Kosmologie 1 Die griechischen Naturphilosophen Bild 1.Das Weltbild der alten Babylonier. W ist das Weltmeer, E das Gewölbe der Erde, L der Luftraum, F die Feste des Himmels mit dem Himmelswasser darüber. A und U sind Aufgangs- und Untergangstore der Sonne, T das Totenreich. Die ionischen Naturphilosophen aus Milet betrachten als Grundbestandteil der Welt einen Urstoff: das Wasser bei Thales (etwa 625 – 547 v. u. Z.), das Unbegrenzte („Apeiron”) bei Anaximander (etwa 610 – 546 v. u. Z.), bzw. die Luft bei Anaximenes (etwa 585 – 526 v. u. Z.). Mögen uns diese Versuche heute auch ein wenig naiv vorkommen, so handelt es sich doch um einen welthistorischen Wendepunkt, wo auf die Frage nach dem letzten Grund und der Einheit der Welt die Antwort ohne jede Beimengung von Mystik gegeben und der Versuch unternommen wird, die Natur allein aus sich zu erklären. Gleichzeitig zeigen diese Vorschläge gewisse naturwissenschaftliche Kenntnisse. Sicher haben bei Thales auch babylonische Vorstellungen über die allbelebende Kraft des Wassers (z. B. in der Wüste) eine Rolle gespielt. Bild 1 zeigt das Thales wohl bekannte babylonische Weltbild. Bild 2 ist eine Rekonstruktion der ersten bekanntgewordenen Weltkarte, als deren Verfasser Anaximandros gilt, mit Verbesserungen von seinem Schüler Hekataios von Miletos (etwa 560 – 480 v. u. Z.). Heraklit von Ephesos (etwa 550 – 480 v. u. Z.) legt die Betonung auf den Wandel. Er lehrt ein zeitlich unbegrenztes Universum: „Diese Welt ... hat weder der Götter noch der Menschen einer gemacht, sondern sie war immer und ist und wird immer sein ein ewig lebendiges Feuer, nach Maßen sich entzündend und nach Maßen erlöschend.” Bild 2. Milesische Weltkarte nach Anaximander und Hekataios von Milet (um 510 v.u.Z.). Parmenides von Elea (etwa 515 – 445 v. u. Z.) betont dagegen die Unveränderlichkeit des Seins. Seine Lehre von der Wahrheit über die Natur der Wirklichkeit, die nichts anderes ist als die Lehre vom Sein (Ontologie), enthält die Kerngedanken: Es ist nur Seiendes, und dieses ist erkennbar; Denken und Sein entsprechen einander; Nicht-Seiendes existiert nicht, es ist undenkbar; es gibt deshalb kein Entstehen und Vergehen, da beides die Existenz von Nicht-Seiendem voraussetzt; das Seiende ist deshalb ungeworden, unveränderlich und ungeteilt. Die Schule der Eleaten wirft damit zum ersten Male das Problem der Veränderung auf, das dann in voller Schärfe in den Paradoxien des Zenon von Elea (etwa 490 – 430 v. u. Z.) gestellt wird (fliegender Pfeil, Achilles und die Schildkröte usw.). Die Schule des Pythagoras von Samos (etwa 570 – 480 v. u. Z.) erklärt den Kosmos durch mathematische Strukturen: „Der ganze Kosmos ist Harmonie und Zahl.” Die Pythagoreer nehmen außerdem im Zentrum der Welt ein Zentralfeuer an, umkreist von Erde, Mond und den im Altertum bekannten Planeten (Bild 3). Da ihnen die Zahl 10 heilig ist, postulieren sie die Existenz eines zusätzlichen Planeten, der „Gegenerde” (in der Abbildung nicht dargestellt). Das Problem der Veränderung wird auf unterschiedliche Weise gelöst, einerseits durch die Atomisten Leukipp (2. Hälfte des 5. Jh. v. u. Z.) und Demokrit (etwa 470 – 380 v. u. Z.), andererseits durch die Lehre des Platon (etwa 427 – 347 v. u. Z.) von den unwandelbaren, eingeborenen Ideen. Bild 3. Das Planetenschalenmodell der Pythagoreer um die Zentralsonne. Eine unendliche Zahl von Welten in einem Kosmos ohne Zentrum, die entstehen und wieder vergehen, stellt sich Anaximander vor. Auch Demokrit vertritt eine Auffassung von unendlich vielen Welten ohne Mittelpunkt. 2 Das geozentrische Weltsystem Die Kugelgestalt der Erde ist schon in der Schule des Pythagoras von Samos (etwa 570 – 480 v. u. Z.) bekannt. Die Lehre, daß sich die Erde im Weltzentrum befindet, umkreist von Sonne, Mond und den anderen Planeten, gehört zu den Grundpfeilern der Wissenschaft im Altertum. In bestimmten zeitlichen Abständen wird bei den Planeten eine rückwärtsgerichtete bzw. Schleifenbewegung beobachtet, die mit ihrer Stellung zur Sonne verbunden ist. Da dieser Vorgang streng periodisch abläuft, läßt er sich nach Eudoxos von Knidos (etwa 408 – 338 v. u. Z.) - modern gesprochen - in voneinander unabhängige, gleichförmige Komponenten von Kreisbewegungen zerlegen. Dies ist eine geniale und die weitere astronomische Entwicklung bestimmende Idee des bedeutenden antiken Mathematikers und Astronomen, auf der auch die Methode der Reihenentwicklung beruht (harmonische Analyse). Da man sich in der Antike die Planeten an kristallene Sphären geheftet denkt, benutzt Eudoxos dazu für jeden Planeten mehrere ineinandergeschachtelte Sphären, die jeweils um verschiedene Achsen rotieren. Mit der jeweils innersten ist der Planet verbunden. Bild 1 zeigt das Modell des Eudoxos am Beispiel des Planeten Saturn. Bild 1. Das Modell des Eudoxos (Als Beispiel sind Spären für Saturn angegeben. Die Erde ruht im Mittelpunkt.) Nach der antiken Physik des Aristoteles von Stagira (384 – 322 v. u. Z.) gibt es zwei Arten von Bewegung: die unvollkommene, ungleichförmige, zeitlich begrenzte geradlinige der irdischen Körper (das Steigen der leichten und das Fallen der schweren) sowie die vollkommene, gleichförmige, ewige des Himmelselementes - die Kreisbewegung. Während die irdischen Körper mit Erreichen ihrer natürlichen Orte zur Ruhe kommen, befindet sich himmlische Materie deshalb in ewiger - symmetrischer (!) Kreisbewegung, weil hier Anfang und Ziel der Bewegung ein und derselbe Ort ist. Als Teile des vollkommenen Kosmos müssen sich die Himmelskörper auch auf vollkommenen Bahnen bewegen. So ergibt sich das Axiom: „Die Bewegung der Planeten ist kreisförmig, oder sie ist aus kreisförmigen und gleichförmigen Teilen zusammengesetzt.” Bild 2. Die epizyklische Bewegung eines