MERKBLATT PARASITEN NUTZTIERE Bandwurmfinnen beim Rind MEIST ERST DURCH FINANZIELLE ABZÜGE nach der Schlachtung wird die Bandwurm-Problematik bei finnenbelastetem Rindvieh bemerkt. Ein Finnenbefall verursacht hohe Verluste. Mit einer Betriebsbesichtigung durch die Bestandstierärztin oder den Bestandestierarzt können mögliche Risiken der Parasitenübertragung identifiziert und geeignete Massnahmen zur Vermeidung weiterer Infektionen ergriffen werden. Der Lebenszyklus des Rinderbandwurms (Taenia saginata) mit dem obligaten und einzigen Endwirt Mensch umfasst ein Finnenstadium im Zwischenwirt Rind (Grafik, folgende Seite). Nach der Aufnahme von Wurm- eiern aus mit Kot kontaminiertem Futter oder Wasser entwickeln sich die Finnen in der Muskulatur des Rindes. Der Mensch infiziert sich durch den Verzehr von finnenhaltigem Fleisch, das ungenügend gefroren oder erhitzt wurde. Klinische Erscheinung Weder der adulte Bandwurm beim Menschen noch die Finnen beim Rind verursachen Krankheitssymptome. Nur ein sehr starker Befall des Rindes, die sogenannt generalisierte Cysticercose, kann zu Leistungseinbussen führen. Diese kommt in der Schweiz jedoch nur sehr selten vor. Rinder, die von Bandwurmfinnen befallen sind, zeigen meist keine Krankheitssymptome. Beim Verkauf als Schlachttier kann belastetes Fleisch aber zu schmerzhaften Preisabzügen führen. UFA-REVUE · 5 2011 1 MERKBLATT PARASITEN NUTZTIERE Verbreitung und Diagnostik Grafik: Entwicklungszyklus des Rinderbandwurms Gemäss Meldungen von sechs Schlachthöfen (469 317 untersuchte Schlachttiere) werden in der Schweiz bei 0.58 % der Schlachttiere Finnen gefunden. In einer Studie mit zufällig ausgewählten Schlachttieren wurden mit zusätzlichem Untersuchungsaufwand während der Fleischkontrolle 4.5 % infizierte Tiere entdeckt. Untersuchungen mit Bluttests deuten auf ein Vorkommen von Bandwurmfinnen bei sogar 8 % der Schlachtkühe hin. Jüngste Untersuchungen stellten keine regionalen Unterschiede in der Befallshäufigkeit fest. 2 1 4 3 Im Endwirt Mensch: Adulter Bandwurm haftet mit seiner Kopfanlage mit vier Saugnäpfen (1) im Darm. Sein Körper besteht aus vielen 1 bis 2 cm langen Bandwurmgliedern (2), die mit dem Stuhl fortlaufend ausgeschieden werden. Die darin enthaltenen, von Auge nicht sichtbaren Eier (3) werden vom Zwischenwirt aufgenommen. Im Zwischenwirt Rind: Nach der Aufnahme der Eier entwickelt sich der Parasit in der Muskulatur zu Finnen (4). Dies sind kleine (erbsengrosse), flüssigkeitsgefüllte Bläschen, in denen bereits der Kopf des Bandwurms angelegt ist. Wird damit befallenes Fleisch vom Endwirt aufgenommen, beginnt der Kreislauf aufs Neue. Modifiziert nach Kayser et al.; Taschenlehrbuch «Medizinische Mikrobiologie»; Thieme 2005. Routinemässige Diagnostik am Schlachttier Gemäss der Verord- Verkalkte Finne, wie sie häufig bei Muskelschnitten während der Fleischkontrolle gefunden wird. nung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements (EVD) über die Hygiene beim Schlachten (VHyS; SR 817.190.1) müssen alle Schlachtrinder mit diversen Muskelschnitten kontrolliert werden. Falls bei einem vorgeschriebenen Muskelschnitt eine Finne entdeckt wird, sehen die Vorschriften ein Tiefgefrieren des gesamten Schlachttierkörpers vor (Lagerung bei 0 bis 2 °C für einen Tag und anschliessend während fünf Tagen bei – 20 °C). Bei einem massiven Befall wird der komplette Schlachttierkörper als genussuntauglich deklariert und als tierisches Nebenprodukt entsorgt. Obwohl nur 30 bis 50 % der infizierten Schlachttiere bei der Routine-Fleischkontrolle diagnostiziert werden, entstehen dadurch grosse Verluste für die Tierhalter. Bei Betrieben mit Nachweis der Rindercysticercose sind keine seuchenpolizeilichen Massnahmen wie Meldepflicht, intensivierte diagnostische Untersuchungen oder zeitlich bedingte Auflagen für die Fleischverwertung vorgeschrieben. Diagnose am lebenden Tier Spezifische Antikörper gegen die Finnen können in einem Bluttest nachgewiesen werden. Solche Tests sind auf Einzeltierbasis nicht optimal, erlauben jedoch eine zuverlässige Aussage auf Bestandesebene. Etwa 70 Tage nach Beginn der Infektion können diese Antikörper erstmals nachgewiesen werden. 