"Die Vision eines europäischen Währungsraumes" in <i

Werbung
&quot;Die Vision eines europ&auml;ischen W&auml;hrungsraumes&quot; in Frankfurter Allgemeine Zeitung
(28. Mai 1988)
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Zeitung f&uuml;r Deutschland. 28.05.1988. Frankfurt/Main: FAZ Verlag GmbH.
Urheberrecht: (c) Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH
All rights reserved. Provided by Frankfurter Allgemeine archiv.
URL:
http://www.cvce.eu/obj/&quot;die_vision_eines_europaischen_wahrungsraumes&quot;_in_frankfurter_allgemeine_zeitung_28_mai
_1988-de-376139a3-3ced-4a06-a871-65ba105dd0ab.html
Publication date: 19/09/2012
1/6
19/09/2012
Die Vision eines europ&auml;ischen W&auml;hrungsraumes
Von Bundesbankpr&auml;sident Karl Otto P&ouml;hl
Wir befinden uns gegenw&auml;rtig in einer Phase neuer Initiativen in der Europ&auml;ischen Gemeinschaft. Im
Vordergrund steht die Absicht, bis 1992 einen europ&auml;ischen Binnenmarkt zu schaffen. Die insgesamt
g&uuml;nstige Wirtschafts- und W&auml;hrungslage bietet daf&uuml;r gute Voraussetzungen. Geldwertstabilit&auml;t ist nicht nur
als vorrangiges Ziel der Wirtschaftspolitik weitgehend anerkannt, sondern mehr denn je in Europa
verwirklicht; die Konvergenz der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsentwicklung ist — ungeachtet noch
bestehender Diskrepanzen etwa in der Finanzpolitik — gro&szlig;. Bis 1992 werden wir also auf dem Weg zur
Wirtschaftsunion in Europa hoffentlich ein gutes St&uuml;ck vorangekommen sein. Hierf&uuml;r einzutreten lohnt sich
schon allein aus wirtschaftlichen Gr&uuml;nden. Von einem einheitlichen Binnenmarkt darf Europa betr&auml;chtliche
Wachstumsimpulse erwarten. Dar&uuml;ber hinaus ist aber die Verwirklichung einer europ&auml;ischen
W&auml;hrungsunion zweifellos ein politisches Ziel von gro&szlig;er Bedeutung.
Mit gutem Grund gehen die Planungen f&uuml;r den europ&auml;ischen Binnenmarkt &uuml;ber den Handelsverkehr weit
hinaus. Unbedingt notwendig erscheint es, einen integrierten Finanzmarkt zu etablieren. Freier
Kapitalverkehr und unbeschr&auml;nkte Konvertibilit&auml;t der europ&auml;ischen W&auml;hrungen untereinander sind
wesentliche Bestandteile eines einheitlichen Binnenmarktes. Zugleich w&auml;re damit ein Grundelement einer
k&uuml;nftigen W&auml;hrungsunion geschaffen. Ein weiteres und entscheidendes Kriterium f&uuml;r eine W&auml;hrungsunion
ist die endg&uuml;ltige, irreversible Fixierung der Wechselkurse. Der Werner-Bericht aus dem Jahre 1970 enthielt
folgende Definition der W&auml;hrungsunion, die auch heute noch g&uuml;ltig ist: „Eine W&auml;hrungsunion erfordert im
Innern die vollst&auml;ndige und irreversible Konvertibilit&auml;t der W&auml;hrungen, die Beseitigung der Bandbreiten der
Wechselkurse, die unwiderrufliche Festsetzung der Parit&auml;tsverh&auml;ltnisse und die v&ouml;llige Liberalisierung des
Kapitalverkehrs.&quot;
Eine W&auml;hrungsunion nach dieser Definition h&auml;tte weitreichende Konsequenzen f&uuml;r die wirtschaftliche
Entwicklung in Europa. Sie w&auml;re der monet&auml;re &Uuml;berbau einer Wirtschaftsunion mit weitestgehender
Freiz&uuml;gigkeit f&uuml;r G&uuml;ter, Dienstleistungen, Arbeitskr&auml;fte und Kapital. Dies setzt nicht unbedingt die
Harmonisierung aller Politiken voraus; weiter bestehende Unterschiede im Steuersystem, in
tarifvertraglichen Regelungen und auf anderen Gebieten w&uuml;rden zu Standortvorteilen beziehungsweise
-nachteilen f&uuml;hren. Der Markt w&uuml;rde zwar ein gewisses Ma&szlig; an Harmonisierung erzwingen. Notwendig
w&auml;ren jedoch ein ordnungspolitischer Grundkonsens, ein funktionierender Finanzausgleich und ein hohes
Ma&szlig; an Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik, wenn wir zunehmende Ungleichgewichte
in der Wirtschaftsentwicklung der Mitgliedsl&auml;nder und letztlich einen Zusammenbruch des Systems
vermeiden wollen.
