen dadurch eine Möglichkeit erfahren, sich mit schädlichen Verhaltensweisen auseinanderzusetzen. Die Zusammenarbeit der durchführenden ehrenamtlichen Vollzugshelfer mit dem Vollzug wird dadurch intensiviert und gefördert. Übergang in Projekte und Aktionen Im Anschluss an die Veranstaltungsreihe wurden in der Vergangenheit kulturelle Höhepunkt, z. B. Konzerte, Weihnachtsfeiern durch die Gefangenen vorbereitet und realisiert, aber auch soziale Projekte konnten durchgeführt werden. So findet seit 2009 eine „Bastelaktion“ in der Vorweihnachtszeit statt, deren Erlös der Kinderhilfsorganisation JAM gespendet wird. 2012 erfolgte eine „Weihnachtspaketaktion“ für die Kinder von Gefangenen. Für die Gefangenen ist es sehr wichtig, selbst aktiv werden zu können und auch zu erfahren, dass Geben und für andere da zu sein nicht an eine Gegenleistung gebunden sein muss und dennoch ein gutes Gefühl hinterlässt. PSYCHOLOGE UND GUTACHTER EMPFIEHLT ALPHA IM GEFÄNGNIS (Prof. Dr. Helmut Kury, Arbeitsgruppe Forensische Psychologie, Universität Freiburg) „Die von einer christlichen Gruppe in der JVA Freiburg durchgeführten ALPHA-Kurse haben auf einige der Gefangenen, die ich betreue, sehr positive Auswirkungen gezeigt. So sind Veränderungen im Verhalten und im Denken an ihnen feststellbar, welche ihnen helfen können, sich besser wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Auch die Betreuung über den ALPHA-Kurs hinaus, im Rahmen der Vollzugslockerungen bzw. nach der Haftentlassung, fördert und unterstützt die Integration in die Gesellschaft. Aus meiner Sicht ist diese Arbeit mit den Gefangenen sehr wünschenswert.“ Seite 10 Ein Teil der Gefangenen, die den Kurs besuchten, integrierte sich jeweils in die fortführende, 14-tägig stattfindende offene Gesprächsgruppe. Zusammenfassung In der JVA LuckauDuben finden ALPHA-Kurse seit 2009 statt. Dabei waren Gefangene verschiedener Bereiche, auch mit unterschiedlichen persönlichen Problemfeldern, integriert. Es gelang den Durchführenden sehr gut, die Teilnehmer – z. T. auch schwierige Gefangene – zu einer kontinuierlichen Mitarbeit zu motivieren. Besonders hinsichtlich Teamfähigkeit, Kompromissfähigkeit, Toleranz, Kommunikation und Konfliktbewältigung war bei allen Teilnehmern eine sehr gute bis zumindest tendenziell positive Entwicklung zu erkennen. Bei allen Teilnehmern zeigte sich eine Entwicklung hinsichtlich Schuldbewusstsein, Reue und auch dem Gedanken/Bewusstsein, künftig anders leben und keine Straftaten mehr begehen zu wollen. Offenheit und Empathie konnten sich auch bei Gefangenen entwickeln, die ansonsten als verschlossen und eher gefühlskalt galten. Der religiöse Ansatz der Veranstaltung wurde durch die Teilnehmer immer akzeptiert, es blieb aber im Ermessen der Teilnehmer, ob sie sich näher darauf einlassen möchten. Gleichwohl fanden auch Gefangene zum christlichen Glauben und es konnten 2012 und 2013 je eine Taufe in der Gemeinde Zagelsdorf erfolgen. Im Vordergrund standen immer die Probleme der Gefangenen und mögliche Lösungswege. Einige Teilnehmer werden in Einzelgesprächen und einer offenen Gesprächsgruppe weiter begleitet. Ein Teil der Gefangenen konnte auch über die Haftzeit hinaus weiter begleitet werden, sodass die Ehrenamtlichen auch in das Übergangsmanagement/Entlassungsvorbereitung eingebunden waren/sind. Die Anstaltsleitung der JVA LuckauDuben und der Sozialdienst als Ansprechpartner unterstützten die Kurse und daran angebundene Projekte von Beginn an,zeigten sich dabei sehr flexibel und offen, sodass sich eine gute Zusammenarbeit entwickeln konnte. Hervorgehoben wird, dass die ehrenamtlichen Kursleiter stets die Zielsetzungen des Vollzuges (bzgl. der einzelnen Gefangenen) beachten und stärken, z. B. auch Fehlverhalten von Gefangenen thematisieren und in Bezug zu den Kursinhalten setzen. Seit 2013 findet ein ähnlicher Kurs im offenen Vollzug in der Außenstelle Spremberg statt. „ Der ALPHA-Kurs führte mich wieder zum Glauben (P.) ALPHA-FEEDBACK VON GEFANGENEN AUS BRANDENBURG (JVA LUCKAU-DUBEN) „… Ein sehr gutes soziales Ereignis…“ „… Die ganze Atmosphäre ist gut und ich komme sehr gerne wieder …“ „… Soziales Miteinander auf einer sehr respektvollen Ebene …“ „… Hier kann ich mich öffnen und so sein, wie ich bin …“ „… Das gemeinsame Singen, Beten und auch das Auslegen der Bibel mag ich …“ „… Jede Woche freue ich mich auf den Alphakurs, er gibt mir Mut und Kraft …“ „… Der Kurs ist für mich wie eine kleine Familie, wo ich akzeptiert werde und man mir auch zuhört, wenn es mir schlecht geht …“ „… Hab früher vieles negativ gesehen, finde aber heute wieder, dass das Leben doch einen Sinn macht …“ „… Meine Sicht auf die Probleme anderer und welche Hilfe sie brauchen, wird besser …“ „… Das gemeinsame Essen ist eine gute Begleitung und das Segnen gibt Hoffnung …“ „… Verkümmerte Gefühle werden freigelegt und ich lebe bewusster …“ Geglaubt habe ich schon immer irgendwie, aber ich habe es nie erlebt und habe nur an Jesus gedacht, wenn es mir irgendwie schlecht ging. 2009 kamen Angelika und einige Ehrenamtliche zu einer Begegnungswoche in unser Gefängnis. Am Anfang interessierte mich das nicht, aber ein Mitgefangener überredete mich, mitzukommen. Ich spürte sofort, dass da etwas ist, das mich anspricht. Als am Ende dieser Woche, die leider viel zu schnell verging, auf den ALPHAKurs hingewiesen wurde, war mir sofort klar, dass ich teilnehmen würde. Dieser Kurs führte mich wieder richtig zum Glauben. Der Kurs füllte mich so richtig aus und mein Glaube wuchs von Tag zu Tag. Ich spürte, dass es das war, was mir jahrelang in meinem Leben gefehlt hatte. Nun spürte ich auch, dass ich das dem mir wichtigsten Menschen, meiner Verlobten, mitteilen musste. Das machte mir Angst, weil ich nicht wusste, wie sie reagieren würde, denn sie kannte mich jahrelang anders – als einen Menschen, der von heute auf morgen lebt, der Drogen nimmt und viel an sich selbst denkt. Ich schrieb ihr also einen Brief und sagte ihr, dass ich zu Jesus gefunden habe und nun danach leben will. Es folgte eine Woche des Wartens und dann kam ihr Antwortbrief. Zu meiner Überraschung freute sie sich für mich und will mich auch in dieser Hinsicht unterstützen. Als ich das las, fühlte ich mich so glücklich wie lange nicht mehr und wusste, dass nun alles gut wird, da Jesus in meinem Leben ist und mich führen wird. Ich habe 31 Jahre (davon 12 in Haft) gebraucht, um das zu erkennen. Aber ich habe jetzt innerlich neu angefangen zu leben, und das ist das Wichtigste. Ich weiß: Jesus liebt mich und ich liebe ihn …“ „ Im ALPHA-Kurs werde ich wieder Mensch (Bayern) … Ja, der ALPHA-Kurs ist wirklich sehr gut und tut mir auch gut. Ich spüre, wie mein teilweise versteinertes Herz wieder aufblüht, ich werde wieder Mensch. Das Gefühl kann ich nur ganz schwer beschreiben. Zum Einen ist es ein so schönes Gefühl, wenn ich in der Gemeinschaft bin. Aber es macht mich auch oft richtig traurig, denn wenn ich dann abends in meiner Zelle bin, denke ich viel nach. Dann wird mir richtig bewusst, wie vielen Menschen ich in meinem Leben richtig weh getan habe. Es kommt dann vor, dass ich deswegen weine, weil ich diesen Schmerz spüren kann. Aber genauso spüre ich auch wieder neu die Schmerzen, die mir zugefügt worden sind. Mit diesen Emotionen umzugehen, ist nicht gerade leicht. Ich bete dann zu Gott und bitte um Verzeihung und dass er mich ab jetzt leitet. Das ist das, was ich mir so richtig von Herzen wünsche …“ Seite 11 Begleitete Selbsthilfe – ENDLICH LEBEN ENDLICHLEBEN im Gefängnis Roselinde Bühl ehrenamtl. Mitarbeiterin, München Die Not zeigt sich vor der Haustür und man ist geneigt, sie den Fachkräften zu überlassen. Wie jedoch mit ENDLICHLEBEN-Gruppen z. B. jede Gemeinde „niederschwellige“ Diakonie selbst anbieten kann, berichtet Pfarrer Helge Seekamp, Öffentlichkeitsbeauftragter des Netzwerks endlichleben.net: „Als wir vor 15 Jahren eine christliche Kulturkneipe starteten, hatten wir plötzlich Kontakt mit vielen Menschen und ihren Nöten und Problemen. Unterschiedlichste Süchte fielen uns ins Auge. Das war für uns die Motivation, das Gruppenprogramm ENDLICHLEBEN zu entwickeln. Es ist für Christen und Nichtchristen ein Lichtblick für tief greifende Lebensänderungen.“ Zwänge, Süchte, Lebensmuster Kennen Sie das: Ihnen fallen immer wieder Leute auf, die nicht mit ihrem Alltag zurechtkommen. In Hauskreisen gibt es normalerweise wohlmeinende Mitglieder, die mit schlichten Ratschlägen versuchen, seelsorgerliche Hilfe zu geben. Das kann auch streckenweise helfen, aber oft stehen die Betroffenen bald wieder vor der Tür. Oft auch wieder mit dem gleichen Dilemma. Sie können ihre Lebensmuster, die sie meist schon als Kinder aus ihrer Ursprungsfamilie mitgebracht haben, nicht einfach so, nur mit gutem Willen ändern. Es bleibt für sie alles zu kompliziert. In Gemeinden und Gefängnissen Hier greift die ENDLICHLEBEN-Gruppe. Dieses Modell hat sich seit 1994 in unterschiedlichen Gemeindetypen unterschiedlicher Konfessionen bewährt und auch immer mehr in Gefängnisgruppen. Mittlerweile wurde das zugehörige Arbeitsbuch über 16.000 Mal verkauft und jährlich gibt es etwa 500 Gruppenteilnehmer. Wir bekommen erstaunliches Feedback, selbst aus den Gefängnissen. Seite 12 Menschen landen oft nicht zuletzt dadurch im Gefängnis, weil sie durch ungute Problem- und KonfliktlösungsStrategien und Überlebens-Mechanismen sich selbst und anderen schaden. In Haft verstärken sich diese Mechanismen durch den negativen Einfluss der Subkultur, die gesellschaftliche Normen ablehnt. Bei anderen werden sie verstärkt durch Schuld- und Schamgefühle. Rückzug, Isolation und Vereinsamung sind die fast unausweichlichen Folgen. Hinter Gittern erfahren sie dann Misstrauen, Abgestempeltsein, dass sie nur noch durch ihre Tat(en) definiert werden, Frustration, Beziehungsabbruch und wenig/keine Liebe. Hier bewährt sich die ENDLICHLEBEN-Arbeit als ganz praktische Lebenshilfe. Vorausgegangen sind eine ENDLICHLEBEN-Gruppe im Gefängnis meist schon andere Angebote, die Gefangene für einen Neuanfang motivieren und öffnen. ENDLICHLEBEN-Gruppen sind für diejenigen geeignet, die gewillt sind, an sich zu arbeiten und sich zu verändern. Die Rückmeldungen aus den bisher stattgefundenen Gruppen sind sehr ermutigend, denn sie sind geprägt von Neuanfang und Hoffnung! „ Mein Hass hat sich in Liebe umgewandelt (R., JVA Straubing) … Neben Gott ist mir die Emmaus-Gruppe im Gefängnis das Wichtigste geworden, das hat mir all die Jahre gefehlt. Ich bin Gott und euch so dankbar für das, was hier entstanden ist. Seit ihr letztes Jahr beim Besuch vor der Gruppe für mich gebetet habt, da hat es richtig krass KLICK bei mir gemacht. Über die Monate, in denen ich am ENDLICHLEBENProgramm teilnahm, fand nun ein unbeschreiblicher Aufbruch bei mir statt. Sogar meine Mutter sagte, dass sich all mein Hass in Liebe umgewandelt hat und sie darüber überglücklich ist. Na ja, meine Mutter kennt mich am besten, grins! Mir ist dieser neue Weg total wichtig geworden. Für mich hat dieses Jahr absolut viel gebracht. Was ich bei euch gelernt und von Jesus geschenkt bekommen habe, will ich anderen weitergeben …“ „ Lebenslänglich – und doch kann ich „endlich leben“ … Als Kind bin ich gläubig aufgewachsen, habe regelmäßig gebetet, aber Schicksalsschläge, Todesfälle und Enttäuschungen nahmen mir den Glauben. So lebte ich dann über 20 Jahre abgewandt von Gott. Dann kam der Tag, an dem ich den mir liebsten Menschen tötete. Wie von Sinnen war ich, griff zu Drogen und versuchte drei Mal Selbstmord. Dann keimte erstmals ein Gedanke in mir auf: „Es muss etwas Höheres dahinterstehen, das nicht will, dass auch ich sterbe.