Die Bedeutung der Zusammenstöße von Galaxien für die

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Jahrbuch 2010/2011 | Robaina, Aday R.; Bell, Erik; Skelton, Rosalind; Gallazzi, Anna; Jahnke, Knud;
Meisenheimer, Klaus; Skibba, Ramin | Die Bedeutung der Zusammenstöße von Galaxien für die
Sternentstehung im Kosmos
Die Bedeutung der Zusammenstöße von Galaxien für die
Sternentstehung im Kosmos
The significance of galactic collisions for star formation in the
cosmos
Robaina, Aday R.; Bell, Erik; Skelton, Rosalind; Gallazzi, Anna; Jahnke, Knud; Meisenheimer, Klaus; Skibba,
Ramin
Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Wenn große Galaxien einander nahe kommen, können die dabei auftretenden Gezeitenkräfte heftige
Sternbildungsaktivität auslösen. Insgesamt aber spielt dieser Prozess für die Bildung neuer Sterne keine
große Rolle: W ie eine internationale Studie unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Astronomie gezeigt hat,
w urde in massereichen Galaxien w ährend der letzten acht Milliarden Jahre (bei Rotverschiebungen z < 1) die
Bildung von w eniger als zehn Prozent aller neuen Sterne unmittelbar durch gravitative Wechselw irkung
ausgelöst – ein w ichtiger Befund für die Theorie der Galaxienentw icklung.
Summary
W hen large galaxies come close to one another, the resulting tidal forces initiate intense star-forming activity.
How ever, this process does not play a very important role in the formation of stars in general. In fact, an
international study headed by the Max Planck Institute for Astronomy has show n that the formation of no
more than ten percent of all new stars has been initiated directly by gravitational interaction in mass-rich
galaxies during the last eight billion years (at redshifts z < 1). This finding is of great significance for the theory
of galaxy evolution.
Gravitative Wechselw irkungen und Verschmelzungen von Galaxien können die Sternbildungsaktivität in den
beteiligten Systemen dramatisch verstärken. Dies zeigen alle bei Rotverschiebungen z < 1 untersuchten Fälle,
bei denen die Morphologie der beteiligten Systeme im visuellen Spektralbereich noch erkennbar ist. Die
ultraleuchtkräftigen Infrarotgalaxien, in denen die stärksten Ausbrüche von Sternbildungsaktivität im nahen
Kosmos beobachtet w erden, sind in Wahrheit fast ausnahmslos verschmelzende Galaxienpaare oder
Mehrfachsysteme. Von großem theoretischen Interesse sind aber nicht so sehr diese spektakulärsten Fälle, als
vielmehr die mittlere Verstärkung der Sternbildungsaktivität, gemittelt über sämtliche bedeutenderen Fälle von
Wechselw irkung oder Verschmelzung innerhalb einer gegebenen Population. Der starke Abfall der kosmischen
Sternentstehungsrate w ährend der letzten acht Milliarden Jahre verlief parallel zur Abnahme der Häufigkeit
naher Begegnungen zw ischen Galaxien. Diese Beobachtung fände ihre natürliche Erklärung, w enn tatsächlich
ein Großteil der Sternentstehung durch solche Begegnungen ausgelöst w ürde.
© 2011 Max-Planck-Gesellschaft
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ein Großteil der Sternentstehung durch solche Begegnungen ausgelöst w ürde.
Es w ird seit langem vermutet, dass elliptische und linsenförmige Galaxien aus der Verschmelzung von
Spiralgalaxien entstehen, und in allen hierarchischen Modellen der Galaxienentw icklung spielen solche
Verschmelzungsprozesse eine w ichtige Rolle. In den Modellrechnungen führt die gravitative Wechselw irkung
der Galaxien zu einer Verstärkung der Sternbildungsrate und spielt daher eine Schlüsselrolle für die
Beschreibung der chemischen Entw icklung der Sternpopulationen in Galaxien. Für die Ausw ahl der richtigen
theoretischen
Beschreibung
der Galaxienentw icklung
muss
demnach
die
Bedeutung
der gravitativen
W echselw irkung zw ischen benachbarten Galaxien für die Sternbildungsrate empirisch ermittelt w erden.
In der hier beschriebenen Studie w urde eine statistische Analyse der Eigenschaften einer vollständigen
Stichprobe massereicher Galaxien (M* > 2×10 10 Sonnenmassen) bei Rotverschiebungen im Bereich 0,4 < z <
0,8 durchgeführt, unter Berücksichtigung aller Phasen gravitativer Wechselw irkung zw ischen Galaxien mit
stellaren Komponenten vergleichbarer Masse (Massenverhältnis 1:1 bis 1:4). Zw ei Schlüsselfragen w urden
behandelt: W ie groß ist die mittlere Verstärkung der Sternbildungsrate in Abhängigkeit vom gegenseitigen
Abstand w echselw irkender Galaxien? Und w elcher Anteil der Sternbildungsaktivität w ird direkt durch
gravitative W echselw irkung und Verschmelzung der Galaxien ausgelöst?