Von der W&auml;hrungsunion zur einheitlichen W&auml;hrung ist es nur noch ein kleiner Schritt. Zwar k&ouml;nnten die
nationalen W&auml;hrungen im Prinzip beibehalten werden, aber die Einf&uuml;hrung eines einheitlichen Geldzeichens
anstelle der nationalen W&auml;hrungen w&uuml;rde vermutlich der W&auml;hrungsunion eine „monet&auml;re Identit&auml;t&quot;
verleihen, das Restrisiko von Parit&auml;ts&auml;nderungen zwischen den nationalen W&auml;hrungen beseitigen und damit
ein Symbol f&uuml;r das Fortbestehen eines einheitlichen W&auml;hrungsraumes schaffen. Die Abl&ouml;sung nationaler
W&auml;hrungen durch eine Gemeinschaftsw&auml;hrung w&auml;re die „Kr&ouml;nung&quot; des monet&auml;ren Integrationsprozesses.
Aber bis zu diesem Endzustand ist es ein weiter Weg. Deshalb wird als Alternative zur schrittweisen
Ann&auml;herung an eine europ&auml;ische W&auml;hrungsunion im Sinne der Definition des Werner-Berichts seit Mitte der
siebziger Jahre das Konzept einer Parallelw&auml;hrung diskutiert. Dahinter verbirgt sich die Idee, neben
nationalem Geld als Vehikel der monet&auml;ren Einigung zus&auml;tzlich eine EG-W&auml;hrung in Umlauf zu bringen.
Die Verfechter dieser Idee setzen darauf, dass diese Europaw&auml;hrung nach und nach Franc, Gulden, D-Mark
und die anderen W&auml;hrungen verdr&auml;ngt und sich allm&auml;hlich zu dem alleinigen allgemeinen Zahlungs- und
Wertaufbewahrungsmittel in Europa entwickelt.
Verglichen mit der erfahrungsgem&auml;&szlig; schwierigen politischen Aufgabe, nationale wirtschaftspolitische
Kompetenzen auf die Gemeinschaft zu &uuml;bertragen, mag das Parallelw&auml;hrungskonzept auf den ersten Blick
als durchaus „elegant&quot; erscheinen. Bei genauer Betrachtung zeigt sich aber, dass auch bei diesem Konzept
2/6
19/09/2012
weitreichende institutionelle Anpassungsma&szlig;nahmen erforderlich sind, wenn der in Gang gesetzte
„W&auml;hrungswettbewerb&quot; in einer f&uuml;r alle Mitgliedstaaten akzeptablen Weise ablaufen soll.