“ Total leer zwar und an nichts mehr glaubend, kamen mir aber dann doch Gott und Gebete in den Sinn – so ging ich in die Kirche – gigantische Stille, Atmosphäre mit Gott, mir kamen die Tränen. In der Haft dann wollte ich keinen Psychologen, aber ich vertraute mich einem Seelsorger an, immer wieder. So begann ich zu spüren, dass jedes Leben zu wertvoll ist, um es zu vergeuden. Es gibt eben doch jemand, der nicht will, dass ich mir ans Leben gehe, der will, dass ich wieder an mich selbst glaube. Ich nahm an dem Glaubens-Grundkurs „ALPHA im Gefängnis“ teil und war überrascht. Vieles war zwar neu für mich, aber ich konnte es nun annehmen, verstehen, lernen, verinnerlichen. Die Gruppe, die Gemeinschaft im Interesse am Glauben, die Gebete, all das begann mir Mut und Kraft zu geben. In der anschließenden Gruppenarbeit konnte jeder offen reden, und so wuchs in mir Vertrauen. Sowohl die hauptamtlichen Seelsorger als auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter(innen) und die Mitgefangenen, die Gruppenleiter waren, ertrugen die Belastungen durch all unsere „Fälle“ und machten einen vertrauensvollen Austausch möglich; sie setzten sich ohne Ansehen der Person oder der Tat für jeden ein, und nun konnte ich loslassen, was mich quälte. Später begann ich sogar, mein Leben aufzuarbeiten und als dann die 12Schritte-Gruppe ENDLICHLEBEN anfing, ließ ich mich darauf ein. Sie wurde mir zu einer echten ÜberLebenshilfe. Noch nie hatte ich mich derart mit meinem Leben beschäftigt und nun begleiteten sogar andere mich dabei – das tat mir gut. Schrittweise wuchsen in mir wieder Selbstvertrauen und das Vertrauen in Gott und ich konnte alles aus meinem Leben auf den Tisch legen, konnte mir helfen lassen und auch anderen helfen – tätige gegenseitige Bereicherung. Jetzt, lange Zeit später, merke ich erst, was für einen Weg und Prozess ich da gegangen bin, von dem Tag, an dem alles zu Ende schien, bis heute.Trotz „lebenslänglich“ habe ich nun mit ENDLICHLEBEN wieder zurück ins Leben gefunden. Ich weiß nun, dass Gott mir helfen will, all das heil zu überstehen, und mit ihm und den Menschen in Beziehung zu bleiben. Ich bin überzeugt, dass dazu auch Wiedergutmachung gehört und das Gute zu tun. Ich habe nun keine Angst mehr…“ „ Der Kurs hat mein Leben bereichert (Denis, München) … Ich möchte mich bei euch bedanken, dass ihr mein Leben in den letzten Monaten enorm bereichert und meine Haftzeit viel erträglicher gemacht habt. Ich bin froh und dankbar, so aufgeschlossene, intelligente, humorvolle, hilfsbereite und vor allem gläubige Menschen in dieser „Klausur“ getroffen zu haben. Unsere ENDLICHLEBEN-Gruppe hat mir immer das Gefühl gegeben, mich außerhalb jeglicher Haft zu bewegen. Auch mein Blickwinkel für das Leben hat sich sehr verändert und mein Gefängnis-Aufenthalt hat mir schon mehr gegeben als genommen. Ich bin sicher, von den hier gesäten Gedanken künftig ergiebig ernten zu können. Ich danke euch, dass ihr durch eure Offenheit und euer Verständnis dazu beigetragen habt, dass ich den Blick für die wesentlichen Dinge des Lebens wiedergefunden habe und ich danke dem Herrn, dass er mir in Seiner unvorhersehbaren Großzügigkeit noch eine weitere Chance gegeben hat, die Initiative für ein aufrichtiges und wertvolles Leben zu ergreifen. Ich hoffe sehr, dass ihr durch eure großartige und wichtige Gefängnisarbeit hier noch vielen Menschen die Möglichkeit geben könnt, durch ein persönliches Umdenken zum Neu-Denken zu gelangen …“ HERR, GIB MIR DIE GELASSENHEIT, DINGE HINZUNEHMEN, DIE ICH NICHT ÄNDERN KANN, DEN MUT, DINGE ZU ÄNDERN, DIE ICH ÄNDERN KANN, UND DIE WEISHEIT DAS EINE VOM ANDEREN ZU UNTERSCHEIDEN. Seite 13 Ehrenamt – Brücke zwischen Strafvollzug und Gesellschaft „ 15 Jahre Haft – Ohne das Engagement vieler Ehrenamtlicher wäre ich irgendwann gestorben (Herbert) … Seit 1965 war ich insgesamt 15 Jahre in den unterschiedlichsten Gefängnissen in Haft wegen Diebstahl, Einbruch, Betrug, Unterschlagung, Erpressung, Zuhälterei und Körperverletzung – und jedes mal zu Recht. Seit 1988 kann ich nun straf- und drogenfrei leben und danke Gott und den vielen Menschen, die mich dabei begleitet haben und heute noch begleiten. Neben vielen Missständen und menschenunwürdigen Umständen gab es früher keinerlei Angebote, wo ich als Gefangener die Chance gehabt hätte, meine Lebenseinstellung nach bürgerlichen Wertvorstellungen zu ändern. Einiges hat sich im Lauf der Jahrzehnte verbessert, aber auch heute noch bleibt z. B. fachliche Begleitung von Psychologen und Therapeuten auf der Strecke. Gegen Alkoholsucht, Spielsucht und Sexsucht, die mich prägten, gab es damals keine Hilfe und es sieht heute nicht viel besser aus. Stattdessen umgaben mich Lieblosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Aggressionen und die kranken Strukturen verschiedenster Süchte. Erst als ich die Ehrenamtlichen der Emmaus-Bewegung und von den ANONYMEN ALKOHOLIKERN kennenlernen durfte, gelang es mir, mich mit meiner Schuld, meinen Süchten, der Reue und dem Thema Wiedergutmachung auseinanderzusetzen. Drei Jahre ging ich in diese Gruppen und fühlte mich dort erstmals als Mensch und Hilfesuchender voll angenommen. Irgendwie hatte ich eine neue, liebende Familie gefunden. Mit deren Hilfe konnte ich auch nach der Entlassung privat und beruflich sehr gut Fuß fassen. Ich wäre irgendwann in irgendeinem Gefängnis oder auf der Straße im Milieu gestorben, wenn es nicht dieses Engagement vieler Ehrenamtlicher gegeben hätte. In Freiheit ging ich dann nicht nur weiter in diese Gruppen, sondern gründete auch selbst welche und gehe nun schon seit 20 Jahren als Ehrenamtlicher in zehn verschiedene Gefängnisse, um sowohl von meinem Leben zu erzählen als auch feste wöchentliche Gruppen zu begleiten. Seite 14 Aus meiner langen Erfahrung kann ich deutlich sagen, dass durch Politik, Justiz und Kirchen viel zu wenig in den Gefängnissen getan wird, um von Resozialisierung zu sprechen. Nach langer Zeit des Ehrenamtes weiß ich sicher, dass viele Gefangene nicht mehr rückfällig werden würden, wenn wir, die Gesellschaft, ihnen mit Liebe und fachlicher Kompetenz begegnen würden. Wir brauchen nicht immer höhere, sondern sinnvollere Strafen, das wäre nach meiner tiefen Überzeugung auch der beste Weg zur Hilfe für Opfer und zum Schutz der Gesellschaft. Wenn weiterhin Strafe und Gewalt den Vollzug dominieren, erzeugt dies nur wieder Gewalt und noch mehr davon. Viele Menschen jammern über die Wirtschaftskrise, aber ich bin davon überzeugt, dass die größte Krise unserer Gesellschaft die fehlende Liebe und Barmherzigkeit ist, gerade auch zu den Menschen an ihrem Rand. Zur Mithilfe an einer besseren Zukunft rufe ich alle auf, Politik, Justiz, Kirchen, Gefangene, Haftentlassene und jeden Bürger, der den Mut aufbringt, sich einzusetzen, zu fordern und zu fördern. Opfern und ehemaligen Tätern wird dies ebenso helfen, wie es neue Opfer vermeiden helfen wird. Es gibt viel zu tun, packen wir es an, ich bin dabei! …“ „ Ehrenamt in der JVA Straubing (von Edith Schmid, ehrenamtl. Mitarbeiterin, JVA Straubing) Regelmäßig ein Mal im Monat bin ich in der JVA Straubing und fahre jedes Mal sehr gerne dorthin. Am Nachmittag besuche ich Gefangene, die mir mittlerweile sehr vertraut sind, und am Abend bin ich dann als ehrenamtliche Mitarbeiterin bei den verschiedenen Kursen, z. B. Emmaus, ALPHA, ENDLICHLEBEN. Vor drei Jahren hätte ich mir das noch nicht vorstellen können, und es waren viele Fügungen nötig, bis ich 2011 zum ersten Mal im Besucherraum in der JVA Straubing saß und einen sehr netten, liebenswürdigen Mann kennenlernen durfte, der mehr als 30 Jahre seines Lebens in Gefängnissen verbracht hatte. Seine Lebensgeschichte und seine Lebensveränderung, die er seit dem Kontakt mit der Gruppe erfahren durfte, haben mich so sehr berührt, dass ich daraufhin beschloss, den SETFREE e.V. und seine soziale Gefängnisarbeit aus dem christlichen Glauben zu unterstützen. Der Gefangene ist nun seit mehr als zwei Jahren in Freiheit und seitdem auch straffrei geblieben, was er vorher nie geschafft hatte bzw. schaffen konnte. Vor den Besuchen in der JVA Straubing dachte ich immer, bei mir sei alles in Ordnung, was aber eigentlich nicht stimmte. Gerade die Offenheit und Selbstkritik der Gefangenen in der Gruppe machten mir deutlich, wie selbstgerecht ich bisher eingestellt gewesen war. Viele von uns neigen zur Selbstgerechtigkeit, verurteilen schnell und schauen auf andere herab. Eine besonders betroffene Zielgruppe sind dabei sicher die Strafgefangenen, bei denen ja bereits die Justiz ihre Schuld nach Recht und Gesetz festgestellt hat – das macht es dann leichter, über eigene Schuld und Versagen hinwegzusehen. Wenn ich jetzt durch die Gänge der JVA gehe, sehe ich die Gefangenen mit anderen Augen und frage mich, was hat sie hinter Gittern gebracht und wie hätte das verhindert werden können? Bei der Begleitung dieser Menschen, die zum Teil auch neuen Halt und Ausrichtung im Glauben suchen und finden, wird aber auch die Bibelstelle lebendig, in der es heißt, dass für den, der sich Gott zuwendet, das Alte vergangen ist und Neues wird. Jedenfalls bin ich fest davon überzeugt – und einige ermutigende Erfahrungen bestätigen dies – dass Gefangene mit Begleitung und Hilfe durch Menschen von draußen einen besseren und guten Weg zurück in die Gesellschaft schaffen werden …“ „ Sexueller Missbrauch – und für so einen opfert ihr eure Zeit ?! (JVA Straubing, Brief an einen Ehrenamtlichen) … Vielen Dank für die Vermittlung des Kontakts zu dem ehrenamtlichen Mitarbeiter. Sein Brief an mich war eine sehr schöne Überraschung, über die ich mich ganz arg gefreut habe. Es ist für mich nicht einfach zu schreiben. Seit eineinhalb Jahren bin ich in Haft, verurteilt wegen sexuellen Missbrauchs. Das erklärt, warum niemand etwas mit mir zu tun haben möchte. Durch dieses Delikt bin ich zum Außenseiter geworden. Keiner meiner Familie oder Freunde will noch etwas mit mir zu tun haben. Ich bin seit 23 Jahren verheiratet und habe Kinder. Nun hat meine Frau die Scheidung eingereicht und in den nächsten Wochen wird es wohl so weit sein. Ich bin noch keine 50 Jahre alt, aber schon zweimal Opa geworden. Doch leider werde ich nun meine Enkel nie mehr sehen. Es wäre schön, wenn du mir trotz meines sehr schlimmen Delikts die Chance geben würdest, dass wir uns kennenlernen können. Bitte versteh diesen Brief nicht als Gejammer – ich bin selber schuld und bereue meine Taten sehr. Ich schäme mich, dir darüber zu schreiben. Aber ich bin der Meinung, wenn ein Mensch wie du seine Zeit opfert, dann sollte er von Anfang an wissen, mit wem, bzw. für wen er das macht. Mit der Kirche hatte ich draußen nichts „am Hut“ und bin nach wie vor eher negativ eingestellt. Allerdings glaube ich an Gott und seinen Sohn Jesus Christus. Ich will mein künftiges Leben im Sinne des christlichen Glaubens leben und finde im ENDLICHLEBEN-Programm viele Antworten auf „Sachen“, die in meinem bisherigen Leben falsch von mir waren. In unserer Kleingruppe im Gefängnis, die von zwei Mitgefangenen geleitet wird, mache ich sehr gerne mit und freue mich jede Woche darauf. Es ist sehr schön, dass diese Gruppenarbeit angeboten wird. Sie hilft mir auch, meinen Glauben zu festigen und zeigt mir, dass es Menschen mit ähnlichen Erfahrungen auf dem Glaubensweg gibt. …“ Seite 15 Gruppenarbeit in der JVA Straubing Die JVA Straubing ist ein Hochsicherheitsgefängnis, in dem Gefangene mit langen Haftstrafen und Sicherungsverwahrte untergebracht sind. Seit 2008 können dort verschiedene Angebote gemacht werden: »» Emmausgruppe 14-tägig bieten ehrenamtliche Mitarbeiter(innen) dort verschiedene, aufeinander aufbauende Kurse an (ALPHA-Kurs, ENDLICHLEBEN, Vermittlung von Werten), die zu einer Neuorientierung des Lebens motivieren sollen. »» Selbsthilfegruppen Gefangene werden aktiviert, die Inhalte der Emmausgruppen zu vertiefen. Sie führen eigenständig Kleingruppengespräche in ihren Abteilungen durch und üben so problemlösende Kompetenzen ein. »» Intensivgruppe Gefangene, die sich für Mitinhaftierte engagieren und Kleingruppen in den Abteilungen leiten, werden speziell als Multiplikatoren des Programms gefördert und geschult. »» Einzelbegleitung Die Gefangenen werden in ihrem Entwicklungsprozess durch ehrenamtliche Mitarbeiter(innen) begleitet und unterstützt, die speziell für diese Aufgabe aus- und weitergebildet werden. »» Unterstützung bei der Haftentlassung Gefangene, die eine Bereitschaft zeigen, verbindliche Beziehungen einzugehen, werden bei der Entlassung unterstützt und in christlichen Gemeinden, Selbsthilfegruppen oder gesellschaftlichen Initiativen eingebunden. Als herausragend kann betrachtet werden, dass es gelungen ist, Gefangene zu motivieren, selbst aktiv zu werden, dass sie beständig seit 2008 eigene Kleingruppen in den Abteilungen anbieten und selbst aktiv werden, andere Gefangene zu einer Teilnahme an den Gruppen zu motivieren. Die eigene Mitwirkungsmöglichkeit fördert einen Prozess der Identifikation und öffnet damit die Gefangenen für Veränderungsprozesse. Zudem kann das soziale Engagement für Mitgefangene auch als Wiedergutmachungs-Bestreben gesehen werden. Im Folgenden nun die Berichte von Gefangenen aus der JVA Straubing: Seite 16 Meine Veränderung durch die Straubinger Grup­ pen – Rückmeldung am Jahresende: MN: „Als Veränderungen bei mir und in meiner Sichtweise bemerkte ich besonders, dass ich in meinem Alltag nun so manches loslassen konnte. Mein Kontrollzwang – mich, andere und Situationen beherrschen zu müssen – verlor an Bedeutung. Dadurch wurde ich sensibler gegenüber mir selbst sowie gegenüber meinem Lebensumfeld und meinen Mitmenschen. Als Folge davon wurden auch meine Bewertungskriterien gegenüber anderen neutraler. Zudem gelangte ich an »das Böse« in mir. Jedoch konnte ich gerade deswegen mich selbst als Ganzes mehr annehmen. Meine Beziehung zu Jesus wurde viel lebendiger, echter und authentischer. Dies war für mich das Wesentliche, das ich als »Lernfaktor« aus dem letzten Jahr mitnehmen durfte.