Psychologische Reflexionen zur Situation schwuler

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Himmlische Sehnsüchte – Irdische Regungen
Thema:
Himmlische Sehnsüchte
Irdische Regungen
Schwule Ordensleute
Udo Rauchfleisch
Psychologische Reflexionen zur Situation
schwuler Ordensangehöriger
D
I E C H A R A K T E R I S I E R U N G schwule Ordensangehörige löst
bei vielen katholischen Christen (weniger bei Christinnen) und vor
allembeidenLeitendeninderkatholischenKirchesicherBefremdenaus.
Entweder wird – zumindest offiziell – die Existenz schwuler Ordensleute
striktgeleugnet,odereswirdbeimSichtbar-WerdenbeispielsweiseschwulerPriestervon»Einzelfällen«gesprochen,wodurchverhindertwerdensoll,
dasskritischeFragennachdemLebendieserMännerundnachdenStrukturenderKirchegestelltwerdenkönnten.DennochwissenwirausverlässlichenSchätzungen,dassimKlerusundindenklösterlichenGemeinschaften
derAnteilvonMännernmitgleichgeschlechtlichenOrientierungendeutlich
grösserist(erliegtbeica.20bis25%)alsinderübrigenBevölkerung.
Udo Rauchfleisch: Psychologische Reflexionen
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Hingegen wissen wir so gut wie nichts über die Situation gleichgeschlechtlichorientierterFrauenindenFrauenklöstern,obwohlauchhiermit
einemgrossenAnteilzurechnenist.HierzeigtsichdasinteressantePhänomen,dassimBereichgleichgeschlechtlicherOrientierungenundLebensweisendieinderGesamtgesellschaftbestehendenTendenzenindeutlichausgeprägtererForminErscheinungtreten:Diesgiltbeispielsweisefürdendie
GesamtgesellschaftprägendenJugendkult,derinderschwulenSzenejedoch
extremereFormenannimmt,undfürdieTendenzvonMännernschlechthin,
unabhängigvonihrersexuellenOrientierung,einegrössereZahlvonsexuellenBeziehungeneinzugehen(wasSchwulendassiediskriminierendeEtikett,»promisk«zuleben,eingetragenhat),ebensowiefürdieTendenzvon
Frauen,ehermonogameBeziehungen,wiesievonLesbeninbesondersausgeprägterFormgelebtwerden,zupflegen,undfürdieTatsache,dassFrauen in unserer Gesellschaft nach wie vor kaum als Menschen mit eigenem
sexuellenBegehrenangesehenwerden,wassichimgleichgeschlechtlichen
Bereich darin zeigt, dass Lesbenpaare von der Umgebung oft lediglich als
»Freundinnen«undnichtalsPartnerinnenwahrgenommenwerdenunddass
gleichgeschlechtlichorientierteOrdensfrauenoffiziell»inexistent«sind.
DieSituationschwulerOrdensmännerzeichnetsichauspsychologischer
SichtvorallemdurchdreiAspekteaus:1)durchdasSpannungsfeld,einerseitsdiegleichgeschlechtlicheOrientierungwenigstenseinStückweitinder
OrdensgemeinschaftlebenzukönnenundandererseitsdiesexuelleOrientierunggeradeimengstenLebenskreispermanentverheimlichenzumüssen,
2)durchdieverhängnisvollenFolgenderoffiziellenVerlautbarungenderkatholischenKirchezurHomosexualität,und3)durchdieSchwierigkeiten,die
äusserlichwieinnerlichaufbrechen,wennOrdensmännerSchritteaufdem
WegihresschwulenComing-outtunwollen.
1.SpannungsfeldzwischenVerheimlichungundLebendergleichgeschlechtlichenOrientierunginderOrdensgemeinschaft
Wieeingangserwähnt,wirddieTatsache,dassesschwuleOrdensangehörige–undzwaringrosserZahl–gibt,offiziellgeleugnet.Homosexualität
existiertzwarindenoffiziellenVerlautbarungen,imWeltkatechismusundin
denverschiedenenVerlautbarungenderGlaubenskongregation.Dochgeht
es hier immer ausdrücklich nur um eine negative Konnotation. Ich werde
weiteruntennochaufdiedarausfürschwuleOrdensmännererwachsenden
Probleme eingehen. Für das Leben im Orden bedeutet dies, dass schwule
MännerineinerzentralenDimensionihrerPersönlichkeitoffiziellnichtexistierenundinBezugaufdiesenKernihrerPersönlichkeittotalentwertetwerden.DieFolgeist,dasssieihresexuelleOrientierungvielfachverleugnen,
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Himmlische Sehnsüchte – Irdische Regungen
insbesonderewennsieineinerkonkretengleichgeschlechtlichenBeziehung
gelebtwird.
