Stimulus O rganismus Reaktion Konsequenz Contingenz

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Dr. Götz Fabry
Vorlesung Medizinische Psychologie
15.05.2009 Psychologische Lerntheorien II: Operante Konditionierung
In der letzten Vorlesung wurde als Charakteristikum des klassischen Konditionierens eine Verhaltensänderung beschrieben, die durch die Konfrontation mit Ereignisrelationen zustande kommt und
die somit Voraussagen über den Zusammenhang zwischen Ereignissen in die Zukunft hinein ermöglicht
(„wenn A, dann B“). Für einen Organismus ist die Kenntnis solcher Zusammenhänge von großer Bedeutung, weil damit Komplexität reduziert wird. Die Welt wird also überschaubarer und planbarer, indem
bestimmte Reize als besonders bedeutsam, andere als nicht bedeutsam wahrgenommen werden. Durch
das operante Konditionieren (Synonyme: Lernen am Erfolg, Verstärkungslernen) wird ein anderes
Prinzip eingeführt, das ebenfalls zu einer größeren „Ökonomie“ des Verhaltens von Mensch und Tier beiträgt: die Erfolgsorientierung. Verhaltensweisen, die sich in einer bestimmten Situation bewährt haben, stehen damit im Wiederholungsfall schneller zur Verfügung und erfordern weniger Aufmerksamkeit,
d.h. auch hier wird der Organismus entlastet.
Operantes Konditionieren galt eine zeitlang als das Paradigma1 der wissenschaftlichen Psychologie
schlechthin. Der amerikanische Psychologe Burrhus F. Skinner (1904 – 1990), einer der wichtigsten
Grundlagenforscher auf diesem Gebiet, war der Meinung, mit der operanten Konditionierung den wichtigsten Mechanismus der Verhaltenssteuerung überhaupt gefunden zu haben und entwarf auf dieser
Grundlage in seinem Buch „Futurum Zwei“ gar eine umfassende Gesellschaftsutopie. Schematisch lässt
sich operantes Konditionieren folgendermaßen charakterisieren (Folie 1).
Folie 1
operantes Konditionieren
black
box
S
timulus
O
rganismus
R
K
eaktion
C
onsequenz
ontingenz
C+ Verstärkung
C- Bestrafung
„Verhalten, das verstärkt wird, tritt häufiger auf.“
Ein Reiz (Synonym: Stimulus z.B. ein Lichtsignal) trifft auf einen Organismus (z.B. eine Laborratte im
Käfig), dessen psychisches „Innenleben“ zunächst uninteressant ist und der daher als eine „black box“
beschrieben wird. Dieser Organismus zeigt auf den Reiz eine Reaktion (z.B. Druck auf einen Hebel), die
beobachtbar ist und auf die eine Konsequenz erfolgt (z.B. Futter). Die Art und Weise der Konsequenz ist
für das weitere Verhalten des Organismus von großer Bedeutung: wird sie als positiv erlebt, d.h. im Sinne einer Belohnung, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Organismus, dasselbe Verhalten erneut zeigen wird. In diesem Fall wäre das Verhalten also verstärkt worden, die Konsequenz wird dann
als positiver Verstärker beschrieben. Natürlich ist auch der andere Fall denkbar, dass der Organismus
1
Paradigma griech.: Beispiel. Als Paradigma bezeichnet man in der Wissenschaftstheorie „allgemein anerkannte
wissenschaftliche Leistungen, die für eine gewisse Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten maßgebende Probleme
und Lösungen liefern“ (Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt 1973). Charakteristisch für ein Paradigma in diesem Sinn (z.B. die Newton’sche Mechanik) ist, dass es meist für eine gewisse Zeit
das Denken einer ganzen Wissenschaft so nachhaltig prägt, so dass selbst empirische Erkenntnisse, die dem geltenden Paradigma widersprechen, kaum wahrgenommen werden. Erst wenn sich im Lauf der Zeit solche Widersprüche häufen und immer deutlicher die Grenzen des bisherigen Paradigmas hervortreten kann es zu einem sogenannten „Paradigmenwechsel“ kommen.