Man kann durch eine Parallelw&auml;hrung nicht den politischen Entscheidungen ausweichen, die f&uuml;r die
Schaffung einer W&auml;hrungsunion essentiell sind. Die Vorstellung, man k&ouml;nne die Parallelw&auml;hrung durch
offizielle Pr&auml;ferierung gegen&uuml;ber den nationalen W&auml;hrungen verbreiten, ist wenig realistisch. Der Markt
entscheidet nach Zins- und Wechselkurskalk&uuml;l &uuml;ber die Akzeptanz einer W&auml;hrung; Versuche, durch
beh&ouml;rdliche Ma&szlig;nahmen den Markt auszuhebeln, sind wenig Erfolg versprechend, wie die Entwicklung der
privaten und offiziellen Ecu zeigt, die dann an Attraktivit&auml;t verlieren, wenn Kapitalverkehrsbeschr&auml;nkungen,
Devisenkontrollen und Einschr&auml;nkungen der Konvertibilit&auml;t abgebaut werden und die Wechselkurse stabiler
sind.
Die Ecu als Parallelw&auml;hrung — wie auch als W&auml;hrung &uuml;berhaupt — einzusetzen, st&ouml;&szlig;t unter anderem wegen
ihrer besonderen Konstruktion auf Schwierigkeiten. Eine Korb-Ecu kann als gewogener Durchschnitt der
nationalen W&auml;hrungen keinen nachhaltigen und insbesondere keinen gleichm&auml;&szlig;igen Verdr&auml;ngungsdruck auf
die nationalen W&auml;hrungen aus&uuml;ben und damit auch kein zus&auml;tzliches Integrationsinstrument sein. Die KorbEcu kann keine eigenst&auml;ndige Qualit&auml;t entwickeln. Sie spiegelt — von geringen Indifferenzmargen
abgesehen — den gewogenen Durchschnitt der Zinss&auml;tze und der Wechselkurse der im Korb enthaltenen
W&auml;hrungen wider.
Eine eigenst&auml;ndige europ&auml;ische Parallelw&auml;hrung m&uuml;sste einen gleich hohen Standard wie die beste der
nationalen W&auml;hrungen einhalten. Andernfalls m&uuml;ssten die EG-Notenbanken verpflichtet werden, den
Wechselkurs dieser Parallelw&auml;hrung durch unbeschr&auml;nkte Ank&auml;ufe vor einer Abwertung zu bewahren.
Derartige Interventionsverpflichtungen h&auml;tten erhebliche geldpolitische Konsequenzen; im Endeffekt liefe
dies auf eine st&auml;ndige Sch&ouml;pfung der relativ st&auml;rkeren W&auml;hrungen gegen Aufnahme der Europa-W&auml;hrung
hinaus.
Eine Parallelw&auml;hrungsstrategie setzt voraus, dass der marktwirtschaftliche Verdr&auml;ngungsprozess
funktioniert. Zu der erforderlichen gleichm&auml;&szlig;igen Substitution aller EG-W&auml;hrungen (also auch der D-Mark)
durch die Parallelw&auml;hrung k&ouml;nnte es nur kommen, wenn die Parallelw&auml;hrung
— binnenwirtschaftlich den gleiche Status erh&auml;lt wie jede nationale EG-W&auml;hrung;
— als Anlagew&auml;hrung unter Ber&uuml;cksichtigung der Zins- und Wechselkursentwicklung auch mit der
st&auml;rksten EG-W&auml;hrung konkurrieren kann und
— wenn sie in der Funktion als Transaktionsw&auml;hrung mit m&ouml;glichst geringen Kosten verbunden ist, was
praktisch nur dann der Fall w&auml;re, wenn sie durch hinreichend feste Wechselkurse zu den nationalen
W&auml;hrungen abgesichert ist.
Damit ist aber weitgehend der Endzustand definiert, zu dem die Parallelw&auml;hrung erst hinf&uuml;hren soll. Wozu
also der kostspielige Umweg &uuml;ber die Parallelw&auml;hrung? Europapolitisch w&auml;re wenig gewonnen,
stabilit&auml;tspolitisch aber viel aufs Spiel gesetzt, w&uuml;rde man das Parallelw&auml;hrungskonzept realisieren.
