Kosmologie

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Kosmologie
1
Die griechischen Naturphilosophen
Bild 1.Das Weltbild der alten Babylonier. W ist das Weltmeer, E das Gewölbe der Erde, L der Luftraum, F die Feste des
Himmels mit dem Himmelswasser darüber. A und U sind Aufgangs- und Untergangstore der Sonne, T das Totenreich.
Die ionischen Naturphilosophen aus Milet betrachten als
Grundbestandteil der Welt einen Urstoff: das Wasser bei
Thales (etwa 625 – 547 v. u. Z.), das Unbegrenzte („Apeiron”)
bei Anaximander (etwa 610 – 546 v. u. Z.), bzw. die Luft bei
Anaximenes (etwa 585 – 526 v. u. Z.). Mögen uns diese
Versuche heute auch ein wenig naiv vorkommen, so handelt es
sich doch um einen welthistorischen Wendepunkt, wo auf
die Frage nach dem letzten Grund und der Einheit der Welt die
Antwort ohne jede Beimengung von Mystik gegeben und der
Versuch unternommen wird, die Natur allein aus sich zu
erklären. Gleichzeitig zeigen diese Vorschläge gewisse
naturwissenschaftliche Kenntnisse. Sicher haben bei Thales
auch babylonische Vorstellungen über die allbelebende Kraft
des Wassers (z. B. in der Wüste) eine Rolle gespielt.
Bild 1 zeigt das Thales wohl bekannte babylonische Weltbild.
Bild 2 ist eine Rekonstruktion der ersten bekanntgewordenen
Weltkarte, als deren Verfasser Anaximandros gilt, mit
Verbesserungen von seinem Schüler Hekataios von Miletos
(etwa 560 – 480 v. u. Z.).
Heraklit von Ephesos (etwa 550 – 480 v. u. Z.) legt die
Betonung auf den Wandel. Er lehrt ein zeitlich unbegrenztes
Universum: „Diese Welt ... hat weder der Götter noch der
Menschen einer gemacht, sondern sie war immer und ist und
wird immer sein ein ewig lebendiges Feuer, nach Maßen sich
entzündend und nach Maßen erlöschend.”
Bild 2. Milesische Weltkarte nach Anaximander und Hekataios von Milet (um 510 v.u.Z.).
Parmenides von Elea (etwa 515 – 445 v. u. Z.) betont dagegen
die Unveränderlichkeit des Seins. Seine Lehre von der
Wahrheit über die Natur der Wirklichkeit, die nichts anderes ist
als die Lehre vom Sein (Ontologie), enthält die Kerngedanken:
Es ist nur Seiendes, und dieses ist erkennbar; Denken und Sein
entsprechen einander; Nicht-Seiendes existiert nicht, es ist
undenkbar; es gibt deshalb kein Entstehen und Vergehen, da
beides die Existenz von Nicht-Seiendem voraussetzt; das
Seiende ist deshalb ungeworden, unveränderlich und ungeteilt.
Die Schule der Eleaten wirft damit zum ersten Male das
Problem der Veränderung auf, das dann in voller Schärfe in
den Paradoxien des Zenon von Elea (etwa 490 – 430 v. u. Z.)
gestellt wird (fliegender Pfeil, Achilles und die Schildkröte usw.).
Die Schule des Pythagoras von Samos (etwa 570 – 480 v. u.
Z.) erklärt den Kosmos durch mathematische Strukturen: „Der
ganze Kosmos ist Harmonie und Zahl.”
Die Pythagoreer nehmen außerdem im Zentrum der Welt ein
Zentralfeuer an, umkreist von Erde, Mond und den im Altertum
bekannten Planeten (Bild 3). Da ihnen die Zahl 10 heilig ist,
postulieren sie die Existenz eines zusätzlichen Planeten, der
„Gegenerde” (in der Abbildung nicht dargestellt).
Das Problem der Veränderung wird auf unterschiedliche
Weise gelöst, einerseits durch die Atomisten Leukipp (2. Hälfte
des 5. Jh. v. u. Z.) und Demokrit (etwa 470 – 380 v. u. Z.),
andererseits durch die Lehre des Platon (etwa 427 – 347 v. u.
Z.) von den unwandelbaren, eingeborenen Ideen.
Bild 3. Das Planetenschalenmodell der Pythagoreer um die Zentralsonne.
Eine unendliche Zahl von Welten in einem Kosmos ohne
Zentrum, die entstehen und wieder vergehen, stellt sich
Anaximander vor. Auch Demokrit vertritt eine Auffassung von
unendlich vielen Welten ohne Mittelpunkt.
2
Das geozentrische Weltsystem
Die Kugelgestalt der Erde ist schon in der Schule des
Pythagoras von Samos (etwa 570 – 480 v. u. Z.) bekannt.
Die Lehre, daß sich die Erde im Weltzentrum befindet,
umkreist von Sonne, Mond und den anderen Planeten, gehört
zu den Grundpfeilern der Wissenschaft im Altertum.
In bestimmten zeitlichen Abständen wird bei den Planeten eine
rückwärtsgerichtete bzw. Schleifenbewegung beobachtet,
die mit ihrer Stellung zur Sonne verbunden ist. Da dieser
Vorgang streng periodisch abläuft, läßt er sich nach Eudoxos
von Knidos (etwa 408 – 338 v. u. Z.) - modern gesprochen - in
voneinander unabhängige, gleichförmige Komponenten von
Kreisbewegungen zerlegen. Dies ist eine geniale und die
weitere astronomische Entwicklung bestimmende Idee des
bedeutenden antiken Mathematikers und Astronomen, auf der
auch die Methode der Reihenentwicklung beruht (harmonische
Analyse). Da man sich in der Antike die Planeten an kristallene
Sphären geheftet denkt, benutzt Eudoxos dazu für jeden
Planeten mehrere ineinandergeschachtelte Sphären, die
jeweils um verschiedene Achsen rotieren. Mit der jeweils
innersten ist der Planet verbunden. Bild 1 zeigt das Modell des
Eudoxos am Beispiel des Planeten Saturn.
Bild 1. Das Modell des Eudoxos (Als Beispiel sind Spären für Saturn angegeben. Die Erde ruht im Mittelpunkt.)
Nach der antiken Physik des Aristoteles von Stagira (384 – 322
v. u. Z.) gibt es zwei Arten von Bewegung: die
unvollkommene, ungleichförmige, zeitlich begrenzte geradlinige der irdischen Körper (das Steigen der leichten
und das Fallen der schweren) sowie die vollkommene,
gleichförmige, ewige des Himmelselementes - die
Kreisbewegung. Während die irdischen Körper mit Erreichen
ihrer natürlichen Orte zur Ruhe kommen, befindet sich
himmlische Materie deshalb in ewiger - symmetrischer (!) Kreisbewegung, weil hier Anfang und Ziel der Bewegung ein
und derselbe Ort ist. Als Teile des vollkommenen Kosmos
müssen sich die Himmelskörper auch auf vollkommenen
Bahnen bewegen. So ergibt sich das Axiom: „Die Bewegung
der Planeten ist kreisförmig, oder sie ist aus kreisförmigen und
gleichförmigen Teilen zusammengesetzt.”