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für sein Verhalten bestraft wird. Damit ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass das Verhalten erneut gezeigt wird, die Konsequenz kann also als Bestrafung beschrieben werden (C-). (Die Schreibweise C+
für einen Verstärker und C- für eine Bestrafung orientiert sich an dem aus dem Englischen übernommenen Wort Kontingenz (eigentlich contingency, wörtl.: Eventualität, Möglichkeit). Die Kontingenz bezeichnet die Höhe der Wahrscheinlichkeit des Verhaltens in Abhängigkeit von der Konsequenz.)
Variiert man die Häufigkeit, mit der ein Verstärker auf die Reaktion folgt, so hat das Folgen für die Stärke der Kontingenz, was in Folie 2 veranschaulicht ist. Folgt z.B. auf jede Reaktion eine Verstärkung, so
nimmt die Stärke bzw. die Häufigkeit der Reaktion rasch zu, man spricht in diesem Zusammenhang auch
von einer kontinuierlichen Verstärkung. Allerdings ist die so erworbene Reaktion nicht besonders
dauerhaft wenn die Verstärkung ausbleibt. Anders verhält es sich mit der sogenannten intermittierenden Verstärkung: hier wird nicht jedes Mal belohnt, wenn das erwünschte Verhalten gezeigt wird,
sondern nur von Zeit zu Zeit in unregelmäßigen Abständen. Das hat zur Folge, dass das erwünschte
Verhalten langsamer als bei einer kontinuierlichen Verstärkung aufgebaut wird. Ist es aber einmal erlernt, dann ist es sehr viel löschungsresistenter. Das Beispiel von Frau Z. in Folie 3 verdeutlicht diesen Zusammenhang: hier führt die intermittierende Verstärkung durch die nicht vorhersehbaren Gewinne zu einem sehr starken Anreiz, weiter zu spielen.
Folie 2
Verstärkerpläne
Stärke der
Reaktion
kontinuierliche Verstärkung
intermittierende Verstärkung
Zeit
Folie 3
Frau Z.
Während ihres USA-Urlaubs besucht Frau Z. auch Las Vegas. In
einem Spielcasino beginnt sie aus Neugier an einem sog.
„einarmigen Banditen“ zu spielen.
Zunächst verliert sie mehrere Spiele. Kurz bevor sie frustriert
aufgeben will gewinnt Sie etwas Geld. Sie versucht es gleich
nochmal und wieder gewinnt sie einen kleinen Betrag. Auch der
dritte Versuch ist von Erfolg gekrönt, jetzt hat Frau Z. ihren Einsatz
schon fast wieder eingespielt.
Sie spielt weiter und weiter und obwohl sie insgesamt mehr verliert
als gewinnt verbringt sie den ganzen Tag vor dem
Spielautomaten...
Wie Folie 4 verdeutlicht kann die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Verhalten häufiger auftritt,
auf zwei verschiedene Weisen gesteigert werden. Nämlich erstens durch eine positive Verstärkung
(Darbietung von Belohnungen) und zweitens durch eine negative Verstärkung, d.h. durch den Wegfall von Bestrafungen. Umgekehrt kann natürlich auch der Wegfall von Verstärkern dazu führen, das ein
Verhalten weniger häufig gezeigt wird. Für die Entstehung und den Verlauf von Depressionen kommt
solchen Verstärkerverlusten möglicherweise eine große Bedeutung zu. So könnte etwa der initiale Ver© Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de
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lust einer wichtigen Bezugsperson, die bisher Quelle zahlreiche positiver Verstärker (Zuwendung, Lob,
etc.) war, dazu führen, dass die betroffene Person aufgrund ihrer schlechten Befindlichkeit nicht mehr in
der Lage ist, sich alternative Verstärkerquellen (Freunde, Bekannte) zu erschließen. Dabei kann auch das
auf andere Menschen negativ wirkende Ausdrucksverhalten von Depressiven (Klagsamkeit, Jammern,...)
eine große Rolle spielen.
Folie 4
Verstärkung & Bestrafung
positiver
„angenehmer“
Stimulus
negativer
„unangenehmer“
Stimulus
Darbietung
Entzug
positive
Verstärkung
indirekte
Bestrafung
Bestrafung
negative
Verstärkung
Wie schon angeklungen ist, werden Lerntheorien herangezogen, um die Entstehung psychischer Störungen zu erklären und um darauf aufbauend therapeutische Strategien für ihre Behandlung zu entwickeln.