Die Schaffung einer W&auml;hrungsunion setzt nicht unbedingt ein europ&auml;isches Notenbanksystem voraus. Man
k&ouml;nnte sich auch eine erfolgreiche w&auml;hrungspolitische Zusammenarbeit der nationalen Notenbanken
vorstellen, wenn gleichzeitig auch auf anderen Gebieten der Politik ein hohes Ma&szlig; an Konvergenz erzielt
wird. Verl&auml;sslicher aber w&auml;re es wohl, wenn eine W&auml;hrungsunion — und um so mehr eine einheitliche
W&auml;hrung — auch ein Minimum, an institutionellem Rahmen erhielte.
Der Schritt in die institutionelle Phase der w&auml;hrungspolitischen Zusammenarbeit mit dem Ziel, ein
europ&auml;isches Notenbanksystem zu schaffen, setzt die Beantwortung einer Reihe von Fragen voraus — je
3/6
19/09/2012
klarer, desto besser —, um Irrwege von Anfang an zu vermeiden.
Zun&auml;chst geh&ouml;rt hierzu eine klar definierte Aufgabenstellung. Sie sollte inhaltlich mit dem Ziel des
Bundesbankgesetzes &uuml;bereinstimmen, „die W&auml;hrung zu sichern&quot;, also f&uuml;r stabile Preise zu sorgen. Das
scheint eine bare Selbstverst&auml;ndlichkeit f&uuml;r eine Notenbank zu sein, aber in der Praxis besteht immer die
Tendenz, der Geldpolitik zus&auml;tzliche Aufgaben aufzub&uuml;rden — etwa die Stabilisierung der Wechselkurse
oder die Mithilfe bei der regionalen Strukturpolitik, Vollbesch&auml;ftigung oder andere Aufgaben —, die mit
dem eigentlichen Ziel der Notenbankpolitik, den Geldwert zu sichern, in Konflikt geraten k&ouml;nnen.
Priorit&auml;t f&uuml;r Preisstabilit&auml;t bedeutet nicht, dass eine europ&auml;ische Notenbank von vornherein einen
deflation&auml;ren „Bias&quot; h&auml;tte. Vielmehr hat die Erfahrung der siebziger Jahre nicht nur in der Bundesrepublik
gezeigt, dass man nicht quasi f&uuml;r ein bisschen mehr Inflation ein bisschen weniger Arbeitslosigkeit kaufen
kann. Im Gegenteil, L&auml;nder mit niedriger Inflationsrate hatten in der Regel niedrigere Arbeitslosigkeit und
umgekehrt. F&uuml;r die gro&szlig;e Mehrheit der B&uuml;rger in der Bundesrepublik mit der traumatischen historischen
Erinnerung an zwei Inflationen und dem Bewusstsein, was Preisstabilit&auml;t f&uuml;r Wohlstand und soziale
Gerechtigkeit bedeutet, w&auml;re jedenfalls ein Notenbanksystem, das diesem Ziel einen geringeren Stellenwert
einr&auml;umte als das Bundesbankgesetz, kaum akzeptabel.
Die Aufgabe, f&uuml;r Preisstabilit&auml;t zu sorgen, wird zumindest erleichtert, wenn nicht &uuml;berhaupt erst erm&ouml;glicht,
wenn ein europ&auml;isches Notenbanksystem unabh&auml;ngig in seiner Willensbildung und in seiner
Entscheidungsfindung ist; unabh&auml;ngig nicht nur von nationalen Regierungen, sondern auch von den
Einrichtungen der Europ&auml;ischen Gemeinschaft, also von der Kommission und vom Ministerrat. Dies w&uuml;rde
in manchen Mitgliedsl&auml;ndern eine weitgehende &Auml;nderung der jetzigen Notenbankverfassung n&ouml;tig machen,
wahrscheinlich auch in der Bundesrepublik; denn bei ihrem gegenw&auml;rtigen, quasi zweistufigen System mit
elf Landeszentralbanken und dem Direktorium in Frankfurt kann man bezweifeln, ob dieses System
fortgef&uuml;hrt werden k&ouml;nnte.