Bild 2. Die epizyklische Bewegung eines Planeten nach Apollonius: Der Planet läuft auf einem kleinen Kreis
(Epizykel), dessen Mittelpunkt auf einem größeren Kreis (Deferent) umläuft. Resultierend ergibt sich die am
Himmel beobachtete Schleifenbewegung der Planeten. (Der Mittelpunkt des Deferenten ist hier mit dem des
Weltzentrums Erde identisch. Bei Hipparch werden noch zusätzlich beide Punkte als verschieden angenommen.)
Die Fixsterne sind an einer sich drehenden Sphäre mit
endlichem Radius angebracht. Außen wirkt nach Aristoteles
ein absolut Erstes Bewegendes. Er verdoppelt deshalb die
Sphären des Eudoxos, um eine gleichsam mechanische
Übertragung der Urbewegung des äußersten Himmels bis
hinunter zum Mond verständlich zu machen (Einführung
rückrollender Sphären zur Darstellung der Bewegung der
Himmelskörper in einem einheitlichen Gesamtsystem).
Nach Aristoteles ist an der Mondbahn die supralunare, ideale,
himmlische Sphäre streng von der sublunaren,
unvollkommenen, irdischen Sphäre geschieden. Die
Kometen mit ihren scheinbar geradlinigen Bahnen ordnet er
deshalb letzterer Sphäre zu, also der erdnahen Umgebung.
Um die beobachteten rückläufigen Bewegungen der Planeten
am Himmel beschreiben zu können, werden andererseits durch
Apollonius von Perge (etwa 262 – 190 v. u. Z.) sogenannte
Epizykel angenommen (Bewegungen von Kreisen auf
Kreisen). Bild 2 zeigt ihre Konstruktion nach Apollonius.
Der bedeutendste beobachtende Astronom des Altertums,
Hipparch von Nikaia (etwa 190 – 125 v. u. Z.), führt zusätzlich
Exzenter ein (versetzte Kreismittelpunkte) - vergleiche Bild 3.
Bild 3. Das ptolemäische System: Die Epizykel der Planeten laufen auf großen Kreisen mit versetztem Mittelpunkt.
Schließlich führt Claudius Ptolemäus in Alexandria (etwa 83 –
161 u. Z.) den Äquant ein (einen weiteren Ausgleichspunkt)
und kompiliert das antike Wissen. So entsteht nach den
Vorarbeiten von Eudoxos, Apollonius und Hipparch schließlich
das sogenannte ptolemäische Weltsystem. In dieser
endgültigen Form hat das geozentrische Weltsystem dann
immerhin noch etwa anderthalbtausend Jahre Bestand. Bild 3
zeigt das System des Ptolemäus mit Epizykeln und Exzentern.
3
Das Tychonische und verwandte Systeme
Der Pythagoreer Herakleides von Pontos (etwa 390 – 310 v. u.
Z.) kennt schon die Theorie von der täglichen Achsendrehung
der Erde.
Gemessen an heliozentrischem und geozentrischem System
lehrt er eine Kompromißvorstellung: Merkur und Venus kreisen um die Sonne, die Sonne aber wie der Mond und die übrigen Planeten um die Erde. Die Anordnung von Merkur und
Venus bereitet nämlich im geozentrischen System Schwierigkeiten, da ihr Lauf an die Sonne gebunden scheint – im Unterschied zu den anderen Planeten entfernen sie sich bis maximal
27° bzw. 47° östlich oder westlich von der Sonne und scheinen
mit gleicher Geschwindigkeit wie diese um die Erde zu laufen.
Jedoch bleibt diese Auffassung in der Antike notwendigerweise
Episode, da sie das Problem der Bindung von Merkur und
Venus an die Sonne unter Verletzung der aristotelischen
Physik löst.
Bild 1. Das tychonische Weltbild.
Ein ähnliches System (Bild 1) schlägt auch fast zweitausend
Jahre später Tycho Brahe (1546 – 1601) vor (Bild 2), möglicherweise angeregt durch Einsicht in hinterlassene Manuskripte
des frühzeitig an der Pest verstorbenen Erasmus Reinhold
(1511 – 1553) aus Saalfeld.
Auch hier ruht die Erde im Weltmittelpunkt, umkreist von
Mond und Sonne. Im Unterschied zum System des Herakleides
wird die Sonne hier allerdings von allen übrigen Planeten
umkreist.
Der Grund für dieses eigene Modell des Tycho Brahe ist hauptsächlich, daß eine nach dem heliozentrischen System zu erwartende scheinbare Eigenbewegung der Fixsterne (sogenannte
jährliche Parallaxe, Bild 3) zu seiner Zeit nicht beobachtet
wird.
Bild 2. Tycho Brahe (1545 – 1601).
Ein weiterer Grund ist, daß auch das System des Copernicus
wegen seiner Beschränkung auf Kreisbewegungen noch
beträchtliche Ungenauigkeiten in der Vorhersage von Planetenpositionen aufweist, die Tycho Brahe als genauestem Beobachter seiner Zeit nicht entgangen sind.
Bild 3. Jährliche Parallaxe eines Fixsterns (schematisch):
Die Erde bewegt sich um die Sonne auf einer Ellipsenbahn.
Die Punkte E4, E3, E2, E1 bezeichnen die Stellung der Erde
beim Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winteranfang. Denkt
man sich von jedem Punkt eine Verbindungslinie zu dem
Stern gezogen und verlängert man diese Linie über den
Stern hinaus, so zeichnet sich im Hintergrund, auf der
scheinbaren Himmelskugel, eine Bewegung des Sterns ab.
Er beschreibt im Laufe eines Jahres eine elliptische Bahn.
Da die Astronomen wissen, daß in dieser kurzen Zeit der
Fixstern in Wirklichkeit nur eine kaum von uns meßbare
Bewegung ausführt, schließen sie daraus, daß sich in der
scheinbaren Bewegung des Fixsterns die Erdbewegung
widerspiegelt.
4
Das heliozentrische Weltsystem
Schon in der Antike wird von Aristarch von Samos (310 – 230 v.
u. Z.) das heliozentrische Modell vorgeschlagen, in dem die
Sonne im Mittelpunkt steht, umkreist von der Erde, dem Mond
und den übrigen Planeten.
Er kommt auf sein System durch eine Bestimmung des
Größenverhältnisses von Mond- und Sonnenabstand zur
Erde.
Da das Modell des Aristarch aufgrund der Erdbewegung eine
Verschiebung der Fixsternörter (jährliche Parallaxe, vgl. Bild
3 der Tafel 3) vorhersagt, die aber mit damaligen Mitteln nicht
beobachtet wird - und außerdem der vorherrschenden
Physik des Aristoteles widerspricht - kann es sich gegen das
geozentrische Weltsystem des Ptolemäus nicht durchsetzen
und wird vergessen.