“ GW: „Die Lethargie ist raus, ich habe wieder Ziele vor Augen und erreiche sie auch. Ich kann besser mit anderen Menschen klarkommen und gehe jedes Mal mit einem besseren Gefühl aus der Gruppe heraus, als ich hineingegangen bin. Einer von der Gruppe wurde mein erster Gesprächspartner, der »Vater«, den ich nie hatte. Heute hole ich mir auch die Meinungen anderer ein und ziehe nicht mehr über andere Menschen her, kann Konflikte friedlich lösen, kommuniziere besser und kann andere besser stehenlassen. Früher hatte ich mich bis hin zur Hörigkeit beeinflussen, mich sogar als Rachewerkzeug missbrauchen lassen. Unter 800 Gefangenen Einzelne zu finden, mit denen man Freundschaft leben kann, ist richtig toll und das tut mir in der Gruppe einfach gut.“ MS: „Das Wichtigste war für mich, dass ich mich durch die Gruppe stabilisieren konnte. Besonders in der Kleingruppe verstehen wir uns gut. Ich konnte mein Ich wiederfinden und den Umgang mit dem Glauben an Gott.“ KS: „Da ich in letzter Zeit massive Schwierigkeiten mit der Anstalt hatte, war ich um die große Unterstützung, die ich in Gott, der Gruppe und den Ehrenamtlichen erfahren durfte, sehr froh. Gott hilft mir nun jeden Abend, zur Ruhe zu kommen, sodass ich gut schlafen kann. Das Umsetzen der 12-Schritte [Anm. d. Red.: Aus dem ENDLICH-LEBEN-Programm] in meinem Alltag ist mir wichtig. Überreaktionen wurden wesentlich seltener und weniger heftig. Sehr froh stimmt mich, dass ich mit anderen zusammen Kleingruppe auf der Abteilung machen darf.“ GW: „Ich bin der Berufsrebell. Wer mir in der Gruppe Respekt abgerungen hat, sind die zwei jüngeren Ehrenamtlichen gewesen, weil sie locker und ehrlich von ihrem Glauben sprachen, ohne Missionsdruck. Am Anfang befürchtete ich, dass sie mich »katholisch machen« wollten. Nun danke ich euch, denn ihr habt niemanden bedrängt.“ SG: „Ich habe es von Anfang an als schön empfunden, wie mir die Ehrenamtlichen das Gefühl geben, dass ich angenommen bin. Sie haben alle eine offene und herzliche Art und ich fühle mich jedes Mal nach der Gruppe besser als vorher. Ich reagiere nicht mehr so ärgerlich wie früher, rege mich nicht mehr so auf, kann mich eher zurücknehmen und es gut sein lassen – das konnte ich früher gar nicht. Dafür will ich Danke sagen.“ Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin: „Es fällt mir auf und ich spüre, dass die Wahrhaftigkeit gewachsen ist. Nirgendwo draußen höre ich so viel Wesentliches, wie hier bei euch. Das bringt mich zum Staunen, zum Respekt und in Dankbarkeit, dass das möglich ist. Ich danke euch auch für die schöne Geburtstagskarte, durch die ich euch wie eine Familie um mich herum fühlte. Diese kleinen Zeichen sind oft sehr wertvoll.“ MS: „Als ich nach Straubing kam, wollte ich meinen Glauben vertiefen und mit anderen über Gott und Jesus sprechen. Deshalb war ich sehr glücklich, hier diese vielen Leute aus der Gruppe und in der Kleingruppe in meiner Abteilung zu finden. Die Gruppe gibt mir etwas wie Familie, jemand denkt an mich. Wir sind zusammen, es kommt auch mal zum Streit über Kleinigkeiten, aber eben wie in einer Familie. Wir versuchen einander zu helfen, mit guten Worten, aber auch mit Taten. Es ist zwar sicher ein langer Prozess, aber ich sehe schon jetzt die Auswirkungen dieser guten Taten.“ Seite 17 „ Erster Besuch nach 8 Jahren Haft W., JVA Straubing … in den ersten Jahren bekam ich noch von Freundinnen Besuch. Es zerriss mich jedes Mal, wenn die Besuchszeit vorbei war. Dieses Auf und Ab der Gefühle hätte mich im Lauf der Zeit kaputt gemacht. Mit der Zeit wurden die Besuche immer weniger, bis niemand mehr kam. Einige Jahre dachte ich, es sei ganz gut so, dann kommt nicht jedes Mal der Trennungsschmerz hoch, wenn die Besuchszeit vorbei ist. So wurde diese Zeit hinter Mauern leichter zu ertragen – dachte ich zumindest. Aber es ist ein schlimmer Trugschluss, denn ich bin innerlich langsam gestorben. So lebte ich acht Jahre ohne Besuch und Kontakt zur Außenwelt, bis ich merkte, dass ich etwas an meiner Situation ändern muss, sonst gehe ich in diesem stupiden Knastalltag zugrunde und bin in diesem lieblosen Trott verloren. Gott sei Dank hatte ich das Glück und durfte vor zwei Jahren die Mitarbeiter der Emmaus- und Intensivgruppe in der JVA Straubing kennenlernen und fand durch die Gespräche und Gruppen, die hier angeboten werden, auch zum christlichen Glauben. Von dieser Zeit an hat mich das Gefühl verlassen, lebendig begraben zu sein. Ich bekam ein neues Leben! An meiner Haftsituation hat sich nichts geändert, da ich immer noch nicht weiß, wann ich entlassen werde. Aber der Knasttrott hat sich vom negativen Denken in ein positives tägliches Leben verändert. Ich habe mich auch dem christlichen Glauben zugewandt und seitdem gehe ich voll Hoffnung durch das Leben hier im Gefängnis. Ich freue mich auf jeden Besuch, der mich für diese Zeit am Leben außerhalb der Mauern teilhaben lässt. Der menschliche Kontakt hat für mich eine lebenswichtige Bedeutung bekommen; ohne ihn kann ich mir das Leben hier nicht mehr vorstellen. Aus den Besuchen der lieben Menschen hier schöpfe ich die Kraft, die schwere Zeit in diesen dunklen Mauern zu überstehen…“ [Und an den ersten Besucher nach dieser langen Zeit hatte W. geschrieben:] „…in meinen Gedanken ist nach dem Besuch von dir alles drunter und drüber gegangen. Ich bin heute noch überrascht, dass ich so schnell Vertrauen fassen und dir diese Dinge sagen konnte. Dass es da einen Menschen gibt, der für mich gebetet hat, ist schon ein seltsames Gefühl. Das bringt mich in meinem Innersten ganz schön durcheinander. Einerseits freue ich mich darüber, andererseits bin ich schon etwas erschrocken, dass mich das so berührt und mir nahe geht. Es ist wahrscheinlich so, dass ich mich erst noch daran gewöhnen muss, das es jemanden gibt, in dessen Gedanken ich vorkomme …“ Seite 18 „ Durch diese Menschen und mit Gottes Hilfe habe ich wieder eine Zukunft G., JVA Straubing: … Als ich vor 16 Jahren in U-Haft kam, machte ich mir wenig Gedanken über das, was kommen könnte. Meine Familie stand hinter mir, ich hatte einen guten Anwalt und genügend Geld für den Einkauf. Selbst als ich zu 4 ½ Jahren und Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, machte ich mir immer noch keine großen Gedanken. Dann aber verstarben einige Familienangehörige und ich durfte nicht zur Beerdigung. Da ging der erste Ruck durch mich. Ich sah auf mein bisheriges Leben zurück und überlegte, was wohl von mir bleiben würde, wenn ich mal abtreten muss. Die Erkenntnisse waren erschreckend. Ich begann, um die Verlegung in eine Therapie zu kämpfen, schloss diese nach drei Jahren erfolgreich ab und vertraute auf die mir vom Gericht dann zugesagte Entlassung. Als stattdessen die Rückverlegung in die alte Anstalt angeordnet wurde, brach für mich eine Welt zusammen. Aber ich gab nicht auf und konnte in dieser Zeit die Gruppen in der JVA Straubing kennenlernen, schloss mich ihnen nach langer Überlegung an. Nun entschied ich mich für einen wirklichen Neuanfang, legte eine Lebensbeichte ab und begann, die Bibel kennenzulernen. Heute kann ich sagen, dass ich wieder Freude am Beten gefunden habe und auch die Vergebung Gottes in meinem Alltag spüren kann. Nun zählt für mich nur noch der Lebensweg, wie er in den Gruppen gelebt wird. Durch diese Menschen und mit Gottes Hilfe habe ich wieder eine Zukunft …“ „ Ich fühle mich „glücklich“, auch wenn das eigentlich paradox ist … Seit 12 Jahren bin ich nun in Haft. Wegen Bankraub wurde ich zu 12 Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Mittlerweile habe ich mehr als 30 meiner 55 Lebensjahre im Gefängnis verbracht. Durch die Erfahrungen, die ich in Kinderheimen unter kirchlicher Leitung machen musste (Gewalt, Strafen, Missbrauch), hatte ich die Kirche aus meinem Leben verbannt. Mit den sogenannten Christen wollte ich nichts mehr zu tun haben. Diese schlimmen Erlebnisse haben mich für die letzten 40 Jahre geprägt. Ich hatte keine Kirche mehr betreten und Gott aus meinen Gedanken gelöscht. Mein Leben war von Gewalt, Chaos und Lieblosigkeit geprägt. Vor drei Jahren wurde ich schwer krank und ich musste einige Wochen mit dem Gedanken leben, dass ich vielleicht sterben werde. In dieser Not fiel mir dann auf einmal wieder Gott und das Gebet ein. Ich habe um Hilfe gebetet und versprochen, sollte ich nicht sterben müssen, werde ich den Rest meines Lebens von Grund auf ändern. Damals stand ich alleine auf der Welt, eingesperrt und als Schwerverbrecher abgestempelt. Wie sollte mir von meiner Zelle aus die Wende im Leben gelingen? Durch welche Führung auch immer (heute nenne ich es Gottes Führung) durfte ich Anfang 2008 die Mitarbeiter in der JVA Straubing kennenlernen. Dies war die Wende und der Anfang in meinem Leben. In den Gesprächen mit den ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen, die zu uns hinter die Mauern kommen, bin ich zum Nachdenken gekommen. Und voll Staunen durfte ich erleben, wie sich mit den Worten der Bibel mein Leben vollkommen veränderte, von Tag zu Tag mehr. Es ist für mich unglaublich: Was ich früher aus innerster Überzeugung abgelehnt habe, gibt mir heute ein Gefühl der Geborgenheit und des Angenommen-Seins. Immer öfter habe ich das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein, obwohl ich nie ein Zuhause hatte. „Warum ich gerne in die Gruppe komme.