Manfred Coppik Notar a. D. und Rechtsanwalt Manfred Coppik ● Brandenburger Str. 69 ● 63075 Offenbach a.M. Brandenburger Straße 69 63075 Offenbach am Main Tel.: (069) 86 43 69 EMail: [email protected] Verfassungswidrigkeit einseitiger Beeinflussung durch Staatsorgane bei Wahlen und Abstimmungen Der Hessische Landtag hat beschlossen, bei der Volksabstimmung am 27.03.2011 über die Verfassungsänderung zur sog. „Schuldenbremse“ allen Stimmberechtigten mit der Wahlbenachrichtigung durch die Gemeindeverwaltungen eine Erläuterung zu übersenden. Mit dieser wird völlig einseitig die angebliche Notwendigkeit der sog. „Schuldenbremse“ begründet und um Zustimmung gebeten. Gestützt wird dieser Beschluss auf § 3 Abs. 2 des Gesetzes über Volksabstimmungen, der die Möglichkeit einer informatorischen Erläuterung des Gesetzes enthält. Eine einseitige Werbung für ein bestimmtes Abstimmungsverhalten ist in § 3 Abs. 2 des Volksabstimmungsgesetzes nicht vorgesehen. Gemäß Art. 20 Abs. 2 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird vom Volke unmittelbar in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt. Hieraus ergibt sich nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung der Grundsatz, dass die politische Willensbildung vom Volk zum Staat und nicht umgekehrt erfolgt (Demokratieprinzip). Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem grundlegenden Urteil vom 02.03.1977 (2 BvE 1/76 – BVerfGE 44, 125) entsprechend dem vorstehenden Grundsatz entschieden, dass es den Staatsorganen von Verfassungs wegen versagt ist, durch Werbung die Entscheidung des Wählers zu beeinflussen. Eine parteiergreifende Einwirkung von Staatsorganen „verletzt die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen“. Das Bundesverfassungsgericht betont ausdrücklich, dass die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern diesen Grundsätzen des demokratischen Staates entsprechen müsse. Die vorgenannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde bisher nirgends in Frage gestellt. Sie wurde ausdrücklich als Grundlage der Entscheidungen vom Saarländischen Verfassungsgerichtshof, vom Bremischen Staatsgerichtshof, vom Verfassungsgerichtshof von Nordrhein-Westfalen und vom Baden-Württembergischen Staatsgerichtshof übernommen. Auch der Hessische Staatsgerichtshof hat sich 1992 in seiner in NVwZ 1992, S. 465 abgedruckten Entscheidung die vorstehende Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu Eigen gemacht und darauf hingewiesen, dass Art. 20 GG für Hessen seine Entsprechung in dem sich aus Art. 65, 70ff. Hess. Verfassung ergebenden Demokratieprinzip findet. -2Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Hessischen Staatsgerichtshofs befassten sich zwar unmittelbar mit Vorgängen bei Wahlen, die dabei entwickelten Grundsätze gelten aber – wie sich auch aus dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 GG ergibt – in gleicher Weise für Volksabstimmungen. Unter Berufung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat dies insbesondere der Bayerische VGH in seinem Beschluss vom 13.02.1991 (4 Ce 91.404 – DÖV 91,608) ausdrücklich hervorgehoben. Dort heißt es wörtlich: „Das vom Bundesverfassungsgericht für Wahlen festgestellte Neutralitätsgebot gilt in gleicher Weise für Abstimmungen. Wie oben bereits ausgeführt, ist Wahlen und Abstimmungen gemeinsam, dass sie die beiden staatsrechtlich vorgesehenen Formen der Mitwirkung des Souveräns an der Willensbildung des Staates sind. Bei beiden entscheidet die Mehrheit; beiden geht ein Kampf zur Erringung der Mehrheit voraus. Zum Wesen eines demokratischen Staates gehört es, dass die Staatsorgane in diesem Meinungskampf nicht Partei ergreifen und nicht Position beziehen, sondern dies den politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen überlassen.“ Das in Hessen geplante Vorgehen, mit der Wahlbenachrichtigung jedem Wähler amtlich ein bestimmtes Abstimmungsverhalten einseitig für geboten darzulegen und damit anzuraten, ist eindeutig verfassungswidrig. Das Demokratieprinzip kann auch durch eine ganz große Koalition von CDU, SPD, FDP und Grünen nicht aufgehoben werden. Auch sie müssen sich dem freien Meinungskampf stellen und können ihn nicht durch staatliche Meinungsmanipulation bei der Volksabstimmung ersetzen. Manfred Coppik Rechtsanwalt