Planeten nach Apollonius: Der Planet läuft auf einem kleinen Kreis (Epizykel), dessen Mittelpunkt auf einem größeren Kreis (Deferent) umläuft. Resultierend ergibt sich die am Himmel beobachtete Schleifenbewegung der Planeten. (Der Mittelpunkt des Deferenten ist hier mit dem des Weltzentrums Erde identisch. Bei Hipparch werden noch zusätzlich beide Punkte als verschieden angenommen.) Die Fixsterne sind an einer sich drehenden Sphäre mit endlichem Radius angebracht. Außen wirkt nach Aristoteles ein absolut Erstes Bewegendes. Er verdoppelt deshalb die Sphären des Eudoxos, um eine gleichsam mechanische Übertragung der Urbewegung des äußersten Himmels bis hinunter zum Mond verständlich zu machen (Einführung rückrollender Sphären zur Darstellung der Bewegung der Himmelskörper in einem einheitlichen Gesamtsystem). Nach Aristoteles ist an der Mondbahn die supralunare, ideale, himmlische Sphäre streng von der sublunaren, unvollkommenen, irdischen Sphäre geschieden. Die Kometen mit ihren scheinbar geradlinigen Bahnen ordnet er deshalb letzterer Sphäre zu, also der erdnahen Umgebung. Um die beobachteten rückläufigen Bewegungen der Planeten am Himmel beschreiben zu können, werden andererseits durch Apollonius von Perge (etwa 262 – 190 v. u. Z.) sogenannte Epizykel angenommen (Bewegungen von Kreisen auf Kreisen). Bild 2 zeigt ihre Konstruktion nach Apollonius. Der bedeutendste beobachtende Astronom des Altertums, Hipparch von Nikaia (etwa 190 – 125 v. u. Z.), führt zusätzlich Exzenter ein (versetzte Kreismittelpunkte) - vergleiche Bild 3. Bild 3. Das ptolemäische System: Die Epizykel der Planeten laufen auf großen Kreisen mit versetztem Mittelpunkt. Schließlich führt Claudius Ptolemäus in Alexandria (etwa 83 – 161 u. Z.) den Äquant ein (einen weiteren Ausgleichspunkt) und kompiliert das antike Wissen. So entsteht nach den Vorarbeiten von Eudoxos, Apollonius und Hipparch schließlich das sogenannte ptolemäische Weltsystem. In dieser endgültigen Form hat das geozentrische Weltsystem dann immerhin noch etwa anderthalbtausend Jahre Bestand. Bild 3 zeigt das System des Ptolemäus mit Epizykeln und Exzentern. 3 Das Tychonische und verwandte Systeme Der Pythagoreer Herakleides von Pontos (etwa 390 – 310 v. u. Z.) kennt schon die Theorie von der täglichen Achsendrehung der Erde. Gemessen an heliozentrischem und geozentrischem System lehrt er eine Kompromißvorstellung: Merkur und Venus kreisen um die Sonne, die Sonne aber wie der Mond und die übrigen Planeten um die Erde. Die Anordnung von Merkur und Venus bereitet nämlich im geozentrischen System Schwierigkeiten, da ihr Lauf an die Sonne gebunden scheint – im Unterschied zu den anderen Planeten entfernen sie sich bis maximal 27° bzw. 47° östlich oder westlich von der Sonne und scheinen mit gleicher Geschwindigkeit wie diese um die Erde zu laufen. Jedoch bleibt diese Auffassung in der Antike notwendigerweise Episode, da sie das Problem der Bindung von Merkur und Venus an die Sonne unter Verletzung der aristotelischen Physik löst. Bild 1. Das tychonische Weltbild. Ein ähnliches System (Bild 1) schlägt auch fast zweitausend Jahre später Tycho Brahe (1546 – 1601) vor (Bild 2), möglicherweise angeregt durch Einsicht in hinterlassene Manuskripte des frühzeitig an der Pest verstorbenen Erasmus Reinhold (1511 – 1553) aus Saalfeld. Auch hier ruht die Erde im Weltmittelpunkt, umkreist von Mond und Sonne. Im Unterschied zum System des Herakleides wird die Sonne hier allerdings von allen übrigen Planeten umkreist. Der Grund für dieses eigene Modell des Tycho Brahe ist hauptsächlich, daß eine nach dem heliozentrischen System zu erwartende scheinbare Eigenbewegung der Fixsterne (sogenannte jährliche Parallaxe, Bild 3) zu seiner Zeit nicht beobachtet wird. Bild 2. Tycho Brahe (1545 – 1601). Ein weiterer Grund ist, daß auch das System des Copernicus wegen seiner Beschränkung auf Kreisbewegungen noch beträchtliche Ungenauigkeiten in der Vorhersage von Planetenpositionen aufweist, die Tycho Brahe als genauestem Beobachter seiner Zeit nicht entgangen sind. Bild 3. Jährliche Parallaxe eines Fixsterns (schematisch): Die Erde bewegt sich um die Sonne auf einer Ellipsenbahn. Die Punkte E4, E3, E2, E1 bezeichnen die Stellung der Erde beim Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winteranfang. Denkt man sich von jedem Punkt eine Verbindungslinie zu dem Stern gezogen und verlängert man diese Linie über den Stern hinaus, so zeichnet sich im Hintergrund, auf der scheinbaren Himmelskugel, eine Bewegung des Sterns ab. Er beschreibt im Laufe eines Jahres eine elliptische Bahn. Da die Astronomen wissen, daß in dieser kurzen Zeit der Fixstern in Wirklichkeit nur eine kaum von uns meßbare Bewegung ausführt, schließen sie daraus, daß sich in der scheinbaren Bewegung des Fixsterns die Erdbewegung widerspiegelt. 4 Das heliozentrische Weltsystem Schon in der Antike wird von Aristarch von Samos (310 – 230 v. u. Z.) das heliozentrische Modell vorgeschlagen, in dem die Sonne im Mittelpunkt steht, umkreist von der Erde, dem Mond und den übrigen Planeten. Er kommt auf sein System durch eine Bestimmung des Größenverhältnisses von Mond- und Sonnenabstand zur Erde. Da das Modell des Aristarch aufgrund der Erdbewegung eine Verschiebung der Fixsternörter (jährliche Parallaxe, vgl. Bild 3 der Tafel 3) vorhersagt, die aber mit damaligen Mitteln nicht beobachtet wird - und außerdem der vorherrschenden Physik des Aristoteles widerspricht - kann es sich gegen das geozentrische Weltsystem des Ptolemäus nicht durchsetzen und wird vergessen. Bild 1. Darstellung des Weltsystems von Copernicus im Sternatlas von Cellarius. Um 1500 wird das heliozentrische Modell wiederentdeckt bei dem Versuch von Nicolaus Copernicus (1473 – 1543), das geozentrische