Bild 1. Darstellung des Weltsystems von Copernicus im Sternatlas von Cellarius.
Um 1500 wird das heliozentrische Modell wiederentdeckt bei
dem Versuch von Nicolaus Copernicus (1473 – 1543), das
geozentrische System von den ihn störenden Exzentern und
Äquanten zu befreien (Bilder 1 und 2). Das Grundanliegen des
Copernicus (Bild 3) bei seiner Umgestaltung ist - wie man aus
einer Frühschrift, dem „Commentariolus“ weiß - die bisherige
geozentrische Beschreibung von verkomplizierendem Ballast
zu befreien und eine einfache Beschreibung der von den
antiken Philosophen geforderten vollkommenen
Himmelsbewegung wiederherzustellen. Er findet, daß das
Weltsystem des Ptolemäus weder „vollkommen genug, noch
der Vernunft hinreichend angepaßt“ sei.
Copernicus vermag - was im geozentrischen Modell nicht
möglich war - in seinem System die Planeten einschließlich der
Erde nach der Länge ihrer Umlaufzeiten anzuordnen. (Die
vorherige ptolemäische Anordnung hatten die mittelalterlichen
Gelehrten schon immer als willkürlich und damit unnatürlich
empfunden.)
Bild 2. Das Copernicanische Weltsystem. Aus „De Revolutionibus...“
Die beobachteten Phasen der Venus (Bild 4) erklären sich im
heliozentrischen Bild zwanglos aufgrund ihrer Beleuchtung
durch die Sonne - in Analogie zu den Phasen des Erdmondes.
Da auch Copernicus noch bei der antiken Vorstellung von den
idealen Bewegungen der Himmelskörper - also den
Kreisbahnen der Planeten - verharrt, ist er allerdings
gezwungen, auf Kosten der Einfachheit des Systems das
Instrumentarium der Epizyklen beizubehalten, um so weit wie
möglich eine Übereinstimmung mit den Beobachtungen zu
erreichen.
Auch jetzt findet man keine Fixsternparallaxe bei
Beobachtungen, die zur Bestätigung des copernicanischen
Systems durchgeführt werden. (Es wird noch 300 Jahre dauern,
bis man mit verbesserter Beobachtungstechnik auf diese Weise
den ersten verläßlichen Sternabstand trigonometrisch
bestimmen kann.)
Bild 3. Nicolaus Copernicus (1473 – 1543).
Bild 4. Die wechselnde Lichtgestalt der Venus. Sie wurde schon von Copernicus als Beweis für die Richtigkeit seines
heliozentrischen Weltbildes angeführt und gilt bis heute als wichtige Bestätigung des copernicanischen Systems.
Im Gegensatz zur Antike setzt sich diesmal das
heliozentrische Weltbild jedoch durch. Die Gründe hierfür
sind - neben den physikalischen Erkenntnissen von Galilei
und seiner Entdeckung des Satellitensystems des Jupiter
dank der Erfindung des Fernrohrs - hauptsächlich in Keplers
Auffindung der drei Gesetze der Planetenbewegung und der
nachfolgenden mathematischen Formulierung der
Gravitationskraft durch Newton zu suchen. Die hierauf
aufbauende Mechanik überzeugte - insbesondere aufgrund der
quantitativen Ausformulierung - durch ihre meßbaren Erfolge
von der Richtigkeit des dynamischen Paradigmas und damit
des zugrundeliegenden heliozentrischen Modells.
5
Der Umbruch des Weltbildes vom Mittelalter
zur Neuzeit
In der Antike wird von Anaximander von Milet (etwa 610 – 546
v. u. Z.) mit dem Urstoff Apeiron die Vorstellung einer unendlichen Zahl von Welten verbunden, die aus dem Unendlichen,
Unbegrenzten in die Existenz treten und später wieder von ihm
aufgenommen werden. Das Weltall ist unendlich und ewig
existierend, ohne Mittelpunkt.
Unendlich viele Welten ohne Zentrum lehrt ebenfalls der Atomist Demokrit von Abdera (etwa 470 – 380 v. u. Z.).
Ein unendliches, unbegrenztes Universum wird auch von Anaxagoras von Klazomenai (etwa 500 – 428 v. u. Z.) und dem
Pythagoreer Archytas von Tarent (428 – 365 v. u. Z.) angenommen.
Bild 1. Der Mensch durchbricht die begrenzte Welt des mittelalterlichen Universums (Holzstich von Flammarion, 1888).
Bild 2. Giordano Bruno (1548–1600)
Bild 3. Galileo Galilei (1564–1642)
Im Mittelalter geht vieles von dem Wissen der antiken Astronomen zunächst verloren; zum Beispiel wird zeitweise die Erde
wieder als Scheibe angesehen (Bild 1).
Die große Übergangsgestalt zwischen der Weltanschauung des
Mittelalters und der Renaissance ist der deutsche Kardinal
Nicolaus von Cues (1401 – 1464), latinisiert auch Cusanus
genannt. Cusanus fordert zur exakten Beobachtung der Natur,
zum Experiment und zur mathematischen Naturbeschreibung
auf. Er macht sich mit dem Erbe der antiiken Philosophen
vertraut und wird nachhaltigen Einfluß auf die Entwicklung der
Renaissancephilosophie ausüben. Weltanschaulich besonders
bedeutsam wird seine dialektische These vom Zusammenfallen der - im Endlichen einander ausschließenden - Gegensätze im Unendlichen. Cusanus vertritt die erstaunlich moderne
Ansicht, daß die Welt gleichsam überall ihren Mittelpunkt und
nirgendwo eine Grenze hat. Jeder Punkt im All besitzt nämlich
nach seiner Überzeugung die gleiche Entfernung zu Gott, so
daß deshalb jeder Punkt gleichermaßen als Mittelpunkt des
Universums aufzufassen ist. Im Gegensatz zu Aristoteles sieht
Cusanus keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Himmel
und Erde und befindet sich damit ein einem tiefen Gegensatz
zum mittelalterlich-scholastischen Weltbild. Die Erde dreht sich
um ihre eigene Achse und ist ein Himmelskörper unter unzähligen anderen Sternen. Daß diese Weltbetrachtung nicht mit der
vorherrschenden Lehre seiner Zeit in manifesten Konflikt gerät,
ist sicherlich seiner hohen Stellung in der kirchlichen Hierarchie
zu verdanken.
Das System des Copernicus bereitet den Bruch mit dem mittelalterlichen Modell eines endlichen, geschlossenen Kosmos vor:
Um die um die Sonne kreisende Erde und die zunächst fehlende jährliche Fixsternparallaxe in Einklang zu bringen, müssen
Sterne und Planeten offenbar viel weiter von der Erde entfernt sein als bisher vermutet. Auch dies führt zu weitreichenden weltanschaulichen Konsequenzen über die vermutliche
Größe des Universums.