Eine der grundlegenden Arbeiten, die bereits im letzten Semester im Zusammenhang mit dem Thema
Angst vorgestellt wurde, stammt aus den zwanziger Jahren von James B. Watson (1878 – 1958), der
wie Burrhus F. Skinner zu den Pionieren des Behaviorismus2 gehört. Gemeinsam mit seiner Schülerin
Rosalie Rayner berichtete er von einem Experiment mit dem „kleinen Albert“, einem 11 Monate alten
Kleinkind, dem eine Angst vor Ratten bzw. allen äußerlich daran erinnernden Gegenständen förmlich
antrainiert wurde (Folie 5). Mit diesem aus heutiger Sicht grausamen Experiment hatten Watson und
Rayner einen wichtigen Hinweis dafür geliefert, dass die Gesetzmäßigkeiten, die der russische Physiologe Iwan Pawlow (1849 – 1936) einige Jahrzehnte zuvor als klassisches Konditionieren beschrieben
hatte, auch zur Erklärung bestimmter psychischer Störungen tauglich sein könnten.
Folie 5
Lerntheorie der Angstentstehung:
„Der kleine Albert“
James B. Watson, Rosalie Rayner (1920):
Conditioned emotional responses. Journal of
Experimental Psychology. 3: 1-14.
•
Albert, 11 Monate alt, Furchtreaktion auf lauten
Gong.
•
Gong + weiße Ratte: Furchtreaktion auf Ratte
•
weitere Darbietungen Ratte + Gong: Furcht
generalisiert: weißes Kaninchen, Watte, Pelzmantel,
Watsons Haare
•
keine Furcht bei rattenunähnlichen Gegenständen.
2
Als Behaviorismus bezeichnet man diejenige, vor allem in England und den USA seit Beginn des 20. Jahrhunderts
sich etablierende psychologische Forschungsrichtung, die zentralnervöse Funktionen ausschließlich aus der (vermeintlich?) objektiven Erfassung von experimentell induziertem, beobachtbaren Verhalten erschließen will. Die
Verwendung von Begriffen, die aus introspektivem Erlebnis gewonnen werden (Empfindung, Bewusstsein, Wille,
etc.) wird als unexakt abgelehnt.
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Konnten Watson und Rayner also eine Erklärung dafür liefern, welche Mechanismen bei der Entstehung
von Phobien wirksam sein könnten, so gelang es der heute häufig als „Mutter der Verhaltenstherapie“
titulierten amerikanische Psychologin Mary Cover Jones (1897 – 1987) bereits 1924 zu zeigen, dass solche „Störungen“ durch eine korrigierende Lernerfahrung bezüglich des konditionierten Reizes wieder
beseitigt werden können. Jones gelang es, den „kleinen Peter“, dessen Geschichte sich wie die Fortsetzung der des „kleinen Albert“ ausnimmt, von seiner Phobie zu heilen (Folie 6). Peter zeigte intensive
Furcht vor einem Kaninchen aber auch vor anderen „pelzigen“ Gegenständen. Jones gewöhnte ihn zunächst durch schrittweises Annähern an das Kaninchen, später paarte sie zusätzlich dessen Anwesenheit mit einem angenehmen Reiz (seiner Lieblingsspeise, Anwesenheit von Bezugspersonen). Nach
einiger Zeit intensiven Übens zeigte Peter keinerlei Furchtreaktionen mehr, weder gegenüber dem Kaninchen noch gegenüber den „verwandten“ Gegenständen, die er wie selbstverständlich auch zum Spielen benutzte. Wie Jones berichtet, wirkte sich die Angstreduktion darüber hinaus auch noch auf andere
Situationen aus, so als hätte Peter insgesamt mehr Selbstvertrauen gewonnen, ein Befund, der durch
heutige Erfahrungen mit der verhaltenstherapeutischen Behandlung immer wieder bestätigt wird. Die
Expositionstherapie gehört auch heute noch zum Standardrepertoire der Verhaltenstherapie und hat
insbesondere bei der Behandlung der Phobien ihren Erfolg mehrfach unter Beweis gestellt.