System von den ihn störenden Exzentern und Äquanten zu befreien (Bilder 1 und 2). Das Grundanliegen des Copernicus (Bild 3) bei seiner Umgestaltung ist - wie man aus einer Frühschrift, dem „Commentariolus“ weiß - die bisherige geozentrische Beschreibung von verkomplizierendem Ballast zu befreien und eine einfache Beschreibung der von den antiken Philosophen geforderten vollkommenen Himmelsbewegung wiederherzustellen. Er findet, daß das Weltsystem des Ptolemäus weder „vollkommen genug, noch der Vernunft hinreichend angepaßt“ sei. Copernicus vermag - was im geozentrischen Modell nicht möglich war - in seinem System die Planeten einschließlich der Erde nach der Länge ihrer Umlaufzeiten anzuordnen. (Die vorherige ptolemäische Anordnung hatten die mittelalterlichen Gelehrten schon immer als willkürlich und damit unnatürlich empfunden.) Bild 2. Das Copernicanische Weltsystem. Aus „De Revolutionibus...“ Die beobachteten Phasen der Venus (Bild 4) erklären sich im heliozentrischen Bild zwanglos aufgrund ihrer Beleuchtung durch die Sonne - in Analogie zu den Phasen des Erdmondes. Da auch Copernicus noch bei der antiken Vorstellung von den idealen Bewegungen der Himmelskörper - also den Kreisbahnen der Planeten - verharrt, ist er allerdings gezwungen, auf Kosten der Einfachheit des Systems das Instrumentarium der Epizyklen beizubehalten, um so weit wie möglich eine Übereinstimmung mit den Beobachtungen zu erreichen. Auch jetzt findet man keine Fixsternparallaxe bei Beobachtungen, die zur Bestätigung des copernicanischen Systems durchgeführt werden. (Es wird noch 300 Jahre dauern, bis man mit verbesserter Beobachtungstechnik auf diese Weise den ersten verläßlichen Sternabstand trigonometrisch bestimmen kann.) Bild 3. Nicolaus Copernicus (1473 – 1543). Bild 4. Die wechselnde Lichtgestalt der Venus. Sie wurde schon von Copernicus als Beweis für die Richtigkeit seines heliozentrischen Weltbildes angeführt und gilt bis heute als wichtige Bestätigung des copernicanischen Systems. Im Gegensatz zur Antike setzt sich diesmal das heliozentrische Weltbild jedoch durch. Die Gründe hierfür sind - neben den physikalischen Erkenntnissen von Galilei und seiner Entdeckung des Satellitensystems des Jupiter dank der Erfindung des Fernrohrs - hauptsächlich in Keplers Auffindung der drei Gesetze der Planetenbewegung und der nachfolgenden mathematischen Formulierung der Gravitationskraft durch Newton zu suchen. Die hierauf aufbauende Mechanik überzeugte - insbesondere aufgrund der quantitativen Ausformulierung - durch ihre meßbaren Erfolge von der Richtigkeit des dynamischen Paradigmas und damit des zugrundeliegenden heliozentrischen Modells. 5 Der Umbruch des Weltbildes vom Mittelalter zur Neuzeit In der Antike wird von Anaximander von Milet (etwa 610 – 546 v. u. Z.) mit dem Urstoff Apeiron die Vorstellung einer unendlichen Zahl von Welten verbunden, die aus dem Unendlichen, Unbegrenzten in die Existenz treten und später wieder von ihm aufgenommen werden. Das Weltall ist unendlich und ewig existierend, ohne Mittelpunkt. Unendlich viele Welten ohne Zentrum lehrt ebenfalls der Atomist Demokrit von Abdera (etwa 470 – 380 v. u. Z.). Ein unendliches, unbegrenztes Universum wird auch von Anaxagoras von Klazomenai (etwa 500 – 428 v. u. Z.) und dem Pythagoreer Archytas von Tarent (428 – 365 v. u. Z.) angenommen. Bild 1. Der Mensch durchbricht die begrenzte Welt des mittelalterlichen Universums (Holzstich von Flammarion, 1888). Bild 2. Giordano Bruno (1548–1600) Bild 3. Galileo Galilei (1564–1642) Im Mittelalter geht vieles von dem Wissen der antiken Astronomen zunächst verloren; zum Beispiel wird zeitweise die Erde wieder als Scheibe angesehen (Bild 1). Die große Übergangsgestalt zwischen der Weltanschauung des Mittelalters und der Renaissance ist der deutsche Kardinal Nicolaus von Cues (1401 – 1464), latinisiert auch Cusanus genannt. Cusanus fordert zur exakten Beobachtung der Natur, zum Experiment und zur mathematischen Naturbeschreibung auf. Er macht sich mit dem Erbe der antiiken Philosophen vertraut und wird nachhaltigen Einfluß auf die Entwicklung der Renaissancephilosophie ausüben. Weltanschaulich besonders bedeutsam wird seine dialektische These vom Zusammenfallen der - im Endlichen einander ausschließenden - Gegensätze im Unendlichen. Cusanus vertritt die erstaunlich moderne Ansicht, daß die Welt gleichsam überall ihren Mittelpunkt und nirgendwo eine Grenze hat. Jeder Punkt im All besitzt nämlich nach seiner Überzeugung die gleiche Entfernung zu Gott, so daß deshalb jeder Punkt gleichermaßen als Mittelpunkt des Universums aufzufassen ist. Im Gegensatz zu Aristoteles sieht Cusanus keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Himmel und Erde und befindet sich damit ein einem tiefen Gegensatz zum mittelalterlich-scholastischen Weltbild. Die Erde dreht sich um ihre eigene Achse und ist ein Himmelskörper unter unzähligen anderen Sternen. Daß diese Weltbetrachtung nicht mit der vorherrschenden Lehre seiner Zeit in manifesten Konflikt gerät, ist sicherlich seiner hohen Stellung in der kirchlichen Hierarchie zu verdanken. Das System des Copernicus bereitet den Bruch mit dem mittelalterlichen Modell eines endlichen, geschlossenen Kosmos vor: Um die um die Sonne kreisende Erde und die zunächst fehlende jährliche Fixsternparallaxe in Einklang zu bringen, müssen Sterne und Planeten offenbar viel weiter von der Erde entfernt sein als bisher vermutet. Auch dies führt zu weitreichenden weltanschaulichen Konsequenzen über die vermutliche Größe des Universums. Bild 4. Die Pluralität der Welten nach Leonhard Euler (1707–1783). In Eulers Bild kündigt sich die neue, von Nicolaus von Cues (1401–1464) und Giordano Bruno vorweggenommene Vorstellung vom Kosmos an: Das Sonnensystem ist eines von vielen, die den Himmel erfüllen und die alle - genau wie die Kometenbahnen - denselben Gravitationskräften unterliegen. Giordano Bruno (1548 – 1600) schließlich bekennt sich zum heliozentrischen System von Aristarch und Copernicus sowie zu den Ideen von Cusanus über die Unendlichkeit des Weltalls in Raum und Zeit. Aus beiden Grundlagen entwickelt er unter neoplatonischen Einflüssen ein pantheistisches Weltbild (Einssein Gottes und der Welt). Da dies im Gegensatz zu den Lehren der Kirche steht, endet er auf dem Scheiterhaufen (Bilder 2 und 4). Während im Mittelalter nicht die Natur, sondern das, was in Büchern über sie steht, der Gegenstand des Wissens ist, wird von Francis Bacon (1561 – 1626) und Galileo Galilei (1564 – 1642) das Experiment in den Mittelpunkt der Gewinnung von Erkenntnis gestellt (Bild 3). 