Die Stichprobe und ihre Analyse
Die in dieser Studie untersuchten Galaxien bilden eine w ohldefinierte, innerhalb eines gegebenen kosmischen
Volumens vollständige Stichprobe aus der schon früher am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA)
durchgeführten
photometrischen
Durchmusterung
COMBO-17
–
diese
besteht
aus
der vollständigen
Überdeckung eines vollmondgroßen Himmelsausschnitts mit breit- und schmalbandigen Aufnahmen in 17
Farben vom UV (Wellenlänge 350 nm) bis zum nahen Infrarot (930 nm). In zw ei COMBO-17-Feldern liegen
auch die mit dem Weltraumteleskop Hubble durchgeführten Durchmusterungen GEMS und STAGES, sodass
auch diese hochaufgelösten Aufnahmen mit herangezogen w erden konnten.
Aus den COMBO-17-Daten w aren die Rotverschiebungen der Galaxien und die Massen ihrer stellaren
Komponenten bereits bestimmt w orden. So konnte das untersuchte Volumen durch die Beschränkung auf
Galaxien
mit Rotverschiebungen
im Intervall 0,4
< z < 0,8 definiert w erden. Um den Einfluss der
Sternbildungsaktivität auf die Zusammensetzung der Stichprobe zu minimieren, w urden die 2551 Galaxien der
Stichprobe allein aufgrund der Masse ihrer stellaren Komponente ausgew ählt: Sie sollte mindestens 20
Milliarden Sonnenmassen betragen. Zur Untersuchung der Verstärkung der Sternentstehungsrate durch
gravitative Wechselw irkung w urden nur Galaxienpaare ähnlicher Masse betrachtet – d. h. solche, deren
Massenverhältnis im Intervall 1:1 bis 1:4 liegt.
Ein Maß für die Sternbildungsrate der Galaxien ist deren UV-Helligkeit, denn sie stammt von den massereichen,
kurzlebigen, und deshalb soeben entstandenen Sternen. Aber w o viele Sterne entstehen, gibt es auch viel
Staub, der deren UV-Strahlung absorbiert und dadurch erw ärmt w ird. Die W ärmestrahlung des Staubes ist
also ein Maß für die vom Staub verschluckte UV-Strahlung. Deshalb w urde die Sternbildungsrate der Galaxien
aus einer Kombination aus ihrer UV-Helligkeit und ihrer IR-Helligkeit abgeleitet, w obei neben den COMBO-17Daten auch die Spitzer-Photometrie bei 24 µm Wellenlänge herangezogen w urden. Aus den UV- und IRHelligkeiten w urden die Sternbildungsraten aufgrund von Modellrechnungen anderer Autoren abgeleitet. Die
Verfälschung dieser Ergebnisse durch die thermische Emission möglicher von aktiven Galaxienkernen
aufgeheizter Staubmassen w urde sorgfältig abgeschätzt und – da sie allerhöchstens 10 Prozent beiträgt –
vernachlässigt.
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Eine Verstärkung der Sternbildungsrate kann in allen Phasen der gravitativen Wechselw irkung zw ischen
Galaxienpaaren (gegenseitiger Abstand kleiner als 2 Bogensekunden oder 15 Kiloparsec, etw a 50000
Lichtjahre) auftreten, vom ersten nahen Vorbeiflug bis zum endgültigen Verschmelzen. Um auch die engsten
Phasen der Wechselw irkung zu berücksichtigen, w urden zur morphologischen Charakterisierung der Objekte
und schließlich zur Bestimmung der Sternbildungsraten neben der COMBO-17-Durchmusterung auch die
Hubble-Durchmusterungen GEMS und STAGES herangezogen. Dabei w ar eine visuelle Klassifikation dieser
Objekte erforderlich. Die 2551 Galaxien der Stichprobe w urden auf die drei folgenden Klassen verteilt:
A bb. 1: O bje k te de r Kla sse 2 – be de ute nde e nge
Be ge gnunge n zwische n größe re n Ga la x ie n ä hnliche r Ma sse
(ge schä tzte s Ma sse nve rhä ltnis M1/M2 = 1:1 bis 1:4). In
die se m Sta dium de r gra vita tive n W e chse lwirk ung sind die
Ga la x ie n a uf de n ge ze igte n hoch a ufge löste n Hubble Aufna hm e n noch ge tre nnt e rk e nnba r. De r schwa rze Ba lk e n
e ntspricht a m O rt de r Ga la x ie e ine m Absta nd von 20
Kilopa rse c.
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1. Objekte ohne erkennbare Anzeichen für gravitative Wechselw irkungen mit benachbarten Galaxien. Dazu
gehören auch asymmetrische, irreguläre Galaxien mit stochastisch verteilter, durch interne Prozesse
ausgelöster Sternbildungsaktivität. (Insgesamt 2380 Objekte)
2. Bedeutende enge Begegnungen: Das sind Galaxienpaare, die zw ar nicht auf COMBO-17-, w ohl aber auf
Hubble-Aufnahmen räumlich getrennt erscheinen, und deren Massenverhältnis im Bereich zw ischen 1:1 und
1:4 liegt. (Insgesamt 106 Objekte; Beispiele zeigt Abb. 1.)
