Über die geistgewirkte Freiheit und Weite der katholischen Kirche

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Über die geistgewirkte Freiheit und Weite der katholischen Kirche
Statement zur Einheit „Wie der Geist wirkt – Geist der Freiheit, Geist der Ordnung“
des Podiums „Die Sache Jesu braucht BeGEISTerte“ am 22. Mai 2009
beim Evangelischen Kirchentag in Bremen
„ ‚Evangelisch im 21. Jahrhundert’. Christliche Freiheit ist dafür das Losungswort. Als
Kirche der Freiheit will sie wirken und wahrgenommen werden.“
So heißt es in einem
Plädoyer von Bischof Wolfgang Huber für eine Ökumene der Profile; und noch weiter: „Es
ist gerade diese Unterscheidung und Verbindung zwischen Grund und Gestalt der Kirche,
zwischen Konzentration und Weite, zwischen göttlichem Wirken und menschlicher
Verantwortung, welche die evangelische Kirche in einem spezifischen Sinn zu einer Kirche
der Freiheit macht.“
Und was ist dann – so frage ich mich – die katholische Kirche? Ist darin die Freiheit
verloren gegangen oder unterdrückt? Wird hier alles zentralistisch und uniform nur durch
Lehrentscheidungen, Gesetze und Vorschriften geregelt? Ist absoluter Gehorsam und
systemgerechte Anpassung die katholische Lebensform? Sind wir eine Kirche von
starrköpfigen Ideologen, lebensfremden Moralisten, klein karierten Schwarz-Weiß-Malern,
ängstlichen Duckmäusern und verklemmten Neurotikern?
Ich muss gestehen, meine Kirche bisher in einer solchen Einseitigkeit nicht erfahren zu
haben und wahrzunehmen. Vielleicht ist das ja evangelischerseits so auch nicht gemeint.
Was aber dann? Billigt man der katholischen Kirche ebenfalls zu, von christlicher Freiheit
geprägt zu sein – vielleicht nur etwas anders?
Ich erlebe meine Kirche in einer spannungsvollen Einheit als recht vielfältig. Es ist eine
Weltkirche, in der unzählige Völker und Nationen, Rassen und Klassen, Kulturen und
Parteien, Lebensweisen und Meinungen ihren Platz haben. Die katholische Kirche ist
durchaus kein erratischer Block; und ich staune immer wieder darüber, wie diese
Gemeinschaft überhaupt zusammengehalten werden kann. Sie ist nicht etwa nur römisch
und lateinisch ausgerichtet; es gibt viele Riten in ihr, sogar recht eigenständige
Ortskirchen östlicher Traditionen, deren Bischöfe nicht direkt vom Papst ernannt werden
und in denen neben ehelosen Geistlichen auch verheiratete Priester selbstverständlich
sind. Wie viele Orden und geistliche Bewegungen sind zudem innerhalb unserer Kirche
entstanden, mit sehr unterschiedlichen Ansätzen, Motiven und Ausprägungen. Auch wenn
man zum Beispiel die Volksfrömmigkeit betrachtet, die Rolle der Laien oder das
Verhältnis zur Ökumene, kann deutlich werden, wie ungleich katholische Kirche doch in
den verschiedenen Regionen erscheinen kann. Und dann sollte auch beachtet werden,
1
dass
das
II.
Vatikanische
Konzil
wieder
hervorgehoben
hat:
„Ecclesia
semper
reformanda“. Die Kirche muss von Zeit zu Zeit reformiert werden, um ihrem Auftrag
gerecht zu bleiben.
In fast allen
Jahrhunderten hat
es
solche
Aufbrüche
und
Erneuerungen gegeben und auch heute mühen wir uns darum. Das alles zeigt mir schon
äußerlich, dass auch in der katholischen Kirche Freiheit im Spiel sein muss.
Was aber ist mit Freiheit gemeint? Heutzutage erscheint dieser Begriff als Reizwort, in
dem alle menschlichen Bedürfnisse und Wünsche, Ziele und Ideale zusammenlaufen.
Daher ist er auch für die theologische Auslegung der christlichen Heilsbotschaft von
zentraler Bedeutung.
1. Die Kirche als wirksames Zeichen der Freiheit
Keine Frage, in den vergangenen Jahrhunderten ist in der katholischen Kirche mehr von
Ordnung und Autorität, von Geboten und Gehorsam die Rede gewesen, als von Freiheit.
