Verfassungswidrigkeit einseitiger Beeinflussung durch Staatsorgane

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Manfred Coppik
Notar a. D. und Rechtsanwalt
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Verfassungswidrigkeit einseitiger Beeinflussung durch
Staatsorgane bei Wahlen und Abstimmungen
Der Hessische Landtag hat beschlossen, bei der Volksabstimmung am 27.03.2011 über die
Verfassungsänderung zur sog. „Schuldenbremse“ allen Stimmberechtigten mit der
Wahlbenachrichtigung durch die Gemeindeverwaltungen eine Erläuterung zu übersenden.
Mit
dieser
wird
völlig
einseitig
die
angebliche
Notwendigkeit
der
sog.
„Schuldenbremse“ begründet und um Zustimmung gebeten. Gestützt wird dieser Beschluss
auf § 3 Abs. 2 des Gesetzes über Volksabstimmungen, der die Möglichkeit einer
informatorischen Erläuterung des Gesetzes enthält. Eine einseitige Werbung für ein
bestimmtes Abstimmungsverhalten ist in § 3 Abs. 2 des Volksabstimmungsgesetzes nicht
vorgesehen.
Gemäß Art. 20 Abs. 2 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird vom Volke
unmittelbar in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt. Hieraus ergibt sich nach einhelliger
Lehre und Rechtsprechung der Grundsatz, dass die politische Willensbildung vom Volk zum
Staat und nicht umgekehrt erfolgt (Demokratieprinzip).
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem grundlegenden Urteil vom 02.03.1977
(2 BvE 1/76 – BVerfGE 44, 125) entsprechend dem vorstehenden Grundsatz entschieden,
dass es den Staatsorganen von Verfassungs wegen versagt ist, durch Werbung die
Entscheidung des Wählers zu beeinflussen. Eine parteiergreifende Einwirkung von
Staatsorganen „verletzt die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und
Abstimmungen“.
Das Bundesverfassungsgericht betont ausdrücklich, dass die verfassungsmäßige Ordnung
in den Ländern diesen Grundsätzen des demokratischen Staates entsprechen müsse.
Die vorgenannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde bisher nirgends in
Frage gestellt. Sie wurde ausdrücklich als Grundlage der Entscheidungen vom
Saarländischen Verfassungsgerichtshof, vom Bremischen Staatsgerichtshof, vom
Verfassungsgerichtshof von Nordrhein-Westfalen und vom Baden-Württembergischen
Staatsgerichtshof übernommen. Auch der Hessische Staatsgerichtshof hat sich 1992 in
seiner in NVwZ 1992, S. 465 abgedruckten Entscheidung die vorstehende Auffassung des
Bundesverfassungsgerichts zu Eigen gemacht und darauf hingewiesen, dass Art. 20 GG für
Hessen seine Entsprechung in dem sich aus Art. 65, 70ff. Hess. Verfassung ergebenden
Demokratieprinzip findet.
-2Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Hessischen Staatsgerichtshofs
befassten sich zwar unmittelbar mit Vorgängen bei Wahlen, die dabei entwickelten
Grundsätze gelten aber – wie sich auch aus dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 GG ergibt – in
gleicher Weise für Volksabstimmungen. Unter Berufung auf das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts hat dies insbesondere der Bayerische VGH in seinem Beschluss
vom 13.02.1991 (4 Ce 91.404 – DÖV 91,608) ausdrücklich hervorgehoben. Dort heißt es
wörtlich:
„Das vom Bundesverfassungsgericht für Wahlen festgestellte Neutralitätsgebot gilt in gleicher Weise für Abstimmungen. Wie oben bereits ausgeführt,
ist Wahlen und Abstimmungen gemeinsam, dass sie die beiden
staatsrechtlich vorgesehenen Formen der Mitwirkung des Souveräns an
der Willensbildung des Staates sind. Bei beiden entscheidet die Mehrheit;
beiden geht ein Kampf zur Erringung der Mehrheit voraus. Zum Wesen
eines demokratischen Staates gehört es, dass die Staatsorgane in diesem
Meinungskampf nicht Partei ergreifen und nicht Position beziehen, sondern
dies den politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen
überlassen.“
Das in Hessen geplante Vorgehen, mit der Wahlbenachrichtigung jedem Wähler amtlich ein
bestimmtes Abstimmungsverhalten einseitig für geboten darzulegen und damit anzuraten, ist
eindeutig verfassungswidrig. Das Demokratieprinzip kann auch durch eine ganz große
Koalition von CDU, SPD, FDP und Grünen nicht aufgehoben werden. Auch sie müssen sich
dem freien Meinungskampf stellen und können ihn nicht durch staatliche
Meinungsmanipulation bei der Volksabstimmung ersetzen.
Manfred Coppik
Rechtsanwalt
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