3. Größere Verschmelzungsprodukte: Galaxien, deren Morphologie Hinw eise auf eine kürzlich stattgefundene
Verschmelzung zw eier ähnlich massereicher Galaxien enthält. Typische Merkmale sind: Eine hochgradig
gestörte Morphologie, zw ei Kerne vergleichbarer Helligkeit, oder Gezeitenarme ähnlicher Länge. (Insgesamt
72 Objekte; Beispiele zeigt Abb. 2.)
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A bb. 2: O bje k te de r Kla sse 3 – Größe re
Ve rschm e lzungsproduk te . De r schwa rze Ba lk e n e ntspricht a m
O rt de r Ga la x ie e ine m Absta nd von 20 Kilopa rse c.
© Ma x -P la nck -Institut für Astronom ie
Die w ahren (nicht die an den Himmel projizierten) Abstände der Objekte der ersten Klasse zu den anderen
Galaxien der Stichprobe können nur statistisch ermittelt w erden. Den Paaren der Klasse 2 w urde ein
gegenseitiger Abstand von 10 Kiloparsec, und den Verschmelzungsprodukten der Klasse 3 ein Abstand von
null Kiloparsec zugeordnet.
Damit lagen die photometrisch bestimmten Sternbildungsraten aller Galaxien der Stichprobe und ihre
gegenseitigen Abstände vor. Aus diesem Datensatz w urde die mittlere Abhängigkeit der Sternbildungsraten
vom gegenseitigen Abstand möglicher Paare abgeleitet, zum einen für alle Paare, in denen mindestens eine
Galaxie
Anzeichen für Sternbildungsaktivität zeigt, zum anderen für solche
Paare, in denen beide
Komponenten Sternbildungsaktivität zeigen. Das Ergebnis ist in Abbildung 3 dargestellt: In beiden Fällen ist
für gegenseitige Abstände kleiner als 40 Kiloparsec eine deutliche Verstärkung der Sternbildungsaktivität
erkennbar und zw ar im Mittel um einen Faktor 1,5 bis 1,8.
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A bb. 3: Die m ittle re Ve rstä rk ung de r Ste rnbildungsa k tivitä t in
P a a re n von Ga la x ie n in Abhä ngigk e it vom ge ge nse itige n
Absta nd. Bla ue Sym bole : a lle P a a re , in de ne n m inde ste ns
e ine Ga la x ie Ste rnbildungsa k tivitä t ze igt; rote Sym bole : P a a re
m it Ste rnbildungsa k tivitä t in be ide n Kom pone nte n. Die
Me sspunk te be i rp = 0 und rp = 10 Kilopa rse c wurde n für die
m orphologisch a usge wä hlte n O bje k te de r Kla sse n 2 und 3
a bge le ite t.
© Ma x -P la nck -Institut für Astronom ie
Der so bestimmte Verstärkungsfaktor für die Sternbildungsaktivität der Galaxien in Abhängigkeit vom Abstand
zu ihren Nachbarn ermöglicht nun die Abschätzung des Effekts bezogen auf die Sternbildung in allen Galaxien
der vorliegenden Stichprobe. Es ergibt sich, dass nur etw a 8 Prozent der Sternbildungsaktivität im
Rotverschiebungsintervall zw ischen z = 0,4 und z = 0,8 direkt durch "bedeutende Verschmelzungsprozesse"
der hier betrachteten Art ausgelöst w erden. Entsprechend der beobachteten Abnahme der Häufigkeit dieser
Verschmelzungen w ährend der letzten 8 Milliarden Jahre (von z = 1 bis in die Gegenw art, z = 0) w ürde das
bedeuten,
dass
bei z = 1
etw a
14%
bis
18%
aller
Sternbildung
in
Galaxien
durch
gravitative
Wechselw irkungen der hier betrachteten Art ausgelöst w urden, w ährend es heute nur noch etw a 1 bis 2
Prozent sind.
Andererseits ergibt sich aus der hier vorgestellten Untersuchung, dass die stärksten, tief in dichte
Staubw olken eingebetteten Sternbildungsepisoden in den meisten Fällen in verschmelzenden Galaxien
stattfinden. Dieser Befund ist dann mit der geringen mittleren Verstärkung durch gravitative Wechselw irkung
verträglich, w enn die stärksten Ausbrüche der Sternbildungsaktivität nur jew eils etw a 100 Millionen Jahre
andauern.
In Zusammenarbeit mit: University of Massachusetts, University of Missouri, Space Telescope Science
Institute, Purple Mountain Observatory, University of Porthmouth, University of Waterloo (Canada), École
Polytechnique da Lausanne, Universität Innsbruck, AIP Potsdam, McDonald Observatory, University of
Nottingham, University of British Columbia, University of Texas at Austin, Eso Garching, Stew ard Observatory,
Herzberg Institute of Astrophysics, Centro Astronomico Hispano-Aleman de Calar Alto, University of Edinburgh,
University of Oxford.
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