Und doch hat man nicht vergessen, wovon die Bibel spricht: Gott befreit den Menschen
von äußeren und inneren Zwängen, aus Nöten und Ängsten. Das bedeutet besonders:
Die Liebe des Vaters, die in der Menschwerdung seines Sohnes offenbart wurde, diese
„Wahrheit“ macht frei (Joh 8,32), weil dort, wo sein Geist weht, die Freiheit ist (2 Kor
3,17), denn zur Freiheit hat uns Christus befreit (Gal 5,1). „Durch seine Gnade“ – so
formuliert es der neueste katholische Katechismus (Nr. 366) – „führt uns der Heilige
Geist zur inneren Freiheit, um uns zu seinen freien Mitarbeitern in der Kirche und in der
Welt zu machen.“ Neutestamentlich bezeugt sind glaubende und getaufte Menschen
damit grundsätzlich von der Sünde (z. B. Röm 6,18-23), vom Gesetz (z. B. Röm 7,3 f.)
und vom Tod (z. B. 6,21 f.) befreit. Sie gehören als Kinder Gottes zu seinem Volk und
nehmen an dessen Würde und Freiheit teil (vgl. Katechismus Nr.154).
Nach katholischem Verständnis ist die Kirche als Volk Gottes, Leib Christi und Tempel des
Heiligen Geistes das in der Geschichte greifbare und wirksame Zeichen wahrer Freiheit.
Diese wird durch die Verkündigung des Wortes Gottes, die Spendung der Sakramente
und ein Leben in Liebe zu Gott und den Menschen proklamiert und vermittelt. Nach Karl
Rahner (Schriften zur Theologie II, 104) ist die Kirche – insofern der Geist Gottes in ihr
wirkt – sogar der alleinige Ort, von dem gilt: Wo der Geist des Herrn, da ist die Freiheit.
Damit wird die Kirche nicht nur als eine Hüterin menschlicher Freiheitsrechte verstanden,
sondern darüber hinaus als eine Wirklichkeit, in der man der eigentlichen, wahren und
letzten Freiheit begegnen kann.
Auch für Katholiken hat Kirche also zutiefst und unlösbar mit Freiheit zu tun.
2
2.
Die Freiheit in der Kirche
Wie sieht es aber nun mit der Freiheit aus, die ein katholischer Christ als solcher in seiner
Kirche und ihr gegenüber genießt? Es ist nicht zu bezweifeln, dass die katholische Kirche
die Freiheit des Menschen oftmals gegen deterministische Tendenzen verteidigt und wie
ein Dogma geschützt hat (z. B. DS 3245). Einige wichtige Konsequenzen dieser Freiheit
wie die Gewissens- und Religionsfreiheit sind ausdrücklich aber erst durch das II.
Vatikanische Konzil gezogen worden (z. B. GS 26; 41; 73).
Warum erscheint die katholische Kirche manchmal als nicht freiheitlich genug? Solange
die Wiederkunft Christi noch aussteht, ist diese Kirche ja auch eine Gemeinschaft von
Sündern, irdisch verfasst und rechtlich geordnet. Darum lebt sie in der Spannung
zwischen Freiheit und Bindung. Sie hat den Auftrag, die göttliche Offenbarung – was
Glaube und sittliche Normen betrifft – treu zu bewahren, immer aufs Neue zu verkünden
und
verantwortungsbewusst
auf
die
wechselnden
geschichtlichen
Verhältnisse
anzuwenden. Darum ist sie auch – sogar der paulinischen Freiheitslehre gemäß –
verpflichtet, irrige Meinungen und Verhaltensweisen abzuwehren und den subjektiv
beanspruchten Freiheitsraum mancher ihrer Glieder einzuschränken. Dabei kann sie
leicht nach außen und innen den Eindruck erwecken, totalitär zu handeln, aber auch der
Gefahr erliegen, gegen ihre eigenen Prinzipien zu verstoßen und geistgewirkte Freiheit zu
verletzen.