2 5 2011 · UFA-REVUE MERKBLATT PARASITEN NUTZTIERE Risikofaktoren und Massnahmen In einer Fall-Kontroll-Studie wurde gezeigt, dass einige Faktoren in der Umgebung des Betriebes einen bedeutenden Einfluss auf das Ansteckungsrisiko haben. Dazu zählen insbesondere: • Futterflächen, die an Parkplätze, Eisenbahnlinien oder an Freizeitarealen wie Sportplatz oder Strandbad angrenzen, oder welche in der Nähe von Naherholungsgebieten sind. • «Innerbetriebliche» Faktoren wie die Anwesenheit überdurchschnittlich vieler Leute auf dem Betrieb (z. B. anlässlich von Festen, Besichtigungen, «Buurezmorge», Schlafen im Stroh). Das von grösseren Veranstaltungen auf dem Landwirtschaftsbetrieb ausgehende Risiko wurde bisher kaum beachtet. Bei fehlendem Kanalisationsanschluss der Toiletten im Stall, aber auch von einer Einliegerwohnung, einem Ferienhaus oder von öffentlichen Toiletten muss damit gerechnet werden, dass Bandwurmglieder und -eier mit der Gülle auf die Futterflächen gelangen. Auch das Ausbringen von fremder Gülle kann ein Risiko darstellen. Verteilung bis 25 m Eine Streuung von Bandwurmeiern vom «Absetzort» einer Stuhlprobe in einem Umkreis von bis zu 25 m wurde beschrieben. Wiesen mit erhöhtem Infektionsrisiko sollten wenn möglich nicht als Weiden genutzt werden. Im gut getrockneten und gelagerten Heu sterben die Bandwurmeier jedoch rascher ab. Wie lange diese Eier unter welchen Bedingungen überleben können ist in der Tabelle zusammengefasst. In Naherholungsgebieten ist die Gefahr, dass Rinder mit Bandwurmeiern kontaminiert werden, besonders hoch. Die Eier gelangen via Menschenkot ins Futter, vom Futter ins Tier und der Mensch wiederum steckt sich durch finnenhaltiges Fleisch an. UFA-REVUE · 5 2011 Tabelle: Überlebensdauer von Bandwurmeiern Grundlage Weide Silage (Hochsilo) Gülle Heu (belüftet) Zeitspanne 6 Monate 3 Monate mindestens 2 Monate 3 bis 10 Wochen Fallbearbeitung auf Bestandsebene Mögliche Infektionswege und Risikofaktoren in einem betroffenen Betrieb lassen sich erkennen. Mit einem Bluttest bei Tieren, die mindestens eine Saison Weidegang hatten, können wichtige Hinweise über die Infektionssituation im Bestand gewonnen werden und es kann abgeschätzt werden, ob allfällig weitere Schlachthofmeldungen zu erwarten sind. Eine Behandlung von im Bluttest positiven Tieren ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht durchführbar. Derzeit gibt es keinen kommerziell erhältlichen Impfstoff. Stuhluntersuchung Durch eine parasitologische Stuhluntersuchung aller Personen, die auf dem Betrieb häufig anwesend sind, kann versucht werden, Bandwurmträger zu identifizieren. Resultate einer solchen Untersuchung unterliegen dem Arztgeheimnis. Vorbeugung Folgende vorbeugende Massnahmen gegen die Kontamination mit Bandwürmern können empfohlen werden: • Risikobehaftete Weiden und Futterflächen heuen und Heu mindestens zehn Wochen lagern (Bandwurmeier reagieren empfindlich auf Trockenheit). • Für Areale wie Strandbäder oder Picknickplätze bei der Gemeinde die Installation einer Toilette beantragen. • Bei Grossanlässen mobile Toilette aufstellen und Abwasser nicht auf die Weide ausbringen. • Neue Angestellte (inklusive Praktikanten) auf Bandwurmbefall testen. • Flächen möglichst nicht nutzen, die gelegentlich durch Vorfluter oder wegen Kanalisationsüberläufen überschwemmt werden. 