“ Gefangene fangen neu an (Gruppen-Feedback aus der JVA Straubing) „… Die Offenheit und weil wir mit den gleichen Problemen kommen …“ „… Eine sympathische Sache und ich komme aus der Isolation heraus …“ „… um Austausch und die Kraft zu finden, nach vorne zu schauen …“ „… Ich kann eigene Ziele formulieren und daraus etwas machen …“ „… Ich gewinne Stärke und kann so meine Schwächen leichter zugeben …“ „… Ich kann meine Situation so leichter verarbeiten …“ „… weil es Spitze ist, sich in dieser Gruppe treffen zu können …“ „… ich vermisse plötzlich etwas, wenn die Gruppe ausfällt. Das habe ich in all den Haftjahren vorher nie erlebt …“ „… weil ich ruhiger und besonnener werde …“ „… weil ich heil und gesund aus dem Gefängnis herauskommen will …“ „… ich bekomme Kraft für die kommende Zeit …“ Ich war mein ganzes Leben ein Einzelgänger. Es zuzulassen, dass die Worte ins Herz dringen, und die Gefühle, die dadurch ausgelöst werden, haben mein Leben total auf den Kopf gestellt. Ich fühle mich trotz meiner Haftsituation „glücklich“, auch wenn das eigentlich paradox ist – eingesperrt und trotzdem glücklich. Da ich diese Verwandlung bei mir selbst erleben durfte, reifte der Gedanke, mich in die Arbeit einzubringen. Bis vor zwei Jahren gab es nur mich in meinem Leben, aber sich mit seinen Mitmenschen auseinander zu setzen, ist ein schönes Erleben und gibt den Tagen hier einen neuen Sinn. Wir Gefangene bekommen immer wieder zu hören, dass das, was hier durch die Gruppen gewachsen ist, und die Ernsthaftigkeit, die wir in die Arbeit mit einbringen, niemand für möglich gehalten hätte …“ „… die Atmosphäre tut mir gut …“ „… die Offenheit unter uns ist schön, jeder teilt sich mit, so erkenne ich meine Verhaltensmuster. Ich wünsche mir, einen Teil der Gruppenverantwortung übernehmen zu können …“ „… Ich habe Respekt vor Gott bekommen – er hat mein Gebet erhört …“ „… ich habe ein Ich bekommen …“ „… weil ich dann nicht alleine mit meinen Problemen bin und sehe, wie der Andere seine löst …“ Seite 19 Warum gehst du in die Gruppenarbeit? Hat sich durch die Gruppe etwas verändert und wenn ja, was? „… weil ich im Glauben wachsen, neues lernen und neue Menschen kennenlernen möchte.“ „… Ich habe zunächst gelernt, nicht immer nur andere Menschen zu kritisieren. Ich lernte auch, mich auf meine eigenen Probleme zu konzentrieren und mein Leben aufzuarbeiten. Insbesondere durch das ENDLICHLEBEN-Programm habe ich gelernt, über mich selbst zu sprechen. „… f ür mich ist die Gruppe wie eine Familie geworden und ich fühle mich darin sehr wohl. Ich tausche mich gerne mit anderen über den Glauben aus und versuche, aus den Sichtweisen von anderen dazu zu lernen.“ „… ich suchte nach einem Angebot, wo ich mich verändern und an mir arbeiten kann. Schulausbildung, Computerkurs und vieles andere wurde mir abgelehnt. Da erinnerte ich mich an die schöne und familiäre Atmosphäre, die ich draußen in einer Kirchengemeinde kennengelernt hatte, ein gelebtes Miteinander, wo jeder für den anderen da war. Etwas ähnliches wollte ich wieder haben und ging deshalb in die Gruppe. „… weil ich gläubig bin, gerne singe und mich gerne vom Guten überzeugen lasse „… wegen der interessanten Gespräche „… Ich wollte Gruppenarbeit kennenlernen und versprach mir dadurch positive Auswirkungen auf meine Haftzeit. „… Ich suchte einen Ruhepol im JVA-Stress. „… Seit einem Jahr besuche ich die Gruppe, weil ich Ziele für die Zeit nach meiner Entlassung habe und die Gruppe mir dabei hilft, diese zu erreichen. „… um über Gott und Jesus und den Glauben mehr zu erfahren „… weil es mir Spaß macht und ich Freude daran habe, andere Menschen zu treffen und kennenzulernen „… Ich möchte in der Gemeinschaft Christus näher kommen und lernen, meine Fehler zu erkennen. Ich möchte auch die unterschiedlichen Erfahrungen, die andere gemacht haben, kennenlernen und Abstand zu meinen alten Verhaltensmustern gewinnen. „… Ich glaube, die Teilnahme an der Gruppe kann mir dabei helfen, einen neuen und besseren Weg für mein späteres Leben in Freiheit zu finden. „… damit ich meinen Probleme und mich selbst besser verstehen kann „… weil der Glaube nicht ausschließlich alleine gelebt werden kann Seite 20 „… Aber ja doch! Ich habe zurück zu Gott und meinem Glauben gefunden und bin innerlich freier geworden. Ich hatte jahrelang eine große Last auf meinen Schultern gespürt, aber dieser Druck ist nun fast verschwunden. Ich glaube daran, dass mir Jesus diese Last abgenommen hat. „… Ich spüre schon, dass sich etwas zu ändern beginnt, aber es ist noch nicht so, wie ich es gerne möchte. Ich finde, ich brauche auch noch Einzelgespräche. „… Ja, ich konnte meine Aggressivität abbauen. Dazu hat gemeinschaftliches Gebet und auch das Singen beigetragen. „… Ja, ich habe Hoffnung bekommen. Die Veranschaulichungen bei ALPHA waren gut. „… Ja, ich bin für die Botschaft der Bibel offener geworden und damit für das Wort Gottes. „… Ich bin durch die Teilnahme selbstsicherer geworden und habe positiv zu denken gelernt. Ich empfinde es wie einer Therapie für mein ganzes Leben. Die Mitglieder unserer Gruppe geben mir Vertrauen und Hoffnung für die Zukunft. Die Ehrenamtlichen begegnen uns liebevoll und das schenkt Geborgenheit. „… In meinem Leben hat sich dadurch sehr viel verändert, ich lese sehr viel, auch in der Bibel, und bete jeden Tag, kann Gott dankbar sein für das, was er gibt. „… Durch die Gemeinschaft in der Gruppe habe ich gelernt, wie ich anderen Menschen wieder vertrauen kann. „… Vieles in mir hat sich zum Positiven verändert, so wurde z. B. mein Selbstvertrauen gestärkt, ähnlich wie in einer herkömmlichen Familie. Ehrenamtliche und Gruppenmitglieder verhelfen mir zu neuen Erkenntnissen und ich habe das Gefühl, dass auch ich anderen innerhalb und außerhalb der Gruppe etwas zu geben habe, z. B. Anteilnahme und Trost in schwierigen Momenten. Bei ALPHA hat sich mir der Begriff Blindheit neu erschlossen. Obwohl ich das Schauspielern im Alltag nicht mag, hat mir das ENDLICHLeben-Programm gezeigt, dass auch ich manchmal Masken vor mir her trage. „ Der soziale Umgang der Gefangenen hat sich verbessert J., JVA Straubing Ich bin Gründungsmitglied der Gruppen in der JVA Straubing im Jahr 2008 und seitdem dabei. Ich gehöre auch der Intensiv-Gruppe an. Mein besonderer Dank gilt Angelika von der SETFREE-Leitung und dem ganzen Team der Ehrenamtlichen für das große soziale Engagement und deren Nächstenliebe. Ich habe in den sechs Jahren noch keinen Gruppentermin versäumt und freue mich jedes Mal auf das Feedback, das ich in den Gruppen bekomme. Insgesamt hat sich der soziale Umgang der Gefangenen untereinander und mit anderen Menschen verbessert. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass sich diese positive Entwicklung auch in den nächsten Jahren fortsetzt …“ „ „ Sein Leben auch in einem HochsicherheitsGefängnis kreativ planen Wolfgang, JVA Straubing … an drei Tagen durften wir im Rahmen unserer Gruppe am Seminar »Kreative Lebensplanung (KLP)« teilnehmen. Wir wurden in die Lage versetzt, unsere Fähigkeiten und Kompetenzen, aber auch unsere Schwächen deutlich zu erkennen und auch, wie wir damit einzeln und in der Gruppe zum Wohl aller am besten zusammenarbeiten und leben können. Ich nehme aus diesen herrlichen, spannenden und lehrreichen Stunden für mich mit: Mich selbst besser verstehen zu lernen, bedeutet u.a., mich in allen Lebensbereichen besser einbringen zu können und zu einem produktiveren Teil der Gesellschaft zu werden. Des Weiteren hilft mir das Verständnis über die idealen Umstände, unter denen ich am besten leben könnte, meinen Alltag (auch hier im Gefängnis!) positiver zu gestalten. A., JVA Straubing Eine entscheidende Hilfe für mich war das geistige Wachstum, das sich positiv auf meine Persönlichkeit auswirkte. Vor acht Jahren wurde ich zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt und lernte in der JVA Straubing die Gruppe mit ihrer Gründung kennen. Neugierig meldete ich mich an und fand Mitmenschen, die mich so annehmen, wie ich bin. Mit dieser Art Veränderung fühle ich mich besser gerüstet für die Zukunft. Das bessere Verständnis der eigenen Persönlichkeit hilft mir auch bei den täglichen Grundsatzentscheidungen zwischen Vertrauen und Misstrauen. Sie gaben mir meine Würde zurück Sie gaben mir meine angeschlagene Würde zurück und auch den Glauben daran, dass ich als Mensch gebraucht werde. Die Menschenwürde als urchristliches Anliegen dürfen wir in den Gruppen spüren und lernen, sie weiterzugeben …“ Nach 10 Jahren Kinderheim, Erziehungsanstalt und insgesamt mehr als 30 Jahren Gefängnis hatte ich ein tief sitzendes und einsam machendes Misstrauen gegenüber allen Menschen entwickelt. Erst als ich erfahren durfte, wie Gott ist, konnte mein Herz sich öffnen und als ich dann die Nächstenliebe und das Vertrauen spürte, das mir durch die Ehrenamtlichen entgegengebracht wurde, konnte dies meinen Misstrauens-Panzer sprengen. Nur so wurde es mir möglich, an vielen schönen GruppenAbenden und auch diesem KLP-Seminar dabei zu sein. Im Namen aller Teilnehmer möchte ich unseren Ehrenamtlichen, die sich immer wieder Zeit für uns nehmen, sagen: Herzlichen Dank für euer Wirken!“ Ehrenamtliche und ein Entlassener aus Straubing bei einem Gottesdienst in Neumarkt, um die Arbeit von SET-FREE vorzustellen Seite 21 Lernen vom alternativen APAC-Strafvollzug in Brasilien Spricht man über das Gefängnissystem in Brasilien, dann geht es häufig um katastrophale und menschenunwürdige Zustände in den Haftanstalten. Es kommt infolge dieser Bedingungen immer wieder zu Revolten, Massenentweichungen, Gewaltszenarien und Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden banden, die Todesopfer fordern. Niemand glaubt an die Besserung von Straftätern. Als Reaktion darauf werden immer wieder Forderungen nach längeren und härteren Strafen und auch nach der Todesstrafe laut. Gegen die dort herrschende Mehrheitsmeinung hat Dr. Mário Ottoboni zusammen mit Ehrenamtlichen 1972 die „Vereinigung zum Schutz und zur Unterstützung von Strafgefangenen“ APAC (Associação de Proteção e Assistência aos Condenados) gegründet (vgl. Ottoboni 2008; Merckle 1999, S. 75). Im Glauben daran, dass jeder Mensch sich ändern kann, soll der Gefangene befähigt werden, seinen Beitrag für die Gemeinschaft zu erbringen. Mit dem Ansatz, sich zwar gegen das kriminelle Handeln, aber für den Menschen einzusetzen, arbeitet APAC mit einem Programm, das »» die Bevölkerung so weit wie möglich in den Prozess der Veränderung von Straftätern einbezieht und das Verantwortung an Inhaftierte überträgt, um auf diese Weise soziales Verhalten im Alltag einzuüben, »» christliche Werte vermittelt, die dazu anhalten, ein solidarisches Verhalten mit anderen Menschen zu leben und »» Familienangehörige in die Arbeit mit den Gefangenen einbezieht, um nur einige Aspekte zu benennen. Die Integration in die Gesellschaft erfolgt stufenweise vom geschlossenen, halboffenen bis zum offenen Vollzug. SETFREE hat es sich zum Ziel gesetzt, das APAC-Modell im deutschen Sprachraum bekannt zu machen. Ausbreitung 1990 fand eine Lateinamerika-Konferenz in São José dos Campos statt, an der 21 Länder teilnahmen, die Interesse am APAC Programm zeigten. 1991 wurde das Programm in den USA veröffentlicht und 1993 gab es eine Videoproduktion, die auch in asiatischen und europäischen Ländern Verbreitung fand (vgl. Ottoboni 2008, S. 147). Inzwischen gibt es in Brasilien 36 APAC-Strafvollzugseinrichtungen, die ohne staatliches Wachpersonal betrieben werden. Weitere 147 APACs wurden als juristische Seite 22 Person gegründet, die es sich zum Ziel gesetzt haben, APAC umzusetzen. Weltweit gibt es Initiativen in 25 Ländern mit unterschiedlichem Entwicklungsstand. Im Jahr 2001 wurde APAC offiziell vom Justizministerium des Bundesstaates Minas Gerais (MG) unter dem Namen „projeto novos rumos“ als alternative Strafvollzugsform anerkannt und als diese im Gesetz verankert (Tribunal de Justiça 2009). Inzwischen folgten drei weitere brasilianische Bundesstaaten dem Vorbild von MG mit einer Gesetzesänderung, die alternative Strafvollzugseinrichtungen zulässt. Im Jahr 2012 verlieh die Weltbank einen Preis an APAC als das innovativste Projekt (vgl. AVSI-USA). Im April 2013 war APAC zu einer Zusammenkunft von EUROsoziAL, einem Förderprogramm der Europäischen Union (vgl. EUROsozial 2004) eingeladen und konnte dort das Programm vorstellen. Aus Europa waren Vertreter aus den Justizministerien in Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland anwesend (vgl. EUROsoziAL 2013). Eine Studie von Byron Johnson zur Legalbewährung Im Jahr 2002 erschien eine Studie von Johnson zur Legalbewährung. Er untersuchte das von Dr. Ottoboni gegründete APAC-Gefängnis in Humaitá. Die ermittelte Rückfallrate wurde mit 16% angegeben (vgl. Johnson 2002, S. 7f). Die eigenen Statistiken von APAC berichten ebenfalls von bedeutsamen Erfolgen und einer Rückfallquote, die fast nie 10% übersteigen würde (vgl. Ottoboni 2008, S. 91). Die Stadtverwaltung von Itaúna gibt für das Jahr 2003 eine konstante Rückfallquote für das APACGefängnis von 7,8% an (vgl. Cidade da Itaúna 2003, S. 41). In einer Broschüre, die von der Regierung des Bundesstaates Minas Gerais herausgegeben wurde, wird für APAC eine Rückfallquote von etwa 10% angegeben (vgl. Tribunal de Justiça 2009, S. 13). Die meisten Quellen, die Angaben zur Rückfallrate in APAC-Strafvollzugseinrichtungen machen, lassen nicht erkennen, wie die Zahlen ermittelt wurden. Es bleibt aber festzuhalten, dass ganz verschiedene, voneinander unabhängige Gremien von einem Erfolg bei APAC in Bezug auf die Legalbewährung ausgehen. Dies ist umso bemerkenswerter, da es sich um selbstverwaltete Gefängnisse handelt, in denen sehr viele Bereiche durch Ehrenamtliche und Inhaftierte abgedeckt werden und demzufolge die Kosten für die Unterbringung nach Angaben der Organisation nur ein Viertel der Kosten des brasilianischen Normalvollzugs betragen. Internationales Echo zum APACProgramm (Brasilien, aus dem Gästebuch des Humaitá-Gefängnisses in São José dos Campos) „Ich kam hierher, um nach den Gründen des APAC-Erfolgs zu forschen. Ich habe die Dinge gesehen und hinterfragt. Anfangs war ich skeptisch, aber das ist nun vorbei. APAC funktioniert auf ganz überraschende Art.