Reformierte Kirchgemeinde Oftringen, Predigt vom 27. August 2017 Pfarrer Dominique Baumann, Galater 5,13 Liebe Gemeinde Kennen Sie solche Gedanken: „Wenn ich einen besseren Chef bekomme oder selber Chef werde, dann geht es mir endlich gut. Dann steht mir keiner mehr im Weg zum Erfolg. Wenn ich mein Traumauto besitze, wenn ich pensioniert bin und Zeit habe zum Reisen, wenn ich im Lotto Millionen gewinne, …, dann bin ich endlich frei und glücklich. Dann steht meinem Glück nichts und niemand mehr im Weg.“? Seit wenigen Jahren ist die Frage, „Was macht Menschen glücklich?“, eine etablierte Forschungsrichtung an den Universitäten geworden. Das vorläufige Ergebnis: Solche Dinge, die ich aufgezählt habe, können eine Situation durchaus verbessern, aber mit der langfristigen Zufriedenheit, haben sie bei den allermeisten Menschen nichts zu tun. Es kommt entscheidend auf etwas anderes an. Machen wir an dieser Stelle einen zeitlichen Sprung in die Reformationszeit. Mein heutiges Thema lautet: „Warum einige Pfingstler und Charismatiker des 16. Jahrhunderts das Leben suchten, aber den Tod fanden. Und was wir daraus lernen können.“ Bekanntlich haben die Reformatoren vor 500 Jahren behauptet, die Kirche habe sich als Machtapparat zwischen Gott und die Menschen gestellt. Durch die vielen Vorschriften, welche sie den Gläubigen auferlegte, habe sie den einzelnen entmündigt. Sie habe ihn unfrei gemacht, abhängig von den Launen der Priester, Päpste und Konzilien. Reformation bedeutet Befreiung von dieser Bevormundung: Jeder Mensch kann direkten Zugang zu Gott haben, er braucht keine Vermittlung durch Priester und Kirche. Das einzig Verbindliche, was es noch braucht, ist Jesus Christus und die Heilige Schrift. Es ist mir zwar kein Reformator bekannt, der es explizit so gesagt hat, aber selbstverständlich gingen alle davon aus, dass mit diesem neuen Verständnis alles besser würde: Mehr Freiheit für den einzelnen, mehr Zufriedenheit und Frieden, und vor allem: mehr Segen von oben. Doch leider geschah zunächst einmal das Gegenteil. Und darüber müssen wir in diesem Jubiläumsjahr auch reden. Die Botschaft von der direkten Verbindung zu Gott, ohne die Vermittlung durch einen Gelehrten oder Priester, schlug bei vielen Leuten ein wie eine Bombe. Nikolaus Storch beispielsweise und eine Reihe anderer Männer in der Stadt Zwickau in Sachsen behaupteten, von Gott prophetische Eingebungen erhalten zu haben, welche für die andern Menschen wichtig seien. Vieles, was sie sagten, kam offenbar wirklich von Gott, wie etwa die Anprangerung des Reichtums der Kirche oder die Forderung, sich wieder am Geist des Urchristentums zu orientieren. Doch es mischte sich leider auch Falsches unter ihre Prophetenworte. So behauptete ein gewisser Jan Mathys einige Jahre später an Ostern 1534, dass Gott an diesem Tag sein himmlisches Friedensreich in der deutschen Stadt Münster aufrichten werde. Viele glaubten daran, schlossen sich in der Stadt ein und warteten. Doch leider kam kein Friedensreich, sondern die Kampftruppen ihrer Gegner marschierten in die Stadt ein. Die beiden Parteien metzelten sich gegenseitig in einem Blutbad nieder. Tausende starben. Aus dem Umfeld dieser Bewegung heraus kam ein anderer, den ich erwähnen will: Thomas Müntzer. Zuerst war er ein enger Gefährte Martin Luthers. Doch