Gewissmagesmituntermöglichsein,indemspirituellenRahmen,den
dieOrdensgemeinschaftbietet,–wieauchmancheheterosexuellorientierte
Ordensmänner–einegewisseSublimierungzuerreichenundeinzölibatäresLebenzuführen.DieswirdjedochgeradefürSchwulezueinembesonderenProblem,weilsie,andersalsheterosexuelleOrdensangehörige,nicht
nureinenKampfgegenihrealsverpöntgeltendensexuellenImpulseführen
müssen,sondernvonKindheitanerfahrenhaben,dasszudemdieRichtung
ihressexuellenBegehrenseineschwereSündesei.DasausdiesemKonflikt
resultierendeVerheimlichen der gleichgeschlechtlichen Orientierung führt
zubesondersintensivenGefühlenderEinsamkeit,desAusgeschlossen-Seins,
derSchuldundderSchamundkannzueinerQuellepermanenterSelbstentwertungwerden.
ImGegensatzzudieserTendenzzurVerheimlichungderschwulenOrientierungstehtdieTatsache,dassinderOrdensgemeinschaftgleichgeschlechtlichesBegehreneinStückweitgelebtwerdenkann.EinbesonderesMerkmalderOrdensgemeinschaftistjageradedieTatsache,dassdieMitglieder
demgleichenGeschlechtangehören,undseitaltershersindindenKlöstern
auchgleichgeschlechtlicheBeziehungengelebtworden.1Insofernbietetdie
OrdensgemeinschafteinenRahmen,indeminsublimierterFormwieauch
mitunterinkonkretenBeziehungendiegleichgeschlechtlicheOrientierung
gelebtwerdenkann.DiesistwohlauchfüreinenTeilderschwulenOrdensangehörigenmiteinGrundfürdenEintrittindieGemeinschaftgewesen.
DiewenigstenvonihnenwerdenjedochindieserSituationohnegrosse
Konflikteleben.ImGegenteil!DasZusammenlebenmitanderenMännern
befriedigt zwar bis zu einem gewissen Grad die gleichgeschlechtlichen
Bedürfnisse, stellt zugleich aber auch eine permanenteVersuchungs- und
Versagungssituationdar–wieesähnlichfüreinenheterosexuellenOrdensmannwäre,derineinemFrauenklosterlebte!Diesgiltganzbesondersfür
diejenigen,dieindenOrdenmitderHoffnungeingetretensind,derspirituelleRahmenwerdeihnenhelfen,ihrgleichgeschlechtlichesBegehrentotal
auszulöschen.
2.FolgenderoffiziellenVerlautbarungenderkatholischenKirchefür
schwuleOrdensangehörige
Füralle,dieeinetraditionellekatholischeSozialisationdurchlaufenhaben
–unddiestrifftwohlfürdenweitausgrösstenTeilderspäterenOrdensan1 Vgl.dieBeiträgeinWeSTh9(HeftNr.1,2002)vonMartinHüttinger,DieKörper
widerstehen einander – der Kampf um die Lust. Schwule Kirchenväter von der
AntikebiszurNeuzeit,S.17-22undAndreasMittler,PortraitskizzeeinesKirchenmannes.VersucheinesAugustinus-Psychogramms,S.4-9.
Udo Rauchfleisch: Psychologische Reflexionen
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gehörigezu–,warvonKindheitanklar,dassHomosexualitätzueinerder
schwersten Sünden gehört. Ebenso klar spürbar war für die meisten aber
auch von Kindheit an, dass sie nicht heterosexuell, sondern homosexuell
orientiertsind.AuchwennderWeltkatechismusundandereVerlautbarungen zwischenAnlage undVollzug differenzieren, bringt dies keine Entlastung.EsbedeutetfürMenschenmitgleichgeschlechtlichenOrientierungen
imGegenteilvielmehreinenzusätzlichenDruck,weilihnenmitdieser–aus
psychologischerSichtvölligunsinnigen–UnterteilungeinezusätzlicheLast
auferlegt wird und sie einer letztlich unerfüllbaren Forderung ausgesetzt
werden.