“ (Kin Ronnie, Schottland) „Dies ist das beste Gefängnis, das ich in den 25 Jahren meines Dienstes in Vollzugsanstalten je besucht habe.“ (Allan Curtís, Neuseeland) „Ich weiß, worum es geht, weil ich Justizminister war. Ich habe ganz Brasilien bereist und großartige Dinge gesehen; jedoch habe ich nie zuvor eine derartige Zuneigung und Wertschätzung erlebt, wie sie im APAC-Werk entgegengebracht wird, was uns alle sehr bewegt hat.“ (Mauricio Correira, Ehemaliger Justizminister) „Nachdem ich APAC besucht habe, bin ich davon überzeugt, dass es die Besserung von Strafgefangenen wirklich gibt.“ (Hermes Fisitam, Staatsanwalt) „Die hier geleistete Arbeit stellt ein Hoffnungslicht dar, weil sie ganz klar zeigt, dass sich Menschen bessern und in das Leben in der Gesellschaft zurückkehren können. Dies kann nicht formal und bürokratisch erreicht werden: Man muss diese Arbeit mit Liebe und Solidarität tun.“ (Helio Bicudo, Abgeordneter) „APAC ist ein Zufluchtsort für die Besserung von Gefangenen.“ (Luciano Mendes de Almeida, Erzbischof von Mariana) „Ich staune über das Aufsehen erregende Werk, das APAC in dieser Stadt leistet.“ (Egidio Jorge Giacoia, Richter der obersten Gerichtsbarkeit von Jacarei) „Das Werk von APAC in São José dos Campos ist zweifellos das Ergebnis einer nicht nachlassenden Hingabe und aufgeklärten Liebe, verbunden mit der Gewissheit, dass nicht alles verloren ist, wenn die Hoffnung lebt. Hier wird die Großartigkeit der christlichen Philosophie in die Praxis umgesetzt; der Staat sollte dem Verbrechen ein Ende bereiten, nicht den Kriminellen. Es wäre großartig, wenn alle Vollzugsanstalten diese erzieherische Erfahrung machen könnten.“ (Baptista Denis Netto, APIAbgeordneter) „Ich bete zu Gott um viele APACs für ganz Brasilien. Liebe und Großzügigkeit werden das Wunder bewirken, auch die verhärtetsten Herzen zu bessern.“ (Marcos Noguera Garces, Präsident des Justizgerichtshofs von São Paulo) „Die Besserung eines Menschen beginnt mit der Heilung seiner Würde. Die APAC von São José dos Campos ist eine erfolgreiche Pionierin in diesem Bemühen, das die gesamte Gesellschaft mit einbezieht. Von der menschlichen Wärme, die ich spürte, war ich besonders berührt. Die Gesellschaft muss ebenfalls ihren Beitrag dadurch leisten, dass sie die ehemaligen Häftlinge, die entlassen werden, wieder willkommen heißt. Ich gratuliere allen Beteiligten und besonders den ‚recuperandos‘.“ (Rubens Approbato Machado, Justizstaatssekretär) „Kein Mensch wird sich bessern, solange er es nicht will; aber es ist eben von grundlegender Bedeutung, diesen Wunsch zu ermutigen, und genau das ist es, was APAC tut. Die Gesellschaft steht in der Verantwortung für alles, was hier getan wird, und auch dafür zu erkennen, dass es zum Wohl der Allgemeinheit ist, wenn sich ein Mensch bessert.“ (Louis Flavio Borges D`Urso, Präsident des Rates für die Kriminal- und Vollzugspolizeien des Bundesstaates São Paulo) „Dieser Ort hat mich wirklich beeindruckt; er ist das beste Beispiel für Nächstenliebe. Seien Sie versichert, dass der Same, den Sie gesät haben, auf fruchtbaren Boden fallen wird.“ (Nagashi Furukawa, Staatssekretär für die Angelegenheiten des Strafvollzuges im Bundesstaat São Paulo) „Dies ist eine der bedeutendsten Erfahrungen meines Lebens gewesen. Der Respekt, mit dem den Menschen hier begegnet wird, hat mich berührt. Von diesem Beispiel sollte die gesamte Gesellschaft lernen und es nachleben.“ (Antonio Hermirio Filho, Unternehmer) Hier herrscht eine vorzügliche Abstimmung zwischen den Insassen und der Gesellschaft; so sollte es in jedem Gefängnis sein.“ (Rogerio Leao Zagallo, Staatsanwalt in São José dos Campos) „APAC ist tatsächlich das Werk von Menschen, die von Gott inspiriert sind. Dieses Modell sollte die gesamte Gesellschaft inspirieren und sollte in jeder Region angewendet werden, um den gestrauchelten Menschen wieder wertvoll zu machen, ihm zu helfen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen und in Richtung eines erneuerten Lebens zu marschieren, in dem er aus sich selbst das Beste für seinen Nächsten machen kann.“ (Felipe Menezes, Staatsanwalt von Macapa) „Dieser Besuch hat mich überrascht und stellt für mich eine große berufliche Ermutigung dar. Er stärkt unsere Überzeugung, dass der Weg, der im Kampf gegen die Gewalt gegangen werden muss, auch das Vertrauen in die Fähigkeit jedes Menschen einschließen muss, verantwortlich und solidarisch zu leben.“ (Caco Bracéelos, Journalist) „Ich freue mich sehr, APAC besucht und die Zeugnisse vieler ‚recuperandos‘ und deren Familien gehört zu haben, in denen praktisch alle zum Ausdruck brachten, auf welch menschliche und ehrenwerte Art man hier miteinander umgeht. In Anbetracht der ernsten Lage, in der sich das Strafvollzugssystem derzeit befindet, ist es von größter Bedeutung, von APAC zu lernen, da dies ein Beispiel ist, das vervielfacht werden sollte.“ (Eduardo Matarazzo Suplicy, Senator) Seite 23 Studienreise zu APAC“Gefängnissen“ im Mai 2013 Im Mai 2013 organisierte der SETFREE e.V. eine Studienreise zu den APAC-Strafvollzugseinrichtungen in Brasilien. Die insgesamt zwölf Teilnehmer waren sowohl Ehrenamtliche, die in der Gefängnisarbeit engagiert sind, als auch Fachkräfte, die im Bereich Strafvollzug arbeiten. Programmpunkte waren die Besichtigung von drei APACs sowie Vorträge über Entstehung, Ausbreitung und die Elemente des APACProgramms. Auf dem Bild von links nach rechts, erste Reihe: Dr. Olaf Heischel (Rechtsanwalt, Vorsitzender des Berliner Vollzugsbeirates -BVB-), Liane Serfas (Übersetzung), Dr. Valdeci Antônio Ferreira (Jurist, Leiter von FBAC Brasilien), Dr. Paulo Carvalho (Richter in Itaúna, Brasilien), Renate Bittner (Bewährungshelferin in Erlangen) Zweite Reihe: Conny Schöllkopf (Erzieherin, Stellvertretende Vorsitzende SETFREE e.V.), Angelika Lang (Kriminologin M.A., Dipl. Sozialpädagogin, Erste Vorsitzende SETFREE e.V.), Dritte Reihe: Alexander Castell (Geschäftsführer von ALPHA Deutschland), Jenny Gumbert (Erzieherin), Roselinde Bühl (Heilpraktikerin, Ehrenamtliche in der JVA Stadelheim, stv. Leitung im Projekt „Aktivierung“ in der JVA Straubing), Letzte Reihe: Dr. Jan Oelbermann (Rechtsanwalt und Mitglied im Berliner Anstaltsbeirat der Berliner Jugendstrafanstalt), Prof. Dr. Helmut Jury (emeritierter Professor der Kriminologie, Psychologe und Gutachter aus Freiburg), Mathias Barthel (Vorstand von gemeinsam für Nürnberg e.V.), Franka Gumbert (Fachkrankenschwester für Forensik, Ehrenamtliche in der JVA Stadelheim), Ingrid Trischler (Dipl. Sozialpädagogin, Erste Vorsitzende des Tabor e.V. und Leitung der Tabor-WG für Haftentlassene, Ehrenamtliche in der JVA Stadelheim) Seite 24 Literaturverzeichnis AVSI USA: „AVSI Brazil professional training in prisons honored at World Bank“.URL: http://www.avsi-usa.org/component/content/ article/36-news-and-stories/392-brazil-apac-method-of-professionaltraining-in-prisons-wins-most-promising-approach.html [18.08.2012]. Cidade de Itaúna (2003): APAC de Itaúna – Amor dignidade e vida por detrás das grades. Edição 10/2003. EUROsoziAL (2004): „Förderung des sozialen Zusammenhalts in Lateinamerika“. URL:http://www.google.de/#bav=on.2,or.r_qf.&fp=13687f7138bd6f1b&q=EurosociAL+Zusammenarbeit+Europa+ Lateinamerika [09.08.2013]. EUROsoziAL (2013): „Método APAC é apresentando em evento na Argentina”. URL: http://www.fbac.org.br/noticias/apacsinternacional [09.08.2013]. Johnson, B. (2002): „Assesing the Impact of Religious Programs and Prison Industry on Recidivism”. An Exploratory Study. URL: http:// web.archive.org/web/20030408001536/http://www.txcorrections. org/article.pdf [30.07.2013]. 107 Merckle, T. (1999): Mit Liebe und Disziplin zum Erfolg. Gefangene verwalten in einem Modellprojekt in Brasilien ihre Haftanstalt selbst. In: Zeitschrift für ökumenische Begegnungen und internationale Zusammenarbeit (Hg.) (2000): Der Überblick 1, 75-77. Ottoboni, M. (2008): Straftäter verändern – Eine Einführung in das APAC-Programm. Norderstedt. Tribunal de Justiça do Estado de Minas Gerais (2009): projeto novos rumos na execução penal. Belo Horizonte/MG. „ Soziales Engagement von Inhaftierten und Haftentlassenen Mein Leben, ein einziger Albtraum (Kuno) Ich bin jetzt 50 Jahre alt. Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, denke ich mir oft: Das kann nicht wahr sein – aber es ist bittere Wahrheit. Weit über 20 Jahre schwerste Drogenabhängigkeit, insgesamt über 12 Jahre Gefängnis und an vielen Menschen schuldig geworden, weil sie elend zugrunde gegangen sind – davon viele meiner besten Freunde. Angefangen hat es schon in der Kindheit. Meine fünf Geschwister waren alle „ganz normal“ und brav. Ich aber habe als Kind schon immer rebelliert. Es ist einfach viel in meiner Kindheit schief gelaufen, hab da schon gelogen, gestohlen und nur Dummheiten gemacht. Dann ging es den üblichen Weg: Keine Hausaufgaben gemacht, Schule geschwänzt, rauchen, saufen, dann mit 14/15 zu kiffen angefangen (Haschisch rauchen), Hasch verkauft, eingebrochen. Mit 17 dann die erste Verurteilung zu einem Jahr Haft auf drei Jahre Bewährung. Ein Jahr später dann die nächste Verurteilung. Während der Haft ein zweites Verfahren wegen Drogenhandel im Gefängnis. Mit 19 Jahren Verlegung in den Erwachsenenvollzug, da ich für den Jugendvollzug nicht mehr tragbar war. Nach 3,5 Jahren wurde ich entlassen. Schon nach sechs Monaten draußen folgte die nächste Verurteilung, diesmal zu vier Jahren Haft! Da hatte ich dann viel Zeit und war gezwungen, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen: Keinen Schulabschluss, keine Lehre, nichts. Ich war aber auch nicht bereit, etwas zu unternehmen. Ich habe mich gehasst und konnte mich selbst nicht annehmen. In dieser Zeit habe ich viel gelesen und mich so in eine Traumwelt geflüchtet. Aber irgendwann beschäftigte mich doch die Sinnfrage: Woher und wohin? So begann ich philosophische und religiöse Bücher zu lesen. Das hat mir aber auch nicht weitergeholfen. Das Menschenbild und die Ansprüche, die mir dort vor Augen gehalten wurden, konnte ich nicht erfüllen; also war auch hier kein Ausweg. Kurz vor Haftende habe ich ein Buch über Gott in die Hände bekommen, das mich schwer erschüttert hat. Ich lebte damals zusammen mit fünf anderen Gefangenen in einer Zelle. Ich machte eine Erfahrung, in der ich Gottes Liebe so stark erlebte, dass ich die ganze Nacht bis in den Morgen nur weinte. Die Mitgefangenen in der Zelle und an meiner Arbeitsstelle fragten, was mit mir los sei. Aber weil auch ich nicht wusste, wie ich das alles erklären sollte, sagte ich, dass jemand gestorben sei - ich wusste ja selbst nicht, was gerade mit mir passierte. Von diesem Zeitpunkt an hat sich mein Leben verändert. Ich habe zu rauchen aufgehört, keine Drogen mehr genommen und mich von allen schrägen Dingen gelöst. 