dann trennten sie sich im Konflikt. Müntzer warf Luther vor, von Freiheit zu reden, aber in der Praxis das meiste in der Kirche so zu belassen wie es ist und auch vor den mächtigen Fürsten und Adligen würde er kuschen. Müntzer schloss sich dem Aufstand der Bauern an, die beeinflusst vom Freiheitsgedanken der Reformation, unabhängig werden wollten von ihren Herren. Müntzer meinte, Gott habe ihm befohlen, die Bauern in die Freiheit zu führen. Doch es endete im Desaster. Acht Jahre nach dem Beginn der Reformation starben gegen 100’00 Menschen im deutschen Bauernkrieg. Müntzer wurde geköpft. Sieht so Gottes Reich aus? Wohl kaum. Ich sage das nicht überheblich oder besserwisserisch aus zeitlicher Distanz – im Gegenteil. Als ich mich zu Hause in dieses Thema vertiefte, hat es mir innerlich richtig weh getan. Das waren Menschen, die aufrichtig hofften und glaubten und dann endete alles in einem grausamen Gemetzel. Was lief falsch? Ich bin auf ein Schriftstück gestossen, das mich hellhörig gemacht hat. Jemand aus der Bewegung der Zwickauer Propheten schrieb: „Wir brauchen keine Bibel, denn Gottes Geist redet unmittelbar mit uns; und braucht man keine Bibel, so braucht man auch keine Predigt; braucht man aber keine Predigt, so braucht man auch keinen geistlichen Stand mehr; Kindertaufe ist wertlos, denn die Erleuchteten selbst sind die sichtbare Gemeinde der Heiligen". Mit anderen Worten: Diese Menschen verstanden Freiheit so, dass sie nichts und niemandem brauchten, der sich ihnen in den Wege stellen und korrigieren könnte. Dabei hätte ein Blick in die Bibel genügt und das Blutvergiessen in Münster wäre allen erspart geblieben. Jesus sagte klipp und klar, dass niemand weiss, nicht einmal er selber, wann Gott sein Friedensreich auf der Erde endgültig baut (Mt 24,36).Wahrscheinlich hielten sich die Zwickauer Propheten für unfehlbar, schliesslich waren sie überzeugt, im direktem Kontakt mit Gottes Geis zu stehen. Und das war ein Problem. Liebe Gemeinde, man darf das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Wer an Jesus Christus als Erlöser glaubt, hat freien Zugang zu Gott. Und es gibt sie und wir brauchen sie: Prophetisch begabte Menschen, die uns helfen, auf Gott zuhören. Glücklicherweise gibt es sie auch in unserer Gemeinde. Doch was braucht es, damit es zu keinen Entgleisungen kommt? Diese gab es nämlich nicht nur während der Reformationszeit. Wenn man die Kirchengeschichte studiert, dann trifft man bis heute laufend auf Bewegungen, die gut angefangen haben, dann aber in Rechthaberei, Streit, Spaltung und Tod endeten – auch im Namen Gottes. Der Antwort steht im Galaterbrief. Dort schreibt Paulus (5,13): Geschwister, ihr seid zur Freiheit berufen! Doch gebraucht eure Freiheit nicht als Vorwand, um die Wünsche eurer selbstsüchtigen Natur zu befriedigen, sondern dient einander in Liebe. Damit Freiheit ihr Potential zum Zerstörerischen nicht entfalten kann, braucht es eine dienende und liebende Haltung. Ein gutes Beispiel sind die Taufeltern, die heute da sind: Wenn Sie, liebe Eltern, ohne Kinder geblieben wären, dann hätten Sie auf den ersten Blick ja lauter Vorteile: Sie könnten nachts durchschlafen, müssten keine dreckigen Windeln wechseln, könnten öfter in den Ausgang gehen oder spontan einen Städtetrip machen. Sie müssten sich