Bild 4. Die Pluralität der Welten nach Leonhard Euler (1707–1783). In Eulers Bild kündigt sich die neue, von Nicolaus von Cues
(1401–1464) und Giordano Bruno vorweggenommene Vorstellung vom Kosmos an: Das Sonnensystem ist eines von vielen, die
den Himmel erfüllen und die alle - genau wie die Kometenbahnen - denselben Gravitationskräften unterliegen.
Giordano Bruno (1548 – 1600) schließlich bekennt sich zum
heliozentrischen System von Aristarch und Copernicus sowie
zu den Ideen von Cusanus über die Unendlichkeit des Weltalls in Raum und Zeit. Aus beiden Grundlagen entwickelt er
unter neoplatonischen Einflüssen ein pantheistisches Weltbild (Einssein Gottes und der Welt). Da dies im Gegensatz zu
den Lehren der Kirche steht, endet er auf dem Scheiterhaufen
(Bilder 2 und 4).
Während im Mittelalter nicht die Natur, sondern das, was in
Büchern über sie steht, der Gegenstand des Wissens ist, wird
von Francis Bacon (1561 – 1626) und Galileo Galilei (1564 –
1642) das Experiment in den Mittelpunkt der Gewinnung von
Erkenntnis gestellt (Bild 3).
6
Die Schaffung der Himmelsmechanik
Eigentlich hatte Copernicus mit der Aufstellung des
heliozentrischen Systems, die von seinen Zeitgenossen als
Umsturz der Astronomie empfunden wurde, nur das antike
System des Aristarch wiederentdeckt, das damals allerdings
von Hipparch (etwa 190 – 125 v. u. Z.), dem größten
Astronomen des Altertums, aufgrund der seinerzeit nicht
aufgefundenen jährlichen Fixsternparallaxe verworfen und
deshalb später vergessen worden war.
Bild 1. Erstes und zweites Keplersches Gesetz der Planetenbewegung. Ellipsenbahn der Planeten und Flächensatz (1609).
Die wahrhaft revolutionäre Entdeckung der Neuzeit ist
deshalb nicht das copernicanische System, sondern die drei
Gesetze der Planetenbewegung von Johannes Kepler (1571
– 1630); insbesondere das erste, wonach die Planeten auf
Ellipsen laufen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht
(Bild 1).
Wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Schöpfer der Theorie
der Epizykel und Exzenter, Apollonius von Perge (etwa 262 –
190 v. u. Z.), auch der Verfasser des bedeutendsten antiken
Lehrbuchs über Kegelschnitte (Bild 2) ist - von ihm stammen
die Begriffe Ellipse und Hyperbel - sieht man, wie nahe man
bereits im Altertum an dieser Entdeckung war. Das strikte
Kreisdogma der Antike scheint dies verhindert zu haben.
Eine dynamische Vorstellung von der Planetenbewegung hat
schon Kepler, wenn er als Ursache auch magnetische Kräfte
vermutet (dies würde mathematisch auf eine falsche
quantitative Formulierung führen).
Experimentelle Untersuchungen von Galileo Galilei (1564 –
1642) zum Pendel und zum freien Fall erschüttern die seit
dem Mittelalter gelehrte, althergebrachte Physik des
Aristoteles.
Galileis Fernrohrbeobachtungen zeigen darüberhinaus am
Beispiel der Jupitermonde (Bild 3), daß die massiven
Zentralkörper offenbar dafür verantwortlich sind, daß die
Trabanten sie umkreisen.
Bild 2. Modell der Entstehung der Kegelschnitte Ellipse, Parabel, Hyperbel.
Keplers Gesetze der Planetenbewegung machen im System
von Copernicus dynamischen Sinn, während ihre
ptolemäische Umdeutung verworren ist.
Als mathematisch die richtige radiale Abhängigkeit der
Gravitation durch Robert Hooke (1635 -- 1701) und Isaac
Newton (1643 – 1727) gefunden wird, ist es der quantitative
Erfolg der Mechanik, der dem neuen Weltbild zum Siege
verhilft.
Bild 3. Jupiter mit den vier von Galileo Galilei (1564-1642) entdeckten Monden: Ein dynamischer Beweis für die Richtigkeit des
copernicanischen Systems.
7
Weltinseln
Die nebligen Gebiete und Flecken am Himmel - insbesondere
das Band der Milchstraße - beschäftigen die Astronomen seit
mehr als zweitausend Jahren. Viele zum Teil sehr frühe Beobachtungen sprachen für die Annahme, daß die anscheinend
nebligen Objekte aus einer sehr großen Zahl von Sternen
bestehen - also selbständige Weltinseln sind. Aber erst in
unserem Jahrhundert wurde diese Vermutung zur Gewißheit.
Die folgenden Stationen charakterisieren diesen Erkenntnisweg.
• Demokrit von Abdera (etwa 460 bis 370 v. u. Z.) betrachtet
die Milchstraße als eine Zusammenballung vieler Sterne.
• Galileo Galilei (1564 bis 1642) beobachtet 1609 mit seinem
Fernrohr die Milchstraße und stellt fest, daß sie aus Myriaden
von Sternen besteht.
Bild 1. Schematische Zeichnung von W. Herschel zum Bau der Milchstraße.
• Thomas Wright (1711 bis 1786) erklärt das Band der Milchstraße mit ihrer Form als abgeflachtes System.
• Auch der Philosoph Immanuel Kant (1724 bis 1804) betrachtet die Milchstraße als linsenförmige Sternansammlung.
• Johann Heinrich Lambert (1728 bis 1777) - der bedeutende
Astronom der Berliner Akademie und ihrer Sternwarte vermutet eine hierarchische Struktur des Universums mit
Konzentrationen um supermassive Zentralkörper.
• Friedrich Wilhelm Herschel (1738 bis 1822) bestätigt durch
seine Sternzählungen die linsenförmige Struktur der Milchstraße (Bild 1).
Bild 2. Zeichnung des Spiralnebels M 51 von William Pearsons (Lord Rosse).
• William Pearsons (Lord Rosse 1800 bis 1867) kann 1845
etwa 15 Nebel als Spiralsysteme auflösen (Bild 2).
• Julius Scheiner (1858 bis 1913) gelingt 1899 in Potsdam
zum ersten Mal der spektroskopische Nachweis, daß der
Andromedanebel aus Sternen aufgebaut ist (Bild 3).
• Vesto Melvin Slipher (1875 bis 1969) findet 1912 erstmals
Linienverschiebungen in den Spektren von Nebeln und erklärt
sie durch Radialbewegungen.
• Ejnar Herzsprung (1873 bis 1967) berechnet 1913 in Potsdam zum ersten Male eine Entfernung zu einem extragalaktischen Objekt, und zwar zur kleinen Magellanschen Wolke mit
Hilfe der Perioden-Helligkeits-Beziehung der Cepheiden.
• Heber Doust Curtis (1872 bis 1942) bestimmt 1917 die Entfernung zum Andromedanebel mittels einer dort aufleuchtenden Nova.