3 MERKBLATT PARASITEN NUTZTIERE Analyse auf betroffenem Betrieb Hohes Übertragungsrisiko Mittleres Übertragungsrisiko Risikofaktoren wenn möglich beseitigen Risikofaktoren wenn möglich minimieren oder beseitigen Geringes Übertragungsrisiko Ebene Betrieb Fütterung Abwasser / Düngung • Hausabwässer in Güllegrube. • Stalltoilette in Güllegrube (viele Benutzer). • Ausbringen von Abwasser aus weiteren Haushaltungen (Einliegerwohnung, Ferienhaus, öffentliche Toilette usw.). • Stalltoilette in Güllegrube (wenige Benutzer). • Haushalt an Kanalisation angegliedert. • Stalltoilette an Kanalisation angeschlossen. • Kein Ausbringen von Haushaltsabwässern. • Ausbringen von fremder Gülle. • Zeitspanne von Ausbringung der Gülle bis Nutzung der Weide oder Grünfutterfläche unter acht Wochen. • Zukauf von viel Futter. • Lagerzeit Heu unter zehn Wochen (nicht belüftet). • Lagerzeit Silage unter zwölf Wochen. • Angrenzende Bahnlinie zur Weide oder Grünfutterfläche. Umgebungsfaktoren • Unbekannter Status über Abwasserentsorgung. • Wanderwege durch Weide oder Grünfutterfläche mit vielen Fussgängern. • Stark frequentiertes Naherholungsgebiet. • Weide oder Grünlandfläche geflutet bzw. Zugang der Tiere zu Oberflächenwasser, in das Abwässer geleitet werden. • Zeitspanne von Ausbringung der Gülle bis Nutzung der Weide oder Grünfutterfläche acht bis zwölf Wochen. • Zeitspanne von Ausbringung der Gülle bis Nutzung der Weide oder Grünfutterfläche über zwölf Wochen. • Zukauf von wenig Futter. • Lagerzeit Heu über zehn Wochen (belüftet). • Lagerzeit Heu unter zehn Wochen (belüftet). • Wanderwege durch Weide oder Grünfutterfläche mit wenigen Fussgängern. • Mässig besuchtes Gebiet. • Weide oder Grünfutterfläche geflutet beziehungsweise Zugang der Tiere zu Oberflächenwasser (Bach, Fluss, See). • Kein Zukauf von Futter. • Lagerzeit Silage über zwölf Wochen. • Isolierte Lage der Weide oder Grünfutterfläche. • Kein Naherholungsgebiet. • Tiere haben nur Zugang zu Leitungswasser. • Selten Besucher auf dem Hof. • Gelegentlich Besucher auf dem Hof. • Regelmässig Besucher auf dem Hof. Impressum In loser Folge publiziert die UFA-Revue zusammen mit Forschungs-, Beratungs- und Fachinstitutionen hilfreiche Merkblätter. Parasitologische Stuhluntersuchung aller Personen im Betrieb (Resultate unterliegen dem Arztgeheimnis) Parasitologische Stuhluntersuchung aller Personen im Betrieb (Resultate unterliegen dem Arztgeheimnis) Parasitologische Stuhluntersuchung aller Personen im Betrieb (Resultate unterliegen dem Arztgeheimnis) • Positives Ergebnis aus drei Proben (Tag 1, 3 und 5) ? Medizinische Behandlung durch den Hausarzt. • Negatives Ergebnis von drei Proben. ? Bei bestehendem Verdacht einer Bandwurminfektion Untersuchung wiederholen. • Negatives Ergebnis von drei Proben. ? Wahrscheinlich keine betriebseigene Quelle. Serologie von Tieren, die mindestens eine Saison Weidegang hatten Serologie von Tieren, die mindestens eine Saison Weidegang hatten Serologie von Tieren, die mindestens eine Saison Weidegang hatten Herausgeber RGD/Agridea, Eschikon 28, 8315 Lindau (Achtung: Antikörper gegen Finnen sind erst durchschnittlich 70 Tage nach Infektion nachweisbar.) (Achtung: Antikörper gegen Finnen sind erst durchschnittlich 70 Tage nach Infektion nachweisbar.) (Achtung: Antikörper gegen Finnen sind erst durchschnittlich 70 Tage nach Infektion nachweisbar) Fotos IPZ, UFA-Revue • Viele Tiere seropositiv. ? Bestandesproblem: Weitere Schlachthofmeldungen sind zu erwarten. • Einige Tiere seropositiv. ? Möglicherweise «eingeschlepptes» Problem, weitere Schlachthofmeldungen sind möglich. • Keine Tiere seropositiv. ? Kein Bestandesproblem ersichtlich. Autoren Med. vet. Ramon Eichenberger und Prof. Dr. Peter Deplazes, Institut für Parasitologie (IPZ), Universität Zürich, 8057 Zürich; zusammen mit dem Rindergesundheitsdienst (RGD), 8315 Lindau Layout / Publikation UFA-Revue www.ufarevue.ch 4 Ebene Landwirt / Familie / Personal Ebene Rind 5 · 11 5 2011 · UFA-REVUE