Folie 6
Verhaltenstherapie der Angst:
„Der kleine Peter“
Mary Cover Jones (1924): A laboratory study of fear:
The case of Peter. Pedagogical Seminary. 31: 308-315.
•
Peter, 2 Jahre und 10 Monate alt, Furchtreaktion
auf Kaninchen, weiße Ratte, Pelzmantel, Feder,
Watte u.ä. aber nicht auf Spielzeug
•
Anwesenheit anderer Kinder ohne solche
Furchtreaktion bzw. gleich-zeitige Präsentation von
Kaninchen + angenehmem Reiz: Peter gewöhnt sich
wieder an Kaninchen
•
Furchtlosigkeit übertrug sich auf andere
Gegenstände.
Das auf der klassischen Konditionierung aufbauende Erklärungsmodell von phobischen Reaktionsweisen
lässt eine wichtige Frage offen: warum verlöscht die konditionierte Furchtreaktion nicht, wie es eigentlich zu erwarten wäre? Die Furchtreaktion des kleinen Albert auf pelzige weiße Gegenstände müsste sich
doch nach einiger Zeit wieder verlieren, was aber tatsächlich nicht der Fall ist (und bei ähnlich gelagerten Angststörungen auch kaum vorkommt). Mit klassischer Konditionierung allein ist dieses Phänomen
nicht zu erklären. Der amerikanische Psychologe O. Hobart Mowrer (1907 – 1982) machte daher in
den vierziger Jahren den Vorschlag, die Entstehung von Phobien durch einen zweistufigen Lernvorgang zu erklären. Durch klassisches Konditionieren wird die Angstreaktion von einem unkonditionierten
(z.B. lautes Geräusch) auf einen konditionierten Stimulus (z.B. weißes Fell der Ratte) übertragen. Die
eigentlich zu erwartende Löschungsreaktion wird nach Mowrer durch eine operante Konditionierung verhindert: die Erwartung, mit dem konditionierten Reiz (weißes Fell) sei eine negative Konsequenz (lautes
Geräusch) verbunden, führt dazu, dass die betroffene Person entsprechende Reize vermeidet. Durch
dieses Verhalten bleibt also die erwartete negative Konsequenz aus, was einer negativen Verstärkung
entspricht (die bekanntlich die Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens erhöht!). Trotz zahlreicher
Einwände im Detail ist Mowrers Modell aufgrund seiner Einfachheit und Plausibilität bis heute sehr
einflussreich geblieben (Folie 7).
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Folie 7
Pathogenese der Angst: Lerntheorie
Zwei-Faktoren-Modell (Mowrer)
UR
US
a)
CS
b) CS = S
CR
C-
(Erleben einer aversiven
Konsequenz des Verhaltens)
O
R1
K
C-
(erwartete aversive Konsequenz)
O
R2
K
C-
(Ausbleiben der erwarteten
aversiven Konsequenz)
C+
Folie 8 zeigt das vereinfachte Fallbeispiel eines Patienten mit einer Angststörung. Aus zunächst nicht
näher geklärten Gründen tritt in einer eigentlich neutralen Umgebung eine Angstreaktion auf. Infolge
dessen werden diese und im weitern Verlauf auch andere Umgebungen gemieden, weil sie als angstauslösend antizipiert werden. Die Vermeidung bewahrt den Patienten vor weiteren Angstattacken, er wird
für sein Vermeidungsverhalten also negativ verstärkt, was zu einer raschen Ausweitung und Festigung
dieses Verhaltens beiträgt.
Folie 8
Herr K.
Nach einer Zeit starker beruflicher Beanspruchung und familiärer
Schwierigkeiten freut sich Herr K. auf die Ferien. Am ersten Urlaubstag
geht er in den Baumarkt einkaufen. Dort fühlt er sich plötzlich sehr
unwohl, empfindet „Herzrasen“, „Schwindel“ und Schweißausbrüche, er
fürchtet, lebensbedrohlich erkrankt zu sein.