Bild 3. Moderne Computervermessung der Schwärzung auf einer von Scheiners Original -Aufnahmeplatten des Andromedanebel-Spektrums durch W. Bronkalla. Die Länge des Spektrums beträgt etwa 2,6 mm; das Schwärzungsintervall vom Hintergrund
bis zur höchsten Spitze umfaßt etwa 0,2. Die Platten Scheiners waren bereits sieben Jahre nach den Aufnahmen derartig
verblaßt, daß mit bloßem Auge keine Linien mehr zu erkennen waren. Das führte noch zu einer Kontroverse mit seinem
Vorgesetzten.
• Harlow Shapley (1885 bis 1972) ermittelt 1918 anhand von
Novae Größe und Form der Milchstraße und findet die Position der Sonne beträchtlich außerhalb ihres Zentrums.
• Carl Wirtz (1876 bis 1939) erkennt bereits in den Jahren 1918
bis 1924 einen systematischen Zusammenhang zwischen der
Entfernung und der Fluchtgeschwindigkeit von Galaxien.
• Edwin Hubble (1889 bis 1953) bestimmt 1923 die Entfernung
des Andromedanebels mit Hilfe der Perioden-HelligkeitsBeziehung der Cepheiden.
• Hubble kann 1926 den Andromedanebel in Einzelsterne
auflösen.
• Hubble entdeckt 1929 die Proportionalität zwischen Entfernung und Radialgeschwindigkeit der Galaxien (Bild 4).
Bild 4. Edwin Hubble (1889 bis 1953) veröffentlichte 1929 in den „Proceedings
of the National Academy of Sciences“ der USA dieses Diagramm der Beziehung
zwischen Geschwindigkeit und Entfernung von Galaxien, die eine bemerkenswerte Gesetzmäßigkeit darstellt.
Alle diese Beobachtungen führen zu der Erkenntnis, daß auch
die Sonne nicht das Zentrum der Welt ist. Der Kosmos besteht aus einer Vielzahl von „Weltinseln“ - den Galaxien. Unsere Sonne ist nur einer von Milliarden von Sternen innerhalb der
Milchstraße - unserer lokalen Weltinsel.
8
Relativistische Kosmologie
Albert Einstein (1879 bis 1955) revolutioniert mit seinen beiden
Relativitätstheorien die Vorstellungen von Raum, Zeit und
Schwerkraft. Er vollendet 1915 in Berlin seine Allgemeine Relativitätstheorie, die zur Grundlage der modernen Kosmologie
wurde. In ihr wird die Newtonsche Gravitationskraft durch die
Krümmung einer sinnvollerweise zusammengehörenden geometrischen Vereinigung von Raum und Zeit ersetzt.
Bild 1. Zweidimensionale Analogie zur Veranschaulichung der geometrischen Wirkung der Gravitation: Verformung einer
elastischen Membran durch eine Kugel.
Bild 2. Die Gravitation der Sonne lenkt das Licht anderer Sterne ab und verändert ihre scheinbare Lage am Himmel. Die
Ablenkung beträgt hier für jeden der beiden Sterne etwa 1.75''.
Die Struktur von Raum und Zeit ist von der im Raum existierenden Materie abhängig. In der Umgebung von Körpern gilt die
uns bekannte euklidische Geometrie nicht mehr: Es existieren
keine Geraden, die Winkelsumme im Dreieck beträgt nicht
mehr 180 °. Die Raumstruktur ist verzerrt, der Raum ist „gekrümmt“ (Bild 1). Auch das Licht bewegt sich nicht mehr gradlinig, sondern wird beim Vorbeigang an einer großen Masse (z.
B. der Sonne) abgelenkt (Bild 2).
1917 entwirft Einstein ein geschlossenes Modell vom Kosmos.
Um ein statisches Modell zu ermöglichen, muß er eine zusätzliche Größe - die kosmologische Konstante - in seine
Gleichungen einfügen. Sie wird später von Einstein wegen der
astronomischen Hinweise auf eine Fluchtbewegung der extragalaktischen Nebel wieder verworfen. Heute hat sie erneut eine
Bedeutung wegen der Verbindung der Frühphase des Kosmos
mit Theorien der Elementarteilchenphysik im inflationären
Modell des Universums.
Alexander Friedmann (1888 bis 1925) bestimmt 1922 auf der
Grundlage Einsteins ursprünglicher Gleichungen (ohne kosmologische Konstante) ein Weltmodell, das seither als Standardmodell bezeichnet wird. In ihm hängt die Struktur des Kosmos
vom Materieinhalt ab. Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten:
Bild 3. Veranschaulichung der möglichen gekrümmten Geometrie des Kosmos. Nach Einsteins Theorie bestimmt die Menge der
vorhandenen Materie bzw. Energie, wie stark der Raum gekrümmt wird. Die Krümmung des Raumes ist damit das Maß für die
Stärke der Gravitation. Die dreidimensionale Geometrie des Raumes kann, in Analogie zu den dargestellten zweidimensionalen
Oberflächen, 1. eben (ungekrümmt, flach, euklidisch), 2. kugelförmig (positiv gekrümmt, sphärisch) oder 3. sattelförmig (negativ
gekrümmt, hyperbolisch) sein (von links nach rechts).
1. Der Raum hat keine Krümmung; die Winkelsumme im
Dreieck ist gleich 180 ° (euklidische Geometrie).
Der Kosmos expandiert ewig.
Die Potsdamer Astronomen
und die Relativitätstheorie
2. Der Raum besitzt eine positive Krümmung; die Winkelsumme im Dreieck ist größer als 180 °. Der Kosmos expandiert bis zu einer maximalen Ausdehnung und kontrahiert dann wieder (geschlossenes Weltall).
1881 wollte der Deutschamerikaner Albert Abraham Michelson
(1852 bis 1931) in Experimenten auf dem Potsdamer Telegrafenberg den Äther als hypothetisches Ausbreitungsmedium des
Lichts nachweisen. Der Äther wurde aber nicht gefunden. Den
negativen Ausgang dieses Versuches erklärte erst A. Einstein
(1879 bis 1955) mit seiner speziellen Relativitätstheorie (1905).
In Potsdam entstehen bedeutende Beiträge zur allgemeinen
Relativitätstheorie:
Erwin Freundlich (1885 bis 1964) von der Sternwarte BerlinBabelsberg bemüht sich um den Nachweis der Lichtablenkung
an der Sonne und der Rotverschiebung ihres Spektrums. Der
geniale, leider früh verstorbene Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam, Karl Schwarzschild (1873 bis
1916), berechnet die ersten strengen Lösungen von Einsteins
Gleichungen, die für die Spätstadien von Sternen und Zentren
von Galaxien wichtig werden.
3. Der Raum hat eine negative Krümmung, die Winkelsumme
im Dreieck ist kleiner als 180 °.
Der Kosmos expandiert ewig (offenes Weltall).