Unseren ordnungspolitischen Vorstellungen w&uuml;rde es entsprechen, wenn das geldpolitische Instrumentarium
der europ&auml;ischen Zentralbank so ausgestaltet w&uuml;rde, dass es eine effektive Steuerung der Geldmenge ohne
R&uuml;ckgriff auf quantitative Kontrollen (oder andere direkte Eingriffe in die Finanzm&auml;rkte) erm&ouml;glicht. Das
Instrumentarium muss dementsprechend sowohl Mittel der Zins- als auch der Liquidit&auml;tspolitik vorsehen,
die f&uuml;r die Grobsteuerung wie die Feinsteuerung des europ&auml;ischen Geldmarktes ausreichen.
Ein europ&auml;isches Notenbanksystem l&auml;sst sich wohl nur dezentralisiert, f&ouml;deralistisch organisieren, also nach
dem Subsidiarit&auml;tsprinzip, wonach nur das zentralisiert wird, was unbedingt n&ouml;tig ist, und soviel wie
m&ouml;glich an nationalen Kompetenzen erhalten bleibt. Eine europ&auml;ische Notenbank sollte also mehr dem
Bundesbank-System oder dem Federal-Reserve-System in den Vereinigten Staaten &auml;hneln als dem
zentralistischen Aufbau der Notenbanken in den meisten europ&auml;ischen L&auml;ndern.
Schlie&szlig;lich sollte nach unserem Verst&auml;ndnis ein europ&auml;isches Notenbanksystem nicht berechtigt sein,
Staatsdefizite &uuml;ber Geldsch&ouml;pfung zu finanzieren. Das ist keineswegs in allen L&auml;ndern selbstverst&auml;ndlich. In
der Bundesrepublik ist dies der Bundesbank laut Bundesbankgesetz nicht erlaubt.
Beantwortet werden m&uuml;sste auch die Frage, in welchem Umfang eine europ&auml;ische Notenbank f&uuml;r die
Wechselkurspolitik gegen&uuml;ber Drittw&auml;hrungen, also in erster Linie Dollar und Yen, verantwortlich sein
sollte. Monet&auml;re Stabilit&auml;t bedarf der au&szlig;enwirtschaftlichen Absicherung, wie wir im Bretton-WoodsSystem gesehen haben. Stabilisierung der Wechselkurse kann und darf deshalb nicht das prim&auml;re Ziel der
Geldpolitik sein, vor allem nicht in einer inflation&auml;ren Umwelt. In diesem Rahmen aber gibt es durchaus
Spielraum f&uuml;r w&auml;hrungspolitische Kooperation mit L&auml;ndern au&szlig;erhalb der Gemeinschaft, die auch
Interventionen an den Devisenm&auml;rkten beinhalten kann. Eine europ&auml;ische Notenbank, die daf&uuml;r
verantwortlich w&auml;re, m&uuml;sste deshalb zumindest einen Teil der jetzt noch nationalen W&auml;hrungsreserven
definitiv erwerben und verwalten. Dies war schon bei der Schaffung des Europ&auml;ischen W&auml;hrungssystems
vorgesehen, scheiterte aber an der mangelnden Bereitschaft praktisch aller L&auml;nder (nicht etwa der
Bundesbank, die nur auf einer gesetzlichen Regelung insistieren musste), einen Teil der W&auml;hrungsreserven
unwiderruflich auf eine supranationale Institution zu &uuml;bertragen.
4/6
19/09/2012
Daneben g&auml;be es eine Reihe scheinbar nicht so prinzipieller Probleme, deren Relevanz man aber nicht
untersch&auml;tzen sollte. Wo soll zum Beispiel eine europ&auml;ische Zentralbank ihren Sitz haben, in Frankfurt, in
Paris, in Br&uuml;ssel oder in London?