HinzukommtdiefürdiePersönlichkeitsentwicklungeinesschwulenkatholischenChristenenormbelastendeTatsache,vonoffiziellerSeiteimmer
wiederundausschliesslichnegativeÄusserungenüberseinesexuelleOrientierung zu hören.2 Diese negative Bewertung hat nochmals tiefgreifendere
FolgenalsdienegativeHaltung,aufdieLesbenundSchwulesonstinmanchenTeilenunsererGesellschafttreffen,3weilesimreligiösenBereichungleichschwererist,sichemotionalzudistanzieren.EssindfürdenBetreffendennicht»irgendwelche«Meinungenvonmehroderwenigerunwichtigen
NachbarnoderBezugspersonen,sondern»offizielle«Verlautbarungeneiner
Kirche,diefürihnvonexistenziellerBedeutungistundderersichzutiefst
verbundenfühlt.
IstdiesschonfürschwulekatholischeMännergenerelleinschwerlösbarerKonflikt,sowirddieSituationnochmalsbrisanter,wennesumschwule
Ordensangehörigegeht.Siekönnenundwollennicht,wieandere,deroffiziellenKircheundihrenInstitutionentotaldenRückenkehrenundsichbeispielsweiselesbisch-schwulenBasiskirchenanschliessen,sondernsieleben
geradeindemUmfeld,dassieimKernihrerPersönlichkeitentwertetundablehnt.GewissgestaltetsichdasLebendereinzelnenschwulenOrdensangehörigenjenacheigenerPersönlichkeitundderjeweiligenUmgebungunterschiedlich,wieauchdieBeiträgeindiesemThemenheftzeigen.Dochstehen
2 Vgl.ChristianKäufl,GraueJungs.KircheundHomosexualitätinderWahrnehmunghomosexuellerMänner,Mainz2000undM.Steinhäuser,Homosexualität
alsSchöpfungserfahrung.EinBeitragzurtheologischenUrteilsbildung,Stuttgart
1998.
3 Vgl.MichaelBochow,EinstellungenundWerthaltungenzuhomosexuellenMännerninOst-undWestdeutschland.In:C.Lange(Hg.):Aids–EineForschungsbilanz.Berlin1993.–Ch.Knoll,M.Edinger,G.Reisbeck,Grenzgänge.Schwule
und Lesben in derArbeitswelt, München 1997. – Udo Rauchfleisch,Arbeit im
psychosozialenFeld.Beratung.Begleitung,Psychotherapie,Seelsorge,Göttingen
2001.–A.Schneeberger,PsychosomatischeFolgenundBegleitphänomeneder
DiskriminierungamArbeitsplatzbeiMenschenmithomosexuellerOrientierung,
Diss.Med.Fakult.Basel1998(erscheint2002in»Schweiz.Arch.Neurol.Psychiat.«).
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Himmlische Sehnsüchte – Irdische Regungen
schwuleOrdensmänneraufgrundderbeschriebenenSituationgenerellunter
einemstarkenDruck,undesbestehtdieGefahr,dasssie–wieMenschen
imallgemeinen–dienegativenEinstellungenderUmgebung,ihnenselbst
oftnichtbewusst,inihrSelbstbildübernehmen.Durchdieseinternalisierte
Homophobie4 kann es dann zu massiven Selbstentwertungen, quälenden
Schuld- und Schamgefühlen, mitunter bis zum Suizid, kommen, und/oder
es wird die eigene abgelehnte Homosexualität an anderen bekämpft, eine
tragischeDynamik,diesichgeradeinkirchlichenKreisenbeidenscharfen
KritikernderHomosexualitäthäufigfindet.
3.SchwulesComing-outimOrden
IstschondasWortpaar»schwuleOrdensangehörige«füretlicheKatholiken
schwerverdaulich,soklingtdieFormulierung»schwulesComing-outimOrden«zweifellosfürvielewiezweisichgegenseitigabsolutausschliessende
Dinge.DennochzeigenErfahrungenvonOrdensangehörigen(sieheu.a.die
Beiträge in diesem Heft), dass es ein Coming-out im Orden durchaus gibt
und dass dies, wenn diese Schritte gewagt werden und gelingen, zu einer
enormenEntlastungführt.DerProzessdesComing-outumfasstbekanntlich
zwei Dimensionen, die in engerWechselwirkung miteinander stehen: das
innereGewahrwerdenundAkzeptierendergleichgeschlechtlichenOrientierungsowiedasSichtbar-MachenderOrientierunggegenüberderUmgebung
unddasFindeneinesspezifischenLebensstils.5Wieobenbeschrieben,resultierenausdenoffiziellenVerlautbarungenderkatholischenKircheerhebliche Behinderungen beim Aufbau einer positiven gleichgeschlechtlichen
Identität.
