PD Dr. Daniel Effer-Uhe Erbrecht 24. Mai 2016 Erbrecht Gewillkürte Erbfolge Widerruf von Testamenten Widerrufsmöglichkeiten Widerrufstestament, §§ 2253, 2254 Widerruf durch Vernichtung oder Veränderung, §§ 2253, 2255 Widerruf durch Rücknahme aus amtlicher Verwahrung, §§ 2253, 2256 Widerruf durch späteres, widersprechendes Testament, §§ 2253, 2258 Beispiel: Erblasser E testiert im Januar 2014 folgendermaßen: „Mein Sohn S soll mein Alleinerbe sein“. Nachdem er Ende 2014 erneut geheiratet hat, errichtet er im Februar 2015 formwirksam ein neues Testament, in dem er testiert: „Meine Frau F soll Erbin zu ½ sein.“ Weitere Verfügungen enthält das neue Testament nicht. Im März 2016 errichtet er ein weiteres Testament, in dem es heißt „Mein Tischtennisverein T erhält ein Vermächtnis von 1.000 EUR.“ 24. Mai 2016 2 Erbrecht Gewillkürte Erbfolge Widerruf von Testamenten Beispiel (nach Leipold, Erbrecht, 20. Aufl. 2014, S. 125): Der verwitwete Werner (W) hat zwei Söhne, Martin (M) und Franz (F) sowie eine Tochter Odette (O), bei der er seit einiger Zeit wohnt. Am 1.6.2013 errichtet W ein formgültiges eigenhändiges Testament, in dem er O zur alleinigen Erbin einsetzt. Dieses Testament zeigte er auch seiner Tochter. Zum nächsten Weihnachtsfest bekam W von seinen Söhnen eine Kiste besten französischen Rotweins geschenkt, von der Tochter dagegen nur ein kleines Buch über den Glauben im Alter. W nahm die unterschiedlichen Weihnachtsgeschenke zum Anlass, am 26.12.2013 ein neues formgültiges Testament niederzuschreiben, in dem er M und F jeweils hälftig zu Erben einsetzte. Als O davon erfuhr, machte sie ihrem Vater heftige Vorwürfe. In einer eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Erklärung vom 15.2.2014 erklärte W daher, er hebe das Testament vom 26.12.2013 auf. Im April 2014 verstirbt W. Bei der Durchsicht seiner Sachen findet man die Erklärung vom 15.2.2014 in fünf Teile auseinandergerissen im Papierkorb des Erblassers; wie sie dorthin gekommen ist, lässt sich nicht sicher feststellen. Wie ist die Erbfolge nach W zu beurteilen? 24. Mai 2016 3 Erbrecht Gewillkürte Erbfolge Widerruf von Testamenten Widerrufsmöglichkeiten Widerrufstestament, §§ 2253, 2254 24. Mai 2016 Widerruf durch Vernichtung oder Veränderung, §§ 2253, 2255 Widerruf durch Rücknahme aus amtlicher Verwahrung, §§ 2253, 2256 Widerruf durch späteres, widersprechendes Testament, §§ 2253, 2258 4 Erbrecht Gewillkürte Erbfolge Typenzwang für den zulässigen Inhalt letztwilliger Verfügungen: Der Erblasser kann nur solche Verfügungen wirksam treffen, die ihrer Art nach im Gesetz ausdrücklich erwähnt werden oder deren Zulässigkeit jedenfalls durch Auslegung oder Analogie aus dem Gesetz abgeleitet werden kann. Wichtigste testamentarisch mögliche Verfügungen: die Bestimmung des Erben (Benennung von Erben und deren Erbanteil, § 1937, Ausschluss bestimmter Personen von der gesetzlichen Erbfolge, § 1938; Einsetzung von Ersatzerben, § 2096, und Nacherben, § 2100) Vermächtnisse (§ 1939) Auflagen (§ 1940) Anordnungen für die Nachlassabwicklung (Teilungsanordnung, § 2048; Testamentsvollstreckung, § 2197; Vorsehung eines Schiedsgerichts für Konflikte zwischen den Erben, § 1066 ZPO) Pflichtteilsentziehung bei bestimmten schweren Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten (§ 2336) Bestimmte familienrechtliche Anordnungen (z.B. Vormundbenennung, § 1777) Widerruf letztwilliger Verfügungen (§ 2254) Errichtung einer Stiftung (§ 83) 24. Mai 2016 5 Erbrecht Gewillkürte Erbfolge Auslegung eines Testaments bestimmt sich grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln über die Auslegung einer Willenserklärung viele Sonderregelungen, die den allgemeinen Regeln vorgehen grundsätzlich Ermittlung des wirklichen Willens des Erblassers (§ 133, „erklärende Auslegung“) keine normative Auslegung aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers aufgrund von § 157, da es keinen schutzwürdigen Erklärungsempfänger gibt hypothetischer Wille relevant, wenn der wirkliche Wille zwar feststeht, aber von unzutreffenden Motiven beeinflusst war, oder wenn das Erklärte aufgrund von Änderungen der Umstände nicht mehr realisierbar ist („ergänzende Auslegung“) Problem: Selbst wenn der Wille ermittelt ist, muss er auch formgerecht vom Erblasser erklärt sein. H.M.: Andeutungstheorie: das Gemeinte muss in der formbedürftigen Willenserklärung zumindest angedeutet sein; str. Faustformel: Die erläuternde Auslegung fragt bei Verfügungen mehrdeutigen Inhalts: Was hat der Erblasser mit diesen Worten sagen wollen? Die ergänzende Auslegung fragt bei unvollständigen Verfügungen: Was hätte der Erblasser erklärt, wenn er von diesem Umstand gewusst hätte? 