Die Liste der schwierigen Fragen, die im Zusammenhang mit der Schaffung einer europ&auml;ischen W&auml;hrung
und eines europ&auml;ischen Notenbanksystems beantwortet werden m&uuml;ssen, lie&szlig;e sich beliebig verl&auml;ngern. Eine
davon ergibt sich schon aus der Tatsache, dass vier Mitgliedsl&auml;nder der Gemeinschaft — Gro&szlig;britannien,
Spanien, Portugal und Griechenland — dem jetzigen Wechselkursverbund des Europ&auml;ischen
W&auml;hrungssystems gar nicht und Italien nur mit erweiterter Bandbreite f&uuml;r die Lira angeh&ouml;ren. Man muss
unter diesen Umst&auml;nden wohl kein europapolitischer Def&auml;tist sein, um gewisse Zweifel zu haben, ob das
politische Umfeld f&uuml;r so weitreichende Entscheidungen und Souver&auml;nit&auml;tsverzichte, wie sie die Schaffung
einer europ&auml;ischen Notenbank und einer europ&auml;ischen W&auml;hrung erfordern, wirklich gegeben ist.
In der Zwischenzeit bleibt die Entwicklung jedoch nicht stehen. Wir sind auf dem Weg zur
w&auml;hrungspolitischen Integration in den letzten Jahren tats&auml;chlich erheblich fortgeschritten: Die
w&auml;hrungspolitische Zusammenarbeit in Europa ist seit Gr&uuml;ndung des Europ&auml;ischen W&auml;hrungssystems
intensiver geworden. Die Bundesbank hat dazu unter anderem mit ihrer Zustimmung zum zweimaligen
Ausbau der EWS-Regeln, zuletzt mit den Vereinbarungen von Basel und Nyborg im September 1987, einen
wesentlichen Beitrag geleistet. Die Wirtschaftsentwicklung in den Mitgliedsl&auml;ndern hat ein hohes Ma&szlig; an
Konvergenz erreicht, die Wechselkurse im Europ&auml;ischen W&auml;hrungssystem sind relativ stabil. Die
Koordinierung von Interventionen gegen&uuml;ber dem Dollar ist auch heute schon weit entwickelt, jedenfalls
unter den am Wechselkursverbund des Europ&auml;ischen W&auml;hrungssystems teilnehmenden L&auml;ndern.
Eine wichtige Rolle in diesem Prozess der w&auml;hrungspolitischen Zusammenarbeit spielt der Ausschuss der
Notenbankgouverneure der Gemeinschaft. Er hat sich als eine n&uuml;tzliche Einrichtung f&uuml;r die Koordinierung
der Geld- und W&auml;hrungspolitik im Europ&auml;ischen W&auml;hrungssystem erwiesen. Meines Erachtens k&ouml;nnte man
ihm durchaus weitergehende Vollmachten beim Management des W&auml;hrungssystems geben, zumal das
System auf einem Vertrag der Notenbanken aufgebaut ist. Zum Beispiel k&ouml;nnten notwendige
Wechselkurskorrekturen von den EG-Notenbankgouverneuren professionell, rechtzeitig und ohne gro&szlig;es
&ouml;ffentliches Aufsehen vorgenommen werden. Dahin gehende Vorschl&auml;ge sind allerdings von den
Finanzministern abgelehnt worden.
Dagegen eignet sich der Europ&auml;ische Fonds f&uuml;r w&auml;hrungspolitische Zusammenarbeit, der EFWZ, nicht als
Nukleus f&uuml;r ein europ&auml;isches Notenbanksystem. Dem Fonds fehlt eine wichtige Eigenschaft, n&auml;mlich die
Unabh&auml;ngigkeit von Institutionen der Europ&auml;ischen Gemeinschaft. Er ist eine Sch&ouml;pfung des EGMinisterrats und w&auml;re daher, jedenfalls im Prinzip, von Entscheidungen dieses Gremiums abh&auml;ngig.