Es hängt vom Wert der Materiedichte ab, welcher Fall im Weltall realisiert ist. Das gilt besonders für die Vergangenheit des
Kosmos. Wir wissen aus den Untersuchungen von Hubble
(1929), daß sich alle Galaxien voneinander entfernen, daß das
Weltall expandiert. Darum war die Materiedichte früher größer.
Die Art der kosmischen Expansion hängt vom Verhältnis der
Materiedichte ρ zu einem kritischen Wert ρ krit ab. Dieses Verhältnis wird mit Ω bezeichnet. Die Möglichkeiten 1, 2 und 3
gelten für Ω = 1, Ω > 1 bzw. Ω < 1.
Bild 4. Der „Radius“ des Friedmann-Universums (ohne kosmologische Konstante,
mit Materie gefüllt) in bezüglich der Zeit. Es gibt in Abhängigkeit von der Materiedichte drei mögliche Entwicklungsszenarien:
1.
Die Dichte des Universums ist groß genug, um die Ausdehnung des
Universums zu verlangsamen, ohne sie aber jemals ganz aufzuheben. Das
Universum dehnt sich ständig weiter aus - allerdings mit immer geringerer
Geschwindigkeit. In diesem Fall weist das Modell genau die kritische Geschwindigkeit auf, um der Expansion schließlich - wenn auch erst nach
unendlich langer Zeit - Einhalt zu gebieten. In diesem Fall ist der Raum flach und damit unendlich (schließlich auf Null verlangsamte Expansion, flaches
Universum).
2.
Die Dichte des Universums ist groß genug, um die Expansion anzuhalten, so
daß sich das Universum irgendwann wieder zusammenzuziehen beginnt, bis
der Zyklus mit einem erneuten Urknall wieder von vorne beginnt (geschlossenes, sphärisches Universum).
3.
Die Dichte des Universums ist nicht groß genug, um die Ausdehnungsbewegung zu stoppen, so daß die Expansion für immer weitergeht (offenes, hyperbolisches Universum).
9
Die Vorstellung vom Urknall
Die Beobachtung der Rotverschiebungen in den Spektren der
Galaxien zeigt, daß sie sich alle voneinander weg bewegen um so schneller, je größer die Entfernungen zwischen ihnen
sind (Bild 1).
Das Weltall expandiert (Bild 2). Wenn es sich immer ausgedehnt hat, war es früher sehr klein. Die gesamte in ihm enthaltene Materie war in einem sehr kleinen Raumbereich konzentriert. Wegen dieser großen Dichte muß das Universum sehr
heiß gewesen sein. Das war vor etwa 13 Milliarden Jahren.
Zuerst soll es so heiß gewesen sein, daß keine Galaxien oder
Sterne existieren konnten, sondern nur eine sehr heiße
Wärmestrahlung. Diese kühlte sich mit der Ausdehnung des
Weltalls immer mehr ab, bis sich aus ihr materielle Strukturen Galaxienhaufen, Galaxien, Sterne und Planeten - bilden
konnten.
Bild 1. Das Hubblesche Gesetz. Je größer die Entfernung der Galaxien (nach rechts aufgetragen) ist, desto größer ist ihre
Geschwindigkeit (nach oben aufgetragen). Die roten Punkte entsprechen einigen der vermessenen Galaxien.
Man kann heute eine Radiostrahlung beobachten, die aus allen
Richtungen des Himmels gleichmäßig zu uns kommt. Diese
Strahlung zeigt eine Plancksche Energieverteilung und hat eine
sehr niedrige Temperatur von 2,7 K. Darum glaubt man, daß
sie die seit vielen Milliarden Jahren abgekühlte Reststrahlung
vom Urknall ist (Bilder 3 und 4).
Die häufigsten Elemente im Weltall sind Wasserstoff, Deuterium, Helium und Lithium. Darum wird angenommen, daß sie bei
der „Weltentstehung“ - im Urknall - gebildet wurden. Alle anderen Elemente entstanden bei thermonuklearen Prozessen in
Sternen. Die beobachtete Häufigkeit der primären Elemente
Wasserstoff, Deuterium, Helium und Lithium steht in Einklang
mit den Modellrechnungen, gemäß denen sie im heißen Weltall
nach dem Urknall entstanden sein sollten (Bild 5).
Obwohl die Rotverschiebung in den Galaxienspektren, die
kosmische Hintergrundstrahlung und die Häufigkeit der
primären Elemente im Kosmos für die Plausibilität des Urknallmodells sprechen, existieren auch widersprechende Beobachtungsbefunde.
Entsprechende Argumente und Versuche zur Überwindung der
damit verbundendenen Schwierigkeiten werden in Zusammenhang mit den Vorstellungen vom inflationären Weltmodell
dargestellt.
Bild 2. Veranschaulichung der kosmischen Expansion. Die Galaxien sind hier auf der zweidimensionalen Kugeloberfläche
markiert. Während der Expansion der Kugel entfernen sich alle Galaxien voneinander.
Bild 3. Spektrum der kosmischen Hintergrundstrahlung gemessen mit dem COBESatelliten. Die durch die Meßpunkte gelegte Kurve entspricht der Intensitätsverteilung eines schwarzen Strahlers mit einer Temperatur von etwa 2,73 Kelvin.
Bild 4. Das Bild zeigt die Verteilung der kosmische Hintergrundstrahlung (Messungen des COBE-Satelliten) nach Korrekturen
von Dopplerverschiebungen wegen der Erdbewegung. Die sichtbaren Fluktuationen liegen bei etwa einem tausendstel Prozent.
Das breite Band zeigt die Strahlung unserer Milchstr aße.
Bild 5. Die heutigen Häufigkeiten der
primären kosmischen Elemente
Helium, Deuterium und Lithium-7
hängen stark von der Dichte des
Universums zur Zeit ihrer Erschaffung
ab. Diese Dichte ist durch das
Baryonen-Photonen-Verhältnis und
den Dichteparameter Ω angegeben.
Die schattierten Flächen geben die
beobachteten Häufigkeitsbereiche an.
10
Inflationäres Weltmodell
Bild 1. Veranschaulichung der Wirkung der Inflation (zweidimensionale Analogie). Unebenheiten auf einer Kugeloberfläche (z.
B. Falten auf einem schwach aufgeblasenen Luftballon) werden sich während einer extrem starken Expansion glätten.
Mit der Theorie vom Urknall ist eine Reihe von Problemen
verbunden. Eigentlich sollte sie die Entwicklung einer sehr
gleichförmigen Welt beschreiben. Zumindest die Existenz der
kosmischen Hintergrundstrahlung, die gleichförmig aus allen
Richtungen des Himmels zu uns kommt, spricht für diese
Gleichförmigkeit des Kosmos. Im Gegensatz dazu scheint die
Verteilung der Galaxien und Galaxienhaufen sehr ungleichförmig zu sein. Aber die Kosmologen glauben, daß auch diese
Verteilung über sehr große Raumbereiche im Weltall gemittelt
wieder gleichförmig ist.