DieserWegistfürOrdensleuteundPriesterzwaroftschwierigeralsfür
andere schwule Männer. Es wäre jedoch eine verzerrte, einseitig negative
Sicht,zumeinen,unterdiesenBedingungenseidieEntwicklungeinerpositiven schwulen Identität prinzipiell nicht möglich. Gleichgeschlechtlich
empfindendeMenschensindjavonKindheitangezwungen,sichüberdie
eigenenGefühleundStrebungenRechenschaftabzulegenundsichmitihrem»Anders-Sein«auseinanderzusetzen.DiesbringtzwaretlicheSchwierigkeitenmitsich,denenHeterosexuelleindiesemAusmassnichtausgesetzt
sind,undstelltgrössereAnforderungenandiepsychischeVerarbeitungsfähigkeitvonSchwulen.ZugleichstelltdasGewahrwerdenundAkzeptieren
dergleichgeschlechtlichenOrientierungunddasFindeneinesentsprechendenLebens-undBeziehungsstilsaberaucheineproduktiveHerausforderung
4 Vgl.UdoRauchfleisch,J.Frossardu.a.,Gleichunddochanders.Psychotherapie
undBeratungvonLesben,Schwulen,BisexuellenundihrenAngehörigen.Stuttgart2002.
5 Vgl. Udo Rauchfleisch, Schwule. Lesben. Bisexuelle. Lebensweisen,Vorurteile,
Einsichten,Göttingen32001.
Udo Rauchfleisch: Psychologische Reflexionen
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darundkann,wieEdmundWhiteesinseinemEssay»DerschwulePhilosoph«6beschriebenhat,geradezuzueinerbesondersreflektierten»philosophischen«Grundhaltungführen.
Insofern ist ein Coming-out im Sinne des Akzeptierens der eigenen
gleichgeschlechtlichen Orientierung für schwule Ordensmänner durchaus
möglich.BegrenztersindindesimallgemeinendieMöglichkeitenweiterer
SchritteaufdemWegdesHinaustretensindieÖffentlichkeitunddesFindens eines spezifischen gleichgeschlechtlichen Lebens- und Beziehungsstils.AuchhierbestehenjenachPersönlichkeitderBetreffendenundnach
denBedingungen,unterdenensieleben,grosseindividuelleUnterschiede.
SchwierigkeitenerwachsenihnenaberaufjedenFallinfolgedereindeutig
negativenoffiziellenVerlautbarungen.Besondersschwierigwirdesfürdiejenigenunterihnen,diesichniemandemzueröffnenwagenundinderoben
beschriebenen permanentenVersuchungs- undVersagungssituation mit ihreninnerenKonfliktenvölligalleingelassensind.
Hinzukommt,dassOrdensangehörigemitheterosexuellerOrientierung
in der Öffentlichkeit und auch in kirchlichen Kreisen eher mitVerständnis
rechnen können, wenn sie sexuelle Beziehungen eingehen und u. U. den
Orden verlassen. In der schweizerischen Vereinigung ZöFra (»Verein der
vomZölibatbetroffenenFraueninderSchweiz«)habensiesogareineihre
SituationindieÖffentlichkeittragende,alsLobbyfürsiewirkendeGruppe
gefunden.GanzandersisteshingegenfürschwuleOrdensangehörige:Ihre
sexuelle Orientierung wird in den offiziellenVerlautbarungen der katholischenKircheabgelehntundentwertet,siehabendiesenegativenBilderim
SinnederinternalisiertenHomophobiemehroderwenigerverinnerlichtund
besitzen keine Lobby, die ihreAnliegen in die Öffentlichkeit trägt und sie
unterstützt.EinegleichgeschlechtlicheBeziehungeinzugehenistfürschwule
OrdensmännereindoppelterTabubruch,indemnichtnur–wiebeidenheterosexuellenMitbrüdern–dasZölibatsgebotgebrochenwird,sondernder
VollzuggleichgeschlechtlicherSexualitätselbstvonderkatholischenKirche
als schwere Sünde betrachtet wird. Ausserdem stehen diesen Männern in
derRegelkeineModellegleichgeschlechtlicherBeziehungenzurVerfügung.
IndieserschwierigenSituationsindschwuleOrdensangehörigeweitgehend
allein gelassen. Einzig die in verschiedenen Ländern gegründeten Vereinigungen schwuler Priester (so in der Schweiz derVerein ADAMIM) bieten
schwulenOrdensangehörigenRückhalt,SolidaritätundUnterstützungund
vertretenihreAnliegengegenüberderÖffentlichkeit.DenMutaufzubringen,
sicheinersolchenGruppeanzuschliessen,bedeutetjedoch,bereitsgrosse
SchritteaufdemWegderSelbstakzeptanzgetanzuhaben.