später keine Sorgen machen bei der Lehrstellensuche Ihres Kindes und last but not least, sie hätten viel mehr Geld, um sich tolle Dinge zu leisten. Kinder sind eine enorme Einschränkung. Doch die Eltern dieser Welt nehmen das alles in Kauf, weil sie Leben schenken möchten, Liebe schenken, sich investieren, oder etwas altertümlich ausgedrückt, diesem neuen Lebewesen dienen. Das bedeutet eben auch Glück und Zufriedenheit. Und das ist es, was die Glücksforscher, die ich eingangs erwähnt habe, herausgefunden haben: Egal, ob es Kinder sind oder etwas anderes, das sinnvoll erscheint: Zufriedenheit entsteht, wenn ich etwas gefunden habe, in das ich gerne meine Zeit, mein Herz, meine Leidenschaft, meine Liebe investiere. Und nicht indem ich grenzenlos das tue, was mir in den Sinn kommt. Ich diene dann dieser Sache, weil ich sie liebe. Ich weiss, das Wort „dienen“ ist out, doch ich kenne in diesem Zusammenhang kein besseres. Die Reformatoren haben das damals schon erkannt indem sie sagten, wenn du andern dienen kannst und dich nicht mehr um die Befriedigung deiner eigenen Wünsch drehst, dann bist du frei. Menschen, die von Gott besondere Begabungen bekommen haben, wie etwa seine Stimme gut hören zu können, müssen immer auf der Hut sein, Gottes Stimme nicht zu verwechseln mit der eigenen inneren Stimme. Die eigene Stimme möchte Recht haben, um bewundert zu werden. Sie möchte bestimmen und Macht ausüben. Gottes Stimme hingegen befreit vom Drehen um sich selber. Sie drängt zum Dienen. Sie führt zum Dienen an einem bestimmten Menschen, an einer Kirchgemeinde, am Reich Gottes, an der Welt. Jesus hat es vorgemacht. Schon als 12-jähriger wusste er, dass er Gottes Sohn ist. Doch statt als Teenager durchzustarten, hat er die nächsten Jahre seiner Familie gedient, bei seinem Vater Josef eine normale Ausbildung gemacht und gearbeitet. Nach seiner Taufe im Alter von etwa 30 Jahren, als der Heilige Geist auf ihn herab kam und sein Dienst richtig losging, hat er nicht gesagt: „Mir nach! Wir stürzen diese verlogenen Machthaber und machen eine neue, bessere Welt.“ Nein, er ist zu den Kranken gegangen und hat ihnen gedient. Er hat sie berührt und geheilt. Dann ist er zu den Verachteten gegangen, zu den zu wenig Frommen, hat ihnen die Hand gereicht, um sie zurückzuholen in die Gemeinschaft der Gläubigen, indem er sie liebte. Jesus hat sehr zurückhaltend Leute um sich geschart, nur zwölf an der Zahl hat er direkt berufen. Die andern sind freiwillig gekommen. Sie haben bei ihm eine Kraft gespürt, Liebe und Sinn. Und sie haben die Welt nachhaltig verändert, indem auch sie dienten. So „funktioniert“ das Reich Gottes. Jemand hat mir mal einen Tipp gegeben, wie man sich selber einschätzen kann, an welchem Punkt man steht bei diesem Thema. Er hat gesagt: Hand auf Herz, wenn jemand dir erzählt, wie gut es ihm geht, freust du dich dann für ihn oder sie oder relativierst du den Erfolg und bist sogar eifersüchtig? Je mehr du dich freuen kannst, desto freier bist du von deiner selbstsüchtigen Natur und desto eher wird dich Gott brauchen für sein Reich! Dieser Tipp hat mir gut getan… Amen. AN DIESER STELLE FOLGT IM GOTTESDIENST EIN VERARBEITUNGSTEIL, BEI DEM DIE LEUTE DIE MÖGLICHKEIT HABEN, EINANDER IN EINFACHER FORM ZU DIENEN, INDEM SIE SICH GEGENSEITIG EINEN SEGEN ZUSPRECHEN.