1990 wurde ich entlassen. Ich ging zu meinen Eltern zurück, fand dann bald eine eigene Wohnung und hatte auch gleich eine gute Arbeitsstelle. Ich konnte aber immer noch nicht einordnen, was mit mir passiert war und wie ich das nun umsetzen und weiter leben sollte. Kuno, langjährig drogenabhängig, jetzt ehrenamtlicher Mitarbeiter der Emmausgruppe in der JVA Bernau Vom Glauben hatte ich keine Ahnung und ich redete auch nicht darüber. Da ich kaum „normale“ Leute kannte, traf ich wieder mit den alten Freunden zusammen. Mal da mit hin, mal dort mit hin, dann regelmäßig mit ihnen losziehen, was trinken – eine Dummheit nach der anderen und dann irgendwann wieder zu kiffen angefangen. So war ich wieder in diesen bösen Kreislauf geraten. Eines Tages bat mich ein guter Freund: Kannst du mir nicht „was besorgen“, bei mir geht zur Zeit nichts, und du kennst doch noch Leute von früher. In mir hat sich alles gesträubt, aber ich konnte einfach nicht »Nein« sagen. Und dann ging ein Albtraum los, über den ich heute noch weine: Ich habe bei meinen alten Freunden angerufen und es haben sich sofort Türen geöffnet, die zu einer Katastrophe geführt haben. Ich habe es nicht mehr abstellen können: Amphetamine, Heroin, Kokain … So viele Freunde sind weggestorben, in der „Klapse“ gelandet, ins Gefängnis rein, raus, rein – so viele zerstörte Menschen. Auch ich selbst bin oft dem Tod nahe gewesen, die Ärzte hatten mich aufgegeben. In dieser Zeit musste ich noch weitere vier Mal ins Gefängnis, war total kaputt und konnte nicht mehr, habe mir oft gewünscht zu sterben. Seite 25 2003 war ich dann zur Entgiftung bereit, weil alles zusammengebrochen war – ich war am Ende! Und dort bekam ich einen super Zimmernachbarn und eine ganz liebe Sozialarbeiterin und die beiden haben mich überredet, eine Therapie zu beantragen. Sofort bekam ich die Kostenübernahme und einen Therapieplatz. Nach Therapie und Außenorientierungsphase folgte das Praktikum, das ich im Garten- und Landschaftsbau gemacht habe – und ich wurde dort fest angestellt! Aber auch hier gab es Mitarbeiter, die gerne „was genommen“ haben – und nach einem Jahr war ich wieder voll „drauf“. Aber wieder hat Gott in mein Leben eingegriffen: Ich war gerade in der Arbeit, und es war, als würde ein Schleier vor meinen Augen weggezogen, und ich erkannte, wo ich stand und dass ich aus dem Teufelskreis und der ganzen Schuld, die mich erdrückte, nie wieder herauskommen würde. Auf einmal war wieder die Erinnerung an das in mir, was ich damals im Gefängnis erlebt hatte. Gleich nach der Arbeit bin ich nach Hause, habe mich hingekniet und gebetet: „Gott, wenn es dich gibt, Herr Jesus Christus, bitte hilf mir.“ Danach konnte ich seit langer Zeit wieder weinen und fühlte eine Geborgenheit und eine Kraft durch mich hindurch strömen, dass ich nur noch danken und weinen konnte. Ich kann Gott nur danken, weil er mir ein neues Leben mit Jesus Christus geschenkt hat.“ PSALM 30: ICH WILL DICH RÜHMEN, HERR, DENN DU HAST MICH AUS DER TIEFE GEZOGEN … HERR, MEIN GOTT, ICH HABE ZU DIR GESCHRIEN UND DU HAST MICH GEHEILT. HERR, DU HAST MICH HERAUSGEHOLT AUS DEM REICH DES TODES, AUS DER SCHAR DER TODGEWEIHTEN MICH ZUM LEBEN GERUFEN. Etwa acht Wochen später war ich drogenfrei, habe alle alten Beziehungen abgebrochen und alles was ich noch an Drogen hatte weggeworfen. Ich habe gespürt, dass ich eine christliche Gemeinde oder Gemeinschaft brauche und habe nach einiger Suche auch eine gefunden. Heute bin ich selbst ehrenamtlicher Mitarbeiter im Gefängnis. Seit kurzem bin ich auch in meiner Gemeinde im Pfarrgemeinderat. Ich arbeite noch immer in derselben Firma als Landschaftsgärtner und vor einigen Jahren wurde ich Vorarbeiter. Mit meinen Eltern und Geschwistern habe ich inzwischen ein sehr gutes Verhältnis. Alle, die mich kennen, sagen, dass meine Lebensveränderung ein unfassbares Wunder ist. Gott hat mich die erste Zeit sehr getragen, aber es war auch ein schwerer Kampf und das ist es immer noch! Seite 26 Wenn du nie gelernt hast, dich zu stellen, sondern eigentlich immer davongelaufen bist, ist es nicht leicht auszuhalten: Die ganzen Schulden und die Vergangenheit sind ein schweres Paket. Aber Gott hat mich von der Drogenabhängigkeit geheilt, er hat die Leere in mir gefüllt, sonst hätte ich es nie geschafft. Er hat mir auch viele gute Menschen an die Seite gestellt, die mir eine große Stütze waren und weiter sind. Engagement hinter Gittern Weihnachten – Gefangene spenden für bedürftige Kinder über 800 Euro „… Fünf Gefangene aus einer Gruppe, die ich leite, brachten eine beachtliche Spende von 610 Euro zusammen, damit Kinder, die an Weihnachten nicht viel Sr. Gerlindis bekommen, eine Freude haehrenamtliche Mitarbeiterin ben. Es war eine sensible u. a. in der JVA Straubing Sache, die Gelder zu verteilen, da sich die Empfänger auch nicht schämen sollten – aber schließlich ist es mir doch gelungen. Ich habe sechs Kinder beschenken können. So sprach ich z. B. mit der Oma eines Mädchens, das ihr sehr glücklich gemacht habt, denn sie hat das bekommen, was sie sich am meisten gewünscht hat – Spiele, die sie bisher nur in der Bibliothek benützen konnte. Jetzt gehören sie ihr und sie nimmt sie überallhin mit, von X nach Y, zur Oma und zu Freundinnen. Sie sollen alle mitspielen, weil sie ihnen dadurch etwas ganz Wichtiges zeigen kann, nämlich dass sie jetzt auch jemand ist, der etwas geben kann, nicht nur zuschauen muss. Das eigentliche Geschenk von euch sind also Kontakte für dieses Kind, heilsame Beziehungen. Auch die Oma konnte vor dem Schenken vor lauter Vorfreude die ganze Nacht nicht schlafen. Das Mädchen hat euch als Dank einen kleinen Brief geschrieben …“ „… Der Vater eines anderen beschenkten Kindes, selbst HartzIVEmpfänger, konnte es erst gar nicht glauben und sagte: Aber die brauchen das doch selber? Dann aber konnte er es für sein Kind dankbar annehmen …“ „… Ein anderes Kind schaute mich am Weihnachtsvorabend nur überrascht und fassungslos wegen dieses Gutscheins an und wusste nichts zu sagen. Aber als sie wegging, schaute sie nochmals zurück, mit einem glücklichen Blick im Gesicht …“ „Handlanger der Unterwelt“ Ich bin einer von euch Zum Auftakt der Gefängnisveranstaltung in der JVA Kassel spielten „Klontik + Rademann“ Songs von Johnny Cash und ich erlebte, wie Jan Eriksen seine bewegende Lebensgeschichte erzählte. 1947 in Bergen/ Norwegen geboren, führte er ein Leben wie in einem Action movie! Als ehemaliger Zuhälter und Dealer kam er mit der bitteren Realität einer Welt voll Gewalt, Mord, Vergewaltigung und Prostitution in Berührung. „Ich bin einer von euch“, betonte Jan immer wieder. Er erzählte von seiner Alkohol und Drogensucht, der er zum Schluss völlig ausgeliefert war, und von brutalster Gewalt im Milieu, von „Freunden“, die sterben, sich das Leben nehmen, ermordet werden. Beim Russisch Roulette gab sich ein „Freund“ die Kugel; ein anderer wurde vor seinen Augen ermordet. Irgendwann machte sein Körper die Exzesse nicht mehr mit. Er suchte Hilfe beim BLAUEN KREUZ. Hier erzählte ihm ein Mädchen von Gott. Davon war er genervt und doch zog ihn etwas an. Nun hat er schon seit über 30 Jahren keinen Alkohol, keine Drogen, keine Zigaretten mehr angefasst. Er berichtete, wie er sich auf eine Begegnung mit Gott einließ und wie daraus die Kraft erwuchs, sein Leben zu verändern. Den Gefangenen sagte er immer wieder: „Das größte Geschenk ist für mich, wenn ihr selbst erlebt, dass es funktioniert.“ Seine Lebensgeschichte hat Jan in einem Buch veröffentlicht: „Handlanger der Unterwelt“ (ISBN 3901994009) Seite 27 Auftaktveranstaltung zu Jugend-ALPHA-Kurs – ein ehemaliger Drogendealer erzählt (Andi, aus den Neumarkter Nachrichten vom 24.10.09) Dichtes Gedränge herrscht im Jugendhaus des Kaplanshauses neben der Neumarkter Hofkirche. Die Auftaktveranstaltung der Workshop-Reihe „Jugend-ALPHA“ befasst sich mit dem Thema „Hat das Leben mehr zu bieten?“ Der Mann, um den sich alles dreht, heißt Andi und war früher Drogendealer. Andi ist jenseits der 30 und hat viel Zeit im Gefängnis verbracht. Doch dieser Zeit im Knast ging ein nicht minder schweres Leben voraus. Vom Vater regelmäßig geschlagen und misshandelt, muss er u. a. mit ansehen, wie seine Mutter „krankenhausreif geprügelt“ wird, wie er es ausdrückt. Mit 19 Jahren verpflichtete er sich freiwillig für die Armee. Was er dort im Krieg sieht und erlebt, prägt ihn, traumatisiert ihn, sorgt noch heute dafür, dass er trotz jahrelanger Psychotherapie von Albträumen geplagt wird. Der drahtige Kampfsportler entdeckt das schnelle Geld mit den harten Drogen, verkauft vorwiegend Kokain, konsumiert es auch selbst und genießt die verlockende Welt von Kriminalität und Sorglosigkeit. Doch das Hochgefühl hält nicht lange an und bitter ist die Konsequenz, als er schließlich gefasst wird und „in den Bau“ muss. Insgesamt sitzt er über sieben Jahre ich acht verschiedenen Gefängnissen und gilt als unverbesserlich. Den Alltag in der Strafanstalt schildert Andi eindrucksvoll und gleichzeitig abschreckend. Die Gewalt blieb sein ständiger Begleiter. Angefangen, über sein Handeln und seinen Glauben nachzudenken hat er erst, als ihm eine ehrenamtliche Mitarbeiterin von SETFREE im Gefängnis begegnete. „Sie war die erste Person, der ich mich öffnen konnte. Sie hat mein kaltes Herz berührt, mich zum Nachdenken gebracht. Die intensiven Gespräche bewirkten, dass ich nach langen Jahren der Gefühllosigkeit wieder weinen konnte. Ich habe mich selbst wieder wahrgenommen.“ Er fand eine Ansprechpartnerin, die ihn verstand, statt zu verurteilen. Er las fortan in der Bibel, studiert und hinterfragt sie und schöpft Kraft aus den Worten. Er lernt, Konflikte ohne Gewalt zu lösen und verhindert mit seiner neu gewonnenen Überzeugung sogar eine gefährliche Gefängnis-Schlägerei. „Ich bin kein Heiliger. Früher hätte ich den Typen einfach eiskalt umgehauen, denn hätte ich es nicht getan, wäre ich das Weichei im Knast gewesen. Aber ich habe jetzt ein Gewissen und den coolsten Freund an meiner Seite, den man sich vorstellen kann,“ erklärt er. Heute lebt Andi zusammen mit seiner Frau. Er geht einer ehrlichen Arbeit nach und hat gute Pläne. Unter anderem will er Kindern und Jugendlichen helfen, die auf die schiefe Bahn zu geraten drohen oder als unverbesserlich gelten. Seite 28 Begegnungen mit Vertretern der Kirche Haftentlassene werden zu einem Kongress im Vatikan eingeladen Im Oktober 2011 hatte der päpstliche Rat für die Förderung der Neuevangelisierung (von Papst Benedikt 2010 mit dem apostolischen Schreiben „ubicumque et semper“ ins Leben gerufen) zu einem internationalen Kongress auch eine Gruppe von Ehemaligen (Haftentlassenen) und Ehrenamtlichen von SETFREE, Emmaus und ALPHA im Gefängnis aus Deutschland und Österreich in den Vatikan eingeladen. Ehrenamtliche und Für den Herbst 2012 hatte Ehemalige von SET-FREE, Papst Benedikt zu einer Bider Emmausbewegung, schofssynode mit dem Thema Alpha Deutschland und „Die Neuevangelisierung und Österreich in Rom die Weitergabe des Glaubens“ eingeladen. Im Vorlauf dieser Bischofssynode wollte Papst Benedikt bei der Begegnung in Rom die vielen kirchlichen Gemeinschaften kennenlernen. Nach Aussage der Teilnehmer war es ein sehr bemerkenswertes Treffen, geprägt von Lebendigkeit, Authentizität und Aufbruch, als würde ein frischer Wind durch die alten Mauern Roms wehen. SET FREE wollte hier vor allem einbringen und darauf aufmerksam machen, dass es auch in Knast und Szene Menschen gibt, die eine geistliche Berufung haben. Sie sind die „Levis und Magdalenas“ von heute, die ein ehrliches und authentisches Glaubenszeugnis zu geben haben. Sie besitzen oft die Gabe, die Herzen der Menschen zu erreichen. Die teilnehmenden ehemaligen Gefangenen schilderten diese Reise als unvergessliches Erlebnis. Es war nach ihren Worten auch wichtig für sie, dass sie von der Kirche als Menschen anerkannt wurden, die nicht nur etwas empfangen, sondern auch etwas zu geben haben und dass ihre spezielle Berufung ernst genommen wird. „ Bischof Hanke empfängt ehemalige Straftäter einer der ehemaligen Gefangenen schrieb dazu: … am