6 Die Schaffung der Himmelsmechanik Eigentlich hatte Copernicus mit der Aufstellung des heliozentrischen Systems, die von seinen Zeitgenossen als Umsturz der Astronomie empfunden wurde, nur das antike System des Aristarch wiederentdeckt, das damals allerdings von Hipparch (etwa 190 – 125 v. u. Z.), dem größten Astronomen des Altertums, aufgrund der seinerzeit nicht aufgefundenen jährlichen Fixsternparallaxe verworfen und deshalb später vergessen worden war. Bild 1. Erstes und zweites Keplersches Gesetz der Planetenbewegung. Ellipsenbahn der Planeten und Flächensatz (1609). Die wahrhaft revolutionäre Entdeckung der Neuzeit ist deshalb nicht das copernicanische System, sondern die drei Gesetze der Planetenbewegung von Johannes Kepler (1571 – 1630); insbesondere das erste, wonach die Planeten auf Ellipsen laufen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht (Bild 1). Wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Schöpfer der Theorie der Epizykel und Exzenter, Apollonius von Perge (etwa 262 – 190 v. u. Z.), auch der Verfasser des bedeutendsten antiken Lehrbuchs über Kegelschnitte (Bild 2) ist - von ihm stammen die Begriffe Ellipse und Hyperbel - sieht man, wie nahe man bereits im Altertum an dieser Entdeckung war. Das strikte Kreisdogma der Antike scheint dies verhindert zu haben. Eine dynamische Vorstellung von der Planetenbewegung hat schon Kepler, wenn er als Ursache auch magnetische Kräfte vermutet (dies würde mathematisch auf eine falsche quantitative Formulierung führen). Experimentelle Untersuchungen von Galileo Galilei (1564 – 1642) zum Pendel und zum freien Fall erschüttern die seit dem Mittelalter gelehrte, althergebrachte Physik des Aristoteles. Galileis Fernrohrbeobachtungen zeigen darüberhinaus am Beispiel der Jupitermonde (Bild 3), daß die massiven Zentralkörper offenbar dafür verantwortlich sind, daß die Trabanten sie umkreisen. Bild 2. Modell der Entstehung der Kegelschnitte Ellipse, Parabel, Hyperbel. Keplers Gesetze der Planetenbewegung machen im System von Copernicus dynamischen Sinn, während ihre ptolemäische Umdeutung verworren ist. Als mathematisch die richtige radiale Abhängigkeit der Gravitation durch Robert Hooke (1635 -- 1701) und Isaac Newton (1643 – 1727) gefunden wird, ist es der quantitative Erfolg der Mechanik, der dem neuen Weltbild zum Siege verhilft. Bild 3. Jupiter mit den vier von Galileo Galilei (1564-1642) entdeckten Monden: Ein dynamischer Beweis für die Richtigkeit des copernicanischen Systems. 7 Weltinseln Die nebligen Gebiete und Flecken am Himmel - insbesondere das Band der Milchstraße - beschäftigen die Astronomen seit mehr als zweitausend Jahren. Viele zum Teil sehr frühe Beobachtungen sprachen für die Annahme, daß die anscheinend nebligen Objekte aus einer sehr großen Zahl von Sternen bestehen - also selbständige Weltinseln sind. Aber erst in unserem Jahrhundert wurde diese Vermutung zur Gewißheit. Die folgenden Stationen charakterisieren diesen Erkenntnisweg. • Demokrit von Abdera (etwa 460 bis 370 v. u. Z.) betrachtet die Milchstraße als eine Zusammenballung vieler Sterne. • Galileo Galilei (1564 bis 1642) beobachtet 1609 mit seinem Fernrohr die Milchstraße und stellt fest, daß sie aus Myriaden von Sternen besteht. Bild 1. Schematische Zeichnung von W. Herschel zum Bau der Milchstraße. • Thomas Wright (1711 bis 1786) erklärt das Band der Milchstraße mit ihrer Form als abgeflachtes System. • Auch der Philosoph Immanuel Kant (1724 bis 1804) betrachtet die Milchstraße als linsenförmige Sternansammlung. • Johann Heinrich Lambert (1728 bis 1777) - der bedeutende Astronom der Berliner Akademie und ihrer Sternwarte vermutet eine hierarchische Struktur des Universums mit Konzentrationen um supermassive Zentralkörper. • Friedrich Wilhelm Herschel (1738 bis 1822) bestätigt durch seine Sternzählungen die linsenförmige Struktur der Milchstraße (Bild 1). Bild 2. Zeichnung des Spiralnebels M 51 von William Pearsons (Lord Rosse). • William Pearsons (Lord Rosse 1800 bis 1867) kann 1845 etwa 15 Nebel als Spiralsysteme auflösen (Bild 2). • Julius Scheiner (1858 bis 1913) gelingt 1899 in Potsdam zum ersten Mal der spektroskopische Nachweis, daß der Andromedanebel aus Sternen aufgebaut ist (Bild 3). • Vesto Melvin Slipher (1875 bis 1969) findet 1912 erstmals Linienverschiebungen in den Spektren von Nebeln und erklärt sie durch Radialbewegungen. • Ejnar Herzsprung (1873 bis 1967) berechnet 1913 in Potsdam zum ersten Male eine Entfernung zu einem extragalaktischen Objekt, und zwar zur kleinen Magellanschen Wolke mit Hilfe der Perioden-Helligkeits-Beziehung der Cepheiden. • Heber Doust Curtis (1872 bis 1942) bestimmt 1917 die Entfernung zum Andromedanebel mittels einer dort aufleuchtenden Nova. Bild 3. Moderne Computervermessung der Schwärzung auf einer von Scheiners Original -Aufnahmeplatten des Andromedanebel-Spektrums durch W. Bronkalla. Die Länge des Spektrums beträgt etwa 