Außerdem glaubte man lange Zeit daran, daß der Kosmos eine
flache Struktur besitzt - daß also die uns vertraute euklidische
Geometrie gilt. Dann muß die Materiedichte im Weltall gleich
der kritischen Dichte sein.
Um diese beiden Eigenschaften des Weltalls – Gleichförmigkeit
und Flachkeit - erklären zu können, schuf man die Theorie von
der Inflation - d. h. Auf blähung - des Kosmos.
Dabei geht man davon aus, daß der Kosmos in seiner A nfangsphase sehr heiß gewesen ist. Aus der Theorie der Elementarteilchen folgt, daß bei sehr hohen Temperaturen alle
physikalischen Wechselwirkungen Komponenten einer einzigen
Fundamentalkraft sind. Der Kosmos kühlte dann ab. Bei
niedrigeren Temperaturen erscheint die eine Fundamentalwechselwirkung in der Form von separaten Wechselwirkungen.
Es findet eine Aufspaltung - ein Phasenübergang - statt. Dabei
entsteht eine Gravitationsabs toßung, die zu einer extrem
schnellen und sehr großen Aufblähung des Kosmos führt.
Diesen Vorgang nennt man Inflation.
Damit kann man erklären, daß
- der Weltraum heute so flach ist,
- die 2,7 K - Mikrowellenstrahlung gleichförmig aus sehr weit
voneinander entfernten Gebieten zu uns kommt,
- bestimmte Elementarteilchen nicht beobachtet werden können, die nach dem Standardmodell vom heißen Urknall existieren müßten.
Bild 2. In der inflationären Phase bläht sich der Kosmos in kurzer Zeit extrem stark auf.
Bild 3. Verlauf der Inflation: Das Szenario der Inflation und das Standard-Urknallmodell liefern unterschiedliche Vorhersagen
über die Entwicklung des Universums. Die Inflation (violette Linien) erhöht seine Größe um einen sehr großen Faktor. Das
Inflations-Szenario sagt zudem einen flachen Raum vorher, in dem die Euklidische Geometrie gilt, parallele Linien also wirklich
parallel bleiben. Im Modell des heißen Urknalls (dünne rote Linien) hingegen vergrößert sich ein Universum, das so groß ist wie
die Planck-Länge, zunächst nur auf 0,001 cm; die Vorhersagen über die Geometrie des Raumes unterscheiden sich erheblich
von denen des Inflation- Szenarios.
Die Beobachtungen zeigen, daß die Dichte im Kosmos geringer
als die kritische Dichte ist. Das widerspricht der Inflationstheorie. Das Weltall scheint keine euklidische sondern eine hyperbolische Struktur zu haben. Darum wurde inzwischen eine neue
Theorie von der chaotischen Inflation geschaffen.
Bild 4. Supernovae vom Typ Ia eignen sich als kosmische „Standardkerzen“ - und damit als „Meßlatten“ im Universum, weil
man auf Grund ihrer relativ konstanten Lichtkurven ihre Maximalleuchtkraft auf 12 % Genauigkeit berechnen kann. Die
Ergebnisse kürzlicher Entfernungsbestimmungen waren verblüffend: Während die Theoretiker ein „flaches“ Universum ohne
kosmologische Konstante mit einer Abbremsung der kosmischen Expansion erwarten (rechts, blaue Linie), legen die neuen
Beobachtungen nahe, daß d as Universum höchstens 20 % der Materie enthält, die ein flaches Universum enthalten müßte
(schwarze Linie). Die Messungen sprechen sogar eher für eine beschleunigte Expansion (rote Linie), wie sie von einer
kosmischen Vakuumenergie hervorgerufen sein könnte.
11
Strukturbildung und Dunkle Materie
Das Standard-Modell vom Urknall hat Schwierigkeiten, ohne
Zusatzannahmen die Bildung von großräumigen Strukturen im
Weltall - Galaxien, Galaxienhaufen und Superhaufen -zu erklären: Man beobachtet zwar sehr schwache anfängliche Inhomogenitäten in der 2,7 K-Mikrowellenstrahlung, aber die seit der
Trennung von Strahlung und Materie verstrichene Zeit ist viel
zu kurz, um aus diesen anfänglichen Inhomogenitäten durch
normale Verdichtungen zu den heute sichtbaren Inhomogenitäten wie Galaxien, Superhaufen und der „Großen Mauer“ zu
gelangen. Deshalb werden die folgenden Auswege in
Betracht gezogen:
1. Aus verschiedenen astronomischen Beobachtungen an
Galaxien und Galaxienhaufen folgt, daß die leuchtende Materie im Kosmos weniger als 1 % der für die beobachtete
Gravitationswirkung erforderlichen Menge ausmacht.
• 99 % der gesamten Materie können nicht beobachtet
werden - sind dunkel.
Bild 1. Der Galaxienhaufen Abell 2218 zeigt eine Reihe von diffusen Lichtbögen, die konzentrisch zum Haufenzentrum
angeordnet sind. Man erklärt diese Erscheinung durch die Ablenkung des Lichts einer hinter dem Haufen liegenden ferneren
Galaxie durch die Schwerkraft des Haufens. Diese optische Erscheinung kann aber nur auftreten, wenn die Haufenmasse zum
überwiegenden Teil aus Dunkler Materie besteht.
• Die Entwicklung der heute beobachteten Strukturen
im Kosmos - Galaxienhaufen und Superhaufen - und
die Entstehung der primären chemischen Elemente
im Kosmos - Wasserstoff, Deuterium, Helium und Lithium - können erklärt werden, wenn mindestens
80 % dieser Dunklen Materie in einer uns unbekannten Form existieren.
2. Eine zweite Möglichkeit zur Entwicklung der heute beobachteten Strukturen besteht darin, daß man frühe Störungen - „Keime“ zur Strukturbildung - annimmt. Solche
Störungen könnten sich als sogenannte „Strings“ während
eines Phasenübergangs in der inflationären Phase des
Weltalls an zusammenstoßenden Domänengrenzen
gebildet haben.
Kosmischen Strings wären perfekte Kandidaten für die
Dunkle Materie. Sie sind außerordentlich massiv,
üben starke Gravitationsanziehung aus und können im
frühen Kosmos nicht durch Strahlungsdruck aufgelöst
werden. Deshalb können sie als Kondensationskerne - als
Keime - für die Anhäufung der Materie zu Verdichtungen
und schließlich für die Bildung von Galaxien, Galaxienhaufen und Superhaufen dienen.
Bild 2. Computersimulation der Materieverteilung im frühen Universum: Struktur der Verteilung von Wolken neutralen
Wasserstoffs. Die dargestellte Kantenlänge des Würfels entspricht heute ca. 40 Millionen Lichtjahren. Die Abbildung entstammt
einer Simulationsrechnung der Kosmologie-Gruppe am Astrophysikalischen Institut Potsdam.