Die Verpflichtung, das Europ&auml;ische W&auml;hrungssystem funktionsf&auml;hig zu halten, hat die Notwendigkeit f&uuml;r
eine engere Kooperation vergr&ouml;&szlig;ert. Die Bundesbank hat in den neun Jahren seit Gr&uuml;ndung des
W&auml;hrungssystems wesentliche Beitr&auml;ge zum ger&auml;uschlosen und erfolgreichen Funktionieren dieses
regionalen W&auml;hrungsverbundes geleistet. Die D-Mark ist dabei — ungewollt — in die Rolle der wichtigsten
Interventions- und Leitw&auml;hrung hineingewachsen. Sie hat sich zum Stabilit&auml;tsstandard des Europ&auml;ischen
W&auml;hrungssystems entwickelt und damit die entscheidende Grundlage f&uuml;r das erfolgreiche Funktionieren des
Systems geliefert. Das Gewicht der Volkswirtschaft der Bundesrepublik im Europ&auml;ischen W&auml;hrungssystem
hat ebenso dazu beigetragen wie die Tatsache, dass es der deutschen Wirtschafts- und W&auml;hrungspolitik
gelang, die Stabilit&auml;t der D-Mark zu sichern und sie auch im europ&auml;ischen W&auml;hrungsverbund als stabilste
W&auml;hrung zu erhalten. Es w&auml;re nicht nur f&uuml;r die Bundesrepublik, sondern gleicherma&szlig;en f&uuml;r die anderen
europ&auml;ischen Partner verh&auml;ngnisvoll, w&uuml;rde man die stabile Verankerung des Europ&auml;ischen
W&auml;hrungssystems lockern, ohne zu wissen, was an ihre Stelle treten soll.
Einige unserer Partner verweisen auf den Verlust an wirtschafts- und w&auml;hrungspolitischer
Handlungsfreiheit, den sie wegen der dominierenden Rolle der D-Mark im W&auml;hrungsverbund hinnehmen
m&uuml;ssen. In dem Ma&szlig;e, wie sie die Wechselkursbindung an die D-Mark akzeptiert haben, sehen sie sich in
der Verfolgung eigenst&auml;ndiger Wachstums-, Besch&auml;ftigungs- und Stabilit&auml;tsziele gehindert. Sie fordern
5/6
19/09/2012
daher eine „symmetrischere&quot; Lastenverteilung bei der Verteidigung der Wechselkurse im
W&auml;hrungsverbund. Diese Diskussion gibt es seit der Schaffung des Europ&auml;ischen W&auml;hrungssystems. Als
Ergebnis langwieriger Verhandlungen sind seinerzeit in den Vereinbarungen der Notenbanken die
Interventionsverpflichtungen eindeutig geregelt worden. Sowohl L&auml;nder, deren W&auml;hrung den unteren
Interventionspunkt, als auch L&auml;nder, deren W&auml;hrung den oberen Interventionspunkt erreicht hat, sind zu
Devisenverk&auml;ufen beziehungsweise zu Devisenank&auml;ufen verpflichtet. Insofern ist das System also durchaus
„symmetrisch&quot;. F&uuml;r so genannte intramarginale Interventionen, die den Wechselkurs innerhalb der
Bandbreiten halten sollen, bestehen keine vertraglichen Verpflichtungen. Sie sind jedoch von der
Zustimmung der Notenbank abh&auml;ngig, deren W&auml;hrung zu Interventionen eingesetzt wird. Die Bundesbank
hat der Verwendung der D-Mark meist zugestimmt, wenn dies nicht mit ihren geldpolitischen
Zielvorstellungen kollidierte.
Durch die Basel/Nyborg-Vereinbarungen sind die ohnehin gro&szlig;z&uuml;gigen Kreditfazilit&auml;ten teilweise — und
unter gewissen Bedingungen auch auf intramarginale Interventionen — ausgedehnt worden. Es ist
realistischerweise zu erwarten, dass die Bundesbank die Hauptlast dieser Finanzierungen zu tragen hat,
wann immer es zu erheblichen intramarginalen Interventionen kommt. Daraus k&ouml;nnen sich erhebliche
Belastungen f&uuml;r die Geldpolitik ergeben, zumal auch im Rahmen der Zusammenarbeit mit den Vereinigten
Staaten von der Bundesbank unter Umst&auml;nden erhebliche Interventionen erwartet werden. Es ist deshalb
kein Mangel an Kooperationsbereitschaft, wenn wir es ablehnen, &uuml;ber die vertraglich vereinbarten
hinausgehenden Interventionsverpflichtungen zu &uuml;bernehmen.