2,6 mm; das Schwärzungsintervall vom Hintergrund bis zur höchsten Spitze umfaßt etwa 0,2. Die Platten Scheiners waren bereits sieben Jahre nach den Aufnahmen derartig verblaßt, daß mit bloßem Auge keine Linien mehr zu erkennen waren. Das führte noch zu einer Kontroverse mit seinem Vorgesetzten. • Harlow Shapley (1885 bis 1972) ermittelt 1918 anhand von Novae Größe und Form der Milchstraße und findet die Position der Sonne beträchtlich außerhalb ihres Zentrums. • Carl Wirtz (1876 bis 1939) erkennt bereits in den Jahren 1918 bis 1924 einen systematischen Zusammenhang zwischen der Entfernung und der Fluchtgeschwindigkeit von Galaxien. • Edwin Hubble (1889 bis 1953) bestimmt 1923 die Entfernung des Andromedanebels mit Hilfe der Perioden-HelligkeitsBeziehung der Cepheiden. • Hubble kann 1926 den Andromedanebel in Einzelsterne auflösen. • Hubble entdeckt 1929 die Proportionalität zwischen Entfernung und Radialgeschwindigkeit der Galaxien (Bild 4). Bild 4. Edwin Hubble (1889 bis 1953) veröffentlichte 1929 in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ der USA dieses Diagramm der Beziehung zwischen Geschwindigkeit und Entfernung von Galaxien, die eine bemerkenswerte Gesetzmäßigkeit darstellt. Alle diese Beobachtungen führen zu der Erkenntnis, daß auch die Sonne nicht das Zentrum der Welt ist. Der Kosmos besteht aus einer Vielzahl von „Weltinseln“ - den Galaxien. Unsere Sonne ist nur einer von Milliarden von Sternen innerhalb der Milchstraße - unserer lokalen Weltinsel. 8 Relativistische Kosmologie Albert Einstein (1879 bis 1955) revolutioniert mit seinen beiden Relativitätstheorien die Vorstellungen von Raum, Zeit und Schwerkraft. Er vollendet 1915 in Berlin seine Allgemeine Relativitätstheorie, die zur Grundlage der modernen Kosmologie wurde. In ihr wird die Newtonsche Gravitationskraft durch die Krümmung einer sinnvollerweise zusammengehörenden geometrischen Vereinigung von Raum und Zeit ersetzt. Bild 1. Zweidimensionale Analogie zur Veranschaulichung der geometrischen Wirkung der Gravitation: Verformung einer elastischen Membran durch eine Kugel. Bild 2. Die Gravitation der Sonne lenkt das Licht anderer Sterne ab und verändert ihre scheinbare Lage am Himmel. Die Ablenkung beträgt hier für jeden der beiden Sterne etwa 1.75''. Die Struktur von Raum und Zeit ist von der im Raum existierenden Materie abhängig. In der Umgebung von Körpern gilt die uns bekannte euklidische Geometrie nicht mehr: Es existieren keine Geraden, die Winkelsumme im Dreieck beträgt nicht mehr 180 °. Die Raumstruktur ist verzerrt, der Raum ist „gekrümmt“ (Bild 1). Auch das Licht bewegt sich nicht mehr gradlinig, sondern wird beim Vorbeigang an einer großen Masse (z. B. der Sonne) abgelenkt (Bild 2). 1917 entwirft Einstein ein geschlossenes Modell vom Kosmos. Um ein statisches Modell zu ermöglichen, muß er eine zusätzliche Größe - die kosmologische Konstante - in seine Gleichungen einfügen. Sie wird später von Einstein wegen der astronomischen Hinweise auf eine Fluchtbewegung der extragalaktischen Nebel wieder verworfen. Heute hat sie erneut eine Bedeutung wegen der Verbindung der Frühphase des Kosmos mit Theorien der Elementarteilchenphysik im inflationären Modell des Universums. Alexander Friedmann (1888 bis 1925) bestimmt 1922 auf der Grundlage Einsteins ursprünglicher Gleichungen (ohne kosmologische Konstante) ein Weltmodell, das seither als Standardmodell bezeichnet wird. In ihm hängt die Struktur des Kosmos vom Materieinhalt ab. Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten: Bild 3. Veranschaulichung der möglichen gekrümmten Geometrie des Kosmos. Nach Einsteins Theorie bestimmt die Menge der vorhandenen Materie bzw. Energie, wie stark der Raum gekrümmt wird. Die Krümmung des Raumes ist damit das Maß für die Stärke der Gravitation. Die dreidimensionale Geometrie des Raumes kann, in Analogie zu den dargestellten zweidimensionalen Oberflächen, 1. eben (ungekrümmt, flach, euklidisch), 2. kugelförmig (positiv gekrümmt, sphärisch) oder 3. sattelförmig (negativ gekrümmt, hyperbolisch) sein (von links nach rechts). 1. Der Raum hat keine Krümmung; die Winkelsumme im Dreieck ist gleich 180 ° (euklidische Geometrie). Der Kosmos expandiert ewig. Die Potsdamer Astronomen und die Relativitätstheorie 2. Der Raum besitzt eine positive Krümmung; die Winkelsumme im Dreieck ist größer als 180 °. Der Kosmos expandiert bis zu einer maximalen Ausdehnung und kontrahiert dann wieder (geschlossenes Weltall). 1881 wollte der Deutschamerikaner Albert Abraham Michelson (1852 bis 1931) in Experimenten auf dem Potsdamer Telegrafenberg den Äther als hypothetisches Ausbreitungsmedium des Lichts nachweisen. Der Äther wurde aber nicht gefunden. Den negativen Ausgang dieses Versuches erklärte erst A. Einstein (1879 bis 1955) mit seiner speziellen Relativitätstheorie (1905). In Potsdam entstehen bedeutende Beiträge zur allgemeinen Relativitätstheorie: Erwin Freundlich (1885 bis 1964) von der Sternwarte BerlinBabelsberg bemüht sich um den Nachweis der Lichtablenkung an der Sonne und der Rotverschiebung ihres Spektrums. Der geniale, leider früh verstorbene Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam, Karl Schwarzschild (1873 bis 1916), berechnet die ersten strengen Lösungen von Einsteins Gleichungen, die für die Spätstadien von Sternen und Zentren von Galaxien wichtig werden. 