Vorabend eines SETFREE-Freundestreffens hatte Angelika für mich und andere Haftentlassene ein Essen zusammen mit dem Bischof von Eichstätt ermöglicht. Ich war sehr gespannt, was das wohl für ein Mensch ist, der „Ex-Knackis” zum Essen einlädt. Überrascht war ich, als wir von ihm im Ordensgewand der Benediktiner empfangen wurden. Nach einer herzlichen Begrüßung in einem Raum mit liebevoll gedecktem Tisch erzählte er uns, dass er vor seiner Bischofszeit Abt war und deshalb dieses Gewand trage. Ihn interessierte unsere Lebensgeschichte und wie es dazu gekommen war, dass wir in den Sumpf der Kriminalität abgerutscht waren. Dann interessierte ihn besonders, was uns dazu bewegt und wie wir es geschafft hatten, den Kreislauf Alkohol-Drogen-Gewalt-Kriminalität zu durchbrechen und nun den Weg aus dem Glauben Bischof Hanke zu gehen. Es waren lange und intensive Eichstätt Gespräche und er hakte immer wieder nach. Ich spürte sein großes Interesse an jedem einzelnen von uns und wirkliche Betroffenheit. Dann erzählte er uns auch seine Lebensgeschichte mit vielen Höhen und Tiefen und ich weiß nun, dass auch sein Weg nicht einfach war und ist. Das Treffen hat mir gezeigt, dass Bischof Hanke jemand ist, der ein Herz für die Menschen am Rand der Gesellschaft hat. So ließ er es sich auch nicht nehmen, uns gegen Ende noch persönlich einen Espresso zuzubereiten. Zum Schluss beteten wir noch gemeinsam und er gab uns den Segen mit auf unseren Weg. Für mich war der Abend sehr bewegend und eindrucksvoll und er gab mir Mut, Kraft und Zuversicht, meinen Weg, den ich vor dreieinhalb Jahren eingeschlagen habe, weiterzugehen …“ „ Bischof Hanke ließ dazu folgenden Text in seinem Hirtenwort zum ersten Adventssonntag in allen Gottesdiensten der Diözese verlesen: … vor nicht langer Zeit berichteten mir einige Menschen von ihrem Lebensweg, in den Christus Licht brachte. Eine Gruppe von ehemaligen Strafgefangenen und deren Helfern besuchte mich zu einem geistlichen Austausch im Bischofshaus. Wiederholter Rauschgifthandel und sogar Totschlag waren die Delikte, die zur Verurteilung einiger in dieser Gruppe geführt hatten. Sie berichteten mir, dass sie meist schon als Jugendliche in dunkle Kreise geraten waren. Eine Spirale krimineller Taten hatte sie immer tiefer nach unten geführt. Im Gefängnis hatten sie das Glück, durch den regelmäßigen Kontakt mit anderen tief gläubigen Menschen ihr Leben hinterfragen zu können. Allmählich wuchs das Verlangen nach einer tiefen Freundschaft mit Jesus und nach dem Weg des Glaubens. In den Gefängnissen, in denen sie einsaßen, hatten sich durch überzeugende Helfer kleine Weggemeinschaften des Glaubens gebildet, in denen man betete, das Wort Gottes teilte und sich auf die Feier der Liturgie vorbereitete. Besonders berührte mich an diesem Abend der Begegnung das Zeugnis eines Mannes, der zu neun Jahren Haft verurteilt worden war und seit seiner Freilassung schon viele Jahre mit seiner Ehefrau gemeinsam den Weg des Glaubens geht und sich in der Kirche engagiert. Er berichtete, wie befreiend er die Person Jesu und den Glauben an ihn in einer solchen Kleingruppe im Gefängnis erfahren hatte und wie wichtig die Freundschaft mit Jesus Christus, das Gespräch mit ihm sowie die Mitfeier der Eucharistie auch heute noch für seinen Weg in der Ehe ist. Ohne die Begegnung mit Christus hätte er sich aus seiner schlimmen Geschichte nicht lösen können. Die Begegnung mit Christus wurde für ihn zum Licht, das ihm erst den Weg zum anderen eröffnete, zur Erfahrung von Erlösung …” Seite 29 Opfer – Täter – Versöhnung „ Brief an den verstorbenen Vater (Anonym) … Na, was denkst du, wie ich dich anreden soll, Papa, vielleicht noch: „Lieber Papa?“ Kannst du dir vorstellen, warum mir das vergangen ist? Ich habe keinen Vater, weil der, der es hätte sein sollen, mich missbraucht hat. Ich hätte dich gebraucht und ich hab dich geliebt. Wenn es stimmt, was ich spüre, dann hab ich mich nicht gewehrt, weil ich dir vertraut hab und weil ich mich gar nicht getraut hätte, dich zurückzuweisen. Außerdem ist das, was du wolltest, sowieso schon peinlich; und eine Zurückweisung hätte es noch peinlicher gemacht. Sie hätte ohne Worte gesagt: „Das, was du von mir willst, ist nicht in Ordnung.“ Glaubst du, dass ein Kind so stark ist, seinem Vater, den es liebt und den es eigentlich braucht, zu sagen: „Dieses Peinliche, das du vorhast, ist nicht in Ordnung“? Wahrscheinlich hab ich als Kind das getan, was ich jetzt am meisten hasse, ich habe mitgemacht, um es zuzudecken, um mir selbst und dir zu sagen: „Es ist schon in Ordnung.“ Aber heute würde ich dich am liebsten packen und es dir ins Gesicht schreien: „Es war nicht in Ordnung!“ Es ging dir um dich und du hast es in Kauf genommen, dass meine kleine Seele gestorben ist. Es ging um dich und keinen Funken um mich. Ich will, dass du jetzt der Wahrheit ins Gesicht siehst. Ich weiß, du hast das damals nicht getan. Du hast dir auch selbst was vorgemacht. Aber ich will es dir jetzt sagen, ich will dir diese Wahrheit sagen, die mich innerlich getötet hat. Ich konnte diese Wahrheit nicht wegmachen. Sie verfolgt mich bis jetzt. Klar, ich hab es damals verdrängt. Ich hätte gar nicht mehr leben können, wenn ich es nicht getan hätte. Aber ich konnte nicht mehr Kind sein, ich konnte nicht mehr spielen, weil du mir so eine schwere Last auferlegt hast. Du hast es mir einfach genommen, Kind zu sein, weil du nur dich gesehen hast, dein Alleinsein, deine Sehnsucht nach Geborgenheit. Ich hab den größten Teil meiner Lebenskraft gebraucht, um dieses Geschehen aus meinem Gedächtnis zu streichen und dafür zu sorgen, dass es mir nicht mehr bewusst wird. So wurde ich schon als Kind depressiv. Ist dir das wenigstens mal aufgefallen? Wahrscheinlich hast du auch darüber hinweggesehen. Ich kann mich erinnern, dass ich so wenig Antrieb hatte, dass ich manchmal Stunden brauchte, bis ich mich aufraffen konnte, mich nach der Schule umzuziehen, und dass ich Stunden brauchte, bis ich mich aufraffen konnte, Seite 30 meine Hausaufgaben zu machen. Diese Stunden saß ich einfach da, wie gelähmt, ohne Antrieb und Kraft. Aber ich hab mich immer wieder aufgerafft; denn ich wollte ja trotz allem eine gute Tochter sein. Ich hab alle Kraft, die ich hatte, aufgewendet, eure Erwartungen zu erfüllen, dass ihr mit mir zufrieden seid, bis ich dann im Lauf der Zeit immer mehr merkte, wie verlogen vieles ist, und ich gegen diese Heuchelei und Verlogenheit rebellierte. Ich glaube, das Schlimmste an allem war, dass nach außen immer alles stimmte, deine saubere Weste. Immer darauf bedacht, anerkannt zu werden. Dafür hast du vieles – vielleicht alles – gegeben. Du warst der Gute und du bist es in den Augen der Menschen noch heute. Und wir, deine Kinder, die du innerlich so tief verletzt hast, wir waren dann die Schlechten, als wir anfingen, uns aufzulehnen, Drogen zu nehmen. Wir waren und sind auch heute noch für die Menschen die Hure, die Drogensüchtigen, die ihren guten Eltern das Leben zur Hölle machten, die undankbar sind für all das Gute, das ihnen getan wurde. Ich hätte mir gewünscht, dass du ein Mal, nur ein Mal ein Stück Schuld eingestehst. Ich hab mal darüber nachgedacht, warum ich nicht einfach gestorben bin, auch wenn das unrealistisch ist. Und dann dachte ich, ich würde auch heute alles tun, damit ich nicht sterbe, obwohl ich oft eine unendliche Todessehnsucht habe, damit du dir keinen „Mord“ vorzuwerfen hast und an deiner Schuld vielleicht zerbrochen wärst. Wahrscheinlich ist das immer noch die abhängige Liebe des kleinen Kindes, das danach bettelt, um seinetwillen geliebt zu werden. Ich sehne mich immer noch nach deiner Liebe, aber nicht mehr nach einer Liebe, die alles zudeckt und die die Schuld nicht beim Namen nennt. Wenn du noch leben würdest, würde ich mir wünschen – und dich vielleicht auch bitten –, dass du mir sagst, was genau war, ohne zu beschönigen. Dann käme ich vielleicht schneller an alles ran, was verdrängt ist und nur langsam hochkommt. Ich brauche die Wahrheit. Nur die Wahrheit wird mich frei machen. Und auch dich wird nur die Wahrheit frei machen. Ich weiß nicht, ob du mich hörst, ob du mitkriegst, was ich dir in diesem Brief geschrieben habe. Wenn ja, dann bitte ich dich, dass die Wahrheit ans Licht kommt, dass wir beide den Schmerz darüber aushalten. Ich bitte dich, dass du mitkämpfst, dass es ans Licht kommt und dass du nicht versuchst, es zu vertuschen. Ich werde dich im Letzten als meinen Vater nicht fallenlassen. Ich kann gar nicht, auch wenn ich am Anfang in meiner Aggression geschrieben habe, dass ich keinen Vater habe. Und ich weiß, dass bei dir auch ehrliche Liebe mir gegenüber da war und ist, nicht nur missbrauchte Liebe. Ich wünsche mir, dass du meine Aggression aushältst, dass du nicht versuchst, zu vertuschen oder zu verharmlosen. Und ich will deine Schuld aushalten. Ich wünsche mir, dass wir in der Wahrheit einen Weg finden, dass du mir echt Vater sein kannst und ich wieder deine Tochter sein kann. Deine Tochter …“ Seite 31 Aufeinander zu gehen – Versöhnung zwischen Täter und Opfer „ Nach vielen Jahren Verdrängung antwortet er der Mutter seines Opfers aus dem Brief eines Lebenslänglichen an seine ehrenamtliche Betreuerin, JVA Straubing … Du hast wahrscheinlich schon Recht, dass ich vieles über die Jahre einfach verdrängt habe. Als das vor über 10 Jahren passiert war, stand ich selbst unter Schock, zumal es so nie geplant war. Wenn du den Brief meiner Schwiegermutter liest, kannst du dir sicher vorstellen, dass ich diese Bilder nie vergessen werde. Das sitzt einfach tief drin und seit ich nun diesen Brief bekam, läuft nun alles immer wieder wie ein Film vor meinen Augen ab. Meine Antwort an sie habe ich erst hier den Pfarrer lesen lassen, bevor ich ihn abschickte. Nach vier Anläufen und schlaflosen Nächten hatte ich ihn endlich fertig. Ich hatte zwar letztes Jahr im ENDLICHLEBEN-Kurs im Schritt 8 gelernt, Wiedergutmachung umzusetzen, aber in dieser Situation wusste ich einfach nicht weiter. Im Gebet spürte ich aber dann Jesus an meiner Seite und schon am nächsten Tag konnte ich mit einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin unserer Gruppe sprechen, über meine Tat und über diesen Brief. Mir ging es dabei so beschissen, das glaubst du gar nicht. Ich hatte nun auch wieder diese Albträume. Sie hat dann aber noch für mich gebetet und das half mir, aus diesem Tief wieder etwas rauszukommen. Eine andere Ehrenamtliche hat mir geschrieben, dass ich meiner Schwiegermutter allein schon dadurch helfen würde, dass ich die Hand ergreife, die sie mir gereicht hat. Da sie Kontakt zu mir haben wolle, wäre es bereits ein Stück Wiedergutmachung, wenn ich darauf eingehe. Also nahm ich das Angebot an, schrieb ihr einen langen Brief, ohne dass ich mich für irgendetwas rechtfertigte, und bleibe nun in Kontakt mit ihr. Ich habe nicht „Entschuldigung“ geschrieben, weil das, was damals passiert ist, mit nichts zu entschuldigen ist. Ich schrieb aber, dass es mir wahnsinnig leid tut und dass ich wirklich alles dafür geben würde, wenn ich ihr nur dadurch ihre Tochter wieder zurückgeben könnte. Sorry, wenn ich nun das Thema wechsle, weils mir schon wieder die Tränen raus haut, wenn ich nur daran denke, was ich dieser Frau angetan habe …“ Seite 32 „ Die Mutter will dem Herz des Mörders ihrer Tochter Frieden geben Brief an den o. g. Gefangenen der JVA Straubing … Hallo und danke für deine Antwort. Weißt du, ich hatte schon etwas Angst davor, was du mir schreiben würdest, vielleicht sogar, dass ich dich in Ruhe lassen soll. Es ist auch kein Problem, dass du nicht gleich geschrieben hast, so etwas braucht Zeit. Und ich selbst konnte ja auch nicht gleich zurückschreiben, weil dein Brief natürlich wieder viel in mir aufgewühlt hat. Du schreibst mir, dass du nicht weißt, ob du einem Täter vergeben könntest, wenn er deine Tochter ermordet hätte. Weißt du, meine Entscheidung wird auch von meinen Kindern sehr unterschiedlich bewertet. A. ist – wie ich auch – mit den Schöpfungsgesetzen vertraut