Der Notarzt bringt ihn ins Krankenhaus, wo keine Erkrankung
diagnostiziert werden kann, zur Beobachtung bleibt er dort über Nacht.
Nach seiner Entlassung fühlt er sich zunächst wohl, aber in den nächsten
Tagen wiederholen sich die Anfälle, nehmen an Häufigkeit zu, so daß Herr
K. mehrmals den Notarzt rufen muß, ohne daß eine Erklärung für seine
Beschwerden gefunden wird.
Herr K. sieht sich außerstande, nach dem Urlaub seinen Beruf als Anwalt
wieder aufzunehmen, er verläßt das Haus nur noch in Begleitung seiner
Frau oder seines Sohnes und fährt nicht mehr selber Auto, weil er fürchtet,
jederzeit einen „Anfall“ bekommen zu können...
Wie aber lässt sich der Einstieg in den Teufelskreis der Angst erklären? Ein unkonditionierter Auslöser
für die Angst lässt sich hier ja, im Gegensatz zu dem oben geschilderten Beispiel des kleinen Peter, zunächst nicht feststellen. Wie das in Folie 9 dargestellte Modell zeigt, kommen als Auslöser aber nicht
nur äußere sondern auch (oder vielmehr vor allem) innere Faktoren in Betracht. Von unserem Patienten, Herrn K., wissen wir, dass er seinen Urlaub nach einer Zeit starker beruflicher und familiärer Belastungen antritt. Diese Belastungen beschäftigen ihn möglicherweise innerlich weiter, zumal im Urlaub
viele Ablenkungen durch Termine und andere Verpflichtungen wegfallen. Wie jeder aus eigener Erfahrung weiß, kann bereits die Vorstellung (die einem noch nicht einmal besonders bewusst werden muss)
einer unangenehmen Situation entsprechende psychophysische Reaktionen hervorrufen. Werden solche
Veränderungen (z.B. schnellerer oder heftigerer Puls) als Zeichen einer gefährlichen Erkrankung (z.B.
Herzinfarkt) interpretiert und nicht als Ausdruck der emotionalen Reaktion auf eine innere Vorstellung,
kann diese Befürchtung das psychophysische Erregungsniveau weiter steigern, so dass ein Aufschaukelungsprozess in Gang kommt, der schließlich zur Panik führt.
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Folie 9
Paniksyndrom
mod. n. Margraf & Schneider
2000
psychophysiologisches Modell
positive Rückkopplung (schnell)
Auslöser /
Katalysatoren:
- Stimulantien
- Hypervigilanz
- Stress
- ...
Körperliche/
kognitive
Veränderung
Wahrnehmung?
Assoziation
mit Gefahr?
Angst / Panik
negative Rückkopplung
(langsam) / erfolgreiche
Bewältigung
individuelle
Prädisposition
situative
Faktoren
Die große Bedeutung von Angst als wichtiges Alarmsignal für den Organismus ist vermutlich ein wichtiger Grund dafür, dass diese positiven Rückkopplungsmechanismen sehr viel schneller sind, als die ihnen entgegenwirkenden Bewältigungsmechanismen (z.B. die Überlegung „ja, der Ärger aus dem Büro
geht mir noch ziemlich nach, ich merke, wie mich das jetzt noch aufregt, aber jetzt habe ich erst mal
Urlaub, das Büro kann mir gestohlen bleiben...“). Dass manche Menschen anfälliger für Angststörungen
sind als andere, hängt unter anderem mit individuell unterschiedlichen Erfahrungen in der Lebensgeschichte zusammen, die z.B. großen Einfluss darauf haben, wie bestimmte Ereignisse interpretiert und
verstanden werden. Darüber hinaus sind aber auch individuelle Persönlichkeitseigenschaften wichtig, die
Teil des Charakters einer Person sind (der wiederum von genetischen und lebensgeschichtlichen Prägungen abhängt). Eine der wichtigsten Komponenten in diesem Zusammenhang ist der sogenannte
„Neurotizismus“ (Folie 10). Schließlich modulieren auch noch situative Faktoren (z.B. Hitze, Kälte, aber
auch Einnahme von Koffein oder anderen Genussmitteln) den geschilderten Prozess.