Zu beachten ist freilich, dass die katholische Kirche oftmals nur Grenzen zieht, ohne dem
Einzelnen grundsätzlich und in jedem Fall sagen zu können und zu wollen, was genau zu
tun und vor Gott richtig sei. „Damit aber“ – so sagt Karl Rahner ( Schriften zur Theologie
II, 112) – „ist eine Zone der Freiheit gegeben, die zwar nicht die Freiheit der Willkür und
des vor Gott Gleichgültigen ist, wohl aber eine Zone der Freiheit, in der der einzelne
Christ von der Kirche sich, seinem Gewissen und der Führung des Heiligen Geistes … so
sehr überlassen bleibt, dass der Einzelne die Last und Verantwortung dieser Freiheit gar
nicht auf die Kirche abwälzen kann.“ Und so verstehen sich katholische Christen auch
nicht als Befehlsempfänger und Vollzieher von bis ins kleinste Detail gehenden Geboten.
Ebenso ist in vielen anderen Bereichen Eigenverantwortung und Eigeninitiative gefragt:
im religiösen Leben und in der persönlichen Frömmigkeit wie im innerkirchlichen und
gesellschaftlichen Engagement. Niemand dürfte bezweifeln, dass es in der katholischen
Kirche leidenschaftliche Diskussionen und so etwas wie eine öffentliche Meinung gibt. In
der Theologie ist im Rahmen des Dogmas und verpflichtender Lehren durchaus Raum für
Forschung, Schulen und Richtungen. Und auch das Charismatische und Prophetische hat
Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen und einiges zu bewirken.
3
3. Kriterien innerkirchlicher Meinungsäußerung
Gelegentlich habe ich schon einmal in unserer Kirche sagen hören: „Inzwischen gibt es
nicht nur einen Papst, sondern viele, die meinen, Unfehlbares verbreiten zu müssen.“
Und noch
Heilige
salopper ist der Spruch: „Nicht jeder Vogel, den irgendjemand hat, ist der
Geist.“
Schon
nach
Paulus
sind
die
Gaben
des
Geistes
nicht
zur
„Selbstdarstellung“ und „Selbstverwirklichung“ gegeben, sondern um den Leib Christi, die
Gemeinde der Gläubigen, aufzubauen und zu bereichern. Daran wird ihre Echtheit
erkannt. Und für Karl Rahner ist von vornherein klar, dass innerkirchlich zunächst nichts
zu Wort kommen darf, was dem Dogma der Kirche und ihrer Verfassung göttlichen
Rechts widerspricht (Gesammelte Werke 150). Auch ein demokratischer Staat lässt
Bestrebungen, die sich gegen seine Grundlagen richten, nicht zu. Seine Toleranz endet,
wenn
verfassungsfeindliche
Tendenzen wie
z. B.
Links-
und
Rechtsextremismus
aufkommen. In der Kirche wacht das Lehr- und Hirtenamt darüber. Andererseits dürfen
die Grenzen aber auch nicht zu eng gezogen werden. Es muss genügend Raum und
Möglichkeiten geben, um die vielfältigen Meinungen im Gottesvolk zu hören und zu
bedenken.
Sich kritisch zu äußern, kann nicht nur berechtigt, sondern unter Umständen sogar
verpflichtend zu sein. Dabei kommt es aber darauf an, in welcher Weise das geschieht.
Eine wichtige Voraussetzung dafür, sinnvoll mitzureden, besteht schon einmal darin, über
entsprechende religiöse und theologische Kompetenzen zu verfügen. Zugleich gehört
auch eine „gesunde“ Kirchlichkeit dazu, um sich tatsächlich geist- und verantwortungsvoll
einmischen zu können und sich nicht verbittert oder gehässig gegenüber anderen zu
äußern. Sicher ist außerdem auf Seiten der Amtsträger wie der Laien viel Geduld
erforderlich, um im Geiste Jesu Christi gemeinsam zu erkennen, wohin Gott seine Kirche
führen will und welche Verantwortung jede und jeder Einzelne dafür hat.
Von Ernst Troeltsch stammt der Satz: „Die Kirchen sind Schalen, welche allmählich den
Kern verholzen, den sie schützen.“ Das möge Gott verhüten. Und so betet die katholische
Kirche am 5. Sonntag der Osterzeit nach der Eröffnung der Eucharistiefeier auch: „Gott,
unser Vater, du hast uns durch deinen Sohn erlöst und als deine geliebten Kinder
angenommen. Sieh voll Güte auf alle, die an Christus glauben, und schenke ihnen die
wahre Freiheit und das ewige Erbe.“ Auch für meine Kirche bleibt die gottgewollte
Freiheit ein zentrales Thema und eine prickelnde Herausforderung.
+ Gerhard Feige
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