Diese Ansammlungen von Materie um die Strings herum
könnten sowohl aus Dunkler wie auch aus „gewöhnlicher“
Materie bestehen, da beide Materiearten von der
Gravitation beeinflußt werden. Aus dieser Sicht konnten die
Galaxien mit ihren bereits vorhandenen Bestandteilen aus
leuchtender und Dunkler Materie Gestalt annehmen.
Die sehr geringen Temperatur-Inhomogenitäten in der kosmischen Hintergrundstrahlung (siehe Tafel „Die Vorstellungen
vom Urknall“) sprechen aber eher gegen die Existenz solcher
Strings.
Die Dunkle Materie ist keine willkürliche Annahme zur Ermöglichung der Strukturbildung. Ihre Existenz wird seit den dreißiger
Jahren auf der Basis von unabhängigen astronomischen
Beobachtungen vorhergesagt. Kurt-Felix-Bottlinger untersuchte
bereits Ende der zwanziger Jahre in der Sternwarte Babelsberg
das Rotationsverhalten der Milchstraße - zum Teil im Datenaustausch mit J. H. Oort. Es scheint so, als wäre er dem
Konzept von der Dunklen Materie sehr nahe auf die Spur gekommen. Leider starb er bereits sehr früh Anfang 1934.
Bild 3. Die Computersimulation eines Netzwerks kosmischer
Strings. Diese Fäden sind topologische Defekte im Raum.
Sie besitzen eine sehr große Masse, die für den Urknall im
Augenblick der Inflation charakteristisch ist, sind jedoch sehr
dünn. Die große Masse ermöglicht ihnen, Materie aus der
Umgebung aufzusammeln. Auf diese Weise könnten sie zu
Orten für die Entstehung von Galaxien, Galaxienhaufen und
Superhaufen werden.
12
Entwicklung des Weltbildes
Die Kosmologie ist in den letzten zweitausend Jahren einen
weiten Weg gegangen: Von den Vorstellungungen über Mythen
und Götter, von einem Anfang der Welt, von der scheibenförmigen Erde mit dem Himmelsgewölbe, dem geozentrischen Weltbild mit der Fixsternsphäre bis zu den Vorstellungen von einem
riesigen - vielleicht unendlichen - Weltall mit Sternen, Galaxien,
Galaxienhaufen und Superhaufen.
Die ionischen Naturphilosophen wiesen die Götter in ihre
Schranken. Aber trotz der weitreichenden Vorstellungen
Anaximanders von einer unendlichen Zahl der Welten in einem
Kosmos ohne Zentrum setzte sich zu Beginn unseres Jahrtausends das geozentrische Weltbild des Ptolemäus durch.
Der Mensch suchte einen Mittelpunkt der Welt und er wollte in
diesem Mittelpunkt sein.
Bild 1. Schematische Darstellung der Entwicklung des Kosmos nach dem Modell vom Urknall mit Inflation. Danach bildeten sich
in den ersten Minuten die primären chemischen Elemente. Erst nach einer Millionen Jahren war die Materie soweit abgekühlt,
daß sich Galaxien und Galaxienhaufen bilden konnten.
Nicolaus von Cues , Copernicus und Kepler verbannten den
Menschen wieder aus dem Mittelpunkt der Welt - auf eine um
die Sonne kreisende Erde. Shapley, Herschel und andere
stellten die Sonne als einen Stern neben Milliarden andere in
einer noch viel größeren Welt - der Milchstraße. Dann bewiesen
Hertzsprung, Wirtz und Hubble, daß unsere Milchstraße nur
eine Galaxie von unzählbar vielen in einem unvorstellbar
großen Kosmos ist. Und alle diese Galaxien fliehen voreinander. Wenn sie das immer getan haben, müssen sie irgendwann
alle sehr dicht beieinander gewesen sein, zum Anfang im
„Zentrum“ der Welt. So entstand das Modell vom Urknall, bei
dem unsere ganze Welt aus dem Nichts entstanden sein soll.
Der Mensch hatte wieder einen Anfang der Welt gefunden –
und neue Götter?
Die Vorstellungungen vom Urknall (Bild 1) stehen in Einklang
mit drei Beobachtungsbefunden: Der kosmischen Expansion,
der kosmischen Hintergrundstrahlung und den Häufigkeiten der
leichten chemischen Elemente. Aber es sieht so aus, als würde
der Glaube an einen Urknall vielen Beobachtungstatsachen
nicht entsprechen. Das Standardmodell vom Urknall macht zum
Beispiel keine Aussage über ursprüngliche Dichtestörungen,
die zu den heute beobachteten großräumigen Materiestrukturen
führen konnten – ebensowenig wie über den Wert des Dichteparameters Ω. Weitere Fragen sind mit dem Flachheitsproblem
und mit dem Horizontproblem verbunden. Darum werden an die
Standardtheorie Korrekturen angebracht – ähnlich den
Epizykeln der Planetenbahnen im Ptolemäischen Weltbild.
Bild 2. Die aufeinanderfolgende Bildung von „Wel tblasen“ nach dem Modell der chaotischen Inflation von Andrej Linde .
Bild 3. Beispiel für eine fraktale Struktur.
Die Vorstellung von der kosmischen Inflation löst die mit dem
Flachheits- und Horizontproblem verbundenen Fragen, führt
aber zu neuen Problemen: Die aus der Inflation folgende
Flachheit des Kosmos bedeutet Ω = 1. Beobachtungen von
fernen Supernovae sprechen für deutlich kleinere Ω-Werte - der
Kosmos expandiert beschleunigt. Die Inflation - zur Rechtfertigung des Urknalls erdacht – muß weiter modifiziert werden.
Das schafft das Modell der chaotischen Inflation von Andrej
Linde. Diese verallgemeinerte Inflationstheorie kann „jeden
beobachteten Wert von Ω reproduzieren“. Sie postuliert eine
immerwährende Neuentstehung von „Weltblasen“ in bestehenden Blasen und ihre anschließende Aufblähung als einen
unendlichen Prozeß (Bild 2). Die Gesamtwelt könnte so aus
einer Folge selbstähnlicher Strukturen bestehen - ähnlich wie
bei einem Fraktal (Bild 3). Unser „Universum“ wäre dann nur
ein Teil eines unendlichen Multiversums, wie es bereits
Anaximander beschrieb.
Wenn aber laufend ineinandergeschachtelte „Schöpfungsereignisse“ für neue Welten denkbar sind, warum sollte es dann
nicht auch eine Hierarchie von „Schöpfungen“ auf unterschiedlichen Niveaus innerhalb einer Welt geben? Narlikar diskutiert
die von Arp postulierten Auswürfe von Quasaren aus Muttergalaxien als
„Minischöpfungen“. Analog könnten sich nach Narlikars Meinung Gruppen, Haufen und Superhaufen von Galaxien durch
„lokale Schöpfungsereignisse“ bilden.
Alle diese Vorstellungen wollen die Welt erklären. Einige basieren auf Beobachtungen, andere sind Spekulationen. So war es
immer. Der Mensch versucht, sich „sein Universum“ zu bauen.
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