Folie 10
Panikstörung
individuelle Prädisposition
• Angstsensitivität: Überzeugung, Angst habe schädliche
Folgen (physisch, psychisch, sozial) die weit über das
momentane Unbehagen hinausgehen.
mögliche Ursachen:
– bestimmte Lebensereignisse (Unfall, Erkrankungen)
– stellvertretende Erlebnisse (schwere Erkrankung, Tod naher
Bezugspersonen)
– elterliche Einflüsse: Information (z.B. Warnungen), Verstärkung,
Vorbildfunktion
• Neurotizismus: Persönlichkeitsdimension, gekennzeichnet
durch folgende Eigenschaften: emotionale Labilität,
„Nervosität“, Klagen über körperliche Schmerzen, Ärger und
Ängste, schnellere und länger andauernde Stressreaktionen
Im Falle von Herrn K. wäre eine Exposition bzw. eine Konfrontation mit den vermiedenen Situationen
eine Möglichkeit, den Teufelskreis des Vermeidungsverhaltens zu durchbrechen. Das Entscheidende bei
dieser Exposition ist, dass eine korrigierende Lernerfahrung gemacht werden kann, bei welcher der
Patienten lernt, dass die bisher zur Vermeidung führenden Vorstellungen unbegründet sind. In der Vorstellung des Patienten ist die Angst, die er in der angstauslösenden Situation erfahren würde, so groß
bzw. unendlich lange anhaltend (Folie 11 gestrichelte Kurven), dass ihm die Vermeidung der einzige
Ausweg zu sein scheint, um diesen, ihm existentiell bedrohlich erscheinenden Zustand zu verhindern
(Folie 11 blaue Kurve). Dadurch kann er allerdings nicht die Erfahrung machen, dass die Angst auch
von ganz alleine wieder nachließe, wenn er längere Zeit in der Situation verbleiben würde. Genau diese
Erfahrung der Habituation (Folie 11 rote Kurve) wird dem Patienten in der Expositionstherapie ver© Dr. Götz Fabry, Abteilung für Medizinische Psychologie, Freiburg. www.medizinische-psychologie.de
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mittelt. Dabei kommt es entscheidend darauf an, dass die Exposition solange durchgehalten wird, bis die
Angst des Patienten zumindest auf ein problemlos aushaltbares Niveau gesunken ist. Würde der Patient
vorher aus der Situation fliehen, die Exposition also abbrechen, dann hätte sich nämlich seine Vorstellung, dass Vermeiden der einzig mögliche Ausweg ist, bestätigt. Wird dagegen die Exposition wiederholt
und konsequent bis zur Habituation durchgeführt, resultiert daraus schließlich eine immer schwächere
Angstreaktion (Folie 12), die es dem Patienten ermöglicht, seinen Aktionsradius wieder auszuweiten.
Folie 11
Angstverlauf
Subjektive
Angst
120
Erwartung
100
Erwartung
80
Habituation
60
40
Vermeidung
20
0
Zeit
Folie 12
Angstverlauf
Habituation bei therapeut. Konfrontation
Subjektive
Angst
120
100
80
60
40
20
0
Zeit
Interessanterweise muss die Exposition mit dem Reiz dabei nicht unbedingt in der Realität (also in vivo)
erfolgen, was für manchen Patienten ja vielleicht schon Grund genug wäre, eine Therapie erst gar nicht
zu beginnen. Vielmehr kann auch mittels einer konsequent durchgeführte Konfrontation mit der angstauslösenden Situation in der Vorstellung des Patienten (also in sensu) die Angstsymptomatik wirkungsvoll behandelt werden. Dieses Prinzip liegt der systematischen Desensibilisierung (Folie 13)
zugrunde, die ebenfalls zu den verhaltenstherapeutischen Standardverfahren zählt und die der Psychologe Joseph Wolpe (1915 – 1997) bereits in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts beschrieben
hatte. Dabei erlernt der Patient zunächst ein Entspannungsverfahren (z.B. die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson). Dann wird eine Hierarchie der angstauslösenden Reize oder Situationen erstellt,
wie sie für das Beispiel der Prüfungsangst in Folie 14 dargestellt ist.