24. Mai 2016 6 Erbrecht Gewillkürte Erbfolge Beispielsfall (nach Lipp, Examensrepetitorium Erbrecht, 3. Aufl. 2013, Rdnr. 257 ff.): E hinterlässt folgendes formwirksam errichtete Testament: "Nach meinem Tod soll Mutter alles gehören. Mein Skatbruder B soll den italienischen Intarsientisch erhalten." Nach dem Tod des E verlangt seine Mutter M Herausgabe der Erbschaft. Die Witwe des E, W, verweigert dies mit dem zutreffenden Hinweis, ihr Mann habe - seit die Kinder größer wurden - stets sie als "Mutter" bezeichnet, während seine Mutter in der Familie als "Oma" angesprochen wurde. Ferner stellt sich anhand der Tagebuchaufzeichnungen des E heraus, dass E dem zweiten Skatbruder D deshalb nichts vermacht hat, weil er ihn für den Dieb einer teuren Cognacflasche hielt. Tatsächlich hatte B die Flasche "mitgehen" lassen. Wie ist die erbrechtliche Lage? 24. Mai 2016 7 Erbrecht Gewillkürte Erbfolge Beispiel (nach Lange, Erbrecht, 2011, S. 340): Die Eheleute M und F erklären in ihrem gemeinschaftlichen Testament: „Wir setzen unsere gemeinsamen Kinder je zur Hälfte als Erben ein.“ Tatsächlich wollten sie sich jedoch gegenseitig zu Alleinerben und ihre Kinder zu Erben des zuletzt versterbenden Ehegatten einsetzen, wie sich aufgrund eines computergeschriebenen Testamentsentwurfs und durch die Aussagen mehrerer Zeugen, mit denen die Eheleute über ihr Testament gesprochen hatten, sicher feststellen lässt. Bei der Niederschrift vergaßen sie, die gegenseitige Erbeinsetzung aus dem Testamentsentwurf mit in die Urkunde zu übertragen. F stirbt. 24. Mai 2016 8 Erbrecht Gewillkürte Erbfolge Auslegungsregeln für die Testamentsauslegung „benigna interpretatio“ – wohlwollende Auslegung: Unter mehreren in Betracht kommenden Auslegungsalternativen ist diejenige zu wählen, nach der die Verfügung des Erblassers Erfolg haben kann, § 2084. § 2085: Nichtigkeit einer von mehreren Verfügungen hat im Zweifel (anders als nach § 139) nicht die Nichtigkeit der anderen zur Folge. Regeln hinsichtlich der Person des Erben (§§ 2066 S. 1, 2067 S. 1, 2068-2073) Wenn der Erblasser seinen Ehegatten, Lebenspartner oder Verlobten bedacht hat, ist die Verfügung im Zweifel unwirksam, wenn die Ehe oder das Verlöbnis vor dem Erbfall aufgelöst war oder der Erblasser alles hierzu Erforderliche getan hat (§ 2077 I, II, § 10 V LPartG); str.: Anwendung auf nichteheliche Lebensgefährten Regeln hinsichtlich der Art der Begünstigung (Erbeinsetzung oder Vermächtnis): § 2087 24. Mai 2016 9 Erbrecht Gewillkürte Erbfolge Beispiel (nach Lange, Erbrecht, 2011, S. 351): E verfügt wie folgt: „Mein Haus und mein Aktiendepot vermache ich meiner Frau. Meinem Sohn vererbe ich den Pkw.“ Weiteres werthaltiges Vermögen war zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht vorhanden. Das Haus hatte einen geschätzten Wert von 300.000 EUR, das Aktiendepot war im Zeitpunkt der Testamentserrichtung 100.000 EUR wert, das Auto noch 5.000 EUR. Kurz vor seinem Tod gewinnt der E noch einen Millionenbetrag im Lotto. 24. Mai 2016 10 Erbrecht Gewillkürte Erbfolge Auslegungsregeln für die Testamentsauslegung „benigna interpretatio“ – wohlwollende Auslegung: Unter mehreren in Betracht kommenden Auslegungsalternativen ist diejenige zu wählen, nach der die Verfügung des Erblassers Erfolg haben kann, § 2084. § 2085: Nichtigkeit einer von mehreren Verfügungen hat im Zweifel (anders als nach § 139) nicht die Nichtigkeit der anderen zur Folge. Regeln hinsichtlich der Person des Erben (§§ 2066 S. 1, 2067 S. 1, 2068-2073) Wenn der Erblasser seinen Ehegatten, Lebenspartner oder Verlobten bedacht hat, ist die Verfügung im Zweifel unwirksam, wenn die Ehe oder das Verlöbnis vor dem Erbfall aufgelöst war oder der Erblasser alles hierzu Erforderliche getan hat (§ 2077 I, II, § 10 V LPartG); str.: Anwendung auf nichteheliche Lebensgefährten Regeln hinsichtlich der Art der Begünstigung (Erbeinsetzung oder Vermächtnis): § 2087 Regeln bezüglich der Höhe des Erbteils: §§ 2088-2099 Regeln bezüglich bedingter Verfügungen: §§ 2074-2076 24. Mai 2016 11