und versteht mich, für sie ist mein Handeln nur eine logische Konsequenz. B. hat aber selbst mehrere Kinder und sie kann nicht verstehen, wie ich dir verzeihen kann. Aber immerhin respektiert sie meine Entscheidung. Und außer mit meinem Partner und einem guten Freund habe ich auch sonst mit niemandem darüber geredet. Auch wenn das, was ich jetzt schreibe, hart klingt, aber es ist nunmal so, dass wir (= die Gesellschaft) Menschen in Schubladen stecken und sie nach dem Etikett, das auf der Schublade steht, be- und verurteilen. Und auf das Etikett eines Mörders schreiben wir: gefühllos, gewissenlos, brutal, hart usw. Dass so jemand auch Gefühle, Träume und Visionen hat, verdrängen wir geflissentlich, weil dieses Eingeständnis uns in die Pflicht nehmen würde, uns mit den Gefühlen dieses Menschen auseinanderzusetzen – und das bedeutet, Nähe zu schaffen, du verstehst. Wir haben Angst davor, Nähe zu einem Menschen zu schaffen, der so unvorstellbare Dinge tut, die wir nicht fassen oder begreifen können. Aber es ist auch so, dass jeder einzelne von uns die Verantwortung dafür trägt, ob wir uns mit dem Argument „das machen alle so“ gedankenlos, und ich möchte fast sagen, gewissenlos der allgemeinen Meinung anschließen oder ob wir aufwachen und in uns hineinspüren, ob wir nicht tief in unserem Inneren unsere eigene Meinung finden. Ich habe mich entschlossen, aus der Anonymität der Herde aufzutauchen und meine Angst vor Nähe zu einem von der Gesellschaft abgestempelten Menschen zu überwinden. Deshalb bin ich dir auch dankbar dafür, dass du mich an deinen Gefühlen teilhaben lässt, dass ich dich näher kennenlernen darf. Auch ich habe eine sehr enge Beziehung zu Jesus, wenn sie auch etwas anders aussieht als deine. Jesus ist für mich ein großes Vorbild, der das Geheimnis der Liebe kannte und deshalb auch fähig war, sogar Lahme, Blinde und Taubstumme zu heilen. Das Leben Jesu war auf Gott – sprich auf die Liebe ausgerichtet (Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm). Er hat sogar noch die Menschen geliebt, die ihm Schmerzen und Pein zugefügt haben und ihnen verziehen: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Weißt du, was wir alle von Jesus lernen können? Er wusste, dass wirkliche Heilung nur dann stattfinden kann, wenn wir unser Zerwürfnis mit Gott beenden. Deshalb spricht er immer wieder die Worte: „Deine Sünden sind dir vergeben“ oder „gehe nun hin und sündige nicht mehr!“ = heil = ganz, weil er nicht von Gott getrennt oder abgesondert war. Wie oft steinigen wir verbal andere Menschen? Da gibt es den Bettler oder den HartzIVEmpfänger, der nur zu faul zum arbeiten ist, oder die Arbeitskollegin, die … etc. Ich habe mich gefragt, warum wir das tun, und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es aus dem gleichen Grund geschieht, aus dem die Meute über die Ehebrecherin herfallen wollte. Diese Menschen wollten selbst besser dastehen als die Sünderin. Aber Jesu Aufforderung holte sie sehr schnell in die Wirklichkeit zurück. Keiner der Ankläger kann von sich behaupten, dass er ohne Sünde ist, sich nicht von Gott und der Liebe abgesondert hat. Das Gleiche gilt unverändert bis heute: Wer von uns ohne Fehl ist, der werfe den ersten Stein. Wenn wir uns diese Sünde kommt von „absondern“ = absondern von Gott = absondern von der Liebe. Ich möchte dir meine Sichtweise etwas näher erklären. Du kennst bestimmt die Geschichte von der Ehebrecherin. Da ist eine Frau, die hat gesündigt, die Ehe gebrochen. Die Menschen bringen sie zu Jesus und wollen sie steinigen. Jesus jedoch tut ihnen nicht den Gefallen, ein Urteil zu fällen – wie ich meine, aus zwei Gründen. Zum einen verurteilt Jesus niemanden, weil er weiß, dass der „Sünder“ sich von Gott abgesondert hat und er ihn nicht auch noch dafür bestrafen möchte; er möchte den Menschen helfen, wieder zu Gott zu finden. Zum anderen macht er es den Menschen nicht so einfach, er lässt sie vielmehr selbst entscheiden: „Wer von euch ohne Fehl ist, der werfe den ersten Stein“, sagt er. Einer nach dem anderen macht sich von dannen, bis Jesus mit der Ehebrecherin alleine ist. Er schaut sie an und fragt: „Haben sie dich nicht gesteinigt?“ - „Nein“, ist die Antwort. „Dann gehe hin und sündige hinfort nicht mehr“, gibt Jesus ihr mit auf den Weg. Dieses Nicht-mehr-Sündigen bedeutet für mich mehr als nur, nicht mehr die Ehe zu brechen; es geht tiefer und meint, sich nicht mehr von Gott = von der Liebe abzusondern. Jesus lebte in der Liebe und war deshalb heilig Frage immer wieder vor Auge halten, werden wir sehr schnell aufhören, verbale Steine zu werfen! Du siehst also, die Bibel, und vor allem das Neue Testament kann eine wahre Fundgrube für das eigene Leben sein, wenn man sie wach und mit offenem Geist liest. Ich freue mich für dich und mit dir, dass du den Weg zu Gott gefunden hast. Es gibt ein Sprichwort, das sagt: „Manchmal muss der Mensch erst ganz unten sein, bevor Gott etwas mit ihm anfangen kann“. Ich denke, da steckt sehr viel Wahrheit drin. Ich sende dir Kraft und gute Gedanken, mögest du in deinem Herzen Frieden finden. PS: Es ist o.k., wenn du noch nicht über meine Tochter schreiben kannst …“ Seite 33 Eine Mutter vergibt dem Mann, der ihre Tochter getötet hat (Ursula Fink, Freiburg, heute ehrenamtliche Mitarbeiterin in der JVA Freiburg) „ [Anm. d. Red.: Gekürzter Text, Ursula war Studiogast bei der radio horeb-Sendung „Knast- und Szenefunk“ am 25.01.10 und der Standpunkt-Sendung am 07.03.10 zum Thema „Versöhnung zwischen Opfer und Täter“. Die entsprechenden CDs sind über [email protected] zu beziehen.] … In der Neujahrsnacht 2000 geschah dann das Unfassbare. Steffi kam von der Silvesterfeier in Freiburg nicht mehr nach Hause. Sie wurde in dieser Nacht ermordet. Für meine andere Tochter Nadine (sechs Jahre) und mich brach damals unsere Welt zusammen. Der Schmerz über den Tod von Steffi und besonders auch über die Grausamkeit der Tat ließ uns vollkommen zusammenbrechen. Wir sahen keinen Sinn mehr in unserem Leben, wussten nicht, wie wir den Alltag bewältigen sollten, da wir zu dem Schmerz auch noch besonders stark durch Albträume gequält wurden. Wir wagten gar nicht mehr, schlafen zu gehen. Wir konnten keine Menschen um uns herum ertragen. Kurzum: Wir gingen durch die Hölle. Etwa zwei Jahre nach der Tat unternahm Nadine einen Selbstmordversuch. Sie kam in die Kinder und Jugendpsychiatrie. Später empfand sie kurzfristige Erleichterung, wenn sie sich ritzte. Es kam ein Punkt, an dem wir nicht mehr weiter wussten. Wir gingen zu einer Freundin, die einmal Hilfe angeboten hatte. Sie sagte uns: „Eigentlich gibt es nur noch einen, der euch in eurer Situation helfen kann und das ist Gott.“ Am Abend dieses 24. Oktober 2002 betete sie mit uns. Ich begann, vor dem Einschlafen in der Bibel zu lesen und danach konnte ich ohne Albträume schlafen und fühlte mich am nächsten Morgen so fit, dass ich zur Arbeit gehen konnte. Ich dachte, dass das kein Zufall war. So probierte ich es am nächsten Tag wieder, und es geschah wieder so. Von da an las ich regelmäßig in der Bibel, wollte Gott kennenlernen und konnte gar nicht genug von IHM hören, lesen und IHN erfahren. Depressionen verschwanden, Albträume wurden zuerst weniger, dann hörten sie auf. Nadine schnitt sich nicht mehr. ER heilte uns, langsam, Schritt für Schritt. Es kam der Zeitpunkt, an dem ich diese Liebe nicht mehr für mich behalten wollte. Ich wünschte mir, dass alle Menschen, genauso wie ich, diese einzigartige Liebe erfahren sollten. Zwei Jahre später erfuhr ich von einem Pastor, der mit ehrenamtlichen Mitarbeitern ins Männergefängnis nach Freiburg ging. Es kam dazu, dass ich mitgehen Seite 34 konnte und ich war sehr überrascht, wie freundlich ich aufgenommen wurde und wie reich beschenkt ich das Gefängnis wieder verlassen habe, mit großer Freude auf die kommende Woche. Doch der eine Mann, den ich erwartet hatte, kam nicht. Dann erfuhr ich, dass er sehr schwer krank war und wohl nicht mehr lange zu leben hatte. Weihnachten 2008 schrieb ich ihm einen Brief, weil ich das Gefühl hatte, dass nicht mehr viel Zeit ist. Ich wusste immer, dass ich dem Mann, der Steffi getötet hatte, begegnen würde. Mitte Januar erhielt ich einen Anruf von einem Bekannten, der damals unser Betreuer vom Opfer-Hilfsverein WEISSER RING war. Es ging um eine Anfrage vom Oberstaatsanwalt, der wissen wollte, ob ich mich bereit erklären könnte, dass der Mörder meiner Tochter, der Krebs im Endstadium hat, zum Sterben nach Hause entlassen werden darf. Dem stimmte ich zu. Kaum hatte ich aufgelegt, rief ich den Oberstaatsanwalt an und bat ihn, mir die Adresse des Täters mitzuteilen. Er war sehr überrascht und sagte, dass er sich das erst gut überlegen müsse. Später erfuhr ich, dass er nach dem Telefonat einem anderen Staatsanwalt von meinem Anruf erzählt hatte. Dieser Mann hatte zwei Wochen vorher in der Gemeinde meinen Lebensbericht gehört und mich kennengelernt. So konnte er den Oberstaatsanwalt beruhigen und ihm sagen, dass ich es ehrlich meinte und keine Rachegedanken hätte. Der Oberstaatsanwalt rief mich wieder an und sagte, dass ich den Mann besuchen könnte. Dann kam der Montag, der 09. Februar 2009. Ich hatte mich zuvor mit der Frau des Täters und einer GefängnisSozialarbeiterin getroffen und so gingen wir ins Krankenhaus, wo bereits ein Gefängnisseelsorger bei dem Mann war und ihn auf das Treffen vorbereitete. Als ich in das Krankenzimmer kam, lag der Mann im Bett, streckte mir seine Hand entgegen, die ich nahm und festhielt, und er sagte mir: „Ich habe viel Mist gebaut in meinem Leben, es tut mir leid!“ Meine Antwort war: „Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass ich Ihnen vergeben habe, und dass es noch jemanden gibt, der Ihnen auch vergeben möchte, das ist Jesus Christus.“ Leider konnte ich nicht alles verstehen, was er mir antwortete, da er unter starkem Einfluss von Medikamenten stand. Doch er bat mich, auf meine Frage hin, mit ihm zu beten, bzw. für ihn, da er nicht wusste, wie er beten sollte. Ich sprach ein Gebet vor. Da liefen Tränen über sein Gesicht. Dann stellten wir uns alle um das Bett herum, hielten uns an den Händen und beteten das Vaterunser. Kurze Zeit später verließ ich das Krankenzimmer, zutiefst berührt und dankbar für diese Begegnung und alles, was geschehen war. Zwei Wochen später starb der Mann …“ Über die Herausgeber 2008 wurde SET-FREE als Netzwerk für Gefangene gegründet, mit der Vision: „Wir haben den Traum von einer Gesellschaft der Barmherzigkeit, die den Menschen hinter Gittern eine Chance zur Umkehr gibt und die es möglich macht, dass aus Straftätern Täter der Liebe werden.“ 2011 hat sich aus dem Netzwerk der gemeinnützige SET-FREE e.V. für soziale Gefängnisarbeit aus dem christlichen Glauben gegründet. Näheres über unsere Arbeit finden Sie unter www.set-free-network.de Da wir die Gefängnisarbeit nur mit Hilfe von Spenden finanzieren können, bitten wir um Zuwendungen gegen Spendenquittung an: SET-FREE e.V. Bank für Sozialwirtschaft AG KTO: 980 9100 IBAN: DE19 7002 0500 0009 8091 00 BLZ: 700 205 00 BIC: BFSWDE33MUE Der ALPHA-Glaubensgrundkurs ist inzwischen weltweit und in allen Konfes­sionen zu finden. In England, seinem Herkunftsland, wird er in mehr als zwei Dritteln aller Gefängnisse durchgeführt und von der Regierung unterstützt, weil er sich positiv auf die Resozialisierung von Gefangenen auswirkt. Auch in Deutschland wird der Kurs in verschiedenen Gefängnissen durch­geführt. In 15 Veranstaltungen werden den Gefangenen die grundlegenden Themen des christlichen Glaubens näher gebracht. Oft machen die Teil­neh­mer hinter Gittern eine ganz persönliche Erfahrung mit Gott, die ihr Leben verändert. Näheres über unsere Arbeit finden Sie unter www.alphakurs.de Da wir die Gefängnisarbeit nur mit Hilfe von Spenden finanzieren können, bitten wir um Zuwendungen gegen Spendenquittung an: ALPHA Deutschland e.V. Evangelische Kreditgenossenschaft eG KTO: 700 0740 IBAN: DE78 5206 0410 0007 0007 40 BLZ: 520 604 10 BIC: GENODEF1EK1 Verwendungszweck: Gefängnisarbeit