3. Der Raum hat eine negative Krümmung, die Winkelsumme im Dreieck ist kleiner als 180 °. Der Kosmos expandiert ewig (offenes Weltall). Es hängt vom Wert der Materiedichte ab, welcher Fall im Weltall realisiert ist. Das gilt besonders für die Vergangenheit des Kosmos. Wir wissen aus den Untersuchungen von Hubble (1929), daß sich alle Galaxien voneinander entfernen, daß das Weltall expandiert. Darum war die Materiedichte früher größer. Die Art der kosmischen Expansion hängt vom Verhältnis der Materiedichte ρ zu einem kritischen Wert ρ krit ab. Dieses Verhältnis wird mit Ω bezeichnet. Die Möglichkeiten 1, 2 und 3 gelten für Ω = 1, Ω > 1 bzw. Ω < 1. Bild 4. Der „Radius“ des Friedmann-Universums (ohne kosmologische Konstante, mit Materie gefüllt) in bezüglich der Zeit. Es gibt in Abhängigkeit von der Materiedichte drei mögliche Entwicklungsszenarien: 1. Die Dichte des Universums ist groß genug, um die Ausdehnung des Universums zu verlangsamen, ohne sie aber jemals ganz aufzuheben. Das Universum dehnt sich ständig weiter aus - allerdings mit immer geringerer Geschwindigkeit. In diesem Fall weist das Modell genau die kritische Geschwindigkeit auf, um der Expansion schließlich - wenn auch erst nach unendlich langer Zeit - Einhalt zu gebieten. In diesem Fall ist der Raum flach und damit unendlich (schließlich auf Null verlangsamte Expansion, flaches Universum). 2. Die Dichte des Universums ist groß genug, um die Expansion anzuhalten, so daß sich das Universum irgendwann wieder zusammenzuziehen beginnt, bis der Zyklus mit einem erneuten Urknall wieder von vorne beginnt (geschlossenes, sphärisches Universum). 3. Die Dichte des Universums ist nicht groß genug, um die Ausdehnungsbewegung zu stoppen, so daß die Expansion für immer weitergeht (offenes, hyperbolisches Universum). 9 Die Vorstellung vom Urknall Die Beobachtung der Rotverschiebungen in den Spektren der Galaxien zeigt, daß sie sich alle voneinander weg bewegen um so schneller, je größer die Entfernungen zwischen ihnen sind (Bild 1). Das Weltall expandiert (Bild 2). Wenn es sich immer ausgedehnt hat, war es früher sehr klein. Die gesamte in ihm enthaltene Materie war in einem sehr kleinen Raumbereich konzentriert. Wegen dieser großen Dichte muß das Universum sehr heiß gewesen sein. Das war vor etwa 13 Milliarden Jahren. Zuerst soll es so heiß gewesen sein, daß keine Galaxien oder Sterne existieren konnten, sondern nur eine sehr heiße Wärmestrahlung. Diese kühlte sich mit der Ausdehnung des Weltalls immer mehr ab, bis sich aus ihr materielle Strukturen Galaxienhaufen, Galaxien, Sterne und Planeten - bilden konnten. Bild 1. Das Hubblesche Gesetz. Je größer die Entfernung der Galaxien (nach rechts aufgetragen) ist, desto größer ist ihre Geschwindigkeit (nach oben aufgetragen). Die roten Punkte entsprechen einigen der vermessenen Galaxien. Man kann heute eine Radiostrahlung beobachten, die aus allen Richtungen des Himmels gleichmäßig zu uns kommt. Diese Strahlung zeigt eine Plancksche Energieverteilung und hat eine sehr niedrige Temperatur von 2,7 K. Darum glaubt man, daß sie die seit vielen Milliarden Jahren abgekühlte Reststrahlung vom Urknall ist (Bilder 3 und 4). Die häufigsten Elemente im Weltall sind Wasserstoff, Deuterium, Helium und Lithium. Darum wird angenommen, daß sie bei der „Weltentstehung“ - im Urknall - gebildet wurden. Alle anderen Elemente entstanden bei thermonuklearen Prozessen in Sternen. Die beobachtete Häufigkeit der primären Elemente Wasserstoff, Deuterium, Helium und Lithium steht in Einklang mit den Modellrechnungen, gemäß denen sie im heißen Weltall nach dem Urknall entstanden sein sollten (Bild 5). Obwohl die Rotverschiebung in den Galaxienspektren, die kosmische Hintergrundstrahlung und die Häufigkeit der primären Elemente im Kosmos für die Plausibilität des Urknallmodells sprechen, existieren auch widersprechende Beobachtungsbefunde. Entsprechende Argumente und Versuche zur Überwindung der damit verbundendenen Schwierigkeiten werden in Zusammenhang mit den Vorstellungen vom inflationären Weltmodell dargestellt. Bild 2. Veranschaulichung der kosmischen Expansion. Die Galaxien sind hier auf der zweidimensionalen Kugeloberfläche markiert. Während der Expansion der Kugel entfernen sich alle Galaxien voneinander. Bild 3. Spektrum der kosmischen Hintergrundstrahlung gemessen mit dem COBESatelliten. Die durch die Meßpunkte gelegte Kurve entspricht der Intensitätsverteilung eines schwarzen Strahlers mit einer Temperatur von etwa 2,73 Kelvin. Bild 4. Das Bild zeigt die Verteilung der kosmische Hintergrundstrahlung (Messungen des COBE-Satelliten) nach Korrekturen von Dopplerverschiebungen wegen der Erdbewegung. Die sichtbaren Fluktuationen liegen bei etwa einem tausendstel Prozent. Das breite Band zeigt die Strahlung unserer Milchstr aße. Bild 5. Die heutigen Häufigkeiten der primären kosmischen Elemente Helium, Deuterium und Lithium-7 hängen stark von der Dichte des Universums zur Zeit ihrer Erschaffung ab. Diese Dichte ist durch das Baryonen-Photonen-Verhältnis und den Dichteparameter Ω angegeben. Die schattierten Flächen geben die beobachteten Häufigkeitsbereiche an. 10 Inflationäres Weltmodell Bild 1. Veranschaulichung der Wirkung der Inflation (zweidimensionale Analogie). Unebenheiten auf einer Kugeloberfläche (z. B. Falten auf einem schwach aufgeblasenen Luftballon) werden sich während einer extrem starken Expansion glätten. Mit der Theorie vom Urknall ist eine Reihe von Problemen verbunden. Eigentlich sollte sie die Entwicklung einer sehr gleichförmigen Welt beschreiben. Zumindest die Existenz der kosmischen Hintergrundstrahlung, die gleichförmig aus allen Richtungen des Himmels zu uns kommt, spricht für diese Gleichförmigkeit des Kosmos. Im Gegensatz dazu scheint die Verteilung der Galaxien und Galaxienhaufen sehr ungleichförmig zu sein. Aber die Kosmologen glauben, daß auch diese Verteilung über sehr große Raumbereiche im Weltall gemittelt wieder gleichförmig ist. Außerdem glaubte man lange Zeit daran, daß der Kosmos eine flache Struktur besitzt - daß also die uns vertraute euklidische Geometrie gilt. Dann muß die Materiedichte im Weltall gleich der kritischen