6 EdmundWhite,DerschwulePhilosoph.In:EdmundWhite,DiebrennendeBibliothek.München1996,S.33-52.
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Himmlische Sehnsüchte – Irdische Regungen
4.Wasistzutun?
DasübergeordneteZielseheichdarin,dassgleichgeschlechtlichempfindendeOrdensangehörigeihresexuelleOrientierungalsgöttlichesGeschenkim
SinneeinesCharisma7bejahen,alsderHeterosexualitätgleichwertigbetrachten und damit sich selbst akzeptieren können und, falls sie dies möchten,
ihrgleichgeschlechtlichesBegehrenineinerPartnerschaftlebenundgestaltendürfen.Miristklar,dassunterdenheutigenBedingungendasErreichen
diesesZielsinrechtweiterFerneliegt.Docherscheintesmirwichtig,eine
solcheVisionaufrechtzuerhalten,erwächstdochausihrdieMotivationund
dieKraft,Dingezuverändern,diedringendverändertwerdenmüssen.
AufdemWegzudemgenanntenZielsindvierSchrittenötig,diemiteinanderinengerWechselwirkungstehen:
1)SchwulePriesterundOrdensangehörigebedürfeneinerLobby,dieihnenSolidaritätbekundet(waswiederumdieSelbstakzeptanzstärkt)undihre
AnliegengegenüberderKirchenleitungundderbreiterenÖffentlichkeitvertritt.DiebereitsbestehendenVereinigungenschwulerPriestermüssenausgebautunddurchbreitangelegteUnterstützungsgremienverstärktwerden.
Ausserdemmussversuchtwerden,inKircheundGesellschaftalleKräfte,die
dengleichgeschlechtlichenOrientierungenwertschätzendgegenüberstehen,
zusammenzufassenundihreAktivitätenzukoordinieren.
2) Für die konstruktive Auseinandersetzung mit der Situation schwuler
–undlesbischer–OrdensangehörigeristdieEnttabuisierungundEntpathologisierungderHomosexualitätdringendnotwendig.IndenMedienundin
derpsychologisch-psychiatrischenFachliteraturistdiesindenletztenJahren
durchaus geschehen. Mitunter taucht das Thema »Homosexualität« aber
im Zusammenhang mit spektakulären Ereignissen auf, so in jüngster Zeit
anlässlich der sexuellen Übergriffe von Priestern gegenüber Kindern und
Jugendlichen, wobei hier eine unheilvolle – und keineswegs zutreffende
–VerknüpfungzwischenHomosexualitätmitPädosexualitätvorgenommen
wird.EingutesBeispielfüreinekonstruktiveAuseinandersetzungmitdem
Thema »Homosexualität« stellt die sehr differenzierte Stellungnahme des
KatholischenFrauenbundesderSchweizzumThemagleichgeschlechtlicher
Orientierungendar(wasdennauchentsprechendnegativeReaktionender
SchweizerBischöfehervorgerufenhat!).
7 Vgl.JensWeizer,VomandernUfer.SchwulefordernHeimatinderKirche,Düsseldorf1995.
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3)AufdiesemWegistdaraufhinzuwirken,dassinderbreiterenÖffentlichkeitundvoralleminkirchlichenKreisendiegleichgeschlechtlicheOrientierungalseinederHeterosexualitätgleichwertigeOrientierungakzeptiert
wird.DiesisteineVoraussetzungdafür,dassauchschwuleOrdensangehörigeihreOrientierungselbstakzeptierenundeinkonstruktivesComing-out
durchlaufenkönnen.
4)DiebeschriebenenSchrittesindindesnurmöglich,wenndiekatholischeKirchebereitist,sichdenheutigenhumanwissenschaftlichenKenntnissen zu öffnen, und wenn tiefgreifende Änderungen in der katholischen
Sexualmoralvorgenommenwerden.DiesistderwohlschwierigsteSchritt,
weil es hier nicht nur um dasThema »Homosexualität« geht, sondern um
weitreichende Fragen wie Empfängnisverhütung, voreheliche sexuelle Beziehungen, Selbstbefriedigung, Zölibat und Frauenordination, um nur die
wichtigstenzunennen.Unddasheisst:EssindgrundsätzlicheVeränderungen in den patriarchalen, homophoben Machtstrukturen der katholischen
Kirchevorzunehmen!
Udo Rauchfleisch ist Professor für Klinische Psychologie an der Psychiatrischen
Universitäts-Poliklinik Basel. Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Udo Rauchfleisch,
Hauptstr.49,CH-4102Binningen.
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