Daf&uuml;r gibt es aber noch andere schwerwiegende Gr&uuml;nde. W&uuml;rde die Bundesbank beginnen, EWSW&auml;hrungen in ihre Reserven aufzunehmen, wie es ihr nahegelegt wird, w&uuml;rde sie das Europ&auml;ische
W&auml;hrungssystem nicht st&auml;rken, sondern schw&auml;chen, weil damit der Anpassungszwang f&uuml;r ein Land mit
schwacher W&auml;hrung entfiele. Auch die Bundesrepublik hat nat&uuml;rlich eine Verpflichtung, zum Gleichgewicht
im W&auml;hrungssystem beizutragen, also in der jetzigen Situation ihre Leistungsbilanz&uuml;bersch&uuml;sse zu
verringern. Dies sollte aber nicht &uuml;ber eine Aufweichung der geldpolitischen Disziplin geschehen, sondern
durch eine Politik der St&auml;rkung der Binnennachfrage, wie sie beispielsweise mit der j&uuml;ngsten Steuersenkung
betrieben worden ist. Und schlie&szlig;lich k&ouml;nnen Interventionen auch kein dauerhafter Ersatz f&uuml;r rechtzeitige
Wechselkursanpassungen sein, solange die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedsl&auml;ndern stark
unterschiedlich verl&auml;uft. Das ist zur Zeit erfreulicherweise nicht der Fall, kann aber nicht f&uuml;r immer
ausgeschlossen werden.
Die Anfang des Jahres vorgelegte Studie von Gros und Thygesen zum Funktionieren des Europ&auml;ischen
W&auml;hrungssystems in den vergangenen Jahren unterstreicht die positive F&uuml;hrungsrolle der deutschen
Geldpolitik und macht deutlich, dass die behauptete „Asymmetrie&quot; den Zusammenhalt des Systems nicht
behindert, sondern gesichert hat: „Die Vorteile der F&uuml;hrungsrolle der Bundesbank k&ouml;nnten verloren gehen,
wenn das Europ&auml;ische W&auml;hrungssystem deutlicher symmetrisch und die F&auml;higkeit der Bundesbank
verringert w&uuml;rde, die monet&auml;ren Aggregate in der Bundesrepublik zu kontrollieren, ohne daf&uuml;r
gleicherma&szlig;en glaubw&uuml;rdige Regeln f&uuml;r die gemeinsame Geldsch&ouml;pfung zu etablieren.&quot;
Eine europ&auml;ische W&auml;hrungsunion ist ein w&uuml;nschenswertes politisches und wirtschaftliches Ziel. Einige
gro&szlig;e Schritte auf dem Weg dorthin sind bereits zur&uuml;ckgelegt worden. Die von der Europ&auml;ischen
Kommission vorgeschlagene Richtlinie zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs in der Gemeinschaft, die
hoffentlich in naher Zukunft, m&ouml;glicherweise bereits bei der n&auml;chsten Sitzung des Finanzministerrats am 13.
Juni, verabschiedet werden wird, w&auml;re ein Meilenstein in dieser Entwicklung. Die Beteiligung aller
Mitgliedsl&auml;nder der Europ&auml;ischen Gemeinschaft am Wechselkursmechanismus des Europ&auml;ischen
W&auml;hrungssystems w&auml;re ein weiterer wichtiger Schritt. Ob dar&uuml;ber hinausgehende institutionelle
Weichenstellungen in Richtung auf eine W&auml;hrungsunion m&ouml;glich sind, liegt in der Hand der Regierungen
und Parlamente. Realismus und Augenma&szlig; sind dabei n&uuml;tzlicher als Wunschdenken.
6/6
19/09/2012
Herunterladen