Dichte sein. Um diese beiden Eigenschaften des Weltalls – Gleichförmigkeit und Flachkeit - erklären zu können, schuf man die Theorie von der Inflation - d. h. Auf blähung - des Kosmos. Dabei geht man davon aus, daß der Kosmos in seiner A nfangsphase sehr heiß gewesen ist. Aus der Theorie der Elementarteilchen folgt, daß bei sehr hohen Temperaturen alle physikalischen Wechselwirkungen Komponenten einer einzigen Fundamentalkraft sind. Der Kosmos kühlte dann ab. Bei niedrigeren Temperaturen erscheint die eine Fundamentalwechselwirkung in der Form von separaten Wechselwirkungen. Es findet eine Aufspaltung - ein Phasenübergang - statt. Dabei entsteht eine Gravitationsabs toßung, die zu einer extrem schnellen und sehr großen Aufblähung des Kosmos führt. Diesen Vorgang nennt man Inflation. Damit kann man erklären, daß - der Weltraum heute so flach ist, - die 2,7 K - Mikrowellenstrahlung gleichförmig aus sehr weit voneinander entfernten Gebieten zu uns kommt, - bestimmte Elementarteilchen nicht beobachtet werden können, die nach dem Standardmodell vom heißen Urknall existieren müßten. Bild 2. In der inflationären Phase bläht sich der Kosmos in kurzer Zeit extrem stark auf. Bild 3. Verlauf der Inflation: Das Szenario der Inflation und das Standard-Urknallmodell liefern unterschiedliche Vorhersagen über die Entwicklung des Universums. Die Inflation (violette Linien) erhöht seine Größe um einen sehr großen Faktor. Das Inflations-Szenario sagt zudem einen flachen Raum vorher, in dem die Euklidische Geometrie gilt, parallele Linien also wirklich parallel bleiben. Im Modell des heißen Urknalls (dünne rote Linien) hingegen vergrößert sich ein Universum, das so groß ist wie die Planck-Länge, zunächst nur auf 0,001 cm; die Vorhersagen über die Geometrie des Raumes unterscheiden sich erheblich von denen des Inflation- Szenarios. Die Beobachtungen zeigen, daß die Dichte im Kosmos geringer als die kritische Dichte ist. Das widerspricht der Inflationstheorie. Das Weltall scheint keine euklidische sondern eine hyperbolische Struktur zu haben. Darum wurde inzwischen eine neue Theorie von der chaotischen Inflation geschaffen. Bild 4. Supernovae vom Typ Ia eignen sich als kosmische „Standardkerzen“ - und damit als „Meßlatten“ im Universum, weil man auf Grund ihrer relativ konstanten Lichtkurven ihre Maximalleuchtkraft auf 12 % Genauigkeit berechnen kann. Die Ergebnisse kürzlicher Entfernungsbestimmungen waren verblüffend: Während die Theoretiker ein „flaches“ Universum ohne kosmologische Konstante mit einer Abbremsung der kosmischen Expansion erwarten (rechts, blaue Linie), legen die neuen Beobachtungen nahe, daß d as Universum höchstens 20 % der Materie enthält, die ein flaches Universum enthalten müßte (schwarze Linie). Die Messungen sprechen sogar eher für eine beschleunigte Expansion (rote Linie), wie sie von einer kosmischen Vakuumenergie hervorgerufen sein könnte. 11 Strukturbildung und Dunkle Materie Das Standard-Modell vom Urknall hat Schwierigkeiten, ohne Zusatzannahmen die Bildung von großräumigen Strukturen im Weltall - Galaxien, Galaxienhaufen und Superhaufen -zu erklären: Man beobachtet zwar sehr schwache anfängliche Inhomogenitäten in der 2,7 K-Mikrowellenstrahlung, aber die seit der Trennung von Strahlung und Materie verstrichene Zeit ist viel zu kurz, um aus diesen anfänglichen Inhomogenitäten durch normale Verdichtungen zu den heute sichtbaren Inhomogenitäten wie Galaxien, Superhaufen und der „Großen Mauer“ zu gelangen. Deshalb werden die folgenden Auswege in Betracht gezogen: 1. Aus verschiedenen astronomischen Beobachtungen an Galaxien und Galaxienhaufen folgt, daß die leuchtende Materie im Kosmos weniger als 1 % der für die beobachtete Gravitationswirkung erforderlichen Menge ausmacht. • 99 % der gesamten Materie können nicht beobachtet werden - sind dunkel. Bild 1. Der Galaxienhaufen Abell 2218 zeigt eine Reihe von diffusen Lichtbögen, die konzentrisch zum Haufenzentrum angeordnet sind. Man erklärt diese Erscheinung durch die Ablenkung des Lichts einer hinter dem Haufen liegenden ferneren Galaxie durch die Schwerkraft des Haufens. Diese optische Erscheinung kann aber nur auftreten, wenn die Haufenmasse zum überwiegenden Teil aus Dunkler Materie besteht. • Die Entwicklung der heute beobachteten Strukturen im Kosmos - Galaxienhaufen und Superhaufen - und die Entstehung der primären chemischen Elemente im Kosmos - Wasserstoff, Deuterium, Helium und Lithium - können erklärt werden, wenn mindestens 80 % dieser Dunklen Materie in einer uns unbekannten Form existieren. 2. Eine zweite Möglichkeit zur Entwicklung der heute beobachteten Strukturen besteht darin, daß man frühe Störungen - „Keime“ zur Strukturbildung - annimmt. Solche Störungen könnten sich als sogenannte „Strings“ während eines Phasenübergangs in der inflationären Phase des Weltalls an zusammenstoßenden Domänengrenzen gebildet haben. Kosmischen Strings wären perfekte Kandidaten für die Dunkle Materie. Sie sind außerordentlich massiv, üben starke Gravitationsanziehung aus und können im frühen Kosmos nicht durch Strahlungsdruck aufgelöst werden. Deshalb können sie als Kondensationskerne - als Keime - für die Anhäufung der Materie zu Verdichtungen und schließlich für die Bildung von Galaxien, Galaxienhaufen und Superhaufen dienen. Bild 2. Computersimulation der Materieverteilung im frühen Universum: Struktur der Verteilung von Wolken neutralen Wasserstoffs. Die dargestellte Kantenlänge des Würfels entspricht heute ca. 40 Millionen Lichtjahren. Die Abbildung entstammt einer Simulationsrechnung der Kosmologie-Gruppe am Astrophysikalischen Institut Potsdam. Diese Ansammlungen von Materie um die Strings herum könnten sowohl aus Dunkler wie auch aus „gewöhnlicher“ Materie bestehen, da