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Folie 13
systematische Desensibilisierung
(Wolpe 1958)
systematisch gesteigerte
Reizkonfrontation in sensu
Entspannungstraining
Folie 14
Angsthierarchie
Angstintensität
(Bsp. Pat. mit Prüfungangst)
100
den Eltern sagen müssen, daß ich durchgefallen bin
90
mitten in der Prüfung ist plötzlich alles weg
80
von den Prüfern kritisch angesehen werden
70
eine Frage nicht beantworten können
65
ich merke, daß mir eine Frage nicht ganz klar ist
50
zum Ort der Prüfung gehen
40
an den letzten Tagen der Vorbereitung habe ich „einen Block“
30
mit Kommilitonen über die herannahende Prüfung sprechen
25
Terminfestlegung der Prüfung
10
ich mache mir noch im Semester Gedanken über die Prüfung
0
Ruheszene: ich sitze im Gebirge und schaue in die Landschaft
Das therapeutische Vorgehen gestaltet sich dann folgendermaßen (Schema in Folie 15): der Patient
wird zunächst aufgefordert mit der erlernten Methode einen entspannten Zustand herzustellen, dann soll
er sich die am wenigsten angstbesetzte Situation seiner persönlichen Hierarchie vorstellen und dabei
genau auf seine psychischen und physischen Reaktionen achten. Erst wenn es dem Patienten gelingt,
die jeweilige Situation in der Vorstellung angstfrei und entspannt zu erleben, wird das nächst schwierigere Item aus der Hierarchie eingesetzt. Zwischen den einzelnen Durchgängen muss immer wieder vollkommene Entspannung hergestellt werden.
Folie 15
systematische Desensibilisierung
(therapeutisches Vorgehen schematisch)
Entspannung
10
25
30
40
50
65
75
Items der Angsthierarchie
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Um den Erfolg der systematischen Desensibilisierung zu erklären griff Wolpe auf den Begriff der „reziproken Hemmung“ zurück, demzufolge eine Person nicht zugleich entspannt und ängstlich sein kann
(Folie 16). Gelingt es dem Patienten trotz der Anwesenheit eines angstauslösenden Reizes (und sei es
nur ein vorgestellter) Entspannung herzustellen, dann verliert der Reiz mit der Zeit seine angstauslösende Potenz. Obwohl diese eigentlich plausible Erklärung empirisch nicht eindeutig belegt werden konnte,
ist die Wirksamkeit der systematischen Desensibilisierung gut empirisch abgesichert. Offensichtlich ist
also die Konfrontation mit dem angstauslösenden Reiz in der Vorstellung genauso wirksam wie in der
Realität. Das abgestufte Vorgehen ermöglicht einen für den Patienten überschaubaren und handhabbaren therapeutischen Prozess, was sich ebenfalls günstig auf den Therapieerfolg auswirkt.
Folie 16
systematische Desensibilisierung
(Wirkmechanismen)
?
•
„reziproke Hemmung“ (Wolpe): Hemmung der Verhaltensstörung (z.B.
Angst) durch gleichzeitige Aktivierung von damit inkompatiblem Verhalten (z.B.
Entspannung)
•
Konfrontation: in sensu genauso wirksam wie in vivo
•
graduiertes Vorgehen: Diskriminationslernen, handhabbare Schritte mit
Feedback
•
Entspannung: erleichterte psychophysiologische Habituation
?
Folie 17
take-home-message
• klassisches und operantes Konditionieren sind häufige und
grundlegende Lernmechanismen,
• die bei der Entstehung von Störungen (z.B. Angst) eine große
Rolle spielen
• auf deren Grundlage wirkungsvolle therapeutische Maßnahmen
aufgebaut werden können z.B. Expositionstraining,
systematische Desensibilisierung
Literatur:
- Margraf J: Lehrbuch der Verhaltenstherapie:
- Bd. 1: Grundlagen, Diagnostik Verfahren, Rahmenbedingungen. Berlin, Heidelberg, New York
(Springer). 22000
- Bd. 2: Störungen – Glossar. 22000
- Linden M, Hautzinger M (Hrsg): Verhaltenstherapiemanual. Berlin, Heidelberg, New York 42000.
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