beide Materiearten von der Gravitation beeinflußt werden. Aus dieser Sicht konnten die Galaxien mit ihren bereits vorhandenen Bestandteilen aus leuchtender und Dunkler Materie Gestalt annehmen. Die sehr geringen Temperatur-Inhomogenitäten in der kosmischen Hintergrundstrahlung (siehe Tafel „Die Vorstellungen vom Urknall“) sprechen aber eher gegen die Existenz solcher Strings. Die Dunkle Materie ist keine willkürliche Annahme zur Ermöglichung der Strukturbildung. Ihre Existenz wird seit den dreißiger Jahren auf der Basis von unabhängigen astronomischen Beobachtungen vorhergesagt. Kurt-Felix-Bottlinger untersuchte bereits Ende der zwanziger Jahre in der Sternwarte Babelsberg das Rotationsverhalten der Milchstraße - zum Teil im Datenaustausch mit J. H. Oort. Es scheint so, als wäre er dem Konzept von der Dunklen Materie sehr nahe auf die Spur gekommen. Leider starb er bereits sehr früh Anfang 1934. Bild 3. Die Computersimulation eines Netzwerks kosmischer Strings. Diese Fäden sind topologische Defekte im Raum. Sie besitzen eine sehr große Masse, die für den Urknall im Augenblick der Inflation charakteristisch ist, sind jedoch sehr dünn. Die große Masse ermöglicht ihnen, Materie aus der Umgebung aufzusammeln. Auf diese Weise könnten sie zu Orten für die Entstehung von Galaxien, Galaxienhaufen und Superhaufen werden. 12 Entwicklung des Weltbildes Die Kosmologie ist in den letzten zweitausend Jahren einen weiten Weg gegangen: Von den Vorstellungungen über Mythen und Götter, von einem Anfang der Welt, von der scheibenförmigen Erde mit dem Himmelsgewölbe, dem geozentrischen Weltbild mit der Fixsternsphäre bis zu den Vorstellungen von einem riesigen - vielleicht unendlichen - Weltall mit Sternen, Galaxien, Galaxienhaufen und Superhaufen. Die ionischen Naturphilosophen wiesen die Götter in ihre Schranken. Aber trotz der weitreichenden Vorstellungen Anaximanders von einer unendlichen Zahl der Welten in einem Kosmos ohne Zentrum setzte sich zu Beginn unseres Jahrtausends das geozentrische Weltbild des Ptolemäus durch. Der Mensch suchte einen Mittelpunkt der Welt und er wollte in diesem Mittelpunkt sein. Bild 1. Schematische Darstellung der Entwicklung des Kosmos nach dem Modell vom Urknall mit Inflation. Danach bildeten sich in den ersten Minuten die primären chemischen Elemente. Erst nach einer Millionen Jahren war die Materie soweit abgekühlt, daß sich Galaxien und Galaxienhaufen bilden konnten. Nicolaus von Cues , Copernicus und Kepler verbannten den Menschen wieder aus dem Mittelpunkt der Welt - auf eine um die Sonne kreisende Erde. Shapley, Herschel und andere stellten die Sonne als einen Stern neben Milliarden andere in einer noch viel größeren Welt - der Milchstraße. Dann bewiesen Hertzsprung, Wirtz und Hubble, daß unsere Milchstraße nur eine Galaxie von unzählbar vielen in einem unvorstellbar großen Kosmos ist. Und alle diese Galaxien fliehen voreinander. Wenn sie das immer getan haben, müssen sie irgendwann alle sehr dicht beieinander gewesen sein, zum Anfang im „Zentrum“ der Welt. So entstand das Modell vom Urknall, bei dem unsere ganze Welt aus dem Nichts entstanden sein soll. Der Mensch hatte wieder einen Anfang der Welt gefunden – und neue Götter? Die Vorstellungungen vom Urknall (Bild 1) stehen in Einklang mit drei Beobachtungsbefunden: Der kosmischen Expansion, der kosmischen Hintergrundstrahlung und den Häufigkeiten der leichten chemischen Elemente. Aber es sieht so aus, als würde der Glaube an einen Urknall vielen Beobachtungstatsachen nicht entsprechen. Das Standardmodell vom Urknall macht zum Beispiel keine Aussage über ursprüngliche Dichtestörungen, die zu den heute beobachteten großräumigen Materiestrukturen führen konnten – ebensowenig wie über den Wert des Dichteparameters Ω. Weitere Fragen sind mit dem Flachheitsproblem und mit dem Horizontproblem verbunden. Darum werden an die Standardtheorie Korrekturen angebracht – ähnlich den Epizykeln der Planetenbahnen im Ptolemäischen Weltbild. Bild 2. Die aufeinanderfolgende Bildung von „Wel tblasen“ nach dem Modell der chaotischen Inflation von Andrej Linde . Bild 3. Beispiel für eine fraktale Struktur. Die Vorstellung von der kosmischen Inflation löst die mit dem Flachheits- und Horizontproblem verbundenen Fragen, führt aber zu neuen Problemen: Die aus der Inflation folgende Flachheit des Kosmos bedeutet Ω = 1. Beobachtungen von fernen Supernovae sprechen für deutlich kleinere Ω-Werte - der Kosmos expandiert beschleunigt. Die Inflation - zur Rechtfertigung des Urknalls erdacht – muß weiter modifiziert werden. Das schafft das Modell der chaotischen Inflation von Andrej Linde. Diese verallgemeinerte Inflationstheorie kann „jeden beobachteten Wert von Ω reproduzieren“. Sie postuliert eine immerwährende Neuentstehung von „Weltblasen“ in bestehenden Blasen und ihre anschließende Aufblähung als einen unendlichen Prozeß (Bild 2). Die Gesamtwelt könnte so aus einer Folge selbstähnlicher Strukturen bestehen - ähnlich wie bei einem Fraktal (Bild 3). Unser „Universum“ wäre dann nur ein Teil eines unendlichen Multiversums, wie es bereits Anaximander beschrieb. Wenn aber laufend ineinandergeschachtelte „Schöpfungsereignisse“ für neue Welten denkbar sind, warum sollte es dann nicht auch eine Hierarchie von „Schöpfungen“ auf unterschiedlichen Niveaus innerhalb einer Welt geben? Narlikar diskutiert die von Arp postulierten Auswürfe von Quasaren aus Muttergalaxien als „Minischöpfungen“. Analog könnten sich nach Narlikars Meinung Gruppen, Haufen und Superhaufen von Galaxien durch „lokale Schöpfungsereignisse“ bilden. Alle diese Vorstellungen wollen die Welt erklären. Einige basieren auf Beobachtungen, andere sind Spekulationen. So war es immer. Der Mensch versucht, sich „sein Universum“ zu bauen.